Voldemort ist interessant und ich gehöre zu den Menschen, die Tom Riddle nicht ablehnen, sondern ihn sogar mögen. Was nicht bedeuten soll, dass seine Taten gerechtfertigt oder seine Ansichten korrekt wären. Gewiss nicht. Dennoch betrachte ich ihn, einen der komplexesten und interessantesten Charakter der akuelleren Literatur, nicht als das personifizierte 'Böse' oder das 'Böse' überhaupt.
Meine Betrachtungsweise von Lord Voldemort ist hauptsächlich auf folgenden vier Säulen aufgebaut:
1. Wer Wind sät, wird Sturm ernten
Seine Meinungsbildung und sein Hass auf die Muggel sind durchaus nachvollziehbar, wenn auch nicht die richtige Schlussfolgerung und obendrein eine fatale Pauschalisierung. Voldemort ist unter Muggeln aufgewachsen, wurde von ihnen behandelt wie Dreck und dies auf Grund dessen, dass er anders war als die Muggel im Waisenhaus. Er wurde nicht akzeptiert und abgelehnt. Das Gleiche macht er auch, nur in extrem Form. Als er erfährt, dass es noch andere gibt die so sind wie er und dass er tatsächlich so wie er selbst es immer gesehen hat, etwas Besonderes ist, ein Talent hat, welches die Muggel nicht besitzen; beschließt er mit seinem Talent gegen seine ehemaligen Peiniger vorzugehen, die sich in seinen Augen als schwach und wertlos erwiesen haben. Er generalisiert und bringt Muggel mit schlechten Erfahrungen sowie negativ Atributen in Verbindung. Eine Welt ohne Muggel, wäre aus seiner Perspektive betrachtet einfach eine bessere Welt. Die Intoleranz der Muggel hat Intoleranz nach sich gezogen. Wären sie freundlich und nett mit Tom Riddle umgegangen, hätten ihn integriert, akzeptiert und anerkannt, hätte es Voldemort in der Form nicht unbedingt gegeben.
2. Nur der, der sich selbst liebt und wertschätzt, kann andere lieben und wertschätzen
Tom Riddle liebt sich selbst nicht und akzeptiert sein wahres 'Ich' nicht richtig. Es gibt Teile an sich,die er verachtet und ablehnt, andere wiederum, die er glorifiziert. Sich als Person akzeptiert und liebt er nicht in Gänze. Tom Riddle möchte nicht Tom Riddle sein ! Nicht der sein, der er wirklich ist. Er möchte etwas Größeres ,Vollkommenes sein, denn nur das kann er akzeptieren und wertschätzen. Deshalb macht er sich selbst zu seiner aus seinem Größenwahn entsprungenen Größenfantasie. Er wird seine Größenfantasie und möchte von seinem eigentlichen Selbst nichts mehr wissen. Es gefällt ihm nicht, wenn man ihn Tom Riddle nennt und er setzt seine Erfolge und Taten immerzu in den Vordergrund. Damit will er nicht nur andere beeindrucken, sondern sich selbst vor sich und seinem eigenen Urteil immer wieder bestätigen und rechtfertigen. Man hat ihn nicht akzeptiert, nicht geliebt und er kann es bei sich selbst ebenso wenig wie bei anderen. Seine Mutter hielt ihn nicht für annähernd wichtig genug, um auch nur zu versuchen für ihn am leben zu bleiben. Und auch sonst hat man es ihm nie gezeigt, sodass er von einem Modell hätte lernen und sehen können, was es bedeutet, jemanden zu lieben.
3. Es ist nicht immer alles so, wie es ganz offensichtlich zu sein scheint
Ich sehe hinter seiner gesamten Person nicht ausschließlich einen kalkulierenden, brutalen Wahnsinnigen, sondern ich denke, dass hinter der 'Bosheit' viel mehr steckt.
Dominierend ist zwar ganz klar Wut, doch darunter steckt glaube ich Verletzung, Schmerz und eine gewisse Traurigkeit, sowie Verlassenheit, die sich auf diese Art ausdrücken und die er selbst nicht einmal als solche wahrnimmt.
4. Moral ist ein Resultat der Erziehung
Damit ist nicht nur die Erziehung der Eltern oder Erziehungsberechtigten gemeint, sondern Erziehung im allgemein z.B. auch jene, durch die Gesellschaft.
Moral ist niemandem angeboren ! Jede Gesellschaft hat ihre eigenen Normen und Moralvorstellungen und vermittelt diese, zusätzlich zu der Hauptaufgabe, welche den Erziehungsberechtigten obliegt.
Tom Riddle hat jedoch nie eine Erziehung genossen ! Niemand hat ihm Moral beigebracht. Und die Gesellschaft, vertreten durch die Menschen in seiner Umgebung, haben ihn nicht mehr als Ablehnung und Hass gelehrt.
Anstatt ihm zu erklären, was man tun sollte und was besser nicht, hat man ihn verteufelt. Ihn als böse Kreatur dargestellt und sich vor ihm gefürchtet. Und so hat er eigentlich nur gelernt, dass sie ihn nicht verletzen, wenn er ihnen 'wehtut' bzw. sie in Angst und Schrecken versetzt; sowie, dass man anderen nicht vertrauen sollte. Ein Erlernen etwa dieser Strukturen: 'Gefürchtet werden ist das Beste, denn dann bist du sicher und niemand wird dir schaden.' Das Gelernte setzt er dann auch bis zu seinem Lebensende fabelhaft um.....
In Hogwarts dann, wird er in der Gesellschaft begeistert aufgenommen, kommt dort jedoch mit den Menschen in Kontakt, die seine Ansichten über Muggel und seine eigenen Vorstellungen und Auffassungen teilen, was sich natürlich bestärkend auswirkt.
Edit:
Da ich gerade etwas Zeit hatte, habe ich mir einige andere Posts hier durchgelesen und bin dabei auf ein mir bekanntes Argument gestoßen.
Natürlich gibt es große Ähnlichkeiten bezüglich der Erfahrungen der Beiden, dennoch gibt es auch Unterschiede von großer Relevanz.Vamillepudding hat geschrieben: Aber andererseits - war das bei Harry nicht genau das gleiche? Als Kind ungeliebt, ewiger Außenseiter etc. ? Und dennoch hat er es ja irgendwie geschafft, nicht zum ultimativen Bösen zu werden.
a) Einige Charakterzüge und/oder grundlegende charakterliche Tendenzen sind im Erbgut verankert. Zwar machen uns Erfahrungen, Erziehung, Entscheidungen usw. zu den Menschen, die wir dann letztendlich sind, dennoch sind einige Faktoren von vornherein gegeben und individuell unterschiedlich. [[Sogar ein höheres Potential bzw. eine höhere Anfälligkeit für diverse psychische Störungen sind teilweise in den Genen verankert. Lebensumstände und Erfahrungen sorgen dann ggf. dafür, dass die psychische Erkrankung tatsächlich auftritt.]] Demnach ist es logisch, dass jeder mit den Erfahrungen die er macht anders umgeht, anders reagiert und andere Schlüsse daraus zieht.
b) Die psychologische Forschung geht davon aus, dass sich bereits die Erfahrungen die ein Mensch im postnatalen Zustand und Säuglingsalter macht, signifikant auswirken, auch wenn der Mensch keine Erinnerung mehr daran hat. [Manche gehen sogar soweit zu behaupten, dass selbst im pränatalen Zustand bereits Auswirkungen vorhanden sind] Kümmert sich eine Mutter nicht gut um ihr Baby, wird es oft allein gelassen und es ist keiner da, der Schutz und Hilfe bietet oder zu dem das Baby einen wirklichen Bezug aufbauen, mit dem es interagieren kann, fixiert es sich zunehmend auf sich selbst. Das kann dann unter Umständen dazu führen, dass die Fähigkeiten der Identifizierung mit anderen Menschen, der Aufbau von Bindungen zu anderen Menschen und die Fähigkeit der Kohäsion im allgemein beeinträchtigt wird. Die ersten zwei Jahre sind viel wichtiger als man gemeinhin vermutet. Und genau dort liegt ein signifikanter Unterschied. Harry wurde von seinen Eltern nach der Geburt und während seines ersten Lebensjahrs umsorgt, gut behandelt, geliebt und man hat sich mit ihm beschäftigt. Er hatte klare Bezugspersonen, Beachtung und Schutz. Nicht nur seine Eltern, auch andere Personen haben ihn gern gehabt und waren bekümmert. Bei Tom Riddle fällt all das komplett weg. Er hatte Obdach und wurde durchgefüttert, das war es auch schon. Auch die Erfahrungen die er daraufhin machte, waren nicht viel anders.....