Die Zeit hab ich mir gelassen und nun ist es endlich so weit.
6. Kapitel - Der Test
"Felice, nicht wahr?", fragte der Schulleiter ruhig, während er ganz in den Raum trat und die Tür hinter sich schloss. Ich konnte nur nicken, denn ich war viel zu überrascht von seinem Auftauchen, um irgendeinen Ton herauszubekommen. Dumbledore kam auf mich zu und sah mich freundlich wie immer an. "Wie geht es dir?", fragte er mich in seiner gewohnt unbeschwerten Art, doch wenn ich mich nicht irrte, lag auch in seinem Blick eine gewisse Besorgnis, die mir bereits bei Snape aufgefallen war. Was zum Teufel war hier los?!
Ich versuchte mir meine Verwirrung nicht anmerken zu lassen, als ich mit "Gut?" antwortete, doch den fragende Unterton konnte ich nicht ganz aus meiner Stimme verbannen.
Wenn Dumbledore es gemerkt hatte, so überging er es und antwortete stattdessen mit einem zufriedenen "Gut." Dann wandte er sich an Madam Pomfrey: "Was meinst du, Poppy?"
Sie zögerte einen Moment, dann antwortete sie: "Nun, sie braucht ein bisschen mehr Schlaf, aber sonst erscheint sie mir vollkommen gesund."
"Wenn du mir richtig zugehört hättest…", presste Snape zwischen den Zähnen hervor, doch Dumbledore unterbrach ihn, indem er seine rechte Hand hoch hielt.
"Ich denke, das reicht, Severus", sagte er in einem ruhigen, jedoch sehr ernsten Ton. "Habt ihr denn einmal sie dazu befragt?" Beide Lehrer schwiegen verblüfft und der Schulleiter wandte sich wieder mir zu. "Felice, ich werde dir jetzt eine Frage stellen. Doch bevor ich dies tue, möchte ich, dass du weißt, dass wir dir nichts vorwerfen. Wir wollen dich nicht auf irgendeine Weise schikanieren, doch es ist wichtig, dass du ehrlich zu uns bist. Hast du verstanden?"
Ich schluckte. Mit einem Mal fühlte ich mich vier Jahre jünger. Außerdem war mir noch immer nicht ganz klar, worum es hier ging, doch mit einem Nicken versicherte ich ihm, dass ich nicht lügen würde.
"Gut", fuhr er fort. "Gibt es irgendetwas, das wir wissen sollten?"
Nun verstand ich wirklich nichts mehr. Worauf wollte er hinaus? Doch statt diese Frage laut auszusprechen, antwortete ich nur mit einem zögerlichen "Nein…"
Dumbledore schien meine Verwirrtheit bemerkt zu haben und dieses Mal ging er darauf ein. "Nun, ich versuche es etwas anders zu formulieren. Ist dir in letzter Zeit – sagen wir, im vergangenen Monat – irgendetwas Außergewöhnliches passiert? Sollte dem so sein, musst du es uns sagen. Davon hängt möglicherweise die Sicherheit deiner Mitschüler ab." Sein Ton war noch eindringlicher geworden und irgendwie machte er mir Angst.
Diesmal zwang ich mich dazu, mein Unverständnis auch laut zu äußern: "Worum geht es hier überhaupt? Was soll im letzten Monat passiert sein, das meine Mitschüler vielleicht in Gefahr bringt? Was soll mit mir sein, dass ich meine Mitschüler in Gefahr bringe?"
Dumbledore musterte eine Weile schweigend mein Gesicht, von dem nun deutlich abzulesen war, wie verwirrt und vor allem aufgebracht ich war. "Nun", begann er schließlich zögernd, "Professor Snape vermutet, dass deine Schlafstörung von etwas ausgelöst wird. Allerdings können wir keinen Beweis für diesen Verdacht finden und dir scheint es auch nicht bewusst zu sein. Dabei müsstest du die erste sein, die es weiß…", seine Stimme brach ab. Daher vermutete ich, dass er eigentlich nur laut gedacht hatte. So oder so, zufriedenstellend war seine Antwort nicht. Deshalb wollte ich erneut nachhaken, doch ich kam nicht dazu. "Wie gehen wir weiter vor?", fragte der Schulleiter bereits seine beiden Lehrer. Warum musste der Kerl auch immer so geheimnistuerisch sein?
"Ich würde sagen, wir warten zunächst ab", ergriff Madam Pomfrey als erste das Wort. "Sollte ein deutliches Anzeichen erkennbar sein, das unseren Verdacht bestätigt, können wir uns darum kümmern."
"Wenn ein deutliches Anzeichen erkennbar ist, ist es bereits zu spät ", entgegnete Snape in gepresstem Tonfall. Er war nicht laut geworden, doch seine Stimme wirkte sehr aufgebracht und vorwurfsvoll. "Wir müssen jetzt handeln!", sagte er mit Nachdruck.
Ich war erneut so fassungslos, dass ich vergaß, meinen Mund zu schließen. Noch immer sprachen sie über mich, als könnte ich sie nicht hören und dann auch noch, als wäre ich eine Aussätzige. Eigentlich hatte ich mehr Taktgefühl von Dumbledore erwartet. Und vor allem eine klare Antwort.
Der Schulleiter schien inzwischen einen Entschluss gefasst zu haben, denn er unterbrach die Stille, die sich in dem großen Raum ausgebreitet hatte: "Poppy, das Tonikum bitte." Er hob seine linke Hand mit einer kreisförmigen Bewegung in die Luft und mir viel zum ersten Mal auf, dass sie schwarz und verwittert aussah. Die Heilerin nickte unterdessen, die Lippen auf einander gepresst und verschwand in ihrem Büro. Snape zeigte keine Regung.
Nach einem kurzen Augenblick kehrte Madam Pomfrey mit einem kleinen Tablett in ihren Händen zurück. Sie stellte es auf einen nahestehenden Nachttisch und nahm zwei Dinge herunter. In ihrer linken Hand war ein durchsichtiges Gefäß, das einem Reagenzglas aus einem Chemielabor sehr nahe kam, doch was sie in ihrer Rechten hielt, konnte ich nicht erkennen.
Sie wandte sich mit einem leicht verdrießlichen Gesichtsausdruck zu mir. "Deine Hand", forderte sie mich knapp auf. Fragend blickte ich zwischen den drei Lehrern vor mir hin und her. Ich fing Dumbledores Blick auf, der mir ermutigend zunickte. Also hielt ich der Heilerin meine rechte Hand hin, was ich jedoch gleich wieder bereute. Zwischen ihren Fingern hielt sie eine lange und spitze Nadel aus Metal. Bevor ich meine Hand wegziehen konnte, hatte sie diese mit ihrer eigenen ergriffen und stach mir mit der Nadel in den Zeigefinger. Sofort quoll eine dunkelrote Flüssigkeit aus der Wunde, die sie in dem Reagenzglas auffing. Madam Pomfrey presste meine Fingerspitze mit Daumen und Zeigefinger zusammen, dass das Blut noch schneller floss.
Sobald sie ihren Griff gelockert hatte, zog ich meine Hand weg. Ungläubig und entsetzt betrachtete ich den Bluttropfen, der sich auf meiner Fingerkuppe gebildet hatte. Dann blickte ich zu ihr. Das Reagenzglas war mit ca. einem halben Kubikzentimeter Blut gefüllt – mit meinem Blut!
Die Heilerin führte ihr seltsames Ritual fort. Ihr Missfallen war ihr jedoch ins Gesicht geschrieben. Die Nadel tauschte sie gegen ein kleines Fläschchen mit einer grau getrübten Flüssigkeit. Sie gab einen Tropfen in das Reagenzglas – und wich sofort zurück. Sofort hatte der Inhalt zu zischen begonnen und verwandelte sich funkensprühend in einen grauen Rauch.
Ich schluckte und löste mein Blick von dem Geschen, um irgendein Zeichen in den Gesichtern der Lehrer zu entdecken. Doch ich wünschte, ich hätte es nicht getan, denn als ich ihre Minen sah, geriet ich in Panik. Alle blickten sie mit Entsetzen und alarmiert auf das rauchende Glas – und dann zu mir.
"Was?", begann ich zu stottern. Ich war den Tränen nahe, denn ich merkte, dass etwas nicht stimmte – und zwar eindeutig. Unwillkürlich wich ich zurück, als müsste ich mich vor den drei Gestalten in Acht nehmen.
Dumbledores besorgter Blick kehrte zurück zu dem Gefäß in Madam Pomfreys Hand. Er nahm es aus ihren Fingern und hielt es hoch. Der Rauch hatte sich verzogen und die Abendsonne, die durch die Fenster schien, erleuchtete den Inhalt. Etwa die Hälfte des Bluts war zurück geblieben und schimmerte in einem kräftigen Rot.
"Seltsam", murmelte er gedankenverloren.
Das brachte mich nun endgültig aus der Fassung. "Was?", rief ich aufgebracht, "Was ist seltsam? Was ist hier überhaupt los? Was sollte das eben?" Ich gestikulierte wild mit meiner rechten Hand, aus deren Zeigefinger immer noch ein bisschen Blut rann. Doch es war mir egal. Ich wollt endlich eine Erklärung. "Was ist mit mir", brachte ich schließlich mit brüchiger Stimme hervor und die Tränen liefen mir nun über die Wangen. Erneut suchte ich nach einer Antwort in ihren Gesichtern.
Madam Pomfrey starrte mich immer noch erschrocken an. Snapes Mine war ausdruckslos und war in seiner Regungslosigkeit etwas Alarmierendes.
Dumbledore ergriff schließlich das Wort. Er wirkte müde und seine Stimme klang irgendwie hilflos, als er sagte: "Felice, ich weiß nicht, wie es kommt, aber du bist ein Werwolf."