Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - BEENDET
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Teil 2 von Kapitel 161
Um elf Uhr abends war Harry bei sich im Wohnzimmer und kniete am Kamin, um Charlie anzuflohen. Er wusste, dass er ihn so spät noch erreichen konnte, weswegen er sich keine Gedanken wegen der Uhrzeit machte.
„Harry?“, hörte er Charlies Stimme. „Falls du Ron haben möchtest, der ist mit den anderen vor ein paar Minuten per Portschlüssel abgereist.“ Ron war mit Angelina und seinen Eltern über Silvester in Rumänien gewesen.
„Nein, ich wollte eigentlich dich sprechen.“
„Mich? Was für eine Ehre“, scherzte Charlie. „Lass mich raten: Es geht um einen Drachen!“
„Woher weißt du das?“, wollte Harry verdutzt wissen.
„Warum sonst solltest du mich um diese Uhrzeit anflohen?“
Es war Harry ein wenig unangenehm, aber Charlie lag völlig richtig. Mit ihm war er, auch wenn er ihn gut leiden konnte, allein schon wegen der räumlichen Distanz nicht so eng befreundet wie mit Rons anderen Brüdern.
„Ja, stimmt. Vielleicht können wir uns ja noch mal vor Juni mit Ginny sehen? Ich glaube nicht, dass wir am Tag unserer Hochzeit viel Zeit finden werden, Charlie.“
„Ich werde im März bei meinen Eltern sein. Bill und Fleur kommen auch, Harry, da können wir uns sehen. Also, was kann ich für dich tun?“
„Es geht um Knucker. Ich brauche Schuppen von diesem Drachen.“
Er hörte Charlie auflachen. „Wie kommst du denn auf die? Die sind seit mehreren Jahrhunderten ausgestorben!“
„Das kann nicht sein! Ich weiß, dass jemand die Schuppen vor zwanzig Jahren in einem Trank verwendet hat“, versicherte Harry.
„Ich verstehe.“ Mit einem Male hatte Charlie ganz ernst geklungen. „Es tauchen tatsächlich immer wieder Schuppen von diesen Drachen auf, aber glaube mir, Harry, die Tiere sind tot – leider.“ Man konnte heraushören, dass es Charlie als Drachenliebhaber in der Seele wehtat, solche Exemplare nicht mehr in natura sehen zu können. „Ich kann dir aber einen Tipp geben.“
„Ich bin ganz Ohr“, sagte Harry neugierig.
„Die Schuppen verwesen kaum, haben eine extrem lange Haltbarkeit. Wenn es diese Wasserdrachen nicht mehr gibt, wer könnte dann trotzdem an ihre Schuppen herankommen?“
Harry überlegte. Er stellte sich vor, wie ein Wasserdrache in einer dieser tiefen Unterwasserhöhlen starb oder einfach tot auf den Boden des Sees sank. Die Antwort war leicht, das fühlte Harry. Mit einem Male fand er sich in Gedanken im großen See wieder und nur kurz, weil er auch Cedric vor seinem inneren Auge erblickte, fühlte er eine tiefe Trauer, doch dann…
„Natürlich!“, brach es aus Harry heraus. „Die Wassermenschen!“
„Richtig, die handeln damit. Wenn jemand Schuppen von einem Knucker hat, dann sind es mit Sicherheit die Wassermenschen. Wenn du welche haben willst, musst du nur einen Weg finden, dich mit Ihnen zu verständigen“, erklärte Charlie.
„Das werde ich irgendwie hinbekommen. Danke Charlie! Ach, du hast keine Schuppen oder?“
„Nein, aber ich würde gern eine haben; als Andenken an eine der ausgestorbenen Arten“, sagte der Drachenfreund.
„Ich denke, das ließe sich einrichten. Vielen Dank nochmal und gute Nacht, Charlie.“
„Dir auch und lass mich wissen, ob du Erfolg hattest“, sagte Charlie verabschiedend, bevor sein Kopf aus dem Feuer verschwand.
„Was war das denn eben?“, hörte er Ginny hinter sich fragen, die eben erst von Pomona und Neville zurückgekommen war.
Nachdem Harry sich umgedreht hatte, erklärte er: „Ich habe deinen Bruder Charlie angefloht.“
„Wegen Knucker-Schuppen?“ Harry nickte, woraufhin Ginny fragte: „Sagst du mir auch, wofür die gut sein sollen?“
„Hermine braucht sie. Remus und ich helfen ihr. Ach ja, wir gehen morgen in die Winkelgasse und wenn du mitkommen möchtest…?“ Er kam auf sie zu und küsste sie auf den Mund.
„Werdet ihr da morgen nur nach irgendwelchen komischen Dingen Ausschau halten oder geht ihr auch in Läden, die mich interessieren könnten?“, fragte sie mit einem unterdrückten Lächeln, denn sie schien die Antwort bereits zu kennen.
„Ich glaube, das Erste trifft wohl zu. Tut mir Leid, Ginny, aber ich habe versprochen, dass ich Hermine helfe und…“
„Ist doch in Ordnung. Ich komme trotzdem mit; ich muss Fred und George einfach erzählen, wie toll ihre Feuerwerkskörper waren! Außerdem wollte ich mir bei Flourish und Blotts ein Buch kaufen“, beruhigte Ginny ihn.
Nach dem gemeinsamen Frühstück am nächsten Morgen erstellten Remus und Hermine bei Harry und Ginny erst eine Liste mit den Zutaten und sie überlegten sich Antworten, falls einer der Verkäufer fragen sollte, wozu sie bestimmte Pflanzen benötigen würden. Hermine erklärte, dass man in der Apotheke in der Winkelgasse bestimmt einige Zutaten bekommen würde, andere auch in dem Laden für Pflanzen und Trankzutaten, „Phantasmplantare“, in welchem sie jetzt schon zweimal gewesen war. Mr. Heed kannte sie bereits und würde ihr sicherlich auch Auskünfte über die fragwürdigen Zutaten geben.
Kaum waren sie per Apparation in der Winkelgasse angelangt verabschiedete sich Ginny auch schon und machte sich auf den Weg in den Bücherladen. „Wir treffen uns in zwei Stunden beim Eissalon und wenn ihr dann noch nicht da seid“, fügte Ginny gut gelaunt hinzu, „dann genehmige ich mir noch eine Stunde.“
„Gut“, sagte Harry und winkte ihr nach. An Hermine und Remus gewandt fragte er: „Wo gehen wir zuerst hin?“
„Wir könnten uns aufteilen. Einer geht in die Apotheke…“
Hermines Vorschlag wurde von einem lächelnden Remus unterbrochen. „Wir haben jetzt zwei Stunden! Wenn wir uns aufteilen, dann sind wir so schnell fertig, dass wir noch eineinhalb Stunden auf Ginny warten dürfen.“
„Remus hat Recht, Hermine. Lass uns das alles zusammen machen! Also auf in die Apotheke.“ Harry wartete keine Antwort ab, sondern marschierte einfach los.
„Na gut“, stimmte Hermine zu.
Höflich hielt Harry ihr die Tür der Apotheke auf, so dass erst Hermine und dann Remus eintraten. Drinnen roch es nach verschiedenen Kräutern, einige Gerüche waren sehr aufdringlich, andere süßlich, aber am durchdringendsten war der Gestank von einem Sud, der hinter der Theke im Arbeitsbereich des Apothekers in einem kleinen Kessel köchelte. Harry verzog das Gesicht und hielt sich eine Hand vor die Nase.
„Kunden! Hab ich mich doch nicht verhört“, sagte eine ältere Dame in einer Ecke des Ladens freundlich. Zuvor hatte man sie gar nicht sehen können, weil ihre Haare und ihre Kleidung genauso schneeweiß waren wie gestapelten die Säcke, vor denen sie saß, um ihnen etwas zu entnehmen. Die kleine Schaufel in den Sack fallen lassend erhob sich die Dame. Man hörte es laut knacken, woraufhin die Heilerin in Hermine beinahe der Versuchung erlag, der Frau die Kniescheiben untersuchen zu wollen.
„Guten Tag“, grüßten alle drei fast zeitgleich.
Auf ihre Kunden langsam zuhumpelnd fragte die alte Dame: „Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“
„Wir haben hier eine Liste mit Zutaten, die teilweise recht selten sind und wir wollten wissen, ob wir die bei Ihnen erwerben können.“ Hermine hielt ihr die Liste hin, die die Apothekerin das erste Mal nicht greifen konnte, weil sie offensichtlich schwer sehen konnte. Hermine ahnte, dass die Frau die hundert Jahre längst überschritten haben musste.
„Dann werden wir mal sehen“, murmelte die betagte Frau, die sich ihre Halbmondbrille zurechtrückte – Harry fragte sich in diesem Moment, ob er im hohen Alter auch mal so eine tragen würde – und die Liste beäugte.
Während die Apothekerin die Liste studierte, sah Hermine sich aus lauter Verlegenheit im Laden um. Die Regale reichten bis unter die Decke und waren voll gestopft mit kleinen Töpfchen, Schälchen und Gläschen – ganz unten auf dem Boden standen die hüfthohen Töpfe, Schalen und Gläser, ähnlich wie in Severus’ Büro und in seinem Labor. Sie betrachtete versiegelte Ampullen, birnenförmige Phiolen, verschieden große Messkolben, Behälter aus Holz, Metall oder Emaille und in ihrem Innern wusste sie, welche Zutaten in welchen Gefäßen aufbewahrt wurden. Flubberwürmer sollte man im Glas aufbewahren, Phönixtränen in luftdichten Ampullen, damit sie nicht verdunsteten und getrocknete Affodillwurzeln waren in atmungsaktiven Holzbehältern am besten aufgehoben – zusammen mit einem Billywig-Stachel, damit Ungeziefer fern bleiben würde, weil sie diese magischen Insekten fürchteten.
„Hermine!“, sagte Harry, weswegen sie sich umdrehte.
„Ich sagte“, begann die Apothekerin erneut, „dass ich nicht einmal die Hälfte der Zutaten auf Lager habe. Ein paar könnte ich bestellen, aber es kann sehr lange dauern.“ Das Sprechen strengte die Dame sehr an.
„Wir würden dann gern das mitnehmen, das Sie auf Lager haben“, antwortete Hermine, der es unangenehm war, so weit weg mit ihren Gedanken gewesen zu sein.
Es war nervenaufreibend, wie lange die alte Dame dazu benötigte, alle Zutaten zusammenzusuchen. Andererseits hatte Hermine deswegen etwas Zeit, sich den Laden noch genauer zu betrachten. Durch eine offen stehende Tür konnte sie ins Lager schauen, welches sehr geräumig wirkte. Ganz hinten machte sie eine weitere Tür aus, deren dahinter liegender Raum sich vor ihr verbarg. Überall an den Wänden hingen Löffel aus verschiedenen Metallen, auch welche aus Gold. In einer Ecke, sehr eingestaubt und voller Spinnweben, befand sich ein Standmörser mit einem massiven Stößel so groß wie ein kleines Ruder.
„Es tut mir Leid“, sagte die Apothekerin, „wenn es etwas dauert.“ Es war der Frau sichtlich unangenehm, nicht mehr so gut bei Fuß zu sein. Darüber hinaus lief sie leicht gebeugt und sie schien Schmerzen in den Knien zu haben. Sie besorgte alles per Hand, nichts mit dem Zauberstab und Hermine erinnerte sich daran, wie Severus ihr einmal gesagt hatte, sie sollte sich gleich angewöhnen, ihre Zutaten auf altmodische Weise an den Tisch zu holen, um Unfälle zu vermeiden.
„Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“, bot Hermine an.
„Das wäre nett. Die Beeren des schwarzen Nachtschattens finden Sie…“ Hermine griff selbstsicher in ein Regal und zog einen undurchsichtigen, nicht beschrifteten Behälter aus Metall hinaus. Die Apothekerin schaute verblüfft drein. „Woher wissen Sie…?“
„Was? Dass die Beeren hier drin sind? Das ist der einzige Behälter aus Bronze zwischen den ganzen anderen Beeren“, erklärte sie, als wäre das die logischste Sache der Welt, denn die gesuchten Beeren sollte man nicht dem Sonnenlicht aussetzen. Die ältere Dame lächelte gutmütig.
Mit Hermines Hilfe waren die Zutaten viel schneller zusammengesucht, so dass die Apothekerin sich nun daran machte, die Waren zu verpacken. Zunächst zögerte Hermine, doch sie fragte, ob sie auch hier helfen könnte und die Dame ließ sie daraufhin sofort hinter den Tresen kommen. Die verschiedenen Zutaten wickelten sie gemeinsam in Papier oder füllten sie in kleine Wegwerfbehälter, als sich plötzlich die Tür öffnete und ein Kunde mittleren Alters eintrat.
„Ich brauche unbedingt Stachelschwein-Pastillen, Gretchen“, sagte der Mann vertraut klingend.
„Sag mir nicht, dass Winfrid wieder Furunkel hat.“ Den Kopf schüttelnd fügte sie hinzu: „Ich sag dir, das kommt von dem vielen Süßen, das er isst.“
„Ich kann es ihm nicht verbieten“, nörgelte der Herr, der möglicherweise von einem zuckerkranken Verwandten oder Freund sprach, vermutete Hermine, denn Diabetiker waren für Furunkel recht anfällig.
Sich umsehend fand Hermine die Pastillen und reichte das Glas der älteren Dame, was die und auch der Kunde mit einem verwunderten Lächeln kommentierten. Während die Apothekerin den Herrn bediente, packte Hermine ihre eigenen Waren weiter ein, so dass sie durch Zufall in dem Moment fertig geworden war, als der Kunde den Laden wieder verließ.
Wieder den privaten Bereich des Tresens verlassend wartete Hermine zusammen mit Remus und Harry darauf, bezahlen zu können, was leider auch etwas Zeit in Anspruch nahm, denn Hermine musste die Dame daran erinnern, wie viel von welcher Zutat sich in welchem Päckchen befand.
„So, das macht dann 262 Galleonen“, sagte die ältere Dame und allen dreien entgleisten bei dem hohen Preis gleichzeitig die Gesichtszüge. „Machen wir 250 draus, weil sie so hilfsbereite Kunden waren.“
„Ich hab gar nicht so viel bei mir“, gestand Hermine.
Helfend sprang Harry ein. „Kein Problem! Wenn Sie kurz warten würden? Ich bin mal eben bei Gringotts.“
Zehn Minuten später waren die Zutaten bezahlt. Noch immer war Hermine ein wenig über den Preis schockiert und sie fragte sich, was die andere Hälfte der noch fehlenden Zutaten wohl kosten würde, als sie die Tür von außen ins Schloss zog und auf ein Schild starrte, auf dem in großen Buchstaben geschrieben stand „Neuer Inhaber wegen Geschäftsaufgabe gesucht“. Vorhin hatte sie das Schild gar nicht bemerkt, weil Harry ihr die Tür aufgehalten hatte.
„Hermine?“, fragte Remus, so dass sie ihren Blick von dem Schild abwandte und sie sich wieder dem Tagesplan widmete. Der Text des Schildes hatte sich in ihren Hinterkopf eingebrannt.
„Gehen wir zu Phantasmplantare. Ich hoffe, dass Mr. Heed da ist.“ Sie ging vor und wies den Weg.
„Ich bin mal kurz bei Fred und George und hole mir eine Gummischlange oder auch zwei“, informierte Harry, der gleich darauf verschwand und nach nur dreißig Sekunden – Rekordzeit – wieder zurückkam, denn in der Regel konnte man sich von den Zwillingen nur schwer losreißen.
Mr. Heed war tatsächlich vor Ort und er erkannte Hermine wieder.
„Ah, guten Tag, junge Dame. Ich hoffe doch, Sie bringen das Geschenk für den Professor nicht zurück?“, fragte er scherzend.
„Nein“, erwiderte sie mit einem freundlichen Lächeln. „Wir würden gern bestimmte Dinge kaufen. Viele sind nicht sehr geläufig und einige… Na ja, einige könnten vielleicht einen falschen Eindruck erwecken.“
Mr. Heeds Gesichtszüge wurden sehr ernst. „Von welchen Dingen sprechen wir? Schwarzmagisches gibt es bei mir nicht!“
„Warten Sie doch ab. Hier, sehen Sie.“
Sie reichte ihm ihre Liste, auf der die eben erworbenen Zutaten schon gestrichen waren, doch auch die überflog Mr. Heed, bevor er die Stirn runzelte und murmelte: „Ich glaube, ich habe gerade ein Déjà-vu.“ Er tippte auf einen Punkt auf der Liste. Von oben herab sagte er schroff: „Von dem Gespenstischen Steinregen sollten Sie wirklich die Finger lassen, sonst fallen Sie Ihnen ab. Ist einem meiner Händler damals passiert! Warum wollen Sie den überhaupt haben?“
Erbost über seinen Tonfall konterte Hermine: „Ich denke nicht, dass ich mich vor Ihnen rechtfertigen muss.“
„Sie wissen genau wie ich, dass mit den Früchten überwiegend schwarzmagische Tränke hergestellt werden und Sie wissen auch, dass das nicht erlaubt ist. Ich bin drauf und dran, Sie bei der Magischen Strafverfolgungspatrouille zu melden!“ Mr. Heed schien sehr empört. „Ich bin schon einmal von einem meiner Kunden angeschwärzt worden, weil ich fragwürdige Zutaten besorgt habe und das wird nicht noch einmal geschehen!“
„Mr. Heed“, beschwichtige Remus allein mit dem gütigen Klang seiner Stimme. „Wir arbeiten zusammen an einem Projekt.“ Er deutete auch auf Harry, bevor er fortfuhr: „Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Miss Granger hier“, er legte eine Hand auf Hermines Schulter, „ist Heilerin. Sie hat im Mungos mit Bestnoten abgeschnitten.“ Mr. Heed hob anerkennend eine Augenbraue. „Sie wird demnächst auch ihren Meister in Zaubertränken absolvieren und darüber hinaus in zwei Monaten bei der ’Körperschaft der Zaubertränkemeister’ eine Neuheit vorstellen.“
„Tatsächlich?“, fragte Mr. Heed begeistert, dessen Laune sich mit einem Male um 180 Grad gewendet hatte. „Ich werde die Tagung auch besuchen! Verraten Sie mir etwas über Ihre Neuheit?“
„Ich“, Hermine war verlegen, „nein, ich denke, ich sollte im Vorfeld besser nichts darüber sagen.“
„Oh, das verstehe ich nur zu gut. Ein guter Freund – ein ehemaliger guter Freund – hatte mir einmal die Arbeit von mehreren Jahren gestohlen und dafür das Patent beim Ministerium angemeldet, was ich schon viel früher hätte machen sollen. Haben Sie das schon getan? Wenn nicht, dann rate ich Ihnen, so schnell wie…“
„Das ist schon erledigt, Mr. Heed“, versicherte Hermine freundlich.
„Gut, dann werde ich mal sehen, inwiefern ich Ihnen behilflich sein kann.“
Erneut ging Mr. Heed die Liste durch und murmelte bei jeder Zutat einen Namen, wahrscheinlich den Namen eines Händlers oder Bekannten, von dem er diese Zutaten besorgen könnte. Nur bei zweien sog er Luft durch die Zähne ein und sagte leise zu sich selbst: „Au, das wird schwierig.“
Nach einer ganzen Weile blickte er auf und sagte selbstsicher: „Das wird kostspielig.“
Betreten blickte Hermine zu Harry hinüber, der einmal nickte und ihr auch verbal die Gewissheit gab: „Ich habe genug abgehoben.“
Sie schenkte ihm ein dankendes Lächeln, bevor sie sich an Mr. Heed wandte und fragte: „Haben Sie alles?“
„Was ich nicht habe, beschaffe ich schnell über den Kamin. Nur zwei Zutaten müssten Sie selbst besorgen. Ich kenne da einen Händler, von dem ich weiß, dass er sie haben wird, aber ich kaufe schon seit Jahren nichts mehr von ihm. Er nimmt Wucherpreise und zieht einen bei jeder Gelegenheit über den Tisch. Die Adresse gebe ich Ihnen gern, aber sagen Sie bloß nicht, dass ich Sie schicke!“
„Nein“, Hermine schüttelte den Kopf, „das werden wir bestimmt nicht.“
Es war eine Adresse aus Frankreich, die Mr. Heed ihr gegeben hatte. Hermine hatte nicht gehört, wie viel Harry für die Zutaten hatte bezahlen müssen, aber sie ahnte, dass es nicht wenig gewesen war, weil er ihr, nachdem sie den Laden verlassen hatten, schmunzelnd nahe legte: „Damit rettest du gefälligst seine Seele, Hermine, hast du verstanden?“
„Ich tu mein Bestes“, antwortete sie grinsend.
Remus trug bereits die Papiertüte aus der Apotheke, während Harry nun die von Phantasmplantare unter den Arm geklemmt hatte. Ginny, die sie im Eissalon trafen, der trotz des kühlen Wetters gut gefüllt war, trug eine Tasche in der Hand, in der ihre Brüder ihr wahrscheinlich einige interessante Dinge mitgegeben hatten.
„Sag mal, Harry“, begann Hermine, „weißt du, ob Bill und Fleur jetzt noch bei ihren Eltern in Frankreich sind?“
Es war Ginny, die antwortete: „Ja, sie kommen in zwei Tagen zurück.“
„Dann werde ich sie anflohen. Vielleicht können sie mir die beiden Zutaten noch schnell besorgen und mitbringen.“
„Was fehlt noch? Der Gespenstische Steinregen und die Leuchtorgane von dem Drachenfisch?“, fragte Harry.
„Ja, und die Schuppen von dem Knucker“, vervollständigte Hermine, „aber du hattest ja gesagt, dass Charlie dir einen Tipp gegeben hätte.“
„Ich werde es versuchen“, bestätigte Harry zuversichtlich, „und wenn ich es nicht schaffen sollte, mit den Wassermenschen in Kontakt zu treten, dann werde ich wohl Albus fragen müssen.“
Verwundert wollte Remus wissen: „Warum fragst du ihn nicht gleich?“
„Weil es Dinge gibt, die ich allein meistern möchte. Was soll’s? Wenn ich es nicht hinbekomme, dann gehe ich hoch in sein Büro und bitte ihn drum. Es ist ja nicht so, als würde dabei viel Zeit draufgehen.“
In seinem Vorhaben bestärkte Hermine ihn, so dass er sich, nachdem sie Hogwarts erreicht hatten, von den dreien trennte, um zum großen See zu gehen. Er war davon überzeugt, dass es nicht allzu schwer sein würde, mit Wassermenschen zu kommunizieren. Man könnte sich mit Händen und Füßen verständlich machen – Gabrielle machte es heute manchmal noch so, denn sehr gut beherrschte sie die Sprache ihres Schwagers noch nicht.
Am großen See angelangt hielt Harry es plötzlich nicht mehr für so möglich, mit den Wassermenschen zu reden, denn der See war mit einer Eisschicht überzogen. Nur hier und da klaffte ein Loch, meist am Ufer, doch das könnte reichen, beruhigte sich Harry. Als er sich einem dieser Löcher näherte, da überlegte er bereits, wie er auf sich aufmerksam machen sollte. Er könnte mit einer Hand wiederholt auf das Wasser schlagen, so wie er es einmal in einer der unzähligen Sendungen gesehen hatte, die Dudley sich immer angeschaut hatte, doch damit hatten die Trainer keine Wassermenschen gerufen, sondern Delfine. Für einen Augenblick kam ihm der absurde Gedanke, Wassermenschen könnten womöglich Winterschlaf halten. Sich selbst verlachend schüttelte er den Kopf.
Er kniete an dem Loch nieder und zögerte er einen Moment, doch letztendlich machte er das, was ihm logisch schien – er schlug aufs Wasser. Kurzzeitig hielt er inne, bis er erneut auf die Oberfläche schlug, einmal sogar so stark, dass er sich im Gesicht nass spritzte.
Nach einer Weile glaubte er, etwas im Wasser sehen zu können; etwas, das sich sehr schnell bewegte. Wieder und wieder schlug er auf das Wasser und jedes Mal sah er kurz, nachdem er seine Hand weggenommen hatte, unter den Wellen, die er verursacht hatte, einen Schatten, der lebendig schien.
Sein Herz rutschte ihm in die Hose, als ein großer Tentakel aus dem Wasser schoss und ihn umstieß. Gleich darauf wurde er vorsichtig von Saugnäpfen befühlt.
„Wäh“, machte Harry, als er den Tentakel abwehrte – nicht grob, sondern nur von sich stieß wie einen Hund, der einen ansprang. „Nicht doch du! Dich meine ich nicht.“ Harry tätschelte den Tentakel, bevor er das Wort an den Krake richtete und nicht sehr ernst gemeint fragte: „Du kannst nicht einen von den Wassermenschen für mich holen oder?“ Der Tentakel machte sich noch einmal lang, um sich kurz, aber kräftig, an Harrys Wange festzusaugen, bevor er in Windeseile wieder im Wasser verschwand. „Na toll“, sagte Harry angeekelt, als er sich mit den Fingern über die Wange fuhr.
Aufgeben wollte er noch nicht, weswegen er erneut auf das Wasser schlug, diesmal viel aggressiver. Die Geräusche, die er verursachte, musste man unter Wasser gut hören können und er wusste ganz genau, dass sie ihn auch hörten, aber sie kamen nicht zu ihm hinauf. In der Unterwasserwelt war ein „Harry Potter“ kein Grund, um alles stehen und liegen zu lassen und irgendwie gefiel ihm der Gedanke, weswegen er erst recht weitermachen wollte. Es musste einige unter ihnen geben, die ihn kannten; die ihn damals beim Trimagischen Turnier gesehen hatten, als er sich dazu entschlossen hatte, nicht nur Ron zu befreien.
Wie lang er schon versuchte, einen Wassermenschen an die Oberfläche zu locken, konnte Harry nicht genau sagen, aber da seine Hand durch die Kälte schon völlig gefühllos war, musste er schon eine ganze Weile hier hocken. Sollte jemand vom Schloss hinunterblicken und das Szenario beobachten, dann würde es ihn nicht wundern, wenn gleich einige freundliche Medi-Magier vom Mungos kommen würden, die ihn mitnehmen wollten.
Es war zwecklos, dachte Harry. Er müsste, auch wenn es ihm nicht gefiel, Albus um Hilfe bitten, weil er selbst diese Aufgabe nicht bewältigen konnte. Albus konnte die Sprache der Wassermenschen, zumindest jener Wassermenschen, die in diesem See lebten, denn es gab viele verschiedene Arten, deren Aussehen und Sprache sehr voneinander abwichen.
Seufzend wandte er sich zum Gehen ab, da hörte er hinter sich plötzlich ein Klack-Geräusch. Langsam drehte er sich um und obwohl er sich vorgenommen hatte nicht zu erschrecken, zuckte er beim Anblick des grünhäutigen und nicht sehr hübsch anzusehenden Wesens zusammen; auch, weil er den auf ihn gerichteten Speer schwerlich ignorieren konnte.
„Hallo“, grüßte Harry eingeschüchtert und rang sich derweil ein Lächeln ab. Als der Wassermensch seine Zähne fletschte, da fiel ihm wieder ein, dass viele Lebewesen das Zeigen von Zähnen als Drohgebärde verstanden, so vielleicht auch die Wassermenschen. Ohne freundlich zu lächeln kam er einen Schritt näher, so dass er nun dem Speer sehr nahe war, um zu zeigen, dass seine Absichten friedlicher Natur waren.
Sich niederkniend sagte Harry: „Verstehst du mich?“
Ein Schnalzen mit der Zunge war die Antwort, gefolgt von einem gurgelnden Geräusch, was Harry als „Nein“ deutete. Er war ganz froh, dass der Wassermensch nicht versuchte, in dessen Sprache mit ihm zu reden, denn die Laute dieser Wesen waren an Land unerträglich anzuhören.
„Knucker“, sagte Harry sehr knapp und der Wassermensch legte den Kopf leicht schräg. Er verstand nicht. „Ähm, wie sag ich es am besten?“, fragte Harry sich selbst, während er eine Hand durch sein wirren Haar fuhr. „Schuppen!“ Doch auch mit diesem Wort erreichte er nichts. Leise fluchend setzte er sich auf einen Stein in der Nähe, um nachzudenken, doch da spürte er etwas in seiner Gesäßtasche. „Ja, natürlich!“ Die Zeichnung von dem Knucker, die er gestern Abend aus einem Buch kopiert hatte, trug er noch bei sich.
Das Pergament entfaltend näherte er sich erneut dem Wassermensch, dessen Speer nicht mehr bedrohlich auf ihn gerichtet war.
„Hier“, sagte Harry nur deswegen, weil er die akustische Untermalung für sich benötigte. Er zeigte dem Wassermenschen die Zeichnung und deutete auf den Körper des Drachens, besonders auf eine Stelle, in der man mit Halbbögen einige Schuppen angedeutet hatte. Der Wassermensch betrachtete die Zeichnung sehr genau, blickte danach Harry an und nickte einmal, bevor er verschwand.
„Er hat es verstanden!“ Das Gefühl, das sich in Harry ausbreitete, war unbeschreiblich. Er hätte nicht geglaubt, dass ihm das gelingen würde und doch hatte er es geschafft. Hermine würde stolz auf ihn sein. Zwar hatte er keinen Drachen getötet, aber immerhin die Schuppen eines ausgestorbenen Tieres besorgen können.
Der Wassermensch kam wenige Minuten später in Begleitung zurück. In seiner Hand befanden sich drei weiß glitzernde Gegenstände von der Größe einer halbierten Schokofroschkarte, die zwischen dessen Fingern fast unmerklich hindurchblitzten. Den Speer hielt nun der andere Wassermensch. Sich vor das grüne Wesen kniend, welches halb aus dem Wasser ragte, sah er dabei zu, wie die Hand mit Schwimmhäuten zwischen den Fingern sich öffnete und die ersehnten Schuppen des Knuckers präsentierte.
Bis über beide Ohren grinsend wollte Harry gerade zugreifen, da schloss sich die Hand blitzschnell und die andere wurde gehoben, die mit der Handfläche nach oben zeigte und eine fordernde Geste machte.
„Natürlich, du willst etwas im Tausch haben.“ Harry nickte und überlegte bereits, was er anbieten könnte. Er tastete seine Jackentaschen ab, aber er hatte nichts bei sich, was den Wassermenschen interessieren könnte, es sei denn, er mochte Gummischlangen – eine davon hatte er aus dem Laden der Zwillinge noch bei sich; als „Wegzehrung“, wie er es Hermine vorhin erklärt hatte.
Harry hielt in einer wartenden Geste einen Zeigefinger nach oben, nickte noch einmal und rannte dann zum Schloss. In seinem Kopf malte er sich bereits passende Tauschgegenstände aus, doch ihm wollte nichts einfallen, was für so seltene Knucker-Schuppen wirklich angemessen wäre, denn er hatte keinesfalls vor, die Wassermenschen übers Ohr hauen. Sie waren nicht dumm und würden sich ihm nie wieder zeigen, sollte er mit wertlosen Glasperlen zurückkommen. Es musste was Seltenes sein, etwas, dass sie bestimmt nicht hatten. Seine Gedanken führten ihn weg von Drachen und hin zu Schlangen – genau genommen zu einer Riesenschlange.
„Basilisken-Schuppen“, rief Harry triumphierend.
Das Gemälde neben ihm an der Wand fragte verdattert: „Was bitte?“
Der Weg in die Kammer wäre viel zu mühselig und zeitaufwändig, weswegen er mit dem Hauch eines schlechten Gewissens die Kerker ansteuerte, um sich an Severus’ privaten Vorräten zu bedienen, denn was Hermine konnte, konnte er schon lange. Er würde als Wiedergutmachung nochmal in die Kammer gehen und so viele Schuppen von dem Basilisken holen, wie Severus es wollte, doch jetzt musste er erst einmal die ausleihen, die sein Kollege mitgenommen hatte. Sicherlich könnte er auch Severus fragen, ob er die Schuppen haben könnte, doch der würde Erklärungen fordern, die Harry geben musste und wenn Severus erfahren sollte, dass alles nur darauf hinauslief, eine Zutat für „Der Ewige See“ zu erlangen, würde Harry nichts bekommen.
Die Tür zur Vorratskammer war nicht einmal abgeschlossen. Wahrscheinlich weil Ferien waren und Severus mit keinen Dieben rechnete. Mit dreien der sechs Schuppen, die so groß wie eine Hand waren, rannte er zurück zum See.
Die Wassermenschen konnte er nicht sehen und er hoffte innig, dass er sie nicht zu lange hat warten lassen, sie vielleicht sogar verärgert hatte, weil sie nicht verstanden hatten, dass er etwas für sie holte. Kaum hatte er das Loch im Eis erreicht, da tauchten die beiden bereits auf. Der eine, mit dem Harry schon ganz zu Anfang kommuniziert hatte, öffnete erneut seine Handfläche und hielt ihm die drei weißen Schuppen entgegen, während Harry ihm die drei großen Basiliskenschuppen im Austausch anbot.
Der Wassermensch hielt inne und blickte mit erkennbarem Erstaunen auf die riesigen Schuppen in Harrys Händen. Als er die Hand mit den Knucker-Schuppen wieder zurückzog, da ahnte Harry Böses. Er hoffte nicht, dass sein Tauschangebot eine Beleidigung wäre und beobachtete argwöhnisch, wie der Wassermensch dem anderen etwas ins Ohr flüsterte, der daraufhin im Wasser verschwand.
„Nicht zufrieden, was?“, fragte Harry enttäuscht, doch er wusste, dass sein feuchtes Gegenüber seine Worte nur als eine Folge komischer Geräusche wahrnehmen musste, so wie Harry auch deren Sprache wahrnahm.
Der Wassermensch kam zurück und überreichte dem anderen einen prallen Sack, den der wiederum Harry übergab. Nachdem er den Sack entgegengenommen hatte, gab er wie in einem Ritual die drei Basiliskenschuppen an den Wassermenschen, der sich nach besiegeltem Tauschhandel einmal verbeugte, bevor beide untertauchten.
Der prall gefüllte Sack enthielt zu Harrys Überraschung ausschließlich Knucker-Schuppen; sehr viele Knucker-Schuppen! Genügend, um Charlie ein dickes Dankeschön nach Rumänien zu schicken. Die Zutat von dem Basilisk schien von so hohem Wert zu sein, dass der Wassermensch einen entsprechenden Gegenwert hatte anbieten wollen. Wassermenschen waren fair, das hatte er damals schon gehört, doch jetzt hatte er es selbst erfahren dürfen.
Freudestrahlend und wegen der Kälte ein wenig bibbernd ging er mit dem Sack in der Hand zurück ins Schloss, doch im vierten Stock traf er weder auf Hermine noch auf Remus.
Beide befanden sich in den Kerkern, denn Hermine braute den dritten Wolfsbanntrank und Remus sah dabei zu, sehr zum Leidwesen des Zaubertränkemeisters, der in dessen Anwesenheit äußerst befangen schien.
„Ich bin wirklich mal gespannt, ob Harry es alleine schafft“, sagte Hermine zu Remus, während sie die letzte Zutat in den Kessel warf und in einer bestimmten Reihenfolge umrührte. Ihr war bewusst, dass Severus, der sich einen Tisch weiter mit seiner eigenen Forschung befasste, jedes Wort ihrer Unterhaltung mit Remus aufmerksam verfolgte, auch wenn er auffallend beschäftigt wirkte.
„Warum sollte er es nicht schaffen? Ich traue ihm das zu.“ Remus beobachtete mit Genugtuung, wie Hermine das Vanillearoma in den Kessel tropfen ließ. „Ich weiß nicht, ob wir uns morgen und übermorgen treffen können, Hermine. Ich werde nach dem heutigen Abend sehr…“
Er suchte nach einem passenden Wort, doch das war gar nicht notwendig. Hermine wusste, denn er hatte es ihr einmal, als sie am Grimmauldplatz in der Küche beieinandergesessen hatten, in einer ruhigen Minute geschildert, wie schmerzhaft die durch den Wolfsbanntrank bewusst wahrgenommene Verwandlung in einen Werwolf war; von der Rückverwandlung gar nicht zu reden.
„Das ist in Ordnung. Morgen werde ich wenig machen und übermorgen“, sie blickte zu einem in seinen Unterlagen wild blätternden Severus hinüber, „hat jemand Geburtstag.“ Mit seinen Bewegungen hielt Severus inne und es schien, als würde er mit sich kämpfen, nicht doch einmal kurz zu ihr hinüberzusehen. Sie grinste, denn das war der Beweis, der er jedes Wort wachen Ohren verfolgt hatte.
Den Trank in einen Kelch füllend reichte sie ihm Remus, der ihn in einem Zuge leerte.
„Ah“, machte Remus am Ende, während er das Gesicht verzog. „Jetzt habe ich mir doch die Zunge verbrannt!“
„Hier, trink etwas Wasser hinterher“, riet sie ihm, doch Severus hielt dagegen.
„Das empfehle ich nicht! Lupin sollte in der nächsten Viertelstunde nichts zu sich nehmen, aber das weiß er sicherlich.“
„Ja, das hast du mir damals bereits erklärt“, stimmte Remus zu.
„Was denn, nicht einmal einen Schluck Wasser?“, fragte Hermine ungläubig.
„Nicht einmal Wasser. Der Trank mag sich zwar jetzt bereits in seinem Magen befinden, aber alles, was er nun zu sich nehmen würde, könnte den Trank noch nachträglich verwässern; die Wirkung leicht abschwächen.“ Severus blickte auf und fügte hinzu: „Eine verbrannte Zunge wird heute Abend im Vergleich zu anderen Empfindungen wohl nicht sehr ins Gewicht fallen.“
Wo Severus Recht hatte, hatte er Recht. Hermine nickte und notierte sich diese Information im Hinterkopf. Sich gerade an Remus wendend kam sie nicht dazu, mit ihm zu sprechen, denn es klopfte.
„Ob das Harry sein wird?“, wunderte sich Remus.
„Warum sollte er klopfen?“ Hermine blickte zu Severus hinüber, denn es war sein Labor und er müsste den Gast empfangen.
Der blickte jedoch nur auf und blaffte: „Nun öffnen Sie schon!“
„Sirius?“ Über das unerwartete Auftauchen seines Freundes freute sich Remus sehr, doch bei Severus sah das natürlich anders aus.
„Black, was tun Sie hier?“, fuhr er seinen unerwünschten Gast an.
„Ich bin gleich wieder weg. Ich wollte nur Remus begleiten.“ Sirius lächelte breit.
„Mich begleiten?“, wiederholte der Werwolf verdutzt.
„Ja, heute ist doch Vollmond!“ Er schlug Remus auf die Schulter. „Ich dachte, wir könnten mal wieder zusammen, du weißt schon, durch den Wald streifen.“
„Und Ihr Territorium markieren?“, kam es nüchtern aus der hinteren Ecke des Labors von Severus.
Zum Tränkemeister hinüberblickend sagte Sirius: „Ja, vielleicht! Ich könnte – natürlich nur, wenn ich nett wäre – dir auch ein paar von den unzähligen Einhornhaaren mitbringen, die tief im Verbotenen Wald überall an den Sträuchern hängen und nur darauf warten, ’gepflückt’ zu werden“, stichelte Sirius.
„Wenn Sie die in der Schnauze tragen sollten, dann verzichte ich gern auf die durch Hundespeichel verunreinigten Haare.“ Schnaufend widmete sich Severus wieder seinen Unterlagen.
Es klopfte erneut und diesmal war es tatsächlich Harry, der wegen seiner feuchten Kleidung, dem zerzausten Haar – wirrer als sonst –, dem Schmutz auf dem Umhang und der gesunden Farbe auf den Wangen einen abgekämpften Eindruck machte, doch er lächelte zufrieden.
„Was hast du denn da an der Wange?“, fragte Sirius mit zusammengezogenen Augenbrauen.
„Wo?“ Harry tastete sein Gesicht ab, fühlte jedoch nichts.
Nachdem Sirius sich genähert hatte, stellte er kichernd fest: „Das ist ein Knutschfleck!“
„Was? Kann nicht sein! Von wem denn?“
„Das wirst du uns sagen müssen“, erwiderte Sirius frech schmunzelnd.
Plötzlich fiel es Harry wieder ein. „Ach so, nein, das war nur der Krake.“ Der Saugnapf musste ihm einen kleinen Bluterguss ähnlich einem Knutschfleck beschert haben.
Amüsiert bemerkte Severus: „Verehrer von Ihnen finden sich wohl in jeder Spezies wieder.“
Wegen dieser Bemerkung kurz die Nase rümpfend hob Harry den Sack in seiner Hand und strahlte Hermine an.
„Nein, du es wirklich geschafft. Oh Harry, ich bin so stolz auf dich!“, sprudelte es fröhlich aus Hermine hervor. Als sie den Sack entgegennahm und seine eiskalten Hände spürte, da sagte sie im mütterlich fürsorglichen Ton: „Himmel, du solltest jetzt wirklich ein heißes Bad nehmen!“
„Wäre es unangemessen darum zu bitten, sich wieder aus dem Labor zu entfernen?“, brummte Severus. In erster Linie meinte er damit Remus und Sirius, aber auch Harry, weil der feuchte Spuren auf dem Boden hinterließ. Remus und sein bester Freund mussten kein zweites Mal dazu aufgefordert werden.
In der Heulenden Hütte, die Remus und Sirius über den Geheimgang unter der Peitschenden Weide erreicht hatten, kamen Erinnerungen auf. Sirius war, nachdem er Ron damals die Ratte abgenommen hatte, nicht mehr hier gewesen, im Gegensatz zu Remus.
„Wir hätten ihn töten sollen“, murmelte Sirius. Remus äußerte sich nicht dazu, denn innerlich stimmte er zu. Sie hätten Peters Leben ein Ende setzen sollen, bevor der entkommen konnte. „Wir hätten einiges damit aufgehalten.“
„Vergiss es, Sirius, du kannst nichts an dem ändern, was geschehen ist.“
„Aber er läuft noch frei herum!“, zeterte Sirius. „Er hat es nicht verdient, am Leben zu sein.“
Ein wenig irritiert sagte Remus: „Ich dachte, er wäre tot?“
„Da gehen die Meinungen wohl auseinander. Ich bin sicher, dass er es wieder irgendwie geschafft hat, diese verdammte Ratte.“
„Lass es gut sein“, beschwichtigte Remus seinen Freund, „denn wenn er leben sollte, dann ist das ein Leben in Angst. Jeder kennt sein Gesicht und seine Untaten. Er müsste sich Tag und Nacht verstecken oder nur noch in seiner Animagusform umherirren.“
Sich an ein Gespräch erinnernd sagte Sirius: „Tonks hatte gesagt, er wäre tot.“
Remus nickte. „Man hat seinen Stab gefunden, schon vor Jahren.“
„Wenn ich ihn eines Tages in die Finger…“
Freundlich, aber dennoch bestimmend unterbrach Remus: „Bitte, lass uns nicht mehr von ihm reden. Er ist es nicht wert.“
Sich wie üblich seiner Kleidung entledigend, weil er sie nicht im Prozess der Verwandlung zerreißen wollte, murmelte Remus bibbernd: „Ich hasse den Winter!“
„Hier.“ Sirius reinigte per Zauberspruch eine Decke, die er von dem zusammengebrochenen Bett gezogen hatte. „Wirf sie dir solange über.“
Während sie auf Remus’ Verwandlung warteten, unterhielten sich die beiden Männer ein wenig. Über alte Zeiten, aber auch über das Jetzt und Heute.
„Wie geht’s Anne?“
„Gut“, entgegnete Sirius knapp.
„Du bist doch noch immer nicht sauer, weil sie bei ’Stock und Hut’ angefangen hat?“
Verzweifelt klingend erwiderte Sirius: „Ich weiß nicht, warum sie das getan hat. Hat sie Angst, ich könnte nicht für sie sorgen?“ Remus lachte auf, was Sirius mit einem bösen Blick zur Kenntnis nahm. Vielleicht, dachte Remus, hatte Annes Arbeitsaufnahme bei Sirius Komplexe und Unsicherheiten ausgelöst.
„Sie hat mir erzählt, dass endlich ihr Wunsch in Erfüllung gegangen ist und das gönnst du ihr nicht?“, fragte Remus lächelnd.
Gerade wollte Sirius etwas erwidern, da fuhr Remus stöhnend unter seiner Decke zusammen.
„Geht’s los?“, fragte Sirius leise, obwohl er die Anzeichen zu deuten wusste.
Die Augen fest zusammengekniffen nickte Remus. Man konnte seine Zähne knirschen hören, was Sirius immer in den Ohren schmerzte. Es wurde durch die Krämpfe verursacht, die die Verwandlung begleiteten. Seine Atmung beschleunigte sich und Remus brach in Schweiß aus, was Sirius äußerlich so gelassen wie nur möglich beobachtete, denn kalt ließ ihn die Veränderung seines Freundes nie; schon damals nicht. Bemitleiden wollte er ihn nicht, doch es tat ihm in der Seele weh.
Mittlerweile atmete Remus schnaufend, sein ganzer Leib zitterte. Haare begannen aus jedem Teil der Haut zu sprießen und dann ertönte das fürchterlich laute Geräusch von knackenden Knochen, die in ungeheuerlicher Geschwindigkeit wuchsen und sich krümmten; den menschlichen Körper in die tierische Form zwangen. Remus hechelte bereits.
„Schrei ruhig. Du weiß, dass mir das nichts ausmacht“, log Sirius ermutigend und Remus hielt nicht mehr zurück und schrie wie am Spieß.
Ganz in der Nähe der Heulenden Hütte kam ein Mann in die Drei Besen gerannt. Als Rosmerta und all die anderen Gäste aufblickten, sahen sie den Bürgermeister höchst persönlich, der kreidebleich im Gesicht schien.
„In der Heulenden Hütte spukt es wieder!“, sagte er ganz außer Atem.
Viele der Gäste, auch Rosmerta selbst, gingen vor die Tür und lauschten. Unmenschliche Laute wurden durch den beißend kalten Wind an ihr Ohr getragen.
„Das war schon lange nicht mehr“, sagte einer der Gäste.
Ein anderer stimmte zu und vermutete laut: „Das sind bestimmt keine Geister, das weiß ich; habe immerhin selbst einen Zuhause.“
Die Besitzerin von Besenknechts Sonntagsstaat hielt sich eine Hand an ans Herz und sagte mit zittriger Stimme: „Das sind Dämonen!“
Alle atmeten erschrocken ein, denn vor solchen Wesen, dass hatte man ihnen schon in der Kindheit eingetrichtert, musste man sich in Acht nehmen. Die Heulende Hütte war den hartgesottensten Bürgern unheimlich.
„Das hört sich scheußlich an“, sagte jemand anderes mit Furcht in der Stimme.
Rosmerta verschränkte gelassen die Arme vor der Brust, um sich vor der Kälte zu schützen, bevor sie beiläufig klingend zu ihren Gästen sagte, derweil an den armen Remus denken musste, den sie sehr lieb gewonnen hatte: „Ja, Dämonen. Gehen wir besser wieder rein.“
Ihre Gäste kamen der Aufforderung nach, während Rosmerta noch einen letzten Blick auf das alte Haus warf, aus dem die schmerzvollen Schreie drangen und sie wünschte sich, dass sie irgendwie helfen könnte, bevor sie sich ihrer Machtlosigkeit bewusst wurde und sich wieder in ihren Pub begab. Es gab keine Hilfe.
„Es ist gleich vorbei, Remus“, sagte Sirius mit ruhiger Stimme, doch Remus konnte es gar nicht hören, so laut wie er winselte und schrie, manchmal auch schon jaulte, weil die Schnauze länger wurde und die langen Zähne durchs Zahnfleisch brachen. Tränen rannen über die bereits stark behaarten Wangen und Sirius musste sich sehr zusammennehmen. Er würde es ertragen; den Anblick und die grauenvolle Geräusche, die sich immer mehr wie die eines Tieres anhörten. An seinen Freund herantreten durfte er nicht, denn im Augenblick der Metamorphose war Remus nicht ganz Herr über seine Motorik und Sirius wollte es nicht riskieren, sich einen Prankenhieb einzufangen.
Sich einige Minuten später vor Remus niederkniend, der nun auf dem Boden kauerte und dabei wimmernde Laute von sich gab, sagte Sirius: „Jetzt ist’s vorbei, Moony.“
Der Werwolf würde noch einen Moment benötigen, um sich von den Strapazen zu erholen. Sirius verwandelte sich noch nicht in Tatze, denn er müsste nachher erst die Tür öffnen, damit sie beide in den Wald stürmen könnten.
Etwas später blickte Moony auf; seine Atmung war schon ruhiger geworden.
„Besser?“, fragte Sirius mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. Moony erhob sich. Ein bejahendes Schnaufen war Antwort genug, so dass Sirius seinen Freund dazu aufforderte, ihm zu folgen.
Draußen angelangt sagte Sirius mit im Gesicht abgezeichneter Vorfreude: „Jetzt geht der Spaß los!“
Kaum hatten diese Worte seinen Mund verlassen, da war es auch schon Tatze, der sich nun an der Seite von Moony befand und einmal auffordernd kläffte, bevor er den Weg einschlug und in Richtung Wald lief. Durch den Schnee konnte Tatze nicht ganz so schnell rennen, aber im Wald selbst lag er kaum noch, so dass sie, wie in alten Zeiten, ungebremst hetzen konnten und nebenbei ein paar Kiefernmarder aufschrecken.
Beinahe hatte Sirius es vergessen wie es war, den weichen Waldboden an seinen Pfoten zu spüren oder die vielen Tiere wittern zu können. Er hielt inne und schnupperte. Eine Zwergspitzmaus musste hier irgendwo in der Nähe sein. Neugierig hielt er seine Schnauze auf den Boden und trottete schnüffelnd bis hin zu einem Baum, aus dessen Wurzelwerk der aufgescheuchte Nager zu fliehen versuchte.
Moony war von einer kleinen Fledermaus abgelenkt, die sich mit zitternden Bewegungen an der Rinde eines riesigen Baumes hochzog. Während er nach oben blickte, sah er den Vollmond durch die Wipfel blitzen, doch Wehmut konnte nicht in ihm aufkommen, denn Tatze zwickte ihm spielerisch in die Hinterläufe und forderte zum Wettrennen auf.
Dem schwarzen Hund nachjagend rannten sie immer tiefer in den Wald, witterten immer mehr Tiere und auch Zentauren, vor denen sie keine Furcht zu haben brauchten. Mit heraushängender Zunge machten sie nach einiger Zeit an einem kleinen Teich halt, um sich zu erfrischen, bevor es diesmal Moony war, der Tatze schelmisch umstieß und davonrannte; der große Hund hinterher.
In dieser Nacht wurden ein paar schöne Erinnerungen aus der Vergangenheit aufgefrischt. Es war wie früher; genauso spannend, genauso vergnüglich – nur der Hirsch fehlte ihnen sehr.
Um elf Uhr abends war Harry bei sich im Wohnzimmer und kniete am Kamin, um Charlie anzuflohen. Er wusste, dass er ihn so spät noch erreichen konnte, weswegen er sich keine Gedanken wegen der Uhrzeit machte.
„Harry?“, hörte er Charlies Stimme. „Falls du Ron haben möchtest, der ist mit den anderen vor ein paar Minuten per Portschlüssel abgereist.“ Ron war mit Angelina und seinen Eltern über Silvester in Rumänien gewesen.
„Nein, ich wollte eigentlich dich sprechen.“
„Mich? Was für eine Ehre“, scherzte Charlie. „Lass mich raten: Es geht um einen Drachen!“
„Woher weißt du das?“, wollte Harry verdutzt wissen.
„Warum sonst solltest du mich um diese Uhrzeit anflohen?“
Es war Harry ein wenig unangenehm, aber Charlie lag völlig richtig. Mit ihm war er, auch wenn er ihn gut leiden konnte, allein schon wegen der räumlichen Distanz nicht so eng befreundet wie mit Rons anderen Brüdern.
„Ja, stimmt. Vielleicht können wir uns ja noch mal vor Juni mit Ginny sehen? Ich glaube nicht, dass wir am Tag unserer Hochzeit viel Zeit finden werden, Charlie.“
„Ich werde im März bei meinen Eltern sein. Bill und Fleur kommen auch, Harry, da können wir uns sehen. Also, was kann ich für dich tun?“
„Es geht um Knucker. Ich brauche Schuppen von diesem Drachen.“
Er hörte Charlie auflachen. „Wie kommst du denn auf die? Die sind seit mehreren Jahrhunderten ausgestorben!“
„Das kann nicht sein! Ich weiß, dass jemand die Schuppen vor zwanzig Jahren in einem Trank verwendet hat“, versicherte Harry.
„Ich verstehe.“ Mit einem Male hatte Charlie ganz ernst geklungen. „Es tauchen tatsächlich immer wieder Schuppen von diesen Drachen auf, aber glaube mir, Harry, die Tiere sind tot – leider.“ Man konnte heraushören, dass es Charlie als Drachenliebhaber in der Seele wehtat, solche Exemplare nicht mehr in natura sehen zu können. „Ich kann dir aber einen Tipp geben.“
„Ich bin ganz Ohr“, sagte Harry neugierig.
„Die Schuppen verwesen kaum, haben eine extrem lange Haltbarkeit. Wenn es diese Wasserdrachen nicht mehr gibt, wer könnte dann trotzdem an ihre Schuppen herankommen?“
Harry überlegte. Er stellte sich vor, wie ein Wasserdrache in einer dieser tiefen Unterwasserhöhlen starb oder einfach tot auf den Boden des Sees sank. Die Antwort war leicht, das fühlte Harry. Mit einem Male fand er sich in Gedanken im großen See wieder und nur kurz, weil er auch Cedric vor seinem inneren Auge erblickte, fühlte er eine tiefe Trauer, doch dann…
„Natürlich!“, brach es aus Harry heraus. „Die Wassermenschen!“
„Richtig, die handeln damit. Wenn jemand Schuppen von einem Knucker hat, dann sind es mit Sicherheit die Wassermenschen. Wenn du welche haben willst, musst du nur einen Weg finden, dich mit Ihnen zu verständigen“, erklärte Charlie.
„Das werde ich irgendwie hinbekommen. Danke Charlie! Ach, du hast keine Schuppen oder?“
„Nein, aber ich würde gern eine haben; als Andenken an eine der ausgestorbenen Arten“, sagte der Drachenfreund.
„Ich denke, das ließe sich einrichten. Vielen Dank nochmal und gute Nacht, Charlie.“
„Dir auch und lass mich wissen, ob du Erfolg hattest“, sagte Charlie verabschiedend, bevor sein Kopf aus dem Feuer verschwand.
„Was war das denn eben?“, hörte er Ginny hinter sich fragen, die eben erst von Pomona und Neville zurückgekommen war.
Nachdem Harry sich umgedreht hatte, erklärte er: „Ich habe deinen Bruder Charlie angefloht.“
„Wegen Knucker-Schuppen?“ Harry nickte, woraufhin Ginny fragte: „Sagst du mir auch, wofür die gut sein sollen?“
„Hermine braucht sie. Remus und ich helfen ihr. Ach ja, wir gehen morgen in die Winkelgasse und wenn du mitkommen möchtest…?“ Er kam auf sie zu und küsste sie auf den Mund.
„Werdet ihr da morgen nur nach irgendwelchen komischen Dingen Ausschau halten oder geht ihr auch in Läden, die mich interessieren könnten?“, fragte sie mit einem unterdrückten Lächeln, denn sie schien die Antwort bereits zu kennen.
„Ich glaube, das Erste trifft wohl zu. Tut mir Leid, Ginny, aber ich habe versprochen, dass ich Hermine helfe und…“
„Ist doch in Ordnung. Ich komme trotzdem mit; ich muss Fred und George einfach erzählen, wie toll ihre Feuerwerkskörper waren! Außerdem wollte ich mir bei Flourish und Blotts ein Buch kaufen“, beruhigte Ginny ihn.
Nach dem gemeinsamen Frühstück am nächsten Morgen erstellten Remus und Hermine bei Harry und Ginny erst eine Liste mit den Zutaten und sie überlegten sich Antworten, falls einer der Verkäufer fragen sollte, wozu sie bestimmte Pflanzen benötigen würden. Hermine erklärte, dass man in der Apotheke in der Winkelgasse bestimmt einige Zutaten bekommen würde, andere auch in dem Laden für Pflanzen und Trankzutaten, „Phantasmplantare“, in welchem sie jetzt schon zweimal gewesen war. Mr. Heed kannte sie bereits und würde ihr sicherlich auch Auskünfte über die fragwürdigen Zutaten geben.
Kaum waren sie per Apparation in der Winkelgasse angelangt verabschiedete sich Ginny auch schon und machte sich auf den Weg in den Bücherladen. „Wir treffen uns in zwei Stunden beim Eissalon und wenn ihr dann noch nicht da seid“, fügte Ginny gut gelaunt hinzu, „dann genehmige ich mir noch eine Stunde.“
„Gut“, sagte Harry und winkte ihr nach. An Hermine und Remus gewandt fragte er: „Wo gehen wir zuerst hin?“
„Wir könnten uns aufteilen. Einer geht in die Apotheke…“
Hermines Vorschlag wurde von einem lächelnden Remus unterbrochen. „Wir haben jetzt zwei Stunden! Wenn wir uns aufteilen, dann sind wir so schnell fertig, dass wir noch eineinhalb Stunden auf Ginny warten dürfen.“
„Remus hat Recht, Hermine. Lass uns das alles zusammen machen! Also auf in die Apotheke.“ Harry wartete keine Antwort ab, sondern marschierte einfach los.
„Na gut“, stimmte Hermine zu.
Höflich hielt Harry ihr die Tür der Apotheke auf, so dass erst Hermine und dann Remus eintraten. Drinnen roch es nach verschiedenen Kräutern, einige Gerüche waren sehr aufdringlich, andere süßlich, aber am durchdringendsten war der Gestank von einem Sud, der hinter der Theke im Arbeitsbereich des Apothekers in einem kleinen Kessel köchelte. Harry verzog das Gesicht und hielt sich eine Hand vor die Nase.
„Kunden! Hab ich mich doch nicht verhört“, sagte eine ältere Dame in einer Ecke des Ladens freundlich. Zuvor hatte man sie gar nicht sehen können, weil ihre Haare und ihre Kleidung genauso schneeweiß waren wie gestapelten die Säcke, vor denen sie saß, um ihnen etwas zu entnehmen. Die kleine Schaufel in den Sack fallen lassend erhob sich die Dame. Man hörte es laut knacken, woraufhin die Heilerin in Hermine beinahe der Versuchung erlag, der Frau die Kniescheiben untersuchen zu wollen.
„Guten Tag“, grüßten alle drei fast zeitgleich.
Auf ihre Kunden langsam zuhumpelnd fragte die alte Dame: „Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“
„Wir haben hier eine Liste mit Zutaten, die teilweise recht selten sind und wir wollten wissen, ob wir die bei Ihnen erwerben können.“ Hermine hielt ihr die Liste hin, die die Apothekerin das erste Mal nicht greifen konnte, weil sie offensichtlich schwer sehen konnte. Hermine ahnte, dass die Frau die hundert Jahre längst überschritten haben musste.
„Dann werden wir mal sehen“, murmelte die betagte Frau, die sich ihre Halbmondbrille zurechtrückte – Harry fragte sich in diesem Moment, ob er im hohen Alter auch mal so eine tragen würde – und die Liste beäugte.
Während die Apothekerin die Liste studierte, sah Hermine sich aus lauter Verlegenheit im Laden um. Die Regale reichten bis unter die Decke und waren voll gestopft mit kleinen Töpfchen, Schälchen und Gläschen – ganz unten auf dem Boden standen die hüfthohen Töpfe, Schalen und Gläser, ähnlich wie in Severus’ Büro und in seinem Labor. Sie betrachtete versiegelte Ampullen, birnenförmige Phiolen, verschieden große Messkolben, Behälter aus Holz, Metall oder Emaille und in ihrem Innern wusste sie, welche Zutaten in welchen Gefäßen aufbewahrt wurden. Flubberwürmer sollte man im Glas aufbewahren, Phönixtränen in luftdichten Ampullen, damit sie nicht verdunsteten und getrocknete Affodillwurzeln waren in atmungsaktiven Holzbehältern am besten aufgehoben – zusammen mit einem Billywig-Stachel, damit Ungeziefer fern bleiben würde, weil sie diese magischen Insekten fürchteten.
„Hermine!“, sagte Harry, weswegen sie sich umdrehte.
„Ich sagte“, begann die Apothekerin erneut, „dass ich nicht einmal die Hälfte der Zutaten auf Lager habe. Ein paar könnte ich bestellen, aber es kann sehr lange dauern.“ Das Sprechen strengte die Dame sehr an.
„Wir würden dann gern das mitnehmen, das Sie auf Lager haben“, antwortete Hermine, der es unangenehm war, so weit weg mit ihren Gedanken gewesen zu sein.
Es war nervenaufreibend, wie lange die alte Dame dazu benötigte, alle Zutaten zusammenzusuchen. Andererseits hatte Hermine deswegen etwas Zeit, sich den Laden noch genauer zu betrachten. Durch eine offen stehende Tür konnte sie ins Lager schauen, welches sehr geräumig wirkte. Ganz hinten machte sie eine weitere Tür aus, deren dahinter liegender Raum sich vor ihr verbarg. Überall an den Wänden hingen Löffel aus verschiedenen Metallen, auch welche aus Gold. In einer Ecke, sehr eingestaubt und voller Spinnweben, befand sich ein Standmörser mit einem massiven Stößel so groß wie ein kleines Ruder.
„Es tut mir Leid“, sagte die Apothekerin, „wenn es etwas dauert.“ Es war der Frau sichtlich unangenehm, nicht mehr so gut bei Fuß zu sein. Darüber hinaus lief sie leicht gebeugt und sie schien Schmerzen in den Knien zu haben. Sie besorgte alles per Hand, nichts mit dem Zauberstab und Hermine erinnerte sich daran, wie Severus ihr einmal gesagt hatte, sie sollte sich gleich angewöhnen, ihre Zutaten auf altmodische Weise an den Tisch zu holen, um Unfälle zu vermeiden.
„Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“, bot Hermine an.
„Das wäre nett. Die Beeren des schwarzen Nachtschattens finden Sie…“ Hermine griff selbstsicher in ein Regal und zog einen undurchsichtigen, nicht beschrifteten Behälter aus Metall hinaus. Die Apothekerin schaute verblüfft drein. „Woher wissen Sie…?“
„Was? Dass die Beeren hier drin sind? Das ist der einzige Behälter aus Bronze zwischen den ganzen anderen Beeren“, erklärte sie, als wäre das die logischste Sache der Welt, denn die gesuchten Beeren sollte man nicht dem Sonnenlicht aussetzen. Die ältere Dame lächelte gutmütig.
Mit Hermines Hilfe waren die Zutaten viel schneller zusammengesucht, so dass die Apothekerin sich nun daran machte, die Waren zu verpacken. Zunächst zögerte Hermine, doch sie fragte, ob sie auch hier helfen könnte und die Dame ließ sie daraufhin sofort hinter den Tresen kommen. Die verschiedenen Zutaten wickelten sie gemeinsam in Papier oder füllten sie in kleine Wegwerfbehälter, als sich plötzlich die Tür öffnete und ein Kunde mittleren Alters eintrat.
„Ich brauche unbedingt Stachelschwein-Pastillen, Gretchen“, sagte der Mann vertraut klingend.
„Sag mir nicht, dass Winfrid wieder Furunkel hat.“ Den Kopf schüttelnd fügte sie hinzu: „Ich sag dir, das kommt von dem vielen Süßen, das er isst.“
„Ich kann es ihm nicht verbieten“, nörgelte der Herr, der möglicherweise von einem zuckerkranken Verwandten oder Freund sprach, vermutete Hermine, denn Diabetiker waren für Furunkel recht anfällig.
Sich umsehend fand Hermine die Pastillen und reichte das Glas der älteren Dame, was die und auch der Kunde mit einem verwunderten Lächeln kommentierten. Während die Apothekerin den Herrn bediente, packte Hermine ihre eigenen Waren weiter ein, so dass sie durch Zufall in dem Moment fertig geworden war, als der Kunde den Laden wieder verließ.
Wieder den privaten Bereich des Tresens verlassend wartete Hermine zusammen mit Remus und Harry darauf, bezahlen zu können, was leider auch etwas Zeit in Anspruch nahm, denn Hermine musste die Dame daran erinnern, wie viel von welcher Zutat sich in welchem Päckchen befand.
„So, das macht dann 262 Galleonen“, sagte die ältere Dame und allen dreien entgleisten bei dem hohen Preis gleichzeitig die Gesichtszüge. „Machen wir 250 draus, weil sie so hilfsbereite Kunden waren.“
„Ich hab gar nicht so viel bei mir“, gestand Hermine.
Helfend sprang Harry ein. „Kein Problem! Wenn Sie kurz warten würden? Ich bin mal eben bei Gringotts.“
Zehn Minuten später waren die Zutaten bezahlt. Noch immer war Hermine ein wenig über den Preis schockiert und sie fragte sich, was die andere Hälfte der noch fehlenden Zutaten wohl kosten würde, als sie die Tür von außen ins Schloss zog und auf ein Schild starrte, auf dem in großen Buchstaben geschrieben stand „Neuer Inhaber wegen Geschäftsaufgabe gesucht“. Vorhin hatte sie das Schild gar nicht bemerkt, weil Harry ihr die Tür aufgehalten hatte.
„Hermine?“, fragte Remus, so dass sie ihren Blick von dem Schild abwandte und sie sich wieder dem Tagesplan widmete. Der Text des Schildes hatte sich in ihren Hinterkopf eingebrannt.
„Gehen wir zu Phantasmplantare. Ich hoffe, dass Mr. Heed da ist.“ Sie ging vor und wies den Weg.
„Ich bin mal kurz bei Fred und George und hole mir eine Gummischlange oder auch zwei“, informierte Harry, der gleich darauf verschwand und nach nur dreißig Sekunden – Rekordzeit – wieder zurückkam, denn in der Regel konnte man sich von den Zwillingen nur schwer losreißen.
Mr. Heed war tatsächlich vor Ort und er erkannte Hermine wieder.
„Ah, guten Tag, junge Dame. Ich hoffe doch, Sie bringen das Geschenk für den Professor nicht zurück?“, fragte er scherzend.
„Nein“, erwiderte sie mit einem freundlichen Lächeln. „Wir würden gern bestimmte Dinge kaufen. Viele sind nicht sehr geläufig und einige… Na ja, einige könnten vielleicht einen falschen Eindruck erwecken.“
Mr. Heeds Gesichtszüge wurden sehr ernst. „Von welchen Dingen sprechen wir? Schwarzmagisches gibt es bei mir nicht!“
„Warten Sie doch ab. Hier, sehen Sie.“
Sie reichte ihm ihre Liste, auf der die eben erworbenen Zutaten schon gestrichen waren, doch auch die überflog Mr. Heed, bevor er die Stirn runzelte und murmelte: „Ich glaube, ich habe gerade ein Déjà-vu.“ Er tippte auf einen Punkt auf der Liste. Von oben herab sagte er schroff: „Von dem Gespenstischen Steinregen sollten Sie wirklich die Finger lassen, sonst fallen Sie Ihnen ab. Ist einem meiner Händler damals passiert! Warum wollen Sie den überhaupt haben?“
Erbost über seinen Tonfall konterte Hermine: „Ich denke nicht, dass ich mich vor Ihnen rechtfertigen muss.“
„Sie wissen genau wie ich, dass mit den Früchten überwiegend schwarzmagische Tränke hergestellt werden und Sie wissen auch, dass das nicht erlaubt ist. Ich bin drauf und dran, Sie bei der Magischen Strafverfolgungspatrouille zu melden!“ Mr. Heed schien sehr empört. „Ich bin schon einmal von einem meiner Kunden angeschwärzt worden, weil ich fragwürdige Zutaten besorgt habe und das wird nicht noch einmal geschehen!“
„Mr. Heed“, beschwichtige Remus allein mit dem gütigen Klang seiner Stimme. „Wir arbeiten zusammen an einem Projekt.“ Er deutete auch auf Harry, bevor er fortfuhr: „Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Miss Granger hier“, er legte eine Hand auf Hermines Schulter, „ist Heilerin. Sie hat im Mungos mit Bestnoten abgeschnitten.“ Mr. Heed hob anerkennend eine Augenbraue. „Sie wird demnächst auch ihren Meister in Zaubertränken absolvieren und darüber hinaus in zwei Monaten bei der ’Körperschaft der Zaubertränkemeister’ eine Neuheit vorstellen.“
„Tatsächlich?“, fragte Mr. Heed begeistert, dessen Laune sich mit einem Male um 180 Grad gewendet hatte. „Ich werde die Tagung auch besuchen! Verraten Sie mir etwas über Ihre Neuheit?“
„Ich“, Hermine war verlegen, „nein, ich denke, ich sollte im Vorfeld besser nichts darüber sagen.“
„Oh, das verstehe ich nur zu gut. Ein guter Freund – ein ehemaliger guter Freund – hatte mir einmal die Arbeit von mehreren Jahren gestohlen und dafür das Patent beim Ministerium angemeldet, was ich schon viel früher hätte machen sollen. Haben Sie das schon getan? Wenn nicht, dann rate ich Ihnen, so schnell wie…“
„Das ist schon erledigt, Mr. Heed“, versicherte Hermine freundlich.
„Gut, dann werde ich mal sehen, inwiefern ich Ihnen behilflich sein kann.“
Erneut ging Mr. Heed die Liste durch und murmelte bei jeder Zutat einen Namen, wahrscheinlich den Namen eines Händlers oder Bekannten, von dem er diese Zutaten besorgen könnte. Nur bei zweien sog er Luft durch die Zähne ein und sagte leise zu sich selbst: „Au, das wird schwierig.“
Nach einer ganzen Weile blickte er auf und sagte selbstsicher: „Das wird kostspielig.“
Betreten blickte Hermine zu Harry hinüber, der einmal nickte und ihr auch verbal die Gewissheit gab: „Ich habe genug abgehoben.“
Sie schenkte ihm ein dankendes Lächeln, bevor sie sich an Mr. Heed wandte und fragte: „Haben Sie alles?“
„Was ich nicht habe, beschaffe ich schnell über den Kamin. Nur zwei Zutaten müssten Sie selbst besorgen. Ich kenne da einen Händler, von dem ich weiß, dass er sie haben wird, aber ich kaufe schon seit Jahren nichts mehr von ihm. Er nimmt Wucherpreise und zieht einen bei jeder Gelegenheit über den Tisch. Die Adresse gebe ich Ihnen gern, aber sagen Sie bloß nicht, dass ich Sie schicke!“
„Nein“, Hermine schüttelte den Kopf, „das werden wir bestimmt nicht.“
Es war eine Adresse aus Frankreich, die Mr. Heed ihr gegeben hatte. Hermine hatte nicht gehört, wie viel Harry für die Zutaten hatte bezahlen müssen, aber sie ahnte, dass es nicht wenig gewesen war, weil er ihr, nachdem sie den Laden verlassen hatten, schmunzelnd nahe legte: „Damit rettest du gefälligst seine Seele, Hermine, hast du verstanden?“
„Ich tu mein Bestes“, antwortete sie grinsend.
Remus trug bereits die Papiertüte aus der Apotheke, während Harry nun die von Phantasmplantare unter den Arm geklemmt hatte. Ginny, die sie im Eissalon trafen, der trotz des kühlen Wetters gut gefüllt war, trug eine Tasche in der Hand, in der ihre Brüder ihr wahrscheinlich einige interessante Dinge mitgegeben hatten.
„Sag mal, Harry“, begann Hermine, „weißt du, ob Bill und Fleur jetzt noch bei ihren Eltern in Frankreich sind?“
Es war Ginny, die antwortete: „Ja, sie kommen in zwei Tagen zurück.“
„Dann werde ich sie anflohen. Vielleicht können sie mir die beiden Zutaten noch schnell besorgen und mitbringen.“
„Was fehlt noch? Der Gespenstische Steinregen und die Leuchtorgane von dem Drachenfisch?“, fragte Harry.
„Ja, und die Schuppen von dem Knucker“, vervollständigte Hermine, „aber du hattest ja gesagt, dass Charlie dir einen Tipp gegeben hätte.“
„Ich werde es versuchen“, bestätigte Harry zuversichtlich, „und wenn ich es nicht schaffen sollte, mit den Wassermenschen in Kontakt zu treten, dann werde ich wohl Albus fragen müssen.“
Verwundert wollte Remus wissen: „Warum fragst du ihn nicht gleich?“
„Weil es Dinge gibt, die ich allein meistern möchte. Was soll’s? Wenn ich es nicht hinbekomme, dann gehe ich hoch in sein Büro und bitte ihn drum. Es ist ja nicht so, als würde dabei viel Zeit draufgehen.“
In seinem Vorhaben bestärkte Hermine ihn, so dass er sich, nachdem sie Hogwarts erreicht hatten, von den dreien trennte, um zum großen See zu gehen. Er war davon überzeugt, dass es nicht allzu schwer sein würde, mit Wassermenschen zu kommunizieren. Man könnte sich mit Händen und Füßen verständlich machen – Gabrielle machte es heute manchmal noch so, denn sehr gut beherrschte sie die Sprache ihres Schwagers noch nicht.
Am großen See angelangt hielt Harry es plötzlich nicht mehr für so möglich, mit den Wassermenschen zu reden, denn der See war mit einer Eisschicht überzogen. Nur hier und da klaffte ein Loch, meist am Ufer, doch das könnte reichen, beruhigte sich Harry. Als er sich einem dieser Löcher näherte, da überlegte er bereits, wie er auf sich aufmerksam machen sollte. Er könnte mit einer Hand wiederholt auf das Wasser schlagen, so wie er es einmal in einer der unzähligen Sendungen gesehen hatte, die Dudley sich immer angeschaut hatte, doch damit hatten die Trainer keine Wassermenschen gerufen, sondern Delfine. Für einen Augenblick kam ihm der absurde Gedanke, Wassermenschen könnten womöglich Winterschlaf halten. Sich selbst verlachend schüttelte er den Kopf.
Er kniete an dem Loch nieder und zögerte er einen Moment, doch letztendlich machte er das, was ihm logisch schien – er schlug aufs Wasser. Kurzzeitig hielt er inne, bis er erneut auf die Oberfläche schlug, einmal sogar so stark, dass er sich im Gesicht nass spritzte.
Nach einer Weile glaubte er, etwas im Wasser sehen zu können; etwas, das sich sehr schnell bewegte. Wieder und wieder schlug er auf das Wasser und jedes Mal sah er kurz, nachdem er seine Hand weggenommen hatte, unter den Wellen, die er verursacht hatte, einen Schatten, der lebendig schien.
Sein Herz rutschte ihm in die Hose, als ein großer Tentakel aus dem Wasser schoss und ihn umstieß. Gleich darauf wurde er vorsichtig von Saugnäpfen befühlt.
„Wäh“, machte Harry, als er den Tentakel abwehrte – nicht grob, sondern nur von sich stieß wie einen Hund, der einen ansprang. „Nicht doch du! Dich meine ich nicht.“ Harry tätschelte den Tentakel, bevor er das Wort an den Krake richtete und nicht sehr ernst gemeint fragte: „Du kannst nicht einen von den Wassermenschen für mich holen oder?“ Der Tentakel machte sich noch einmal lang, um sich kurz, aber kräftig, an Harrys Wange festzusaugen, bevor er in Windeseile wieder im Wasser verschwand. „Na toll“, sagte Harry angeekelt, als er sich mit den Fingern über die Wange fuhr.
Aufgeben wollte er noch nicht, weswegen er erneut auf das Wasser schlug, diesmal viel aggressiver. Die Geräusche, die er verursachte, musste man unter Wasser gut hören können und er wusste ganz genau, dass sie ihn auch hörten, aber sie kamen nicht zu ihm hinauf. In der Unterwasserwelt war ein „Harry Potter“ kein Grund, um alles stehen und liegen zu lassen und irgendwie gefiel ihm der Gedanke, weswegen er erst recht weitermachen wollte. Es musste einige unter ihnen geben, die ihn kannten; die ihn damals beim Trimagischen Turnier gesehen hatten, als er sich dazu entschlossen hatte, nicht nur Ron zu befreien.
Wie lang er schon versuchte, einen Wassermenschen an die Oberfläche zu locken, konnte Harry nicht genau sagen, aber da seine Hand durch die Kälte schon völlig gefühllos war, musste er schon eine ganze Weile hier hocken. Sollte jemand vom Schloss hinunterblicken und das Szenario beobachten, dann würde es ihn nicht wundern, wenn gleich einige freundliche Medi-Magier vom Mungos kommen würden, die ihn mitnehmen wollten.
Es war zwecklos, dachte Harry. Er müsste, auch wenn es ihm nicht gefiel, Albus um Hilfe bitten, weil er selbst diese Aufgabe nicht bewältigen konnte. Albus konnte die Sprache der Wassermenschen, zumindest jener Wassermenschen, die in diesem See lebten, denn es gab viele verschiedene Arten, deren Aussehen und Sprache sehr voneinander abwichen.
Seufzend wandte er sich zum Gehen ab, da hörte er hinter sich plötzlich ein Klack-Geräusch. Langsam drehte er sich um und obwohl er sich vorgenommen hatte nicht zu erschrecken, zuckte er beim Anblick des grünhäutigen und nicht sehr hübsch anzusehenden Wesens zusammen; auch, weil er den auf ihn gerichteten Speer schwerlich ignorieren konnte.
„Hallo“, grüßte Harry eingeschüchtert und rang sich derweil ein Lächeln ab. Als der Wassermensch seine Zähne fletschte, da fiel ihm wieder ein, dass viele Lebewesen das Zeigen von Zähnen als Drohgebärde verstanden, so vielleicht auch die Wassermenschen. Ohne freundlich zu lächeln kam er einen Schritt näher, so dass er nun dem Speer sehr nahe war, um zu zeigen, dass seine Absichten friedlicher Natur waren.
Sich niederkniend sagte Harry: „Verstehst du mich?“
Ein Schnalzen mit der Zunge war die Antwort, gefolgt von einem gurgelnden Geräusch, was Harry als „Nein“ deutete. Er war ganz froh, dass der Wassermensch nicht versuchte, in dessen Sprache mit ihm zu reden, denn die Laute dieser Wesen waren an Land unerträglich anzuhören.
„Knucker“, sagte Harry sehr knapp und der Wassermensch legte den Kopf leicht schräg. Er verstand nicht. „Ähm, wie sag ich es am besten?“, fragte Harry sich selbst, während er eine Hand durch sein wirren Haar fuhr. „Schuppen!“ Doch auch mit diesem Wort erreichte er nichts. Leise fluchend setzte er sich auf einen Stein in der Nähe, um nachzudenken, doch da spürte er etwas in seiner Gesäßtasche. „Ja, natürlich!“ Die Zeichnung von dem Knucker, die er gestern Abend aus einem Buch kopiert hatte, trug er noch bei sich.
Das Pergament entfaltend näherte er sich erneut dem Wassermensch, dessen Speer nicht mehr bedrohlich auf ihn gerichtet war.
„Hier“, sagte Harry nur deswegen, weil er die akustische Untermalung für sich benötigte. Er zeigte dem Wassermenschen die Zeichnung und deutete auf den Körper des Drachens, besonders auf eine Stelle, in der man mit Halbbögen einige Schuppen angedeutet hatte. Der Wassermensch betrachtete die Zeichnung sehr genau, blickte danach Harry an und nickte einmal, bevor er verschwand.
„Er hat es verstanden!“ Das Gefühl, das sich in Harry ausbreitete, war unbeschreiblich. Er hätte nicht geglaubt, dass ihm das gelingen würde und doch hatte er es geschafft. Hermine würde stolz auf ihn sein. Zwar hatte er keinen Drachen getötet, aber immerhin die Schuppen eines ausgestorbenen Tieres besorgen können.
Der Wassermensch kam wenige Minuten später in Begleitung zurück. In seiner Hand befanden sich drei weiß glitzernde Gegenstände von der Größe einer halbierten Schokofroschkarte, die zwischen dessen Fingern fast unmerklich hindurchblitzten. Den Speer hielt nun der andere Wassermensch. Sich vor das grüne Wesen kniend, welches halb aus dem Wasser ragte, sah er dabei zu, wie die Hand mit Schwimmhäuten zwischen den Fingern sich öffnete und die ersehnten Schuppen des Knuckers präsentierte.
Bis über beide Ohren grinsend wollte Harry gerade zugreifen, da schloss sich die Hand blitzschnell und die andere wurde gehoben, die mit der Handfläche nach oben zeigte und eine fordernde Geste machte.
„Natürlich, du willst etwas im Tausch haben.“ Harry nickte und überlegte bereits, was er anbieten könnte. Er tastete seine Jackentaschen ab, aber er hatte nichts bei sich, was den Wassermenschen interessieren könnte, es sei denn, er mochte Gummischlangen – eine davon hatte er aus dem Laden der Zwillinge noch bei sich; als „Wegzehrung“, wie er es Hermine vorhin erklärt hatte.
Harry hielt in einer wartenden Geste einen Zeigefinger nach oben, nickte noch einmal und rannte dann zum Schloss. In seinem Kopf malte er sich bereits passende Tauschgegenstände aus, doch ihm wollte nichts einfallen, was für so seltene Knucker-Schuppen wirklich angemessen wäre, denn er hatte keinesfalls vor, die Wassermenschen übers Ohr hauen. Sie waren nicht dumm und würden sich ihm nie wieder zeigen, sollte er mit wertlosen Glasperlen zurückkommen. Es musste was Seltenes sein, etwas, dass sie bestimmt nicht hatten. Seine Gedanken führten ihn weg von Drachen und hin zu Schlangen – genau genommen zu einer Riesenschlange.
„Basilisken-Schuppen“, rief Harry triumphierend.
Das Gemälde neben ihm an der Wand fragte verdattert: „Was bitte?“
Der Weg in die Kammer wäre viel zu mühselig und zeitaufwändig, weswegen er mit dem Hauch eines schlechten Gewissens die Kerker ansteuerte, um sich an Severus’ privaten Vorräten zu bedienen, denn was Hermine konnte, konnte er schon lange. Er würde als Wiedergutmachung nochmal in die Kammer gehen und so viele Schuppen von dem Basilisken holen, wie Severus es wollte, doch jetzt musste er erst einmal die ausleihen, die sein Kollege mitgenommen hatte. Sicherlich könnte er auch Severus fragen, ob er die Schuppen haben könnte, doch der würde Erklärungen fordern, die Harry geben musste und wenn Severus erfahren sollte, dass alles nur darauf hinauslief, eine Zutat für „Der Ewige See“ zu erlangen, würde Harry nichts bekommen.
Die Tür zur Vorratskammer war nicht einmal abgeschlossen. Wahrscheinlich weil Ferien waren und Severus mit keinen Dieben rechnete. Mit dreien der sechs Schuppen, die so groß wie eine Hand waren, rannte er zurück zum See.
Die Wassermenschen konnte er nicht sehen und er hoffte innig, dass er sie nicht zu lange hat warten lassen, sie vielleicht sogar verärgert hatte, weil sie nicht verstanden hatten, dass er etwas für sie holte. Kaum hatte er das Loch im Eis erreicht, da tauchten die beiden bereits auf. Der eine, mit dem Harry schon ganz zu Anfang kommuniziert hatte, öffnete erneut seine Handfläche und hielt ihm die drei weißen Schuppen entgegen, während Harry ihm die drei großen Basiliskenschuppen im Austausch anbot.
Der Wassermensch hielt inne und blickte mit erkennbarem Erstaunen auf die riesigen Schuppen in Harrys Händen. Als er die Hand mit den Knucker-Schuppen wieder zurückzog, da ahnte Harry Böses. Er hoffte nicht, dass sein Tauschangebot eine Beleidigung wäre und beobachtete argwöhnisch, wie der Wassermensch dem anderen etwas ins Ohr flüsterte, der daraufhin im Wasser verschwand.
„Nicht zufrieden, was?“, fragte Harry enttäuscht, doch er wusste, dass sein feuchtes Gegenüber seine Worte nur als eine Folge komischer Geräusche wahrnehmen musste, so wie Harry auch deren Sprache wahrnahm.
Der Wassermensch kam zurück und überreichte dem anderen einen prallen Sack, den der wiederum Harry übergab. Nachdem er den Sack entgegengenommen hatte, gab er wie in einem Ritual die drei Basiliskenschuppen an den Wassermenschen, der sich nach besiegeltem Tauschhandel einmal verbeugte, bevor beide untertauchten.
Der prall gefüllte Sack enthielt zu Harrys Überraschung ausschließlich Knucker-Schuppen; sehr viele Knucker-Schuppen! Genügend, um Charlie ein dickes Dankeschön nach Rumänien zu schicken. Die Zutat von dem Basilisk schien von so hohem Wert zu sein, dass der Wassermensch einen entsprechenden Gegenwert hatte anbieten wollen. Wassermenschen waren fair, das hatte er damals schon gehört, doch jetzt hatte er es selbst erfahren dürfen.
Freudestrahlend und wegen der Kälte ein wenig bibbernd ging er mit dem Sack in der Hand zurück ins Schloss, doch im vierten Stock traf er weder auf Hermine noch auf Remus.
Beide befanden sich in den Kerkern, denn Hermine braute den dritten Wolfsbanntrank und Remus sah dabei zu, sehr zum Leidwesen des Zaubertränkemeisters, der in dessen Anwesenheit äußerst befangen schien.
„Ich bin wirklich mal gespannt, ob Harry es alleine schafft“, sagte Hermine zu Remus, während sie die letzte Zutat in den Kessel warf und in einer bestimmten Reihenfolge umrührte. Ihr war bewusst, dass Severus, der sich einen Tisch weiter mit seiner eigenen Forschung befasste, jedes Wort ihrer Unterhaltung mit Remus aufmerksam verfolgte, auch wenn er auffallend beschäftigt wirkte.
„Warum sollte er es nicht schaffen? Ich traue ihm das zu.“ Remus beobachtete mit Genugtuung, wie Hermine das Vanillearoma in den Kessel tropfen ließ. „Ich weiß nicht, ob wir uns morgen und übermorgen treffen können, Hermine. Ich werde nach dem heutigen Abend sehr…“
Er suchte nach einem passenden Wort, doch das war gar nicht notwendig. Hermine wusste, denn er hatte es ihr einmal, als sie am Grimmauldplatz in der Küche beieinandergesessen hatten, in einer ruhigen Minute geschildert, wie schmerzhaft die durch den Wolfsbanntrank bewusst wahrgenommene Verwandlung in einen Werwolf war; von der Rückverwandlung gar nicht zu reden.
„Das ist in Ordnung. Morgen werde ich wenig machen und übermorgen“, sie blickte zu einem in seinen Unterlagen wild blätternden Severus hinüber, „hat jemand Geburtstag.“ Mit seinen Bewegungen hielt Severus inne und es schien, als würde er mit sich kämpfen, nicht doch einmal kurz zu ihr hinüberzusehen. Sie grinste, denn das war der Beweis, der er jedes Wort wachen Ohren verfolgt hatte.
Den Trank in einen Kelch füllend reichte sie ihm Remus, der ihn in einem Zuge leerte.
„Ah“, machte Remus am Ende, während er das Gesicht verzog. „Jetzt habe ich mir doch die Zunge verbrannt!“
„Hier, trink etwas Wasser hinterher“, riet sie ihm, doch Severus hielt dagegen.
„Das empfehle ich nicht! Lupin sollte in der nächsten Viertelstunde nichts zu sich nehmen, aber das weiß er sicherlich.“
„Ja, das hast du mir damals bereits erklärt“, stimmte Remus zu.
„Was denn, nicht einmal einen Schluck Wasser?“, fragte Hermine ungläubig.
„Nicht einmal Wasser. Der Trank mag sich zwar jetzt bereits in seinem Magen befinden, aber alles, was er nun zu sich nehmen würde, könnte den Trank noch nachträglich verwässern; die Wirkung leicht abschwächen.“ Severus blickte auf und fügte hinzu: „Eine verbrannte Zunge wird heute Abend im Vergleich zu anderen Empfindungen wohl nicht sehr ins Gewicht fallen.“
Wo Severus Recht hatte, hatte er Recht. Hermine nickte und notierte sich diese Information im Hinterkopf. Sich gerade an Remus wendend kam sie nicht dazu, mit ihm zu sprechen, denn es klopfte.
„Ob das Harry sein wird?“, wunderte sich Remus.
„Warum sollte er klopfen?“ Hermine blickte zu Severus hinüber, denn es war sein Labor und er müsste den Gast empfangen.
Der blickte jedoch nur auf und blaffte: „Nun öffnen Sie schon!“
„Sirius?“ Über das unerwartete Auftauchen seines Freundes freute sich Remus sehr, doch bei Severus sah das natürlich anders aus.
„Black, was tun Sie hier?“, fuhr er seinen unerwünschten Gast an.
„Ich bin gleich wieder weg. Ich wollte nur Remus begleiten.“ Sirius lächelte breit.
„Mich begleiten?“, wiederholte der Werwolf verdutzt.
„Ja, heute ist doch Vollmond!“ Er schlug Remus auf die Schulter. „Ich dachte, wir könnten mal wieder zusammen, du weißt schon, durch den Wald streifen.“
„Und Ihr Territorium markieren?“, kam es nüchtern aus der hinteren Ecke des Labors von Severus.
Zum Tränkemeister hinüberblickend sagte Sirius: „Ja, vielleicht! Ich könnte – natürlich nur, wenn ich nett wäre – dir auch ein paar von den unzähligen Einhornhaaren mitbringen, die tief im Verbotenen Wald überall an den Sträuchern hängen und nur darauf warten, ’gepflückt’ zu werden“, stichelte Sirius.
„Wenn Sie die in der Schnauze tragen sollten, dann verzichte ich gern auf die durch Hundespeichel verunreinigten Haare.“ Schnaufend widmete sich Severus wieder seinen Unterlagen.
Es klopfte erneut und diesmal war es tatsächlich Harry, der wegen seiner feuchten Kleidung, dem zerzausten Haar – wirrer als sonst –, dem Schmutz auf dem Umhang und der gesunden Farbe auf den Wangen einen abgekämpften Eindruck machte, doch er lächelte zufrieden.
„Was hast du denn da an der Wange?“, fragte Sirius mit zusammengezogenen Augenbrauen.
„Wo?“ Harry tastete sein Gesicht ab, fühlte jedoch nichts.
Nachdem Sirius sich genähert hatte, stellte er kichernd fest: „Das ist ein Knutschfleck!“
„Was? Kann nicht sein! Von wem denn?“
„Das wirst du uns sagen müssen“, erwiderte Sirius frech schmunzelnd.
Plötzlich fiel es Harry wieder ein. „Ach so, nein, das war nur der Krake.“ Der Saugnapf musste ihm einen kleinen Bluterguss ähnlich einem Knutschfleck beschert haben.
Amüsiert bemerkte Severus: „Verehrer von Ihnen finden sich wohl in jeder Spezies wieder.“
Wegen dieser Bemerkung kurz die Nase rümpfend hob Harry den Sack in seiner Hand und strahlte Hermine an.
„Nein, du es wirklich geschafft. Oh Harry, ich bin so stolz auf dich!“, sprudelte es fröhlich aus Hermine hervor. Als sie den Sack entgegennahm und seine eiskalten Hände spürte, da sagte sie im mütterlich fürsorglichen Ton: „Himmel, du solltest jetzt wirklich ein heißes Bad nehmen!“
„Wäre es unangemessen darum zu bitten, sich wieder aus dem Labor zu entfernen?“, brummte Severus. In erster Linie meinte er damit Remus und Sirius, aber auch Harry, weil der feuchte Spuren auf dem Boden hinterließ. Remus und sein bester Freund mussten kein zweites Mal dazu aufgefordert werden.
In der Heulenden Hütte, die Remus und Sirius über den Geheimgang unter der Peitschenden Weide erreicht hatten, kamen Erinnerungen auf. Sirius war, nachdem er Ron damals die Ratte abgenommen hatte, nicht mehr hier gewesen, im Gegensatz zu Remus.
„Wir hätten ihn töten sollen“, murmelte Sirius. Remus äußerte sich nicht dazu, denn innerlich stimmte er zu. Sie hätten Peters Leben ein Ende setzen sollen, bevor der entkommen konnte. „Wir hätten einiges damit aufgehalten.“
„Vergiss es, Sirius, du kannst nichts an dem ändern, was geschehen ist.“
„Aber er läuft noch frei herum!“, zeterte Sirius. „Er hat es nicht verdient, am Leben zu sein.“
Ein wenig irritiert sagte Remus: „Ich dachte, er wäre tot?“
„Da gehen die Meinungen wohl auseinander. Ich bin sicher, dass er es wieder irgendwie geschafft hat, diese verdammte Ratte.“
„Lass es gut sein“, beschwichtigte Remus seinen Freund, „denn wenn er leben sollte, dann ist das ein Leben in Angst. Jeder kennt sein Gesicht und seine Untaten. Er müsste sich Tag und Nacht verstecken oder nur noch in seiner Animagusform umherirren.“
Sich an ein Gespräch erinnernd sagte Sirius: „Tonks hatte gesagt, er wäre tot.“
Remus nickte. „Man hat seinen Stab gefunden, schon vor Jahren.“
„Wenn ich ihn eines Tages in die Finger…“
Freundlich, aber dennoch bestimmend unterbrach Remus: „Bitte, lass uns nicht mehr von ihm reden. Er ist es nicht wert.“
Sich wie üblich seiner Kleidung entledigend, weil er sie nicht im Prozess der Verwandlung zerreißen wollte, murmelte Remus bibbernd: „Ich hasse den Winter!“
„Hier.“ Sirius reinigte per Zauberspruch eine Decke, die er von dem zusammengebrochenen Bett gezogen hatte. „Wirf sie dir solange über.“
Während sie auf Remus’ Verwandlung warteten, unterhielten sich die beiden Männer ein wenig. Über alte Zeiten, aber auch über das Jetzt und Heute.
„Wie geht’s Anne?“
„Gut“, entgegnete Sirius knapp.
„Du bist doch noch immer nicht sauer, weil sie bei ’Stock und Hut’ angefangen hat?“
Verzweifelt klingend erwiderte Sirius: „Ich weiß nicht, warum sie das getan hat. Hat sie Angst, ich könnte nicht für sie sorgen?“ Remus lachte auf, was Sirius mit einem bösen Blick zur Kenntnis nahm. Vielleicht, dachte Remus, hatte Annes Arbeitsaufnahme bei Sirius Komplexe und Unsicherheiten ausgelöst.
„Sie hat mir erzählt, dass endlich ihr Wunsch in Erfüllung gegangen ist und das gönnst du ihr nicht?“, fragte Remus lächelnd.
Gerade wollte Sirius etwas erwidern, da fuhr Remus stöhnend unter seiner Decke zusammen.
„Geht’s los?“, fragte Sirius leise, obwohl er die Anzeichen zu deuten wusste.
Die Augen fest zusammengekniffen nickte Remus. Man konnte seine Zähne knirschen hören, was Sirius immer in den Ohren schmerzte. Es wurde durch die Krämpfe verursacht, die die Verwandlung begleiteten. Seine Atmung beschleunigte sich und Remus brach in Schweiß aus, was Sirius äußerlich so gelassen wie nur möglich beobachtete, denn kalt ließ ihn die Veränderung seines Freundes nie; schon damals nicht. Bemitleiden wollte er ihn nicht, doch es tat ihm in der Seele weh.
Mittlerweile atmete Remus schnaufend, sein ganzer Leib zitterte. Haare begannen aus jedem Teil der Haut zu sprießen und dann ertönte das fürchterlich laute Geräusch von knackenden Knochen, die in ungeheuerlicher Geschwindigkeit wuchsen und sich krümmten; den menschlichen Körper in die tierische Form zwangen. Remus hechelte bereits.
„Schrei ruhig. Du weiß, dass mir das nichts ausmacht“, log Sirius ermutigend und Remus hielt nicht mehr zurück und schrie wie am Spieß.
Ganz in der Nähe der Heulenden Hütte kam ein Mann in die Drei Besen gerannt. Als Rosmerta und all die anderen Gäste aufblickten, sahen sie den Bürgermeister höchst persönlich, der kreidebleich im Gesicht schien.
„In der Heulenden Hütte spukt es wieder!“, sagte er ganz außer Atem.
Viele der Gäste, auch Rosmerta selbst, gingen vor die Tür und lauschten. Unmenschliche Laute wurden durch den beißend kalten Wind an ihr Ohr getragen.
„Das war schon lange nicht mehr“, sagte einer der Gäste.
Ein anderer stimmte zu und vermutete laut: „Das sind bestimmt keine Geister, das weiß ich; habe immerhin selbst einen Zuhause.“
Die Besitzerin von Besenknechts Sonntagsstaat hielt sich eine Hand an ans Herz und sagte mit zittriger Stimme: „Das sind Dämonen!“
Alle atmeten erschrocken ein, denn vor solchen Wesen, dass hatte man ihnen schon in der Kindheit eingetrichtert, musste man sich in Acht nehmen. Die Heulende Hütte war den hartgesottensten Bürgern unheimlich.
„Das hört sich scheußlich an“, sagte jemand anderes mit Furcht in der Stimme.
Rosmerta verschränkte gelassen die Arme vor der Brust, um sich vor der Kälte zu schützen, bevor sie beiläufig klingend zu ihren Gästen sagte, derweil an den armen Remus denken musste, den sie sehr lieb gewonnen hatte: „Ja, Dämonen. Gehen wir besser wieder rein.“
Ihre Gäste kamen der Aufforderung nach, während Rosmerta noch einen letzten Blick auf das alte Haus warf, aus dem die schmerzvollen Schreie drangen und sie wünschte sich, dass sie irgendwie helfen könnte, bevor sie sich ihrer Machtlosigkeit bewusst wurde und sich wieder in ihren Pub begab. Es gab keine Hilfe.
„Es ist gleich vorbei, Remus“, sagte Sirius mit ruhiger Stimme, doch Remus konnte es gar nicht hören, so laut wie er winselte und schrie, manchmal auch schon jaulte, weil die Schnauze länger wurde und die langen Zähne durchs Zahnfleisch brachen. Tränen rannen über die bereits stark behaarten Wangen und Sirius musste sich sehr zusammennehmen. Er würde es ertragen; den Anblick und die grauenvolle Geräusche, die sich immer mehr wie die eines Tieres anhörten. An seinen Freund herantreten durfte er nicht, denn im Augenblick der Metamorphose war Remus nicht ganz Herr über seine Motorik und Sirius wollte es nicht riskieren, sich einen Prankenhieb einzufangen.
Sich einige Minuten später vor Remus niederkniend, der nun auf dem Boden kauerte und dabei wimmernde Laute von sich gab, sagte Sirius: „Jetzt ist’s vorbei, Moony.“
Der Werwolf würde noch einen Moment benötigen, um sich von den Strapazen zu erholen. Sirius verwandelte sich noch nicht in Tatze, denn er müsste nachher erst die Tür öffnen, damit sie beide in den Wald stürmen könnten.
Etwas später blickte Moony auf; seine Atmung war schon ruhiger geworden.
„Besser?“, fragte Sirius mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. Moony erhob sich. Ein bejahendes Schnaufen war Antwort genug, so dass Sirius seinen Freund dazu aufforderte, ihm zu folgen.
Draußen angelangt sagte Sirius mit im Gesicht abgezeichneter Vorfreude: „Jetzt geht der Spaß los!“
Kaum hatten diese Worte seinen Mund verlassen, da war es auch schon Tatze, der sich nun an der Seite von Moony befand und einmal auffordernd kläffte, bevor er den Weg einschlug und in Richtung Wald lief. Durch den Schnee konnte Tatze nicht ganz so schnell rennen, aber im Wald selbst lag er kaum noch, so dass sie, wie in alten Zeiten, ungebremst hetzen konnten und nebenbei ein paar Kiefernmarder aufschrecken.
Beinahe hatte Sirius es vergessen wie es war, den weichen Waldboden an seinen Pfoten zu spüren oder die vielen Tiere wittern zu können. Er hielt inne und schnupperte. Eine Zwergspitzmaus musste hier irgendwo in der Nähe sein. Neugierig hielt er seine Schnauze auf den Boden und trottete schnüffelnd bis hin zu einem Baum, aus dessen Wurzelwerk der aufgescheuchte Nager zu fliehen versuchte.
Moony war von einer kleinen Fledermaus abgelenkt, die sich mit zitternden Bewegungen an der Rinde eines riesigen Baumes hochzog. Während er nach oben blickte, sah er den Vollmond durch die Wipfel blitzen, doch Wehmut konnte nicht in ihm aufkommen, denn Tatze zwickte ihm spielerisch in die Hinterläufe und forderte zum Wettrennen auf.
Dem schwarzen Hund nachjagend rannten sie immer tiefer in den Wald, witterten immer mehr Tiere und auch Zentauren, vor denen sie keine Furcht zu haben brauchten. Mit heraushängender Zunge machten sie nach einiger Zeit an einem kleinen Teich halt, um sich zu erfrischen, bevor es diesmal Moony war, der Tatze schelmisch umstieß und davonrannte; der große Hund hinterher.
In dieser Nacht wurden ein paar schöne Erinnerungen aus der Vergangenheit aufgefrischt. Es war wie früher; genauso spannend, genauso vergnüglich – nur der Hirsch fehlte ihnen sehr.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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162 Sein schönstes Geschenk
Den Tag nach dem Ausflug in die Winkelgasse nutzte Hermine, um sich noch einige Dinge aus den Akten des Ministeriums zu notieren. Sie durfte keine magischen Kopien der Schriften und Berichte anfertigen – das hatte sie mit einer Unterschrift versichern müssen – und daher war sie sehr glücklich über das Schreibfederset, das Severus ihr zu Weihnachten geschenkt hatte. Sie brauchte die Stellen, die sie interessierten, nur laut zu lesen und ihre Feder schrieb brav in ihrer eigenen Handschrift mit.
Mit Besuch hatte sie heute nicht gerechnet und sie konnte, nachdem es bei ihr geklopft hatte, nicht einmal ahnen, wer vor ihrer Tür stehen würde.
„Hermine“, grüßte Valentinus mit einem Lächeln, welches sie womöglich zu blenden vermochte, wären seine Zähne nur noch wenige Nuancen heller.
„Oh.“ Damit ihr Gruß nicht auf diesen Ausdruck der Verwunderung beschränkt blieb, fügte sie noch schnell hinzu: „Was für eine Überraschung.“
Ein schneller Blick auf seine Erscheinung ließ sie schon etwas ahnen, denn unter dem Arm hatte er eine Mappe geklemmt.
„Sie wissen sicherlich noch“, begann er freundlich, „dass Sie sich bereit erklärt haben, das Knieselbuch zu lesen, welches ich verfasst habe. Ich denke nicht, dass Sie etwas finden, das Sie beanstanden würden, aber Ihre Meinung schätze ich sehr.“
Valentinus blickte an ihr vorbei ins Wohnzimmer und ein seliger Gesichtsausdruck schlug sich bei ihm nieder, als er Fellini am Boden kauern sah, der gerade mit den Schnürsenkeln von Hermines Muggelschuhen spielte.
Versprechen dieser Art hatte sie noch nie zurückgenommen, auch wenn sie gerade jetzt bereute, ihm dieses Angebot unterbreitet zu haben. Eigentlich hatte sie das nur getan, um Severus vor Augen zu halten, dass man sich gegenseitig unterstützen sollte, sofern man dazu in der Lage war.
„Ich werde gleich heute noch anfangen, Valentinus“, versicherte sie ihm.
„Darf ich kurz hineinkommen?“
Über seine Frage etwas irritiert stimmte sie unüberlegt zu und öffnete die Tür noch etwas weiter, woraufhin er elegant ins Wohnzimmer stolzierte. Die Mappe legte er auf den Tisch.
„Ihr Kniesel ist ganz prächtig gewachsen.“ Sich niederkniend nahm er mit einer Hand den Halbkniesel hoch und drückte ihn an seine Brust, während seine andere Hand das Fell kraulte. „Bei dem langen Fell wird man eines Tages die weißen Pfötchen gar nicht mehr sehen können“, behauptete Valentinus und betrachtete dabei das wenige Weiß.
Nur auf das Äußere zu achten widerstrebte Hermine, so dass sie sagte: „Die Farbe oder Musterung eines Tieres ist mir nicht wichtig. Krummbein sah, wenn ich meinen damaligen Freund mal zitieren darf, ’aus wie ein aufgeplatztes Sofakissen’. Er hätte nie einen Wettbewerb gewinnen können.“
„Oh, besuchen Sie ab und an etwa auch eine Kniesel-Show?“
Ganz offensichtlich hatte Valentinus überhaupt nicht begriffen, was sie damit ausgesagt hatte. Natürlich würde sie keine Kniesel-Shows besuchen, weil die Schönheit ihres Erachtens unwichtig war. Nun verstand sie aber auch, warum Severus ihn so gern auf den Arm nahm. Valentinus war so oberflächlich und unaufmerksam, dass er ein gefundenes Fressen für Menschen darstellte, die an ihm ihre Wortgewandtheit ausprobieren wollten. Es könnte durchaus Spaß machen, dachte sich Hermine, eine versteckte Anmerkung zu machen, um zu sehen, ob Valentinus sie auch so verstehen würde wie sie gemeint war.
Sie verkniff es sich, zweideutig zu werden oder ihn zu veralbern.
„Ich mag Kniesel-Shows nicht. Ich finde, solche Wettbewerbe haben viel zu wenig Substanz“, antwortete sie anstelle einer sarkastischen Gemeinheit.
„Schade, ich mag solche Shows. Es gibt da einige Prachtexemplare auf der Welt. Mit meinen Tierchen habe ich auch ab und an einen Preis gewonnen, aber darüber werden Sie ja noch lesen, wenn Sie mein Buch erst einmal begonnen haben.“
Nur einen kurzen Moment fragte sich Hermine, ob Valentinus sich alte Zeitschriften der Hexenwoche zum Vorbild nahm, um das breite Lächeln zu üben, so dass man immer wieder an Lockhart denken musste.
Unaufgefordert setzte sich ihr Gast auf die Couch. Die Gelegenheit nutzte Fellini, von seinem Schoß zu springen und sich vor den aufdringlichen Händen in Sicherheit zu bringen.
„Nehmen Sie doch Platz“, sagte er freundlich, während er mit der flachen Hand über das Polster neben sich strich. Nur widerwillig kam sie seiner Bitte nach, setzte sich jedoch nicht direkt neben ihn. „Wegen des Buches…“, er griff nach dem Manuskript und rutschte gleich darauf näher an Hermine heran. „Ich würde mich natürlich gern zu einer kleinen Widmung hinreißen lassen, wo Sie mir doch so willig Ihre Hilfe angeboten haben“, schmeichelte er.
Aus seinem Munde mochte Hermine das Wort „willig“ überhaupt nicht. Entweder war es Absicht gewesen oder Valentinus hatte nur nicht auf seinen Tonfall geachtet, denn der schien sehr anzüglich.
„Das ist nicht notwendig, Valentinus. Ich mache das auch so. Mit wie vielen Seiten habe ich zu rechnen?“
„Es sind etwas über 170“, erwiderte er, woraufhin sie erleichtert ausatmete, was er nicht zu bemerken schien. Zum Glück, dachte Hermine, war sein Werk nicht sehr umfangreich.
Er drückte ihr das Manuskript in Hand und diesmal war Hermine sich sicher, dass es Absicht gewesen sein musste, als seine Finger die ihren berührten, denn er hatte diese Gelegenheit genutzt, sie auf unerwünscht zärtliche Weise zu streicheln.
Seine Frechheit ignorierte sie in der Hoffnung, dass ihr Desinteresse damit deutlich zum Ausdruck gebracht werden würde, doch Valentinus schien zu glauben, sie wäre so beschränkt wie er selbst und hätte seine Annäherung nur nicht verstanden. Es war erst ein Arm, der sich genau hinter ihr auf der Rückenlehne niederließ, bevor seine Finger die Dreistigkeit besaßen, mit ihrem Haar zu spielen.
„Ich denke, Sie sollten jetzt gehen.“ Sie beugte sich nach vorn, um sein Manuskript auf dem Tisch abzulegen, aber auch, um seinen Fingern zu entfliehen. Sie lehnte sich nicht wieder an und blickte ihm auch nicht in die Augen, als sie sagte: „Ich melde mich bei Ihnen, wenn ich mit dem Buch…“
„Hermine…“ Sie erschrak, als er seinen Arm um ihre Schultern legte und gerade wollte sie aufstehen, da spürte sie eine Hand an ihrer Wange, die Druck ausübte und ihren Kopf drehte. Wenige Sekunden später waren fremde Lippen auf den ihren.
Nach einer Schocksekunde stieß sie ihn in Windeseile von sich, stand auf und zog ihren Zauberstab, den sie mit steif ausgestrecktem Arm auf ihn richtete. Mit vor Wut funkelnden Augen zischte sie böse: „Gehen Sie!“ Wegen seiner Unverfrorenheit hatte er sich nicht nur um ihre Gesellschaft gebracht, sondern noch um etwas anderes. „Und nehmen Sie Ihr blödes Buch mit!“
„Aber…“
„RAUS!“
„Hermine, wir sind doch erwachsene Menschen und können sicherlich darüber reden, nicht wahr?“, säuselte er zuversichtlich und er schien nicht zu bemerken, dass er damit ihren Zorn nur noch schürte.
Mit bebender Stimme drohte sie leise und langsam sprechend: „Sie gehen auf der Stelle und wagen es nicht noch einmal, meine Aufforderung zu überhören!“
„Gut“, sagte er kindlich eingeschnappt, bevor er sich erhob und seine Mappe nahm. „Ich dachte nur…“ Er ging bereits zur Tür, um zu zeigen, dass er ihrer Aufforderung zum Gehen durchaus nachkam, doch er konnte es nicht lassen, ihr vor Augen zu halten: „Ich bin einsam, Sie sind einsam – ich dachte, wir beide könnten…“
„Ich bin nicht so verzweifelt, dass ich mich ausgerechnet mit IHNEN einlassen müsste und jetzt verschwinden Sie, bevor Madam Pomfrey bei dem Versuch, dem Eiterbeulen-Fluch Herr zu werden, an Ihre Grenzen stößt.“
Mit der Hand schon an der Türklinke verweilend blieb Valentinus stehen und schaute verdutzt drein, bevor er fragte: „Was für ein Eiterbeulen-Fluch?“
Keine zehn Minuten später wurde Poppy dabei gestört, ihre Liste mit noch benötigten Tränken zu vollenden, denn Professor Svelte stürzte lärmend herein.
„Herrje, was ist denn mit Ihnen passiert?“, fragte sie, während sie ihr Gesicht verzog, weil gerade eine der großen Beulen in seinem hübschen Gesicht aufplatzte und gelber Eiter an seiner Wange hinunterlief.
Er antwortete nicht auf Poppys Fragen, wie das geschehen sei oder wer es gewesen war. Man würde weitere Fragen stellen, wusste Valentinus, denn Hermine war eine beliebte Kollegin, die für ihren besonnenen Charakter bekannt war. Jeder würde den Grund erfahren wollen, warum gerade sie in Rage geraten war und zu so einem Fluch gegriffen hatte. Daher hielt er den Mund und hoffte einfach nur auf eine schnelle Genesung.
Ihre Besonnenheit hatte Hermine zwischenzeitlich wiedererlangt, auch wenn noch immer ihre Hände zitterten und sie sich ausmalte, mit welcher Strafe sie wohl zu rechnen hätte, weil sie einen Lehrer verhext hatte, wenn er auch nicht ihr Lehrer war. Der befürchtete Besuch von Albus blieb jedoch aus. Nicht einmal Harry oder Severus suchte sie auf, was sie glauben ließ, dass bis auf Poppy niemand anderes von Sveltes Schicksal erfahren hattet.
Am frühen Nachmittag erschienen bereits die Posteulen des Ministeriums, die nicht verschwinden würden, ohne die geforderten Akten entgegengenommen zu haben. Das wäre erledigt.
Am Tag darauf erwachte Hermine mit dem Gedanken, dass heute Severus’ Geburtstag war, was sie beschwingt aufstehen ließ. An den gestrigen Vorfall mit Valentinus hatte sie gar nicht erst denken wollen.
Die wenigen Kollegen am Frühstückstisch gratulierten Severus nicht, was daran liegen mochte, dass jeder wusste, wie grantig er reagieren könnte, doch Hermine hatte vor dem Frühstück gesehen, wie Poppy den Tränkemeister abgefangen hatte, um ihm sehr wahrscheinlich persönlich unter vier Augen ihre Glückwünsche auszusprechen. Vielleicht benötigte sie aber auch nur professionelle Hilfe wegen des von Ginny entwickelten Eiterbeulen-Fluchs. Alle anderen nahmen Rücksicht darauf, Severus nicht mit öffentlich bekundeten Gratulationen in eine unangenehme Lage zu bringen, denn er mochte es nicht, im Mittelpunkt zu stehen. Während des Frühstücks kam Hermine der Gedanke, dass Severus vielleicht glauben würde, sein Geburtstag könnte ihn zu menschlich machen und weil sie mit ihren Gedanken bei seinem Geburtstag war und sich vorstellte, wie sie ihm nachher die Geschenke überreichte, bemerkte sie gar nicht, wie Albus ihr einen nachdenklichen Blick zuwarf.
Das Graphorn-Pulver, das Fläschchen Acromantulagift, Mörser und Stößel und auch der patentierte Tagtraumzauber der Zwillinge war bereits als Geschenk verpackt. Kurzfristig hatte Hermine noch eine andere Idee gehabt, die leicht zu verwirklichen war und auch nur einen symbolischen Wert hatte. Diese beiden Gegenstände verpackte sie nicht.
Sie überlegte einen Moment, ob sie eine Flasche Whisky aus ihrem Schrank mitnehmen sollte, entschied sich jedoch dagegen, denn in Severus’ Augen wäre es bestimmt kein guter Tropfen. Als sie alles beisammen hatte, machte sie sich abends auf den Weg in die Kerker.
An seinen privaten Gemächern angekommen ließ sie sich von Salazar öffnen. Severus stand gerade an der Tür neben dem Bücherregal, als er sie erblickte.
„Sie sind es! Ich hatte bef…“
Dieses Wort sollte seinen Mund nicht verlassen, so dass sie ihn flink unterbrach: „Sie hatten gehofft, dass ich kommen würde!“ Sie grinste keck, woraufhin er einmal tief durchatmete.
„Ja, ganz genau“, sagte er stöhnend. „Treten Sie doch ein und nehmen Sie Platz. Fühlen Sie sich ganz wie in den eigenen vier Wänden.“ Er erlaubte sich ein halbseitiges, fieses Grinsen. „Also wie immer.“ Ihre Tasche beäugend fragte er spöttisch: „Was tragen Sie mit sich herum? Ihren Hausrat?“
„Nein, das sind Geschenke. Ich weiß nämlich zufällig, das heute für Sie ein besonderer Tag ist.“
„Der heutige Tag“, widersprach er, „ist wie jeder andere auch.“
„Oh, das sehe ich aber anders“, winkte sie ab. „Kommen Sie, Severus, setzen Sie sich!“
Er kam ihrer Aufforderung noch nicht nach. „Sagen Sie mir bitte, dass Sie keinen Whisky mitgebracht haben.“ Er versuchte einen Blick in ihre Tasche zu erhaschen.
„Nein, hab ich nicht. Die Wahl der Getränke für heute Abend überlasse ich ganz Ihnen.“
„Dann einen Elfenwein?“
Ihre Antwort wartete er gar nicht ab, denn er schenkte bereits zwei Gläser ein, wovon er ihr eines reichte, bevor er sich in einem geziemenden Abstand neben sie setzte.
Er hob bereits sein Weinglas, da stoppte sie ihn mit einer Geste ihrer Hand, hob das eigene Glas und sagte: „Auf Ihr Wohl, Severus. Alles Gute zum…“
Sein Glas an das ihre führend unterbrach ein laut klingendes Geräusch ihre Glückwünsche, bevor er sich einen Schluck genehmigte.
„Ich war doch noch gar nicht fertig“, schmollte sie.
„Es sind sowieso immer die gleichen Worten, die man Jahr für Jahr aufs Neue hören muss, finden Sie nicht?“
Sie spitzte die Lippen, bevor sie log und schäkerte: „Nein, ich hatte mir ein paar sehr originelle Worte zurechtgelegt, in deren Genuss Sie nun leider nicht mehr kommen werden, denn angestoßen haben wir ja bereits.“
Auch sie nahm einen Schluck des süßlichen Weines, bevor sie das Glas auf den Tisch stellte und tief Luft holte. Kaum hatte sie vorhin in seine Räume betreten, war sie von der anheimelnden Atmosphäre ganz angetan, während sie sich gestern nicht einmal in ihrem eigenen Zimmer hatte wohl fühlen können. Severus war still, nippte dann und wann an seinem Wein. Als er ungezwungen seine Beine unter dem Tisch ausstreckte, da bemerkte sie, dass er keine Schuhe trug, nur Socken, was ihr ein Lächeln entlockte.
Seine Stimme, auch wenn sie leise war, erschrak sie ein wenig, als er amüsiert sagte: „Poppy hat heute vor dem Frühstück das Gespräch mit mir gesucht. Es scheint“, er blickte mit Schadenfreude in den Augen zu Hermine hinüber, „dass Professor Svelte gestern wohl den Zorn von jemandem auf sich gezogen haben muss.“
Hermine sagte kein Wort, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass Valentinus den Mut gefunden haben sollte, Poppy die Wahrheit zu sagen und noch viel weniger war es vorstellbar, dass Poppy solche vertraulichen Informationen ausposaunen würde.
„Sie hat mich gefragt, ob ich womöglich den Gegenfluch kenne. Ich wurde das Gefühl nicht los, sie hielte mich für den Übeltäter.“ Er schien amüsiert darüber, dass man ihm so eine Tat zutraute, weil jeder zu wissen schien, was er von diesem Kollegen hielt. „Mein Glück, dass ich für den ’Tatzeitpunkt’ ein Alibi in Form von Lupin habe, auf den ich nach dem Spazierengehen mit dem Hund getroffen war und der sich erdreistete, mir ein langes Gespräch über mein Haustier aufzuhalsen.“
Es schwang so viel Wonne in seiner Stimme mit, dass seine herablassenden Worte über Remus an Ernst verloren hatten.
„Und…“ Hermine räusperte sich. „Was ist mit Professor Svelte geschehen?“
„Poppy hat mich darum gebeten, Stillschweigen zu bewahren.“ Verständnisvoll schaute Hermine zu Boden, doch dann fuhr er plötzlich fort: „Also müssen Sie gut zuhören, denn ich werde es nur einmal sagen!“ Gegen das tückische Grinsen auf ihrem Gesicht konnte sie nichts unternehmen und sie lauschte ihm. „Professor Svelte ist am ganzen Körper mit Eiterbeulen übersät!“ Er verzog angewidert das Gesicht, weswegen sie auflachte. „Ich bin mir sicher“, er zog eine Augenbraue in die Höhe, „dass er Miss Weasley auf dem falschen Fuß erwischt haben muss, denn von Harry weiß ich, dass sie ein außergewöhnliches Talent für das Entwickeln von derben Flüchen dieser Art haben soll.“
Nichts konnte Hermine mehr halten und sie lachte einfach drauf los, was er belustigt beobachtete.
Nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, sagte er plötzlich sehr ernst: „So sehr ich Miss Weasleys Drang, Svelte verhexen zu wollen, auch nachvollziehen kann …“ Er schüttelte mitleidig den Kopf. „Sie muss mit einem Verweis rechnen.“
Schlagartig war Hermine nicht mehr nach lachen zumute. “Aber wenn sie es nicht gewesen sein sollte?“
„Hermine, es liegt doch auf der Hand! Miss Weasley ist die Einzige, die für solche Flüche bekannt ist.“
„Aber…“ Ihre Stimme versagte. Das Wort „Zwickmühle“ wiederholte sich ständig in ihrem Kopf. „Weiß denn Albus davon?“
Verneinend sagte Severus: „Poppy verriet mir, dass Svelte peinlich berührt gewesen sein soll. Es ist gut möglich, denn so habe ich ihn von Anfang an eingeschätzt, dass er Miss Weasley gegenüber anzüglich geworden sein könnte, womit er sich selbst in eine missliche Lage bringen würde, sollte er Genaueres schildern.“ Erleichtert atmete Hermine aus, obwohl sie nicht einmal bemerkt hatte, dass sie die Luft angehalten hatte. „Trotzdem wird Poppy es melden müssen. Solche ’Späßchen’ haben an einer Schule nichts verloren.“
„Aber wenn sie es doch gar nicht war!“, sagte Hermine viel zu verteidigend, weswegen er hellhörig wurde.
„Haben Sie vielleicht etwas zu dem Vorfall zu sagen?“, wollte er wissen. In seinem Gesicht schlug sich plötzlich Ernüchterung nieder, dann erneut Schadenfreude. „Hermine? Sie haben doch nicht etwa…“
„Er hat es verdient!“ Das sollte genügen, dachte sie zumindest.
„Ah, Streit unter Liebenden“, stichelte er, woraufhin sie ihn erbost anblickte und sich in entsprechendem Tonfall dazu äußerte.
„Ich empfinde in dieser Richtung gar nichts für diesen…“ Sie zensierte sich selbst. „Und wenn er so empfinden sollte, dann hat er wirklich eine ganz eigenwillige Art sich auszudrücken.“
„Was hat er getan?“, fragte er neugierig.
Bockig entgegnete sie: „Warum wollen Sie das wissen?“
„Vielleicht damit ich weiß, wo ich Grenzen im Umgang mit Ihnen ziehen sollte, um nicht einmal in die gleiche Lage zu kommen wie er?“
Sie durchdachte den gestrigen Tag und ersetzte in Gedanken Svelte durch Severus, was ihr vor Augen hielt, dass ihr Professor so etwas nie tun würde.
„Es ist doch egal, was er getan hat“, murmelte sie, um die Sache einfach nur zu vergessen. Bei Severus hingegen läuteten aufgrund dieser Aussage die Alarmglocken.
„Hat er Sie etwa unsittlich berührt?“, fragte er aufgebracht.
„Ähm…“ Sie war wegen seiner Sorge sprachlos und auch gerührt.
„Hat er?“, fragte er fordernd nach.
„Na ja, er hat mich gegen meinen Willen…“
„Das genügt mir schon“, sagte er, bevor er von der Couch sprang und mit einem Male fühlte sie sich unwohl in ihrer Haut.
„Wo wollen Sie denn hin, Severus?“
„Zum Direktor. Ich werde dafür sorgen, dass dieser unfähige…“, er suchte verzweifelt nach einem abwertenden Synonym für „Lehrer“, doch „Pauker“ war noch viel zu harmlos. „Ich werde dafür sorgen, dass er noch heute von der Schule geworfen wird!“
„Warten Sie!“
„Worauf? Es ist schlimm genug, dass Menschen wie er glauben, man würde ihnen alles durchgehen lassen, nur weil sie mit einem gepflegten Äußeren auftreten und mit fragwürdigen Schmeicheleien um sich werfen, aber es geht definitiv zu weit, sich auf ungehörige Art und Weise einer Frau zu nähern, der ich mich vertraglich dazu verpflichtet habe, mich um ihr Wohl zu kümmern.“
Diesen Satz wiederholte Hermine in Gedanken noch einmal, doch derweil entging ihr ganz, dass Severus bereits zur Tür hinaus war. Wie von der Tarantel gestochen eilte sie ihm nach; der Hund folgte ihr unbemerkt.
„Severus, warten Sie!“
Nach einem kurzen Sprint hatte sie ihn eingeholt und versuchte nun, sich vor ihm aufzutürmen, damit er nicht passieren konnte, doch er war viel größer als sie; David gegen Goliath.
„Gehen Sie aus dem Weg, Hermine.“
„Nein, Sie gehen jetzt nicht zu Albus!“, sagte sie in einem Befehlston, den er von ihr bis dato noch nie gehört hatte.
„Sie verstehen nicht“, sagte er ruhig. „Mir tut sich hier die Möglichkeit auf, einen unbeliebten, vor allem aber unfähigen Kollegen loszuwerden und ich werde diese Möglichkeit ergreifen!“
„Hat es denn nicht gereicht“, warf sie nicht sehr ernst ein, „damals schon dafür gesorgt zu haben, dass Remus hinausgeworfen wurde.“
Kopfschüttelnd stellte er klar: „Lupin hat von sich aus gekündigt, noch bevor die ersten Beschwerdebriefe von Eltern eintreffen konnten. Das war“, er hob eine Augenbraue und klang so unschuldig wie nur möglich, „unbefriedigend.“
„Und es würde Sie tatsächlich zufrieden stellen, wenn Svelte nach diesem kleinen Skandal gefeuert wird?“ Sein fieses Grinsen war Antwort genug. „Daraus ziehen Sie Ihre Befriedigung?“, fragte sie neckend.
„Unter anderem, ja.“
„Severus…“ Sie klang wieder nörgelnd, weswegen sein linkes Augenlid nervös zuckte.
Gelassen versuchte er ihr verständlich zu machen: „Sie haben mir mit Ihrer Schilderung von Sveltes nicht akzeptablem Benehmen ein wirklich wunderschönes Geburtstagsgeschenk gemacht, Hermine.“
„Ihre Geschenke sind da drin“, sie deutete zu seiner Tür, „und warten nur noch darauf, ausgepackt zu werden.“
„Die will ich nicht!“
Enttäuscht presste sie die Lippen zusammen.
„Nun“, bei seiner Stimme horchte sie sofort auf, „vielleicht könnte ich mich tatsächlich morgen darum kümmern.“ Er hob und senkte resignierend die Schultern, bevor er erklärte: „Albus würde mich am heutigen Tag bestimmt in seinem Büro festhalten und mich mit seinen neusten Entdeckungen aus dem Honigtopf bekannt machen wollen; das Risiko möchte ich nicht eingehen.“
Sie strahlte über das ganze Gesicht, bevor sie eine Hand auf seinen Oberarm legte und ihn dazu aufforderte, ihr in seine Räume zu folgen.
Drinnen, nachdem sie sich erneut gesetzt hatten, wühlte Hermine in ihrer Tasche, während Severus desinteressiert tat, doch er war wie schon zu Weihnachten sehr gespannt darauf, was er wohl von ihr erhalten würde. Sie überreichte ihm eine viereckige Box, die er mit ausdrucksloser Miene entgegennahm und beäugte.
„Sie müssen es schon aufmachen“, neckte sie ihn.
Des Papiers hatte er sich schnell entledigt, so dass er irritiert auf die Schachtel blicken konnte, auf der das Logo „Weasleys Zauberhafte Zauberscherze“ zu lesen war, gleich darunter stand „Tagtraumzauber“ und in Klammern dahinter „Überraschungs-Traum“.
„Ich glaube, Hermine“, er blickte sie entgeistert an, „dass Sie noch nie in Ihrem Leben bei der Auswahl eines Geschenkes so fehl entschieden haben!“
Sie schenkte ihm ein überlegenes Lächeln und sagte sehr selbstbewusst: „Und weil ich genau gewusst habe, dass Ihnen das nicht gefallen wird“, er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, „habe ich natürlich noch etwas anderes besorgt.“
Sie nahm ihm den Tagtraumzauber aus der Hand und stellte ihn auf den Tisch, bevor sie etwas anderes aus ihrer Tasche zog. Mörser und Stößel waren so eingepackt, dass die Konturen der Geschenke trotz des Papiers eindeutig den Inhalt verrieten.
„Eine sehr originelle Verpackung“, flunkerte er.
„Machen Sie sich nur über mich lustig. Haben Sie schon mal etwas Rundes eingewickelt? Ich kannte nur einen Zauberspruch, der das Papier um den Gegenstand legt.“ Sie stutzte. „Vielleicht hätte ich es lieber in eine Kiste packen sollen und dann erst…“, sagte sie zu sich selbst, so dass er schmunzeln musste.
„Sie hätten es auch gar nicht als Geschenk einpacken brauchen. Das ist für Kinder sicherlich sehr nett, um die Spannung noch einen Moment länger hinauszuzögern.“ Er zog seinen Zauberstab und entfernte zu Hermines Enttäuschung das Papier per Zauber.
„Achat?“, fragte er erstaunt, als er das hellblaue Set betrachtete.
„Ja“, stimmte sie lediglich zu.
„Sehr edel“, murmelte er und er schien wirklich angetan zu sein. „Ich mag blau!“
Absichtlich riss Hermine ihre Augen ganz weit auf, weswegen er unsicher wirkte, aber gespannt darauf wartete, was sie im Schilde führte.
„Sie mögen die Farbe Blau?“ Sie klang so entsetzt als hätte er eben behauptet, Voldemort wäre Harrys Vater gewesen.
„Ja.“ Er zuckte gelassen mit den Schultern. „Was ist daran so ungewöhnlich?“ Demonstrativ ließ sie ihren Blick über seine schwarze Kleidung schweifen, als sie ihn plötzlich vergnügt schnaufen hörte. „Mit der Wahl der Farbe meiner Kleidung drücke ich nicht meine Vorlieben aus.“
„Nein? Warum tragen Sie dann schwarz?“ Er holte bereits Luft, doch er kam nicht dazu zu antworten, denn sie fügte noch hinzu: „Weil schwarz schlank macht? Haben Sie ja auch so dringend nötig…“ Sie grinste frech.
„Was ist Ihre Lieblingsfarbe?“, wollte er wissen.
„Bunt“, gab sie als nicht ernst zu nehmende Antwort.
„Das ist keine Farbe.“
„Ich habe viele Farben, die ich mag. Gelb zum Beispiel.“
Er rief sich einige Situationen ins Gedächtnis, bevor er – sich seiner Sache sicher – behaupten konnte: „Ich habe Sie noch nie diese Farbe tragen sehen.“
Ein mildes Lächeln schlug sich in ihrem Gesicht nieder, bevor sie beteuerte: „Glauben Sie mir, ich haben schon was Gelbes getragen, als wir zusammen gearbeitet haben.“
Wieder versuchte er sich an so einen Moment zu erinnern, aber er war sich sicher, dass sie keine gelben Kleidungsstücke besaß, jedenfalls keine, die man sehen konnte.
„Ah“, machte er, als er endlich begriffen hatte, bevor er den Mörser in die Hand nahm und ihn sich verlegen betrachtete.
„Ich habe noch ein Geschenk für Sie!“
„Sie brauchen wirklich nicht…“
Sie drückte ihm bereits ein weiteres Päckchen in die Hand, das er nehmen musste, damit es nicht hinunterfallen würde, denn sie ließ bereits wieder los.
„Machen Sie schon auf“, drängelte sie, denn sie wollte wirklich wissen, was er zu dem Gläschen mit dem Graphorn-Pulver sagen würde.
„Ich habe das Gefühl“, er blickte sie an, „dass Sie mehr Freude daran haben als ich.“
„Macht es Ihnen denn gar keinen Spaß?“, fragte sie enttäuscht.
„Ihr Verhalten ist in gewisser Weise unterhaltsam“, gab er zum Besten, womit sich Hermine zufrieden gab.
Nachdem er auch dieses Geschenk ausgepackt hatte und in den Händen hielt, da sagte er ein wenig vorwurfsvoll: „Geben Sie nicht so viele Galleonen aus, Hermine!“
Auf freundliche Art gab sie ihm zu verstehen: „In solche Angelegenheiten lasse ich mir nicht reinreden.“ Den Kopf schräg legend wollte sie wissen: „Können Sie es denn gebrauchen?“
„Was ist das für eine Frage? Natürlich!“
„Gut, ich habe nämlich noch ein Geschenk für…“
„Langsam ist’s genug, meinen Sie nicht?“
„Lassen Sie mir doch meinen Spaß und packen Sie schon aus“, drängelte sie, als sie ihm die andere, in dezentes Papier gewickelte Zutat reichte.
„Nur wenn Sie uns noch etwas Wein einschenken“, bat er, während er bereits das Päckchen öffnete, welches das Fläschchen mit dem Acromantulagift beinhaltete.
Von dem Acromantulagift war er hingerissen, was er nicht verbal zum Ausdruck bringen musste. Seine Mimik sprach für sich.
„Gefällt Ihnen auch, wie ich sehe“, sagte sie zufrieden klingend.
Sich räuspernd erklärte er daraufhin schmunzelnd: „Ist Ihnen die Bedeutung von Acromantulagift als Geschenk bewusst?“ Ihre Stirn schlug Falten und sie schüttelte den Kopf. „Nun, alten Überlieferungen zufolge bedeutet das Verschenken von Acromantulagift, dass man dem Beschenkten“, er blickte sie kühl an, „den Tod wünscht.“
So schnell konnte er gar nicht schauen, wie sie ihm das Fläschchen entrissen hatte und nun hinter ihrem Rücken versteckt hielt.
Er blinzelte ein paar Mal. „Was sollte das?“
„Ich wünsche Ihnen doch nicht den Tod. Das Gift bekommen Sie nicht…“
„Hermine…“
Er hatte sie unterbrechen wollen, doch sie redete einfach weiter: „Hätte ich das gewusst, dann hätte ich niemals…“
„Hermine!“ Jetzt blickte sie auf, die Hände noch immer hinter ihrem Rücken haltend, um das Acromantulagift zu verbergen. Langsam sprechend erklärte er: „Das mit den Bedeutungen verschiedener Zutaten ist genauso ein Unfug wie die ’Blumensprache’ in der Muggelwelt.“
„Blumensprache?“, wiederholte sie verdutzt.
„Das kennen Sie doch sicherlich. Die Akelei, die man einem Schwächling schenkt oder die Klette für zu anhängliche Personen. Eine rote Rose für…“ Innehaltend wandte er erst seinen Blick ab, bevor er nach seinem Weinglas griff und es in zwei Zügen leerte.
„Ach“, sagte Hermine abwinkend, „so ein Aberglaube aber auch.“
„Diese ’Sprache’ hat in der magischen Welt zu vielen Missverständnissen geführt und wird deswegen seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr angewandt, daher…“
Er hielt ihr seine Hand fordernd auf und erwartete sein Geschenk zurück, welches sie ihm nur zögerlich gab und auch nur, indem sie ein weiteres Mal versicherte, dass sie ihre Absichten nicht denen der alten Bedeutung entsprachen.
„Ich hoffe“, begann er, „dass die Schenkungen nun ein Ende gefunden haben. Sie bringen mich langsam in eine unangenehme Situation.“
„Wieso unangenehm?“, fragte sie unschuldig.
„Denken Sie denn, ich wüsste nicht, welche Preise diese Dinge auf dem Markt erzielen?“
Sofort konterte sie, um den Kaufpreis für die Geschenke zu rechtfertigen: „Sie haben mir einen ’Norwegischen Waldkatzen-Knieselmischling’ geschenkt, Severus!“
„Mrs. Figg ist mir mit einem Freundschaftspreis entgegengekommen.“
Einmal tief durchatmend hielt sie ihm vor Augen: „Und Sie glauben, ich würde die ’Freundschaftspreise’ von Arabella nicht kennen?“
„Dann“, er schürzte kurz die Lippen, „sind wir jetzt wohl quitt.“
„Oh, da fällt mir ein, ich habe noch ein Geschenk!“
„Das kann nicht wahr sein“, murmelte er, während er dabei zusah, wie Hermine zwei Gegenstände aus ihrer Tasche zog, die nicht verpackt waren.
Sie hielt ihm zu seinem Erstaunen eine Packung mit einem Schokofrosch und ein Hühnerei entgegen; lächelte dabei bis über beide Ohren.
Die zwei Gegenstände annehmend und betrachtend fragte er einen Moment später ratlos: „Und was soll das darstellen?“
„Es ist ein symbolisches Geschenk, Severus“, gab sie als Hinweis.
Erst jetzt fiel der Knut bei ihm, weswegen er schmunzelnd fragte: „Was soll daraus werden? Ein Basilisk aus massiver Vollmilchschokolade?“
Sie nickte und flunkerte: „Ja, und wenn der einen ansieht, dann zerbröselt man zu Kakaopulver!“
Er fand das symbolische Geschenk amüsant, vor allem aber fand er Gefallen daran, dass sie seine Begeisterung über den toten Basilisken in der Kammer des Schreckens nicht vergessen zu haben schien. Sie war, was ihn betraf, sowieso sehr aufmerksam. Gerade eben schenkte sie ihm, wie er beobachten konnte, noch etwas Wein ein; nicht sich selbst, denn ihr Glas war noch voll.
„Was hat Ihnen von allem am besten gefallen?“, wollte sie neugierig wissen.
Wie aus der Pistole geschossen antwortete er: „Dass ich morgen zu Albus gehen darf und Svelte hinausgeworfen werden wird!“
Sie zog ihren berühmten Schmollmund, von dem Ron einmal gesagt hatte, dass er zum Küssen animieren würde, bevor sie beleidigt tat und sagte: „Das war jetzt nicht nett, Severus.“
„Dann freuen Sie sich selbst nicht darauf?“
„Auf was? Dass Svelte uns eventuell bald verlassen wird, weil es einen schwarz gekleideten Lehrer in diesem Schloss gibt, der gern gegen seine Kollegen intrigiert?“
„Ah, Sie nehmen ihn jetzt auch noch in Schutz. Möglicherweise lag ich mir meiner ersten Vermutung vorhin doch nicht so falsch?“, stichelte er.
Sie knurrte, so dass der dösende Hund kurz seinen Kopf hob, bevor sie mit Severus nicht ernst schimpfte: „Dass Sie mir so etwas unterstellen ist unerhört!“
Er lachte unerwartet auf und griff zu seinem Glas, doch noch trank er nicht, sondern schilderte: „Meine Schüler hatten mir davon berichtet, dass Svelte ihnen einen Stock als einen Bowtruckle vorgeführt hätte.“
„Wirklich? Professor Raue-Pritsche hat damals nicht so einen Unsinn verzapft“, warf Hermine ein. „Sie hatte Hagrid vertreten und ich fand ihren Unterricht ehrlich gesagt ganz wunderbar.“ In Erinnerungen schwelgend ließ sie Severus wissen: „Sie hatte uns auch zutrauliche Einhornfohlen gezeigt.“
Wegen der Erinnerung an den Unterricht von Professor Raue-Pritsche musste Hermine plötzlich auch an den Tag denken, an dem sie mit der Dunklen Magie in Berührung gekommen war. Ein Fohlen hatte sich ihr genähert hatte und alle beschmutzenden Empfindungen waren mit einer Berührung des goldenen Fells wie hinweggefegt.
„Und?“, läutete sie eine weitere Unterhaltung ein. „Wer hat Ihnen alles gratuliert oder etwas geschenkt?“
„Niemand“, antwortete er grummelnd.
„Nein, das glaube ich nicht! Nicht mal Albus?“
„Gut, Albus hat ein paar Worte verloren und mir die Flasche Elfenwein überreicht“, stellte er klar.
„Die, die wir gerade trinken?“, wollte sie wissen und er nickte. „Noch andere aus dem Kollegenkreis?“
Erneut nickte Severus. „Poppy händigte mir eine uralte Fibel über Zaubertränke aus; eher ein Sammlerobjekt als etwas Nützliches.“
Unerwartet stand er auf, um besagte Objekt zu holen, damit sie es sich ansehen konnte.
Die alte Fibel betrachtend sagte Hermine begeistert: „Das ist ja alles mit der Hand verfasst, selbst die Zeichnungen.“
„Poppy sagte, es wäre eines der ersten Schulbücher, die in Hogwarts für Zaubertränke benutzt worden waren. Nur eines der Bücher und zwar jenes, welches Sie gerade in den Händen halten, wurde persönlich verfasst, bevor der Inhalt per Zauber auf andere Bücher kopiert wurde.“
„Das ist ein Stückchen Geschichte“, sagte sie begeistert vor sich her, während ihre Finger die alten Seiten berührten. „Ein wirklich originelles Geschenk“, gab sie zu. Nachdem sie ihm die Fibel zurückgegeben hatte, nahm sie ihr Weinglas, fragte jedoch vor einem Schluck noch: „Und die anderen? Ich denke nicht, dass Harry oder Draco Ihren Geburtstag vergessen haben.“
„Sie behalten Recht, denn unerwartet kam kurz vor Ihrem unangekündigten Besuch eine Eule mit einem kleinen Päckchen von den Malfoys.“
Aus einem Schränkchen holte er eine Kiste, ähnlich groß wie die Kiste mit dem Tagtraumzauber, die er auf den Tisch stellte, bevor auch er wieder Platz nahm. Mit Hilfe seines Zauberstabes öffnete er die Verpackung und ließ einen glitzernden Gegenstand hinausschweben. Gerade streckte Hermine ihre Hand nach dem Objekt aus, da schlug er ihr auf die Finger; nicht sehr kräftig, aber trotzdem maßregelnd. Mit der anderen Hand umfasste sie schützend ihre Finger, bevor sie ihn entgeistert anschaute.
„Na hören Sie mal“, ermahnte sie ihn erstaunt.
„Um sich etwas anzusehen“, begann er mit lehrerhafter Stimme, „bedarf es keiner Hände! Auf dem Apfel befindet sich keine Brailleschrift, also müssen Sie auch nicht hinlangen.“
„Sie hätten es auch sagen können.“ Demonstrativ rieb sie ihre Finger, die sich längst erholt hatten.
„Das hätte auch zu spät sein können. Wissen Sie, was geschehen würde, sollte jemand dieses antike Stück berühren?“ Weil sie den Kopf schüttelte, erklärte er: „Ein schwarzmagischer Fluch liegt auf diesem Objekt, der jeden, der mit ihm in Kontakt gekommen ist, verwirrt und aufwühlt. Panik würde sich in einem Menschen ausbreiten und Argwohn seinen Mitmenschen gegenüber. In allem und jedem würde man bösartige Machenschaften gegen die eigene Person vermuten und man würde gegen diese vermeintlichen Intrigen anzukämpfen versuchen.“ Er blickte sie mit lebendigen Augen an.
„Und so was finden Sie toll?“
„Mich interessiert der Fluch“, verteidigte er sich. „Ich will herausfinden, ob es sich um einen eigenständigen handelt oder ob er eine Kombination aus bekannten Flüchen darstellt. Es wäre interessant zu erfahren, ob man den Fluch nur über ein Objekt legen oder auch direkt an Personen anwenden kann und natürlich auch, ob und wie man ihn brechen könnte.“
„Passen Sie bloß auf“, schäkerte Hermine, „dass dieses Objekt nicht mal versehentlich an den Mann gerät. Stellen Sie sich vor, Sie würden ihn im Ministerium liegen lassen…“
„Das würde dort wohl kaum etwas an der bereits herrschenden Atmosphäre ändern, Hermine, denn Intrigen können die Angestellten des Ministeriums auch ganz gut ohne Hilfe eines Zankapfels spinnen“, erklärte er sehr nüchtern, doch sie wusste, dass er damit gar nicht so falsch lag.
Sie beäugte den goldenen Apfel und sagte: „Ich finde, dass er etwas auffällig ist. Wäre es nicht viel günstiger, einen dezenten Gegenstand zu wählen, der nicht so viel Aufsehen erregt?“
„Nein, der Gegenstand ist meines Erachtens perfekt gewählt. Er ist ungewöhnlich und schön anzusehen. Kaum jemand wird sich zurückhalten können, ihn berühren zu wollen.“ Er schenkte ihr ein halbseitiges Lächeln, bevor er fortfuhr: „Wie Sie es ja netterweise demonstriert hatten.“
Ihr Weinglas auf den Tisch stellend bückte sie sich und zog sich ungefragt die Schuhe aus. Aufgrund seines entgeisterten Gesichtsausdrucks erklärte sie: „Sie haben gesagt, ich soll mich wie in meinen eigenen vier Wänden fühlen.“
„Wie Sie meinen“, murmelte er.
„Noch jemand, der Ihnen gratuliert hat?“
„Ich sagte doch, dass niemand…“ Mit einem Male hielt er inne, als er seine eigenen Worte überdachte. Hermine brachte es auf den Punkt.
„’Niemand’ hat Ihnen bisher aber reichlich was geschenkt“, witzelte sie grinsend. „Harry?“
Sich den heutigen Morgen ins Gedächtnis rufend nickte er und antwortete: „Ein Buch, welches ich glücklicherweise noch nicht hatte.“
„Mmmh“, machte sie wissentlich, denn sie hatte ihm diesen Geschenketipp gegeben. „Minerva?“
„Feuerwhisky.“
„Und etwas von Remus?“, fragte sie.
Hier schüttelte er den Kopf, was sie sehr verwunderte, doch bevor sie sich dazu äußern konnte, klopfte es. Severus machte keine Anstalten, den Gast einzulassen.
„Ja, wollen Sie denn nicht sehen, wer da an der Tür ist?“, fragte sie perplex.
„Nein, wenn es jemand ist, der anklopfen muss, dann kann es sich nur um jemanden handeln, den ich nicht sehen möchte.“
Es klopfte erneut, diesmal etwas lauter.
„Severus…“
„Dann öffnen Sie doch“, fuhr er sie an und griff gleich darauf zu seinem Weinglas, um Gleichgültigkeit vorzugaukeln.
Die Tür hatte sie nicht per Zauber geöffnet, sondern sie war extra aufgestanden, denn wer immer vor der Tür stand, der sollte nicht einfach hineinkommen dürfen; es waren immerhin Severus’ Räumlichkeiten.
„Herm…“ Ein paar mal verdattert blinzelnd, als würde er seinen Augen kaum trauen, schluckte Remus und versuchte es noch einmal: „Hermine, mit dir hab ich ja gar nicht gerechnet.“
„Remus, komm doch rein“, bat sie. Das brummende Geräusch im Hintergrund ignorierte sie gekonnt.
Kaum hatte Remus den Tränkemeister erblickt, setzte er bereits an, seine Glückwünsche kundzutun, doch Severus unterbrach: „Genug!“
„Nun gut“, sagte Remus nur wenig gekränkt. „Dann alles Gute und hier…“
Er hielt Severus ein Geschenk entgegen, doch der sagte nur trocken: „Ich nehme keine Geschenke an, Lupin.“
Im ersten Moment schien Remus vor den Kopf gestoßen, doch dann ließ er seinen Blick über den Tisch schweifen und Severus tat es ihm gleich. Dort lag die alte Fibel, der goldene Apfel, das Glas mit dem Pulver, das Fläschchen Gift, der Tagtraum, der Schokofrosch – Remus stutzte bei dem Hühnerei – und auf dem Boden fand sich eine Menge zerknülltes Geschenkpapier wieder.
„Ah ja“, machte Remus belustigt, „du nimmst keine Geschenke an.“
„Sie werden mir aufgezwungen!“, rechtfertigte sich Severus, was Remus zum Anlass nahm, dem auf der Couch sitzenden Tränkemeister einfach das Geschenk entgegenzuwerfen.
Hermine und Remus nahmen ein Gemurmel wahr, aus dem man die Worte „aufdringliche Gryffindors“ heraushören konnte, doch zumindest hatte Severus seinen Stolz überwunden, denn er öffnete das neue Präsent.
Wie Hermine es erwartet hatte, handelte es sich um etwas Süßes, was auch Severus unbedingt anmerken musste, denn er sagte spöttelnd: „Wie überraschend: Schokolade.“
„Nicht nur irgendwelche“, sagte Remus selbstzufrieden. „Die Trüffelpralinen sind selbst gemacht.“
„Selbst gemacht?“ Severus zog beide Augenbrauen in die Höhe, bevor er wissen wollte: „Woher kann sich jemand mit Ihrem ’Einkommen’ echte Trüffel leisten?“
„Ich habe sie von Hagrid und er hat sie von Olympe“, erklärte Remus, bevor sein Blick auf die angebrochene Flasche auf dem Tisch fiel und er vom Thema abkam. „Oh, Elfenwein?“
„Möchtest du einen Schluck?“, bot Hermine einfach an.
„Ja gern.“
Severus rollte mit den Augen, hörte jedoch aufmerksam zu, als Remus schilderte: „Hagrid mag keine Trüffel. Er sagte, wenn keines seiner Tiere sie fressen will, dann könnten sie gar nicht so gut sein wie alle behaupten.“
„Hagrid ist ja auch ein großer…“
Severus’ vermutlich beleidigende Worte unterbrach Hermine. „Ich weiß von Gabrielle, dass Olympe zur Entspannung gern mal durch die Wälder von Périgord spaziert und nebenbei nach Trüffeln sucht. Ist ja momentan auch die beste Erntezeit.“
Man hörte Severus laut stöhnen. „Bevor Sie sich in einem Monolog über unterirdisch wachsende Pilze verlieren“, Hermine verengte ihre Augenlider, musste dennoch grinsen, „möchte ich Ihnen gern eine Praline anbieten.“
Erstaunt zog sie dieses Mal beide Augenbrauen in die Höhe, während sie dabei zusah, wie Severus die durchsichtige Verpackung öffnete und ihr entgegenhielt.
Sich eine Praline aus der Tüte fischend sagte sie: „Womit verdiene ich diese Ehre?“
Erst nachdem sie die Praline in den Mund gesteckt hatte, erklärte Severus schäkernd: „Diese Ehre gebührt jedem Vorkoster.“
Da man mit vollem Mund nicht sprach, verkniff sich Hermine einen Kommentar, stöhnte jedoch wonnig, nachdem sich der Geschmack entfaltet hatte.
„Habt ihr das von Svelte gehört?“, fragte Remus plötzlich völlig unerwartet und Hermine war froh, dass sie bereits geschluckt hatte. Ein zufriedenes Lächeln zeichnete in Severus’ Gesicht ab, welches Remus auf die falsche Fährte lockte. „Das warst doch nicht etwa du?“
„Nein, dieses Meisterwerk drastischer Zurechtweisung entspringt leider nicht meinem Zauberstab.“
Remus nickte und glaubte Severus offensichtlich, denn ohne nachzufragen erzählte er: „Poppy hatte mich gefragt, ob ich einen aufhebenden Spruch kennen würde, weil ich immerhin mal Lehrer für Verteidigung war.“
„Und was haben Sie entgegnet?“
Grinsend antwortete Remus: „Ich sagte, sie sollte lieber dich fragen, aber offenbar hat sie das schon.“
„Ich gebe zu“, begann Severus, „dass ich ihr sehr wahrscheinlich auch keinen Gegenfluch genannt hätte, selbst wenn mir einer bekannt wäre.“
„Ist er so schlimm?“, fragte Remus schmunzelnd.
Nickend zählte Severus auf: „Die Eitelkeit von Black, die Dummheit von Pettigrew und das freche Auftreten von Potter. Svelte vereint wirklich eine sehr unangenehme Mischung an schlechten Eigenschaften.“
„Was denn“, warf Hermine ein, „nichts von Remus dabei?“
Er blickte sie an und zuckte einmal mit den Schultern, bevor er fragte: „Was schlagen Sie vor, Hermine? Vielleicht die ’triebhaften, animalischen Instinkte’?“
Hermine wurde knallrot, weswegen Remus sie erheitert fragte: „Das warst doch nicht etwa du?“ Unerwartet, damit hatte selbst Severus nicht gerechnet, lachte Remus auf, bevor er erklärte: „Ich bin ehrlich gesagt von Ginny ausgegangen. Den Fluch kenne ich nämlich von ihr.“
„Sie kennen den Fluch?“, wiederholte Severus. „Warum haben Sie dann Poppy nicht den Gegenfluch genannt?“
Loyal wie Remus war erwiderte er: „Ich mische mich doch nicht in Ginnys Angelegenheiten, das wäre eher Harrys Aufgabe. Ich dachte, wenn sie Svelte so schlimm verhext, dann wird das schon einen Grund…“
Das amüsierte Lächeln verschwand aus Remus’ Gesicht, als er Hermine betrachtete, die sich bei dem Thema unwohl zu fühlen schien. Wenn es nicht Ginny gewesen war, dachte er, dann musste Hermine einen triftigen Grund gehabt haben.
„Ist alles in Ordnung mir dir, Hermine?“, fragte er sie mit milder und besorgter Stimme.
Es war Severus, der an ihrer Stelle antwortete: „Sie macht jedenfalls einen guten Eindruck auf mich und außerdem wird Svelte uns morgen ganz sicher verlassen.“
„Wird er?“, fragte Remus irritiert nach, denn er konnte nicht ganz folgen.
„Wird er!“, versicherte Severus, womit das Thema „Svelte“ fallengelassen wurde.
Nach einem Moment, den Remus mit einem Schluck Elfenwein verstreichen ließ, sagte er: „Tonks hat mich darüber unterrichtet, dass alle im Ministerium schon ganz aufgeregt sind wegen Malfoys Verhandlung am Montag. Die Presse fragt schon täglich nach Informationen.“
Nickend bestätigte Severus: „Malfoys Verhandlung wird in aller Munde sein, hat sie erst einmal begonnen. Jeder kennt ihn und zwar schon aus Zeiten vor der Rückkehr des Dunklen Lords.“
„Ich hoffe“, begann Hermine, „er bekommt seine gerechte Strafe.“ Einerseits würde sie für Draco – nur für ihn – wünschen, dass der seinen Vater bald sehen könnte, doch ihr Gerechtigkeitssinn plädierte für einen langen Aufenthalt Askaban.
Der Abend verlief gemütlich. Man vertrieb sich die Zeit mit netten Unterhaltungen oder frechen Bemerkungen, die zu Remus’ Belustigung nicht nur von Severus kamen. Die vorangeschrittene Uhrzeit animierte beide Gäste nach einigen Stunden zum Gehen. Obwohl nicht nur Hermine, sondern auch Remus ihn unangekündigt aufgesucht und ihm Geschenke aufgedrückt hatten, erwischte sich Severus beim Zu-Bett-Gehen dabei, wie sehr er es bedauerte, dass der Abend bereits ein Ende gefunden hatte.
Am nächsten Morgen hatte Severus es geschafft, den Grund aus Hermine herauszukitzeln, weswegen sie Svelte überhaupt verhext hatte, auch wenn es ihr sichtlich unangenehm war, mit ihm darüber zu sprechen. Severus selbst hätte ihre gestrige Aussage „gegen meinen Willen“ völlig gereicht, doch Albus würde Genaueres erfahren wollen. Den Direktor hatte er während des Frühstücks vorgewarnt, dass er im Laufe des Vormittags das Gespräch mit ihm suchen würde und die ganze Zeit über, in der Severus sich bereits seine Rede zurechtlegte, genoss er das Gefühl des vorzeitigen Triumphs endlich jemanden loswerden zu können, den er auf den Tod nicht ausstehen konnte. Während seiner eigenen Schulzeit war es ihm nie gelungen dafür zu sorgen, gewisse Mitschüler der Schule verweisen zu lassen und später, als er Lehrer war, hatte Harry es immer wieder geschafft, sich seinen Platz in Hogwarts zu sichern, doch Svelte würde sich nicht halten können.
Enthusiastisch machte sich Severus auf den Weg zu Albus’ Büro, doch als er Remus und Minerva erblickte, die sich beide mit Albus ganz offensichtlich zum Tee verabredet hatten, schien er sein Vorhaben verschieben zu müssen.
„Severus“, grüßte Albus. „Tritt ein, mein Guter. Vielleicht darf es auch eine Tasse Tee sein?“
„Albus, ich möchte mit dir unter vier Augen…“
Minerva fiel ihm ins Wort: „Dann kommen Sie später wieder, wir haben es gerade sehr gemütlich.“
Ein rettender Einwurf, den Severus sehr begrüßte, kam von Remus, denn der sagte: „Ich glaube, es handelt sich um etwas Wichtiges, Minerva.“
Über seine Halbmondbrille hinweg blickte der Direktor ihn an und fragte: „Um was geht es, Severus? Etwas Privates?“
„Nein, es betrifft das Kollegium“, erwiderte Severus.
„Dann brauchen wir uns nicht zurückzuziehen“, sagte der Direktor fest entschlossen. „Nimm doch Platz, Severus.“ Albus setzte sich bereits wieder, doch Severus blieb verdattert stehen, so dass Albus versicherte: „Remus als ehemaliger Lehrer wird über alles, was er während unsere Gesprächs erfährt, natürlich Stillschweigen bewahren.“
„Natürlich“, bestätigte Remus.
Seine zurechtgelegte Rede war dahin, denn Severus hatte nicht geahnt, sie vor Publikum halten zu müssen.
„Also?“, forderte Albus ihn auf.
„Es…“ Improvisation war angesagt. „Es geht um Professor Svelte.“
„Ah“, machte Albus, während die anderen beiden nur zuhörten und sich nicht einmischten. „Was ist mit Professor Svelte?“ Scherzend vermutete Albus: „Oder kommen nun nachträglich deine bereuenden Worte und das Geständnis, für seinen momentanen Zustand verantwortlich zu sein?“
Durch zusammengekniffene Zähne zischte Severus: „Er hat verdient, was ihm widerfahren ist!“
„Hat er das? Dann erleuchte mich. Weswegen bist du hier?“
„Ich verlange, dass du ihm fristlos kündigst!“ Severus klang sehr fordernd.
Völlig gelassen nahm Albus eine frisch gefüllte Teetasse von Minerva entgegen, bevor er, während er das heiße Getränk bedächtig umrührte, fragte: „Und der Grund?“
„Er verhält sich…“ Er suchte nach angemessenen Worten, denn immerhin saß Minerva hier, vor der er nicht ausfallend werden wollte. „Er verhält sich dem Kollegium gegenüber nicht sittsam.“
Hier blickte Minerva auf und wagte es, in sein Gespräch mit Albus einzugreifen, denn sie sagte: „Bisher war er besonders den Damen gegenüber immer sehr höflich.“
„Vielleicht aber auch nur“, knurrte Severus gereizt, „weil gewisse Damen sich nicht mehr unbedingt in seinem Alter befinden?“
„Willst du damit sagen“, fragte Albus erstaunt, „dass es einen Übergriff gegeben haben soll?“ Der Direktor brauchte gar nicht lange nachzudenken, denn die meisten angestellten Damen waren bereits im vorangeschrittenen Alter. Die jüngsten Mitglieder im Kollegium waren Harry, Neville, Valentinus, Severus und…
„Doch nicht Hermine?“
„Doch, Albus. Er hat sich ihr aufgedrängt und es obliegt meiner Pflicht, mich für meine Schülerin einzusetzen. Ich fordere die sofortige Entlassung dieses Kollegen!“
Der schockierte Blick Minervas war Severus nicht entgangen, doch sie behielt dieses Mal sämtliche Kommentare für sich.
„Was, wenn ich fragen darf, hat Professor Svelte getan?“, wollte Albus erfahren. „Du wirst sicherlich verstehen, dass es schon einen Grund geben muss, mit dem ich so einen Schritt rechtfertigen kann.“
„Er hat sich ihr körperlich genähert“, sagte Severus und hoffte dabei innig, dass diese Erklärung genügen würde, doch Albus war anderer Ansicht.
„Es ist eine Sache, jemandem eine Hand auf die Schulter zu legen oder gar durchs Haar zu streichen, in diesem Sinne brauche ich mehr…“
„Geküsst“, warf Severus schnell gesprochen ein und er hörte, wie Minerva erschrocken Luft holte. „Gegen ihren Willen, Albus!“
„Ich…“ Der Direktor schien genauso verlegen wie Minerva und Remus, denn so einen Vorfall hatte es in Hogwarts noch nie gegeben. „Warum hat Hermine es nicht gemeldet?“
„Warum wohl? Weil es ihr unangenehm ist!“
„Ich…“ Zum zweiten Male fehlten Albus die Worte.
Unerwartet hörte man eine weibliche Stimme aus einem der Gemälde. Die ehemalige Schuldirektorin Dilys Derwent, deren lange silberne Ringellöckchen üppig über ihre Brust fielen, hatte sich zu Wort gemeldet.
„Ich habe dir gesagt, Albus, dass dieser Svelte nichts taugt.“
„Aber ich hatte so schnell niemand anderen für das Fach finden können“, murmelte Albus. „Und wenn ich ihn kündige, werden die Schüler am Montag ohne Lehrer für die Pflege magischer Geschöpfe dastehen.“ Er seufzte: „Ich denke, ich werde wohl selbst einspringen müssen.“
„Dann kommst du meinem Ersuch wirklich nach?“, fragte Severus erstaunt, bevor er dem seit gestern Abend stetig wachsenden Triumphgefühl gestatten wollte, sich gänzlich zu entfalten.
„Natürlich, Severus. Es gibt Dinge, die man nicht dulden darf. Es wird jedoch an Hermine liegen, ihn eventuell der Magisches Strafverfolgungspatrouille zu melden.“
Die gute Laune, die in Severus aufgestiegen war, machte es ihm schwer, sehr schwer, seine Freude nach außen hin zu unterdrücken, doch er schaffte es, seine ernste Miene beizubehalten.
„Ich werde beim Ministerium anfragen“, sagte Albus bedrückt. „Vielleicht können die einen Lehrer empfehlen.“
„Wozu die Mühe?“, fragte Severus ein wenig zu euphorisch. „Nimm doch Lupin“, er deutete einmal lax auf Remus, „der kennt sich sicherlich mit Tieren aus; ist ja immerhin selbst eines.“
Minervas Schwall der Empörung wurde im Keim erstickt, als Remus laut zu lachen begann.
Den Tag nach dem Ausflug in die Winkelgasse nutzte Hermine, um sich noch einige Dinge aus den Akten des Ministeriums zu notieren. Sie durfte keine magischen Kopien der Schriften und Berichte anfertigen – das hatte sie mit einer Unterschrift versichern müssen – und daher war sie sehr glücklich über das Schreibfederset, das Severus ihr zu Weihnachten geschenkt hatte. Sie brauchte die Stellen, die sie interessierten, nur laut zu lesen und ihre Feder schrieb brav in ihrer eigenen Handschrift mit.
Mit Besuch hatte sie heute nicht gerechnet und sie konnte, nachdem es bei ihr geklopft hatte, nicht einmal ahnen, wer vor ihrer Tür stehen würde.
„Hermine“, grüßte Valentinus mit einem Lächeln, welches sie womöglich zu blenden vermochte, wären seine Zähne nur noch wenige Nuancen heller.
„Oh.“ Damit ihr Gruß nicht auf diesen Ausdruck der Verwunderung beschränkt blieb, fügte sie noch schnell hinzu: „Was für eine Überraschung.“
Ein schneller Blick auf seine Erscheinung ließ sie schon etwas ahnen, denn unter dem Arm hatte er eine Mappe geklemmt.
„Sie wissen sicherlich noch“, begann er freundlich, „dass Sie sich bereit erklärt haben, das Knieselbuch zu lesen, welches ich verfasst habe. Ich denke nicht, dass Sie etwas finden, das Sie beanstanden würden, aber Ihre Meinung schätze ich sehr.“
Valentinus blickte an ihr vorbei ins Wohnzimmer und ein seliger Gesichtsausdruck schlug sich bei ihm nieder, als er Fellini am Boden kauern sah, der gerade mit den Schnürsenkeln von Hermines Muggelschuhen spielte.
Versprechen dieser Art hatte sie noch nie zurückgenommen, auch wenn sie gerade jetzt bereute, ihm dieses Angebot unterbreitet zu haben. Eigentlich hatte sie das nur getan, um Severus vor Augen zu halten, dass man sich gegenseitig unterstützen sollte, sofern man dazu in der Lage war.
„Ich werde gleich heute noch anfangen, Valentinus“, versicherte sie ihm.
„Darf ich kurz hineinkommen?“
Über seine Frage etwas irritiert stimmte sie unüberlegt zu und öffnete die Tür noch etwas weiter, woraufhin er elegant ins Wohnzimmer stolzierte. Die Mappe legte er auf den Tisch.
„Ihr Kniesel ist ganz prächtig gewachsen.“ Sich niederkniend nahm er mit einer Hand den Halbkniesel hoch und drückte ihn an seine Brust, während seine andere Hand das Fell kraulte. „Bei dem langen Fell wird man eines Tages die weißen Pfötchen gar nicht mehr sehen können“, behauptete Valentinus und betrachtete dabei das wenige Weiß.
Nur auf das Äußere zu achten widerstrebte Hermine, so dass sie sagte: „Die Farbe oder Musterung eines Tieres ist mir nicht wichtig. Krummbein sah, wenn ich meinen damaligen Freund mal zitieren darf, ’aus wie ein aufgeplatztes Sofakissen’. Er hätte nie einen Wettbewerb gewinnen können.“
„Oh, besuchen Sie ab und an etwa auch eine Kniesel-Show?“
Ganz offensichtlich hatte Valentinus überhaupt nicht begriffen, was sie damit ausgesagt hatte. Natürlich würde sie keine Kniesel-Shows besuchen, weil die Schönheit ihres Erachtens unwichtig war. Nun verstand sie aber auch, warum Severus ihn so gern auf den Arm nahm. Valentinus war so oberflächlich und unaufmerksam, dass er ein gefundenes Fressen für Menschen darstellte, die an ihm ihre Wortgewandtheit ausprobieren wollten. Es könnte durchaus Spaß machen, dachte sich Hermine, eine versteckte Anmerkung zu machen, um zu sehen, ob Valentinus sie auch so verstehen würde wie sie gemeint war.
Sie verkniff es sich, zweideutig zu werden oder ihn zu veralbern.
„Ich mag Kniesel-Shows nicht. Ich finde, solche Wettbewerbe haben viel zu wenig Substanz“, antwortete sie anstelle einer sarkastischen Gemeinheit.
„Schade, ich mag solche Shows. Es gibt da einige Prachtexemplare auf der Welt. Mit meinen Tierchen habe ich auch ab und an einen Preis gewonnen, aber darüber werden Sie ja noch lesen, wenn Sie mein Buch erst einmal begonnen haben.“
Nur einen kurzen Moment fragte sich Hermine, ob Valentinus sich alte Zeitschriften der Hexenwoche zum Vorbild nahm, um das breite Lächeln zu üben, so dass man immer wieder an Lockhart denken musste.
Unaufgefordert setzte sich ihr Gast auf die Couch. Die Gelegenheit nutzte Fellini, von seinem Schoß zu springen und sich vor den aufdringlichen Händen in Sicherheit zu bringen.
„Nehmen Sie doch Platz“, sagte er freundlich, während er mit der flachen Hand über das Polster neben sich strich. Nur widerwillig kam sie seiner Bitte nach, setzte sich jedoch nicht direkt neben ihn. „Wegen des Buches…“, er griff nach dem Manuskript und rutschte gleich darauf näher an Hermine heran. „Ich würde mich natürlich gern zu einer kleinen Widmung hinreißen lassen, wo Sie mir doch so willig Ihre Hilfe angeboten haben“, schmeichelte er.
Aus seinem Munde mochte Hermine das Wort „willig“ überhaupt nicht. Entweder war es Absicht gewesen oder Valentinus hatte nur nicht auf seinen Tonfall geachtet, denn der schien sehr anzüglich.
„Das ist nicht notwendig, Valentinus. Ich mache das auch so. Mit wie vielen Seiten habe ich zu rechnen?“
„Es sind etwas über 170“, erwiderte er, woraufhin sie erleichtert ausatmete, was er nicht zu bemerken schien. Zum Glück, dachte Hermine, war sein Werk nicht sehr umfangreich.
Er drückte ihr das Manuskript in Hand und diesmal war Hermine sich sicher, dass es Absicht gewesen sein musste, als seine Finger die ihren berührten, denn er hatte diese Gelegenheit genutzt, sie auf unerwünscht zärtliche Weise zu streicheln.
Seine Frechheit ignorierte sie in der Hoffnung, dass ihr Desinteresse damit deutlich zum Ausdruck gebracht werden würde, doch Valentinus schien zu glauben, sie wäre so beschränkt wie er selbst und hätte seine Annäherung nur nicht verstanden. Es war erst ein Arm, der sich genau hinter ihr auf der Rückenlehne niederließ, bevor seine Finger die Dreistigkeit besaßen, mit ihrem Haar zu spielen.
„Ich denke, Sie sollten jetzt gehen.“ Sie beugte sich nach vorn, um sein Manuskript auf dem Tisch abzulegen, aber auch, um seinen Fingern zu entfliehen. Sie lehnte sich nicht wieder an und blickte ihm auch nicht in die Augen, als sie sagte: „Ich melde mich bei Ihnen, wenn ich mit dem Buch…“
„Hermine…“ Sie erschrak, als er seinen Arm um ihre Schultern legte und gerade wollte sie aufstehen, da spürte sie eine Hand an ihrer Wange, die Druck ausübte und ihren Kopf drehte. Wenige Sekunden später waren fremde Lippen auf den ihren.
Nach einer Schocksekunde stieß sie ihn in Windeseile von sich, stand auf und zog ihren Zauberstab, den sie mit steif ausgestrecktem Arm auf ihn richtete. Mit vor Wut funkelnden Augen zischte sie böse: „Gehen Sie!“ Wegen seiner Unverfrorenheit hatte er sich nicht nur um ihre Gesellschaft gebracht, sondern noch um etwas anderes. „Und nehmen Sie Ihr blödes Buch mit!“
„Aber…“
„RAUS!“
„Hermine, wir sind doch erwachsene Menschen und können sicherlich darüber reden, nicht wahr?“, säuselte er zuversichtlich und er schien nicht zu bemerken, dass er damit ihren Zorn nur noch schürte.
Mit bebender Stimme drohte sie leise und langsam sprechend: „Sie gehen auf der Stelle und wagen es nicht noch einmal, meine Aufforderung zu überhören!“
„Gut“, sagte er kindlich eingeschnappt, bevor er sich erhob und seine Mappe nahm. „Ich dachte nur…“ Er ging bereits zur Tür, um zu zeigen, dass er ihrer Aufforderung zum Gehen durchaus nachkam, doch er konnte es nicht lassen, ihr vor Augen zu halten: „Ich bin einsam, Sie sind einsam – ich dachte, wir beide könnten…“
„Ich bin nicht so verzweifelt, dass ich mich ausgerechnet mit IHNEN einlassen müsste und jetzt verschwinden Sie, bevor Madam Pomfrey bei dem Versuch, dem Eiterbeulen-Fluch Herr zu werden, an Ihre Grenzen stößt.“
Mit der Hand schon an der Türklinke verweilend blieb Valentinus stehen und schaute verdutzt drein, bevor er fragte: „Was für ein Eiterbeulen-Fluch?“
Keine zehn Minuten später wurde Poppy dabei gestört, ihre Liste mit noch benötigten Tränken zu vollenden, denn Professor Svelte stürzte lärmend herein.
„Herrje, was ist denn mit Ihnen passiert?“, fragte sie, während sie ihr Gesicht verzog, weil gerade eine der großen Beulen in seinem hübschen Gesicht aufplatzte und gelber Eiter an seiner Wange hinunterlief.
Er antwortete nicht auf Poppys Fragen, wie das geschehen sei oder wer es gewesen war. Man würde weitere Fragen stellen, wusste Valentinus, denn Hermine war eine beliebte Kollegin, die für ihren besonnenen Charakter bekannt war. Jeder würde den Grund erfahren wollen, warum gerade sie in Rage geraten war und zu so einem Fluch gegriffen hatte. Daher hielt er den Mund und hoffte einfach nur auf eine schnelle Genesung.
Ihre Besonnenheit hatte Hermine zwischenzeitlich wiedererlangt, auch wenn noch immer ihre Hände zitterten und sie sich ausmalte, mit welcher Strafe sie wohl zu rechnen hätte, weil sie einen Lehrer verhext hatte, wenn er auch nicht ihr Lehrer war. Der befürchtete Besuch von Albus blieb jedoch aus. Nicht einmal Harry oder Severus suchte sie auf, was sie glauben ließ, dass bis auf Poppy niemand anderes von Sveltes Schicksal erfahren hattet.
Am frühen Nachmittag erschienen bereits die Posteulen des Ministeriums, die nicht verschwinden würden, ohne die geforderten Akten entgegengenommen zu haben. Das wäre erledigt.
Am Tag darauf erwachte Hermine mit dem Gedanken, dass heute Severus’ Geburtstag war, was sie beschwingt aufstehen ließ. An den gestrigen Vorfall mit Valentinus hatte sie gar nicht erst denken wollen.
Die wenigen Kollegen am Frühstückstisch gratulierten Severus nicht, was daran liegen mochte, dass jeder wusste, wie grantig er reagieren könnte, doch Hermine hatte vor dem Frühstück gesehen, wie Poppy den Tränkemeister abgefangen hatte, um ihm sehr wahrscheinlich persönlich unter vier Augen ihre Glückwünsche auszusprechen. Vielleicht benötigte sie aber auch nur professionelle Hilfe wegen des von Ginny entwickelten Eiterbeulen-Fluchs. Alle anderen nahmen Rücksicht darauf, Severus nicht mit öffentlich bekundeten Gratulationen in eine unangenehme Lage zu bringen, denn er mochte es nicht, im Mittelpunkt zu stehen. Während des Frühstücks kam Hermine der Gedanke, dass Severus vielleicht glauben würde, sein Geburtstag könnte ihn zu menschlich machen und weil sie mit ihren Gedanken bei seinem Geburtstag war und sich vorstellte, wie sie ihm nachher die Geschenke überreichte, bemerkte sie gar nicht, wie Albus ihr einen nachdenklichen Blick zuwarf.
Das Graphorn-Pulver, das Fläschchen Acromantulagift, Mörser und Stößel und auch der patentierte Tagtraumzauber der Zwillinge war bereits als Geschenk verpackt. Kurzfristig hatte Hermine noch eine andere Idee gehabt, die leicht zu verwirklichen war und auch nur einen symbolischen Wert hatte. Diese beiden Gegenstände verpackte sie nicht.
Sie überlegte einen Moment, ob sie eine Flasche Whisky aus ihrem Schrank mitnehmen sollte, entschied sich jedoch dagegen, denn in Severus’ Augen wäre es bestimmt kein guter Tropfen. Als sie alles beisammen hatte, machte sie sich abends auf den Weg in die Kerker.
An seinen privaten Gemächern angekommen ließ sie sich von Salazar öffnen. Severus stand gerade an der Tür neben dem Bücherregal, als er sie erblickte.
„Sie sind es! Ich hatte bef…“
Dieses Wort sollte seinen Mund nicht verlassen, so dass sie ihn flink unterbrach: „Sie hatten gehofft, dass ich kommen würde!“ Sie grinste keck, woraufhin er einmal tief durchatmete.
„Ja, ganz genau“, sagte er stöhnend. „Treten Sie doch ein und nehmen Sie Platz. Fühlen Sie sich ganz wie in den eigenen vier Wänden.“ Er erlaubte sich ein halbseitiges, fieses Grinsen. „Also wie immer.“ Ihre Tasche beäugend fragte er spöttisch: „Was tragen Sie mit sich herum? Ihren Hausrat?“
„Nein, das sind Geschenke. Ich weiß nämlich zufällig, das heute für Sie ein besonderer Tag ist.“
„Der heutige Tag“, widersprach er, „ist wie jeder andere auch.“
„Oh, das sehe ich aber anders“, winkte sie ab. „Kommen Sie, Severus, setzen Sie sich!“
Er kam ihrer Aufforderung noch nicht nach. „Sagen Sie mir bitte, dass Sie keinen Whisky mitgebracht haben.“ Er versuchte einen Blick in ihre Tasche zu erhaschen.
„Nein, hab ich nicht. Die Wahl der Getränke für heute Abend überlasse ich ganz Ihnen.“
„Dann einen Elfenwein?“
Ihre Antwort wartete er gar nicht ab, denn er schenkte bereits zwei Gläser ein, wovon er ihr eines reichte, bevor er sich in einem geziemenden Abstand neben sie setzte.
Er hob bereits sein Weinglas, da stoppte sie ihn mit einer Geste ihrer Hand, hob das eigene Glas und sagte: „Auf Ihr Wohl, Severus. Alles Gute zum…“
Sein Glas an das ihre führend unterbrach ein laut klingendes Geräusch ihre Glückwünsche, bevor er sich einen Schluck genehmigte.
„Ich war doch noch gar nicht fertig“, schmollte sie.
„Es sind sowieso immer die gleichen Worten, die man Jahr für Jahr aufs Neue hören muss, finden Sie nicht?“
Sie spitzte die Lippen, bevor sie log und schäkerte: „Nein, ich hatte mir ein paar sehr originelle Worte zurechtgelegt, in deren Genuss Sie nun leider nicht mehr kommen werden, denn angestoßen haben wir ja bereits.“
Auch sie nahm einen Schluck des süßlichen Weines, bevor sie das Glas auf den Tisch stellte und tief Luft holte. Kaum hatte sie vorhin in seine Räume betreten, war sie von der anheimelnden Atmosphäre ganz angetan, während sie sich gestern nicht einmal in ihrem eigenen Zimmer hatte wohl fühlen können. Severus war still, nippte dann und wann an seinem Wein. Als er ungezwungen seine Beine unter dem Tisch ausstreckte, da bemerkte sie, dass er keine Schuhe trug, nur Socken, was ihr ein Lächeln entlockte.
Seine Stimme, auch wenn sie leise war, erschrak sie ein wenig, als er amüsiert sagte: „Poppy hat heute vor dem Frühstück das Gespräch mit mir gesucht. Es scheint“, er blickte mit Schadenfreude in den Augen zu Hermine hinüber, „dass Professor Svelte gestern wohl den Zorn von jemandem auf sich gezogen haben muss.“
Hermine sagte kein Wort, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass Valentinus den Mut gefunden haben sollte, Poppy die Wahrheit zu sagen und noch viel weniger war es vorstellbar, dass Poppy solche vertraulichen Informationen ausposaunen würde.
„Sie hat mich gefragt, ob ich womöglich den Gegenfluch kenne. Ich wurde das Gefühl nicht los, sie hielte mich für den Übeltäter.“ Er schien amüsiert darüber, dass man ihm so eine Tat zutraute, weil jeder zu wissen schien, was er von diesem Kollegen hielt. „Mein Glück, dass ich für den ’Tatzeitpunkt’ ein Alibi in Form von Lupin habe, auf den ich nach dem Spazierengehen mit dem Hund getroffen war und der sich erdreistete, mir ein langes Gespräch über mein Haustier aufzuhalsen.“
Es schwang so viel Wonne in seiner Stimme mit, dass seine herablassenden Worte über Remus an Ernst verloren hatten.
„Und…“ Hermine räusperte sich. „Was ist mit Professor Svelte geschehen?“
„Poppy hat mich darum gebeten, Stillschweigen zu bewahren.“ Verständnisvoll schaute Hermine zu Boden, doch dann fuhr er plötzlich fort: „Also müssen Sie gut zuhören, denn ich werde es nur einmal sagen!“ Gegen das tückische Grinsen auf ihrem Gesicht konnte sie nichts unternehmen und sie lauschte ihm. „Professor Svelte ist am ganzen Körper mit Eiterbeulen übersät!“ Er verzog angewidert das Gesicht, weswegen sie auflachte. „Ich bin mir sicher“, er zog eine Augenbraue in die Höhe, „dass er Miss Weasley auf dem falschen Fuß erwischt haben muss, denn von Harry weiß ich, dass sie ein außergewöhnliches Talent für das Entwickeln von derben Flüchen dieser Art haben soll.“
Nichts konnte Hermine mehr halten und sie lachte einfach drauf los, was er belustigt beobachtete.
Nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, sagte er plötzlich sehr ernst: „So sehr ich Miss Weasleys Drang, Svelte verhexen zu wollen, auch nachvollziehen kann …“ Er schüttelte mitleidig den Kopf. „Sie muss mit einem Verweis rechnen.“
Schlagartig war Hermine nicht mehr nach lachen zumute. “Aber wenn sie es nicht gewesen sein sollte?“
„Hermine, es liegt doch auf der Hand! Miss Weasley ist die Einzige, die für solche Flüche bekannt ist.“
„Aber…“ Ihre Stimme versagte. Das Wort „Zwickmühle“ wiederholte sich ständig in ihrem Kopf. „Weiß denn Albus davon?“
Verneinend sagte Severus: „Poppy verriet mir, dass Svelte peinlich berührt gewesen sein soll. Es ist gut möglich, denn so habe ich ihn von Anfang an eingeschätzt, dass er Miss Weasley gegenüber anzüglich geworden sein könnte, womit er sich selbst in eine missliche Lage bringen würde, sollte er Genaueres schildern.“ Erleichtert atmete Hermine aus, obwohl sie nicht einmal bemerkt hatte, dass sie die Luft angehalten hatte. „Trotzdem wird Poppy es melden müssen. Solche ’Späßchen’ haben an einer Schule nichts verloren.“
„Aber wenn sie es doch gar nicht war!“, sagte Hermine viel zu verteidigend, weswegen er hellhörig wurde.
„Haben Sie vielleicht etwas zu dem Vorfall zu sagen?“, wollte er wissen. In seinem Gesicht schlug sich plötzlich Ernüchterung nieder, dann erneut Schadenfreude. „Hermine? Sie haben doch nicht etwa…“
„Er hat es verdient!“ Das sollte genügen, dachte sie zumindest.
„Ah, Streit unter Liebenden“, stichelte er, woraufhin sie ihn erbost anblickte und sich in entsprechendem Tonfall dazu äußerte.
„Ich empfinde in dieser Richtung gar nichts für diesen…“ Sie zensierte sich selbst. „Und wenn er so empfinden sollte, dann hat er wirklich eine ganz eigenwillige Art sich auszudrücken.“
„Was hat er getan?“, fragte er neugierig.
Bockig entgegnete sie: „Warum wollen Sie das wissen?“
„Vielleicht damit ich weiß, wo ich Grenzen im Umgang mit Ihnen ziehen sollte, um nicht einmal in die gleiche Lage zu kommen wie er?“
Sie durchdachte den gestrigen Tag und ersetzte in Gedanken Svelte durch Severus, was ihr vor Augen hielt, dass ihr Professor so etwas nie tun würde.
„Es ist doch egal, was er getan hat“, murmelte sie, um die Sache einfach nur zu vergessen. Bei Severus hingegen läuteten aufgrund dieser Aussage die Alarmglocken.
„Hat er Sie etwa unsittlich berührt?“, fragte er aufgebracht.
„Ähm…“ Sie war wegen seiner Sorge sprachlos und auch gerührt.
„Hat er?“, fragte er fordernd nach.
„Na ja, er hat mich gegen meinen Willen…“
„Das genügt mir schon“, sagte er, bevor er von der Couch sprang und mit einem Male fühlte sie sich unwohl in ihrer Haut.
„Wo wollen Sie denn hin, Severus?“
„Zum Direktor. Ich werde dafür sorgen, dass dieser unfähige…“, er suchte verzweifelt nach einem abwertenden Synonym für „Lehrer“, doch „Pauker“ war noch viel zu harmlos. „Ich werde dafür sorgen, dass er noch heute von der Schule geworfen wird!“
„Warten Sie!“
„Worauf? Es ist schlimm genug, dass Menschen wie er glauben, man würde ihnen alles durchgehen lassen, nur weil sie mit einem gepflegten Äußeren auftreten und mit fragwürdigen Schmeicheleien um sich werfen, aber es geht definitiv zu weit, sich auf ungehörige Art und Weise einer Frau zu nähern, der ich mich vertraglich dazu verpflichtet habe, mich um ihr Wohl zu kümmern.“
Diesen Satz wiederholte Hermine in Gedanken noch einmal, doch derweil entging ihr ganz, dass Severus bereits zur Tür hinaus war. Wie von der Tarantel gestochen eilte sie ihm nach; der Hund folgte ihr unbemerkt.
„Severus, warten Sie!“
Nach einem kurzen Sprint hatte sie ihn eingeholt und versuchte nun, sich vor ihm aufzutürmen, damit er nicht passieren konnte, doch er war viel größer als sie; David gegen Goliath.
„Gehen Sie aus dem Weg, Hermine.“
„Nein, Sie gehen jetzt nicht zu Albus!“, sagte sie in einem Befehlston, den er von ihr bis dato noch nie gehört hatte.
„Sie verstehen nicht“, sagte er ruhig. „Mir tut sich hier die Möglichkeit auf, einen unbeliebten, vor allem aber unfähigen Kollegen loszuwerden und ich werde diese Möglichkeit ergreifen!“
„Hat es denn nicht gereicht“, warf sie nicht sehr ernst ein, „damals schon dafür gesorgt zu haben, dass Remus hinausgeworfen wurde.“
Kopfschüttelnd stellte er klar: „Lupin hat von sich aus gekündigt, noch bevor die ersten Beschwerdebriefe von Eltern eintreffen konnten. Das war“, er hob eine Augenbraue und klang so unschuldig wie nur möglich, „unbefriedigend.“
„Und es würde Sie tatsächlich zufrieden stellen, wenn Svelte nach diesem kleinen Skandal gefeuert wird?“ Sein fieses Grinsen war Antwort genug. „Daraus ziehen Sie Ihre Befriedigung?“, fragte sie neckend.
„Unter anderem, ja.“
„Severus…“ Sie klang wieder nörgelnd, weswegen sein linkes Augenlid nervös zuckte.
Gelassen versuchte er ihr verständlich zu machen: „Sie haben mir mit Ihrer Schilderung von Sveltes nicht akzeptablem Benehmen ein wirklich wunderschönes Geburtstagsgeschenk gemacht, Hermine.“
„Ihre Geschenke sind da drin“, sie deutete zu seiner Tür, „und warten nur noch darauf, ausgepackt zu werden.“
„Die will ich nicht!“
Enttäuscht presste sie die Lippen zusammen.
„Nun“, bei seiner Stimme horchte sie sofort auf, „vielleicht könnte ich mich tatsächlich morgen darum kümmern.“ Er hob und senkte resignierend die Schultern, bevor er erklärte: „Albus würde mich am heutigen Tag bestimmt in seinem Büro festhalten und mich mit seinen neusten Entdeckungen aus dem Honigtopf bekannt machen wollen; das Risiko möchte ich nicht eingehen.“
Sie strahlte über das ganze Gesicht, bevor sie eine Hand auf seinen Oberarm legte und ihn dazu aufforderte, ihr in seine Räume zu folgen.
Drinnen, nachdem sie sich erneut gesetzt hatten, wühlte Hermine in ihrer Tasche, während Severus desinteressiert tat, doch er war wie schon zu Weihnachten sehr gespannt darauf, was er wohl von ihr erhalten würde. Sie überreichte ihm eine viereckige Box, die er mit ausdrucksloser Miene entgegennahm und beäugte.
„Sie müssen es schon aufmachen“, neckte sie ihn.
Des Papiers hatte er sich schnell entledigt, so dass er irritiert auf die Schachtel blicken konnte, auf der das Logo „Weasleys Zauberhafte Zauberscherze“ zu lesen war, gleich darunter stand „Tagtraumzauber“ und in Klammern dahinter „Überraschungs-Traum“.
„Ich glaube, Hermine“, er blickte sie entgeistert an, „dass Sie noch nie in Ihrem Leben bei der Auswahl eines Geschenkes so fehl entschieden haben!“
Sie schenkte ihm ein überlegenes Lächeln und sagte sehr selbstbewusst: „Und weil ich genau gewusst habe, dass Ihnen das nicht gefallen wird“, er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, „habe ich natürlich noch etwas anderes besorgt.“
Sie nahm ihm den Tagtraumzauber aus der Hand und stellte ihn auf den Tisch, bevor sie etwas anderes aus ihrer Tasche zog. Mörser und Stößel waren so eingepackt, dass die Konturen der Geschenke trotz des Papiers eindeutig den Inhalt verrieten.
„Eine sehr originelle Verpackung“, flunkerte er.
„Machen Sie sich nur über mich lustig. Haben Sie schon mal etwas Rundes eingewickelt? Ich kannte nur einen Zauberspruch, der das Papier um den Gegenstand legt.“ Sie stutzte. „Vielleicht hätte ich es lieber in eine Kiste packen sollen und dann erst…“, sagte sie zu sich selbst, so dass er schmunzeln musste.
„Sie hätten es auch gar nicht als Geschenk einpacken brauchen. Das ist für Kinder sicherlich sehr nett, um die Spannung noch einen Moment länger hinauszuzögern.“ Er zog seinen Zauberstab und entfernte zu Hermines Enttäuschung das Papier per Zauber.
„Achat?“, fragte er erstaunt, als er das hellblaue Set betrachtete.
„Ja“, stimmte sie lediglich zu.
„Sehr edel“, murmelte er und er schien wirklich angetan zu sein. „Ich mag blau!“
Absichtlich riss Hermine ihre Augen ganz weit auf, weswegen er unsicher wirkte, aber gespannt darauf wartete, was sie im Schilde führte.
„Sie mögen die Farbe Blau?“ Sie klang so entsetzt als hätte er eben behauptet, Voldemort wäre Harrys Vater gewesen.
„Ja.“ Er zuckte gelassen mit den Schultern. „Was ist daran so ungewöhnlich?“ Demonstrativ ließ sie ihren Blick über seine schwarze Kleidung schweifen, als sie ihn plötzlich vergnügt schnaufen hörte. „Mit der Wahl der Farbe meiner Kleidung drücke ich nicht meine Vorlieben aus.“
„Nein? Warum tragen Sie dann schwarz?“ Er holte bereits Luft, doch er kam nicht dazu zu antworten, denn sie fügte noch hinzu: „Weil schwarz schlank macht? Haben Sie ja auch so dringend nötig…“ Sie grinste frech.
„Was ist Ihre Lieblingsfarbe?“, wollte er wissen.
„Bunt“, gab sie als nicht ernst zu nehmende Antwort.
„Das ist keine Farbe.“
„Ich habe viele Farben, die ich mag. Gelb zum Beispiel.“
Er rief sich einige Situationen ins Gedächtnis, bevor er – sich seiner Sache sicher – behaupten konnte: „Ich habe Sie noch nie diese Farbe tragen sehen.“
Ein mildes Lächeln schlug sich in ihrem Gesicht nieder, bevor sie beteuerte: „Glauben Sie mir, ich haben schon was Gelbes getragen, als wir zusammen gearbeitet haben.“
Wieder versuchte er sich an so einen Moment zu erinnern, aber er war sich sicher, dass sie keine gelben Kleidungsstücke besaß, jedenfalls keine, die man sehen konnte.
„Ah“, machte er, als er endlich begriffen hatte, bevor er den Mörser in die Hand nahm und ihn sich verlegen betrachtete.
„Ich habe noch ein Geschenk für Sie!“
„Sie brauchen wirklich nicht…“
Sie drückte ihm bereits ein weiteres Päckchen in die Hand, das er nehmen musste, damit es nicht hinunterfallen würde, denn sie ließ bereits wieder los.
„Machen Sie schon auf“, drängelte sie, denn sie wollte wirklich wissen, was er zu dem Gläschen mit dem Graphorn-Pulver sagen würde.
„Ich habe das Gefühl“, er blickte sie an, „dass Sie mehr Freude daran haben als ich.“
„Macht es Ihnen denn gar keinen Spaß?“, fragte sie enttäuscht.
„Ihr Verhalten ist in gewisser Weise unterhaltsam“, gab er zum Besten, womit sich Hermine zufrieden gab.
Nachdem er auch dieses Geschenk ausgepackt hatte und in den Händen hielt, da sagte er ein wenig vorwurfsvoll: „Geben Sie nicht so viele Galleonen aus, Hermine!“
Auf freundliche Art gab sie ihm zu verstehen: „In solche Angelegenheiten lasse ich mir nicht reinreden.“ Den Kopf schräg legend wollte sie wissen: „Können Sie es denn gebrauchen?“
„Was ist das für eine Frage? Natürlich!“
„Gut, ich habe nämlich noch ein Geschenk für…“
„Langsam ist’s genug, meinen Sie nicht?“
„Lassen Sie mir doch meinen Spaß und packen Sie schon aus“, drängelte sie, als sie ihm die andere, in dezentes Papier gewickelte Zutat reichte.
„Nur wenn Sie uns noch etwas Wein einschenken“, bat er, während er bereits das Päckchen öffnete, welches das Fläschchen mit dem Acromantulagift beinhaltete.
Von dem Acromantulagift war er hingerissen, was er nicht verbal zum Ausdruck bringen musste. Seine Mimik sprach für sich.
„Gefällt Ihnen auch, wie ich sehe“, sagte sie zufrieden klingend.
Sich räuspernd erklärte er daraufhin schmunzelnd: „Ist Ihnen die Bedeutung von Acromantulagift als Geschenk bewusst?“ Ihre Stirn schlug Falten und sie schüttelte den Kopf. „Nun, alten Überlieferungen zufolge bedeutet das Verschenken von Acromantulagift, dass man dem Beschenkten“, er blickte sie kühl an, „den Tod wünscht.“
So schnell konnte er gar nicht schauen, wie sie ihm das Fläschchen entrissen hatte und nun hinter ihrem Rücken versteckt hielt.
Er blinzelte ein paar Mal. „Was sollte das?“
„Ich wünsche Ihnen doch nicht den Tod. Das Gift bekommen Sie nicht…“
„Hermine…“
Er hatte sie unterbrechen wollen, doch sie redete einfach weiter: „Hätte ich das gewusst, dann hätte ich niemals…“
„Hermine!“ Jetzt blickte sie auf, die Hände noch immer hinter ihrem Rücken haltend, um das Acromantulagift zu verbergen. Langsam sprechend erklärte er: „Das mit den Bedeutungen verschiedener Zutaten ist genauso ein Unfug wie die ’Blumensprache’ in der Muggelwelt.“
„Blumensprache?“, wiederholte sie verdutzt.
„Das kennen Sie doch sicherlich. Die Akelei, die man einem Schwächling schenkt oder die Klette für zu anhängliche Personen. Eine rote Rose für…“ Innehaltend wandte er erst seinen Blick ab, bevor er nach seinem Weinglas griff und es in zwei Zügen leerte.
„Ach“, sagte Hermine abwinkend, „so ein Aberglaube aber auch.“
„Diese ’Sprache’ hat in der magischen Welt zu vielen Missverständnissen geführt und wird deswegen seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr angewandt, daher…“
Er hielt ihr seine Hand fordernd auf und erwartete sein Geschenk zurück, welches sie ihm nur zögerlich gab und auch nur, indem sie ein weiteres Mal versicherte, dass sie ihre Absichten nicht denen der alten Bedeutung entsprachen.
„Ich hoffe“, begann er, „dass die Schenkungen nun ein Ende gefunden haben. Sie bringen mich langsam in eine unangenehme Situation.“
„Wieso unangenehm?“, fragte sie unschuldig.
„Denken Sie denn, ich wüsste nicht, welche Preise diese Dinge auf dem Markt erzielen?“
Sofort konterte sie, um den Kaufpreis für die Geschenke zu rechtfertigen: „Sie haben mir einen ’Norwegischen Waldkatzen-Knieselmischling’ geschenkt, Severus!“
„Mrs. Figg ist mir mit einem Freundschaftspreis entgegengekommen.“
Einmal tief durchatmend hielt sie ihm vor Augen: „Und Sie glauben, ich würde die ’Freundschaftspreise’ von Arabella nicht kennen?“
„Dann“, er schürzte kurz die Lippen, „sind wir jetzt wohl quitt.“
„Oh, da fällt mir ein, ich habe noch ein Geschenk!“
„Das kann nicht wahr sein“, murmelte er, während er dabei zusah, wie Hermine zwei Gegenstände aus ihrer Tasche zog, die nicht verpackt waren.
Sie hielt ihm zu seinem Erstaunen eine Packung mit einem Schokofrosch und ein Hühnerei entgegen; lächelte dabei bis über beide Ohren.
Die zwei Gegenstände annehmend und betrachtend fragte er einen Moment später ratlos: „Und was soll das darstellen?“
„Es ist ein symbolisches Geschenk, Severus“, gab sie als Hinweis.
Erst jetzt fiel der Knut bei ihm, weswegen er schmunzelnd fragte: „Was soll daraus werden? Ein Basilisk aus massiver Vollmilchschokolade?“
Sie nickte und flunkerte: „Ja, und wenn der einen ansieht, dann zerbröselt man zu Kakaopulver!“
Er fand das symbolische Geschenk amüsant, vor allem aber fand er Gefallen daran, dass sie seine Begeisterung über den toten Basilisken in der Kammer des Schreckens nicht vergessen zu haben schien. Sie war, was ihn betraf, sowieso sehr aufmerksam. Gerade eben schenkte sie ihm, wie er beobachten konnte, noch etwas Wein ein; nicht sich selbst, denn ihr Glas war noch voll.
„Was hat Ihnen von allem am besten gefallen?“, wollte sie neugierig wissen.
Wie aus der Pistole geschossen antwortete er: „Dass ich morgen zu Albus gehen darf und Svelte hinausgeworfen werden wird!“
Sie zog ihren berühmten Schmollmund, von dem Ron einmal gesagt hatte, dass er zum Küssen animieren würde, bevor sie beleidigt tat und sagte: „Das war jetzt nicht nett, Severus.“
„Dann freuen Sie sich selbst nicht darauf?“
„Auf was? Dass Svelte uns eventuell bald verlassen wird, weil es einen schwarz gekleideten Lehrer in diesem Schloss gibt, der gern gegen seine Kollegen intrigiert?“
„Ah, Sie nehmen ihn jetzt auch noch in Schutz. Möglicherweise lag ich mir meiner ersten Vermutung vorhin doch nicht so falsch?“, stichelte er.
Sie knurrte, so dass der dösende Hund kurz seinen Kopf hob, bevor sie mit Severus nicht ernst schimpfte: „Dass Sie mir so etwas unterstellen ist unerhört!“
Er lachte unerwartet auf und griff zu seinem Glas, doch noch trank er nicht, sondern schilderte: „Meine Schüler hatten mir davon berichtet, dass Svelte ihnen einen Stock als einen Bowtruckle vorgeführt hätte.“
„Wirklich? Professor Raue-Pritsche hat damals nicht so einen Unsinn verzapft“, warf Hermine ein. „Sie hatte Hagrid vertreten und ich fand ihren Unterricht ehrlich gesagt ganz wunderbar.“ In Erinnerungen schwelgend ließ sie Severus wissen: „Sie hatte uns auch zutrauliche Einhornfohlen gezeigt.“
Wegen der Erinnerung an den Unterricht von Professor Raue-Pritsche musste Hermine plötzlich auch an den Tag denken, an dem sie mit der Dunklen Magie in Berührung gekommen war. Ein Fohlen hatte sich ihr genähert hatte und alle beschmutzenden Empfindungen waren mit einer Berührung des goldenen Fells wie hinweggefegt.
„Und?“, läutete sie eine weitere Unterhaltung ein. „Wer hat Ihnen alles gratuliert oder etwas geschenkt?“
„Niemand“, antwortete er grummelnd.
„Nein, das glaube ich nicht! Nicht mal Albus?“
„Gut, Albus hat ein paar Worte verloren und mir die Flasche Elfenwein überreicht“, stellte er klar.
„Die, die wir gerade trinken?“, wollte sie wissen und er nickte. „Noch andere aus dem Kollegenkreis?“
Erneut nickte Severus. „Poppy händigte mir eine uralte Fibel über Zaubertränke aus; eher ein Sammlerobjekt als etwas Nützliches.“
Unerwartet stand er auf, um besagte Objekt zu holen, damit sie es sich ansehen konnte.
Die alte Fibel betrachtend sagte Hermine begeistert: „Das ist ja alles mit der Hand verfasst, selbst die Zeichnungen.“
„Poppy sagte, es wäre eines der ersten Schulbücher, die in Hogwarts für Zaubertränke benutzt worden waren. Nur eines der Bücher und zwar jenes, welches Sie gerade in den Händen halten, wurde persönlich verfasst, bevor der Inhalt per Zauber auf andere Bücher kopiert wurde.“
„Das ist ein Stückchen Geschichte“, sagte sie begeistert vor sich her, während ihre Finger die alten Seiten berührten. „Ein wirklich originelles Geschenk“, gab sie zu. Nachdem sie ihm die Fibel zurückgegeben hatte, nahm sie ihr Weinglas, fragte jedoch vor einem Schluck noch: „Und die anderen? Ich denke nicht, dass Harry oder Draco Ihren Geburtstag vergessen haben.“
„Sie behalten Recht, denn unerwartet kam kurz vor Ihrem unangekündigten Besuch eine Eule mit einem kleinen Päckchen von den Malfoys.“
Aus einem Schränkchen holte er eine Kiste, ähnlich groß wie die Kiste mit dem Tagtraumzauber, die er auf den Tisch stellte, bevor auch er wieder Platz nahm. Mit Hilfe seines Zauberstabes öffnete er die Verpackung und ließ einen glitzernden Gegenstand hinausschweben. Gerade streckte Hermine ihre Hand nach dem Objekt aus, da schlug er ihr auf die Finger; nicht sehr kräftig, aber trotzdem maßregelnd. Mit der anderen Hand umfasste sie schützend ihre Finger, bevor sie ihn entgeistert anschaute.
„Na hören Sie mal“, ermahnte sie ihn erstaunt.
„Um sich etwas anzusehen“, begann er mit lehrerhafter Stimme, „bedarf es keiner Hände! Auf dem Apfel befindet sich keine Brailleschrift, also müssen Sie auch nicht hinlangen.“
„Sie hätten es auch sagen können.“ Demonstrativ rieb sie ihre Finger, die sich längst erholt hatten.
„Das hätte auch zu spät sein können. Wissen Sie, was geschehen würde, sollte jemand dieses antike Stück berühren?“ Weil sie den Kopf schüttelte, erklärte er: „Ein schwarzmagischer Fluch liegt auf diesem Objekt, der jeden, der mit ihm in Kontakt gekommen ist, verwirrt und aufwühlt. Panik würde sich in einem Menschen ausbreiten und Argwohn seinen Mitmenschen gegenüber. In allem und jedem würde man bösartige Machenschaften gegen die eigene Person vermuten und man würde gegen diese vermeintlichen Intrigen anzukämpfen versuchen.“ Er blickte sie mit lebendigen Augen an.
„Und so was finden Sie toll?“
„Mich interessiert der Fluch“, verteidigte er sich. „Ich will herausfinden, ob es sich um einen eigenständigen handelt oder ob er eine Kombination aus bekannten Flüchen darstellt. Es wäre interessant zu erfahren, ob man den Fluch nur über ein Objekt legen oder auch direkt an Personen anwenden kann und natürlich auch, ob und wie man ihn brechen könnte.“
„Passen Sie bloß auf“, schäkerte Hermine, „dass dieses Objekt nicht mal versehentlich an den Mann gerät. Stellen Sie sich vor, Sie würden ihn im Ministerium liegen lassen…“
„Das würde dort wohl kaum etwas an der bereits herrschenden Atmosphäre ändern, Hermine, denn Intrigen können die Angestellten des Ministeriums auch ganz gut ohne Hilfe eines Zankapfels spinnen“, erklärte er sehr nüchtern, doch sie wusste, dass er damit gar nicht so falsch lag.
Sie beäugte den goldenen Apfel und sagte: „Ich finde, dass er etwas auffällig ist. Wäre es nicht viel günstiger, einen dezenten Gegenstand zu wählen, der nicht so viel Aufsehen erregt?“
„Nein, der Gegenstand ist meines Erachtens perfekt gewählt. Er ist ungewöhnlich und schön anzusehen. Kaum jemand wird sich zurückhalten können, ihn berühren zu wollen.“ Er schenkte ihr ein halbseitiges Lächeln, bevor er fortfuhr: „Wie Sie es ja netterweise demonstriert hatten.“
Ihr Weinglas auf den Tisch stellend bückte sie sich und zog sich ungefragt die Schuhe aus. Aufgrund seines entgeisterten Gesichtsausdrucks erklärte sie: „Sie haben gesagt, ich soll mich wie in meinen eigenen vier Wänden fühlen.“
„Wie Sie meinen“, murmelte er.
„Noch jemand, der Ihnen gratuliert hat?“
„Ich sagte doch, dass niemand…“ Mit einem Male hielt er inne, als er seine eigenen Worte überdachte. Hermine brachte es auf den Punkt.
„’Niemand’ hat Ihnen bisher aber reichlich was geschenkt“, witzelte sie grinsend. „Harry?“
Sich den heutigen Morgen ins Gedächtnis rufend nickte er und antwortete: „Ein Buch, welches ich glücklicherweise noch nicht hatte.“
„Mmmh“, machte sie wissentlich, denn sie hatte ihm diesen Geschenketipp gegeben. „Minerva?“
„Feuerwhisky.“
„Und etwas von Remus?“, fragte sie.
Hier schüttelte er den Kopf, was sie sehr verwunderte, doch bevor sie sich dazu äußern konnte, klopfte es. Severus machte keine Anstalten, den Gast einzulassen.
„Ja, wollen Sie denn nicht sehen, wer da an der Tür ist?“, fragte sie perplex.
„Nein, wenn es jemand ist, der anklopfen muss, dann kann es sich nur um jemanden handeln, den ich nicht sehen möchte.“
Es klopfte erneut, diesmal etwas lauter.
„Severus…“
„Dann öffnen Sie doch“, fuhr er sie an und griff gleich darauf zu seinem Weinglas, um Gleichgültigkeit vorzugaukeln.
Die Tür hatte sie nicht per Zauber geöffnet, sondern sie war extra aufgestanden, denn wer immer vor der Tür stand, der sollte nicht einfach hineinkommen dürfen; es waren immerhin Severus’ Räumlichkeiten.
„Herm…“ Ein paar mal verdattert blinzelnd, als würde er seinen Augen kaum trauen, schluckte Remus und versuchte es noch einmal: „Hermine, mit dir hab ich ja gar nicht gerechnet.“
„Remus, komm doch rein“, bat sie. Das brummende Geräusch im Hintergrund ignorierte sie gekonnt.
Kaum hatte Remus den Tränkemeister erblickt, setzte er bereits an, seine Glückwünsche kundzutun, doch Severus unterbrach: „Genug!“
„Nun gut“, sagte Remus nur wenig gekränkt. „Dann alles Gute und hier…“
Er hielt Severus ein Geschenk entgegen, doch der sagte nur trocken: „Ich nehme keine Geschenke an, Lupin.“
Im ersten Moment schien Remus vor den Kopf gestoßen, doch dann ließ er seinen Blick über den Tisch schweifen und Severus tat es ihm gleich. Dort lag die alte Fibel, der goldene Apfel, das Glas mit dem Pulver, das Fläschchen Gift, der Tagtraum, der Schokofrosch – Remus stutzte bei dem Hühnerei – und auf dem Boden fand sich eine Menge zerknülltes Geschenkpapier wieder.
„Ah ja“, machte Remus belustigt, „du nimmst keine Geschenke an.“
„Sie werden mir aufgezwungen!“, rechtfertigte sich Severus, was Remus zum Anlass nahm, dem auf der Couch sitzenden Tränkemeister einfach das Geschenk entgegenzuwerfen.
Hermine und Remus nahmen ein Gemurmel wahr, aus dem man die Worte „aufdringliche Gryffindors“ heraushören konnte, doch zumindest hatte Severus seinen Stolz überwunden, denn er öffnete das neue Präsent.
Wie Hermine es erwartet hatte, handelte es sich um etwas Süßes, was auch Severus unbedingt anmerken musste, denn er sagte spöttelnd: „Wie überraschend: Schokolade.“
„Nicht nur irgendwelche“, sagte Remus selbstzufrieden. „Die Trüffelpralinen sind selbst gemacht.“
„Selbst gemacht?“ Severus zog beide Augenbrauen in die Höhe, bevor er wissen wollte: „Woher kann sich jemand mit Ihrem ’Einkommen’ echte Trüffel leisten?“
„Ich habe sie von Hagrid und er hat sie von Olympe“, erklärte Remus, bevor sein Blick auf die angebrochene Flasche auf dem Tisch fiel und er vom Thema abkam. „Oh, Elfenwein?“
„Möchtest du einen Schluck?“, bot Hermine einfach an.
„Ja gern.“
Severus rollte mit den Augen, hörte jedoch aufmerksam zu, als Remus schilderte: „Hagrid mag keine Trüffel. Er sagte, wenn keines seiner Tiere sie fressen will, dann könnten sie gar nicht so gut sein wie alle behaupten.“
„Hagrid ist ja auch ein großer…“
Severus’ vermutlich beleidigende Worte unterbrach Hermine. „Ich weiß von Gabrielle, dass Olympe zur Entspannung gern mal durch die Wälder von Périgord spaziert und nebenbei nach Trüffeln sucht. Ist ja momentan auch die beste Erntezeit.“
Man hörte Severus laut stöhnen. „Bevor Sie sich in einem Monolog über unterirdisch wachsende Pilze verlieren“, Hermine verengte ihre Augenlider, musste dennoch grinsen, „möchte ich Ihnen gern eine Praline anbieten.“
Erstaunt zog sie dieses Mal beide Augenbrauen in die Höhe, während sie dabei zusah, wie Severus die durchsichtige Verpackung öffnete und ihr entgegenhielt.
Sich eine Praline aus der Tüte fischend sagte sie: „Womit verdiene ich diese Ehre?“
Erst nachdem sie die Praline in den Mund gesteckt hatte, erklärte Severus schäkernd: „Diese Ehre gebührt jedem Vorkoster.“
Da man mit vollem Mund nicht sprach, verkniff sich Hermine einen Kommentar, stöhnte jedoch wonnig, nachdem sich der Geschmack entfaltet hatte.
„Habt ihr das von Svelte gehört?“, fragte Remus plötzlich völlig unerwartet und Hermine war froh, dass sie bereits geschluckt hatte. Ein zufriedenes Lächeln zeichnete in Severus’ Gesicht ab, welches Remus auf die falsche Fährte lockte. „Das warst doch nicht etwa du?“
„Nein, dieses Meisterwerk drastischer Zurechtweisung entspringt leider nicht meinem Zauberstab.“
Remus nickte und glaubte Severus offensichtlich, denn ohne nachzufragen erzählte er: „Poppy hatte mich gefragt, ob ich einen aufhebenden Spruch kennen würde, weil ich immerhin mal Lehrer für Verteidigung war.“
„Und was haben Sie entgegnet?“
Grinsend antwortete Remus: „Ich sagte, sie sollte lieber dich fragen, aber offenbar hat sie das schon.“
„Ich gebe zu“, begann Severus, „dass ich ihr sehr wahrscheinlich auch keinen Gegenfluch genannt hätte, selbst wenn mir einer bekannt wäre.“
„Ist er so schlimm?“, fragte Remus schmunzelnd.
Nickend zählte Severus auf: „Die Eitelkeit von Black, die Dummheit von Pettigrew und das freche Auftreten von Potter. Svelte vereint wirklich eine sehr unangenehme Mischung an schlechten Eigenschaften.“
„Was denn“, warf Hermine ein, „nichts von Remus dabei?“
Er blickte sie an und zuckte einmal mit den Schultern, bevor er fragte: „Was schlagen Sie vor, Hermine? Vielleicht die ’triebhaften, animalischen Instinkte’?“
Hermine wurde knallrot, weswegen Remus sie erheitert fragte: „Das warst doch nicht etwa du?“ Unerwartet, damit hatte selbst Severus nicht gerechnet, lachte Remus auf, bevor er erklärte: „Ich bin ehrlich gesagt von Ginny ausgegangen. Den Fluch kenne ich nämlich von ihr.“
„Sie kennen den Fluch?“, wiederholte Severus. „Warum haben Sie dann Poppy nicht den Gegenfluch genannt?“
Loyal wie Remus war erwiderte er: „Ich mische mich doch nicht in Ginnys Angelegenheiten, das wäre eher Harrys Aufgabe. Ich dachte, wenn sie Svelte so schlimm verhext, dann wird das schon einen Grund…“
Das amüsierte Lächeln verschwand aus Remus’ Gesicht, als er Hermine betrachtete, die sich bei dem Thema unwohl zu fühlen schien. Wenn es nicht Ginny gewesen war, dachte er, dann musste Hermine einen triftigen Grund gehabt haben.
„Ist alles in Ordnung mir dir, Hermine?“, fragte er sie mit milder und besorgter Stimme.
Es war Severus, der an ihrer Stelle antwortete: „Sie macht jedenfalls einen guten Eindruck auf mich und außerdem wird Svelte uns morgen ganz sicher verlassen.“
„Wird er?“, fragte Remus irritiert nach, denn er konnte nicht ganz folgen.
„Wird er!“, versicherte Severus, womit das Thema „Svelte“ fallengelassen wurde.
Nach einem Moment, den Remus mit einem Schluck Elfenwein verstreichen ließ, sagte er: „Tonks hat mich darüber unterrichtet, dass alle im Ministerium schon ganz aufgeregt sind wegen Malfoys Verhandlung am Montag. Die Presse fragt schon täglich nach Informationen.“
Nickend bestätigte Severus: „Malfoys Verhandlung wird in aller Munde sein, hat sie erst einmal begonnen. Jeder kennt ihn und zwar schon aus Zeiten vor der Rückkehr des Dunklen Lords.“
„Ich hoffe“, begann Hermine, „er bekommt seine gerechte Strafe.“ Einerseits würde sie für Draco – nur für ihn – wünschen, dass der seinen Vater bald sehen könnte, doch ihr Gerechtigkeitssinn plädierte für einen langen Aufenthalt Askaban.
Der Abend verlief gemütlich. Man vertrieb sich die Zeit mit netten Unterhaltungen oder frechen Bemerkungen, die zu Remus’ Belustigung nicht nur von Severus kamen. Die vorangeschrittene Uhrzeit animierte beide Gäste nach einigen Stunden zum Gehen. Obwohl nicht nur Hermine, sondern auch Remus ihn unangekündigt aufgesucht und ihm Geschenke aufgedrückt hatten, erwischte sich Severus beim Zu-Bett-Gehen dabei, wie sehr er es bedauerte, dass der Abend bereits ein Ende gefunden hatte.
Am nächsten Morgen hatte Severus es geschafft, den Grund aus Hermine herauszukitzeln, weswegen sie Svelte überhaupt verhext hatte, auch wenn es ihr sichtlich unangenehm war, mit ihm darüber zu sprechen. Severus selbst hätte ihre gestrige Aussage „gegen meinen Willen“ völlig gereicht, doch Albus würde Genaueres erfahren wollen. Den Direktor hatte er während des Frühstücks vorgewarnt, dass er im Laufe des Vormittags das Gespräch mit ihm suchen würde und die ganze Zeit über, in der Severus sich bereits seine Rede zurechtlegte, genoss er das Gefühl des vorzeitigen Triumphs endlich jemanden loswerden zu können, den er auf den Tod nicht ausstehen konnte. Während seiner eigenen Schulzeit war es ihm nie gelungen dafür zu sorgen, gewisse Mitschüler der Schule verweisen zu lassen und später, als er Lehrer war, hatte Harry es immer wieder geschafft, sich seinen Platz in Hogwarts zu sichern, doch Svelte würde sich nicht halten können.
Enthusiastisch machte sich Severus auf den Weg zu Albus’ Büro, doch als er Remus und Minerva erblickte, die sich beide mit Albus ganz offensichtlich zum Tee verabredet hatten, schien er sein Vorhaben verschieben zu müssen.
„Severus“, grüßte Albus. „Tritt ein, mein Guter. Vielleicht darf es auch eine Tasse Tee sein?“
„Albus, ich möchte mit dir unter vier Augen…“
Minerva fiel ihm ins Wort: „Dann kommen Sie später wieder, wir haben es gerade sehr gemütlich.“
Ein rettender Einwurf, den Severus sehr begrüßte, kam von Remus, denn der sagte: „Ich glaube, es handelt sich um etwas Wichtiges, Minerva.“
Über seine Halbmondbrille hinweg blickte der Direktor ihn an und fragte: „Um was geht es, Severus? Etwas Privates?“
„Nein, es betrifft das Kollegium“, erwiderte Severus.
„Dann brauchen wir uns nicht zurückzuziehen“, sagte der Direktor fest entschlossen. „Nimm doch Platz, Severus.“ Albus setzte sich bereits wieder, doch Severus blieb verdattert stehen, so dass Albus versicherte: „Remus als ehemaliger Lehrer wird über alles, was er während unsere Gesprächs erfährt, natürlich Stillschweigen bewahren.“
„Natürlich“, bestätigte Remus.
Seine zurechtgelegte Rede war dahin, denn Severus hatte nicht geahnt, sie vor Publikum halten zu müssen.
„Also?“, forderte Albus ihn auf.
„Es…“ Improvisation war angesagt. „Es geht um Professor Svelte.“
„Ah“, machte Albus, während die anderen beiden nur zuhörten und sich nicht einmischten. „Was ist mit Professor Svelte?“ Scherzend vermutete Albus: „Oder kommen nun nachträglich deine bereuenden Worte und das Geständnis, für seinen momentanen Zustand verantwortlich zu sein?“
Durch zusammengekniffene Zähne zischte Severus: „Er hat verdient, was ihm widerfahren ist!“
„Hat er das? Dann erleuchte mich. Weswegen bist du hier?“
„Ich verlange, dass du ihm fristlos kündigst!“ Severus klang sehr fordernd.
Völlig gelassen nahm Albus eine frisch gefüllte Teetasse von Minerva entgegen, bevor er, während er das heiße Getränk bedächtig umrührte, fragte: „Und der Grund?“
„Er verhält sich…“ Er suchte nach angemessenen Worten, denn immerhin saß Minerva hier, vor der er nicht ausfallend werden wollte. „Er verhält sich dem Kollegium gegenüber nicht sittsam.“
Hier blickte Minerva auf und wagte es, in sein Gespräch mit Albus einzugreifen, denn sie sagte: „Bisher war er besonders den Damen gegenüber immer sehr höflich.“
„Vielleicht aber auch nur“, knurrte Severus gereizt, „weil gewisse Damen sich nicht mehr unbedingt in seinem Alter befinden?“
„Willst du damit sagen“, fragte Albus erstaunt, „dass es einen Übergriff gegeben haben soll?“ Der Direktor brauchte gar nicht lange nachzudenken, denn die meisten angestellten Damen waren bereits im vorangeschrittenen Alter. Die jüngsten Mitglieder im Kollegium waren Harry, Neville, Valentinus, Severus und…
„Doch nicht Hermine?“
„Doch, Albus. Er hat sich ihr aufgedrängt und es obliegt meiner Pflicht, mich für meine Schülerin einzusetzen. Ich fordere die sofortige Entlassung dieses Kollegen!“
Der schockierte Blick Minervas war Severus nicht entgangen, doch sie behielt dieses Mal sämtliche Kommentare für sich.
„Was, wenn ich fragen darf, hat Professor Svelte getan?“, wollte Albus erfahren. „Du wirst sicherlich verstehen, dass es schon einen Grund geben muss, mit dem ich so einen Schritt rechtfertigen kann.“
„Er hat sich ihr körperlich genähert“, sagte Severus und hoffte dabei innig, dass diese Erklärung genügen würde, doch Albus war anderer Ansicht.
„Es ist eine Sache, jemandem eine Hand auf die Schulter zu legen oder gar durchs Haar zu streichen, in diesem Sinne brauche ich mehr…“
„Geküsst“, warf Severus schnell gesprochen ein und er hörte, wie Minerva erschrocken Luft holte. „Gegen ihren Willen, Albus!“
„Ich…“ Der Direktor schien genauso verlegen wie Minerva und Remus, denn so einen Vorfall hatte es in Hogwarts noch nie gegeben. „Warum hat Hermine es nicht gemeldet?“
„Warum wohl? Weil es ihr unangenehm ist!“
„Ich…“ Zum zweiten Male fehlten Albus die Worte.
Unerwartet hörte man eine weibliche Stimme aus einem der Gemälde. Die ehemalige Schuldirektorin Dilys Derwent, deren lange silberne Ringellöckchen üppig über ihre Brust fielen, hatte sich zu Wort gemeldet.
„Ich habe dir gesagt, Albus, dass dieser Svelte nichts taugt.“
„Aber ich hatte so schnell niemand anderen für das Fach finden können“, murmelte Albus. „Und wenn ich ihn kündige, werden die Schüler am Montag ohne Lehrer für die Pflege magischer Geschöpfe dastehen.“ Er seufzte: „Ich denke, ich werde wohl selbst einspringen müssen.“
„Dann kommst du meinem Ersuch wirklich nach?“, fragte Severus erstaunt, bevor er dem seit gestern Abend stetig wachsenden Triumphgefühl gestatten wollte, sich gänzlich zu entfalten.
„Natürlich, Severus. Es gibt Dinge, die man nicht dulden darf. Es wird jedoch an Hermine liegen, ihn eventuell der Magisches Strafverfolgungspatrouille zu melden.“
Die gute Laune, die in Severus aufgestiegen war, machte es ihm schwer, sehr schwer, seine Freude nach außen hin zu unterdrücken, doch er schaffte es, seine ernste Miene beizubehalten.
„Ich werde beim Ministerium anfragen“, sagte Albus bedrückt. „Vielleicht können die einen Lehrer empfehlen.“
„Wozu die Mühe?“, fragte Severus ein wenig zu euphorisch. „Nimm doch Lupin“, er deutete einmal lax auf Remus, „der kennt sich sicherlich mit Tieren aus; ist ja immerhin selbst eines.“
Minervas Schwall der Empörung wurde im Keim erstickt, als Remus laut zu lachen begann.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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163 Vergebene Liebesmüh
In einem fensterlosen muffigen Büro hockte Sid Duvall über der dicken Akte „Malfoy“. Er hatte eine Unstimmigkeit entdeckt, die ihm den letzten Nerv zu rauben schien. Die Worte von Miss Amabilis – Schwester Marie – klangen ihm in den Ohren, während er in den Unterlagen nach einem Beweis für ihre Aussage suchte, denn sie hatte behauptet: „Mr. Malfoy hatte einmal Besuch vom Minister persönlich und von Mr. Shacklebolt erhalten und danach war er so aufgebracht gewesen…“
Dieser Besuch hatte laut Unterlagen nie stattgefunden und genau das machte Sid, den Beistand von Mr. Malfoy, unruhig. Wenn eine magische Institution Wert darauf legte, ihre Arbeit akribisch auf Pergament festzuhalten, dann war es das Ministerium.
Nervös blätterte er in der Akte umher, doch Minister Weasley hatte Mr. Malfoy nicht ein einziges Mal im Mungos aufgesucht; jedenfalls gab es darüber keinen Bericht. Eine Stellungnahme zu dem Verhör, denn warum sonst sollten diese beiden Herren den Gefangenen aufgesucht haben, war jedenfalls nicht für die Nachwelt festgehalten worden.
Mit einem Male wurde seine Tür aufgerissen und Sid zuckte erschrocken zusammen.
„Wie wäre es mit anklopfen?“, fragte er seinen Kollegen missgelaunt.
Der grinste nur fies, näherte sich ihm und warf ihm eine dicke Mappe auf den Schreibtisch, ohne auf das Tintenfass zu achten, welches angestoßen wurde und die Tinte überschwappen ließ, bevor er arrogant erwiderte: „Zwing mich.“
Auf die Mappe deutend fragte Sid den verhassten Kollegen: „Was soll das?“ Ihm wurde ein Blick geschenkt, der ihm sagen sollte, dass er für dumm gehalten wurde.
„Was soll das schon sein? Das ist Arbeit!“
„Ich habe genügend Arbeit“, beschwerte sich Sid, der es nicht leiden konnte, auf diese Weise behandelt zu werden.
Die Akte auf Sids Schreibtisch bemerkend riet ihm der Kollege mit selbstgefälligem Grinsen: „An deiner Stelle würde ich mich da nicht so reinknien.“
Ebenfalls kurz auf Malfoys Akte blickend fragte Sid skeptisch: „Ach ja? Und warum nicht?“
„Es könnte dich den Job kosten.“ Der Kollege schien sich darüber auch noch zu freuen.
Sid schnaufte wütend. „Wäre euch allen wohl sehr recht.“
„Und wie!“
Ohne eine Verabschiedung verließ der Kollege sein Büro. Sid legte eine Hand auf seine Stirn, um sich zu beruhigen, bevor er seinen Zauberstab zur Hand nahm, um den Schreibtisch von der Tinte zu befreien. Auch wenn ihm manchmal der Kontakt zu anderen Menschen fehlte, war er zumindest jetzt sehr froh, dass man ihn aus dem größeren Büro, welches er mit fünf anderen Mitarbeitern geteilt hatte, in dieses kleinere versetzt hatte. Man würde ihn für unkollegial halten, hatte man ihm kurz vorher an den Kopf geworfen. Seine Kollegen hatten ihn loswerden wollen, weil er sie ständig auf Kleinigkeiten aufmerksam gemacht hatte, die sie dann und wann bei ihrer Arbeit vernachlässigten. Die Vergeltung folgte sofort in Form dieses beengenden Büros, doch zumindest hatte er das ganz für sich allein; wenigstens die meiste Zeit über.
Den Inhalt der Mappe, die der Kollege gebracht hatte, betrachtete er mit zusammengezogenen Augenbrauen.
„Was habe ich denn mit dem Koboldverbindungsbüro zu tun?“, murmelte er. „Ich komme mit den Kobolden doch überhaupt nicht gut aus!“
Damit hatte sich auch schon eine Antwort gefunden, denn man wusste, dass er mit der oftmals schroffen Art der Kobolde Probleme hatte und das war der Grund, warum man ihm, der momentan Arbeiten aus allen möglichen Bereichen erledigen sollte, diesen Fall überlassen hatte. Es war vorhersehbar, dass er versagen würde, sollte er sich mit den Mitarbeitern von Gringotts verständigen. Die Kobold-Akte ließ er in seinem Posteingang verschwinden, um sie später – wenn er nach Malfoys Verhandlung überhaupt noch im Dienste des Ministeriums stehen würde – zu bearbeiten.
Die Frage, warum Minister Weasley und Mr. Shacklebolt den Gefangenen im Mungos besucht hatten, konnte nur Mr. Malfoy selbst beantworten und da die Verhandlung in wenigen Tagen beginnen sollte, musste er schnell handeln.
Pflichtbewusst meldete er sich bei seinem Vorgesetzten ab, der sich zunächst querstellen wollte, doch als Sid begonnen hatte, verschiedene Auszüge aus Arbeitsanordnungen zu zitieren, die seinen Besuch im Mungos rechtfertigten, winkte der Mann ihn ab, wenn auch sichtlich missgestimmt.
Kaum hatte Sid die entsprechende Station des Krankenhauses erreicht, wurde ihm auch schon von dem Wachmann geöffnet. Schwester Marie huschte über den Gang; genauso schnell wie das Lächeln über sein Gesicht.
Sie hatte ihn noch nicht bemerkt und richtete gerade einige Dinge auf einem Rollwagen an, da grüßte er mit sanfter Stimme: „Miss Amabilis, einen wunderschönen guten Tag.“ Schwester Marie hatte sich umgedreht und da sie sich eine Hand an die Brust hielt, fügte er hinzu: „Entschuldigen Sie vielmals, wenn ich Sie erschreckt haben sollte.“
„Mr. Duvall“, sie hielt ihm die Hand entgegen, die er sofort ergriff. „Ihnen auch einen guten Tag. Ich hatte mit niemandem gerechnet. Momentan ist keine Besuchszeit, aber die gilt für Sie ja sowieso nicht.“
„Wäre es wohl möglich, ein Wort mit Mr. Malfoy zu wechseln?“
„Natürlich, er ist gerade mit dem Mittagessen fertig. Normalerweise liest er jetzt ein wenig, aber ich werde ihn darüber informieren, dass Sie da sind.“
Nach einem schüchternen Lächeln ihrerseits ging sie den Gang hinunter und verschwand hinter einer Tür. Sid schlenderte derweil langsam auf das Krankenzimmer zu und kam gerade vor der Tür an, als Schwester Marie wieder hinaustrat und ihm mit einer Geste deutlich machte, dass er eintreten durfte.
„Mr. Duvall, noch immer erpicht darauf, mich während meiner Verhandlung zu vertreten?“, hörte Sid die arrogante Stimme seines Schützlings sagen.
„Nein“, war seine knappe, aber ehrliche Antwort, die Lucius sichtlich verdutzte. „’Erpicht’ bin ich keinesfalls darauf, Mr. Malfoy.“
Die Nase rümpfend fragte Lucius von oben heran: „Ja, warum um Himmels Willen belästigen Sie mich dann?“
„Ganz einfach, weil ich muss.“ Sid reichte seinem „Klienten wider Willen“ die Hand, die offensichtlich nur höflichkeitshalber geschüttelt wurde.
Ganz richtig vermutete Lucius mit einem fiesen Grinsen, das sein sonst so hübsches Gesicht auf groteske Art entstellte: „Man will Sie doch nicht etwa loswerden?“
„Ich befürchte genau das“, erwiderte Sid aufrichtig.
„Warum? Arbeiten Sie nicht gründlich genug?“ Lucius vermutete, dass man ihm einen Beistand gewährte, von dem man wusste, dass er stümperhafte Leistungen vollbringen würde.
„In diesem Punkt liegen Sie falsch. Ich arbeite sogar sehr gründlich; zu gründlich, um genau zu sein und das ist auch der Grund, warum ich Sie aufsuche, Mr. Malfoy. Wenn Sie so gütig wären Platz zu nehmen?“ Sid deutete mit einer Hand auf den kleinen Tisch mit den zwei Stühlen.
Gelangweilt stimmte Lucius zu. „Meinetwegen… Weswegen sind Sie hier?“
Nachdem auch Sid sich gesetzt hatte, erklärte er: „Es gibt da eine Abweichung bezüglich Ihrer Akte und der Aussage einer Dame, die ich vernommen habe.“
„Welche Dame?“
„Die Krankenschwester, die sich um Sie kümmert“, erwiderte Sid.
Sofort fiel Lucius der Tag ein, an dem Schwester Marie ihn darüber informiert hatte, dass sein Beistand – jener Mr. Duvall, der ihm gerade gegenübersaß – das Gespräch mit ihr gesucht hatte.
„Klären Sie mich auf, Mr. Duvall.“
„Nun, Schwester Marie hatte einmal erwähnt, dass Minister Weasley und Mr. Shacklebolt Sie aufgesucht hatten. Sie sagte, nach dem Besuch wären Sie sehr verärgert gewesen?“ Am Ende des Satzes hatte er die Stimme leicht angehoben, um Maries Aussage nun als Frage zu stellen.
„Ja, da behält die Gute Recht. Es war ein“, Lucius suchte nach einem passenden Wort, um nicht krude zu klingen, „überaus unangenehmes Erlebnis.“
„Inwiefern unangenehm?“, wollte Sid wissen.
„Zunächst einmal hatte man keine Rücksicht darauf genommen, dass ich gerade erst von meiner Behandlung zurückgekommen war, die immer äußerst schmerzhaft waren. Ich war benommen, konnte noch immer nichts sehen und wurde in diesem Zustand ’verhört’.“
Der Tonfall war Sid nicht entgangen. „Warum lassen Sie es so klingen, als hätte es sich nicht um ein Verhör gehandelt?“
Anstatt zu antworten fragte Lucius selbstgefällig: „Klären Sie mich lieber darüber auf, welche Abweichungen Sie gefunden haben wollen!“
„Der Besuch der beiden Männer ist nicht in Ihrer Akte vermerkt worden. Das ist die Unstimmigkeit, über die ich gestolpert bin.“
„Ah“, machte Lucius erleuchtet. „Das ist kein Wunder, wenn Sie mich fragen. Das bestätigt mir nur meinen Verdacht.“
„Welchen Verdacht, Mr. Malfoy?“
„Dass mir einer der beiden Veritaserum ins Glas getan hat, was ich natürlich nicht sehen konnte.“
Sid hob beide Augenbrauen und forderte Lucius dazu auf: „Schildern Sie mir doch bitte, was Sie über diesen Tag noch wissen.“
„Es war abends gewesen, direkt nach meiner Behandlung. Ich war schon soweit, mich zur Nachtruhe zu begeben, da führte Marie die beiden Herren ins Zimmer. Sie bestanden auf eine Unterredung. Ich war so schwach“, Lucius stellte sich selbst gern als Opfer dar, „dass Marie mir an den Tisch helfen musste. Nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, wollte ich einen Schluck Wasser nehmen. Sie müssen wissen, Mr. Duvall, dass Marie mir das Glas immer auf dieselbe Stelle auf den Tisch stellte und so war es auch dieses Mal gewesen, das hatte ich hören können. Das Glas war jedoch nicht da, als ich danach greifen wollte. Ich musste erst um ein Schluck Wasser bitte und einer der beiden Herren reichte es mir.“
Für Sid war es eindeutig, dass man seinem Gegenüber damals etwas ins Getränk getan haben musste, denn es gab keinen anderen Grund, mit dem Glas eines Patienten zu hantieren.
„Was ist geschehen, nachdem Sie getrunken hatten?“
„Nun, es war Mr. Shacklebolt gewesen, der mich darüber unterrichtet hatte, dass ich nach nur zwei Fragen, die ich beantworten sollte, auch schon wieder in Ruhe gelassen werden würde.“ Lucius legte den Kopf schräg. „Das ist sehr eindeutig, finden Sie nicht?“
„Ja, das finde ich durchaus. Würden Sie mir sagen, welche Fragen man Ihnen gestellt hatte?“
„Das waren zwei Fragen über eine Muggelbande, derer man nicht Herr werden konnte. Offenbar wollte man die Informationen, die ich gegen einen geringen Hafterlass durchaus bereit war zu geben, lieber auf unkomplizierte Weise erlangen.“
Sid hatte genau zugehört, bevor er bestätigt haben wollte: „Sie verhandeln mit dem Ministerium?“
„Nach diesem Vorfall nicht mehr. Es liegt doch auf der Hand, dass man mir nicht mehr die Möglichkeit einräumen wollte, auf übliche Art meine Verurteilung zu mildern. Sie wissen ja sicherlich, Mr. Duvall, dass es Gang und Gäbe des Ministeriums ist, mit Haftinsassen zu handeln, sollte man somit an nützliche Informationen kommen. Es gab in der Vergangenheit nicht wenige Gefangene, die Askaban auf diese Weise entkommen konnten.“
Sofort musste Sid an seinen damaligen Schuldirektor Igor Karkaroff denken.
„Ich konnte bisher wenigstens auf sieben Jahre hinunterhandeln, doch ich denke, die meisten möchten mich wohl bevorzugt lebenslänglich hinter Gittern sehen. Deswegen hat man sich nicht mehr bemüht, mit mir zu verhandeln.“
„Was ist danach geschehen?“
„Ich habe beide damit konfrontiert; habe Ihnen an den Kopf geworfen, dass sie mir Veritaserum gegeben haben, doch sie hatten sich nicht dazu geäußert.“ Misstrauisch kniff Lucius die Augenlider zusammen, bevor er wissen wollte: „Was genau haben Sie vor, Mr. Duvall?“
„Ich denke, dass ich Ihnen mit dieser Information wenigstens noch zwei Jahre Hafterlass zugute kommen lassen kann.“
Bedrohlich leise sagte Lucius: „Das, Mr. Duvall, ist sehr dünnes Eis, auf dem Sie sich bewegen, sollten Sie in dieser Richtung irgendetwas unternehmen.“
„Ich denke…“
„Nein, das tun Sie offensichtlich nicht! Ich möchte nicht, dass Sie mir dazwischenfunken!“ Natürlich erwähnte er nichts Genaues.
„Ich verstehe nicht, Mr. Malfoy. Es ist doch eindeutig!“
Lucius zischte durch zusammengebissene Zähne, als er verlangte: „Halten Sie sich da raus! Ich habe keine Beweise, dass man mir Veritaserum gegeben hat, selbst wenn einiges dafür spricht, doch nur aufgrund von scheinbar haltlosen Beschuldigungen eines Gefangenen wird man den Minister nicht belangen. Was meinen Sie, warum ich nicht längst eine Beschwerde eingereicht habe? In den Augen des Gamots lässt meine Glaubwürdigkeit leider zu wünschen übrig und meine Erinnerung an diesen Moment taugt nichts, denn sie ist schwarz. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch rein gar nichts sehen.“
Einen Moment lang überlegte Sid, was er tun könnte. Die Erinnerungen seines Klienten waren wertlos und würden vorm Gamot nicht als Beweis anerkannt werden. Zudem war es fraglich, ob man den Vorwurf eines Häftlings gegen den Minister ernst nehmen und ihm nachgehen würde.
„Haben Sie noch eine andere Erinnerung an diesen Vorfall, die vielleicht wichtig sein könnte?“ Zunächst schüttelte Lucius den Kopf, doch dann fiel ihm noch eine einzige Sache ein.
„Da war das Geräusch einer Feder.“
„Man hat Ihre Aussage mitgeschrieben?“, fragte Sid erstaunt nach.
„Was habe ich denn eben gesagt?“ Seinen Beistand schien Lucius nicht für sehr helle zu halten.
„Ich werde versuchen…“
„Sie werden das schön sein lassen, Mr. Duvall. Ich warne Sie, durchkreuzen Sie mir ja nicht meine Pläne!“
„Welche Pläne?“, fragte Sid irritiert nach.
„Ich glaube, Sie haben mich lange genug behelligt!“ Lucius stand bereits auf, um seinen Gast zur Tür zu begleiten.
„Aber…“
„Kein Aber! Sollten Sie als mein Beistand nicht das tun, was ich sage?“
„Nein, Mr. Malfoy. Ich soll in Ihrem Sinne handeln und das werde ich auch“, konterte Sid mutig.
„Sie werden nichts tun, haben Sie verstanden?“
Sid näherte sich der Tür, an der der Blonde bereits wartete, bevor er ihm in die Augen blickte und ihm mit Entschlossenheit ins Gesicht sagte: „Ich werde die Mindeststrafe für Sie herausschlagen und zwar auf meine Art.“ Sein Gegenüber mit dieser Aussage imitierend grinste Sid ihn überheblich an, um deutlich zu machen, dass er sich von seinem Klienten nicht einschüchtern ließ. „Guten Tag noch, Mr. Malfoy.“
Nachdem sein Gast gegangen war, tigerte Lucius nervös in seinem Krankenzimmer auf und ab. Wenn sein Beistand es wagen sollte, den Minister öffentlich zu beschuldigen, dann könnte er demnächst in Askaban mit Mr. Duvall als Zellengenosse rechnen, dachte er aufgewühlt.
Zurück im Ministerium kam Mr. Duvall auf seinem Weg ins Büro an einen jungen, rothaarigen Mann vorbei, der gerade am Informationsschalter stand und dort mit der älteren Dame sprach, doch er beachtete ihn nicht und setzte seinen Weg fort.
Die Dame am Schalter schien genervt, antwortete jedoch ruhig und langsam: „Wie ich es Ihnen schon mehrmals mitgeteilt habe, Mr. Weasley, ist die Öffentlichkeit von der Verhandlung Mr. Malfoys ausgeschlossen.“ Ron wollte gerade etwas sagen, da schnitt sie ihm das Wort ab. „Und ja, ich weiß sehr wohl, dass Sie einer der Söhne des Ministers sind, doch das ändert nichts an der Tatsache, dass es keine Zuschauer geben wird und ich bitte Sie ganz höflich“, sie atmete tief durch, „nicht noch einmal zu kommen und zu fragen, denn es wird sich daran nichts ändern!“
„Das ist nicht fair!“, nörgelte Ron, der sich schon so auf die Verhandlung gefreut hatte. „Werde ich nicht einmal als Zeuge gebraucht?“
„Wenn, dann würde mir darüber keine Information vorliegen. Guten Tag, Mr. Weasley.“ Sie blickte an ihm vorbei. „Der Nächste bitte!“
Ein rundlicher Mann drängte sich nach vorn, so dass Ron den Schalter verließ und kopfhängend durch die Vorhalle des Ministeriums schlenderte. Er hätte dem alten Malfoy am Montag zu gern dabei zugesehen, wie der nervös auf seinem Stuhl hin und her rutschte, während man ihm seine Schandtaten vorlas, doch offensichtlich wurde nichts daraus.
So machte sich Ron auf den Weg zu seinem nächsten Ziel: Malfoy Manor. Durch einen der Kamine im Ministerium fragte er zunächst nach, ob er vorbeikommen dürfte.
„Das wird nicht möglich sein, Mr. Weasley“, sagte Draco formell.
„Hatten wir uns nicht schon geduzt?“ Ron hatte irritiert geklungen, denn er erinnerte sich noch sehr gut an die Hochzeitsfeier.
„Nicht dass ich wüsste, aber wie es aussieht, ist der Punkt erledigt. Also Ron, was willst du?“
„Warum darf ich nicht kurz bei dir vorbeischauen? Ich kann nicht lange sprechen, hinter mir warten noch andere darauf, den Kamin benutzen zu dürfen.“
„Etwas Beeilung, wenn ich bitten darf“, hörte Draco jemanden hinter Ron rufen.
„Du darfst nicht kommen, weil das Haus für die nächsten Wochen wegen des Mutter-Kind-Schutzes nur für enge Familienangehörige zugänglich ist“, erklärte Draco gewissenhaft.
Nickend, weil er sich die Situation mit Ginny ins Gedächtnis rief, die Harry nicht hatte besuchen dürfen, bot er an: „Die Drei Besen? Treffen wir uns dort in einer Viertelstunde?“
„Kannst du mir nicht einfach sagen, was du von mir…“
„Geht es da vorne nicht etwas SCHNELLER?“, drängte einer aus der Schlange hinter Ron, der sich daraufhin umdrehte.
„Bei Merlin, nehmen Sie doch einen anderen Kamin, wenn es Ihnen zu lange dauert. Ich hab das hier gleich geklärt!“
Der Mann und auch Ron schauten den Gang hinunter, in welchem sich die ganzen Kamine befanden und die Schlangen dort waren noch länger.
„Also, Draco? Die Drei Besen in einer Viertelstunde!“
Abrupt beendete Ron die Verbindung, so dass Draco gar nicht mehr antworten konnte. Gleich im Anschluss nahm er erneut eine Handvoll Flohpulver, um so schnell wie nur möglich nach Hogsmeade zu gelangen. Er purzelte aus dem Kamin des Hinterzimmers, in welchem Rosmerta einen Zugang für Gäste eingerichtet hatte.
Wegen des Geräuschs kam die Wirtin ins Hinterzimmer, bevor sie den neuen Gast erkannte und freundlich grüßte: „Hallo Ron, lange nicht gesehen. Komm doch nach vorn in die gute Stube.“ Mit roten Wangen, denn für Rosmerta hatte er wie in alten Tagen noch immer eine Schwäche, kam er ihrer Aufforderung nach. Sie platzierte ihn an einen gemütlichen Tisch an der Wand und sagte, bevor er den Mund öffnen konnte: „Lass mich raten: ein Butterbier?“
„Ja genau, dass Sie das immer noch wissen...“
„So lange ist es nun auch wieder nicht her“, schäkerte sie lächelnd, bevor sie ihn allein ließ.
Als Harry den Orden des Phönix übernommen und mit der DA vereint hatte, da traf man sich gelegentlich mit einem Verbündeten in einem Zimmer von Rosmerta. Einige Menschen hatten damals die Todesser finanziell unterstützt, sich jedoch im gleichen Atemzug Hilfe suchend an Harry gewandt. Es war pure Angst gewesen, weshalb diese Hexen und Zauberer schon beim ersten Besuch der Todesser zugesagt hatten, den Dunklen Lord mit all ihrem Hab und Gut zu unterstützen, doch im Herzen waren sie gute Menschen, die um ihre Lieben fürchten mussten. Die Zeitungen waren voll gewesen mit Artikeln über Familien, die ausgelöscht worden waren, weil sie sich Voldemorts Halunken nicht hatten beugen wollen.
Wenig später traf Draco ein, den Ron zu sich heranwinkte.
„Dein Ruf hat mich wirklich überrascht“, sagte Draco, während er sich zu Ron an den Tisch setzte. Allein hatten sich die beiden jungen Männer noch nie getroffen.
„Tut mir Leid, aber da mich die Zwillinge im Stich lassen – zumindest einer von ihnen – suche ich jemand anderen für meine Pläne.“
Die Frage konnte man an Dracos Miene ablesen, doch nichtsdestotrotz stellte er sie: „Was denn für Pläne bitteschön?“
„Willst du ein Butterbier?“ Ron hob bereits seinen eigenen Krug und deutete auf ihn, während er Rosmerta anschaute, die sofort verstand und ein weiteres Butterbier zapfte.
„Es geht um eine Überraschung für Harry und eigentlich waren Fred und George eingeplant, aber die meinten neulich, dass einer von ihnen im Laden bleiben müsste.“
Verständnislos schüttelte Draco den Kopf, bevor er sagte: „Könntest du bitte von vorn anfangen? Ich kann deinen Gedankengängen leider nicht ganz folgen.“
„Du weißt aber, was eine ’Überraschung’ ist oder?“, scherzte Ron, der nach Dracos bösem Blick sofort ernsthaft erklärte. „Die Überraschung für Harry ist ein Quidditch-Spiel, das wir auf dem Spielfeld von Hogwarts austragen möchten und zwar Anfang März; um genau zu sein am sechsten. Dumbledore hat schon zugesagt“
„Schöne Überraschung, aber was habe ich dabei verloren?“
„Ich brauche noch einen Treiber. Fred oder George, steht noch nicht ganz fest, jedenfalls wird einer von beiden Treiber und einer fehlt noch.“
„Wie kommst du auf mich?“, fragte Draco verdutzt.
„Du hast in der Schule damals auch gespielt“, er haderte mich sich, „und gar nicht mal so schlecht.“
„Ich war Sucher, niemals Treiber“, stellte Draco klar, um sich herauszuwinden, doch Ron hielt dagegen.
„Du kannst dich aber bestens auf einem Besen halten und beim Training hab ich gesehen, dass du mit den Schlägern genauso hervorragend umgehen kannst, deswegen.“
Rosmerta brachte gerade das Butterbier an den Tisch, welches der Blonde nachdenklich zu sich heranzog, doch er trank nicht.
Eine Absage wollte er noch nicht erteilen, stattdessen fragte Draco: „Wie soll das ablaufen, das Spiel? Gegen wen spielen wir?“
„Wir spielen gegen Eintracht Pfützensee, beziehungsweise sind Angelina und ich sowie Oliver im Hogwarts-Team. Wir drei werden bei Eintracht Pfützensee also ersetzt.“
„Oliver?“
Ron blickte Draco an, als würde der nicht nur eine lange Leitung haben, sondern auch noch auf ihr stehen, doch er half ihm auf die Sprünge: „Na, Oliver Wood kennst du sicherlich noch.“
„Natürlich“, stimmte Draco zu. „Aber er war früher doch immer Hüter.“
„Den Job habe ich übernommen“, sagte Ron stolz. „Oliver, Ginny und Angelina sind die drei Jäger, ich der Hüter, du und einer der Zwillinge die Treiber und Harry...“
„Der Sucher, was sonst“, sagte Draco mit einem Schmunzeln auf den Lippen. „Und Harry weiß nichts von seinem Glück?“
„Nein und du wirst ihm bitte auch nichts davon erzählen“, sagte Ron ein wenig drohend.
„Wäre ja sonst keine Überraschung mehr…“
„Eben! Ginny muss Harry noch dazu bringen, demnächst mit dem Training anzufangen, zumindest ein bisschen, denn er saß lange nicht mehr auf einem Besen.“
„Ich auch nicht“, warf Draco ein.
„Na bestens, dann trainierst du gleich mit!“
„Fällt auch gar nicht auf“, gab Draco zu bedenken.
Rons Stirn schlug Falten. „Bist du denn nicht im Slytherin-Team?“
„Slytherin hat viel zu wenig Schüler, da bekommen wir kein Team zusammen“, erklärte er dem Rothaarigen.
„Das gibt’s nicht.“ Über diese Aussage war Ron sehr verwundert. „Slytherin hat kein Quidditch-Team?“
„Ich sagte doch schon, warum das nicht geht.“
„Ich kann es aber nicht glauben. Da muss es doch eine Lösung für geben! Wie viele Schüler hat Slytherin überhaupt?“, wollte Ron wissen.
„Wir sind mit mir zusammen genau zwanzig, davon fünf Erstklässler.“
„Und unter den fünfzehn Schülern, die nicht mehr in der ersten Klasse sind, wollen sich keine sieben für ein Quidditch-Team finden?“ Draco schüttelte den Kopf. „Krass“, betitelte Ron diese Misere. „Kann man da nichts anderes tun?“
„Was denn bitteschön? Sollen wir an die Türen der anderen Häuser klopfen und die in unser Team aufnehmen, die vom eigenen Haus abgelehnt wurden, weil sie zu schlecht waren?“, sagte Draco mit sarkastischem Unterton.
Ron zog unschuldig beide Augenbrauen in die Höhe und antwortete lässig: „Warum nicht?“
„Weil das keine Slytherin-Mannschaft wäre, sondern eine kunterbunt gemischte.“
„…die für das Haus Slytherin spielt!“, stellte Ron klar. „Ich verstehe deine Einwände nicht ganz, Draco. Es steht nirgends geschrieben, dass die Spieler aus dem Haus stammen müssen, für das sie spielen.“
In Gedanken ging Draco die Situation durch und er nahm sich vor, in dem Buch „Geschichte Hogwarts’“ nachzulesen oder – was wesentlich einfacher wäre – einfach Hermine zu fragen, die zwar Quidditch nicht sonderlich zu mögen schien, den Wälzer jedoch auswendig kennen sollte.
„Hey, träumst du?“, hörte er Ron fragen. Nachdem er aufgeblickt hatte, fragte Ron offenbar zum wiederholten Male: „Bist du nun mit dabei? Ich wüsste nicht, welchen ehemaligen Hogwartsschüler ich sonst fragen sollte.“
„Ich bin kein ’ehemaliger’ Schüler“, stellte Draco richtig.
„Nein, bist du nicht, aber du hast unser Alter, warst früher schon im Team. Ich sehe da kein Problem und Dumbledore auch nicht. Also…?“
Sich einen Ruck gebend stimmte Draco zu: „Abgemacht!“
„Cool, danke!“, sagte Ron lächelnd, bevor er seinen Krug hob und mit Draco anstieß.
Die beiden unterhielten sich nach Dracos Zusage noch eine Weile, während sie ihr Butterbier tranken. Es stellte sich heraus, dass Ron einer der zwölf Hochzeitsgäste gewesen war, mit denen er Brüderschaft getrunken hatte. Der gemeinsame Nenner „Quidditch“ brachte unerwartet allerhand Gesprächsstoff.
„Du hattest erzählt“, begann Draco, „dass euer Sponsor abgesprungen ist.“ Ron nickte, denn darüber hatten sie sich während der Hochzeitsfeier lang und breit unterhalten. „Was macht ein Sponsor so?“
Ron stutzte einen Augenblick, erzählte aber gewissenhaft: „Er gibt hier und da ein paar Galleonen für das Team aus, was sonst? Außerdem kann er dafür kostenlos Werbung mit uns machen. Wir nehmen aber nicht jeden. Das Angebot vom Tagespropheten haben wir dankend ausgeschlagen.“ Mit einem großen Schluck Butterbier schien Ron noch im Nachhinein auf diese Entscheidung zu trinken, doch Draco war nachdenklich geworden.
„Inwiefern ’Werbung machen’?“, wollte er wissen.
„Wir hatten einmal die Firma ’Nimbus Rennbesen’ als Sponsor, aber die sind abgesprungen, weil sie mit Viktor Krum an ihrer Seite einen der besten Werbeträger überhaupt bekommen haben, da brauchten sie nicht noch Eintracht Pfützensee. Krum ist da als ’Berater’ angestellt, aber wenn du mich fragst, ist er dank Harry zu deren Aushängeschild geworden. Der muss nur ein wenig rumlaufen, einen Nimbus in der Hand halten und wird dafür schon bezahlt.“
„Dank Harry?“, fragte Draco nach.
„Devlin Whitehorn, der Firmengründer von Nimbus, ist eines Tages an Harry herangetreten und hat ihm ein Ohr abgekaut, um ihn für sein Unternehmen zu gewinnen. Harry hat daraufhin den Spieß umgedreht und Whitehorn bearbeitet. Der wollte danach nicht mehr Harry haben, dafür aber Krum und es hat geklappt.“
„Harry ist clever.“
Nickend stimmte Ron zu. „Ich glaube sogar, es hat ihm Spaß gemacht.“
Beide hatten gleichzeitig den letzten Schluck genommen. Ron wollte sich gerade verabschieden, da hielt Draco ihn auf und wollte etwas wissen, was Ron hellhörig werden ließ.
„Was, wenn jemand Sponsor werden möchte, dessen Vergangenheit nicht ganz vorzeigbar ist?“ Verlegen schaute Draco ihm in die Augen, danach auf seinen leeren Krug, während er auf eine Antwort wartete.
„Das Team entscheidet darüber.“ Ron konnte sehen, wie ein kleiner Hoffnungsschimmer in seinem Gegenüber zu erlöschen drohte, da fügte er noch schnell hinzu: „Aber wenn jemand aus dem Team ein gutes Wort einlegen würde, wäre das kaum ein Problem.“
Diese kleine Andeutung genügte, um seinen ehemaligen Mitschüler wieder zuversichtlich zu stimmen, doch Ron konnte sich nicht zusammenreimen, auf was Draco mit dieser Frage hinauswollte.
Weniger zuversichtlich war Sirius, der gelangweilt Zuhause darauf wartete, dass Anne von der Arbeit kommen würde. Er hatte etwas zu Essen gemacht, musste aber feststellen, dass er viel zu früh mit der Zubereitung begonnen hatte. Zum Glück gab es Wärmezauber, die eine Mahlzeit nicht auskühlen ließen.
Ihr neues Haus in Thamesmead West lag nahe an der Themse. Sirius hatte darauf bestanden, einen Ort zu finden, dessen Bevölkerungsdichte sehr gering war. Das dazugehörige Grundstück war groß und sorgte für eine angenehme Isolation, denn im Hinterkopf hatte Sirius behalten, dass gewisse Leute weiterhin einen Groll gegen ihn hegten. Rodolphus und Rabastan waren laut Kingsley noch immer auf freiem Fuß. Ähnlich wie Hogwarts hatte Sirius prophylaktisch einige Muggelabwehrzauber auf das Haus gelegt, worüber Anne sich beschwert hatte, denn der Postbote brachte seitdem keine Briefe mehr.
Wie sie denn Freunde mit nachhause bringen könnte, hatte sie einmal gefragt. Seufzend erinnerte sich Sirius an ihre Einwände, weswegen er sich nach dem Einzug hatte umstimmen lassen, zumindest den Briefträger von der Muggelabwehr auszunehmen. Das Leben in der Muggelwelt war eine große Umgewöhnung für Sirius, auch wenn sie ihm einigermaßen vertraut war. Wenn sie unterwegs waren, musste er ständig darauf achten, nicht seinen Zauberstab zu ziehen. Wenigstens hatten sie einen Kamin, der ans Flohnetzwerk angeschlossen war, doch ihm fiel niemand ein, den er kontaktieren könnte. Früher, erinnerte sich Sirius seufzend, da hatte er viele Freunde; viele Menschen um sich herum, die ihn bewunderten.
Sich ein Glas Weißwein genehmigend reflektierte Sirius sein jetziges Dasein. Die vielen Menschen um ihn herum waren Annes Freunde, vielleicht auch irgendwann mal seine. Außer Remus und Harry hatte er niemanden, den er Tag und Nacht ungestraft anflohen könnte und das tat er nur sehr selten, damit man ihn nicht für einsam hielt. Arthur konnte er nicht einfach kontaktieren, um zu fragen, ob sie noch zusammen einen heben gehen wollen; der Minister hätte dafür sowieso keine Zeit. Seine Cousine Andromeda war stets sein Liebling gewesen, doch der Kumpel von damals war sie lange nicht mehr. Narzissa hingegen war für ihn ein Buch mit sieben Siegeln, welches er aus freien Stücken noch immer nicht zu öffnen wagte.
Das Geräusch eines sich im Schloss drehenden Schlüssels kündigte Anne an, weswegen er sein Weinglas abstellte und zum Flur laufen wollte, um sie zu begrüßen. An der Tür blieb er jedoch stehen und rief sich ins Gedächtnis, dass sie neulich einen Scherz gemacht hatte, der nicht böse gemeint war, ihn aber wie aus heiterem Himmel getroffen hatte. Sie hatte gesagt, er wäre wie ein Hund, der zur Tür gelaufen käme, um das Frauchen zu begrüßen.
So ging er zurück zu seinem Sessel, während er hören konnte, dass Anne bereits eingetreten war. Die nacheinander folgenden Geräusche waren ihm vertraut: der Schlüsselbund, den sie auf der Kommode ablegte, das Reiben von Stoff, als sie sich den Mantel auszog. Das klackernde Geräusch ihrer Schuhe, die sie sich von den Füßen strich.
Auf Nylonstrümpfen betrat sie das Wohnzimmer.
„Du bist ja doch da.“ Sie freute sich, was er an dem Klang ihrer Stimme hören konnte. „Ich dachte schon, du wärst weggegangen.“
„Wohin sollte ich denn gehen?“ Sein Weinglas wurde für ihn wieder interessant und so nahm er es vom Tisch, um daran zu nippen.
„Zu deinen Freunden“, erwiderte sie irritiert. Sie schien zu lächeln, was er hören, aber nicht sehen konnte, als sie schäkerte: „Ich bin es gewohnt, dass du mich im Flur begrüßt.“
Mit einer so eisigen Stimme, die er selbst bereute, schlug er vor: „Dann solltest du dir besser einen Hund kaufen. Ich bin mir sicher, dass der dir diesen Wunsch erfüllen würde.“
Er brauchte gar nicht über seine Schulter zu sehen, denn er wusste nur zu gut, dass sie wie versteinert hinter ihm stehen musste und seine Worte zu verdauen versuchte.
Mit warmer Stimme stellte sie ihm die Frage: „Warum bist du so?“
„Wie bin ich denn?“, fragte er kraftlos zurück, was ihr vor Augen hielt, dass er keine Lust auf eine Unterhaltung hatte.
„Du bist traurig und du bist gelangweilt.“ Es war kein Vorwurf, nur ihre Meinung.
Mit einer Äußerung hielt er sich zurück und so lauschte er ihren weichen Schritten, bis er ihr Gesicht plötzlich sehen konnte, denn sie hatte sich niedergekniet.
„Was möchtest du? Dass ich Mr. Hatter meine Kündigung auf den Tisch lege?“ Bevor ihm ein passendes Argument einfiel, fügte sie noch hinzu: „Damit wir beide vierundzwanzig Stunden wie Kletten zusammen verbringen können? Was meinst du, wie lange wir brauchen, bis wir uns nicht mehr ertragen können? Wir würden sicherlich so enden wie meine Eltern – geschieden.“ Sie musste gar nicht erwähnen, dass ihre Eltern sich nicht mehr sehen wollten, weswegen auch nur ihre Mutter zur Hochzeit gekommen war. „Ich will das nicht, aber ich weiß nicht, was ich sonst tun kann, damit du unsere Ehe nicht bereust.“
„Ich bereue sie doch gar nicht“, winselte Sirius beschämt.
Langsam nahm sie auf einer der breiten Armlehnen des Sessels Platz, um kurz darauf wie in Zeitlupe auf seinen Schoß zu rutschen, weswegen seine Mundwinkel nach oben schossen.
„Da ist es ja wieder!“, jubelte Anne und legte ihre Arme um seinen Hals.
„Was?“
„Das freche Grinsen“, flachste sie gut gelaunt. „Ich hab es so vermisst.“ Ein Kuss auf seinen Mund sollte ihre Worte unterstreichen.
„Ich grinse nicht“, nörgelte er scherzhaft, „und schon gar nicht frech.“
Sie spielte mit seinen langen schwarzen Haaren, legte den Kopf schräg und teilte Sirius mit: „Mr. Hatter hat mir Montag frei gegeben, weil ich gestern und heute so lange gearbeitet. Ach ja“, fiel ihr ein, „du hast mir noch gar nicht erzählt, wie dein Abend mit Remus war.“
„Mit Moony“, verbesserte er.
„Mit wem?“
„So haben wir ihn schon früher genannt, wenn er mit seinem ’haarigen Problem’ zu kämpfen hatte.“
„Ach so, und wie war es nun gewesen?“ Sie klang sehr neugierig.
„Es war“, Sirius atmete tief durch, „befreiend! Ja, das ist das richtige Wort dafür.“
Sie gab ihm erneut einen Kuss auf die Lippen.
„Also, was wollen wir am Montag machen?“, fragte sie enthusiastisch, während sie ihre Hände in seinen Haaren vergrub.
„Lass uns darüber beim Essen nachdenken.“
„Nein, du hast doch nicht etwa gekocht?“ Ihre Nase bewegte sich wie die eines Kaninchens. „Ich rieche gar nichts.“
„Zauberei, schon vergessen? Es ist wärmeisoliert.“
„Kann man es auch essen?“ Dieser Scherz bescherte ihr einen Klaps auf den Po.
„Sei nicht so frech. Komm…“, er stand auf und nahm sie währenddessen auf seine Arme, um sie an den Tisch zu tragen. „Wir essen etwas und lassen uns was Schönes für Montag einfallen.“
Nachdem er sie neben dem Stuhl abgesetzt hatte und sie sich gesetzt hatte, um sich von ihm bedienen zu lassen, da sagte sie: „Was wir morgen machen, das weiß ich jetzt schon.“
Den Zauber entfernend, der das Essen schützte, fragte er neugierig: „Was?“
„Wir bleiben einfach im Bett.“ Als er aufblickte, sah er sie verführerisch mit einem Auge zwinkern.
„Und was ist mit dem Frühstück?“
„Du kannst es uns ans Bett zaubern.“ Er reichte ihr den Teller und erst da lief ihr das Wasser im Munde zusammen. „Sirius, das ist…“
„Dein Leibgericht, ich weiß.“
„Dafür hast du dir eine Belohnung verdient!“
„Die ich mir aussuchen darf?“, fragte er keck.
„Erst einmal sehen“, sie warf ihm einen verspielten Blick zu, „ob mir davon auch nicht schlecht wird.“
„Du unverschämtes…“
„Mhhh“, machte sie nach dem ersten Happen, womit sie ihn unterbrach.
Beide aßen gemütlich und schmiedeten Pläne für Montag. Anne verstand, wie er sich fühlen musste, aber sie wollte so gern als Hutmacherin weiterarbeiten, wollte im gleichen Atemzug aber Sirius glücklich wissen, so dass sie nach einem Moment fragte: „Sag mal, du hast mir nie erzählt, ob du irgendwelche Hobbys hast.“
„Ich…“ Sein plötzliches Verstummen konnte ihrer Meinung nach nur bedeuten, dass er keine hatte.
„Woran hast du früher Gefallen gefunden?“, wollte sie wissen.
„Mit ’früher’ meinst du vor meiner Zeit in Askaban? Denn während dieser Zeit gab es nicht sehr viel, an dem ich mich erfreuen konnte.“
Es war zu bemerken, dass sein Gemüt von einer Sekunde zur anderen umgeschlagen war, denn er blickte starr auf seinen Teller und die Hand, die seine Gabel hielt, bewegte sich nicht mehr. Als wäre er selbst weit weg, begann er bedächtig zu erzählen.
„Ich fand Gefallen an dem blauen Himmel, wenn ich aus dem kleinen Loch gesehen habe, das sich ein Fenster schimpfte.“ Übergangslos zeugte seine Stimme von einem Teil in Sirius, der sehr verletzlich schien und bisher nie ans Tageslicht gekommen war. „Die Vögel“, hauchte er weltvergessen. Seine Augen wanderten ziellos über den hübsch dekorierten Tisch. „Ganz selten kam eine Möwe an die Fensteröffnung und dann wurde ich ganz still.“ Er hatte so leise gesprochen, als säße gerade ein solcher gefiederter Freund in der Nähe.
„Sie sollte nicht erschrecken, sollte bei mir bleiben.“
Erschüttert hörte Anne zu, doch gleichzeitig war sie auch erleichtert, denn Sirius hatte noch nie über seine Zeit im Gefängnis gesprochen.
„In solchen Augenblicken hab ich die Vögel genau betrachtet; sie um ihre Freiheit beneidet. Sie waren so lebendig, ganz anders als ich selbst.“
Um der Situation den Ernst zu nehmen, denn Sirius war ganz offensichtlich noch nicht bereit, freiheraus über seine Erlebnisse zu sprechen, fragte sie mit verhaltener Stimme: „Ist mal ein Vogel in deine Zelle geflogen?“
Ein seliges Lächeln verscheuchte seine gequälten Gesichtszüge und er nickte zurückhaltend, als dürfte er ihr davon eigentlich gar nicht erzählen.
„Ja“, bestätigte er flüsternd. „Und er war sogar noch da, als ein Dementor zu mir kam, um…“ Sorgenfalten formten ein Dreieck über seiner Nasenwurzel, als er sich daran erinnerte, wie die schwarzen, stinkenden Ungetüme ihn seines Glückes beraubt hatten. „Der Dementor hatte den Vogel nicht ein einziges Mal angesehen und ich konnte mir nicht erklären, warum. Das hat mich eine Weile beschäftigt. Mir war eine Idee gekommen und ich hab mich in Tatze verwandelt. Sie haben mich tatsächlich in Ruhe gelassen. Tiere waren für sie nicht interessant und dann…“ Seine Hände begannen zu zittern, so dass er die Gabel beiseite legte. „Eines Tages, nachdem jemand vom Ministerium bei mir gewesen war, da stand meine Tür offen.“ Er blickte sie mit großen Augen an. „Einfach so, die ganze Nacht über und ich wusste nicht, ob ich das nur träumen würde. Hab mich ein paar Stunden lang nicht getraut nach vorn zu krauchen, um nachzusehen.“
Mit einer Hand umfasste Anne seine zitternde. „Was hast du dann getan?“
„Tatze“, flüsterte er. „Niemand wusste etwas von Tatze.“ Seine Augen begannen zu leuchten. Peter, James und er selbst hatten sich nie als Animagus registrieren lassen. „Ich habe so gehofft, dass ein Hund außerhalb der Zellen den Dementoren genauso egal wäre wie ein Vogel.“
Sie lächelte zuversichtlich. „So bist du entkommen.“ Es war nicht als Frage formuliert, denn es lag auf der Hand. Zudem nickte Sirius bestätigend.
„Ich bin als Tatze hinaus auf den Gang gelaufen. Da waren nur Türen, kein Mensch war zu sehen, ab und zu Dementoren. Ich bin immer weiter nach unten gelaufen. ’s waren eine Menge Stufen. Keiner hat mich beachtet, aber in der Küche…“ Er musste kräftig schlucken. „Ich dachte, jetzt hätte man mich erwischt. Da waren viele Männer gewesen und alle haben mich angestarrt.“ Den Kopf schüttelnd, als würde er selbst im Nachhinein sein Glück kaum fassen können, schilderte er: „Sie haben nichts getan, nur geschaut mit ihren schwarzen Augen. Einer ist auf mich zugekommen. Der Mann war wirklich gruselig, Anne. Seine kalte Miene, seine Augen...“
Nur langsam gewann er Abstand von der Erinnerung, so dass er aufgrund seiner eigenen Worte weniger ergriffen war. Seiner Frau die Hand drückend erzählte er mit tränenverschleierten Augen, aber mit Freude im Gesicht, was danach vorgefallen war.
„Der Mann hat die Tür nach draußen geöffnet.“ Als er das Szenario reflektierte, war es ihm noch immer unverständlich, dass man ihn nicht ergriffen hatte. „Er hat einfach die Tür geöffnet und mich hinausgelassen und da stand ich plötzlich… auf den Felsen an der tosenden Brandung.“
Von seiner Geschichte ganz gefesselt fragte sie: „Wie bist du da weggekommen?“
Seine Antwort ließ sie stutzen, denn er murmelte: „Ziel, Wille, Bedacht.“
„Was?“
Er schaute ihr in die Augen; die aufgekommenen Tränen waren längst wieder versiegt. „Ich wusste nicht, ob ein Schutzzauber über der Insel lag und wie weit der reichen würde, also bin ich als Tatze ins Meer gesprungen. Ich dachte, ich müsste sterben, so kalt war das, aber es war noch immer erträglicher als die Kälte, die von den Dementoren ausgeht.“ Er schüttelte sich, weil ihm ein Schauer über den Rücken lief. „Die Insel war irgendwann weit weg und ich habe mich zurückverwandelt. Dann dachte ich immer nur an das, was man mir in der Schule beigebracht hatte: Ziel, Wille, Bedacht. Ich bin appariert, aus dem Wasser heraus.“
„Wo bist du gelandet?“, wollte sie mit erstauntem Gesichtsausdruck wissen.
Einmal schnaufend erwiderte er: „Im Wasser. Ich konnte keine große Strecke hinter mich bringen, aber ich hatte auch kein näheres Ziel vor Augen. Ein paar Mal wiederholte sich das. Da war nur das weite Meer. Meine Beine waren schon wie abgestorben. Ich habe mich gefragt, ob das wegen der eisigen Kälte so war oder ob ich sie beim Apparieren verloren hatte.“ Er zwang sich selbst zu guter Laune und schlug sich auf den Oberschenkel. „Aber wie du siehst, ist alles noch da.“
Sie legte ihre Hand auf seine, die noch immer auf seinem Schenkel ruhte. „Ja, alles noch da“, bestätigte sie mit sanfter Stimme.
Ohne Eile nahm sie ihn in den Arm; er brauchte Trost. Mit tiefen Atemzügen brachte er seine aufgewühlten Gefühle unter Kontrolle, während er sich mit beiden Händen an sie klammerte, wie ein Ertrinkender an einen Rettungsring.
Aufgewühlt war auch Hermine. Sie hatte eben Besuch von Bill und Fleur gehabt, die ihr aus Frankreich tatsächlich die Leuchtorgane des Drachenfisches mitgebracht hatten. Aufgrund des hohen Preises dieser Zutat musste sie die beiden vertrösten, denn so viel Galleonen hatte sie nicht hier. Das Problem war nur gewesen, dass die Fruchtkapseln des Gespenstischen Steinregens noch fehlten. Der französische Händler, von dem Mr. Heed – offenbar zu Recht – nichts mehr wissen wollte, hatte diese Zutat bestellen müssen. Als Fleur sie am nächsten Tag abholen wollte, hatte der Mann einen äußerst unanständigen Handel vorgeschlagen, den Fleur natürlich erbost ausgeschlagen hatte. Also keine Fruchtkapseln, dachte Hermine niedergeschlagen, doch sie machte Fleur keinen Vorwurf.
Doch Hermine war weniger aufgewühlt, weil ihr noch eine Zutat fehlte, sondern eher, weil sie es gewagt hatte, Severus deswegen zu fragen.
„Sie müssen den Verstand verloren haben“, warf er ihr in kühlem Tonfall vor, während er an seinem Schreibtisch saß, um noch einige Dinge für den morgigen ersten Schultag nach den Weihnachtsferien zu erledigen. Die Schüler würden heute Abend zurückkommen.
„Ich habe Ihnen ganz höflich eine Frage gestellt und erwarte…“ Er blickte auf und seine grimmige Miene verschlug ihr glatt die Sprache.
„Ich warne Sie“, drohte er säuselnd, „wagen Sie es ja nicht, in meinen Räumlichkeiten irgendeinen fragwürdigen Trank zu brauen. Denken Sie tatsächlich, ich wüsste nicht, was Sie mit dieser Zutat vorhaben?“
„Ich möchte doch nur wissen, wo man den Gespenstischen Steinregen herbekommt. Wächst der in der Umgebung? Ich habe gelesen…“
Er unterbrach sie. „Das ist das Einzige, das Sie wirklich perfekt beherrschen, nicht wahr? Lesen!“ Severus verzog angewidert das Gesicht und widmete sich gleich wieder seinen Aufgaben.
„Also helfen Sie mir nicht!“
„Nein.“
Sie blieb einen Moment lang in seinem Büro stehen und blickte verärgert zu Boden, während Sie dem kratzenden Geräusch seiner Schreibfeder lauschte.
Ihr fiel ein, dass sie ihm noch nicht mitgeteilt hatte, wie seine Magiefarbe am Tag des Ferienbeginns ausgesehen hatte. Sie hatte es zusammen mit Remus in Harrys Denkarium sehen können und womöglich wäre dies ein passender Moment, ihn aus der Reserve zu locken.
„Die Veränderung Ihrer Magiefarbe lässt mich vermuten…“
„Halten Sie Ihren Mund! Ich bin der Meinung, ich habe mich sehr deutlich ausgedrückt als ich Ihnen sagte, Sie könnten mir auf meine Frage schriftlich antworten, was Sie bisher allerdings nicht für notwendig erachtet haben.“
„Meine Güte, wir stehen uns gegenüber und können die Sache auch sofort klären“, wetterte sie zurück, doch er hatte seine Aufmerksamkeit bereits wieder den Pergamentrollen gewidmet, die er nach und nach entrollte, um sie zu lesen und sich Notizen zu machen. „Severus?“ Er ignorierte sie, wie sie es hätte ahnen müssen.
Trotzköpfig begann sie damit, in ihrer Tasche zu wühlen, was Severus nicht entging, denn er blickte einige Male neugierig zu ihr hinüber, ohne dabei den Kopf zu heben. Sie zog ein Stück Pergament heraus. Nur mit den Augen folgte er ihr, als sie sich dem kleinen Pult näherte und sich setzte. Sie begann zu schreiben und auf einem Stück Pergament, welches rechts auf seinem eigenen Schreibtisch lag, formten sich zeitverzögert wie von Geisterhand Buchstaben, was er mit rasendem Puls feststellen musste. Sie verwendete das magische Papier.
Auf seinem Teil des Blattes formten sich die Worte „Ihre Magiefarbe verändert sich, wenn Sie in der Nähe von anderen Menschen sind.“.
Mit weit aufgerissenen Augen schaute er zu ihr hinüber und zu seinem Schrecken blickte sie ihn herausfordernd an. Er fühlte sich ertappt und schaute ruckartig weg, um sich wieder seiner Arbeit zu widmen, doch er konnte es nicht verhindern zu bemerken, dass sich weitere Worte auf dem Stückchen Pergament bildeten. Aus den Augenwinkeln las er „Bei Remus hatte sich ein Teil seiner Magiefarbe leicht geändert, als Harry ihn berührt hatte. Bei Ihnen ist die Farbe allgemein heller geworden und das nur, weil sie zwischen Harry und Remus gesessen hatten.“. Er versuchte, ihre aufdringliche Art der Kommunikation zu ignorieren, doch als er erneut schwarze Buchstaben erkennen konnte, da musste er einfach lesen. „Interessiert Sie das alles wirklich nicht?“
Es ärgerte ihn, dass diese Informationen und ihre Fragerei ihn unentschlossen machte, denn er schwankte hin und her zwischen der Möglichkeit, ihr ein für allemal alles zu erklären oder die Sache, wie er es ursprünglich vorhatte, einfach zu vergessen. Sie ließ ihn jedoch nicht vergessen und zündelte mit einem immer wieder ausgehenden Streichholz an seiner Hoffnung herum. Hoffnung war ein angenehmes Gefühl, auch wenn es sich bei ihm in Grenzen hielt, denn er wusste von den Auswirkungen, die die zerschlagene Variante mit sich brachte.
Ein weiteres Mal erblickte er ihre Handschrift. Sie hatte geschrieben „Wenigstens habe ich Sie zum Nachdenken motiviert.“.
Sie unterließ es nicht, sich weiterhin schriftlich mitzuteilen und er brachte es nicht fertig, sie aus seinem Büro zu werfen. Mit jedem ihrer geschriebenen Worte wurde er zorniger, aber auch unsicherer, was ihn nur noch wütender machte. Er müsste sie loswerden, bevor sie diesen Nerv zu sehr strapazierte.
In einem fensterlosen muffigen Büro hockte Sid Duvall über der dicken Akte „Malfoy“. Er hatte eine Unstimmigkeit entdeckt, die ihm den letzten Nerv zu rauben schien. Die Worte von Miss Amabilis – Schwester Marie – klangen ihm in den Ohren, während er in den Unterlagen nach einem Beweis für ihre Aussage suchte, denn sie hatte behauptet: „Mr. Malfoy hatte einmal Besuch vom Minister persönlich und von Mr. Shacklebolt erhalten und danach war er so aufgebracht gewesen…“
Dieser Besuch hatte laut Unterlagen nie stattgefunden und genau das machte Sid, den Beistand von Mr. Malfoy, unruhig. Wenn eine magische Institution Wert darauf legte, ihre Arbeit akribisch auf Pergament festzuhalten, dann war es das Ministerium.
Nervös blätterte er in der Akte umher, doch Minister Weasley hatte Mr. Malfoy nicht ein einziges Mal im Mungos aufgesucht; jedenfalls gab es darüber keinen Bericht. Eine Stellungnahme zu dem Verhör, denn warum sonst sollten diese beiden Herren den Gefangenen aufgesucht haben, war jedenfalls nicht für die Nachwelt festgehalten worden.
Mit einem Male wurde seine Tür aufgerissen und Sid zuckte erschrocken zusammen.
„Wie wäre es mit anklopfen?“, fragte er seinen Kollegen missgelaunt.
Der grinste nur fies, näherte sich ihm und warf ihm eine dicke Mappe auf den Schreibtisch, ohne auf das Tintenfass zu achten, welches angestoßen wurde und die Tinte überschwappen ließ, bevor er arrogant erwiderte: „Zwing mich.“
Auf die Mappe deutend fragte Sid den verhassten Kollegen: „Was soll das?“ Ihm wurde ein Blick geschenkt, der ihm sagen sollte, dass er für dumm gehalten wurde.
„Was soll das schon sein? Das ist Arbeit!“
„Ich habe genügend Arbeit“, beschwerte sich Sid, der es nicht leiden konnte, auf diese Weise behandelt zu werden.
Die Akte auf Sids Schreibtisch bemerkend riet ihm der Kollege mit selbstgefälligem Grinsen: „An deiner Stelle würde ich mich da nicht so reinknien.“
Ebenfalls kurz auf Malfoys Akte blickend fragte Sid skeptisch: „Ach ja? Und warum nicht?“
„Es könnte dich den Job kosten.“ Der Kollege schien sich darüber auch noch zu freuen.
Sid schnaufte wütend. „Wäre euch allen wohl sehr recht.“
„Und wie!“
Ohne eine Verabschiedung verließ der Kollege sein Büro. Sid legte eine Hand auf seine Stirn, um sich zu beruhigen, bevor er seinen Zauberstab zur Hand nahm, um den Schreibtisch von der Tinte zu befreien. Auch wenn ihm manchmal der Kontakt zu anderen Menschen fehlte, war er zumindest jetzt sehr froh, dass man ihn aus dem größeren Büro, welches er mit fünf anderen Mitarbeitern geteilt hatte, in dieses kleinere versetzt hatte. Man würde ihn für unkollegial halten, hatte man ihm kurz vorher an den Kopf geworfen. Seine Kollegen hatten ihn loswerden wollen, weil er sie ständig auf Kleinigkeiten aufmerksam gemacht hatte, die sie dann und wann bei ihrer Arbeit vernachlässigten. Die Vergeltung folgte sofort in Form dieses beengenden Büros, doch zumindest hatte er das ganz für sich allein; wenigstens die meiste Zeit über.
Den Inhalt der Mappe, die der Kollege gebracht hatte, betrachtete er mit zusammengezogenen Augenbrauen.
„Was habe ich denn mit dem Koboldverbindungsbüro zu tun?“, murmelte er. „Ich komme mit den Kobolden doch überhaupt nicht gut aus!“
Damit hatte sich auch schon eine Antwort gefunden, denn man wusste, dass er mit der oftmals schroffen Art der Kobolde Probleme hatte und das war der Grund, warum man ihm, der momentan Arbeiten aus allen möglichen Bereichen erledigen sollte, diesen Fall überlassen hatte. Es war vorhersehbar, dass er versagen würde, sollte er sich mit den Mitarbeitern von Gringotts verständigen. Die Kobold-Akte ließ er in seinem Posteingang verschwinden, um sie später – wenn er nach Malfoys Verhandlung überhaupt noch im Dienste des Ministeriums stehen würde – zu bearbeiten.
Die Frage, warum Minister Weasley und Mr. Shacklebolt den Gefangenen im Mungos besucht hatten, konnte nur Mr. Malfoy selbst beantworten und da die Verhandlung in wenigen Tagen beginnen sollte, musste er schnell handeln.
Pflichtbewusst meldete er sich bei seinem Vorgesetzten ab, der sich zunächst querstellen wollte, doch als Sid begonnen hatte, verschiedene Auszüge aus Arbeitsanordnungen zu zitieren, die seinen Besuch im Mungos rechtfertigten, winkte der Mann ihn ab, wenn auch sichtlich missgestimmt.
Kaum hatte Sid die entsprechende Station des Krankenhauses erreicht, wurde ihm auch schon von dem Wachmann geöffnet. Schwester Marie huschte über den Gang; genauso schnell wie das Lächeln über sein Gesicht.
Sie hatte ihn noch nicht bemerkt und richtete gerade einige Dinge auf einem Rollwagen an, da grüßte er mit sanfter Stimme: „Miss Amabilis, einen wunderschönen guten Tag.“ Schwester Marie hatte sich umgedreht und da sie sich eine Hand an die Brust hielt, fügte er hinzu: „Entschuldigen Sie vielmals, wenn ich Sie erschreckt haben sollte.“
„Mr. Duvall“, sie hielt ihm die Hand entgegen, die er sofort ergriff. „Ihnen auch einen guten Tag. Ich hatte mit niemandem gerechnet. Momentan ist keine Besuchszeit, aber die gilt für Sie ja sowieso nicht.“
„Wäre es wohl möglich, ein Wort mit Mr. Malfoy zu wechseln?“
„Natürlich, er ist gerade mit dem Mittagessen fertig. Normalerweise liest er jetzt ein wenig, aber ich werde ihn darüber informieren, dass Sie da sind.“
Nach einem schüchternen Lächeln ihrerseits ging sie den Gang hinunter und verschwand hinter einer Tür. Sid schlenderte derweil langsam auf das Krankenzimmer zu und kam gerade vor der Tür an, als Schwester Marie wieder hinaustrat und ihm mit einer Geste deutlich machte, dass er eintreten durfte.
„Mr. Duvall, noch immer erpicht darauf, mich während meiner Verhandlung zu vertreten?“, hörte Sid die arrogante Stimme seines Schützlings sagen.
„Nein“, war seine knappe, aber ehrliche Antwort, die Lucius sichtlich verdutzte. „’Erpicht’ bin ich keinesfalls darauf, Mr. Malfoy.“
Die Nase rümpfend fragte Lucius von oben heran: „Ja, warum um Himmels Willen belästigen Sie mich dann?“
„Ganz einfach, weil ich muss.“ Sid reichte seinem „Klienten wider Willen“ die Hand, die offensichtlich nur höflichkeitshalber geschüttelt wurde.
Ganz richtig vermutete Lucius mit einem fiesen Grinsen, das sein sonst so hübsches Gesicht auf groteske Art entstellte: „Man will Sie doch nicht etwa loswerden?“
„Ich befürchte genau das“, erwiderte Sid aufrichtig.
„Warum? Arbeiten Sie nicht gründlich genug?“ Lucius vermutete, dass man ihm einen Beistand gewährte, von dem man wusste, dass er stümperhafte Leistungen vollbringen würde.
„In diesem Punkt liegen Sie falsch. Ich arbeite sogar sehr gründlich; zu gründlich, um genau zu sein und das ist auch der Grund, warum ich Sie aufsuche, Mr. Malfoy. Wenn Sie so gütig wären Platz zu nehmen?“ Sid deutete mit einer Hand auf den kleinen Tisch mit den zwei Stühlen.
Gelangweilt stimmte Lucius zu. „Meinetwegen… Weswegen sind Sie hier?“
Nachdem auch Sid sich gesetzt hatte, erklärte er: „Es gibt da eine Abweichung bezüglich Ihrer Akte und der Aussage einer Dame, die ich vernommen habe.“
„Welche Dame?“
„Die Krankenschwester, die sich um Sie kümmert“, erwiderte Sid.
Sofort fiel Lucius der Tag ein, an dem Schwester Marie ihn darüber informiert hatte, dass sein Beistand – jener Mr. Duvall, der ihm gerade gegenübersaß – das Gespräch mit ihr gesucht hatte.
„Klären Sie mich auf, Mr. Duvall.“
„Nun, Schwester Marie hatte einmal erwähnt, dass Minister Weasley und Mr. Shacklebolt Sie aufgesucht hatten. Sie sagte, nach dem Besuch wären Sie sehr verärgert gewesen?“ Am Ende des Satzes hatte er die Stimme leicht angehoben, um Maries Aussage nun als Frage zu stellen.
„Ja, da behält die Gute Recht. Es war ein“, Lucius suchte nach einem passenden Wort, um nicht krude zu klingen, „überaus unangenehmes Erlebnis.“
„Inwiefern unangenehm?“, wollte Sid wissen.
„Zunächst einmal hatte man keine Rücksicht darauf genommen, dass ich gerade erst von meiner Behandlung zurückgekommen war, die immer äußerst schmerzhaft waren. Ich war benommen, konnte noch immer nichts sehen und wurde in diesem Zustand ’verhört’.“
Der Tonfall war Sid nicht entgangen. „Warum lassen Sie es so klingen, als hätte es sich nicht um ein Verhör gehandelt?“
Anstatt zu antworten fragte Lucius selbstgefällig: „Klären Sie mich lieber darüber auf, welche Abweichungen Sie gefunden haben wollen!“
„Der Besuch der beiden Männer ist nicht in Ihrer Akte vermerkt worden. Das ist die Unstimmigkeit, über die ich gestolpert bin.“
„Ah“, machte Lucius erleuchtet. „Das ist kein Wunder, wenn Sie mich fragen. Das bestätigt mir nur meinen Verdacht.“
„Welchen Verdacht, Mr. Malfoy?“
„Dass mir einer der beiden Veritaserum ins Glas getan hat, was ich natürlich nicht sehen konnte.“
Sid hob beide Augenbrauen und forderte Lucius dazu auf: „Schildern Sie mir doch bitte, was Sie über diesen Tag noch wissen.“
„Es war abends gewesen, direkt nach meiner Behandlung. Ich war schon soweit, mich zur Nachtruhe zu begeben, da führte Marie die beiden Herren ins Zimmer. Sie bestanden auf eine Unterredung. Ich war so schwach“, Lucius stellte sich selbst gern als Opfer dar, „dass Marie mir an den Tisch helfen musste. Nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, wollte ich einen Schluck Wasser nehmen. Sie müssen wissen, Mr. Duvall, dass Marie mir das Glas immer auf dieselbe Stelle auf den Tisch stellte und so war es auch dieses Mal gewesen, das hatte ich hören können. Das Glas war jedoch nicht da, als ich danach greifen wollte. Ich musste erst um ein Schluck Wasser bitte und einer der beiden Herren reichte es mir.“
Für Sid war es eindeutig, dass man seinem Gegenüber damals etwas ins Getränk getan haben musste, denn es gab keinen anderen Grund, mit dem Glas eines Patienten zu hantieren.
„Was ist geschehen, nachdem Sie getrunken hatten?“
„Nun, es war Mr. Shacklebolt gewesen, der mich darüber unterrichtet hatte, dass ich nach nur zwei Fragen, die ich beantworten sollte, auch schon wieder in Ruhe gelassen werden würde.“ Lucius legte den Kopf schräg. „Das ist sehr eindeutig, finden Sie nicht?“
„Ja, das finde ich durchaus. Würden Sie mir sagen, welche Fragen man Ihnen gestellt hatte?“
„Das waren zwei Fragen über eine Muggelbande, derer man nicht Herr werden konnte. Offenbar wollte man die Informationen, die ich gegen einen geringen Hafterlass durchaus bereit war zu geben, lieber auf unkomplizierte Weise erlangen.“
Sid hatte genau zugehört, bevor er bestätigt haben wollte: „Sie verhandeln mit dem Ministerium?“
„Nach diesem Vorfall nicht mehr. Es liegt doch auf der Hand, dass man mir nicht mehr die Möglichkeit einräumen wollte, auf übliche Art meine Verurteilung zu mildern. Sie wissen ja sicherlich, Mr. Duvall, dass es Gang und Gäbe des Ministeriums ist, mit Haftinsassen zu handeln, sollte man somit an nützliche Informationen kommen. Es gab in der Vergangenheit nicht wenige Gefangene, die Askaban auf diese Weise entkommen konnten.“
Sofort musste Sid an seinen damaligen Schuldirektor Igor Karkaroff denken.
„Ich konnte bisher wenigstens auf sieben Jahre hinunterhandeln, doch ich denke, die meisten möchten mich wohl bevorzugt lebenslänglich hinter Gittern sehen. Deswegen hat man sich nicht mehr bemüht, mit mir zu verhandeln.“
„Was ist danach geschehen?“
„Ich habe beide damit konfrontiert; habe Ihnen an den Kopf geworfen, dass sie mir Veritaserum gegeben haben, doch sie hatten sich nicht dazu geäußert.“ Misstrauisch kniff Lucius die Augenlider zusammen, bevor er wissen wollte: „Was genau haben Sie vor, Mr. Duvall?“
„Ich denke, dass ich Ihnen mit dieser Information wenigstens noch zwei Jahre Hafterlass zugute kommen lassen kann.“
Bedrohlich leise sagte Lucius: „Das, Mr. Duvall, ist sehr dünnes Eis, auf dem Sie sich bewegen, sollten Sie in dieser Richtung irgendetwas unternehmen.“
„Ich denke…“
„Nein, das tun Sie offensichtlich nicht! Ich möchte nicht, dass Sie mir dazwischenfunken!“ Natürlich erwähnte er nichts Genaues.
„Ich verstehe nicht, Mr. Malfoy. Es ist doch eindeutig!“
Lucius zischte durch zusammengebissene Zähne, als er verlangte: „Halten Sie sich da raus! Ich habe keine Beweise, dass man mir Veritaserum gegeben hat, selbst wenn einiges dafür spricht, doch nur aufgrund von scheinbar haltlosen Beschuldigungen eines Gefangenen wird man den Minister nicht belangen. Was meinen Sie, warum ich nicht längst eine Beschwerde eingereicht habe? In den Augen des Gamots lässt meine Glaubwürdigkeit leider zu wünschen übrig und meine Erinnerung an diesen Moment taugt nichts, denn sie ist schwarz. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch rein gar nichts sehen.“
Einen Moment lang überlegte Sid, was er tun könnte. Die Erinnerungen seines Klienten waren wertlos und würden vorm Gamot nicht als Beweis anerkannt werden. Zudem war es fraglich, ob man den Vorwurf eines Häftlings gegen den Minister ernst nehmen und ihm nachgehen würde.
„Haben Sie noch eine andere Erinnerung an diesen Vorfall, die vielleicht wichtig sein könnte?“ Zunächst schüttelte Lucius den Kopf, doch dann fiel ihm noch eine einzige Sache ein.
„Da war das Geräusch einer Feder.“
„Man hat Ihre Aussage mitgeschrieben?“, fragte Sid erstaunt nach.
„Was habe ich denn eben gesagt?“ Seinen Beistand schien Lucius nicht für sehr helle zu halten.
„Ich werde versuchen…“
„Sie werden das schön sein lassen, Mr. Duvall. Ich warne Sie, durchkreuzen Sie mir ja nicht meine Pläne!“
„Welche Pläne?“, fragte Sid irritiert nach.
„Ich glaube, Sie haben mich lange genug behelligt!“ Lucius stand bereits auf, um seinen Gast zur Tür zu begleiten.
„Aber…“
„Kein Aber! Sollten Sie als mein Beistand nicht das tun, was ich sage?“
„Nein, Mr. Malfoy. Ich soll in Ihrem Sinne handeln und das werde ich auch“, konterte Sid mutig.
„Sie werden nichts tun, haben Sie verstanden?“
Sid näherte sich der Tür, an der der Blonde bereits wartete, bevor er ihm in die Augen blickte und ihm mit Entschlossenheit ins Gesicht sagte: „Ich werde die Mindeststrafe für Sie herausschlagen und zwar auf meine Art.“ Sein Gegenüber mit dieser Aussage imitierend grinste Sid ihn überheblich an, um deutlich zu machen, dass er sich von seinem Klienten nicht einschüchtern ließ. „Guten Tag noch, Mr. Malfoy.“
Nachdem sein Gast gegangen war, tigerte Lucius nervös in seinem Krankenzimmer auf und ab. Wenn sein Beistand es wagen sollte, den Minister öffentlich zu beschuldigen, dann könnte er demnächst in Askaban mit Mr. Duvall als Zellengenosse rechnen, dachte er aufgewühlt.
Zurück im Ministerium kam Mr. Duvall auf seinem Weg ins Büro an einen jungen, rothaarigen Mann vorbei, der gerade am Informationsschalter stand und dort mit der älteren Dame sprach, doch er beachtete ihn nicht und setzte seinen Weg fort.
Die Dame am Schalter schien genervt, antwortete jedoch ruhig und langsam: „Wie ich es Ihnen schon mehrmals mitgeteilt habe, Mr. Weasley, ist die Öffentlichkeit von der Verhandlung Mr. Malfoys ausgeschlossen.“ Ron wollte gerade etwas sagen, da schnitt sie ihm das Wort ab. „Und ja, ich weiß sehr wohl, dass Sie einer der Söhne des Ministers sind, doch das ändert nichts an der Tatsache, dass es keine Zuschauer geben wird und ich bitte Sie ganz höflich“, sie atmete tief durch, „nicht noch einmal zu kommen und zu fragen, denn es wird sich daran nichts ändern!“
„Das ist nicht fair!“, nörgelte Ron, der sich schon so auf die Verhandlung gefreut hatte. „Werde ich nicht einmal als Zeuge gebraucht?“
„Wenn, dann würde mir darüber keine Information vorliegen. Guten Tag, Mr. Weasley.“ Sie blickte an ihm vorbei. „Der Nächste bitte!“
Ein rundlicher Mann drängte sich nach vorn, so dass Ron den Schalter verließ und kopfhängend durch die Vorhalle des Ministeriums schlenderte. Er hätte dem alten Malfoy am Montag zu gern dabei zugesehen, wie der nervös auf seinem Stuhl hin und her rutschte, während man ihm seine Schandtaten vorlas, doch offensichtlich wurde nichts daraus.
So machte sich Ron auf den Weg zu seinem nächsten Ziel: Malfoy Manor. Durch einen der Kamine im Ministerium fragte er zunächst nach, ob er vorbeikommen dürfte.
„Das wird nicht möglich sein, Mr. Weasley“, sagte Draco formell.
„Hatten wir uns nicht schon geduzt?“ Ron hatte irritiert geklungen, denn er erinnerte sich noch sehr gut an die Hochzeitsfeier.
„Nicht dass ich wüsste, aber wie es aussieht, ist der Punkt erledigt. Also Ron, was willst du?“
„Warum darf ich nicht kurz bei dir vorbeischauen? Ich kann nicht lange sprechen, hinter mir warten noch andere darauf, den Kamin benutzen zu dürfen.“
„Etwas Beeilung, wenn ich bitten darf“, hörte Draco jemanden hinter Ron rufen.
„Du darfst nicht kommen, weil das Haus für die nächsten Wochen wegen des Mutter-Kind-Schutzes nur für enge Familienangehörige zugänglich ist“, erklärte Draco gewissenhaft.
Nickend, weil er sich die Situation mit Ginny ins Gedächtnis rief, die Harry nicht hatte besuchen dürfen, bot er an: „Die Drei Besen? Treffen wir uns dort in einer Viertelstunde?“
„Kannst du mir nicht einfach sagen, was du von mir…“
„Geht es da vorne nicht etwas SCHNELLER?“, drängte einer aus der Schlange hinter Ron, der sich daraufhin umdrehte.
„Bei Merlin, nehmen Sie doch einen anderen Kamin, wenn es Ihnen zu lange dauert. Ich hab das hier gleich geklärt!“
Der Mann und auch Ron schauten den Gang hinunter, in welchem sich die ganzen Kamine befanden und die Schlangen dort waren noch länger.
„Also, Draco? Die Drei Besen in einer Viertelstunde!“
Abrupt beendete Ron die Verbindung, so dass Draco gar nicht mehr antworten konnte. Gleich im Anschluss nahm er erneut eine Handvoll Flohpulver, um so schnell wie nur möglich nach Hogsmeade zu gelangen. Er purzelte aus dem Kamin des Hinterzimmers, in welchem Rosmerta einen Zugang für Gäste eingerichtet hatte.
Wegen des Geräuschs kam die Wirtin ins Hinterzimmer, bevor sie den neuen Gast erkannte und freundlich grüßte: „Hallo Ron, lange nicht gesehen. Komm doch nach vorn in die gute Stube.“ Mit roten Wangen, denn für Rosmerta hatte er wie in alten Tagen noch immer eine Schwäche, kam er ihrer Aufforderung nach. Sie platzierte ihn an einen gemütlichen Tisch an der Wand und sagte, bevor er den Mund öffnen konnte: „Lass mich raten: ein Butterbier?“
„Ja genau, dass Sie das immer noch wissen...“
„So lange ist es nun auch wieder nicht her“, schäkerte sie lächelnd, bevor sie ihn allein ließ.
Als Harry den Orden des Phönix übernommen und mit der DA vereint hatte, da traf man sich gelegentlich mit einem Verbündeten in einem Zimmer von Rosmerta. Einige Menschen hatten damals die Todesser finanziell unterstützt, sich jedoch im gleichen Atemzug Hilfe suchend an Harry gewandt. Es war pure Angst gewesen, weshalb diese Hexen und Zauberer schon beim ersten Besuch der Todesser zugesagt hatten, den Dunklen Lord mit all ihrem Hab und Gut zu unterstützen, doch im Herzen waren sie gute Menschen, die um ihre Lieben fürchten mussten. Die Zeitungen waren voll gewesen mit Artikeln über Familien, die ausgelöscht worden waren, weil sie sich Voldemorts Halunken nicht hatten beugen wollen.
Wenig später traf Draco ein, den Ron zu sich heranwinkte.
„Dein Ruf hat mich wirklich überrascht“, sagte Draco, während er sich zu Ron an den Tisch setzte. Allein hatten sich die beiden jungen Männer noch nie getroffen.
„Tut mir Leid, aber da mich die Zwillinge im Stich lassen – zumindest einer von ihnen – suche ich jemand anderen für meine Pläne.“
Die Frage konnte man an Dracos Miene ablesen, doch nichtsdestotrotz stellte er sie: „Was denn für Pläne bitteschön?“
„Willst du ein Butterbier?“ Ron hob bereits seinen eigenen Krug und deutete auf ihn, während er Rosmerta anschaute, die sofort verstand und ein weiteres Butterbier zapfte.
„Es geht um eine Überraschung für Harry und eigentlich waren Fred und George eingeplant, aber die meinten neulich, dass einer von ihnen im Laden bleiben müsste.“
Verständnislos schüttelte Draco den Kopf, bevor er sagte: „Könntest du bitte von vorn anfangen? Ich kann deinen Gedankengängen leider nicht ganz folgen.“
„Du weißt aber, was eine ’Überraschung’ ist oder?“, scherzte Ron, der nach Dracos bösem Blick sofort ernsthaft erklärte. „Die Überraschung für Harry ist ein Quidditch-Spiel, das wir auf dem Spielfeld von Hogwarts austragen möchten und zwar Anfang März; um genau zu sein am sechsten. Dumbledore hat schon zugesagt“
„Schöne Überraschung, aber was habe ich dabei verloren?“
„Ich brauche noch einen Treiber. Fred oder George, steht noch nicht ganz fest, jedenfalls wird einer von beiden Treiber und einer fehlt noch.“
„Wie kommst du auf mich?“, fragte Draco verdutzt.
„Du hast in der Schule damals auch gespielt“, er haderte mich sich, „und gar nicht mal so schlecht.“
„Ich war Sucher, niemals Treiber“, stellte Draco klar, um sich herauszuwinden, doch Ron hielt dagegen.
„Du kannst dich aber bestens auf einem Besen halten und beim Training hab ich gesehen, dass du mit den Schlägern genauso hervorragend umgehen kannst, deswegen.“
Rosmerta brachte gerade das Butterbier an den Tisch, welches der Blonde nachdenklich zu sich heranzog, doch er trank nicht.
Eine Absage wollte er noch nicht erteilen, stattdessen fragte Draco: „Wie soll das ablaufen, das Spiel? Gegen wen spielen wir?“
„Wir spielen gegen Eintracht Pfützensee, beziehungsweise sind Angelina und ich sowie Oliver im Hogwarts-Team. Wir drei werden bei Eintracht Pfützensee also ersetzt.“
„Oliver?“
Ron blickte Draco an, als würde der nicht nur eine lange Leitung haben, sondern auch noch auf ihr stehen, doch er half ihm auf die Sprünge: „Na, Oliver Wood kennst du sicherlich noch.“
„Natürlich“, stimmte Draco zu. „Aber er war früher doch immer Hüter.“
„Den Job habe ich übernommen“, sagte Ron stolz. „Oliver, Ginny und Angelina sind die drei Jäger, ich der Hüter, du und einer der Zwillinge die Treiber und Harry...“
„Der Sucher, was sonst“, sagte Draco mit einem Schmunzeln auf den Lippen. „Und Harry weiß nichts von seinem Glück?“
„Nein und du wirst ihm bitte auch nichts davon erzählen“, sagte Ron ein wenig drohend.
„Wäre ja sonst keine Überraschung mehr…“
„Eben! Ginny muss Harry noch dazu bringen, demnächst mit dem Training anzufangen, zumindest ein bisschen, denn er saß lange nicht mehr auf einem Besen.“
„Ich auch nicht“, warf Draco ein.
„Na bestens, dann trainierst du gleich mit!“
„Fällt auch gar nicht auf“, gab Draco zu bedenken.
Rons Stirn schlug Falten. „Bist du denn nicht im Slytherin-Team?“
„Slytherin hat viel zu wenig Schüler, da bekommen wir kein Team zusammen“, erklärte er dem Rothaarigen.
„Das gibt’s nicht.“ Über diese Aussage war Ron sehr verwundert. „Slytherin hat kein Quidditch-Team?“
„Ich sagte doch schon, warum das nicht geht.“
„Ich kann es aber nicht glauben. Da muss es doch eine Lösung für geben! Wie viele Schüler hat Slytherin überhaupt?“, wollte Ron wissen.
„Wir sind mit mir zusammen genau zwanzig, davon fünf Erstklässler.“
„Und unter den fünfzehn Schülern, die nicht mehr in der ersten Klasse sind, wollen sich keine sieben für ein Quidditch-Team finden?“ Draco schüttelte den Kopf. „Krass“, betitelte Ron diese Misere. „Kann man da nichts anderes tun?“
„Was denn bitteschön? Sollen wir an die Türen der anderen Häuser klopfen und die in unser Team aufnehmen, die vom eigenen Haus abgelehnt wurden, weil sie zu schlecht waren?“, sagte Draco mit sarkastischem Unterton.
Ron zog unschuldig beide Augenbrauen in die Höhe und antwortete lässig: „Warum nicht?“
„Weil das keine Slytherin-Mannschaft wäre, sondern eine kunterbunt gemischte.“
„…die für das Haus Slytherin spielt!“, stellte Ron klar. „Ich verstehe deine Einwände nicht ganz, Draco. Es steht nirgends geschrieben, dass die Spieler aus dem Haus stammen müssen, für das sie spielen.“
In Gedanken ging Draco die Situation durch und er nahm sich vor, in dem Buch „Geschichte Hogwarts’“ nachzulesen oder – was wesentlich einfacher wäre – einfach Hermine zu fragen, die zwar Quidditch nicht sonderlich zu mögen schien, den Wälzer jedoch auswendig kennen sollte.
„Hey, träumst du?“, hörte er Ron fragen. Nachdem er aufgeblickt hatte, fragte Ron offenbar zum wiederholten Male: „Bist du nun mit dabei? Ich wüsste nicht, welchen ehemaligen Hogwartsschüler ich sonst fragen sollte.“
„Ich bin kein ’ehemaliger’ Schüler“, stellte Draco richtig.
„Nein, bist du nicht, aber du hast unser Alter, warst früher schon im Team. Ich sehe da kein Problem und Dumbledore auch nicht. Also…?“
Sich einen Ruck gebend stimmte Draco zu: „Abgemacht!“
„Cool, danke!“, sagte Ron lächelnd, bevor er seinen Krug hob und mit Draco anstieß.
Die beiden unterhielten sich nach Dracos Zusage noch eine Weile, während sie ihr Butterbier tranken. Es stellte sich heraus, dass Ron einer der zwölf Hochzeitsgäste gewesen war, mit denen er Brüderschaft getrunken hatte. Der gemeinsame Nenner „Quidditch“ brachte unerwartet allerhand Gesprächsstoff.
„Du hattest erzählt“, begann Draco, „dass euer Sponsor abgesprungen ist.“ Ron nickte, denn darüber hatten sie sich während der Hochzeitsfeier lang und breit unterhalten. „Was macht ein Sponsor so?“
Ron stutzte einen Augenblick, erzählte aber gewissenhaft: „Er gibt hier und da ein paar Galleonen für das Team aus, was sonst? Außerdem kann er dafür kostenlos Werbung mit uns machen. Wir nehmen aber nicht jeden. Das Angebot vom Tagespropheten haben wir dankend ausgeschlagen.“ Mit einem großen Schluck Butterbier schien Ron noch im Nachhinein auf diese Entscheidung zu trinken, doch Draco war nachdenklich geworden.
„Inwiefern ’Werbung machen’?“, wollte er wissen.
„Wir hatten einmal die Firma ’Nimbus Rennbesen’ als Sponsor, aber die sind abgesprungen, weil sie mit Viktor Krum an ihrer Seite einen der besten Werbeträger überhaupt bekommen haben, da brauchten sie nicht noch Eintracht Pfützensee. Krum ist da als ’Berater’ angestellt, aber wenn du mich fragst, ist er dank Harry zu deren Aushängeschild geworden. Der muss nur ein wenig rumlaufen, einen Nimbus in der Hand halten und wird dafür schon bezahlt.“
„Dank Harry?“, fragte Draco nach.
„Devlin Whitehorn, der Firmengründer von Nimbus, ist eines Tages an Harry herangetreten und hat ihm ein Ohr abgekaut, um ihn für sein Unternehmen zu gewinnen. Harry hat daraufhin den Spieß umgedreht und Whitehorn bearbeitet. Der wollte danach nicht mehr Harry haben, dafür aber Krum und es hat geklappt.“
„Harry ist clever.“
Nickend stimmte Ron zu. „Ich glaube sogar, es hat ihm Spaß gemacht.“
Beide hatten gleichzeitig den letzten Schluck genommen. Ron wollte sich gerade verabschieden, da hielt Draco ihn auf und wollte etwas wissen, was Ron hellhörig werden ließ.
„Was, wenn jemand Sponsor werden möchte, dessen Vergangenheit nicht ganz vorzeigbar ist?“ Verlegen schaute Draco ihm in die Augen, danach auf seinen leeren Krug, während er auf eine Antwort wartete.
„Das Team entscheidet darüber.“ Ron konnte sehen, wie ein kleiner Hoffnungsschimmer in seinem Gegenüber zu erlöschen drohte, da fügte er noch schnell hinzu: „Aber wenn jemand aus dem Team ein gutes Wort einlegen würde, wäre das kaum ein Problem.“
Diese kleine Andeutung genügte, um seinen ehemaligen Mitschüler wieder zuversichtlich zu stimmen, doch Ron konnte sich nicht zusammenreimen, auf was Draco mit dieser Frage hinauswollte.
Weniger zuversichtlich war Sirius, der gelangweilt Zuhause darauf wartete, dass Anne von der Arbeit kommen würde. Er hatte etwas zu Essen gemacht, musste aber feststellen, dass er viel zu früh mit der Zubereitung begonnen hatte. Zum Glück gab es Wärmezauber, die eine Mahlzeit nicht auskühlen ließen.
Ihr neues Haus in Thamesmead West lag nahe an der Themse. Sirius hatte darauf bestanden, einen Ort zu finden, dessen Bevölkerungsdichte sehr gering war. Das dazugehörige Grundstück war groß und sorgte für eine angenehme Isolation, denn im Hinterkopf hatte Sirius behalten, dass gewisse Leute weiterhin einen Groll gegen ihn hegten. Rodolphus und Rabastan waren laut Kingsley noch immer auf freiem Fuß. Ähnlich wie Hogwarts hatte Sirius prophylaktisch einige Muggelabwehrzauber auf das Haus gelegt, worüber Anne sich beschwert hatte, denn der Postbote brachte seitdem keine Briefe mehr.
Wie sie denn Freunde mit nachhause bringen könnte, hatte sie einmal gefragt. Seufzend erinnerte sich Sirius an ihre Einwände, weswegen er sich nach dem Einzug hatte umstimmen lassen, zumindest den Briefträger von der Muggelabwehr auszunehmen. Das Leben in der Muggelwelt war eine große Umgewöhnung für Sirius, auch wenn sie ihm einigermaßen vertraut war. Wenn sie unterwegs waren, musste er ständig darauf achten, nicht seinen Zauberstab zu ziehen. Wenigstens hatten sie einen Kamin, der ans Flohnetzwerk angeschlossen war, doch ihm fiel niemand ein, den er kontaktieren könnte. Früher, erinnerte sich Sirius seufzend, da hatte er viele Freunde; viele Menschen um sich herum, die ihn bewunderten.
Sich ein Glas Weißwein genehmigend reflektierte Sirius sein jetziges Dasein. Die vielen Menschen um ihn herum waren Annes Freunde, vielleicht auch irgendwann mal seine. Außer Remus und Harry hatte er niemanden, den er Tag und Nacht ungestraft anflohen könnte und das tat er nur sehr selten, damit man ihn nicht für einsam hielt. Arthur konnte er nicht einfach kontaktieren, um zu fragen, ob sie noch zusammen einen heben gehen wollen; der Minister hätte dafür sowieso keine Zeit. Seine Cousine Andromeda war stets sein Liebling gewesen, doch der Kumpel von damals war sie lange nicht mehr. Narzissa hingegen war für ihn ein Buch mit sieben Siegeln, welches er aus freien Stücken noch immer nicht zu öffnen wagte.
Das Geräusch eines sich im Schloss drehenden Schlüssels kündigte Anne an, weswegen er sein Weinglas abstellte und zum Flur laufen wollte, um sie zu begrüßen. An der Tür blieb er jedoch stehen und rief sich ins Gedächtnis, dass sie neulich einen Scherz gemacht hatte, der nicht böse gemeint war, ihn aber wie aus heiterem Himmel getroffen hatte. Sie hatte gesagt, er wäre wie ein Hund, der zur Tür gelaufen käme, um das Frauchen zu begrüßen.
So ging er zurück zu seinem Sessel, während er hören konnte, dass Anne bereits eingetreten war. Die nacheinander folgenden Geräusche waren ihm vertraut: der Schlüsselbund, den sie auf der Kommode ablegte, das Reiben von Stoff, als sie sich den Mantel auszog. Das klackernde Geräusch ihrer Schuhe, die sie sich von den Füßen strich.
Auf Nylonstrümpfen betrat sie das Wohnzimmer.
„Du bist ja doch da.“ Sie freute sich, was er an dem Klang ihrer Stimme hören konnte. „Ich dachte schon, du wärst weggegangen.“
„Wohin sollte ich denn gehen?“ Sein Weinglas wurde für ihn wieder interessant und so nahm er es vom Tisch, um daran zu nippen.
„Zu deinen Freunden“, erwiderte sie irritiert. Sie schien zu lächeln, was er hören, aber nicht sehen konnte, als sie schäkerte: „Ich bin es gewohnt, dass du mich im Flur begrüßt.“
Mit einer so eisigen Stimme, die er selbst bereute, schlug er vor: „Dann solltest du dir besser einen Hund kaufen. Ich bin mir sicher, dass der dir diesen Wunsch erfüllen würde.“
Er brauchte gar nicht über seine Schulter zu sehen, denn er wusste nur zu gut, dass sie wie versteinert hinter ihm stehen musste und seine Worte zu verdauen versuchte.
Mit warmer Stimme stellte sie ihm die Frage: „Warum bist du so?“
„Wie bin ich denn?“, fragte er kraftlos zurück, was ihr vor Augen hielt, dass er keine Lust auf eine Unterhaltung hatte.
„Du bist traurig und du bist gelangweilt.“ Es war kein Vorwurf, nur ihre Meinung.
Mit einer Äußerung hielt er sich zurück und so lauschte er ihren weichen Schritten, bis er ihr Gesicht plötzlich sehen konnte, denn sie hatte sich niedergekniet.
„Was möchtest du? Dass ich Mr. Hatter meine Kündigung auf den Tisch lege?“ Bevor ihm ein passendes Argument einfiel, fügte sie noch hinzu: „Damit wir beide vierundzwanzig Stunden wie Kletten zusammen verbringen können? Was meinst du, wie lange wir brauchen, bis wir uns nicht mehr ertragen können? Wir würden sicherlich so enden wie meine Eltern – geschieden.“ Sie musste gar nicht erwähnen, dass ihre Eltern sich nicht mehr sehen wollten, weswegen auch nur ihre Mutter zur Hochzeit gekommen war. „Ich will das nicht, aber ich weiß nicht, was ich sonst tun kann, damit du unsere Ehe nicht bereust.“
„Ich bereue sie doch gar nicht“, winselte Sirius beschämt.
Langsam nahm sie auf einer der breiten Armlehnen des Sessels Platz, um kurz darauf wie in Zeitlupe auf seinen Schoß zu rutschen, weswegen seine Mundwinkel nach oben schossen.
„Da ist es ja wieder!“, jubelte Anne und legte ihre Arme um seinen Hals.
„Was?“
„Das freche Grinsen“, flachste sie gut gelaunt. „Ich hab es so vermisst.“ Ein Kuss auf seinen Mund sollte ihre Worte unterstreichen.
„Ich grinse nicht“, nörgelte er scherzhaft, „und schon gar nicht frech.“
Sie spielte mit seinen langen schwarzen Haaren, legte den Kopf schräg und teilte Sirius mit: „Mr. Hatter hat mir Montag frei gegeben, weil ich gestern und heute so lange gearbeitet. Ach ja“, fiel ihr ein, „du hast mir noch gar nicht erzählt, wie dein Abend mit Remus war.“
„Mit Moony“, verbesserte er.
„Mit wem?“
„So haben wir ihn schon früher genannt, wenn er mit seinem ’haarigen Problem’ zu kämpfen hatte.“
„Ach so, und wie war es nun gewesen?“ Sie klang sehr neugierig.
„Es war“, Sirius atmete tief durch, „befreiend! Ja, das ist das richtige Wort dafür.“
Sie gab ihm erneut einen Kuss auf die Lippen.
„Also, was wollen wir am Montag machen?“, fragte sie enthusiastisch, während sie ihre Hände in seinen Haaren vergrub.
„Lass uns darüber beim Essen nachdenken.“
„Nein, du hast doch nicht etwa gekocht?“ Ihre Nase bewegte sich wie die eines Kaninchens. „Ich rieche gar nichts.“
„Zauberei, schon vergessen? Es ist wärmeisoliert.“
„Kann man es auch essen?“ Dieser Scherz bescherte ihr einen Klaps auf den Po.
„Sei nicht so frech. Komm…“, er stand auf und nahm sie währenddessen auf seine Arme, um sie an den Tisch zu tragen. „Wir essen etwas und lassen uns was Schönes für Montag einfallen.“
Nachdem er sie neben dem Stuhl abgesetzt hatte und sie sich gesetzt hatte, um sich von ihm bedienen zu lassen, da sagte sie: „Was wir morgen machen, das weiß ich jetzt schon.“
Den Zauber entfernend, der das Essen schützte, fragte er neugierig: „Was?“
„Wir bleiben einfach im Bett.“ Als er aufblickte, sah er sie verführerisch mit einem Auge zwinkern.
„Und was ist mit dem Frühstück?“
„Du kannst es uns ans Bett zaubern.“ Er reichte ihr den Teller und erst da lief ihr das Wasser im Munde zusammen. „Sirius, das ist…“
„Dein Leibgericht, ich weiß.“
„Dafür hast du dir eine Belohnung verdient!“
„Die ich mir aussuchen darf?“, fragte er keck.
„Erst einmal sehen“, sie warf ihm einen verspielten Blick zu, „ob mir davon auch nicht schlecht wird.“
„Du unverschämtes…“
„Mhhh“, machte sie nach dem ersten Happen, womit sie ihn unterbrach.
Beide aßen gemütlich und schmiedeten Pläne für Montag. Anne verstand, wie er sich fühlen musste, aber sie wollte so gern als Hutmacherin weiterarbeiten, wollte im gleichen Atemzug aber Sirius glücklich wissen, so dass sie nach einem Moment fragte: „Sag mal, du hast mir nie erzählt, ob du irgendwelche Hobbys hast.“
„Ich…“ Sein plötzliches Verstummen konnte ihrer Meinung nach nur bedeuten, dass er keine hatte.
„Woran hast du früher Gefallen gefunden?“, wollte sie wissen.
„Mit ’früher’ meinst du vor meiner Zeit in Askaban? Denn während dieser Zeit gab es nicht sehr viel, an dem ich mich erfreuen konnte.“
Es war zu bemerken, dass sein Gemüt von einer Sekunde zur anderen umgeschlagen war, denn er blickte starr auf seinen Teller und die Hand, die seine Gabel hielt, bewegte sich nicht mehr. Als wäre er selbst weit weg, begann er bedächtig zu erzählen.
„Ich fand Gefallen an dem blauen Himmel, wenn ich aus dem kleinen Loch gesehen habe, das sich ein Fenster schimpfte.“ Übergangslos zeugte seine Stimme von einem Teil in Sirius, der sehr verletzlich schien und bisher nie ans Tageslicht gekommen war. „Die Vögel“, hauchte er weltvergessen. Seine Augen wanderten ziellos über den hübsch dekorierten Tisch. „Ganz selten kam eine Möwe an die Fensteröffnung und dann wurde ich ganz still.“ Er hatte so leise gesprochen, als säße gerade ein solcher gefiederter Freund in der Nähe.
„Sie sollte nicht erschrecken, sollte bei mir bleiben.“
Erschüttert hörte Anne zu, doch gleichzeitig war sie auch erleichtert, denn Sirius hatte noch nie über seine Zeit im Gefängnis gesprochen.
„In solchen Augenblicken hab ich die Vögel genau betrachtet; sie um ihre Freiheit beneidet. Sie waren so lebendig, ganz anders als ich selbst.“
Um der Situation den Ernst zu nehmen, denn Sirius war ganz offensichtlich noch nicht bereit, freiheraus über seine Erlebnisse zu sprechen, fragte sie mit verhaltener Stimme: „Ist mal ein Vogel in deine Zelle geflogen?“
Ein seliges Lächeln verscheuchte seine gequälten Gesichtszüge und er nickte zurückhaltend, als dürfte er ihr davon eigentlich gar nicht erzählen.
„Ja“, bestätigte er flüsternd. „Und er war sogar noch da, als ein Dementor zu mir kam, um…“ Sorgenfalten formten ein Dreieck über seiner Nasenwurzel, als er sich daran erinnerte, wie die schwarzen, stinkenden Ungetüme ihn seines Glückes beraubt hatten. „Der Dementor hatte den Vogel nicht ein einziges Mal angesehen und ich konnte mir nicht erklären, warum. Das hat mich eine Weile beschäftigt. Mir war eine Idee gekommen und ich hab mich in Tatze verwandelt. Sie haben mich tatsächlich in Ruhe gelassen. Tiere waren für sie nicht interessant und dann…“ Seine Hände begannen zu zittern, so dass er die Gabel beiseite legte. „Eines Tages, nachdem jemand vom Ministerium bei mir gewesen war, da stand meine Tür offen.“ Er blickte sie mit großen Augen an. „Einfach so, die ganze Nacht über und ich wusste nicht, ob ich das nur träumen würde. Hab mich ein paar Stunden lang nicht getraut nach vorn zu krauchen, um nachzusehen.“
Mit einer Hand umfasste Anne seine zitternde. „Was hast du dann getan?“
„Tatze“, flüsterte er. „Niemand wusste etwas von Tatze.“ Seine Augen begannen zu leuchten. Peter, James und er selbst hatten sich nie als Animagus registrieren lassen. „Ich habe so gehofft, dass ein Hund außerhalb der Zellen den Dementoren genauso egal wäre wie ein Vogel.“
Sie lächelte zuversichtlich. „So bist du entkommen.“ Es war nicht als Frage formuliert, denn es lag auf der Hand. Zudem nickte Sirius bestätigend.
„Ich bin als Tatze hinaus auf den Gang gelaufen. Da waren nur Türen, kein Mensch war zu sehen, ab und zu Dementoren. Ich bin immer weiter nach unten gelaufen. ’s waren eine Menge Stufen. Keiner hat mich beachtet, aber in der Küche…“ Er musste kräftig schlucken. „Ich dachte, jetzt hätte man mich erwischt. Da waren viele Männer gewesen und alle haben mich angestarrt.“ Den Kopf schüttelnd, als würde er selbst im Nachhinein sein Glück kaum fassen können, schilderte er: „Sie haben nichts getan, nur geschaut mit ihren schwarzen Augen. Einer ist auf mich zugekommen. Der Mann war wirklich gruselig, Anne. Seine kalte Miene, seine Augen...“
Nur langsam gewann er Abstand von der Erinnerung, so dass er aufgrund seiner eigenen Worte weniger ergriffen war. Seiner Frau die Hand drückend erzählte er mit tränenverschleierten Augen, aber mit Freude im Gesicht, was danach vorgefallen war.
„Der Mann hat die Tür nach draußen geöffnet.“ Als er das Szenario reflektierte, war es ihm noch immer unverständlich, dass man ihn nicht ergriffen hatte. „Er hat einfach die Tür geöffnet und mich hinausgelassen und da stand ich plötzlich… auf den Felsen an der tosenden Brandung.“
Von seiner Geschichte ganz gefesselt fragte sie: „Wie bist du da weggekommen?“
Seine Antwort ließ sie stutzen, denn er murmelte: „Ziel, Wille, Bedacht.“
„Was?“
Er schaute ihr in die Augen; die aufgekommenen Tränen waren längst wieder versiegt. „Ich wusste nicht, ob ein Schutzzauber über der Insel lag und wie weit der reichen würde, also bin ich als Tatze ins Meer gesprungen. Ich dachte, ich müsste sterben, so kalt war das, aber es war noch immer erträglicher als die Kälte, die von den Dementoren ausgeht.“ Er schüttelte sich, weil ihm ein Schauer über den Rücken lief. „Die Insel war irgendwann weit weg und ich habe mich zurückverwandelt. Dann dachte ich immer nur an das, was man mir in der Schule beigebracht hatte: Ziel, Wille, Bedacht. Ich bin appariert, aus dem Wasser heraus.“
„Wo bist du gelandet?“, wollte sie mit erstauntem Gesichtsausdruck wissen.
Einmal schnaufend erwiderte er: „Im Wasser. Ich konnte keine große Strecke hinter mich bringen, aber ich hatte auch kein näheres Ziel vor Augen. Ein paar Mal wiederholte sich das. Da war nur das weite Meer. Meine Beine waren schon wie abgestorben. Ich habe mich gefragt, ob das wegen der eisigen Kälte so war oder ob ich sie beim Apparieren verloren hatte.“ Er zwang sich selbst zu guter Laune und schlug sich auf den Oberschenkel. „Aber wie du siehst, ist alles noch da.“
Sie legte ihre Hand auf seine, die noch immer auf seinem Schenkel ruhte. „Ja, alles noch da“, bestätigte sie mit sanfter Stimme.
Ohne Eile nahm sie ihn in den Arm; er brauchte Trost. Mit tiefen Atemzügen brachte er seine aufgewühlten Gefühle unter Kontrolle, während er sich mit beiden Händen an sie klammerte, wie ein Ertrinkender an einen Rettungsring.
Aufgewühlt war auch Hermine. Sie hatte eben Besuch von Bill und Fleur gehabt, die ihr aus Frankreich tatsächlich die Leuchtorgane des Drachenfisches mitgebracht hatten. Aufgrund des hohen Preises dieser Zutat musste sie die beiden vertrösten, denn so viel Galleonen hatte sie nicht hier. Das Problem war nur gewesen, dass die Fruchtkapseln des Gespenstischen Steinregens noch fehlten. Der französische Händler, von dem Mr. Heed – offenbar zu Recht – nichts mehr wissen wollte, hatte diese Zutat bestellen müssen. Als Fleur sie am nächsten Tag abholen wollte, hatte der Mann einen äußerst unanständigen Handel vorgeschlagen, den Fleur natürlich erbost ausgeschlagen hatte. Also keine Fruchtkapseln, dachte Hermine niedergeschlagen, doch sie machte Fleur keinen Vorwurf.
Doch Hermine war weniger aufgewühlt, weil ihr noch eine Zutat fehlte, sondern eher, weil sie es gewagt hatte, Severus deswegen zu fragen.
„Sie müssen den Verstand verloren haben“, warf er ihr in kühlem Tonfall vor, während er an seinem Schreibtisch saß, um noch einige Dinge für den morgigen ersten Schultag nach den Weihnachtsferien zu erledigen. Die Schüler würden heute Abend zurückkommen.
„Ich habe Ihnen ganz höflich eine Frage gestellt und erwarte…“ Er blickte auf und seine grimmige Miene verschlug ihr glatt die Sprache.
„Ich warne Sie“, drohte er säuselnd, „wagen Sie es ja nicht, in meinen Räumlichkeiten irgendeinen fragwürdigen Trank zu brauen. Denken Sie tatsächlich, ich wüsste nicht, was Sie mit dieser Zutat vorhaben?“
„Ich möchte doch nur wissen, wo man den Gespenstischen Steinregen herbekommt. Wächst der in der Umgebung? Ich habe gelesen…“
Er unterbrach sie. „Das ist das Einzige, das Sie wirklich perfekt beherrschen, nicht wahr? Lesen!“ Severus verzog angewidert das Gesicht und widmete sich gleich wieder seinen Aufgaben.
„Also helfen Sie mir nicht!“
„Nein.“
Sie blieb einen Moment lang in seinem Büro stehen und blickte verärgert zu Boden, während Sie dem kratzenden Geräusch seiner Schreibfeder lauschte.
Ihr fiel ein, dass sie ihm noch nicht mitgeteilt hatte, wie seine Magiefarbe am Tag des Ferienbeginns ausgesehen hatte. Sie hatte es zusammen mit Remus in Harrys Denkarium sehen können und womöglich wäre dies ein passender Moment, ihn aus der Reserve zu locken.
„Die Veränderung Ihrer Magiefarbe lässt mich vermuten…“
„Halten Sie Ihren Mund! Ich bin der Meinung, ich habe mich sehr deutlich ausgedrückt als ich Ihnen sagte, Sie könnten mir auf meine Frage schriftlich antworten, was Sie bisher allerdings nicht für notwendig erachtet haben.“
„Meine Güte, wir stehen uns gegenüber und können die Sache auch sofort klären“, wetterte sie zurück, doch er hatte seine Aufmerksamkeit bereits wieder den Pergamentrollen gewidmet, die er nach und nach entrollte, um sie zu lesen und sich Notizen zu machen. „Severus?“ Er ignorierte sie, wie sie es hätte ahnen müssen.
Trotzköpfig begann sie damit, in ihrer Tasche zu wühlen, was Severus nicht entging, denn er blickte einige Male neugierig zu ihr hinüber, ohne dabei den Kopf zu heben. Sie zog ein Stück Pergament heraus. Nur mit den Augen folgte er ihr, als sie sich dem kleinen Pult näherte und sich setzte. Sie begann zu schreiben und auf einem Stück Pergament, welches rechts auf seinem eigenen Schreibtisch lag, formten sich zeitverzögert wie von Geisterhand Buchstaben, was er mit rasendem Puls feststellen musste. Sie verwendete das magische Papier.
Auf seinem Teil des Blattes formten sich die Worte „Ihre Magiefarbe verändert sich, wenn Sie in der Nähe von anderen Menschen sind.“.
Mit weit aufgerissenen Augen schaute er zu ihr hinüber und zu seinem Schrecken blickte sie ihn herausfordernd an. Er fühlte sich ertappt und schaute ruckartig weg, um sich wieder seiner Arbeit zu widmen, doch er konnte es nicht verhindern zu bemerken, dass sich weitere Worte auf dem Stückchen Pergament bildeten. Aus den Augenwinkeln las er „Bei Remus hatte sich ein Teil seiner Magiefarbe leicht geändert, als Harry ihn berührt hatte. Bei Ihnen ist die Farbe allgemein heller geworden und das nur, weil sie zwischen Harry und Remus gesessen hatten.“. Er versuchte, ihre aufdringliche Art der Kommunikation zu ignorieren, doch als er erneut schwarze Buchstaben erkennen konnte, da musste er einfach lesen. „Interessiert Sie das alles wirklich nicht?“
Es ärgerte ihn, dass diese Informationen und ihre Fragerei ihn unentschlossen machte, denn er schwankte hin und her zwischen der Möglichkeit, ihr ein für allemal alles zu erklären oder die Sache, wie er es ursprünglich vorhatte, einfach zu vergessen. Sie ließ ihn jedoch nicht vergessen und zündelte mit einem immer wieder ausgehenden Streichholz an seiner Hoffnung herum. Hoffnung war ein angenehmes Gefühl, auch wenn es sich bei ihm in Grenzen hielt, denn er wusste von den Auswirkungen, die die zerschlagene Variante mit sich brachte.
Ein weiteres Mal erblickte er ihre Handschrift. Sie hatte geschrieben „Wenigstens habe ich Sie zum Nachdenken motiviert.“.
Sie unterließ es nicht, sich weiterhin schriftlich mitzuteilen und er brachte es nicht fertig, sie aus seinem Büro zu werfen. Mit jedem ihrer geschriebenen Worte wurde er zorniger, aber auch unsicherer, was ihn nur noch wütender machte. Er müsste sie loswerden, bevor sie diesen Nerv zu sehr strapazierte.
Zuletzt geändert von Muggelchen am 10.02.2011 21:46, insgesamt 1-mal geändert.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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Teil 2 von Kap. 162
Während in den tiefen Hogwarts eine angespannte Stimmung herrschte, hatte sich in Albus’ Büro eine sehr lauschige Atmosphäre ausgebreitet, obwohl Remus anfangs das Schlimmste befürchtet hatte, als er von Albus auf einen Tee eingeladen worden war.
„Du weißt, dass ich deine Fähigkeiten sehr schätze, Remus“, sagte Albus mit väterlicher Stimme.
Remus glaubte zu verstehen und sagte abwinkend: „Ich weiß, dass es die Eltern der Schüler sicherlich nicht erfreuen würde, wenn ein… Na ja, wenn jemand wie ich zum Lehrpersonal gehören sollte.“
Albus lächelte unerwartet breit. „Gleich gestern hatte ich den Schulrat über die notwendige Kündigung des Lehrers für die Pflege magischer Geschöpfe kontaktiert und natürlich auch meine Empfehlung in Bezug auf einen neuen Lehrer ausgesprochen. Der Schulrat hat unverzüglich die Eltern angeschrieben und es kamen bereits viele Rückmeldungen.“
„Es war auch zu schön, um wahr zu sein“, hauchte Remus, bevor er sich einen großen Schluck Tee genehmigte, um den Kloß in seinem Hals hinunterzuspülen. Sein Fluch hatte ihm das Leben schon immer schwer gemacht.
Von seinem Schreibtisch holte Albus einen kleinen Stapel mit Briefen, deren Umschläge bereits geöffnet waren und er hielt sie Remus entgegen.
„Ich werde mich nicht darum kümmern können, Remus.“
Verdutzt nahm er die Briefe entgegen. Schreiben, die seiner Meinung nach die Empörung der Eltern beinhalten würden. Böse Worte darüber, wie man die Frechheit besitzen könnte, einen Werwolf überhaupt als Lehrer vorzuschlagen. Es war ihm ein Rätsel, warum Albus ihm die Schreiben überreicht hatte, doch ohne zu Murren steckte er sie in seine Innentasche.
„Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest?“
„Sicher Albus, vielen Dank für den Tee.“
Als Remus die Wendeltreppe nach unten ging, hielt er unbewusst eine Hand an seine Brust, denn darunter, unter seinem Umhang, befanden sich die Briefe, die ihm so nahe an seinem Herzen jetzt schon Schmerzen bereiteten. Es wollte sich im nicht erschließen, warum Albus ihm den Schriftverkehr anvertraut hatte. Gelesen hatte der Direktor die Rückmeldungen der Eltern auf jeden Fall. Die Angst, durch böse Worte tief verletzt zu werden, hielt ihn dennoch nicht davon ab, sich in eine Nische auf dem Gang zu verdrücken, um seiner Neugier auf der Stelle nachzugeben.
Mit zittrigen Fingern zog er einen der Briefe aus seiner Innentasche. Der Absender verriet, dass es sich um die Rückmeldung der Eltern von Shaun Smith handelte, von dem Harry ihm einmal erzählt hatte. Mit zittrigen Fingern entnahm er den Brief und las.
„Sehr geehrter Professor Dumbledore,
von unserer Seite aus haben wir keine Bedenken, Mr. Lupin als Lehrer an Ihrer Schule zu wissen. Wir danken Ihnen für Ihre Offenheit.
Anbei ein Schreiben für Mr. Lupin mit der Bitte, es an ihn weiterzuleiten.
Mit freundlichen Grüßen,
Margreta und Davis Smith“
Tatsächlich befand sich in dem Umschlag noch ein weiterer, der noch nicht geöffnet war und auf den man seinen Namen geschrieben hatte. Remus lehnte sich mutlos an die Steinwand, denn er konnte nicht einmal eine Vermutung darüber anstellen, was die Smith’ ihm mitzuteilen hatten. Er würde es jedoch nie erfahren, sollte er weiter mit sich hadern, also öffnete er den Umschlag und entnahm den Brief. Er atmete einmal tief durch, bevor er die an ihn gerichteten Worte erst überflog, beim zweiten Mal verdutzt alles komplett las.
„Sehr geehrter Professor Lupin“ lautete die Anrede, womit das Ehepaar deutlich machte, dass sie ihn bereits als Lehrer sahen.
„Meine kleine Nichte ist eine begeisterte Sammlerin der Schokofroschkarten und hat demnächst Geburtstag. Es wäre sehr freundlich von Ihnen, die beiliegende Schokofroschkarte mit einer kleinen Widmung zurückzusenden. Der Name meiner Nichte lautet Eloise und sie würde sich bestimmt sehr darüber freuen.
Im Übrigens begrüßen mein Mann und ich den Vorschlag des Schulrates, einen kompetenten und fachkundigen Lehrer einzusetzen. Wir wünschen Ihnen ein angenehmes Schuljahr.
Mit freundlichen Grüßen,
Margreta Smith“
Eine Schokofroschkarte mit seinem Bild war beigefügt. Gerührt von dieser Anfrage legte Remus seine Fingerspitzen auf die Lippen, bevor er den Brief ein weiteres Mal las, um auch sicherzugehen, dass er sich nicht getäuscht hatte. Sein Abbild auf der Schokofroschkarte lächelte ihn schüchtern an.
Die anderen Briefe musste er auf der Stelle öffnen, so dass er die Nische verließ und sich auf eine der steinernen Bänke auf dem Gang setzte. Nach und nach las er die persönlich an ihn gerichteten Schreiben. Nur ein weiteres Elternpaar bat ebenfalls um ein Autogramm, welches sie verschenken wollten, doch die anderen hatten ihm mit aufrichtigen Worten mitgeteilt, wie sehr sie ihn uns seine Rolle im Krieg schätzen würden. Ein einziges Mal konnte er zwischen den Zeilen lesen, dass ein „Freund von Harry Potter“ als Lehrer willkommen war. Remus war ein bekannter Mann und es störte ihn keinesfalls, dass Harrys Vertrauen ihm gegenüber auch die Meinung der Öffentlichkeit verändert hatte.
Nachdem er alle Briefe gelesen hatte, nahm er sie in die Hand und lief zurück zum Büro des Direktors, der ihm öffnete, noch bevor er klopften konnte. Er kam auch nicht dazu, das Wort an Albus zu richten, denn der ergriff die Gelegenheit auf der Stelle.
„Remus, da bitte ich dich heute schon, mich zum Tee zu besuchen und dann sage ich dir nicht einmal, dass du morgen anfangen kannst“, informierte ihn Albus mit lebendig zwinkernden Augen.
„Ich hab den Job.“ Es klang so, als würde Remus darum bitten, in den Arm gekniffen zu werden.
„Du wirst heute Abend den Schülern vorgestellt werden, also erscheine bitte rechtzeitig zur Lehrerversammlung, bevor wir in die große Halle gehen.“
„Ich fasse es nicht“, murmelte Remus freudestrahlend.
„Ach und hier“, Albus reichte ihm einige Unterlagen, „der Stundenplan und die Themen für die Klassen. Es tut mir Leid, dich damit so zu überrumpeln.“
„Das muss dir wirklich nicht Leid tun, Albus, wirklich nicht“, versicherte er überglücklich.
Dem neuen Kollegen freundschaftlich an die Schulter packend erklärte Albus: „Ich denke, es hat Eindruck beim Schulrat geschunden, dass nicht nur von mir, sondern auch von Severus eine Empfehlung ausgesprochen worden war, denn ich konnte mich nicht zurückhalten zu erwähnen, dass der Vorschlag ursprünglich von ihm kam. Es war zudem sehr hilfreich, dass der Schulrat in den Briefen an die Eltern auch seine eigene positive Meinung über dich zum Ausdruck gebracht hat. Noch nicht alle Eltern haben sich geäußert und viele werden es auch sicherlich nicht tun, weil sie so eine Entscheidung nicht infrage stellen wollen.“
„Ich denke“, sagte Remus heiter, „ich werde mich bei jemanden bedanken müssen.“
„Tu das, mein Freund, tu das.“
Die Briefe und die Unterlagen von Albus brachte Remus zunächst auf sein Zimmer, bevor er sich auf den Weg in die Kerker machte. Er lauschte kurz an der Tür, um sich zu vergewissern, dass er nicht wieder während einer hitzigen Diskussion hineinplatzte, doch er konnte rein gar nicht hören, so dass er schon dachte, es wäre niemand im Büro. Er klopfte und hörte im Anschluss ein ruppiges „Herein“ von Severus.
Im Büro war auch Hermine anwesend und sie machte den gleichen, schlecht gelaunten Eindruck wie Severus. Beide schienen sich gestritten zu haben, doch keiner sagte etwas.
„Severus, ich wollte dir danken für…“
„Ihr Dank für die monatlichen Wolfsbanntränke kommt ein wenig später“, unterbrach Severus ihn grantig.
„Du weißt, dass ich dir dafür dankbar bin, aber nein: Ich wollte mich wegen etwas anderem bedanken und zwar für deine Empfehlung“, Severus blickte irritiert auf, „mich als Lehrer für die Pflege magischer…“
„Ich habe nie eine Empfehlung ausgesprochen!“, stellte Severus klar.
„Nicht?“ Jetzt war es Remus, der verdutzt war.
„Das gestern Früh war ein Scherz gewesen!“
„Aha“, machte Remus enttäuscht klingend, doch seine gute Laune kam schnell zurück. „Dann danke ich eben für deinen Scherz, Kollege.“
„Wie bitte?“
Hermine blieb mucksmäuschenstill und grinste währenddessen in sich hinein.
Erklärend gab Remus zum Besten: „Albus wird deinen Scherz wohl missverstanden haben, wofür ich natürlich nicht böse bin.“
„Ich fasse es nicht… Man nimmt mich doch sonst nicht ernst“, beschwerte sich Severus, der sich offensichtlich auf den Schlips getreten fühlte. Seine Worte entlockten Hermine ein Kichern, weshalb er sie mit einem bösen Blick strafte. An Remus gewandt brachte Severus zweideutig zum Ausdruck: „Wenigstens weiß ich, was ich bei Ihnen zu erwarten habe.“
„Hoffentlich nur Gutes“, wünschte sich Remus, der sich nicht vorstellen konnte, dass Severus seinen „Scherz“ bereuen würde.
„Sie werden dann in Zukunft nicht gerade schlecht verdienen, Lupin. In dieser Hinsicht…“
Jetzt schritt Hermine ein. „Sie wollen ihm doch wohl kein Geld für den Wolfsbanntrank abknöpfen?“
„Warum nicht?“
„Weil die Zutaten von der Schule bezahlt werden und ich finde, dass man Kollegen unterstützen sollte.“
„Sollte man?“, fragte Severus gereizt zurück. „Auch so jemanden wie Svelte?“
„Der ist kein Kollege mehr“, konterte Hermine schnippisch.
Es war für Remus unübersehbar, dass Severus und Hermine momentan nicht gut aufeinander zu sprechen waren, weswegen er sich lieber verabschiedete. Noch beim Hinausgehen wurde er Zeuge dessen, wie die beiden sich gegenseitig herausforderten, doch momentan interessierte ihn das nicht. Er selbst würde als Erstes Tonks über diese gute Neuigkeit Bescheid geben. Wenn sie erfahren würde, dass er nach all den Jahren wieder als Lehrer in Hogwarts arbeiten durfte, würde sie sicherlich aus allen Wolken fallen. Danach würde er Sirius anflohen, bevor er zu Harry und Ginny gehen würde, um sich bei ihnen persönlich als neue Lehrkraft vorzustellen.
Nach langer Zeit fühlte er sich endlich wieder allen anderen Menschen gleichgestellt. Remus bemerkte nicht, wie in den Kerkern, die er eben hinter sich gelassen hatte, die Luft brannte.
„Ich habe erfahren“, begann Hermine dickköpfig, „dass der ’Gespenstische Steinregen’ an Orten wächst, an denen kein einziger Sonnenstrahl dringen kann. Haben Sie einen Tipp für mich, Severus?“
Seelenruhig schrieb er noch einen Punkt auf seine Liste, doch da die nun fertig war, musste er sich eine neue Beschäftigung suchen, um seine Schülerin mit Nichtachtung zu strafen. Er legte seine Pergamente zur Seite und entschloss sich, zu einem seiner Schränkchen zu gehen, um eine kleine Inventur seiner Zutaten durchzuführen, was er allerdings vor einigen Tagen bereits erledigt hatte.
„Ah“, machte sie und ahmte damit den sonst von ihm so gern benutzten Tonfall nach. „Wenn Sie sich mit einem Problem nicht befassen, dann existiert es nicht. Ist das Ihre Devise?“
„Es ist sehr freundlich von Ihnen, sich selbst als ’Problem’ darzustellen“, konterte er mürrisch. „Es heißt ja so schön ’Einsicht ist der erste Weg zur Besserung’. In diesem Sinne gratuliere ich Ihnen zu Ihrer Erkenntnis. Wenn Sie sich nun bitte dazu entschließen könnten, jemand anderen zur Last zu fallen?“ Er blickte sie an und hob eine Augenbraue. „Svelte vielleicht?“
„Wo finde ich die Pflanze? Sie haben sie damals für ’Der Ewige See’ doch auch bekommen! Haben Sie sie bei Mr. Heed erworben?“ Ihre Fragerei war ihm lästig, doch er fand keine Möglichkeit, ihr das Reden zu vermiesen.
„Nein!“ Seine Antwort war knapp gewesen, aber zumindest war es eine.
„Der Händler in Frankreich?“
„Von diesem Scharlatan würde ich nicht einmal etwas kaufen, wenn er der letzte Händler für Trankzutaten wäre.“ Severus öffnete eine Vitrinentür und begann damit, wahllos kleine Fläschchen in die Hand zu nehmen und sie sich zu betrachten.
„Severus.“ Sie seufzte. „Ich denke, den Inhalt des Schrankes müssten Sie längst auswendig kennen. Warum sagen Sie mir nicht einfach…?“
Mit eisiger Stimme unterbrach er, ohne von einer Phiole mit einem Gripsschärfungstrank aufzusehen: „Sollten Sie den Trank brauen, Hermine, dann werde ich Ihre Fortschritte zum Scheitern bringen.“
„Sie würden sabotieren?“, fragte sie ungläubig nach. Er äußerte sich nicht dazu und ließ seine Aussage und vor allem ihre Deutung so im Raum stehen, weswegen sie hinzufügte: „Na, wenigstens sind Sie ehrlich.“
„Glauben Sie mir, der Trank selbst wird Sie nicht weiterbringen. Wozu ihn brauen?“
Nun versuchte er es auf die beschwichtigende Art und Hermine ließ sich drauf ein.
„Ich könnte während des Brauens auf wichtige Hinweise stoßen, die mir später weiterhelfen könnten.“
Ihr einen Blick schenkend schüttelte er den Kopf. „Wir haben auch nicht ’Schlafes Bruder’ hergestellt, um ein Gegengift finden zu können. Das Original hat keinerlei Wert für Sie, es sei denn, Sie wären so wahnwitzig und wollten einen Selbsttest durchführen.“
„Vielleicht sollte ich das wirklich tun?“
Ihre Provokation war nicht ernst gemeint, doch Severus war von ihren Worten gleichermaßen erschrocken und erzürnt. In Windeseile war er auf sie zugestürmt, so dass ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Seine Stimme bescherte ihr eine Gänsehaut.
„Sollten Sie tatsächlich so naiv sein…“
„Bin ich nicht!“, warf sie ein.
Sie erinnerte sich daran, als sie ihn unverblümt gefragt hatte, ob er den Trank, der die Seele zerreißen würde, vor der Einnahme verändert hätte, was er verneint hatte.
„Sie haben nicht nur den ewigen See eingenommen!“ Sie legte ihren Kopf leicht schräg. „Sie haben mir bereits einen Hinweis gegeben. Kapitel 10 von ’Schützende Hände’, nicht wahr? Sie haben nicht nur einen Trank eingenommen, sondern zwei!“ Seine steinerne Miene bröckelte, doch er blieb stumm. „Sie haben mir geraten, ich sollte einen Schritt weiter denken und das habe ich getan. Sie haben ’lacus aeterna’ durchaus eingenommen, aber nicht, bevor Sie sich sicher sein konnten, dass Sie ein – wie Sie so schön sagten – ’winziges Überbleibsel’ bewahren würden, das von diesem schrecklichen Trank nicht angerührt werden würde.“ Severus wollte sich von ihr abwenden, doch sie ergriff mit beiden Händen seine Oberarme und zwang ihn, ihr zuzuhören. „Und ich wette es war Albus gewesen, der Sie damals davor gewarnt hatte, dass alles für immer verloren sein würde.“ Sein Gesicht wurde kalkweiß, doch Hermine wollte nicht aufhören, nicht jetzt. „Nach dem Krieg… Es passierte etwas mit Ihnen, was Ihnen selbst unheimlich war, denn Sie fühlten plötzlich wieder etwas.“
Sie ließ ihn nicht gehen, als er sich aus ihrem Griff herauswinden wollte, sondern packte nur noch fester zu. Er sollte all ihre Gedanken erfahren.
„Anfangs war es nur in Harrys Anwesenheit gewesen, als Sie eine Veränderung an sich festgestellt haben. Haben Sie in dem Moment, in dem Sie ihm diesen ersten Hinweis gegeben haben, die Hoffnung gehabt, er könnte Ihnen helfen?“ Eine Antwort erwartete sie gar nicht, denn sie konfrontierte ihn nun mit ihrer Theorie. „Ich vermute, dass es vielleicht Harrys freundschaftliche Art und Weise gewesen sein könnte, aber ich bin mir ganz sicher, dass es auch mit seiner Magie zu tun haben muss. Die hat Sie berührt, Severus! Seine bloße Präsenz hat etwas in Ihnen geweckt, das Sie für tot gehalten haben.“
Es tat ihr Leid, dass Severus im Moment so schwächlich wirkte. Ihre Worte hatten ihn paralysiert. Zu einer Äußerung war er nicht fähig. Möglicherweise blieb er still, weil er erfahren wollte, was sie wusste oder was sie glaubte zu wissen, weshalb er sie weder unterbrach noch gegen sie anging.
„Ich frage mich nur, warum Sie so etwas für ’notwendig’ gehalten haben, Severus.“
Peinlich berührt blickte er zu Boden. Auf die Frage, warum es seiner und Albus’ Meinung nach keinen anderen Weg gegeben haben sollte, hatte sie noch keine genaue Antwort gefunden. Sie wollte ihn ermutigen, denn sie hatte offensichtlich ein Thema angesprochen, das ihm sehr unangenehm war und so verwendete sie eine Stimme, die sie früher benutzt hatte, um mit Patienten zu sprechen, die ohne Hoffnung waren.
„Sie merken es doch Tag für Tag, dass sich etwas in Ihnen regt und das ist ein Zeichen dafür, dass es nicht so ausweglos ist wie Sie denken. Lassen Sie mich Ihnen helfen.“ Die Bitte wollte er beinahe annehmen, doch dann fügte sie flehend hinzu: „Lassen Sie uns Ihnen helfen.“
„Uns“ rückte auf Anhieb seine Gefühlslage wieder gerade, denn dass auch Remus von alledem zu wissen schien, machte ihn rasend. Mit beherrschter Miene blickte er auf. Die Abscheu in seinen Augen war unübersehbar, als er sich endlich äußerte.
„Sie irren sich!“, fauchte er. „Mir gefällt nicht, dass Sie mich wie einen unsicheren, gebrochenen Patienten behandeln, der völlig angstverzerrt alle Möglichkeiten ausschlagen würde, seine Situation zu verbessern.“
Mit beiden Händen ergriff er ihre Handgelenke, um sie von seinen Oberarmen zu entfernen. Seine Augen funkelten böse.
„Ihnen entgeht dabei, dass ich selbst schon viele Jahre recherchiert habe. Wenn Sie glauben, dass Sie in nur wenigen Monaten etwas erreichen, was ich in zwei Jahrzehnten nicht geschafft habe, dann überlege ich ernsthaft, Sie mit einer Nadel zu stechen, so aufgeblasen wie Sie sich geben, so allwissend.“ Er rümpfte die Nase.
„Ich irre mich? Das können Sie nicht ernst meinen, Severus. Dann frage ich Sie, wer es gewesen war, der zu Weihnachten so verzweifelt klang, weil ich noch keine Lösung gefunden habe? Das waren ja wohl Sie!“, schnaufte sie wütend. „Und Sie haben mit dem ganzen Mysterium überhaupt erst angefangen und da muss ich fragen: Warum haben Sie das?“ Gerade wollte er das Wort ergreifen, da zeterte sie aufgebracht: „Wenn Sie davon ausgehen, dass niemand Ihnen helfen können wird, warum all diese Hinweise? Jetzt sage ich Ihnen mal was.“ Sie hob drohend einen Zeigefinger. „Sie haben Angst! Sie haben eine Heidenangst!“
Seine Atmung beschleunigte sich und er ballte aggressiv seine Fäuste. In seinem Gesicht war die weiße Farbe einem warnenden Rot gewichen.
„Nennen Sie mich etwa einen Feigling?“
Hermine nahm sich fest vor, sich nicht einschüchtern zu lassen und so ließ sie ihrem Frust freien Lauf. „Das habe ich nicht gesagt! Ich sagte, dass Sie Angst haben und für diese Behauptung, mein Lieber, ist der Irrwicht Beweis genug!“
„Es ist doch seltsam“, säuselte er beunruhigend leise, „dass wir denselben haben. Möglicherweise spiegelt sich in dem Ihren die Angst wider, mich mit Ihrer ’Rettungsaktion’ vollends zu entseelen? Denn das, auf was Sie hinauswollen – eine Heilung – könnte mich auch das Leben kosten.“
Sie schluckte, denn nun begann er, sie mit ihren eigenen Waffen schlagen zu wollen, auch wenn sie nicht genau wusste, warum ihr Irrwicht damals seine Form angenommen hatte.
„Wir brauchen uns gar nicht so lange bei ’Ängsten’ aufzuhalten, Severus. Wie wäre es stattdessen mit ’Wünschen’?“, warf sie ihm ohne Vorwarnung vor die Füße, so dass er für einen Moment mit sich ringen musste. Diesen Augenblick nutzte sie. „Von Albus weiß ich, dass sich niemand hier im Schloss mit Vielsafttrank in mich verwandelt hat.“ Die Gesprächsführung hatte sie längst an sich gerissen und eine Sache wollte sie ihm ganz deutlich vor Augen führen. „Ich war nicht dort oben, wo Sie mich gesehen haben wollen und da ich – wie Sie sehr wohl wissen – nicht auf den Kopf gefallen bin, kann es nur eine mögliche Erklärung für mein mysteriöses Auftauchen geben.“
Bisher hatte sie es vermieden, in einem ruhigen Moment über diese Erkenntnis nachzudenken, doch es war nicht von der Hand zu weisen.
„Ich weiß genau, was Sie in Nerhegeb gesehen haben!“ Viel leiser fügte sie hinzu: „Ich weiß nur nicht, warum?“
Ihre Worte hatten ihn erschlagen. Verzweifelt versuchte er, eine Antwort auf dieses „Warum?“ zu finden und er wünschte sich eine, wegen der er sich nicht rechtfertigen müsste.
„Es wäre doch möglich“, begann sie ruhig, „dass Sie meine Hilfe wünschen und deswegen haben Sie mich in dem Spiegel…“
Als er wegschaute, verstummte sie auf der Stelle. In dem Augenblick, als sie seinen einsichtigen Gesichtsausdruck wahrnahm, schossen ihr noch andere vorstellbare Erklärungen durch den Kopf; plausible, logische Antworten und sie war wie vom Blitz getroffen, denn besonders eine machte ihr schwer zu schaffen.
Während in den tiefen Hogwarts eine angespannte Stimmung herrschte, hatte sich in Albus’ Büro eine sehr lauschige Atmosphäre ausgebreitet, obwohl Remus anfangs das Schlimmste befürchtet hatte, als er von Albus auf einen Tee eingeladen worden war.
„Du weißt, dass ich deine Fähigkeiten sehr schätze, Remus“, sagte Albus mit väterlicher Stimme.
Remus glaubte zu verstehen und sagte abwinkend: „Ich weiß, dass es die Eltern der Schüler sicherlich nicht erfreuen würde, wenn ein… Na ja, wenn jemand wie ich zum Lehrpersonal gehören sollte.“
Albus lächelte unerwartet breit. „Gleich gestern hatte ich den Schulrat über die notwendige Kündigung des Lehrers für die Pflege magischer Geschöpfe kontaktiert und natürlich auch meine Empfehlung in Bezug auf einen neuen Lehrer ausgesprochen. Der Schulrat hat unverzüglich die Eltern angeschrieben und es kamen bereits viele Rückmeldungen.“
„Es war auch zu schön, um wahr zu sein“, hauchte Remus, bevor er sich einen großen Schluck Tee genehmigte, um den Kloß in seinem Hals hinunterzuspülen. Sein Fluch hatte ihm das Leben schon immer schwer gemacht.
Von seinem Schreibtisch holte Albus einen kleinen Stapel mit Briefen, deren Umschläge bereits geöffnet waren und er hielt sie Remus entgegen.
„Ich werde mich nicht darum kümmern können, Remus.“
Verdutzt nahm er die Briefe entgegen. Schreiben, die seiner Meinung nach die Empörung der Eltern beinhalten würden. Böse Worte darüber, wie man die Frechheit besitzen könnte, einen Werwolf überhaupt als Lehrer vorzuschlagen. Es war ihm ein Rätsel, warum Albus ihm die Schreiben überreicht hatte, doch ohne zu Murren steckte er sie in seine Innentasche.
„Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest?“
„Sicher Albus, vielen Dank für den Tee.“
Als Remus die Wendeltreppe nach unten ging, hielt er unbewusst eine Hand an seine Brust, denn darunter, unter seinem Umhang, befanden sich die Briefe, die ihm so nahe an seinem Herzen jetzt schon Schmerzen bereiteten. Es wollte sich im nicht erschließen, warum Albus ihm den Schriftverkehr anvertraut hatte. Gelesen hatte der Direktor die Rückmeldungen der Eltern auf jeden Fall. Die Angst, durch böse Worte tief verletzt zu werden, hielt ihn dennoch nicht davon ab, sich in eine Nische auf dem Gang zu verdrücken, um seiner Neugier auf der Stelle nachzugeben.
Mit zittrigen Fingern zog er einen der Briefe aus seiner Innentasche. Der Absender verriet, dass es sich um die Rückmeldung der Eltern von Shaun Smith handelte, von dem Harry ihm einmal erzählt hatte. Mit zittrigen Fingern entnahm er den Brief und las.
„Sehr geehrter Professor Dumbledore,
von unserer Seite aus haben wir keine Bedenken, Mr. Lupin als Lehrer an Ihrer Schule zu wissen. Wir danken Ihnen für Ihre Offenheit.
Anbei ein Schreiben für Mr. Lupin mit der Bitte, es an ihn weiterzuleiten.
Mit freundlichen Grüßen,
Margreta und Davis Smith“
Tatsächlich befand sich in dem Umschlag noch ein weiterer, der noch nicht geöffnet war und auf den man seinen Namen geschrieben hatte. Remus lehnte sich mutlos an die Steinwand, denn er konnte nicht einmal eine Vermutung darüber anstellen, was die Smith’ ihm mitzuteilen hatten. Er würde es jedoch nie erfahren, sollte er weiter mit sich hadern, also öffnete er den Umschlag und entnahm den Brief. Er atmete einmal tief durch, bevor er die an ihn gerichteten Worte erst überflog, beim zweiten Mal verdutzt alles komplett las.
„Sehr geehrter Professor Lupin“ lautete die Anrede, womit das Ehepaar deutlich machte, dass sie ihn bereits als Lehrer sahen.
„Meine kleine Nichte ist eine begeisterte Sammlerin der Schokofroschkarten und hat demnächst Geburtstag. Es wäre sehr freundlich von Ihnen, die beiliegende Schokofroschkarte mit einer kleinen Widmung zurückzusenden. Der Name meiner Nichte lautet Eloise und sie würde sich bestimmt sehr darüber freuen.
Im Übrigens begrüßen mein Mann und ich den Vorschlag des Schulrates, einen kompetenten und fachkundigen Lehrer einzusetzen. Wir wünschen Ihnen ein angenehmes Schuljahr.
Mit freundlichen Grüßen,
Margreta Smith“
Eine Schokofroschkarte mit seinem Bild war beigefügt. Gerührt von dieser Anfrage legte Remus seine Fingerspitzen auf die Lippen, bevor er den Brief ein weiteres Mal las, um auch sicherzugehen, dass er sich nicht getäuscht hatte. Sein Abbild auf der Schokofroschkarte lächelte ihn schüchtern an.
Die anderen Briefe musste er auf der Stelle öffnen, so dass er die Nische verließ und sich auf eine der steinernen Bänke auf dem Gang setzte. Nach und nach las er die persönlich an ihn gerichteten Schreiben. Nur ein weiteres Elternpaar bat ebenfalls um ein Autogramm, welches sie verschenken wollten, doch die anderen hatten ihm mit aufrichtigen Worten mitgeteilt, wie sehr sie ihn uns seine Rolle im Krieg schätzen würden. Ein einziges Mal konnte er zwischen den Zeilen lesen, dass ein „Freund von Harry Potter“ als Lehrer willkommen war. Remus war ein bekannter Mann und es störte ihn keinesfalls, dass Harrys Vertrauen ihm gegenüber auch die Meinung der Öffentlichkeit verändert hatte.
Nachdem er alle Briefe gelesen hatte, nahm er sie in die Hand und lief zurück zum Büro des Direktors, der ihm öffnete, noch bevor er klopften konnte. Er kam auch nicht dazu, das Wort an Albus zu richten, denn der ergriff die Gelegenheit auf der Stelle.
„Remus, da bitte ich dich heute schon, mich zum Tee zu besuchen und dann sage ich dir nicht einmal, dass du morgen anfangen kannst“, informierte ihn Albus mit lebendig zwinkernden Augen.
„Ich hab den Job.“ Es klang so, als würde Remus darum bitten, in den Arm gekniffen zu werden.
„Du wirst heute Abend den Schülern vorgestellt werden, also erscheine bitte rechtzeitig zur Lehrerversammlung, bevor wir in die große Halle gehen.“
„Ich fasse es nicht“, murmelte Remus freudestrahlend.
„Ach und hier“, Albus reichte ihm einige Unterlagen, „der Stundenplan und die Themen für die Klassen. Es tut mir Leid, dich damit so zu überrumpeln.“
„Das muss dir wirklich nicht Leid tun, Albus, wirklich nicht“, versicherte er überglücklich.
Dem neuen Kollegen freundschaftlich an die Schulter packend erklärte Albus: „Ich denke, es hat Eindruck beim Schulrat geschunden, dass nicht nur von mir, sondern auch von Severus eine Empfehlung ausgesprochen worden war, denn ich konnte mich nicht zurückhalten zu erwähnen, dass der Vorschlag ursprünglich von ihm kam. Es war zudem sehr hilfreich, dass der Schulrat in den Briefen an die Eltern auch seine eigene positive Meinung über dich zum Ausdruck gebracht hat. Noch nicht alle Eltern haben sich geäußert und viele werden es auch sicherlich nicht tun, weil sie so eine Entscheidung nicht infrage stellen wollen.“
„Ich denke“, sagte Remus heiter, „ich werde mich bei jemanden bedanken müssen.“
„Tu das, mein Freund, tu das.“
Die Briefe und die Unterlagen von Albus brachte Remus zunächst auf sein Zimmer, bevor er sich auf den Weg in die Kerker machte. Er lauschte kurz an der Tür, um sich zu vergewissern, dass er nicht wieder während einer hitzigen Diskussion hineinplatzte, doch er konnte rein gar nicht hören, so dass er schon dachte, es wäre niemand im Büro. Er klopfte und hörte im Anschluss ein ruppiges „Herein“ von Severus.
Im Büro war auch Hermine anwesend und sie machte den gleichen, schlecht gelaunten Eindruck wie Severus. Beide schienen sich gestritten zu haben, doch keiner sagte etwas.
„Severus, ich wollte dir danken für…“
„Ihr Dank für die monatlichen Wolfsbanntränke kommt ein wenig später“, unterbrach Severus ihn grantig.
„Du weißt, dass ich dir dafür dankbar bin, aber nein: Ich wollte mich wegen etwas anderem bedanken und zwar für deine Empfehlung“, Severus blickte irritiert auf, „mich als Lehrer für die Pflege magischer…“
„Ich habe nie eine Empfehlung ausgesprochen!“, stellte Severus klar.
„Nicht?“ Jetzt war es Remus, der verdutzt war.
„Das gestern Früh war ein Scherz gewesen!“
„Aha“, machte Remus enttäuscht klingend, doch seine gute Laune kam schnell zurück. „Dann danke ich eben für deinen Scherz, Kollege.“
„Wie bitte?“
Hermine blieb mucksmäuschenstill und grinste währenddessen in sich hinein.
Erklärend gab Remus zum Besten: „Albus wird deinen Scherz wohl missverstanden haben, wofür ich natürlich nicht böse bin.“
„Ich fasse es nicht… Man nimmt mich doch sonst nicht ernst“, beschwerte sich Severus, der sich offensichtlich auf den Schlips getreten fühlte. Seine Worte entlockten Hermine ein Kichern, weshalb er sie mit einem bösen Blick strafte. An Remus gewandt brachte Severus zweideutig zum Ausdruck: „Wenigstens weiß ich, was ich bei Ihnen zu erwarten habe.“
„Hoffentlich nur Gutes“, wünschte sich Remus, der sich nicht vorstellen konnte, dass Severus seinen „Scherz“ bereuen würde.
„Sie werden dann in Zukunft nicht gerade schlecht verdienen, Lupin. In dieser Hinsicht…“
Jetzt schritt Hermine ein. „Sie wollen ihm doch wohl kein Geld für den Wolfsbanntrank abknöpfen?“
„Warum nicht?“
„Weil die Zutaten von der Schule bezahlt werden und ich finde, dass man Kollegen unterstützen sollte.“
„Sollte man?“, fragte Severus gereizt zurück. „Auch so jemanden wie Svelte?“
„Der ist kein Kollege mehr“, konterte Hermine schnippisch.
Es war für Remus unübersehbar, dass Severus und Hermine momentan nicht gut aufeinander zu sprechen waren, weswegen er sich lieber verabschiedete. Noch beim Hinausgehen wurde er Zeuge dessen, wie die beiden sich gegenseitig herausforderten, doch momentan interessierte ihn das nicht. Er selbst würde als Erstes Tonks über diese gute Neuigkeit Bescheid geben. Wenn sie erfahren würde, dass er nach all den Jahren wieder als Lehrer in Hogwarts arbeiten durfte, würde sie sicherlich aus allen Wolken fallen. Danach würde er Sirius anflohen, bevor er zu Harry und Ginny gehen würde, um sich bei ihnen persönlich als neue Lehrkraft vorzustellen.
Nach langer Zeit fühlte er sich endlich wieder allen anderen Menschen gleichgestellt. Remus bemerkte nicht, wie in den Kerkern, die er eben hinter sich gelassen hatte, die Luft brannte.
„Ich habe erfahren“, begann Hermine dickköpfig, „dass der ’Gespenstische Steinregen’ an Orten wächst, an denen kein einziger Sonnenstrahl dringen kann. Haben Sie einen Tipp für mich, Severus?“
Seelenruhig schrieb er noch einen Punkt auf seine Liste, doch da die nun fertig war, musste er sich eine neue Beschäftigung suchen, um seine Schülerin mit Nichtachtung zu strafen. Er legte seine Pergamente zur Seite und entschloss sich, zu einem seiner Schränkchen zu gehen, um eine kleine Inventur seiner Zutaten durchzuführen, was er allerdings vor einigen Tagen bereits erledigt hatte.
„Ah“, machte sie und ahmte damit den sonst von ihm so gern benutzten Tonfall nach. „Wenn Sie sich mit einem Problem nicht befassen, dann existiert es nicht. Ist das Ihre Devise?“
„Es ist sehr freundlich von Ihnen, sich selbst als ’Problem’ darzustellen“, konterte er mürrisch. „Es heißt ja so schön ’Einsicht ist der erste Weg zur Besserung’. In diesem Sinne gratuliere ich Ihnen zu Ihrer Erkenntnis. Wenn Sie sich nun bitte dazu entschließen könnten, jemand anderen zur Last zu fallen?“ Er blickte sie an und hob eine Augenbraue. „Svelte vielleicht?“
„Wo finde ich die Pflanze? Sie haben sie damals für ’Der Ewige See’ doch auch bekommen! Haben Sie sie bei Mr. Heed erworben?“ Ihre Fragerei war ihm lästig, doch er fand keine Möglichkeit, ihr das Reden zu vermiesen.
„Nein!“ Seine Antwort war knapp gewesen, aber zumindest war es eine.
„Der Händler in Frankreich?“
„Von diesem Scharlatan würde ich nicht einmal etwas kaufen, wenn er der letzte Händler für Trankzutaten wäre.“ Severus öffnete eine Vitrinentür und begann damit, wahllos kleine Fläschchen in die Hand zu nehmen und sie sich zu betrachten.
„Severus.“ Sie seufzte. „Ich denke, den Inhalt des Schrankes müssten Sie längst auswendig kennen. Warum sagen Sie mir nicht einfach…?“
Mit eisiger Stimme unterbrach er, ohne von einer Phiole mit einem Gripsschärfungstrank aufzusehen: „Sollten Sie den Trank brauen, Hermine, dann werde ich Ihre Fortschritte zum Scheitern bringen.“
„Sie würden sabotieren?“, fragte sie ungläubig nach. Er äußerte sich nicht dazu und ließ seine Aussage und vor allem ihre Deutung so im Raum stehen, weswegen sie hinzufügte: „Na, wenigstens sind Sie ehrlich.“
„Glauben Sie mir, der Trank selbst wird Sie nicht weiterbringen. Wozu ihn brauen?“
Nun versuchte er es auf die beschwichtigende Art und Hermine ließ sich drauf ein.
„Ich könnte während des Brauens auf wichtige Hinweise stoßen, die mir später weiterhelfen könnten.“
Ihr einen Blick schenkend schüttelte er den Kopf. „Wir haben auch nicht ’Schlafes Bruder’ hergestellt, um ein Gegengift finden zu können. Das Original hat keinerlei Wert für Sie, es sei denn, Sie wären so wahnwitzig und wollten einen Selbsttest durchführen.“
„Vielleicht sollte ich das wirklich tun?“
Ihre Provokation war nicht ernst gemeint, doch Severus war von ihren Worten gleichermaßen erschrocken und erzürnt. In Windeseile war er auf sie zugestürmt, so dass ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Seine Stimme bescherte ihr eine Gänsehaut.
„Sollten Sie tatsächlich so naiv sein…“
„Bin ich nicht!“, warf sie ein.
Sie erinnerte sich daran, als sie ihn unverblümt gefragt hatte, ob er den Trank, der die Seele zerreißen würde, vor der Einnahme verändert hätte, was er verneint hatte.
„Sie haben nicht nur den ewigen See eingenommen!“ Sie legte ihren Kopf leicht schräg. „Sie haben mir bereits einen Hinweis gegeben. Kapitel 10 von ’Schützende Hände’, nicht wahr? Sie haben nicht nur einen Trank eingenommen, sondern zwei!“ Seine steinerne Miene bröckelte, doch er blieb stumm. „Sie haben mir geraten, ich sollte einen Schritt weiter denken und das habe ich getan. Sie haben ’lacus aeterna’ durchaus eingenommen, aber nicht, bevor Sie sich sicher sein konnten, dass Sie ein – wie Sie so schön sagten – ’winziges Überbleibsel’ bewahren würden, das von diesem schrecklichen Trank nicht angerührt werden würde.“ Severus wollte sich von ihr abwenden, doch sie ergriff mit beiden Händen seine Oberarme und zwang ihn, ihr zuzuhören. „Und ich wette es war Albus gewesen, der Sie damals davor gewarnt hatte, dass alles für immer verloren sein würde.“ Sein Gesicht wurde kalkweiß, doch Hermine wollte nicht aufhören, nicht jetzt. „Nach dem Krieg… Es passierte etwas mit Ihnen, was Ihnen selbst unheimlich war, denn Sie fühlten plötzlich wieder etwas.“
Sie ließ ihn nicht gehen, als er sich aus ihrem Griff herauswinden wollte, sondern packte nur noch fester zu. Er sollte all ihre Gedanken erfahren.
„Anfangs war es nur in Harrys Anwesenheit gewesen, als Sie eine Veränderung an sich festgestellt haben. Haben Sie in dem Moment, in dem Sie ihm diesen ersten Hinweis gegeben haben, die Hoffnung gehabt, er könnte Ihnen helfen?“ Eine Antwort erwartete sie gar nicht, denn sie konfrontierte ihn nun mit ihrer Theorie. „Ich vermute, dass es vielleicht Harrys freundschaftliche Art und Weise gewesen sein könnte, aber ich bin mir ganz sicher, dass es auch mit seiner Magie zu tun haben muss. Die hat Sie berührt, Severus! Seine bloße Präsenz hat etwas in Ihnen geweckt, das Sie für tot gehalten haben.“
Es tat ihr Leid, dass Severus im Moment so schwächlich wirkte. Ihre Worte hatten ihn paralysiert. Zu einer Äußerung war er nicht fähig. Möglicherweise blieb er still, weil er erfahren wollte, was sie wusste oder was sie glaubte zu wissen, weshalb er sie weder unterbrach noch gegen sie anging.
„Ich frage mich nur, warum Sie so etwas für ’notwendig’ gehalten haben, Severus.“
Peinlich berührt blickte er zu Boden. Auf die Frage, warum es seiner und Albus’ Meinung nach keinen anderen Weg gegeben haben sollte, hatte sie noch keine genaue Antwort gefunden. Sie wollte ihn ermutigen, denn sie hatte offensichtlich ein Thema angesprochen, das ihm sehr unangenehm war und so verwendete sie eine Stimme, die sie früher benutzt hatte, um mit Patienten zu sprechen, die ohne Hoffnung waren.
„Sie merken es doch Tag für Tag, dass sich etwas in Ihnen regt und das ist ein Zeichen dafür, dass es nicht so ausweglos ist wie Sie denken. Lassen Sie mich Ihnen helfen.“ Die Bitte wollte er beinahe annehmen, doch dann fügte sie flehend hinzu: „Lassen Sie uns Ihnen helfen.“
„Uns“ rückte auf Anhieb seine Gefühlslage wieder gerade, denn dass auch Remus von alledem zu wissen schien, machte ihn rasend. Mit beherrschter Miene blickte er auf. Die Abscheu in seinen Augen war unübersehbar, als er sich endlich äußerte.
„Sie irren sich!“, fauchte er. „Mir gefällt nicht, dass Sie mich wie einen unsicheren, gebrochenen Patienten behandeln, der völlig angstverzerrt alle Möglichkeiten ausschlagen würde, seine Situation zu verbessern.“
Mit beiden Händen ergriff er ihre Handgelenke, um sie von seinen Oberarmen zu entfernen. Seine Augen funkelten böse.
„Ihnen entgeht dabei, dass ich selbst schon viele Jahre recherchiert habe. Wenn Sie glauben, dass Sie in nur wenigen Monaten etwas erreichen, was ich in zwei Jahrzehnten nicht geschafft habe, dann überlege ich ernsthaft, Sie mit einer Nadel zu stechen, so aufgeblasen wie Sie sich geben, so allwissend.“ Er rümpfte die Nase.
„Ich irre mich? Das können Sie nicht ernst meinen, Severus. Dann frage ich Sie, wer es gewesen war, der zu Weihnachten so verzweifelt klang, weil ich noch keine Lösung gefunden habe? Das waren ja wohl Sie!“, schnaufte sie wütend. „Und Sie haben mit dem ganzen Mysterium überhaupt erst angefangen und da muss ich fragen: Warum haben Sie das?“ Gerade wollte er das Wort ergreifen, da zeterte sie aufgebracht: „Wenn Sie davon ausgehen, dass niemand Ihnen helfen können wird, warum all diese Hinweise? Jetzt sage ich Ihnen mal was.“ Sie hob drohend einen Zeigefinger. „Sie haben Angst! Sie haben eine Heidenangst!“
Seine Atmung beschleunigte sich und er ballte aggressiv seine Fäuste. In seinem Gesicht war die weiße Farbe einem warnenden Rot gewichen.
„Nennen Sie mich etwa einen Feigling?“
Hermine nahm sich fest vor, sich nicht einschüchtern zu lassen und so ließ sie ihrem Frust freien Lauf. „Das habe ich nicht gesagt! Ich sagte, dass Sie Angst haben und für diese Behauptung, mein Lieber, ist der Irrwicht Beweis genug!“
„Es ist doch seltsam“, säuselte er beunruhigend leise, „dass wir denselben haben. Möglicherweise spiegelt sich in dem Ihren die Angst wider, mich mit Ihrer ’Rettungsaktion’ vollends zu entseelen? Denn das, auf was Sie hinauswollen – eine Heilung – könnte mich auch das Leben kosten.“
Sie schluckte, denn nun begann er, sie mit ihren eigenen Waffen schlagen zu wollen, auch wenn sie nicht genau wusste, warum ihr Irrwicht damals seine Form angenommen hatte.
„Wir brauchen uns gar nicht so lange bei ’Ängsten’ aufzuhalten, Severus. Wie wäre es stattdessen mit ’Wünschen’?“, warf sie ihm ohne Vorwarnung vor die Füße, so dass er für einen Moment mit sich ringen musste. Diesen Augenblick nutzte sie. „Von Albus weiß ich, dass sich niemand hier im Schloss mit Vielsafttrank in mich verwandelt hat.“ Die Gesprächsführung hatte sie längst an sich gerissen und eine Sache wollte sie ihm ganz deutlich vor Augen führen. „Ich war nicht dort oben, wo Sie mich gesehen haben wollen und da ich – wie Sie sehr wohl wissen – nicht auf den Kopf gefallen bin, kann es nur eine mögliche Erklärung für mein mysteriöses Auftauchen geben.“
Bisher hatte sie es vermieden, in einem ruhigen Moment über diese Erkenntnis nachzudenken, doch es war nicht von der Hand zu weisen.
„Ich weiß genau, was Sie in Nerhegeb gesehen haben!“ Viel leiser fügte sie hinzu: „Ich weiß nur nicht, warum?“
Ihre Worte hatten ihn erschlagen. Verzweifelt versuchte er, eine Antwort auf dieses „Warum?“ zu finden und er wünschte sich eine, wegen der er sich nicht rechtfertigen müsste.
„Es wäre doch möglich“, begann sie ruhig, „dass Sie meine Hilfe wünschen und deswegen haben Sie mich in dem Spiegel…“
Als er wegschaute, verstummte sie auf der Stelle. In dem Augenblick, als sie seinen einsichtigen Gesichtsausdruck wahrnahm, schossen ihr noch andere vorstellbare Erklärungen durch den Kopf; plausible, logische Antworten und sie war wie vom Blitz getroffen, denn besonders eine machte ihr schwer zu schaffen.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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164 Wunsch und Wirklichkeit
Statuenhaft verharrten Hermine und Severus in seinem Büro. Sie musterte ihn irritiert, während er weiterhin seinen Blick auf den Kerkerboden gerichtet hatte. Das hinter dem Vorhang aus schwarzen Haaren halb verborgene Gesicht war wie aus Erz gegossen; nur mit den Augen folgte er den Furchen im steinernen Grund. Nach einer ganzen Weile hob er geringfügig den Kopf, um ihr einen scheuen Blick zuzuwerfen.
Es mochte an seinen braunen Augen liegen oder an den kaum sichtbaren Signalen, die von den kleinen Fältchen in seinem Gesicht vermittelt wurden; auf jeden Fall war sich Hermine über den einzigartigen Moment bewusst, nun einem Severus gegenüberzustehen, der – wie sie es ihm vorgeworfen hatte – verängstigt war. Ihr selbst ging es nicht anders, denn so unverhofft eine völlig andere Seite von einem vertrauten Menschen zu erblicken, konnte einen wie der Schlag treffen. Der Severus, dem sie gerade gegenüberstand, war ein Mann, den sie noch nie zu Gesicht bekommen hatte und das machte ihr ein wenig Angst.
Was er im Spiegel gesehen hatte konnte so vieles bedeuten. Harry hatte damals seine Familie gesehen und er war auf dem besten Wege, den eigenen Herzenswunsch an der Seite von Ginny auf seine Weise wahr werden zu lassen und eine eigene zu gründen. Hermine zerbrach sich den Kopf darüber, was Severus von ihr erwartete, denn dass es gerade ihr Abbild gewesen war, das sich ihm gezeigt hatte, musste einen besonderen Grund haben. Unter Umständen war Nerhegebs Offenbarung harmlos, dachte sie sich, weil Severus in ihr nun die beste Freundin sah, die er schon so lange vermisste. Als sie sich jedoch vor Augen führte, dass er womöglich mehr als das in ihr sehen könnte, da wurde ihr heiß und kalt.
Den Mann vor ihr, der ihr momentan so fremd war, betrachtete sie daher auch mit ganz anderen Augen, so als hätte sie ihn noch nie zuvor gesehen. Wie ein misshandelter und am Straßenrand ausgesetzter Hund schien er nicht gerade zutraulich und doch wollte sie es wagen. Beherzt machte sie einen Schritt nach vorn, doch er wich zaghaft zurück.
Ein Klopfen unterbrach diesen seltsamen Moment. Harry hatte die Tür geöffnet und ohne das Szenario zu begreifen informierte er die beiden: „Albus schickt mich. Ihr seid zu spät zur Lehrerversammlung!“
Nach einer abrupten halben Drehung ging Severus schnellen Schrittes auf Harry zu, der ihm die Tür aufhielt. Ohne sich umzudrehen, ein Wort zu verlieren oder zu warten war er bereits verschwunden. Hermine benötigte noch einen Moment, so dass ihr bester Freund fragte: „Alles in Ordnung?“ Sie nickte, doch ihr Gesichtsausdruck zeugte deutlich vom Gegenteil. „Mine?“
„Später, Harry. Lass uns gehen.“
Im Lehrerzimmer angekommen entschuldigte sich Hermine peinlich berührt vor versammelter Mannschaft für ihre Unpünktlichkeit, bevor sie neben Severus, der seine Arme in ablehnender Haltung vor der Brust verschränkt hatte und auf die Maserung des Tisches starrte, Platz nahm. Harry setzte sich ihr gegenüber, gleich neben Remus.
Den Worten des Direktors konnte sie nicht folgen und sie ahnte, dass es Severus genauso gehen würde wie ihr. Nur durch Zufall bemerkte Hermine, dass Remus und Harry ihre Augen auf sie gerichtet hatten, manchmal sogar zu Severus hinüberblickten und krampfhaft versuchten, das Rätsel zu lösen und eine Erklärung für das ungewöhnliche Verhalten der beiden zu finden. Neville, der an Hermines anderer Seite saß, betrachtete die Situation ebenfalls völlig ratlos.
Auch etwas später in der großen Halle legte Severus das gleiche verhaltene Benehmen an den Tag. Er blickte nicht einmal auf, als Albus den Schülern mitteilte, dass Remus John Lupin ihr neuer Lehrer für die Pflege magischer Geschöpfe darstellte. Bei dem stürmenden Applaus und den fröhlichen Pfiffen verzog er nicht wie erwartet das Gesicht.
Severus aß sehr langsam und zudem äußerst wenig, blickte nicht ein einziges Mal zu den Schülern, geschweige denn zu Hermine oder irgendeinem anderen, der am Lehrertisch saß, was sie mit Sorge beobachtete, doch sie wusste nicht, auf was sie ihn ansprechen sollte. Das Thema könnte ihr genauso unangenehm werden wie ihm.
Die Schüler begrüßten sich noch während des Abendessens innig, als hätten sie sich einige Jahre nicht gesehen und sie erzählten sich zwischen Tafelspitz und Tomatenvinaigrette, was sie die Ferien über alles erlebt hatten – manche machten keinen Halt davor, mit vollem Mund zu sprechen.
Draco hatte es nicht missen wollen, den Abend mit seinen Klassenkameraden zu verbringen. Sein Blick verweilte überraschend oft am Lehrertisch, denn sein Patenonkel schien sehr bestürzt. Möglicherweise, vermutete Draco, lag es an Remus, der nun zum zweiten Mal einen Kollegen für Severus darstellte und dass die beiden ihre Differenzen hatten, dass wusste er nur zu gut. Auch andere Schüler, die damals in der ersten oder zweiten Klasse gewesen waren, als Remus das Fach Verteidigung unterrichtet hatte, konnten sich noch an ihren ehemaligen und nun neuen Lehrer erinnern. Gegenüber von Draco saß Gordian, der sich außergewöhnlich still verhielt.
Als Draco sich gerade ein kleines Törtchen nahm, da sah er, wie ein anderer Slytherin sich Gordian näherte, ihm auf die Schulter schlug und grinsend sagte: „Ich habe gehört, du hast unseren Schlafsaal mal so richtig eingeweiht? Gut gemacht!“ Ein weiterer Schlag auf die Schulter zeugte von Respekt, doch Gordian kam nicht dazu, die Sache richtig zu stellen, denn der Mitschüler hatte sich längst abgewandt und einen anderer Freund aufgesucht.
Mit großen Augen blickte Draco sein Gegenüber an, weswegen Gordian beschämt und sehr leise sagte: „Da ist überhaupt nicht passiert! Ich möchte mal wissen, woher er davon weiß.“
„Wenn nichts passiert ist, von ’was’ sollte er denn nichts wissen dürfen?“
Es war ersichtlich, dass Gordian eigentlich nichts zur Sache sagen wollte, doch er gab sich einen Ruck. „Wir haben nicht mal in einem Bett geschlafen.“
„Wer ist ’wir’?“, fragte Draco belustigt, bevor er in das kleine Törtchen biss.
„Na ja…“ Gordian blickte über seinen Rücken, so dass Draco gar nicht lange nachdenken musste, denn Meredith schaute zu den beiden.
„Aha“, machte Draco, als hätte er Gordian eben auf frischer Tat ertappt. „Gab es Ärger?“
Den Kopf schüttelnd verneinte Gordian. „Irgendein Gemälde muss gequatscht haben.“
„Salazar Slytherin!“
Gordian runzelte die Stirn. „Wir haben ein Gemälde von Salazar in unserem Gemeinschaftsraum?“
Nickend erklärte Draco: „Das ist gemalt worden, als er noch etwas jünger war, noch ohne Bart. Man erkennt ihn kaum.“
„Aber warum hat er uns erst am nächsten Tag verpfiffen?“
Einmal gelassen die Schultern hebend und wieder senkend erwiderte Draco: „Weil es dann erst Sinn macht? Vielleicht hat er euch den Spaß gegönnt.“
Er konnte es sich nicht verkneifen, bis über beide Ohren zu grinsen, was Gordian wütend machte.
„Es ist nichts passiert!“
„Klar…“ Das Thema wechselnd wollte Draco wissen: „Sag mal, du bist doch einer von denen gewesen, die gern Quidditch spielen.“
„Was hat das denn jetzt damit zu tun?“
„Ja oder nein?“, fragte Draco, der gar nicht auf Gordians Einwurf einging. Der nickte endlich, so dass Draco zur Sache kommen konnte. „Würdest du gern ins Quidditch-Team der Slytherins aufgenommen werden?“
„Wir haben doch gar kein…“
„Gordian, jetzt beantworte doch einfach mal meine Fragen! Dabei ist völlig egal, wie die Lage momentan aussieht.“
Den Zweck der Frage nicht verstehend antwortete Gordian aufrichtig: „Ich würde gern spielen, ich wäre gern Sucher. Ich bin ein guter Sucher, haben zumindest Madam Hooch und Professor Potter gesagt, als wir im Sommer zusammen gespielt hatten.“
„Kennst du aus den anderen Häusern welche, die sich für ihr Team beworben hatten, aber abgelehnt wurden?“
Gordian verengte seine Augenlider zu schmalen Schlitzen. „Okay, jetzt bin ich wirklich neugierig geworden. Was hast du vor?“
„Ich will ein Quidditch-Team für Slytherin zusammenstellen.“
„Alles klar und weil wir so wenig sind, willst du welche aus Ravenclaw, Gryffindor oder Hufflepuff haben.“
„Ganz genau! Ich habe was nachgelesen. In dem Buch Geschichte Hogwarts’ steht nämlich nicht, dass ein Quidditch-Team aus Mitgliedern des eigenen Hauses bestehen muss“, erklärte Draco.
Gordian schüttelte langsam seinen Kopf. „Das wird nicht klappen. Wie stellst du dir das vor? Die hassen uns!“
„Meinst du nicht, dass sich ein paar Schüler finden würden, denen die Häuser egal sind, weil sie einfach nur auf einem Besen sitzen und in einer Mannschaft spielen wollen?“
„Meredith will spielen, aber man wollte sie nicht als Hüterin haben und da man nur einen Hüter braucht…“
Respekt zollend hob Draco beide Augenbrauen. Eine Hüterin für das neue Slytherin-Team hätte er schon mal im Visier und heute Abend, gleich nach dem Essen, würde er nach vielen, vielen Jahren wieder einmal den Slytherin Gemeinschaftsraum aufsuchen, um noch willige Spiele aus dem eigenen Haus zu rekrutieren.
Seine gedankliche Planung wurde unterbrochen, als er seinen Patenonkel lautlos vorbeihuschen sah. Ein Blick zum Lehrertisch verriet, dass Harry genauso verwirrt schien, während Hermine die Verfolgung aufgenommen hatte.
Als sie die große Halle hinter und damit die neugierigen Blicke sich gelassen hatte, forderte Hermine ihn zum Stehenbleiben auf. Dieser Aufforderung kam er nach, doch er ergriff auch gleich das Wort.
„Morgen um 14 Uhr in meinem Labor. Wir werden zusammen aus den bisherigen Unterlagen mit Ihren Farbtrank-Ergebnissen eine Präsentationsmappe erstellen, es sei denn, Sie haben einen anderen Wunsch.“ Er klang sehr kühl und vermied den direkten Augenkontakt.
„Nein, aber Severus…?“
„Dann sehen wir uns morgen. Guten Abend.“
Perplex starrte sie ihm nach, bis sie hinter sich Harrys Stimme hörte.
„Was hat er denn nun wieder? Soll ich mit ihm reden?“ Sein Angebot klang verlockend, doch sie schlug es aus.
„Nein, ich denke…“ Sie schüttelte den Kopf und seufzte. „Ich kann im Moment nicht denken.“
„Oha, dann ist es wirklich schlimm!“, scherzte er fröhlich.
„Harry…“ So verzweifelt hatte er sie selten erlebt. „Ich weiß nicht, ob ich mit der Entwicklung zufrieden bin.“
Einen Arm um ihre Schultern legend fragte er: „Was für eine Entwicklung?“
„Ich…“
„Hermine, bring deine Sätze bitte zu Ende!“
Sie seufzte erneut. „Ich werde es eine Weile beobachten müssen, bevor ich Genaueres sagen kann.“
Zum Abschied streichelte sie ihn sanft am Oberarm und schenkte ihm ein gequältes Lächeln.
Nun war es Harry, der Hermine ratlos hinterherschaute, als er plötzlich Stimmen hinter sich wahrnahm und die gehörten Remus und Neville.
„Es ist schön, dass Sie wieder hier sind, Professor Lupin“, sagte Neville gut gelaunt.
„Ah ah ah – nicht ’Professor’, wenn ich bitten darf“, korrigierte Remus seinen ehemaligen Schüler freundlich.
Schnell verbesserte Neville: „Remus.“
Harry drehte sich um und ihm gleichen Augenblick wurde er von beiden bemerkt. Es war Remus anzusehen, dass er glücklich war. Sein beständiges Lächeln war viel breiter als sonst, die Augen funkelten und an seinem lässigen Gang konnte man sein bestärktes Selbstwertgefühl ablesen. Er wirkte nicht mehr so kränklich.
„Wir sehen uns, Remus.“ An Harry gewandt verabschiedete Neville sich mit einem freundlichen Nicken. Derweil schlenderte Remus leger auf ihn zu.
Da nun auch viele Schüler aus der großen Halle hinauskamen, fragte Remus nicht sehr laut: „Was war das vorhin auf der Lehrerversammlung? Beide kommen zu spät und beide haben nicht auf ein einziges Wort von Albus gehört. Was ist da los?“
„Hermine muss irgendeine Entwicklung beobachten, bevor sie sich dazu äußern kann.“
„Was denn für eine Entwicklung?“, wollte Remus wissen. Harry antwortete mit fragendem Gesichtsausdruck, als er zeitgleich mit den Schultern zuckte. Mit amüsiert hochgezogenen Augenbrauen machte Remus den Vorschlag: „Vielleicht könnten wir beiden helfen, die Entwicklung etwas voranzutreiben?“
Harry begleitete Remus bis zu den Treppen. „Ich weiß ja nicht mal, um was es geht.“
„Mmmh“, war Remus einziger Kommentar, der Harry noch mehr verwirrte.
An den sich bewegenden Treppen angekommen ging Remus nach oben in den vierten Stock, wo er weiterhin wohnen würde, während Harry zurückging und auf dem Weg auf Ginny traf, die sich von ihren Freundinnen löste und auf Harry zugestürmt kam.
„Harry, du glaubst es nicht!“ Ginny war völlig fassungslos, aber sehr bald kroch ein begeistertes Grinsen über ihr Gesicht.
„Was denn?“
„Draco hat mich eben gefragt, ob ich Jägerin im Quidditch-Team werden möchte!“
„Warum fragte Draco, ob du in deinem Team spielen möchtest? Dafür ist doch euer Kapitän zuständig.“
Sie stieß ihn schelmisch mit dem Ellenbogen an. „Wer sagte denn, dass ich für Gryffindor spiele?“
„Ich verstehe nicht…“
Sich bei ihm unterhakend erklärte sie auf dem Weg in ihre Räume: „Er sucht Leute für das Slytherin-Team. Du hast ja bei der Einschulung mitbekommen, wie viele Schüler sein Haus insgesamt hat und da kommt kein Team bei zustande, deswegen fragt er rum.“
„Ist das erlaubt?“
Ginny zuckte mit den Schultern. „Mir egal, Hauptsache ich sitze mal wieder auf einem Besen. Ich dachte vor ein paar Monaten, wegen Nicholas müsste ich mich einschränken, aber unser kleiner Freund wird sich freuen, dass ich zweimal die Woche nachmittags auf dem Quidditchfeld sein werde und er sich kümmern kann. Wir könnten beide zusammen trainieren, Harry!“ Mit einem Finger stach sie ihm in den nicht mehr wie in Schultagen so straffen Bauch. „Könntest es gebrauchen.“
„Frechheit“, murmelte er, während er die Stelle an seinem Bauch hielt, wo sie ihn gepiekst hatte und in diesem Moment wusste er, dass er ihrem Vorschlag zustimmen sollte.
In den eigenen vier Wänden angekommen begrüßte Wobbel die beiden, wiegte dabei Nicholas im Arm, der gerade das Fläschchen bekam.
„Harry, wenn ich in Dracos Team spiele, kann ich dann deinen Rocketeer haben?“
„Mit was soll ich denn fliegen?“, nörgelte Harry, während er sich die Schuhe auszog.
„Kauf dir doch den neuen Twister! Der ist für Sucher sowieso viel besser geeignet, kann man gute Wendemanöver mit fliegen, hab ich gelesen.“
Harry ließ sich auf das Sofa plumpsen und rieb sich den vollen Bauch. „Nicht alles, was Krum auf einem der Hochglanz Werbeprospekte von ’Nimbus Rennbesen’ in den Händen hält, muss in meinem Schrank stehen.“
„…und Staubweben ansetzen“, vervollständigte Ginny nuschelnd.
„Das habe ich gehört. Wann hätte ich denn mal fliegen können? Alleine macht es doch keinen Spaß.“
„Trainieren wir nun zusammen oder muss ich mich mit einem meiner Mitschüler verabreden, der ein Auge auf mich geworfen hat?“ Sie wollte ihre Mimik unbedingt ernst halten, aber scheiterte dabei kläglich.
„Wie bitte?“
„Ach nichts. Ich möchte mit dir fliegen, Harry. Einige Manöver ausprobieren, Beschleunigung und Drosselung üben, aber vor allem möchte ich wieder mal für längere Zeit oben sein. Mit meinem Harry.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Du bist nicht mehr ganz so fit wir vor ein, zwei Jahren.“
„Was ich mir heute für Unverschämtheiten anhören muss… das geht ja auf keine Kuhhaut.“
„Aber“, mischte sich Wobbel unerwartet in das Gespräch ein, „Miss Weasley hat Recht, Sir. Als ich bei Ihnen angefangen habe, waren Sie körperlich in einer wesentlich besseren Verfassung.“
„Nicht zu glauben“, nuschelte Harry. „Fall mir noch in den Rücken, Wobbel.“
„Sie haben gesagt, Sir, dass ich immer ehrlich sein soll.“
„Mein Fehler.“ Er schlug sich entschlossen auf die Oberschenkel. „Gut, wenn sich alle gegen mich verschworen haben, dann werde ich mal Mr. Whitehorn anflohen und ihm nebenbei erzählen, dass der neue Twister ja ganz nett aussieht.“
Vorwurfsvoll schüttelte Ginny den Kopf. „Du spekulierst darauf, dass er dir einen schenkt. Du könntest dir auch einfach einen kaufen.“
„Einen kaufen? Damit Whitehorn mir das nächste Mal, wenn wir uns über den Weg laufen, wieder stundenlang damit in den Ohren liegt, dass ich ihn doch einfach hätte kontaktieren können? Nein, Ginny. Manche Leute – deine lieben Brüder Fred und George gehören übrigens dazu – kann man nur glücklich machen, wenn man sich von ihnen beschenken lässt. Denen ist das peinlich, wenn Harry Potter ihre Produkte kaufen muss.“ Er kratzte sich am Kopf, wodurch die wirren Haare noch mehr zerzausten. „Ich verstehe den Sinn nicht, aber es ist so.“
„Und du enttäuscht die Menschen ungern!“
Er grinste frech. „Genau so ist es!“
Wobbel gab den kleinen Jungen an Harry ab, bevor er zur Tür ging, denn es hatte geklopft.
„Hermine?“, grüßte Harry verwundert. Er hätte nicht gedacht, dass er sie vor dem morgigen Tag noch einmal sehen würde.
„Harry, hi Ginny, grüß dich Wobbel.“ Sich neben Harry setzend fragte sie mit gedämpfter Stimme: „Sag mal, kann ich mir deinen Tarnumhang ausleihen?“
Er zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe. „Klar, aber wozu? Nein…“ Er hielt eine Hand in stoppender Geste in die Höhe; mit der anderen drückte er Nicholas an sich. „Erzähl es mir nicht, aber pass bitte auf, ja?“
Von Ginny ließ er sich besagten Umhang aus dem Schlafzimmer holen, den Hermine sofort verkleinerte, damit niemand sie damit auf den Gängen umherlaufen sehen würde.
Unten in den Kerkern versuchte Severus sich derweil mit ein paar Aufgaben zu beschäftigen, doch er konnte sich nicht konzentrieren. Das heutige Gespräch mit Hermine, zumindest der Versuch eines Gespräches, bereitete ihm Magenschmerzen. Mit seinen Gedanken war er nicht bei den Themen für seine Klassen, sondern bei der Suche nach der Antwort einer bestimmten Frage und die könnte ihm möglicherweise die Quecksilberbeschichtung eines gewissen Gegenstandes verraten, der verhüllt auf dem Dachboden nur darauf wartete, jemanden in seinen Bann zu ziehen.
Spät abends ging Severus mit seinem Hund aus. Nach diesem Spaziergang tigerte er aufgewühlt in seinem Wohnzimmer umher und versuchte dem Drang zu widerstehen, die höchsten Höhen Hogwarts aufzusuchen.
Im vierten Stock saß Hermine mit auf und ab wippenden Knien auf der Couch. Harrys Tarnumhang hatte sie sich zerknüllt in den Schoß gelegt. Sie wartete auf etwas Bestimmtes, nämlich darauf, dass Fellini zur Tür hechten würde, denn das würde bedeuten, dass Severus den Weg zum Dachboden eingeschlagen hatte. Sie traute sich nicht einmal, auf die Toilette zu gehen, damit sie ihn nicht verpassen würde, doch lange konnte sie dem Druck auf ihrer Blase nicht standhalten.
Nach einer kurzen Toilettenpause nahm Hermine wieder ihren Platz ein. Viele Stunden später – mitten in der Nacht – rannte Fellini zur Tür hinüber. Sofort löschte Hermine alle Lampen in ihrem Zimmer, damit keinesfalls durch einen nicht erkennbaren Spalt ihrer Tür etwas Licht auf den Gang leuchten würde und dann horchte sie. Severus war sehr leise, doch als sie ihr Ohr an das alte Holz der Tür presste, konnte sie seine Schritte wahrnehmen. Sie warf sich den Tarnumhang über und lenkte Fellini mit einer kleinen Leckerei ab, um ohne ihn auf den Gang schleichen zu können.
Ganz vorn, Schatten in Schatten, sah sie Severus gerade um die Ecke biegen. Hermine beeilte sich, um mithalten zu können, denn sie kannte seinen schnellen Schritt. Nachdem sie alle Stockwerke hinter sich gelassen hatte und auf dem Dachboden angekommen war – Severus immer in Sichtweite – betrat sie den hölzernen Boden und achtete darauf, dass sie kein Geräusch machte. Mit dem Körper dicht an der steinernen Wand entlanggehend bibberte sie, wenn sie eines der kleinen Fenster passierte, durch das die kalte Winterluft wehte. Die vielen Holzverschläge, die nach ein paar Schritten kamen, erinnerten sie erneut an den Dachboden eines Muggel-Mietshauses.
Der lange Gang, den Severus gerade mal zur Hälfte hinter sich gebracht hatte, war ihr nicht mehr so gruselig wie das erste Mal, als sie nur mit Fellini hergekommen war. Die finsteren Räume hinter den türlosen Durchgängen jagten ihr keine Angst ein. Gerade eben sah sie, wie Severus durch die Tür gegangen war, weswegen Hermine rannte, um unbemerkt aufzuholen. Sie musste mit der Tür vorsichtig sein, denn er durfte nicht sehen, dass sie sich bewegte, doch glücklicherweise hatte Severus bisher alle Türen hinter sich offen stehen lassen.
Kaum hatte sie sich durch den Türspalt gezwängt, da erstarrte sie, denn Severus war ganz offensichtlich stehengeblieben. Er verweilte nur zwei Schritte von ihr entfernt und blickte aus einer der scheibenlosen Öffnungen hinaus in die Dunkelheit. Vorsichtig machte sie in dem engen Flur einen Schritt nach hinten, doch sie stieß mit dem Rücken an die Steinwand. In diesem Moment bewegte Severus leicht den Kopf und es schien, als würde er lauschen. Unerwartete machte näherte er sich ihr, ging jedoch an ihr vorbei, um die Tür hinter sich zu schließen. Gleich darauf hielt er erneut inne, doch dann entschloss er sich, das Ende des Ganges aufzusuchen, wo sich hinten links die große und mit Zaubersprüchen geschützte Holztür mit dem Eisenbeschlag befand.
Hermine war lautlos gefolgt und stand dicht bei Severus, um gut hören zu können, mit welchem Spruch er die Tür öffnete, da sagte er gelassen: „Harry, lassen Sie die Kinderei mit dem Umhang!“
Wegen des Schrecks, ertappt worden zu sein, regte sich Hermine keinen Millimeter.
Seufzend, als würde eine schwere Last auf ihm liegen, formulierte er um. „Wenn nicht Harry, dann Hermine. Ziehen Sie den albernen Tarnumhang aus.“
Erst war nur ihr Kopf zu sehen und die durch den hinuntergezogenen Umhang in alle Richtungen stehenden Haare, bis sie Harrys Erbstück komplett abgeworfen hatte und sich unter den Arm klemmte.
„Woher…? Wie haben Sie das gemerkt?“
„Sie schnaufen wie eine Abraxanerstute bei der Geburt eines Fohlens!“
„Wie bitte? Ich war doch ganz leise“, konterte Hermine kleinlaut, denn sie war froh, dass er nicht wütend war.
„Leise“, murmelte er verächtlich. „’Leise’ ist etwas anderes.“
Ohne sie zurechtzuweisen öffnete er die Tür mit einem wortlosen Zauber.
„Nach Ihnen, Hermine.“
Sie war mit sich selbst uneins, weil sie nicht wusste, was sie erwarten würde. Natürlich würde sie hier den Spiegel sehen – das war ihr klar –, aber wie sich die Situation mit Severus entwickeln würde, konnte sie nicht vorhersehen.
Hinter sich schloss er die Tür, bevor er per Zauber Lichter entzündete, damit man einen schmalen Pfad zwischen allerhand Gerümpel sehen konnte. Sie folgte ihm, während sie seinen Worten lauschte.
„Hier werden laut Albus Dinge aufbewahrt, die ehemalige Lehrer und Angestellte einst zurückgelassen haben“, erklärte er die unzähligen Gegenstände, die hier gelagert wurden. Er öffnete eine weitere Tür und hielt sie ihr auf. „Treten Sie ein.“
Erneut kam sie seiner Aufforderung nur zögerlich nach. In diesem Raum stand ein einziger Gegenstand, verhüllt von einem großen Tuch – nichts anderes.
„Sie haben den Spiegel Nerhegeb noch nie gesehen?“
„Nein“, sie schüttelte den Kopf, „und ich möchte auch nicht.“
„Hermine, Sie brauchen doch nicht hineinzusehen, um ihn einmal betrachten zu können.“
Mit einem Schwung seines Stabes flog das Tuch nach oben und Hermine wandte sich erschrocken ab.
„So eine große Furcht?“, hänselte er sie.
Mit festerer Stimme wiederholte sie: „Ich sagte, ich möchte nicht hineinsehen.“
„Sie müssten sich schon direkt davor stellen und auch näher herantreten. Von Ihrer Position aus würden Sie rein gar nichts sehen“, versicherte er mit vertraut ruhiger Stimme und so gab sie sich einen Ruck.
Der Spiegel und vor allem sein prächtiger, an einigen Stellen mit Gold verzierter Rahmen war eine Augenweide. Severus ging zu Nerhegeb hinüber und berührte das Holz mit seiner reliefartigen Schnitzerei. Ganz oben stand, wenn man es rückwärts las „Nicht dein Antlitz aber dein Herz begehren“.
Mit einer Stimme, die an die eines Museumsführers erinnerte, erläuterte Severus: „Albus vermutet, dass dieser Spiegel ein Geschenk der Kobolde an Rowena Ravenclaw sein könnte.“ Er deutete auf die Füße, auf denen der Spiegel stand. „Die Standfüße erinnern an Adlerklauen.“ Ein paar Schritte an den Spiegel herangehend betrachtete sie dessen Unterseite und musste der Theorie zustimmen. „Kommen Sie näher heran“, forderte Severus sie auf und damit sie ihn nicht missverstehen würde, denn er hatte keinesfalls vor, sie in den Spiegel sehen zu lassen, fügte er hinzu, „hinter den Spiegel.“ Sie trat herum, während Severus bereits einen Lumos sprach, damit er ihr den rückseitigen Schatz zeigen konnte.
Der Anblick der Schnitzerei verschlug ihr den Atem. Sie hatte das Gefühl, als hätte sie eben eine archäologische Entdeckung gemacht. Nerhegebs Rückseite war üppig mit Reliefs verziert. Da waren viele kleine Figuren, Tiere, Menschen und auch Kobolde. Ein Wesen schien einen Phönix darzustellen und sie erkannte ein Einhorn. Alles zusammen schien eine Geschichte zu erzählen.
„Was erkennen Sie alles?“ Mit dem Licht seines Stabes zeichnete er an der Rückseite des Spiegels langsam ein Viereck in die Luft und da erkannte sie es.
„Die vier Elemente: Wasser, Feuer, Luft und Erde.“ Er nickte, hob seinen Stab und deutete einmal nach oben und einmal nach unten. Mit großen Augen bemerkte Hermine fasziniert: „Himmel und Hölle.“
„Ich würde es ungern als ’Himmel und Hölle’ bezeichnen, eher als Gut und Böse, aber darauf wird man erst kommen, wenn man sich jede einzelnen Szene dieses Kunstwerks zu Gemüte geführt hat.“ Er ging wieder um den Spiegel herum und berührte den Rahmen neben der reflektierenden Oberfläche. „Auch hier kann man auf interessante Dinge stoßen.“
Beide hatten sich den Rahmen des Spiegels angesehen – Hermine sehr viel interessierter als Severus, denn für ihn war es nicht neu. Er beobachtete sie, als sie mit ihren Fingern eine der kunstvollen Unebenheiten berührte und begeistert murmelte: „Das ist Hogwarts!“
Severus nickte. „Albus möchte diesen Spiegel im Schloss behalten, weil er denkt, dass er hierher gehört.“
„Ja, das kann ich nachvollziehen.“
Hermine stellte sich vor den Spiegel und schaute nach oben auf die goldene Verzierung, die Ornamente und die Spiegelschrift. Unüberlegt blickte sie nach vorn und somit genau auf die Fläche aus Quecksilber. Sie sah sich selbst, aber viel weiter hinten in einer ihr bekannten, aber nicht sehr vertrauten Umgebung. Da waren viele Regale mit Töpfen und anderen Dingen und als ihr bewusst wurde, dass es sich nicht um ihre Reflexion handelte, blickte sie erschrocken weg.
„Sie haben mehr Furcht vor Ihrem größten Wunsch als vor Ihrem Irrwicht“, stellte er besonnen fest. „Das ist irritierend.“
„Ich möchte nicht hineinsehen, schon gar nicht nachts um halb vier.“
„Warum sind Sie mir dann laut polternd gefolgt?“, stichelte er selbstgefällig grinsend.
’Laut polternd’, wiederholte Hermine verärgert in Gedanken, dabei war sie doch so leise gewesen.
Er gab nicht nach. „Sie hätten sowieso nicht das gesehen, was ich gesehen hätte, warum also Ihr nächtlicher Ausflug?“
„Ich war nur neugierig“, gab sie beschämt zu.
Ein kurzes Schnaufen war zu hören. „Das brauchen Sie wirklich nicht zuzugeben, das ist offensichtlich.“
Demonstrativ stelle er sich direkt vor den Spiegel, weswegen sie seine Mimik genau beobachtete, doch da rührte sich rein gar nichts. Seine Gesichtszüge waren wie eingefroren und verrieten nichts über seine Gefühlslage. Seine lehrerhafte Stimme nahm diesem Augenblick die Spannung.
„Der Anblick Nerhegebs kann zuweilen schmerzhaft sein.“ Er schluckte, als sein Blick den von Lily traf, die links im Spiegel Gestalt angenommen hatte und sich nun lässig gegen den Rahmen lehnte. Die schemenhafte Figur im Hintergrund nahm er nur nebenher wahr. „Haben Sie Angst davor, Hermine, dass sich Ihr Wunsch nie erfüllen könnte?“ Seinen Blick wandte er nicht von Nerhegeb ab. „Fürchten Sie, dass Sie dem, was Sie erblicken könnten, ein Leben lang hoffnungslos nachjagen?“
Hermine konnte sich nicht äußern. Es war ihr ein Rätsel, ob er diese Fragen stellte, weil sie ihn selbst betrafen, was nahe lag. Er könnte sie aber auch gestellt haben, weil er ihr damit ihre eigene Abneigung hineinzusehen erklären wollte. Nur die Ahnung, dass er in diesem Moment möglicherweise sie sah, ließ ihr Herz schneller schlagen. So sehr sie sich aber auch den Kopf zerbrach, sie konnte sich nicht sicher sein. Der gryffindorsche Mut hatte sich verkrochen und so brachte sie es nicht zustande, ihn einfach zu fragen.
„Viele Menschen“, sagte er mit gedankenverlorener Stimme, „hätten sich bereits um den Verstand gebracht, sagte Albus einmal.“
„Warum sehen Sie dann hinein?“, fragte sie unverhofft und sie war froh gewesen, dass ihr eine unverfängliche Frage eingefallen war.
An seinem Ton konnte man heraushören, dass er es nicht so genau nahm. „Vielleicht ist es für mich eine Feuerprobe?“
„Was sehen Sie?“ Sie biss sie auf die Zunge, denn das hatte sie nicht fragen wollen.
Bisher hatte er kein einziges Mal seinen Blick von der glatten Oberfläche abgewandt und auch dieses Mal nicht, obwohl ihre Frage sehr privat war. Er betrachtete für einen kurzen Moment die Gesamtheit, die Nerhegeb ihm zeigte, und ihm fiel erneut die schattige Figur im Hintergrund auf, die er nicht sehen wollte. Nach links blickend erwiderte er kurz und knapp: „Lily.“
Völlig unerwartet fühlte sich Hermine durch seine Antwort verletzt. Zuvor hatten noch all ihre Theorien zusammengepasst. Sein Auftritt bei Harry, als er sie beschuldigt hatte, ihm auf den Dachboden gefolgt zu sein; später seine Erklärung, er hätte sie nur vermutet – nicht gesehen –, weil ihr Kniesel bei ihm gewesen war.
Lily zu sehen war nicht gut für ihn, dachte sie. Severus hing seiner Vergangenheit nach, grämte sich wegen seiner alten Flamme. Sein Wunsch zählte unumstößlich zu denen, die einen Menschen zerstören könnten. Er war oft hier oben, das wusste sie. Immer wieder setzte er sich diesem Schmerz aus. Es war kein Wunder, dass er ihre Pastillen so sehr benötigte, wenn er stetig an diesen alten Wunden nestelte, so dass sie wieder aufbrachen und wie frisch zugefügt schienen. Mit diesem Wunsch vor Augen schottete er sich von der Welt und seinen Mitmenschen ab. Selbst wenn Linda ihm schöne Augen machen würde, würde er es gar nicht sehen, weil er Scheuklappen trug, die auf den Namen „Lily“ hörten.
Gekränkt, auch wenn sie dafür keinen Grund haben durfte, ergriff sie das Wort, und Trübsinn klang in ihren Worten mit, als sie ihm vor Augen hielt: „Keine Frau kann mit einer Toten konkurrieren, Severus.“
Durch ihre Worte leicht konfus wandte er das erste Mal, seit er hineingeschaut hatte, seinen Blick von Nerhegeb ab, um Hermine anzusehen. Schon ihre Worte hatten in seinen Ohren ernüchtert geklungen, doch jetzt sah er es auch an ihrem Gesicht, dass sie all ihrer Illusionen beraubt schien und das verwirrte ihn nur noch mehr.
Unmerklich presste sie ihre Lippen zusammen, schaute ihn zudem mitleidig an, was ihm missfiel, doch andererseits hielt sie ihm vor Augen, was er selbst nicht zu sehen imstande war. Mit leiser Stimme, die in diesem großen Raum verloren wirkte, verabschiedete sie sich, bevor sie ihn langsamen Schrittes verließ. Er blickte ihr einen Weile nach, bis er sie nicht mehr sehen konnte.
Ihre Worte hatten etwas in ihm bewegt, hatten einen zuvor reglosen Felsbrocken für wenige Zentimeter aus seiner Mulde verschoben und eine kleine Ritze geschaffen, durch die ein wenig Licht bis in die Tiefen des dunklen Seins hindurchscheinen konnte, um ihn zu wärmen.
Selbstversunken wandte er seinen Kopf wie in Zeitlupe, betrachtete dabei den staubigen Boden, bis er die krallenartigen Füße des Spiegels sah und seufzend aufblickte. Als sein Blick auf die quecksilberne Oberfläche traf, erschrak er so schlimm, dass er zusammenfuhr, weil Hermine dicht vor ihm stand und ihn sanft anlächelte. Sie war nicht aus Fleisch und Blut, sondern eine Spiegelung seines eigenen Sehnens.
Mit seiner Weisheit am Ende schloss er verstört die Augen. Sie zu erblicken war seines Erachtens ein genauso aussichtsloses Sinnen und Trachten. Er hätte mehr Chancen, sich mit Lily vereint zu sehen, vorausgesetzt es würde so etwas wie ein „Leben danach“ geben.
Im Bett wälzte sich Hermine hin und her. Ohne Harrys Mutter verunglimpfen zu wollen fragte sie sich, was Lily an sich gehabt haben mochte, das sie noch nach ihrem Tode so begehrenswert machte.
In den Kerkern machte Severus gar nicht erst den Versuch, sich ohne einen „Schlaftrunk für Traumlosen Schlaf" zur Nachtruhe zu begeben.
Einige Türen weiter lag Draco wach im Bett und knabberte unbewusst an seinem Daumennagel, denn mit den Gedanken war er bei seinem Vater, dessen Verhandlung morgen beginnen würde.
Lucius hingegen schlief den Schlaf der Selbstgerechten. In seinem Traum kuschte jedermann vor seiner majestätischen Erscheinung, der von ihm ausstrahlenden Autorität und seiner gespaltenen Zunge, die zudem der einer Schlange ähnelte, und wie auch eine Schlange sich winden konnte, wand er sich mit Worten, fand verbale Auswege und bedachte die Gamotmitglieder um sich herum mit verblümten Drohungen.
Gut erholt streckte er sich im Bett liegend. Draußen war es noch dunkel und ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es gerade mal nach sechs war. Seine Augen ließ er durch das Krankenzimmer schweifen, denn in gewisser Weise hatte er diesem Ort etwas abgewinnen können. Er könnte später diesen Raum vermissen. Die Routine würde ihm fehlen: die festen Essenszeiten, die Besuche von Marie, seine Gespräche mit Gregory Goyle, der natürlich niemals geantwortet hatte. Alles in allem hatte Lucius für heute ein gutes Gefühl, wenn da nur nicht Mr. Duvall wäre, bei dem er mit bösen Überraschungen rechnete.
Marie brachte ihm, nachdem sie bemerkt hatte, dass er schon so früh wach war, gleich das Frühstück, damit er sich für seine Verhandlung stärken könnte.
„Ich wünsche Ihnen alles Gute, Mr. Malfoy“, sagte sie aufrichtig und auch ein wenig betrübt.
„Marie, ich werde doch wiederkommen. Die Verhandlung wird sicherlich mehrere Monate dauern und ich hoffe, dass man mich während dieser Zeit weiterhin hier nächtigen lässt.“ Er hob den Deckel einer kleinen Porzellanschale und schaute verwundert drein. „Ein Schokoladentörtchen? Heute ist doch gar nicht Sonntag.“
„Ich weiß ja, dass Sie die mögen.“
„Das ist sehr freundlich von Ihnen, Marie.“
Pünktlich um halb acht kam Sid. Lucius hatte sich für heute extra einen der neuen und daher noch nicht ausgeleierten Hausanzüge des Krankenhauses übergezogen, denn eigene Kleidung besaß er nicht.
Sid händigte ihm nach einer Begrüßung einen Sack aus und erklärte mit bedächtiger Stimme: „Es ist entschieden worden, dass Sie zur Verhandlung Sträflingskleidung tragen müssen.“
„Wie bitte?“ Die Empörung war nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. Lucius Augen hatten sich verengt und er zeigte die Zähne, während seine Stirn sich kräuselte.
„Reine Schikane vom Ministerium, Mr. Malfoy. An Ihrer Stelle würde ich das über mich ergehen lassen.“
„Ich denke nicht daran. Ich…“
Sid unterbrach ihn. „Geben Sie denen keine Angriffsfläche und kooperieren Sie. Außerdem möchte ich Sie darüber in Kenntnis setzen, dass die Presse zwar nicht während der Verhandlung anwesend sein wird, jedoch mein Ersuchen, das entsprechende Stockwerk für Journalisten unzugänglich zu machen, abgelehnt wurde. Sie müssen auf den Gängen also mit Fotografen und Reportern rechnen.“
„Ah“, machte Lucius wütend. „Das ist der Grund, warum ich Sträflingskleidung tragen soll! Man will gegen mich mobil machen, indem die Bevölkerung den Tagespropheten aufschlägt und mich sofort anhand der Kleidung als Verbrecher abstempelt.“
„Sie sind ein Verbrecher!“, konterte Sid gelassen und machte damit sein Gegenüber einen Augenblick sprachlos. „Machen Sie sich nichts vor, Mr. Malfoy. Sie haben einiges auf dem Kerbholz, aber glauben Sie mir, wenn ich Ihnen verspreche, dass ich alles in meiner Macht stehende tun werde, um Ihr Strafmaß so gering wie nur möglich zu halten.“
Die Erkenntnis, gegen diese Behandlungsweise nichts unternehmen zu können, versetzte Lucius einen Schlag. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich zu beugen.
„Ach“, sagte Sid, dem gerade etwas eingefallen war. „Sie werden magische Fesseln tragen müssen. Meine Einwände stießen leider auf taube Ohren.“
„Vielleicht“, begann Lucius grantig, „hätten Sie einfach nur mal mit der Faust auf den Tisch schlagen sollen!“
„Das hätte nichts gebracht, denn sehen Sie“, Sid blickte Lucius in die Augen, „mich kann man genauso wenig leiden wie Sie.“
„Wie außerordentlich tröstlich“, zischte der Blonde gereizt, der die Sträflingskleidung mit Ekel betrachtete. Die gute Laune durch den Traum, die er für den Rest des Tages bewahren wollte, war zunichte gemacht.
„Vier Wärter werden Sie abholen.“
„Vier?“
„Ja“, bestätigte Sid. „Vier, und auch hier lege ich Ihnen nahe, eine eventuelle grobe Behandlung hinzunehmen.“
„Was für eine grobe Behandlung?“
„Es wäre möglich, dass man Sie ’versehentlich’ stößt, um Sie zum Gehen zu bewegen oder gar hart anpackt. Achten Sie in solchen Fällen bitte auf Ihr Mundwerk, Mr. Malfoy. Am besten sagen Sie gar nichts und zeigen sich ausschließlich von Ihrer höflichen Seite.“
Widerwillig hatte sich Lucius in dem kleinen Waschraum des Krankenzimmers die Sträflingskleidung angezogen. Die vier Wärter des Ministeriums waren pünktlich und fesselten seine Hände mit einem gezielten Incarcerus. Sein Beistand blieb bei ihm und lief voran zu den Kaminen, mit denen sie ein Büro der Abteilung für Magische Strafverfolgung erreichten.
In diesem Büro war es angenehm ruhig. Lucius fühlte sich einigermaßen wohl, auch wenn er damit rechnete, dass es in wenigen Stunden anders aussehen würde. Eine Dame und ein Herr ließen den Beistand etwas unterzeichnen, bevor sie die Tür öffneten, die zum Gang im zweiten Stock des Ministeriums führte.
Lucius traf der Schlag – oder besser gesagt der Blitz und zwar der eines Fotografen, der von ihm ein Foto geschossen hatte. Weitere Blitzlichter folgten, weswegen Lucius die Augen zusammenkniff. Auf dem Gang waren noch andere Menschen darauf aufmerksam geworden, dass ihre Schlagzeile namens Lucius Malfoy gerade eben eingetroffen war. Zu den vielen Klickgeräuschen der Kameras und dem andauernden Blitzgewitter kamen nun auch noch unzählige, durcheinander sprechende Stimmen, die Lucius in den Ohren rauschten.
Einerseits war es nett zu wissen, dass die Öffentlichkeit ihn nicht vergessen hatte, dachte Lucius, doch auf der anderen Seite war der Grund für die aufgebrachten Journalisten keiner, den er gutheißen konnte. Seine Rolle war diesmal nicht die eines großzügigen Gönners, der dem Mungos mit einer großen Spende unter die Arme griff, sondern die des berühmten und verachteten Todessers, dem man einiges zur Last legte.
„Machen Sie Platz! Treten Sie zur Seite!“, rief der kräftigste der vier Wärter, während einer der anderen ihn fest am Oberarm packte und nach draußen führte. Es widerstrebte Lucius, dieses behagliche Büro zu verlassen, doch er musste. Seinen Blick hielt er starrt auf den Boden gerichtet.
„Mr. Malfoy? Mr. Malfoy?“
Die Journalisten waren wie Hyänen. Sie drängten sich gegenseitig ab, stießen sich mit den Ellenbogen und schrieen sich die Kehle aus dem Hals – es war nur eine Frage der Zeit, wann sie sich an dieselbe gehen würden.
„Mr. Malfoy, wann haben Sie das dunkle Mal angenommen?“
Durch die vielen Blitze konnte Lucius kaum noch etwas sehen, aber er fühlte einen warmen Atem an seinem Ohr und die Stimme seines Beistandes riet ihm: „Antworten Sie auf keine der Fragen!“
Ein schmächtiger Schmierfink hatte es geschafft, sich gegen seine stämmigen Kollegen durchzusetzen und sich bis nach vorn zu kämpfen. „Mr. Malfoy, was sagen Sie zu der Hochzeit Ihres Sohnes?“
Was er dazu sagte, wusste er selbst nicht. Darauf hätte er auch ohne den Rat seines Beistandes nicht geantwortet.
Schon jetzt waren die kratzenden Geräusche unzähliger, magischer Schreibfedern beinahe unerträglich. Lucius wunderte sich, was sie schreiben würden, wo er doch kein Sterbenswörtchen von sich gegeben hatte.
„Malfoy!“, rief jemand und Lucius ärgerte sich darüber, dass die höfliche Anrede weggelassen wurde, weswegen er aufblickte, um denjenigen ausfindig zu machen. Das sorgte jedoch nur dafür, dass vermehrt Fotos gemacht wurden, damit man ein anständiges Bild von ihm schießen konnte, auf dem auch sein Gesicht zu sehen war. Die vielen Stimmen riefen durcheinander, weswegen er sein Haupt wieder senkte, um diesen Klatschreportern das Titelblatt zu versauen.
Eine röhrende Stimme übertönte alle anderen. „Wen haben Sie alles auf dem Gewissen?“
’Niemanden’, beantwortete Lucius diese Frage in Gedanken. Eine einigermaßen reine Weste hatte er in weiser Voraussicht immer behalten wollen, denn es hätte ja sein können, dass Voldemort nicht als Sieger hervorgehen würde und so war es am Ende auch gekommen.
„Haben Sie ’Du weißt schon wer’ mit Informationen aus dem Ministerium versorgt?“ Diese Frage kam von jemandem, der von seinen Konkurrenten nicht nach vorn gelassen worden war.
Von allen Seiten wurde Lucius bedrängt und angerempelt. Die vier Wärter hatten arge Mühe, die ungehobelten Zeitungsfritzen auf Abstand zu halten. Sie mussten immer langsamer gehen und eine Schneise durch die Menschenmenge schlagen wie ein Forscher auf Expedition, der im Dschungel die Machete zückte, um im Dickicht voranzukommen.
„Ist es wahr, dass Sie damals den Schulrat erpresst haben?“
Es war ihm bis heute unverständlich, warum man ihn dafür nicht schon damals belangt hatte.
„Haben Sie einen Unverzeihlichen angewandt?“
Mittlerweile zerrte man an seinem gestreiften Oberteil, um ihn zum Aufblicken zu bewegen. Man wollte für die Abendausgabe ein Foto von ihm ergattern, doch Lucius stellte sich stur, biss die Zähne zusammen. Für seine Wärter war er dankbar, denn ohne sie würde man ihn womöglich zerfleischen. Schon jetzt kam er sich wie ein saftiges Stück Fleisch vor, mit dem man provozierend vor dem Käfig eines hungrigen Tigers wedelte.
Eine milde Frauenstimme, die sich einzig aufgrund ihres hellen Klanges gegen die lauten Organe der Männer durchsetzen konnte, erweckte seine Aufmerksamkeit, denn sie fragte wohlerzogen: „Mr. Malfoy, wenn mir die Frage gestattet ist: Mögen Sie lieber Veilchen oder Osterglocken?“
Lucius blieb stehen und blickte verwundert und gleichermaßen amüsiert auf. Die Menschenmenge war mit einem Male still, selbst seine Wärter hielten inne und zerrten nicht mehr an seinen Armen. Seine Augen trafen auf die silbergrauen einer blonden, jungen Frau, die ihm verträumt ein Lächeln schenkte und dabei einen Frieden ausstrahlte, als hätte man soeben einen Garten betreten, dessen bezaubernder Anblick einem eine leidenschaftliche Ergebenheit abverlangte. Ihr entrückter Blick entführte ihn für einen Moment an den Ort, an dem sie sich befinden musste.
„Osterglocken“, antwortete er galant.
Statuenhaft verharrten Hermine und Severus in seinem Büro. Sie musterte ihn irritiert, während er weiterhin seinen Blick auf den Kerkerboden gerichtet hatte. Das hinter dem Vorhang aus schwarzen Haaren halb verborgene Gesicht war wie aus Erz gegossen; nur mit den Augen folgte er den Furchen im steinernen Grund. Nach einer ganzen Weile hob er geringfügig den Kopf, um ihr einen scheuen Blick zuzuwerfen.
Es mochte an seinen braunen Augen liegen oder an den kaum sichtbaren Signalen, die von den kleinen Fältchen in seinem Gesicht vermittelt wurden; auf jeden Fall war sich Hermine über den einzigartigen Moment bewusst, nun einem Severus gegenüberzustehen, der – wie sie es ihm vorgeworfen hatte – verängstigt war. Ihr selbst ging es nicht anders, denn so unverhofft eine völlig andere Seite von einem vertrauten Menschen zu erblicken, konnte einen wie der Schlag treffen. Der Severus, dem sie gerade gegenüberstand, war ein Mann, den sie noch nie zu Gesicht bekommen hatte und das machte ihr ein wenig Angst.
Was er im Spiegel gesehen hatte konnte so vieles bedeuten. Harry hatte damals seine Familie gesehen und er war auf dem besten Wege, den eigenen Herzenswunsch an der Seite von Ginny auf seine Weise wahr werden zu lassen und eine eigene zu gründen. Hermine zerbrach sich den Kopf darüber, was Severus von ihr erwartete, denn dass es gerade ihr Abbild gewesen war, das sich ihm gezeigt hatte, musste einen besonderen Grund haben. Unter Umständen war Nerhegebs Offenbarung harmlos, dachte sie sich, weil Severus in ihr nun die beste Freundin sah, die er schon so lange vermisste. Als sie sich jedoch vor Augen führte, dass er womöglich mehr als das in ihr sehen könnte, da wurde ihr heiß und kalt.
Den Mann vor ihr, der ihr momentan so fremd war, betrachtete sie daher auch mit ganz anderen Augen, so als hätte sie ihn noch nie zuvor gesehen. Wie ein misshandelter und am Straßenrand ausgesetzter Hund schien er nicht gerade zutraulich und doch wollte sie es wagen. Beherzt machte sie einen Schritt nach vorn, doch er wich zaghaft zurück.
Ein Klopfen unterbrach diesen seltsamen Moment. Harry hatte die Tür geöffnet und ohne das Szenario zu begreifen informierte er die beiden: „Albus schickt mich. Ihr seid zu spät zur Lehrerversammlung!“
Nach einer abrupten halben Drehung ging Severus schnellen Schrittes auf Harry zu, der ihm die Tür aufhielt. Ohne sich umzudrehen, ein Wort zu verlieren oder zu warten war er bereits verschwunden. Hermine benötigte noch einen Moment, so dass ihr bester Freund fragte: „Alles in Ordnung?“ Sie nickte, doch ihr Gesichtsausdruck zeugte deutlich vom Gegenteil. „Mine?“
„Später, Harry. Lass uns gehen.“
Im Lehrerzimmer angekommen entschuldigte sich Hermine peinlich berührt vor versammelter Mannschaft für ihre Unpünktlichkeit, bevor sie neben Severus, der seine Arme in ablehnender Haltung vor der Brust verschränkt hatte und auf die Maserung des Tisches starrte, Platz nahm. Harry setzte sich ihr gegenüber, gleich neben Remus.
Den Worten des Direktors konnte sie nicht folgen und sie ahnte, dass es Severus genauso gehen würde wie ihr. Nur durch Zufall bemerkte Hermine, dass Remus und Harry ihre Augen auf sie gerichtet hatten, manchmal sogar zu Severus hinüberblickten und krampfhaft versuchten, das Rätsel zu lösen und eine Erklärung für das ungewöhnliche Verhalten der beiden zu finden. Neville, der an Hermines anderer Seite saß, betrachtete die Situation ebenfalls völlig ratlos.
Auch etwas später in der großen Halle legte Severus das gleiche verhaltene Benehmen an den Tag. Er blickte nicht einmal auf, als Albus den Schülern mitteilte, dass Remus John Lupin ihr neuer Lehrer für die Pflege magischer Geschöpfe darstellte. Bei dem stürmenden Applaus und den fröhlichen Pfiffen verzog er nicht wie erwartet das Gesicht.
Severus aß sehr langsam und zudem äußerst wenig, blickte nicht ein einziges Mal zu den Schülern, geschweige denn zu Hermine oder irgendeinem anderen, der am Lehrertisch saß, was sie mit Sorge beobachtete, doch sie wusste nicht, auf was sie ihn ansprechen sollte. Das Thema könnte ihr genauso unangenehm werden wie ihm.
Die Schüler begrüßten sich noch während des Abendessens innig, als hätten sie sich einige Jahre nicht gesehen und sie erzählten sich zwischen Tafelspitz und Tomatenvinaigrette, was sie die Ferien über alles erlebt hatten – manche machten keinen Halt davor, mit vollem Mund zu sprechen.
Draco hatte es nicht missen wollen, den Abend mit seinen Klassenkameraden zu verbringen. Sein Blick verweilte überraschend oft am Lehrertisch, denn sein Patenonkel schien sehr bestürzt. Möglicherweise, vermutete Draco, lag es an Remus, der nun zum zweiten Mal einen Kollegen für Severus darstellte und dass die beiden ihre Differenzen hatten, dass wusste er nur zu gut. Auch andere Schüler, die damals in der ersten oder zweiten Klasse gewesen waren, als Remus das Fach Verteidigung unterrichtet hatte, konnten sich noch an ihren ehemaligen und nun neuen Lehrer erinnern. Gegenüber von Draco saß Gordian, der sich außergewöhnlich still verhielt.
Als Draco sich gerade ein kleines Törtchen nahm, da sah er, wie ein anderer Slytherin sich Gordian näherte, ihm auf die Schulter schlug und grinsend sagte: „Ich habe gehört, du hast unseren Schlafsaal mal so richtig eingeweiht? Gut gemacht!“ Ein weiterer Schlag auf die Schulter zeugte von Respekt, doch Gordian kam nicht dazu, die Sache richtig zu stellen, denn der Mitschüler hatte sich längst abgewandt und einen anderer Freund aufgesucht.
Mit großen Augen blickte Draco sein Gegenüber an, weswegen Gordian beschämt und sehr leise sagte: „Da ist überhaupt nicht passiert! Ich möchte mal wissen, woher er davon weiß.“
„Wenn nichts passiert ist, von ’was’ sollte er denn nichts wissen dürfen?“
Es war ersichtlich, dass Gordian eigentlich nichts zur Sache sagen wollte, doch er gab sich einen Ruck. „Wir haben nicht mal in einem Bett geschlafen.“
„Wer ist ’wir’?“, fragte Draco belustigt, bevor er in das kleine Törtchen biss.
„Na ja…“ Gordian blickte über seinen Rücken, so dass Draco gar nicht lange nachdenken musste, denn Meredith schaute zu den beiden.
„Aha“, machte Draco, als hätte er Gordian eben auf frischer Tat ertappt. „Gab es Ärger?“
Den Kopf schüttelnd verneinte Gordian. „Irgendein Gemälde muss gequatscht haben.“
„Salazar Slytherin!“
Gordian runzelte die Stirn. „Wir haben ein Gemälde von Salazar in unserem Gemeinschaftsraum?“
Nickend erklärte Draco: „Das ist gemalt worden, als er noch etwas jünger war, noch ohne Bart. Man erkennt ihn kaum.“
„Aber warum hat er uns erst am nächsten Tag verpfiffen?“
Einmal gelassen die Schultern hebend und wieder senkend erwiderte Draco: „Weil es dann erst Sinn macht? Vielleicht hat er euch den Spaß gegönnt.“
Er konnte es sich nicht verkneifen, bis über beide Ohren zu grinsen, was Gordian wütend machte.
„Es ist nichts passiert!“
„Klar…“ Das Thema wechselnd wollte Draco wissen: „Sag mal, du bist doch einer von denen gewesen, die gern Quidditch spielen.“
„Was hat das denn jetzt damit zu tun?“
„Ja oder nein?“, fragte Draco, der gar nicht auf Gordians Einwurf einging. Der nickte endlich, so dass Draco zur Sache kommen konnte. „Würdest du gern ins Quidditch-Team der Slytherins aufgenommen werden?“
„Wir haben doch gar kein…“
„Gordian, jetzt beantworte doch einfach mal meine Fragen! Dabei ist völlig egal, wie die Lage momentan aussieht.“
Den Zweck der Frage nicht verstehend antwortete Gordian aufrichtig: „Ich würde gern spielen, ich wäre gern Sucher. Ich bin ein guter Sucher, haben zumindest Madam Hooch und Professor Potter gesagt, als wir im Sommer zusammen gespielt hatten.“
„Kennst du aus den anderen Häusern welche, die sich für ihr Team beworben hatten, aber abgelehnt wurden?“
Gordian verengte seine Augenlider zu schmalen Schlitzen. „Okay, jetzt bin ich wirklich neugierig geworden. Was hast du vor?“
„Ich will ein Quidditch-Team für Slytherin zusammenstellen.“
„Alles klar und weil wir so wenig sind, willst du welche aus Ravenclaw, Gryffindor oder Hufflepuff haben.“
„Ganz genau! Ich habe was nachgelesen. In dem Buch Geschichte Hogwarts’ steht nämlich nicht, dass ein Quidditch-Team aus Mitgliedern des eigenen Hauses bestehen muss“, erklärte Draco.
Gordian schüttelte langsam seinen Kopf. „Das wird nicht klappen. Wie stellst du dir das vor? Die hassen uns!“
„Meinst du nicht, dass sich ein paar Schüler finden würden, denen die Häuser egal sind, weil sie einfach nur auf einem Besen sitzen und in einer Mannschaft spielen wollen?“
„Meredith will spielen, aber man wollte sie nicht als Hüterin haben und da man nur einen Hüter braucht…“
Respekt zollend hob Draco beide Augenbrauen. Eine Hüterin für das neue Slytherin-Team hätte er schon mal im Visier und heute Abend, gleich nach dem Essen, würde er nach vielen, vielen Jahren wieder einmal den Slytherin Gemeinschaftsraum aufsuchen, um noch willige Spiele aus dem eigenen Haus zu rekrutieren.
Seine gedankliche Planung wurde unterbrochen, als er seinen Patenonkel lautlos vorbeihuschen sah. Ein Blick zum Lehrertisch verriet, dass Harry genauso verwirrt schien, während Hermine die Verfolgung aufgenommen hatte.
Als sie die große Halle hinter und damit die neugierigen Blicke sich gelassen hatte, forderte Hermine ihn zum Stehenbleiben auf. Dieser Aufforderung kam er nach, doch er ergriff auch gleich das Wort.
„Morgen um 14 Uhr in meinem Labor. Wir werden zusammen aus den bisherigen Unterlagen mit Ihren Farbtrank-Ergebnissen eine Präsentationsmappe erstellen, es sei denn, Sie haben einen anderen Wunsch.“ Er klang sehr kühl und vermied den direkten Augenkontakt.
„Nein, aber Severus…?“
„Dann sehen wir uns morgen. Guten Abend.“
Perplex starrte sie ihm nach, bis sie hinter sich Harrys Stimme hörte.
„Was hat er denn nun wieder? Soll ich mit ihm reden?“ Sein Angebot klang verlockend, doch sie schlug es aus.
„Nein, ich denke…“ Sie schüttelte den Kopf und seufzte. „Ich kann im Moment nicht denken.“
„Oha, dann ist es wirklich schlimm!“, scherzte er fröhlich.
„Harry…“ So verzweifelt hatte er sie selten erlebt. „Ich weiß nicht, ob ich mit der Entwicklung zufrieden bin.“
Einen Arm um ihre Schultern legend fragte er: „Was für eine Entwicklung?“
„Ich…“
„Hermine, bring deine Sätze bitte zu Ende!“
Sie seufzte erneut. „Ich werde es eine Weile beobachten müssen, bevor ich Genaueres sagen kann.“
Zum Abschied streichelte sie ihn sanft am Oberarm und schenkte ihm ein gequältes Lächeln.
Nun war es Harry, der Hermine ratlos hinterherschaute, als er plötzlich Stimmen hinter sich wahrnahm und die gehörten Remus und Neville.
„Es ist schön, dass Sie wieder hier sind, Professor Lupin“, sagte Neville gut gelaunt.
„Ah ah ah – nicht ’Professor’, wenn ich bitten darf“, korrigierte Remus seinen ehemaligen Schüler freundlich.
Schnell verbesserte Neville: „Remus.“
Harry drehte sich um und ihm gleichen Augenblick wurde er von beiden bemerkt. Es war Remus anzusehen, dass er glücklich war. Sein beständiges Lächeln war viel breiter als sonst, die Augen funkelten und an seinem lässigen Gang konnte man sein bestärktes Selbstwertgefühl ablesen. Er wirkte nicht mehr so kränklich.
„Wir sehen uns, Remus.“ An Harry gewandt verabschiedete Neville sich mit einem freundlichen Nicken. Derweil schlenderte Remus leger auf ihn zu.
Da nun auch viele Schüler aus der großen Halle hinauskamen, fragte Remus nicht sehr laut: „Was war das vorhin auf der Lehrerversammlung? Beide kommen zu spät und beide haben nicht auf ein einziges Wort von Albus gehört. Was ist da los?“
„Hermine muss irgendeine Entwicklung beobachten, bevor sie sich dazu äußern kann.“
„Was denn für eine Entwicklung?“, wollte Remus wissen. Harry antwortete mit fragendem Gesichtsausdruck, als er zeitgleich mit den Schultern zuckte. Mit amüsiert hochgezogenen Augenbrauen machte Remus den Vorschlag: „Vielleicht könnten wir beiden helfen, die Entwicklung etwas voranzutreiben?“
Harry begleitete Remus bis zu den Treppen. „Ich weiß ja nicht mal, um was es geht.“
„Mmmh“, war Remus einziger Kommentar, der Harry noch mehr verwirrte.
An den sich bewegenden Treppen angekommen ging Remus nach oben in den vierten Stock, wo er weiterhin wohnen würde, während Harry zurückging und auf dem Weg auf Ginny traf, die sich von ihren Freundinnen löste und auf Harry zugestürmt kam.
„Harry, du glaubst es nicht!“ Ginny war völlig fassungslos, aber sehr bald kroch ein begeistertes Grinsen über ihr Gesicht.
„Was denn?“
„Draco hat mich eben gefragt, ob ich Jägerin im Quidditch-Team werden möchte!“
„Warum fragte Draco, ob du in deinem Team spielen möchtest? Dafür ist doch euer Kapitän zuständig.“
Sie stieß ihn schelmisch mit dem Ellenbogen an. „Wer sagte denn, dass ich für Gryffindor spiele?“
„Ich verstehe nicht…“
Sich bei ihm unterhakend erklärte sie auf dem Weg in ihre Räume: „Er sucht Leute für das Slytherin-Team. Du hast ja bei der Einschulung mitbekommen, wie viele Schüler sein Haus insgesamt hat und da kommt kein Team bei zustande, deswegen fragt er rum.“
„Ist das erlaubt?“
Ginny zuckte mit den Schultern. „Mir egal, Hauptsache ich sitze mal wieder auf einem Besen. Ich dachte vor ein paar Monaten, wegen Nicholas müsste ich mich einschränken, aber unser kleiner Freund wird sich freuen, dass ich zweimal die Woche nachmittags auf dem Quidditchfeld sein werde und er sich kümmern kann. Wir könnten beide zusammen trainieren, Harry!“ Mit einem Finger stach sie ihm in den nicht mehr wie in Schultagen so straffen Bauch. „Könntest es gebrauchen.“
„Frechheit“, murmelte er, während er die Stelle an seinem Bauch hielt, wo sie ihn gepiekst hatte und in diesem Moment wusste er, dass er ihrem Vorschlag zustimmen sollte.
In den eigenen vier Wänden angekommen begrüßte Wobbel die beiden, wiegte dabei Nicholas im Arm, der gerade das Fläschchen bekam.
„Harry, wenn ich in Dracos Team spiele, kann ich dann deinen Rocketeer haben?“
„Mit was soll ich denn fliegen?“, nörgelte Harry, während er sich die Schuhe auszog.
„Kauf dir doch den neuen Twister! Der ist für Sucher sowieso viel besser geeignet, kann man gute Wendemanöver mit fliegen, hab ich gelesen.“
Harry ließ sich auf das Sofa plumpsen und rieb sich den vollen Bauch. „Nicht alles, was Krum auf einem der Hochglanz Werbeprospekte von ’Nimbus Rennbesen’ in den Händen hält, muss in meinem Schrank stehen.“
„…und Staubweben ansetzen“, vervollständigte Ginny nuschelnd.
„Das habe ich gehört. Wann hätte ich denn mal fliegen können? Alleine macht es doch keinen Spaß.“
„Trainieren wir nun zusammen oder muss ich mich mit einem meiner Mitschüler verabreden, der ein Auge auf mich geworfen hat?“ Sie wollte ihre Mimik unbedingt ernst halten, aber scheiterte dabei kläglich.
„Wie bitte?“
„Ach nichts. Ich möchte mit dir fliegen, Harry. Einige Manöver ausprobieren, Beschleunigung und Drosselung üben, aber vor allem möchte ich wieder mal für längere Zeit oben sein. Mit meinem Harry.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Du bist nicht mehr ganz so fit wir vor ein, zwei Jahren.“
„Was ich mir heute für Unverschämtheiten anhören muss… das geht ja auf keine Kuhhaut.“
„Aber“, mischte sich Wobbel unerwartet in das Gespräch ein, „Miss Weasley hat Recht, Sir. Als ich bei Ihnen angefangen habe, waren Sie körperlich in einer wesentlich besseren Verfassung.“
„Nicht zu glauben“, nuschelte Harry. „Fall mir noch in den Rücken, Wobbel.“
„Sie haben gesagt, Sir, dass ich immer ehrlich sein soll.“
„Mein Fehler.“ Er schlug sich entschlossen auf die Oberschenkel. „Gut, wenn sich alle gegen mich verschworen haben, dann werde ich mal Mr. Whitehorn anflohen und ihm nebenbei erzählen, dass der neue Twister ja ganz nett aussieht.“
Vorwurfsvoll schüttelte Ginny den Kopf. „Du spekulierst darauf, dass er dir einen schenkt. Du könntest dir auch einfach einen kaufen.“
„Einen kaufen? Damit Whitehorn mir das nächste Mal, wenn wir uns über den Weg laufen, wieder stundenlang damit in den Ohren liegt, dass ich ihn doch einfach hätte kontaktieren können? Nein, Ginny. Manche Leute – deine lieben Brüder Fred und George gehören übrigens dazu – kann man nur glücklich machen, wenn man sich von ihnen beschenken lässt. Denen ist das peinlich, wenn Harry Potter ihre Produkte kaufen muss.“ Er kratzte sich am Kopf, wodurch die wirren Haare noch mehr zerzausten. „Ich verstehe den Sinn nicht, aber es ist so.“
„Und du enttäuscht die Menschen ungern!“
Er grinste frech. „Genau so ist es!“
Wobbel gab den kleinen Jungen an Harry ab, bevor er zur Tür ging, denn es hatte geklopft.
„Hermine?“, grüßte Harry verwundert. Er hätte nicht gedacht, dass er sie vor dem morgigen Tag noch einmal sehen würde.
„Harry, hi Ginny, grüß dich Wobbel.“ Sich neben Harry setzend fragte sie mit gedämpfter Stimme: „Sag mal, kann ich mir deinen Tarnumhang ausleihen?“
Er zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe. „Klar, aber wozu? Nein…“ Er hielt eine Hand in stoppender Geste in die Höhe; mit der anderen drückte er Nicholas an sich. „Erzähl es mir nicht, aber pass bitte auf, ja?“
Von Ginny ließ er sich besagten Umhang aus dem Schlafzimmer holen, den Hermine sofort verkleinerte, damit niemand sie damit auf den Gängen umherlaufen sehen würde.
Unten in den Kerkern versuchte Severus sich derweil mit ein paar Aufgaben zu beschäftigen, doch er konnte sich nicht konzentrieren. Das heutige Gespräch mit Hermine, zumindest der Versuch eines Gespräches, bereitete ihm Magenschmerzen. Mit seinen Gedanken war er nicht bei den Themen für seine Klassen, sondern bei der Suche nach der Antwort einer bestimmten Frage und die könnte ihm möglicherweise die Quecksilberbeschichtung eines gewissen Gegenstandes verraten, der verhüllt auf dem Dachboden nur darauf wartete, jemanden in seinen Bann zu ziehen.
Spät abends ging Severus mit seinem Hund aus. Nach diesem Spaziergang tigerte er aufgewühlt in seinem Wohnzimmer umher und versuchte dem Drang zu widerstehen, die höchsten Höhen Hogwarts aufzusuchen.
Im vierten Stock saß Hermine mit auf und ab wippenden Knien auf der Couch. Harrys Tarnumhang hatte sie sich zerknüllt in den Schoß gelegt. Sie wartete auf etwas Bestimmtes, nämlich darauf, dass Fellini zur Tür hechten würde, denn das würde bedeuten, dass Severus den Weg zum Dachboden eingeschlagen hatte. Sie traute sich nicht einmal, auf die Toilette zu gehen, damit sie ihn nicht verpassen würde, doch lange konnte sie dem Druck auf ihrer Blase nicht standhalten.
Nach einer kurzen Toilettenpause nahm Hermine wieder ihren Platz ein. Viele Stunden später – mitten in der Nacht – rannte Fellini zur Tür hinüber. Sofort löschte Hermine alle Lampen in ihrem Zimmer, damit keinesfalls durch einen nicht erkennbaren Spalt ihrer Tür etwas Licht auf den Gang leuchten würde und dann horchte sie. Severus war sehr leise, doch als sie ihr Ohr an das alte Holz der Tür presste, konnte sie seine Schritte wahrnehmen. Sie warf sich den Tarnumhang über und lenkte Fellini mit einer kleinen Leckerei ab, um ohne ihn auf den Gang schleichen zu können.
Ganz vorn, Schatten in Schatten, sah sie Severus gerade um die Ecke biegen. Hermine beeilte sich, um mithalten zu können, denn sie kannte seinen schnellen Schritt. Nachdem sie alle Stockwerke hinter sich gelassen hatte und auf dem Dachboden angekommen war – Severus immer in Sichtweite – betrat sie den hölzernen Boden und achtete darauf, dass sie kein Geräusch machte. Mit dem Körper dicht an der steinernen Wand entlanggehend bibberte sie, wenn sie eines der kleinen Fenster passierte, durch das die kalte Winterluft wehte. Die vielen Holzverschläge, die nach ein paar Schritten kamen, erinnerten sie erneut an den Dachboden eines Muggel-Mietshauses.
Der lange Gang, den Severus gerade mal zur Hälfte hinter sich gebracht hatte, war ihr nicht mehr so gruselig wie das erste Mal, als sie nur mit Fellini hergekommen war. Die finsteren Räume hinter den türlosen Durchgängen jagten ihr keine Angst ein. Gerade eben sah sie, wie Severus durch die Tür gegangen war, weswegen Hermine rannte, um unbemerkt aufzuholen. Sie musste mit der Tür vorsichtig sein, denn er durfte nicht sehen, dass sie sich bewegte, doch glücklicherweise hatte Severus bisher alle Türen hinter sich offen stehen lassen.
Kaum hatte sie sich durch den Türspalt gezwängt, da erstarrte sie, denn Severus war ganz offensichtlich stehengeblieben. Er verweilte nur zwei Schritte von ihr entfernt und blickte aus einer der scheibenlosen Öffnungen hinaus in die Dunkelheit. Vorsichtig machte sie in dem engen Flur einen Schritt nach hinten, doch sie stieß mit dem Rücken an die Steinwand. In diesem Moment bewegte Severus leicht den Kopf und es schien, als würde er lauschen. Unerwartete machte näherte er sich ihr, ging jedoch an ihr vorbei, um die Tür hinter sich zu schließen. Gleich darauf hielt er erneut inne, doch dann entschloss er sich, das Ende des Ganges aufzusuchen, wo sich hinten links die große und mit Zaubersprüchen geschützte Holztür mit dem Eisenbeschlag befand.
Hermine war lautlos gefolgt und stand dicht bei Severus, um gut hören zu können, mit welchem Spruch er die Tür öffnete, da sagte er gelassen: „Harry, lassen Sie die Kinderei mit dem Umhang!“
Wegen des Schrecks, ertappt worden zu sein, regte sich Hermine keinen Millimeter.
Seufzend, als würde eine schwere Last auf ihm liegen, formulierte er um. „Wenn nicht Harry, dann Hermine. Ziehen Sie den albernen Tarnumhang aus.“
Erst war nur ihr Kopf zu sehen und die durch den hinuntergezogenen Umhang in alle Richtungen stehenden Haare, bis sie Harrys Erbstück komplett abgeworfen hatte und sich unter den Arm klemmte.
„Woher…? Wie haben Sie das gemerkt?“
„Sie schnaufen wie eine Abraxanerstute bei der Geburt eines Fohlens!“
„Wie bitte? Ich war doch ganz leise“, konterte Hermine kleinlaut, denn sie war froh, dass er nicht wütend war.
„Leise“, murmelte er verächtlich. „’Leise’ ist etwas anderes.“
Ohne sie zurechtzuweisen öffnete er die Tür mit einem wortlosen Zauber.
„Nach Ihnen, Hermine.“
Sie war mit sich selbst uneins, weil sie nicht wusste, was sie erwarten würde. Natürlich würde sie hier den Spiegel sehen – das war ihr klar –, aber wie sich die Situation mit Severus entwickeln würde, konnte sie nicht vorhersehen.
Hinter sich schloss er die Tür, bevor er per Zauber Lichter entzündete, damit man einen schmalen Pfad zwischen allerhand Gerümpel sehen konnte. Sie folgte ihm, während sie seinen Worten lauschte.
„Hier werden laut Albus Dinge aufbewahrt, die ehemalige Lehrer und Angestellte einst zurückgelassen haben“, erklärte er die unzähligen Gegenstände, die hier gelagert wurden. Er öffnete eine weitere Tür und hielt sie ihr auf. „Treten Sie ein.“
Erneut kam sie seiner Aufforderung nur zögerlich nach. In diesem Raum stand ein einziger Gegenstand, verhüllt von einem großen Tuch – nichts anderes.
„Sie haben den Spiegel Nerhegeb noch nie gesehen?“
„Nein“, sie schüttelte den Kopf, „und ich möchte auch nicht.“
„Hermine, Sie brauchen doch nicht hineinzusehen, um ihn einmal betrachten zu können.“
Mit einem Schwung seines Stabes flog das Tuch nach oben und Hermine wandte sich erschrocken ab.
„So eine große Furcht?“, hänselte er sie.
Mit festerer Stimme wiederholte sie: „Ich sagte, ich möchte nicht hineinsehen.“
„Sie müssten sich schon direkt davor stellen und auch näher herantreten. Von Ihrer Position aus würden Sie rein gar nichts sehen“, versicherte er mit vertraut ruhiger Stimme und so gab sie sich einen Ruck.
Der Spiegel und vor allem sein prächtiger, an einigen Stellen mit Gold verzierter Rahmen war eine Augenweide. Severus ging zu Nerhegeb hinüber und berührte das Holz mit seiner reliefartigen Schnitzerei. Ganz oben stand, wenn man es rückwärts las „Nicht dein Antlitz aber dein Herz begehren“.
Mit einer Stimme, die an die eines Museumsführers erinnerte, erläuterte Severus: „Albus vermutet, dass dieser Spiegel ein Geschenk der Kobolde an Rowena Ravenclaw sein könnte.“ Er deutete auf die Füße, auf denen der Spiegel stand. „Die Standfüße erinnern an Adlerklauen.“ Ein paar Schritte an den Spiegel herangehend betrachtete sie dessen Unterseite und musste der Theorie zustimmen. „Kommen Sie näher heran“, forderte Severus sie auf und damit sie ihn nicht missverstehen würde, denn er hatte keinesfalls vor, sie in den Spiegel sehen zu lassen, fügte er hinzu, „hinter den Spiegel.“ Sie trat herum, während Severus bereits einen Lumos sprach, damit er ihr den rückseitigen Schatz zeigen konnte.
Der Anblick der Schnitzerei verschlug ihr den Atem. Sie hatte das Gefühl, als hätte sie eben eine archäologische Entdeckung gemacht. Nerhegebs Rückseite war üppig mit Reliefs verziert. Da waren viele kleine Figuren, Tiere, Menschen und auch Kobolde. Ein Wesen schien einen Phönix darzustellen und sie erkannte ein Einhorn. Alles zusammen schien eine Geschichte zu erzählen.
„Was erkennen Sie alles?“ Mit dem Licht seines Stabes zeichnete er an der Rückseite des Spiegels langsam ein Viereck in die Luft und da erkannte sie es.
„Die vier Elemente: Wasser, Feuer, Luft und Erde.“ Er nickte, hob seinen Stab und deutete einmal nach oben und einmal nach unten. Mit großen Augen bemerkte Hermine fasziniert: „Himmel und Hölle.“
„Ich würde es ungern als ’Himmel und Hölle’ bezeichnen, eher als Gut und Böse, aber darauf wird man erst kommen, wenn man sich jede einzelnen Szene dieses Kunstwerks zu Gemüte geführt hat.“ Er ging wieder um den Spiegel herum und berührte den Rahmen neben der reflektierenden Oberfläche. „Auch hier kann man auf interessante Dinge stoßen.“
Beide hatten sich den Rahmen des Spiegels angesehen – Hermine sehr viel interessierter als Severus, denn für ihn war es nicht neu. Er beobachtete sie, als sie mit ihren Fingern eine der kunstvollen Unebenheiten berührte und begeistert murmelte: „Das ist Hogwarts!“
Severus nickte. „Albus möchte diesen Spiegel im Schloss behalten, weil er denkt, dass er hierher gehört.“
„Ja, das kann ich nachvollziehen.“
Hermine stellte sich vor den Spiegel und schaute nach oben auf die goldene Verzierung, die Ornamente und die Spiegelschrift. Unüberlegt blickte sie nach vorn und somit genau auf die Fläche aus Quecksilber. Sie sah sich selbst, aber viel weiter hinten in einer ihr bekannten, aber nicht sehr vertrauten Umgebung. Da waren viele Regale mit Töpfen und anderen Dingen und als ihr bewusst wurde, dass es sich nicht um ihre Reflexion handelte, blickte sie erschrocken weg.
„Sie haben mehr Furcht vor Ihrem größten Wunsch als vor Ihrem Irrwicht“, stellte er besonnen fest. „Das ist irritierend.“
„Ich möchte nicht hineinsehen, schon gar nicht nachts um halb vier.“
„Warum sind Sie mir dann laut polternd gefolgt?“, stichelte er selbstgefällig grinsend.
’Laut polternd’, wiederholte Hermine verärgert in Gedanken, dabei war sie doch so leise gewesen.
Er gab nicht nach. „Sie hätten sowieso nicht das gesehen, was ich gesehen hätte, warum also Ihr nächtlicher Ausflug?“
„Ich war nur neugierig“, gab sie beschämt zu.
Ein kurzes Schnaufen war zu hören. „Das brauchen Sie wirklich nicht zuzugeben, das ist offensichtlich.“
Demonstrativ stelle er sich direkt vor den Spiegel, weswegen sie seine Mimik genau beobachtete, doch da rührte sich rein gar nichts. Seine Gesichtszüge waren wie eingefroren und verrieten nichts über seine Gefühlslage. Seine lehrerhafte Stimme nahm diesem Augenblick die Spannung.
„Der Anblick Nerhegebs kann zuweilen schmerzhaft sein.“ Er schluckte, als sein Blick den von Lily traf, die links im Spiegel Gestalt angenommen hatte und sich nun lässig gegen den Rahmen lehnte. Die schemenhafte Figur im Hintergrund nahm er nur nebenher wahr. „Haben Sie Angst davor, Hermine, dass sich Ihr Wunsch nie erfüllen könnte?“ Seinen Blick wandte er nicht von Nerhegeb ab. „Fürchten Sie, dass Sie dem, was Sie erblicken könnten, ein Leben lang hoffnungslos nachjagen?“
Hermine konnte sich nicht äußern. Es war ihr ein Rätsel, ob er diese Fragen stellte, weil sie ihn selbst betrafen, was nahe lag. Er könnte sie aber auch gestellt haben, weil er ihr damit ihre eigene Abneigung hineinzusehen erklären wollte. Nur die Ahnung, dass er in diesem Moment möglicherweise sie sah, ließ ihr Herz schneller schlagen. So sehr sie sich aber auch den Kopf zerbrach, sie konnte sich nicht sicher sein. Der gryffindorsche Mut hatte sich verkrochen und so brachte sie es nicht zustande, ihn einfach zu fragen.
„Viele Menschen“, sagte er mit gedankenverlorener Stimme, „hätten sich bereits um den Verstand gebracht, sagte Albus einmal.“
„Warum sehen Sie dann hinein?“, fragte sie unverhofft und sie war froh gewesen, dass ihr eine unverfängliche Frage eingefallen war.
An seinem Ton konnte man heraushören, dass er es nicht so genau nahm. „Vielleicht ist es für mich eine Feuerprobe?“
„Was sehen Sie?“ Sie biss sie auf die Zunge, denn das hatte sie nicht fragen wollen.
Bisher hatte er kein einziges Mal seinen Blick von der glatten Oberfläche abgewandt und auch dieses Mal nicht, obwohl ihre Frage sehr privat war. Er betrachtete für einen kurzen Moment die Gesamtheit, die Nerhegeb ihm zeigte, und ihm fiel erneut die schattige Figur im Hintergrund auf, die er nicht sehen wollte. Nach links blickend erwiderte er kurz und knapp: „Lily.“
Völlig unerwartet fühlte sich Hermine durch seine Antwort verletzt. Zuvor hatten noch all ihre Theorien zusammengepasst. Sein Auftritt bei Harry, als er sie beschuldigt hatte, ihm auf den Dachboden gefolgt zu sein; später seine Erklärung, er hätte sie nur vermutet – nicht gesehen –, weil ihr Kniesel bei ihm gewesen war.
Lily zu sehen war nicht gut für ihn, dachte sie. Severus hing seiner Vergangenheit nach, grämte sich wegen seiner alten Flamme. Sein Wunsch zählte unumstößlich zu denen, die einen Menschen zerstören könnten. Er war oft hier oben, das wusste sie. Immer wieder setzte er sich diesem Schmerz aus. Es war kein Wunder, dass er ihre Pastillen so sehr benötigte, wenn er stetig an diesen alten Wunden nestelte, so dass sie wieder aufbrachen und wie frisch zugefügt schienen. Mit diesem Wunsch vor Augen schottete er sich von der Welt und seinen Mitmenschen ab. Selbst wenn Linda ihm schöne Augen machen würde, würde er es gar nicht sehen, weil er Scheuklappen trug, die auf den Namen „Lily“ hörten.
Gekränkt, auch wenn sie dafür keinen Grund haben durfte, ergriff sie das Wort, und Trübsinn klang in ihren Worten mit, als sie ihm vor Augen hielt: „Keine Frau kann mit einer Toten konkurrieren, Severus.“
Durch ihre Worte leicht konfus wandte er das erste Mal, seit er hineingeschaut hatte, seinen Blick von Nerhegeb ab, um Hermine anzusehen. Schon ihre Worte hatten in seinen Ohren ernüchtert geklungen, doch jetzt sah er es auch an ihrem Gesicht, dass sie all ihrer Illusionen beraubt schien und das verwirrte ihn nur noch mehr.
Unmerklich presste sie ihre Lippen zusammen, schaute ihn zudem mitleidig an, was ihm missfiel, doch andererseits hielt sie ihm vor Augen, was er selbst nicht zu sehen imstande war. Mit leiser Stimme, die in diesem großen Raum verloren wirkte, verabschiedete sie sich, bevor sie ihn langsamen Schrittes verließ. Er blickte ihr einen Weile nach, bis er sie nicht mehr sehen konnte.
Ihre Worte hatten etwas in ihm bewegt, hatten einen zuvor reglosen Felsbrocken für wenige Zentimeter aus seiner Mulde verschoben und eine kleine Ritze geschaffen, durch die ein wenig Licht bis in die Tiefen des dunklen Seins hindurchscheinen konnte, um ihn zu wärmen.
Selbstversunken wandte er seinen Kopf wie in Zeitlupe, betrachtete dabei den staubigen Boden, bis er die krallenartigen Füße des Spiegels sah und seufzend aufblickte. Als sein Blick auf die quecksilberne Oberfläche traf, erschrak er so schlimm, dass er zusammenfuhr, weil Hermine dicht vor ihm stand und ihn sanft anlächelte. Sie war nicht aus Fleisch und Blut, sondern eine Spiegelung seines eigenen Sehnens.
Mit seiner Weisheit am Ende schloss er verstört die Augen. Sie zu erblicken war seines Erachtens ein genauso aussichtsloses Sinnen und Trachten. Er hätte mehr Chancen, sich mit Lily vereint zu sehen, vorausgesetzt es würde so etwas wie ein „Leben danach“ geben.
Im Bett wälzte sich Hermine hin und her. Ohne Harrys Mutter verunglimpfen zu wollen fragte sie sich, was Lily an sich gehabt haben mochte, das sie noch nach ihrem Tode so begehrenswert machte.
In den Kerkern machte Severus gar nicht erst den Versuch, sich ohne einen „Schlaftrunk für Traumlosen Schlaf" zur Nachtruhe zu begeben.
Einige Türen weiter lag Draco wach im Bett und knabberte unbewusst an seinem Daumennagel, denn mit den Gedanken war er bei seinem Vater, dessen Verhandlung morgen beginnen würde.
Lucius hingegen schlief den Schlaf der Selbstgerechten. In seinem Traum kuschte jedermann vor seiner majestätischen Erscheinung, der von ihm ausstrahlenden Autorität und seiner gespaltenen Zunge, die zudem der einer Schlange ähnelte, und wie auch eine Schlange sich winden konnte, wand er sich mit Worten, fand verbale Auswege und bedachte die Gamotmitglieder um sich herum mit verblümten Drohungen.
Gut erholt streckte er sich im Bett liegend. Draußen war es noch dunkel und ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es gerade mal nach sechs war. Seine Augen ließ er durch das Krankenzimmer schweifen, denn in gewisser Weise hatte er diesem Ort etwas abgewinnen können. Er könnte später diesen Raum vermissen. Die Routine würde ihm fehlen: die festen Essenszeiten, die Besuche von Marie, seine Gespräche mit Gregory Goyle, der natürlich niemals geantwortet hatte. Alles in allem hatte Lucius für heute ein gutes Gefühl, wenn da nur nicht Mr. Duvall wäre, bei dem er mit bösen Überraschungen rechnete.
Marie brachte ihm, nachdem sie bemerkt hatte, dass er schon so früh wach war, gleich das Frühstück, damit er sich für seine Verhandlung stärken könnte.
„Ich wünsche Ihnen alles Gute, Mr. Malfoy“, sagte sie aufrichtig und auch ein wenig betrübt.
„Marie, ich werde doch wiederkommen. Die Verhandlung wird sicherlich mehrere Monate dauern und ich hoffe, dass man mich während dieser Zeit weiterhin hier nächtigen lässt.“ Er hob den Deckel einer kleinen Porzellanschale und schaute verwundert drein. „Ein Schokoladentörtchen? Heute ist doch gar nicht Sonntag.“
„Ich weiß ja, dass Sie die mögen.“
„Das ist sehr freundlich von Ihnen, Marie.“
Pünktlich um halb acht kam Sid. Lucius hatte sich für heute extra einen der neuen und daher noch nicht ausgeleierten Hausanzüge des Krankenhauses übergezogen, denn eigene Kleidung besaß er nicht.
Sid händigte ihm nach einer Begrüßung einen Sack aus und erklärte mit bedächtiger Stimme: „Es ist entschieden worden, dass Sie zur Verhandlung Sträflingskleidung tragen müssen.“
„Wie bitte?“ Die Empörung war nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. Lucius Augen hatten sich verengt und er zeigte die Zähne, während seine Stirn sich kräuselte.
„Reine Schikane vom Ministerium, Mr. Malfoy. An Ihrer Stelle würde ich das über mich ergehen lassen.“
„Ich denke nicht daran. Ich…“
Sid unterbrach ihn. „Geben Sie denen keine Angriffsfläche und kooperieren Sie. Außerdem möchte ich Sie darüber in Kenntnis setzen, dass die Presse zwar nicht während der Verhandlung anwesend sein wird, jedoch mein Ersuchen, das entsprechende Stockwerk für Journalisten unzugänglich zu machen, abgelehnt wurde. Sie müssen auf den Gängen also mit Fotografen und Reportern rechnen.“
„Ah“, machte Lucius wütend. „Das ist der Grund, warum ich Sträflingskleidung tragen soll! Man will gegen mich mobil machen, indem die Bevölkerung den Tagespropheten aufschlägt und mich sofort anhand der Kleidung als Verbrecher abstempelt.“
„Sie sind ein Verbrecher!“, konterte Sid gelassen und machte damit sein Gegenüber einen Augenblick sprachlos. „Machen Sie sich nichts vor, Mr. Malfoy. Sie haben einiges auf dem Kerbholz, aber glauben Sie mir, wenn ich Ihnen verspreche, dass ich alles in meiner Macht stehende tun werde, um Ihr Strafmaß so gering wie nur möglich zu halten.“
Die Erkenntnis, gegen diese Behandlungsweise nichts unternehmen zu können, versetzte Lucius einen Schlag. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich zu beugen.
„Ach“, sagte Sid, dem gerade etwas eingefallen war. „Sie werden magische Fesseln tragen müssen. Meine Einwände stießen leider auf taube Ohren.“
„Vielleicht“, begann Lucius grantig, „hätten Sie einfach nur mal mit der Faust auf den Tisch schlagen sollen!“
„Das hätte nichts gebracht, denn sehen Sie“, Sid blickte Lucius in die Augen, „mich kann man genauso wenig leiden wie Sie.“
„Wie außerordentlich tröstlich“, zischte der Blonde gereizt, der die Sträflingskleidung mit Ekel betrachtete. Die gute Laune durch den Traum, die er für den Rest des Tages bewahren wollte, war zunichte gemacht.
„Vier Wärter werden Sie abholen.“
„Vier?“
„Ja“, bestätigte Sid. „Vier, und auch hier lege ich Ihnen nahe, eine eventuelle grobe Behandlung hinzunehmen.“
„Was für eine grobe Behandlung?“
„Es wäre möglich, dass man Sie ’versehentlich’ stößt, um Sie zum Gehen zu bewegen oder gar hart anpackt. Achten Sie in solchen Fällen bitte auf Ihr Mundwerk, Mr. Malfoy. Am besten sagen Sie gar nichts und zeigen sich ausschließlich von Ihrer höflichen Seite.“
Widerwillig hatte sich Lucius in dem kleinen Waschraum des Krankenzimmers die Sträflingskleidung angezogen. Die vier Wärter des Ministeriums waren pünktlich und fesselten seine Hände mit einem gezielten Incarcerus. Sein Beistand blieb bei ihm und lief voran zu den Kaminen, mit denen sie ein Büro der Abteilung für Magische Strafverfolgung erreichten.
In diesem Büro war es angenehm ruhig. Lucius fühlte sich einigermaßen wohl, auch wenn er damit rechnete, dass es in wenigen Stunden anders aussehen würde. Eine Dame und ein Herr ließen den Beistand etwas unterzeichnen, bevor sie die Tür öffneten, die zum Gang im zweiten Stock des Ministeriums führte.
Lucius traf der Schlag – oder besser gesagt der Blitz und zwar der eines Fotografen, der von ihm ein Foto geschossen hatte. Weitere Blitzlichter folgten, weswegen Lucius die Augen zusammenkniff. Auf dem Gang waren noch andere Menschen darauf aufmerksam geworden, dass ihre Schlagzeile namens Lucius Malfoy gerade eben eingetroffen war. Zu den vielen Klickgeräuschen der Kameras und dem andauernden Blitzgewitter kamen nun auch noch unzählige, durcheinander sprechende Stimmen, die Lucius in den Ohren rauschten.
Einerseits war es nett zu wissen, dass die Öffentlichkeit ihn nicht vergessen hatte, dachte Lucius, doch auf der anderen Seite war der Grund für die aufgebrachten Journalisten keiner, den er gutheißen konnte. Seine Rolle war diesmal nicht die eines großzügigen Gönners, der dem Mungos mit einer großen Spende unter die Arme griff, sondern die des berühmten und verachteten Todessers, dem man einiges zur Last legte.
„Machen Sie Platz! Treten Sie zur Seite!“, rief der kräftigste der vier Wärter, während einer der anderen ihn fest am Oberarm packte und nach draußen führte. Es widerstrebte Lucius, dieses behagliche Büro zu verlassen, doch er musste. Seinen Blick hielt er starrt auf den Boden gerichtet.
„Mr. Malfoy? Mr. Malfoy?“
Die Journalisten waren wie Hyänen. Sie drängten sich gegenseitig ab, stießen sich mit den Ellenbogen und schrieen sich die Kehle aus dem Hals – es war nur eine Frage der Zeit, wann sie sich an dieselbe gehen würden.
„Mr. Malfoy, wann haben Sie das dunkle Mal angenommen?“
Durch die vielen Blitze konnte Lucius kaum noch etwas sehen, aber er fühlte einen warmen Atem an seinem Ohr und die Stimme seines Beistandes riet ihm: „Antworten Sie auf keine der Fragen!“
Ein schmächtiger Schmierfink hatte es geschafft, sich gegen seine stämmigen Kollegen durchzusetzen und sich bis nach vorn zu kämpfen. „Mr. Malfoy, was sagen Sie zu der Hochzeit Ihres Sohnes?“
Was er dazu sagte, wusste er selbst nicht. Darauf hätte er auch ohne den Rat seines Beistandes nicht geantwortet.
Schon jetzt waren die kratzenden Geräusche unzähliger, magischer Schreibfedern beinahe unerträglich. Lucius wunderte sich, was sie schreiben würden, wo er doch kein Sterbenswörtchen von sich gegeben hatte.
„Malfoy!“, rief jemand und Lucius ärgerte sich darüber, dass die höfliche Anrede weggelassen wurde, weswegen er aufblickte, um denjenigen ausfindig zu machen. Das sorgte jedoch nur dafür, dass vermehrt Fotos gemacht wurden, damit man ein anständiges Bild von ihm schießen konnte, auf dem auch sein Gesicht zu sehen war. Die vielen Stimmen riefen durcheinander, weswegen er sein Haupt wieder senkte, um diesen Klatschreportern das Titelblatt zu versauen.
Eine röhrende Stimme übertönte alle anderen. „Wen haben Sie alles auf dem Gewissen?“
’Niemanden’, beantwortete Lucius diese Frage in Gedanken. Eine einigermaßen reine Weste hatte er in weiser Voraussicht immer behalten wollen, denn es hätte ja sein können, dass Voldemort nicht als Sieger hervorgehen würde und so war es am Ende auch gekommen.
„Haben Sie ’Du weißt schon wer’ mit Informationen aus dem Ministerium versorgt?“ Diese Frage kam von jemandem, der von seinen Konkurrenten nicht nach vorn gelassen worden war.
Von allen Seiten wurde Lucius bedrängt und angerempelt. Die vier Wärter hatten arge Mühe, die ungehobelten Zeitungsfritzen auf Abstand zu halten. Sie mussten immer langsamer gehen und eine Schneise durch die Menschenmenge schlagen wie ein Forscher auf Expedition, der im Dschungel die Machete zückte, um im Dickicht voranzukommen.
„Ist es wahr, dass Sie damals den Schulrat erpresst haben?“
Es war ihm bis heute unverständlich, warum man ihn dafür nicht schon damals belangt hatte.
„Haben Sie einen Unverzeihlichen angewandt?“
Mittlerweile zerrte man an seinem gestreiften Oberteil, um ihn zum Aufblicken zu bewegen. Man wollte für die Abendausgabe ein Foto von ihm ergattern, doch Lucius stellte sich stur, biss die Zähne zusammen. Für seine Wärter war er dankbar, denn ohne sie würde man ihn womöglich zerfleischen. Schon jetzt kam er sich wie ein saftiges Stück Fleisch vor, mit dem man provozierend vor dem Käfig eines hungrigen Tigers wedelte.
Eine milde Frauenstimme, die sich einzig aufgrund ihres hellen Klanges gegen die lauten Organe der Männer durchsetzen konnte, erweckte seine Aufmerksamkeit, denn sie fragte wohlerzogen: „Mr. Malfoy, wenn mir die Frage gestattet ist: Mögen Sie lieber Veilchen oder Osterglocken?“
Lucius blieb stehen und blickte verwundert und gleichermaßen amüsiert auf. Die Menschenmenge war mit einem Male still, selbst seine Wärter hielten inne und zerrten nicht mehr an seinen Armen. Seine Augen trafen auf die silbergrauen einer blonden, jungen Frau, die ihm verträumt ein Lächeln schenkte und dabei einen Frieden ausstrahlte, als hätte man soeben einen Garten betreten, dessen bezaubernder Anblick einem eine leidenschaftliche Ergebenheit abverlangte. Ihr entrückter Blick entführte ihn für einen Moment an den Ort, an dem sie sich befinden musste.
„Osterglocken“, antwortete er galant.
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Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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165 Stein des Anstoßes
„Robert?“ In den verdunkelten Raum hineinspähend wartete Alejandro auf eine Antwort und als keine kam, trat er ein, bevor er erneut den Namen sagte.
„Was ist?“
Der dünnen Stimme folgend ging Alejandro langsamen Schrittes zu einem Ohrensessel am Kamin, in welchem Robert saß. Der Anblick seines Freundes bestürzte ihn. Durch das Kaminfeuer, das auf seinem Gesicht tänzelte, warfen die eingefallenen Wangen einen Schatten, der es wie ein Totenschädel mit Bart wirken ließ. Robert wirkte kränklich und abgekämpft.
„Robert, die Leute warten“, unterrichtete er seinen Freund.
Als der Rothaarigen seinen Kopf drehte und die Schatten anders fielen, da sah er wieder wie lebendiger ein Mensch aus. „Was denn für Leute?“, hauchte er.
Ein beklemmendes Gefühl kam in Alejandro auf. Aus dem einst willensstarken Mann, der Hexen und Zauberern das Handwerk legen wollte, war ein Häufchen Elend geworden, das zudem einiges vergessen zu haben schien.
„Du sagtest, wir müssen unsere alten Anhänger anschreiben. Einige von ihnen sind hier und wollen mit dir sprechen, wollen wissen, was du ihnen zu sagen hast.“
Ein Hauch Erkenntnis huschte über Roberts Gesicht, denn er erinnerte sich. Mit nur knapp dreißig Anhängern war er machtlos gegen die Magier, weswegen er die restlichen 170 wieder mobil machen wollte und zusätzlich auch neue Mitglieder für seine Sache gewinnen wollte.
„Wir müssen den Menschen von dieser Gefahr berichten.“ Die leise Stimme war kaum zu vernehmen, weswegen sich Alejandro neben Robert kniete und zuhörte. „Hab ich dir je erzählt“, Robert blickte ihn mit müden Augen an, „dass sie es auf mich abgesehen haben, nur weil ich der Blutlinie von Matthew Hopkins entspringe?“
„Wessen Blutlinie?“
„Er war seinerzeit ein gefürchteter Mann, hat Hexen verhört und hängen lassen. Für diese magischen Missgeburten hatte er ein Gefühl und ich habe dieses Gefühl geerbt. Ich spüre es, wenn eine Hexe neben mir steht.“ Roberts Augen wanderten zurück zum Kaminfeuer, von dem er sich hypnotisieren ließ. Gedankenverloren schilderte er: „Einmal war es in einem Buchladen, kurz vor Ladenschluss. Sie stand neben mir und dachte, sie könnte sich frei und unerkannt in unserer Welt bewegen, aber vor mir konnte sie ihre teuflischen Kräfte nicht verbergen. Ich bin ihr nachgegangen, hab sie zur Rede gestellt, warum sie mir folgen würde.“ Er lachte schwächlich. „Sie sagte doch glatt, dass ich ja wohl derjenige wäre, der ihr folgen würde und nicht andersherum. Diese kleine…“ Er stoppte sich und fuhr anders fort. „Ich habe ihr gezeigt, dass man das mit mir nicht machen kann.“ Alejandro dachte sich den fehlenden Teil, denn Robert hatte sich der Frau sicherlich entledigt. „In ihrer Tasche fand ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Zauberstab! Da habe ich gewusst, dass dieses magische Volk seine Leute auf mich angesetzt hat, sie mir diese Kopfschmerzen bereiteten, nur weil jemand, mit dem ich zufällig verwandt bin, solche schlimmen Dinge getan hat.“
Sein Gefühl sagte Alejandro, dass Robert am liebsten von alledem unangetastet sein wollte; mit Hexen und Zauberern nicht konfrontiert werden wollte, doch es waren die, die sich ihm ständig genähert hatten.
„Ich zeig dir den ersten Stab, den ich genommen habe!“
Nur mit Mühe konnte sich Robert aus dem Ohrensessel erheben. Für einen Moment musste er sich an der Rückenlehne festhalten, denn sein Kreislauf schien versagen zu wollen. Tief durchatmend nahm Robert einige Schritte bis zum Schlafzimmer. Aus seinem antiken, hölzernen Nachttisch zog er einen langen Stab, den er Alejandro vor Augen hielt.
„Das hat mir meine jahrelange Vermutung bestätigt, dass mich die Hexen verfolgen und mir diese Qualen bereiten. Keine Paranoia, wie man mir weismachen wollte… Nein, das ist alles echt!“
Der dreißig Zentimeter lange, weiße Stab war in dem dämmrigen Raum gut zu sehen. Ohne seine Augen von dem Zauberstab zu lassen, ging Alejandro auf Robert zu, der derweil schilderte: „Ab diesem Tag an habe ich die Welt mit anderen Augen gesehen und vor allem habe ich die Augen offen gehalten. Eine Offenbarung, Alejandro. Bis dato wusste ich nämlich nicht, ob ich verrückt war oder nicht, doch dieser Stab hat mir bewiesen, dass ich mich nicht irren konnte. Die Hexen waren da, um mich herum und sie warteten nur darauf, mich mit ihren Flüchen zu peinigen. Wenn ich jemandem in die Augen gesehen habe, dann wusste ich auf Anhieb, ob er gut oder schlecht war.“
Robert reichte ihm den Stab, den Alejandro mit Ehrfurcht entgegennahm, doch er wirkte so anders als die Stäbe, die sie ihren Opfern sonst abgenommen hatten. Mit einem Male traf es ihn wie der Schlag, als er das Material begutachtete. Dies war kein Zauberstab, es war ein Taktstock. Ein Dirigentenstab aus weißem, stabilem Fiberglas mit einem Griff aus Kork. Robert hatte damals keine Hexenmeisterin, dafür aber sehr wahrscheinlich eine Orchesterleiterin vom Leben zum Tode befördert. Diese Gewissheit ließ Alejandro einen kalten Schauer den Rücken hinunterlaufen. Seine Befürchtungen, Robert wäre seit einiger Zeit geistig nicht mehr auf der Höhe, hatten sich bewahrheitet. Doch nicht nur seit einigen Wochen war Robert seltsam geworden, denn der Stab, wenn es tatsächlich der erste gewesen war, den er einem seiner Opfer abnehmen konnte, musste seit Jahrzehnten in Roberts Besitz sein. Seit Jahrzehnten war Roberts Geist verdreht. Diese Gewissheit war wie ein Schock für Alejandro.
„Was hast du?“, fragte Robert skeptisch.
„Nichts“, erwiderte er wie aus der Pistole geschossen, bevor der den Taktstock an Robert zurückgab, der ihn wieder im Nachttisch verstaute.
Ihm schossen sämtliche Gespräche und Erlebnisse durch den Kopf, die Robert nicht mehr als den Welt verbessernden Menschen darstellte, sondern als einen verwirrten und kranken. Ein simpler Dirigentenstab hatte ihn in seinem Verfolgungswahn bestätigt und seine Fantastereien über Hexen und Zauberer, die nur böses im Schilde führten, auf ungesunde Weise aufblühen lassen. Doch Alejandro wusste auch, dass es unter dem magischen Volk, das wirklich existierte, Verbrecher gab. Jene, die seiner Frau eine unverzeihliche Schmach angetan hatten, so dass sie ihr Leben aus freien Stücken beendete. Solche, die die drei Söhne von Claudine und Jacob auf herablassende Weise behandelt und grundlos ermordet hatten. Alejandro bezweifelte zum ersten Mal seit Jahren, dass die magische Welt durchweg solche Scheusale hervorbrachte, denn wenn er einen Blick auf die eigene Welt warf, wurde er eines Besseren belehrt. Mörder, Vergewaltiger und Kinderschänder waren nicht ausschließlich Ausgeburten der magischen Gesellschaft.
„Wir werden diese Schule angreifen“, hauchte Robert. „Irgendwie…“
„Wir kommen nicht mal in die Nähe! Tyler hat es versucht, aber diese Schutzzauber, von denen Alex und Arnold gesprochen hatten, wirken. Man kann sich der Schule nicht nähern.“ Es missfiel Alejandro, momentan über einen möglichen Angriff zu sprechen. Lieber würde er mit Jacob, von dem er wusste, dass er Robert nicht mehr verblendet an den Lippen hing, ein Gespräch suchen.
„Dann müssen wir häufiger in Hogsmeade präsent sein. Kann sich da nicht jemand von uns ein Zimmer mieten? Wenn man denen sagt, man wäre ein Squib, dann würden die gar nicht wissen, dass wir gar keine Zauberer sind.“ Einen Augenblick schien Robert nachzudenken, bevor er fragte: „Die Höhle ist leergeräumt?“
„Man hat die meisten Kisten abtransportiert. Tyler konnte die wenigen, die weiter hinten lagerten, später herausholen.“
Robert seufzte. „Woher soll ich noch Munition nehmen? Ich habe meine Kontakte dafür längst aufgebraucht. Wir müssten sie kaufen, aber dann wird sicherlich die Regierung auf mich aufmerksam.“ Er wandte sich Alejandro zu und flüsterte: „Die haben es auch auf mich abgesehen!“ Paranoid blickte sich Robert in seinem Schlafzimmer um. Nur einmal fiel sein Blick auf das Gemälde von Matthew Hopkins. „Diese ganzen Steuerprüfungen, die Unterlassungsklagen… Die stecken mit den Hexen unter einer Decke! Vielleicht sollten wir auch in unserer Welt ein wenig“, er legte den Kopf schräg, „aufräumen?“
Nun hatte Alejandro wirklich Angst bekommen. Es war eine Sache, die Übeltäter, die seine Frau auf dem Gewissen hatten, zu finden und unschädlich zu machen. In all den Jahren war sein Rachegefühl bereits gedämpft, doch Robert hatte ihm immer wieder vor Augen gehalten, dass es anderen auch so wie ihm und Pablo ergehen könnte und deswegen hatte er seinen Hass auf Hexen willig schüren lassen. Die Überlegung, nun auch in der eigenen Welt Leute aus dem Weg zu räumen, war keinen einzigen Gedanken wert. Innerlich hatte sich Alejandro von Robert abgewandt, doch seine gute Stellung bei ihm gab er noch nicht auf, denn nur an dessen Seite konnte in Erfahrung bringen, was als nächstes geplant wäre.
Die Tagesplanung im Zaubergamot stand für heute bereits fest.
Man hatte Lucius in einen riesigen Raum mit steinernen Wänden geführt, in dem es nach dem Erlebnis mit den lauten Journalisten befremdlich ruhig war. Im Licht der vielen Fackeln erkannte er Rosalind Baltimores bewegungslose Miene. Sie war wie ihre Kollegen mit einer pflaumenblauen Robe bekleidet, auf deren linker Brust man ein silbernes Z lesen konnte. Nach einer auffordernden Handbewegung hatte Lucius sich auf den Stuhl in der Mitte des Raumes gesetzt. Ohne Übergang wurden seine magischen Handfesseln aufgehoben und sogleich durch die des Stuhles ersetzt, so dass er sich kaum noch regen konnte. Es war ein erniedrigendes Gefühl, in so einer hilflosen Position von den Gamotmitgliedern, die im Halbkreis auf ansteigend angeordneten Bänken um ihn herumsaßen, angestarrt zu werden. In der Regel wurden Verhandlungen in den noch viel größeren Räumen im zehnten Stock gehalten, doch da die Öffentlichkeit und auch die Presse von diesem Ereignis ausgeschlossen war, hatte man einen kleineren, aber dennoch für einen Häftling einschüchternd weitläufigen Raum gewählt. Ebenfalls abweichend von anderen Verhandlungen war, dass die Mitglieder des Gamots durchweg aus Angestellten des Ministeriums bestanden und nicht wie üblich auch andere angesehene Vertreter der magischen Gesellschaft eine Stimme für oder gegen eine Verurteilung abgeben durften, wofür Lucius dankbar war, denn die anwesenden Menschen tanzten zur Hälfte nach seiner Pfeife – hoffte er zumindest.
Womit Lucius gar nicht gerechnet hatte war Griselda Marchbanks. Die betagte Frau hatte damals aus Protest ihr Amt niedergelegt, nachdem Fudge Dumbledore aus dem Gamot ausgeschlossen hatte. Bei ihr hätte er schlechte Karten, das wusste er, denn sie war eine gute Freundin von Augusta Longbottom und war wahrscheinlich aus erster Hand darüber informiert, was damals während des Kampfes im Ministerium geschehen war. Da die Frau bereits weit über zweihundert Jahre alt war, konnte er nur hoffen, dass ihr Gedächtnis nicht mehr allzu gut arbeitete oder sie während der Verhandlung ins Grab sinken würde.
Mr. Duvall nahm neben ihm an einem kleinen Tisch Platz, auf dem er etliche Unterlagen ablegte.
„Mr. Malfoy.“ Die weibliche Stimme hallte in dem hohen Raum nach. Lucius blickte nach vorn in das kalte Gesicht der Gamotvorsitzenden. „Ihre Identität wurde bereits magisch festgestellt. Zuerst werden Ihnen Fragen gestellt werden, die Sie wahrheitsgemäß beantworten. Zu jedem Punkt werden wir uns Notizen machen, um die spätere Befragung unter ’Veritaserum Plus’ vorzubereiten. Es wäre von Nachteil, sollten Sie lügen oder nicht die ganze Wahrheit sagen. Haben Sie das verstanden?“
Er fragte sich, ob sie ihn für unterbelichtet hielt, doch er antwortete höflich: „Natürlich, Mrs. Baltimore.“
Sie nickte und blätterte in ihren Papieren.
„Ihnen wird vorgeworfen“, las sie mit gefühlskalter Stimme von einem Pergament ab, „Mitglied einer gesetzeswidrigen Organisation zu sein. Was haben Sie dazu zu sagen?“
Gerade holte Lucius Luft, da sprach sein Beistand, ohne den Blick von den Akten zu erheben. „Mrs. Baltimore, wenn ich mich zu dem ersten Vorwurf beziehungsweise der sehr unglücklich gewählten Ausformulierung äußern dürfte?“
Ein Raunen ging durch die Menge und Lucius hatte arge Mühe, nicht laut loszulachen, als er die empörten Blicke der Gamotmitglieder bemerkte.
„Was denn für eine ’unglücklich gewählte Ausformulierung’?“, fragte jemand, dessen Name Lucius nicht kannte.
„Nun“, Sid blickte auf, „Mitglied kann Mr. Malfoy schon deshalb nicht mehr sein, weil es diese ’Organisation’ seit geraumer Zeit nicht mehr gibt, nicht wahr? Formulieren Sie das bitte um und verwenden Sie entsprechende Vergangenheitsform. Es soll doch alles seine Richtigkeit haben. Darüber hinaus muss erst geklärt werden, unter welchen Umständen Mr. Malfoy überhaupt dieser Organisation beigetreten ist.“
„Was soll der Unfug?“ Die Stimme kam von einem rundlichen Herrn, der leider nicht auf Lucius’ Liste stand.
„Was das soll?“, wiederholte Sid in arrogantem Tonfall. „Das soll heißen, dass wir klären müssen, wann Mr. Malfoy der Organisation beigetreten ist und ob für diesen ersten Anklagepunkt nicht gar das Minderjährigenstrafgesetz angewandt werden muss.“
„Wer sind Sie überhaupt?“ Die erbost klingende Frage wurde von demselben rundlichen Herrn gestellt.
„Ich, Mr. Logan, bin Sid Duvall – derjenige, der vom Ministerium persönlich als Beistand an Mr. Malfoys Seite gestellt wurde.“
Mrs. Baltimore schritt ein. „Dann in Bezug auf den ersten Anklagepunkt meine erste Frage an Mr. Malfoy. Wie alt waren Sie, als Sie das dunkle Mal angenommen haben?“
Mit erhabenen Gesichtsausdruck antwortete Lucius: „Ich war erst fünfzehn.“
Die Gamotmitglieder steckten ihre Köpfe zusammen und tuschelten, während Sid mit einem selbstgefälligen Grinsen in der Akte Malfoy blätterte.
„Wir werden klären, ob hierfür das Minderjährigenstrafgesetz angewandt werden wird.“ Rosalinds steinerne Miene ließ bereits erste Anzeichen von Wut erkennen.
„Oh“, machte Sid. „Aber es wird angewandt werden müssen. Was würde nur die Öffentlichkeit dazu sagen, dass man die Straftaten eines Fünfzehnjährigen handhabt wie die eines Erwachsenen? Das wäre nicht richtig.“
Lucius presste seine Lippen zusammen und amüsierte sich still.
„Wir gehen zum nächsten Punkt über und werden später noch alle Unklarheiten zur Behandlung des ersten Anklagepunktes beseitigen.“ Zum Angeklagten sagte Rosalind: „Ihnen wird zudem der Vorwurf der Erpressung gemacht.“
Bevor die Gamotvorsitzende genauere Angaben zur Anschuldigung machen konnte, warf Sid die Frage ein: „Handelt es sich um einen neuen Vorwurf oder lediglich um den, der bereits vor elf Jahren von der Abteilung für magische Strafverfolgung bearbeitet wurde?“ Er nahm eine aufgeschlagene Mappe zur Hand und blätterte kurz darin herum, bevor er sagte: „Ah ja, damals sind alle Schulräte befragt worden und keiner von ihnen hat Beweise für eine vermeintliche Erpressung vorbringen können, so dass der Fall ad acta gelegt wurde. Mr. Malfoy ist für diesen Punkt niemals angeklagt worden.“
Davon wusste Lucius gar nichts, weswegen er seinen Beistand Respekt zollend von der Seite betrachtete. Wie es aussah, dachte Lucius, hatten sich damals durchaus einige der Schulräte beim Ministerium über sein Auftreten beschwert, weil sie in seiner „Überredungskunst“, mit der er dazu auffordern wollte, für Dumbledores Ablösung als Direktor zu stimmen, eine Drohung ausgemacht haben wollten.
Abermals ergriff Sid das Wort und er deutete auf seine Unterlagen, bevor er deren Inhalt mündlich wiedergab. „Die Anschuldigungen gegen Mr. Malfoy waren haltlos gewesen. Die damaligen Aussagen der Schulräte haben für eine Anklage nicht ausgereicht. Will man das nach so langer Zeit plötzlich ändern?“ Ganz klar war seine Missbilligung herauszuhören. „Das würde nämlich bedeuten“, Sids Stimme war schmierig, „dass die Mitglieder des Schulrates ihre damaligen Aussagen“, er wedelte mit einem Schwung Papiere, „erst zurückziehen müssten, um neue machen zu können.“
Lucius rief sich ins Gedächtnis, was Dumbledore sinngemäß über die Schulräte gesagt hatte, als er ihn Ende des zweiten Schuljahres seines Sohnes im Büro besucht hatte. „Seltsamerweise, Lucius, hatten mehrere von ihnen den Eindruck, Sie verfluchen womöglich ihre Familien, wenn sie ihre Zustimmung zu meiner Suspendierung verweigern.“ hatte Dumbledore ihm damals an den Kopf geworfen. Es war nur eine Vermutung gewesen, aber mit Vermutungen konnte man niemanden vors Gamot zerren.
„Ich…“ Rosalind war ganz verlegen, denn es gab offensichtlich keinen anderen Fall, in dem man Lucius Erpressung vorwerfen konnte.
„Dachte ich’s mir“, säuselte Sid fies grinsend. „Es würde doch seltsam aussehen, sollte man plötzlich diesen längst erledigten Fall erneut aufrollen. Das könnte den Eindruck erwecken, der Fall wäre damals fehlerhaft behandelt worden, was kein gutes Licht auf die Abteilung für magische Strafverfolgung werfen würde.“ Sid hob eine Augenbraue. „Wenn darüber hinaus noch die damaligen Aussagen überraschend geändert werden, könnte man womöglich auch zu der Überlegung kommen, der Fall würde manipuliert werden, um Mr. Malfoy etwas anzuhängen.“
So oder so würde das Zaubergamot nicht gut dastehen, sollte man den Erpressungsfall in der aktuellen Verhandlung einfließen lassen.
Der rundliche Herr konnte sich nicht mehr halten. „Mr. Duvall, was fällt Ihnen ein? Wenn Sie das Zaubereiministerium solcher Manipulationen beschuldigen…“
„Entschuldigen Sie bitte“, warf Sid übermäßig freundlich mit einer stoppenden Geste seiner Hand ein. „Ich beschuldige niemanden, wirklich nicht. Ich habe nur dargestellt, wie diese Dinge von der Öffentlichkeit aufgenommen werden könnten.“
„Die Öffentlichkeit“, keifte der Dicke mit dem hochroten Gesicht, „ist von der Verhandlung ausgeschlossen!“
„Oh ja, das mag sein, aber wissen Sie… Ich als Mr. Malfoys Beistand bin auch gleichzeitig sein Sprecher – auch vor der Presse, die dort draußen“, er zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger zur Tür, „auf jede noch so kleine Information wartet, die heute Abend gedruckt in den Zeitungen zu lesen sein wird. Meinem Antrag, dieses Stockwerk für die Presse zu sperren, wurde ja bedauerlicherweise nicht stattgegeben.“
Die Presse war leicht zu manipulieren, das wusste Lucius nur zu gut. Nicht nur Miss Kimmkorn hatte es damals vorgemacht, sondern die gesamte Redaktion des Tagespropheten, die sich von Minister Fudge für seine Sache hatte benutzen lassen. Auch Duvall, davon war Lucius überzeugt, hätte mit seiner erhabenen Art sicherlich Einfluss auf die Medien, allein schon deshalb, weil er der Beistand von Lucius Malfoy war. Dem Tagespropheten wäre es egal, wen man in der Luft zerfetzte – ob man sich die Finger über Lucius Malfoy wund schrieb oder über die ans Tageslicht gekommenen Unrichtigkeiten des Ministeriums herzog. Jeder Skandal verkaufte sich gleich gut.
Alle Gamotmitglieder blickten zu Rosalind, die einmal kräftig schlucken musste. „Wir werden diesen Punkt aus der Anklageschrift streichen, Mr. Duvall. Kommen wir zum nächsten. Der Besitz schwarzmagischer Gegenstände.“
Jedes Augenpaar ruhte auf Sid, doch der – zum Erstaunen aller – hielt den Mund und hörte aufmerksam zu.
„Es ist bewiesen, dass Sie, Mr. Malfoy, im August 1992 in Flourish und Blotts heimlich ein schwarzmagisches Buch an Miss Ginevra Molly Weasleys gegeben haben, die zu diesem Zeitpunkt erst elf Jahre alt war. Dieses Buch, wie man später erfahren hat, war ein altes Schulbuch von Tom Riddle – Voldemort –, verhext mit einem Zauber, der von Miss Weasley Besitz ergriffen hatte, wodurch sie in der Lage gewesen war, die sogenannte ’Kammer des Schreckens’ zu öffnen, was wiederum die Insassen einer Lehranstalt gefährdet hat.“
„Wenn ich etwas einwerfen dürfte?“, fragte Sid außerordentlich höflich mit einem provozierend milden Lächeln auf den Lippen.
Die Vorsitzende gestattete ihm das Wort und er räusperte sich zunächst.
„Mr. Malfoy wird nicht abstreiten, dass es sich bei dem Buch um ein schwarzmagisches gehandelt hatte, auch nicht, dass es einst Tom Riddle gehörte, denn der Name stand ja, wie ich den Unterlagen entnehmen durfte, gut leserlich auf dem Objekt. Allerdings war Mr. Malfoy nicht darüber informiert, welche Macht dieser Gegenstand innehaben würde, geschweige denn, dass er von kleinen Mädchen Besitz ergreifen könnte. Ihm selbst ist nie etwas geschehen, wenn er darin blätterte.“ Er blickte einmal zu Lucius hinüber, der bestätigend nickte. „Mr. Malfoy wollte sich dieses Buches entledigen und im gleichen Atemzug einen damaligen, verhassten Kollegen – den Vater des Mädchens – in eine missliche Lage bringen. Zugegeben, das war kein netter Zug. Mr. Malfoy wird aber sicherlich unter Veritaserum bestätigen, dass seine Absichten, das Buch in die Hände eines Mädchen zu legen, nicht der Motivation entsprang, Kinder in Gefahr zu bringen.“
„Darüber zu urteilen, Mr. Duvall, werden Sie uns überlassen müssen“, zeterte Rosalind, die von diesem Beistand langsam genug hatte.
Davon ließ sich Sid nicht abschrecken. „Ich denke, für den Besitz von schwarzmagischen Gegenständen – in diesem Fall nur einem – darf mein Mandant aufgrund der geltenden Gesetze mit einer hohen Geldstrafe rechnen?“
Es war nicht als Frage gedacht, sondern deutlich als Empfehlung.
Mit vor unterdrückter Wut ganz rotem Gesicht zischte die Vorsitzende böse: „Wir werden klären, warum Mr. Malfoy das Buch in die Hände eines unschuldigen Schulmädchens gegeben hat.“
Lucius betrachtete Fortunatos Storm, der damals gemauschelt hatte, um einen Vergissmich auf den Freund der eigenen Tochter zu hetzen, der die Erinnerungen des Squibs an die Verlobung mit dieser reinblütigen jungen Dame gelöscht hatte. Fortunatos blickte verängstigt drein und schien zu hoffen, dass Rosalind ihre Abneigung gegen den Angeklagten im Zaum halten würde. Er würde wahrscheinlich gleich über das Urteil abstimmen wollen – mit „nicht schuldig“.
„Der nächste Punkt: Störung der Öffentlichen Ordnung. Mr. Malfoy wird vorgeworfen, auf der Quidditch-Weltmeisterschaft 1994 Sachbeschädigung begangen zu haben wie auch gegen das Gesetz zum Schutz der Muggel verstoßen zu haben.“ Sid blickte auf und bat nonverbal darum, das Wort zu ergreifen, weswegen Rosalinds Augenlid nervös zuckte. „Mr. Duvall, möchten Sie dazu etwa was sagen?“
„Wenn Sie mich schon so nett bitten! Ich habe mich an ähnlichen Fällen der Vergangenheit orientiert. Ein Verstoß gegen das Gesetz zum Schutz der Muggel wird in der Regel mit zwei Monaten Haft als Höchstmaß und einer Geldstrafe in Höhe von maximal 1.500 Galleonen geahndet, während die Muggel in die Obhut der Vergissmich kommen.“
Bei dem Wort „Vergissmich“ blickte Lucius erneut zu Fortunatos hinüber und ihre Blicke trafen sich.
„Ich denke“, fuhr Sid fort, „dieser Punkt bedarf keiner besonderen Klärung. Mr. Malfoy bekennt sich dieser Tat schuldig und wird das Höchstmaß erwarten.“
Für Lucius war es angenehm, nicht reden zu müssen. Erfreut hörte er seinem Beistand zu, wie er dem Gamot furchtlos gegenübertrat und sich von niemandem einschüchtern ließ. Der Mann hatte offensichtlich nichts zu verlieren, denn Mr. Duvall hatte von sich selbst gesagt, man würde ihn im Ministerium hassen. Und dass er gründlich arbeitete – zu gründlich, wie Mr. Duvall einmal betont hatte –, konnte für Lucius nur von Vorteil sein.
Auf ihrem Pergament machte Rosalind einige Notizen, bevor sie aufblickte. „Gegen die beiden Unverzeihlichen haben Sie aber nichts zu sagen?“ Sie klang sehr siegessicher.
„Nein, Mrs. Baltimore. Es wird sich in dem Verhör mit Veritaserum herausstellen, dass Mr. Malfoy zu dem Zeitpunkt, als er Sturgis Podmore und Broderick Bode unter den Imperius-Fluch gestellt hatte, selbst unter einem stand.“
„Wie bitte?“, fragte Rosalind verdutzt nach.
„Sie wissen doch sicherlich, dass in der Vergangenheit viele Menschen grausame Taten begangen haben, weil sie durch einen Imperius gelenkt wurden.“
Man konnte damals nie genau wissen, wer log und wer die Wahrheit sagte.
„Die Aussagen, die Mr. Malfoy dazu zu gegebener Zeit unter Veritaserum machen wird, könnten Ihnen, verehrte Anwesende, vor Augen führen, welche Intentionen er selbst gehabt hatte.“ In seinen Unterlagen blätternd schlug er eine bestimmte Seite auf, in der er kurz las. „Mr. Podmore ist nach sechs Monaten Haft wieder aus Askaban entlassen worden. Einen bleibenden Schaden hat er von dem Fluch nicht davongetragen. Dass Mr. Broderick einer Teufelsschlinge zum Opfer gefallen war, ist nicht die Schuld meines Mandanten – höchstens die der Krankenhausführung oder Stationsleitung, die eine Teufelsschlinge nicht von einer normalen Topfpflanze unterscheiden konnte.“ Zum Ende hin klang Sid absichtlich sehr verachtend. „Alles andere, was die beiden Unverzeihlichen betrifft, die Mr. Malfoy nachweislich mit seinem Zauberstab ausgeführt hatte, wird später noch geklärt werden können. An dieser Stelle möchte ich aber auf ähnliche Fälle verweisen, in denen den Angeklagten zwar nachgewiesen worden war, gegen das Gesetz verstoßen zu haben, jedoch nicht bewiesen werden konnte, ob sie oder ob sie nicht selbst von diesem Fluch eingenommen waren.“
Es hatte so viele Fälle gegeben, die dem Ministerium Kopfschmerzen bereitet hatten. Meistens hatte man die Anklage aus Mangel an Beweisen fallenlassen müssen. Veritaserum Plus konnte einen zwar dazu bringen, alle Erinnerungen an eine Tat – auch die eigenen Gedankengänge – zu schildern, aber eine Schilderung allein war kein eindeutiger Beweis. Nicht immer war es zu spüren, ob man durch einen Imperius gelenkt wurde, zum Beispiel wenn die Magie des anderen wesentlich kräftiger war als die eigene.
„Zu dem Anklagepunkt, zwei Unverzeihliche angewandt zu haben, werden wir Mr. Malfoy noch ausführlich befragen“, versicherte Rosalind verbissen, während sie einen Blick auf die Anklageliste warf. „Einbruch und versuchter Raub in Zusammenhang mit Körperverletzung und Zerstörung von Ministeriumseigentum macht den nächsten Anklagepunkt aus.“ Es wurde der Vorfall in der Mysteriumsabteilung angesprochen.
Sid schaute einmal zu Lucius hinüber, der die Sitzung zu genießen schien, bevor er die Vorsitzende anblickte. „In diesem Fall“, Sid hörte, wie jemand stöhnte, „verlange ich sogar eine Anhörung unter dem Einfluss des Wahrheitsserums, denn mein Mandant wird bestätigen, dass nicht er den ersten Fluch abgefeuert hat. Er selbst hat seinen Stab erst gehoben, als er sich verteidigen musste.“
Das alles musste sein Beistand aus den Gesprächen während der wenigen Besuche herausgehört haben, dachte Lucius, aber es war auch sehr wahrscheinlich, dass er sich alle Unterlagen besorgt hatte, wie zum Beispiel die Verhöre der Hogwarts-Schüler und Auroren.
Als er sich die Szenerie in der Mysteriumsabteilung ins Gedächtnis zurückrief, da konnte er nicht einmal sagen, wer genau angefangen hatte. Wahrscheinlich war es eines der Kinder gewesen, woraufhin Bellatrix in die Defensive gegangen war. Er selbst hatte sich nur gegen die niedlichen Flüche der Schüler verteidigt und später, als die Auroren gekommen waren, um sein Leben gekämpft. Töten wollte er niemanden, auch wenn es ihm beim Anblick des Schlammbluts für einen Moment in den Fingern gejuckt hatte.
Den Anklagepunkt auseinander nehmend erklärte Sid: „Ich empfehle, während einer Befragung unter dem Einfluss von Wahrheitsserum zu prüfen, ob tatsächlich der Tatbestand des Einbruchs erfüllt wurde. Mr. Malfoy was zu jener Zeit hier angestellt und hatte für die Mysteriumsabteilung sogar eine Zutrittsberechtigung, wenn auch eine eingeschränkte. Was den versuchten Raub betrifft…“ Sid hob beide Augenbrauen. „Es war nicht Mr. Malfoy gewesen, der als Erster nach der Prophezeiung gegriffen hatte, nicht wahr?“
Es war Potter gewesen, dachte Lucius, denn niemand außer ihm oder dem Dunklen Lord hätte sie berühren können, ohne um den Verstand fürchten zu müssen.
„Zur Körperverletzung hatte ich mich bereits geäußert. Mr. Malfoy hatte sich lediglich verteidigt. Kommen wir zur Zerstörung von Ministeriumseigentum. Während einer Auseinandersetzung von solchem Ausmaß gehen nun einmal Dinge zu Bruch. Wie ich den Zeugenaussagen von damals entnehmen kann, war es eine Schülerin gewesen, die den größten Schaden verursachte und für die Zerstörung von unzähligen Glaskugeln und den in ihnen aufbewahrten Prophezeiungen verantwortlich gemacht werden muss.“ Mit festem Blick schaute er der Gamotvorsitzenden in die Augen. „Mr. Malfoy wird sich aber dazu bereit erklären, für den von ihm angerichteten Schaden eine finanzielle Entschädigung zu gewährleisten. Natürlich nur anteilig und unter der Voraussetzung, dass man für den Schaden einen gültigen Zeitwert nachweisen kann.“
Lucius wusste genau, auf was Duvall hinaus wollte. Einer Prophezeiung einen Wert zuzuschreiben war so gut wie unmöglich, aber für die billigen Glaskugeln würde er natürlich gern aufkommen, dachte er schmunzelnd – anteilig, versteht sich.
Die Gamotvorsitzende schien für einen Moment wie versteinert. Ihr Blick ruhte auf dem Beistand und man konnte nur ahnen, dass sie ihm in Gedanken gerade den Hals umdrehte.
„Das werden wir alles gern bis ins kleinste Detail prüfen, Mr. Duvall. Kommen wir zum letzten Anklagepunkt: Der Ausbruch aus Askaban.“
„Darf ich…“ Nicht nur ein Gamotmitglied rollte mit den Augen, doch man gewehrte Sid das Wort. „Nun, der Ausbruch aus Askaban war kein ’Ausbruch’ im eigentlichen Sinne, daran gibt es nichts zu rütteln. Er wurde durch die damals durch das Ministerium ’angestellten’ Dementoren ermöglicht. Mr. Malfoy wurde von anderen Todessern gegen seinen Willen mitgenommen. Ich möchte nicht bezweifeln, dass er bei so einer Gelegenheit gern geflohen wäre“, er warf Lucius einen Blick zu, „aber sicherlich nicht in Begleitung von Mrs. Lestrange und acht weiteren Todessern.“
„Wollen Sie uns damit etwa weismachen“, schnaufte Rosalind wütend, „dass Mr. Malfoy ’entführt’ worden wäre? Das ist lächerlich!“
„Oh, entführt sicherlich nicht. Er erlag dem Gruppenzwang. Hätte er sich gewehrt, dann darf man davon ausgehen, dass man ihn an Ort und Stelle als Verräter betitelt und im gleichen Atemzug niedergestreckt hätte. Man darf nicht vergessen, über welche Macht Voldemort verfügte. Man durfte sich nicht ungestraft gegen ihn auflehnen, aber in dieser Hinsicht gibt es ja auch genügend Fallbeispiele, die ich Ihnen bei Bedarf gern nennen werde.“
Für einen Moment war es ruhig; man hörte nur die Federn, die kratzend auf dem Pergament der Gamotmitglieder Notizen niederschrieben.
Das Wort richtete Rosalind an die anderen Gamotmitglieder. „Sie dürfen nun Ihre Fragen stellen. Später werden wir entscheiden, welche der Fragen wir unter dem Einfluss von Wahrheitsserum stellen werden.“
Der rundliche Mann hob die Hand und durfte sprechen. „Mr. Malfoy, in Bezug auf den zweiten Anklagepunkt ’Besitz schwarzmagischer Gegenstände’ interessiert mich Ihr Grundmotiv. Warum haben Sie einem elfjährigen Mädchen das Buch überlassen?“
Sid blickte zu Lucius hinüber und nickte, zeigte ihm, dass er antworten sollte, was er auch tat. „Nun, das Buch selbst habe ich vom…“ Lucius hielt inne. Bisher hatte er von Voldemort immer als „Dunkler Lord“ gesprochen, doch hier wollte er nicht den Eindruck erwecken, er wäre immer noch ein ergebener Diener des Verblichenen. „…von Voldemort erhalten.“ Der Name kam ihm schwer über die Lippen. „Ich sollte es aufbewahren, wurde aber nicht darüber informiert, um was es sich handelte. Als man meinen Ruf schädigen wollte, indem mein Haus nach schwarzmagischen Objekten durchsucht wurde, da wollte ich mich von diesem Buch befreien. Ich verband dieses Vorhaben gleich mit dem Nützlichen und gab das Buch in der Hoffnung der kleinen Miss Weasley, dass Albus Dumbledore und Arthur Weasley dadurch Probleme bekommen würden.“
Eine Frauenstimme wollte wissen: „Heißt das, Sie haben das Buch nicht nach Hogwarts eingeschleust, um in Voldemorts Sinne zu handeln?“
„Aber nicht doch. Zu diesem Zeitpunkt bin ich davon ausgegangen, Voldemort nicht noch einmal wiederzusehen. Ich wusste nur, dass das Buch schwarzmagisch sein sollte, aber egal, mit welchen Zaubern ich es überprüft habe – bei mir tat sich gar nichts.“
Der rundliche Mann notierte sich etwas, bevor er aufblickte. „Dann haben Sie diese beiden Männer in Misskredit bringen wollen?“
„Ja“, gab Lucius offen zu und er schämte sich nicht einmal dafür.
Einige Gamotmitglieder tuschelten miteinander. Es war Fortunatos Storm, der die Hand hob und nach Zustimmung von Rosalind eine Frage stellen durfte.
„Dann haben Sie, wie Ihr Beistand vorhin schon erwähnte, nicht gewusst, was das Buch anrichten könnte?“
„Nein, Mr. Storm.“ Lucius liebte kurze und knappe Antworten.
„Dann behaupten Sie“, sagte eine Frauenstimme links, „Sie hätten nicht darauf spekuliert, durch das Buch den Basilisk zu befreien?“
„Nein, ich hätte nicht einmal in meinen kühnsten Träumen erahnt, dass so ein Monster in den Tiefen Hogwarts haust. Hätte ich das gewusst, hätte ich meinen Sohn sicherlich nach Durmstrang schicken wollen.“
Lucius blickte zu Anthony Wildfire hinüber, der damals gegen ein kleines Bestechungsgeld dafür gesorgt hatte, dass Draco nicht aus Hogwarts, sondern aus Durmstrang einen Brief erhielt. Er lächelte ihm selbstherrlich zu, denn Wildfire war einer derjenigen, die auf seiner Liste standen und erpressbar waren.
„Sie haben das Buch also einzig aus dem Grund an Miss Weasley gegeben, damit…“
Lucius vervollständigte: „…damit die beiden Herren wegen jener Sache angeklagt werden, wegen der man mich in diesem Augenblick belangt: Besitz schwarzmagischer Gegenstände.“
Es war zu spüren, dass vielen Gamotmitgliedern die Antworten nicht gefielen. Momentan würde man ihn nur befragen, damit man später auf Einzelheiten eingehen könnte, die er unter Veritaserum erklären müsste, aber es schien, dass man zumindest wegen des schwarzmagischen Objekts keine weitere Befragung mehr benötigte.
Man stellte ihm weitere Fragen, die er ehrlich beantwortete. Sein Beistand war still geblieben, schrieb aber in einer außergewöhnlichen Geschwindigkeit das mit, was ihm wichtig erschien – also ausnahmslos alles.
„Wir legen eine Pause von einer Stunde ein. Mr. Malfoy, Sie werden in einen Raum geführt, in dem Sie speisen können.“ Rosalind erhob sich, was die anderen Gamotmitglieder ihr gleichtaten. Lucius hingegen wurde von den Fesseln des Stuhls befreit, um gleich darauf mit den Handfesseln bedacht zu werden, damit man ihn ein paar Türen weiter bringen konnte.
„Mr. Malfoy, bevor wir rausgehen…“ Sid beugte sich vor uns sprach ihm ins Ohr. „Die Presse wird Fragen stellen. Soll ich denen einen kleinen Abriss schildern oder möchten Sie das nicht?“
Lucius schüttelte den Kopf. „Warten wir noch etwas. Mir ist noch nicht ganz wohl bei der Sache.“
Auch nicht ganz wohl bei der Sache war Hermine, denn sie fühlte sich durch die Gesamtsituation überfordert. Erst hatte sie nur ihre Prüfung zur Heilerin gemacht, bevor sie die Ausbildung zur Tränkemeisterin angenommen hatte, was sie sich, wenn sie ehrlich war, sehr gemütlich vorgestellt hatte, doch dann kam noch so vieles dazu. Die Nachforschung wegen seines Problems, ihr eigener Farbtrank, die bevorstehende Präsentation bei Körperschaft der Zaubertränkemeister und die Prüfung zur Zaubertränkemeisterin, die sie noch vorher ablegen musste – das wäre schon sehr bald, für ihren Geschmack zu früh. Darüber hinaus belastete sie der Vorfall mit Svelte, aber besonders der mit Nerhegeb… In ihrem Kopf drehte sich alles, genauso wie in ihrem Magen.
Severus fehlte heute Morgen am Frühstückstisch, weswegen Remus neben ihr gesessen hatte. Weil sie so ein ernstes Gesicht machte, sprach er sie an.
„Warum so bedrückt, Hermine?“
Weil sie in Gedanken versunken war, hatte sie sich erschreckt, obwohl er ruhig gesprochen hatte. „Nichts, es ist alles in Ordnung.“
Er glaubte ihr nicht, ließ die Sache aber ruhen. „Kann ich dir noch wegen des Tranks irgendwie helfen?“
„Mir fehlt immer noch dieser blöde Steinregen.“ Sie klang sehr verbittert. „In keinem der Bücher steht geschrieben, wo man ihn finden könnte. Er könnte überall wachsen. Na ja, überall, wo es dunkel ist.“
„Mmmh“, machte Remus nachdenklich. „Ich werde mal sehen, was ich darüber herausfinden kann.“
In einer Freistunde nach der ersten Unterrichtsstunde mit Hufflepuff und Ravenclaw machte Remus einen kleinen Spaziergang, der ihn unerwartet in seine Vergangenheit katapultierte. Alles, was er sah – die steinernen Wände, die Wege, die Bäume – erinnerte ihn an seine eigene Schulzeit, die er rückblickend mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachtete. Sein Weg durch den Schnee führte ihn zu den Gewächshäusern. In der Nummer vier sah er hinter dem beschlagenen Glas einen sich bewegenden Schatten. Jemand war dort drinnen und schien zu arbeiten, weswegen Remus zum Eingang hinüberging und die Tür öffnete.
„Hallo Neville“, grüßte er seinen ehemaligen Schüler, dem er auf den von Harry geführten Ordenstreffen häufig über den Weg gelaufen war, doch leider hatte sich viel zu selten die Gelegenheit ergeben, sich mit ihm ein wenig persönlicher zu unterhalten.
Weil Remus ihn freundlich lächelnd zu mustern schien, fragte Neville unsicher: „Was?“
„Ich habe gerade an früher denken müssen. Du hast dich sehr verändert, bist ein ganzes Stück gewachsen.“ Remus war näher an den jungen Mann herangetreten und musste sogar nach oben blicken, was ihn amüsierte. „Du bist größer als ich.“
Neville schnaufte erleichtert, bevor er zustimmte. „Ich glaube, nur noch Hagrid und Albus überragen mich.“
Erst jetzt fiel Remus auf, dass Neville ganz erdige Hände hatte, was sein Interesse weckte. „Was machst du da?“
„Ich erforsche einen besonderen Nährhumus aus basenreichem Boden, deren Auflagehorizonte durch von mir gezüchtete Pilzhyphen miteinander verfilzt sind.“
Remus öffnete mehrmals den Mund, um sich zu äußern, aber es benötigte einen Moment, bis er über sich selbst spöttelnd sagen konnte: „Tut mir Leid, ich hab kein Wort verstanden.“
„Das macht nichts.“ Neville lächelte ihm ermutigend zu. „Dafür habe ich keine Ahnung von Zaubertränken. Und ich kann bis heute keine weite Strecken zurücklegen, wenn ich appariere.“
„Jeder hat seine Stärken und seine Schwächen“, stellte Remus in den Raum, worüber Neville stutzte.
„Ich wüsste nicht, was Sie für Schwächen hätten.“
„Ich war nicht besonders gut in Verwandlung, aber mit der Zeit lernt man vieles dazu. Heute würde ich wohl ein ’O’ bekommen.“ Sein Blick schweifte zu einer Ecke im Gewächshaus. „Was ist das dort hinten?“
„Ach, das ist nur Hermines Ecke. Liebstöckel und Johanneskraut“, erwiderte Neville.
Natürlich wusste Remus von den Pastillen, die Hermine damals an einige Mitglieder des Ordens verteilt hatte – die meisten an Harry.
„Es geht ihr doch gut oder?“
„Was?“ Neville wiederholte Remus’ Frage nochmals in Gedanken und schien sich ebenfalls an früher zu erinnern. „Ach so, nein, ich denke nicht, dass sie sie für sich selbst macht.“
„Nicht?“ In Sekundenschnelle ging Remus sämtliche Freunde durch. Als er an Severus denken musste, glaubte er die Antwort gefunden zu haben. „Oh.“
Die Gespräche mit Hermine und Harry fielen ihm wieder ein. Severus ging es schlecht, aber dass er sogar Hermines starke Stimmungsaufheller einnehmen musste, hätte er nicht erwartet. Andererseits hatte Hermine ihm gegenüber erwähnt, sie würde bei Severus eine Depression vermuten.
„Wie kommst du so mit ihm aus?“, fragte Remus nach seiner Assoziation. Nebenbei nahm er gedankenverloren einige Dinge in die Hand, die auf dem Tischchen herumlagen.
„Mit Severus?“ Die kurze Nachfrage ließ erkennen, dass auch Neville davon ausging, Severus würde die Pastillen bekommen. „Es geht. Ich hab nicht viel mit ihm zu tun. Warum fragen Sie?“
„Ich kann mich noch gut an das Schuljahr erinnern, in welchem ich hier Lehrer war. Er war immerhin dein Irrwicht.“
Neville lachte. „Ja, und ein lustiger noch dazu.“
Eine kleine Schaufel wieder auf den Tisch legend schilderte Remus belustigt: „Er war damals nicht gerade erfreut darüber, hat sogar geglaubt, ich hätte dich dazu angestiftet.“
Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er Neville geduzt hatte, doch dem machte das nichts aus.
Mit verhaltener Stimme erzählte Neville, während er dabei verträumt den Humus auf der Erde verteilte: „Ich hatte Angst vor ihm, bis er im sechsten Schuljahr geflohen war. Ein paar Monate nach Albus’ Tod saß ich mit Harry und Hermine in der Bibliothek im Grimmauldplatz. Sie haben miteinander gesprochen und ich hab alles gehört. Harry sagte, Snape hätte ihm noch bis zum Ende Ratschläge erteilt. Er hätte gesagt, er könnte jeden von Harrys Schritten vorhersehen und dass Harry endlich seinen Mund halten sollte.“ Neville blickte von seiner Arbeit auf. „Okklumentik und wortlose Zauber! Da hat Harry mit diesen Okklumentikübungen angefangen. Hermine hat ihm geholfen, soweit es ging, aber sie ist mit dem Thema nicht warm geworden.“
Aufmerksam hörte Remus dem jungen Mann zu, denn auch wenn er einige Dinge persönlich miterlebt hatte, war es doch etwas anderes, diese Erlebnisse von jemandem geschildert zu bekommen, der sie anders wahrgenommen hatte.
„Dass Harry wortlose Zauber bis zum Abwinken gelernt hat, das wissen Sie ja selbst. Okklumentik kann er auch sehr gut, auch wenn er meint, er könnte sich gegen Überraschungsangriffe kaum zur Wehr setzen. Na ja, Snape…“ Neville verbesserte, denn in den Erinnerungen hatte er den Tränkemeister stets beim Nachnamen genannt. „Severus habe ich erst wieder während der Schlacht gesehen, nur von weitem. Später saß ich mit ihm während der Ordensverleihung an einem Tisch, aber mit ihm gesprochen habe ich das erste Mal auf Ihrer Verlobungsf…“
Scheu blickte Neville auf, um zu prüfen, ob er mit diesem Thema eine alte Wunde aufgerissen haben könnte. Remus lächelte wie immer freundlich, doch die Verlobungsfeier anzusprechen hatte ihm nichtsdestotrotz einen kleinen Stich im Herzen verpasst.
„Tut mir Leid.“
„Nein, das ist schon in Ordnung, Neville.“ Er atmete einmal tief durch. „Weswegen ich eigentlich hier bin: Ich bin da auf ein Problem gestoßen, das mit Pflanzen zu tun hat und nun rate mal, wer mir eingefallen ist, der mir helfen könnte?“
Deine Hände an der Schürze abwischend erwiderte Neville: „Pomona hat um 14 Uhr Schluss und wird eine Viertelstunde später hier sein. Wenn Sie möchten, dann sage ich ihr…“
„Nein, nicht Pomona“, warf Remus vorgetäuscht empört ein, doch er musste lachen, weil Neville nicht zu verstehen schien. „Ich meine dich, Neville.“
„Aha…“ Neville schien dem Braten nicht zu trauen. „Warum ich?“
„Weil du Ahnung hast von“, er versuchte sich zu erinnern, „besonderen Pilzhorizonten und Basenhumus.“
Unerwartet brach Neville in Gelächter aus, was Remus dazu animierte, ebenfalls über sein eigenes Unwissen zu lachen.
„Ich werde es nicht verbessern“, versicherte Neville breit grinsend. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Also erst einmal: Wenn ich schon so frech bin und dich duze, dann steht dir das gleiche Recht zu.“
„Okay und was noch?“
„Es geht um eine Pflanze, die sich ’Gespenstischer Steinregen’ schimpft.“
Der junge Kräuterkundelehrling kniff skeptisch die Augen zusammen. „Warum gerade diese scheußliche Pflanze?“
„Warum scheußlich?“ Remus wusste von dieser Pflanze nicht sehr viel.
„Na ja, es gibt Zaubertränke, in denen sie verwendet wird, aber wegen ihrer negativen Wirkung sind es nur schwarzmagische Tränke.“
„Erzähl mir von den negativen Auswirkungen“, bat Remus, der sich mit dem Gesäß an einen Tisch lehnte und interessiert eine Augebraue hob.
„Die Wirkstoffe in den Fruchtkapseln der Pflanze können...“ Neville suchte nach Worten. „Wie soll ich das nur erklären? Sie können teilen und zwar alles Mögliche, das Fleisch wie auch den Geist, die Persönlichkeit, die Seele – und das sogar schon im unverarbeiteten Zustand. Ich habe von Händlern gehört, denen die Finger abgefallen sein sollen, als sie die Fruchtkapseln geerntet haben. Deswegen ’scheußlich’.“
Die Pflanze schien wirklich eine Ausgeburt der Hölle zu sein, dachte Remus und außerdem wollte er nicht, dass Hermine mit so einer Trankzutat herumexperimentiert. Es war schlimm genug, dass Severus das damals getan haben musste.
„Woher weißt du so viel über diesen Steinregen?“
Neville machte ein Gesicht, als hätte er versehentlich etwas preisgegeben. „Ich…“ Und nun schien er nach einem Weg zu suchen, sich aus dieser Situation wieder herauszuwinden. „Ich habe darüber in Büchern gelesen.“
„Ich auch“, stimmte Remus zu. „Ich habe die ganze Bibliothek auf den Kopf gestellt, aber sehr wenig gefunden. Das, was du zu erzählen hattest, stand in keinem der Bücher.“
„Na ja, es sind Pomonas Bücher. Da durfte ich mal welche lesen.“
Gerade heraus fragte Remus: „Das sind nicht zufällig schwarzmagische Bücher gewesen?“ Nevilles weit aufgerissenen Augen waren Antwort genug. „Habe ich mir fast gedacht.“ Remus lächelte dem Kräuterkundelehrling beschwichtigend zu, bevor er den Kopf schräg legte. „Meinst du, Pomona würde mir das Buch ausleihen?“
„Halte ich für möglich.“ Aus Nevilles Stimme war mit einem Male herauszuhören, dass er sich zu schämen schien.
„Sag mal, Neville, stand dort auch beschrieben, wo man diese Pflanze finden kann? Wo sie wächst, in welchem Land, an welchen Orten?“
Zuerst nickte Neville heftig und gab dann den Inhalt der Bücher wider: „Sie wachsen in Höhlen.“
’Überall, wo es dunkel ist’, wiederholte Remus Hermines Aussage von heute Morgen.
Einmal durchatmend fügte Neville hinzu: „Direkt auf Stein, sie brauchen keine Erde. Es muss stockdunkel sein, also findet man sie nur tief im Innern. Es gibt eine Debatte unter Kräuterkundlern, ob der Steinregen nicht auch Unterwasser wachsen kann, aber man vermutet, dass er zu viel Sauerstoff benötigt, um dort existieren zu können.“
„Und in welchem Land?“, wollte Remus noch wissen.
„Na, hier in Schottland!“
Im Hintergrund konnte man ein leises Läuten hören.
„Oh“, machte Remus. „Die kleine Pause beginnt. Danach muss ich wieder ran. Ich werde dann mal gehen, aber vielen Dank für das Gespräch.“ Er wandte sich bereits um, blieb an der Glastür des Gewächshauses, an der das Kondenswasser hinunterlief, noch einmal stehen. „Wegen der Bücher… Ich würde gern einen Blick hineinwerfen, Neville.“
Der nickte. „Ich werde Pomona Bescheid geben.“
„Danke, wir sehen uns nachher zum Mittag?“
„Ja.“
Nach der Pause gab es eine kleine Ansammlung vor der Strickleiter, die nach oben zu Professor Trelawneys Unterrichtsraum führte. Draco hielt die Leiter mit einer Hand fest, während eine Gryffindor die Höhe erklomm. Er wandte seinen Blick ab, um ihr nicht unter den Rock zu sehen, was jeder Schüler tat, denn es gehörte sich so. Er kletterte als Nächster hoch, doch vorher beförderte er mit einem Wingardium Leviosa seine Schulsachen nach oben, die von der Gryffindor entgegengenommen und neben der Luke auf den Boden gelegt wurden. So halfen sich die Schüler immer gegenseitig. Nachdem er oben angekommen war, ergriff er die in der Luft schwebenden Schulsachen, die hinter ihm gerade durch die Öffnung kamen, denn sie gehörten der nächsten Schülerin – Ginny.
Der Raum von Professor Trelawney war wie eh und je übermäßig geheizt, was im Winter allerdings sehr angenehm war. Die schwer in der Luft liegenden ätherischen Düfte ließen einen schon gleich nach Unterrichtsbeginn damit kämpfen, die bleiernen Augenlider daran zu hindern, sich zu schließen. Hinzu kam die Stimme der Professorin, die oftmals ruhig und engelhaft klang, doch es gelang ihr nie, ihrer Stimme entsprechend auch sylphidenhaft durch den Raum zu wandeln, denn immer stieß sie irgendwo an oder warf versehentlich etwas hinunter. Das waren die Momente, in denen die Schüler aus ihrem tranceähnlichen Zustand erwachten und mit einem verschmitzten Lächeln ihrer Schadenfreude Ausdruck verliehen, bevor sie erneut durch die Düfte benebelt in Sphären abdrifteten, in denen Professor Trelawney zu Hause zu sein schien.
Warum Draco „Wahrsagen“ belegt hatte? Weil es hier nicht auffiel, wenn er mal die Augen schloss und döste. Der Unterricht war entspannend, fast wie Meditation und außerdem würde es niemanden interessieren, ob er in diesem für sein weiteres Leben unwichtigen Fach ein T oder ein O erhalten würde. Momentan hatte er sich mit seiner letzten, erdachten Traumanalyse auf ein Annehmbar hochgearbeitet.
Dieses Mal konnte Draco nicht dösen, denn Ginny, die ihm gegenüber saß, hielt seine Hand, um aus ihren Linien die Zukunft zu lesen. Wahrscheinlich hatte sie dieses Fach aus demselben Grund belegt wie er.
„Sag mal“, Ginny zog die Augenbrauen zusammen, „ist das hier deine Lebenslinie?“
Mit ihrem Zeigefinger fuhr sie über eine der längeren Linien, womit sie Draco unbeabsichtigt kitzelte. „Nein, das ist die Erfolgslinie.“
„Oh“, machte sie erstaunt, bevor sie breit grinste. „Dann bist du mit deinen Geschäften länger erfolgreich als du am Leben bist!“
„Was?“ Er riss seine Hand aus der ihren, um sich die Innenfläche anzusehen.
„Die Lebenslinie ist unterbrochen“, erklärte sie.
„Das ist nur eine Narbe, die Linie geht darunter weiter.“
Ginny beugte sich über das runde Tischlein zu ihm hinüber, was ihr schwerfiel, denn sie drohte in den weichen Polstern des Chintz-Sessels zu versinken.
„Ich schreibe einfach, dass du in Zukunft einmal dem Tod von der Schippe springen wirst und danach ein neues Leben beginnst. Auf so was steht sie.“
„Das liegt aber schon in der Vergangenheit.“
„Das weiß sie doch nicht.“ Mit ihrer Feder machte Ginny sich Stichpunkte zu den Rillen und Linien auf Dracos Handinnenfläche und ihrer möglichen Bedeutungen, bevor sie ihm ihre Hand hinhielt. „Jetzt bist du dran.“
Sie hatte ihre Hand flach auf den Tisch gelegt, so dass er ohne Probleme in ihr lesen konnte, als würde er über einem Buch hocken.
„Es steht eine Heirat an.“ Er blickte sie an und grinste. „Ich bin gut oder?“
Sie lachte auf, wenn auch unterdrückt, damit die Lehrerin nicht auf sie aufmerksam werden würde. „Das ist doch nichts Neues, das wird Trelawney nicht umhauen.“
„Na gut, dann lass mal sehen.“
Ein paar Mal blätterte Draco in seinem Buch „Chiromantie für Fortgeschrittene“, notierte sich hier und da etwas und ließ Ginny die ganze Zeit über im Dunkeln.
„Bist du bald fertig?“
Er nickte. „Willst du’s hören?“ Eine Antworte wartete er gar nicht ab. „Nach einer schweren Zeit wirst du den Mann deiner Träume heiraten und mit ihm zwei Kinder haben, um die er sich kümmern wird, weil du die Karriereleiter hinaufkletterst.“
„Warum nach einer schweren Zeit? Es ist nicht mal mehr ein halbes Jahr bis zur Hochzeit, Draco. Was soll da passieren? Das wird sie dir nie abnehmen!“
„Aber es hört sich gut an und außerdem“, er verstellte seine Stimme und ahmte leise die der Professorin für Wahrsagen nach, „lügen die Linien nie!“
„Schreib lieber, die schwere Zeit kommt im nächsten Jahr, dann sind wir längst aus der Schule raus und sie kann die Note nicht mehr ändern.“
„Die ’schwere Zeit’ kann doch alles Mögliche sein. Dann kränkelst du eben vor der Hochzeit ein bisschen rum.“
„Damit du gute Noten bekommst?“
Draco nickte. „Natürlich!“
Beide hörten das Klimpern unzähliger Ketten und Perlenschnüre, die um Professor Trelawneys dürrem Hals hingen und ihre Ankunft ankündigten. Sie hatte die Tische der Schüler reihum aufgesucht und war nun bei Draco und Ginny angekommen.
An Ginny gerichtet fragte sie mit überschwänglichem Enthusiasmus, während sie theatralisch eine präsentierende Handbewegung ausführte: „Und, Miss Weasley? Wie steht es um Mr. Malfoy?“ Ginny griff nach ihrem Pergament, doch Professor Trelawney nahm es ihr aus der Hand. Sie führte es dicht an ihr Gesicht, rückte derweil die Brille mit den dicken Gläsern zurecht, doch noch immer schien sie nicht besonders gut sehen zu können.
„Oh nein, Miss Weasley“, sagte Professor Trelawney beinahe schon nörgelnd. „Das können Sie sicherlich besser.“ Sie schüttelte den Kopf und murmelte etwas, das sie vom Pergament ablas, bevor sie es zurück an Ginny gab. „Noch ein Versuch, meine liebe Miss Weasley. Vielleicht sollten Sie Ihren Geist vorher ein wenig öffnen. Moment, da kann ich Abhilfe schaffen.“
Professor Trelawney eilte zu ihrem kleinen Tischlein hinüber, fiel derweil fast über ihren eigenen Hocker, der daneben stand. Mit einem bläulichen Gegenstand – einem kleinen Glas – kam sie zurück. Per Incendio entflammte sie Kerze in dem Behälter und stellte sie auf den Tisch. Gegen die einlullenden Düfte, die nun verströmt wurden, konnten Draco und Ginny nichts unternehmen.
„Auf ein Neues, Miss Weasley“, sagte Professor Trelawney freundlich, bevor sie sich den Schülern am nächsten Tisch widmete.
Einen Moment später, nachdem die Düfte der Kerze zu wirken begannen, fragte Ginny flüsternd: „Was glaubst du, was da drin ist?“ Sie deutete auf das Gläschen.
„Keine Ahnung“, lallte Draco, dessen Zunge plötzlich lahm geworden war. „Ich hoffe, es ist legal.“
Ginny schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen, doch das war offensichtlich nicht das, was Professor Trelawney angestrebt hatte. Das in diesem runden Klassenzimmer scharlachrote Dämmerlicht tat sein Übriges.
„Gut, dann gib mir nochmal deine Hand.“ Auch Ginnys Zunge stand mit einem Male ihren eigenen Worten im Wege, doch Draco schien das nicht einmal zu bemerken, denn er kam ihrer Aufforderung willig nach.
Nachdem Ginny für einige Minuten auf seine Handinnenfläche gestarrt hatte, wollte sie wissen: „Waren das vorhin die gleichen Linien?“
Über ihre Frage im ersten Moment irritiert antwortete er todernst: „Nein, ich hab sie heimlich unter dem Tisch ausgetauscht.“
Sie begann zu kichern, löste ihren Blick aber nicht von den vielen Rillen, Narben und Linien, bevor sie ihr Buch aufschlug und erneut seine Zukunft aus der Hand las.
Am Ende war Ginnys Pergament das Einzige von allen, welches vollständig beschrieben war, doch Draco konnte keinen Blick mehr drauf werfen, weil die Stunde bereits um war und Professor Trelawney die Aufgaben einsammelte.
„So, meine Lieben, wir sehen uns am Freitag. Da werde ich Ihnen die Arbeiten zurückgeben, und ein paar Auserwählte werden wir sogar vortragen. Vergessen Sie nicht, sich von dem Alltagsstress zu lösen, bevor Sie meinen Klassenraum betreten.“
Viele Schüler sprangen nach der Verkündung des Unterrichtsschluss von ihren Stühlen auf und verließen Professor Trelawneys Raum schneller als sonst den von Professor Snape. Nur die Schüler, auf deren Tisch ebenfalls so eine Kerze stand wie auf dem von Ginny und Draco, erhoben sich sichtlich träger, machten dabei einen leicht schläfrigen Eindruck, wenn nicht sogar einen beduselten.
„Ich könnte mich jetzt hinlegen und durchschlafen“, murmele Ginny, die ihre Schulsachen wie in Zeitlupe in ihre Tasche stopfte. Draco ging es nicht anders. Die beiden waren die letzten Schüler im Raum, als sie endlich von ihren Plätzen aufstanden und wie schlaftrunken zur Strickleiter torkelten. Schlurfenden Ganges war Ginny die Erste, die ihre Schulsache per Levitation nach unten beförderte, bevor sie sich niederkniete, um die Strickleiter durch das runde Loch im Boden hinunterzuklettern. Als ihre Unterschenkel bereits durch die Öffnung baumelten, erschrak sie, weil sie einen kurzen Aufschrei wahrgenommen hatte, der ihr augenblicklich ihre scharfen Sinne zurückgab.
Sie wandte ihren Kopf und sah, wie ein verschreckter Draco von Professor Trelawney gegen die Wand gedrückt wurde, während die Lehrerin mit befremdlicher Stimme sagte: „Ein jettschwarzes Symbol auf schneeweißem Grund kann nicht allein durch die Geheimnisse des Willens und seiner Gewalt schwinden. Feuer verzehrt, ein Brand erneuert. Erst nach dieser Reinigung wird seine Flamme es finden, das tränende Herz, um damit seine Wunden zu heilen.“
Professor Trelawney machte ein Geräusch, als hätte sie sich verschluckt, dann begann sie zu husten. Gleich darauf blickte sie auf und schien verwirrt. Neben sich schauend bemerkte sie Draco. Mit einer Hand fasste sie sich ans Herz, mit der anderen langte sie sanft an seine Schulter. „Oh Mr. Malfoy, haben Sie etwas gesagt?“
„Ich…“ Verdattert schüttelte er den Kopf.
„Dann sehen wir uns am Freitag.“ Zu Ginny schauend fügte sie hinzu: „Einen guten Appetit wünsche ich Ihnen.“
Es war Mittagszeit, doch weder Draco noch Ginny war nach einer Mahlzeit zumute.
„Robert?“ In den verdunkelten Raum hineinspähend wartete Alejandro auf eine Antwort und als keine kam, trat er ein, bevor er erneut den Namen sagte.
„Was ist?“
Der dünnen Stimme folgend ging Alejandro langsamen Schrittes zu einem Ohrensessel am Kamin, in welchem Robert saß. Der Anblick seines Freundes bestürzte ihn. Durch das Kaminfeuer, das auf seinem Gesicht tänzelte, warfen die eingefallenen Wangen einen Schatten, der es wie ein Totenschädel mit Bart wirken ließ. Robert wirkte kränklich und abgekämpft.
„Robert, die Leute warten“, unterrichtete er seinen Freund.
Als der Rothaarigen seinen Kopf drehte und die Schatten anders fielen, da sah er wieder wie lebendiger ein Mensch aus. „Was denn für Leute?“, hauchte er.
Ein beklemmendes Gefühl kam in Alejandro auf. Aus dem einst willensstarken Mann, der Hexen und Zauberern das Handwerk legen wollte, war ein Häufchen Elend geworden, das zudem einiges vergessen zu haben schien.
„Du sagtest, wir müssen unsere alten Anhänger anschreiben. Einige von ihnen sind hier und wollen mit dir sprechen, wollen wissen, was du ihnen zu sagen hast.“
Ein Hauch Erkenntnis huschte über Roberts Gesicht, denn er erinnerte sich. Mit nur knapp dreißig Anhängern war er machtlos gegen die Magier, weswegen er die restlichen 170 wieder mobil machen wollte und zusätzlich auch neue Mitglieder für seine Sache gewinnen wollte.
„Wir müssen den Menschen von dieser Gefahr berichten.“ Die leise Stimme war kaum zu vernehmen, weswegen sich Alejandro neben Robert kniete und zuhörte. „Hab ich dir je erzählt“, Robert blickte ihn mit müden Augen an, „dass sie es auf mich abgesehen haben, nur weil ich der Blutlinie von Matthew Hopkins entspringe?“
„Wessen Blutlinie?“
„Er war seinerzeit ein gefürchteter Mann, hat Hexen verhört und hängen lassen. Für diese magischen Missgeburten hatte er ein Gefühl und ich habe dieses Gefühl geerbt. Ich spüre es, wenn eine Hexe neben mir steht.“ Roberts Augen wanderten zurück zum Kaminfeuer, von dem er sich hypnotisieren ließ. Gedankenverloren schilderte er: „Einmal war es in einem Buchladen, kurz vor Ladenschluss. Sie stand neben mir und dachte, sie könnte sich frei und unerkannt in unserer Welt bewegen, aber vor mir konnte sie ihre teuflischen Kräfte nicht verbergen. Ich bin ihr nachgegangen, hab sie zur Rede gestellt, warum sie mir folgen würde.“ Er lachte schwächlich. „Sie sagte doch glatt, dass ich ja wohl derjenige wäre, der ihr folgen würde und nicht andersherum. Diese kleine…“ Er stoppte sich und fuhr anders fort. „Ich habe ihr gezeigt, dass man das mit mir nicht machen kann.“ Alejandro dachte sich den fehlenden Teil, denn Robert hatte sich der Frau sicherlich entledigt. „In ihrer Tasche fand ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Zauberstab! Da habe ich gewusst, dass dieses magische Volk seine Leute auf mich angesetzt hat, sie mir diese Kopfschmerzen bereiteten, nur weil jemand, mit dem ich zufällig verwandt bin, solche schlimmen Dinge getan hat.“
Sein Gefühl sagte Alejandro, dass Robert am liebsten von alledem unangetastet sein wollte; mit Hexen und Zauberern nicht konfrontiert werden wollte, doch es waren die, die sich ihm ständig genähert hatten.
„Ich zeig dir den ersten Stab, den ich genommen habe!“
Nur mit Mühe konnte sich Robert aus dem Ohrensessel erheben. Für einen Moment musste er sich an der Rückenlehne festhalten, denn sein Kreislauf schien versagen zu wollen. Tief durchatmend nahm Robert einige Schritte bis zum Schlafzimmer. Aus seinem antiken, hölzernen Nachttisch zog er einen langen Stab, den er Alejandro vor Augen hielt.
„Das hat mir meine jahrelange Vermutung bestätigt, dass mich die Hexen verfolgen und mir diese Qualen bereiten. Keine Paranoia, wie man mir weismachen wollte… Nein, das ist alles echt!“
Der dreißig Zentimeter lange, weiße Stab war in dem dämmrigen Raum gut zu sehen. Ohne seine Augen von dem Zauberstab zu lassen, ging Alejandro auf Robert zu, der derweil schilderte: „Ab diesem Tag an habe ich die Welt mit anderen Augen gesehen und vor allem habe ich die Augen offen gehalten. Eine Offenbarung, Alejandro. Bis dato wusste ich nämlich nicht, ob ich verrückt war oder nicht, doch dieser Stab hat mir bewiesen, dass ich mich nicht irren konnte. Die Hexen waren da, um mich herum und sie warteten nur darauf, mich mit ihren Flüchen zu peinigen. Wenn ich jemandem in die Augen gesehen habe, dann wusste ich auf Anhieb, ob er gut oder schlecht war.“
Robert reichte ihm den Stab, den Alejandro mit Ehrfurcht entgegennahm, doch er wirkte so anders als die Stäbe, die sie ihren Opfern sonst abgenommen hatten. Mit einem Male traf es ihn wie der Schlag, als er das Material begutachtete. Dies war kein Zauberstab, es war ein Taktstock. Ein Dirigentenstab aus weißem, stabilem Fiberglas mit einem Griff aus Kork. Robert hatte damals keine Hexenmeisterin, dafür aber sehr wahrscheinlich eine Orchesterleiterin vom Leben zum Tode befördert. Diese Gewissheit ließ Alejandro einen kalten Schauer den Rücken hinunterlaufen. Seine Befürchtungen, Robert wäre seit einiger Zeit geistig nicht mehr auf der Höhe, hatten sich bewahrheitet. Doch nicht nur seit einigen Wochen war Robert seltsam geworden, denn der Stab, wenn es tatsächlich der erste gewesen war, den er einem seiner Opfer abnehmen konnte, musste seit Jahrzehnten in Roberts Besitz sein. Seit Jahrzehnten war Roberts Geist verdreht. Diese Gewissheit war wie ein Schock für Alejandro.
„Was hast du?“, fragte Robert skeptisch.
„Nichts“, erwiderte er wie aus der Pistole geschossen, bevor der den Taktstock an Robert zurückgab, der ihn wieder im Nachttisch verstaute.
Ihm schossen sämtliche Gespräche und Erlebnisse durch den Kopf, die Robert nicht mehr als den Welt verbessernden Menschen darstellte, sondern als einen verwirrten und kranken. Ein simpler Dirigentenstab hatte ihn in seinem Verfolgungswahn bestätigt und seine Fantastereien über Hexen und Zauberer, die nur böses im Schilde führten, auf ungesunde Weise aufblühen lassen. Doch Alejandro wusste auch, dass es unter dem magischen Volk, das wirklich existierte, Verbrecher gab. Jene, die seiner Frau eine unverzeihliche Schmach angetan hatten, so dass sie ihr Leben aus freien Stücken beendete. Solche, die die drei Söhne von Claudine und Jacob auf herablassende Weise behandelt und grundlos ermordet hatten. Alejandro bezweifelte zum ersten Mal seit Jahren, dass die magische Welt durchweg solche Scheusale hervorbrachte, denn wenn er einen Blick auf die eigene Welt warf, wurde er eines Besseren belehrt. Mörder, Vergewaltiger und Kinderschänder waren nicht ausschließlich Ausgeburten der magischen Gesellschaft.
„Wir werden diese Schule angreifen“, hauchte Robert. „Irgendwie…“
„Wir kommen nicht mal in die Nähe! Tyler hat es versucht, aber diese Schutzzauber, von denen Alex und Arnold gesprochen hatten, wirken. Man kann sich der Schule nicht nähern.“ Es missfiel Alejandro, momentan über einen möglichen Angriff zu sprechen. Lieber würde er mit Jacob, von dem er wusste, dass er Robert nicht mehr verblendet an den Lippen hing, ein Gespräch suchen.
„Dann müssen wir häufiger in Hogsmeade präsent sein. Kann sich da nicht jemand von uns ein Zimmer mieten? Wenn man denen sagt, man wäre ein Squib, dann würden die gar nicht wissen, dass wir gar keine Zauberer sind.“ Einen Augenblick schien Robert nachzudenken, bevor er fragte: „Die Höhle ist leergeräumt?“
„Man hat die meisten Kisten abtransportiert. Tyler konnte die wenigen, die weiter hinten lagerten, später herausholen.“
Robert seufzte. „Woher soll ich noch Munition nehmen? Ich habe meine Kontakte dafür längst aufgebraucht. Wir müssten sie kaufen, aber dann wird sicherlich die Regierung auf mich aufmerksam.“ Er wandte sich Alejandro zu und flüsterte: „Die haben es auch auf mich abgesehen!“ Paranoid blickte sich Robert in seinem Schlafzimmer um. Nur einmal fiel sein Blick auf das Gemälde von Matthew Hopkins. „Diese ganzen Steuerprüfungen, die Unterlassungsklagen… Die stecken mit den Hexen unter einer Decke! Vielleicht sollten wir auch in unserer Welt ein wenig“, er legte den Kopf schräg, „aufräumen?“
Nun hatte Alejandro wirklich Angst bekommen. Es war eine Sache, die Übeltäter, die seine Frau auf dem Gewissen hatten, zu finden und unschädlich zu machen. In all den Jahren war sein Rachegefühl bereits gedämpft, doch Robert hatte ihm immer wieder vor Augen gehalten, dass es anderen auch so wie ihm und Pablo ergehen könnte und deswegen hatte er seinen Hass auf Hexen willig schüren lassen. Die Überlegung, nun auch in der eigenen Welt Leute aus dem Weg zu räumen, war keinen einzigen Gedanken wert. Innerlich hatte sich Alejandro von Robert abgewandt, doch seine gute Stellung bei ihm gab er noch nicht auf, denn nur an dessen Seite konnte in Erfahrung bringen, was als nächstes geplant wäre.
Die Tagesplanung im Zaubergamot stand für heute bereits fest.
Man hatte Lucius in einen riesigen Raum mit steinernen Wänden geführt, in dem es nach dem Erlebnis mit den lauten Journalisten befremdlich ruhig war. Im Licht der vielen Fackeln erkannte er Rosalind Baltimores bewegungslose Miene. Sie war wie ihre Kollegen mit einer pflaumenblauen Robe bekleidet, auf deren linker Brust man ein silbernes Z lesen konnte. Nach einer auffordernden Handbewegung hatte Lucius sich auf den Stuhl in der Mitte des Raumes gesetzt. Ohne Übergang wurden seine magischen Handfesseln aufgehoben und sogleich durch die des Stuhles ersetzt, so dass er sich kaum noch regen konnte. Es war ein erniedrigendes Gefühl, in so einer hilflosen Position von den Gamotmitgliedern, die im Halbkreis auf ansteigend angeordneten Bänken um ihn herumsaßen, angestarrt zu werden. In der Regel wurden Verhandlungen in den noch viel größeren Räumen im zehnten Stock gehalten, doch da die Öffentlichkeit und auch die Presse von diesem Ereignis ausgeschlossen war, hatte man einen kleineren, aber dennoch für einen Häftling einschüchternd weitläufigen Raum gewählt. Ebenfalls abweichend von anderen Verhandlungen war, dass die Mitglieder des Gamots durchweg aus Angestellten des Ministeriums bestanden und nicht wie üblich auch andere angesehene Vertreter der magischen Gesellschaft eine Stimme für oder gegen eine Verurteilung abgeben durften, wofür Lucius dankbar war, denn die anwesenden Menschen tanzten zur Hälfte nach seiner Pfeife – hoffte er zumindest.
Womit Lucius gar nicht gerechnet hatte war Griselda Marchbanks. Die betagte Frau hatte damals aus Protest ihr Amt niedergelegt, nachdem Fudge Dumbledore aus dem Gamot ausgeschlossen hatte. Bei ihr hätte er schlechte Karten, das wusste er, denn sie war eine gute Freundin von Augusta Longbottom und war wahrscheinlich aus erster Hand darüber informiert, was damals während des Kampfes im Ministerium geschehen war. Da die Frau bereits weit über zweihundert Jahre alt war, konnte er nur hoffen, dass ihr Gedächtnis nicht mehr allzu gut arbeitete oder sie während der Verhandlung ins Grab sinken würde.
Mr. Duvall nahm neben ihm an einem kleinen Tisch Platz, auf dem er etliche Unterlagen ablegte.
„Mr. Malfoy.“ Die weibliche Stimme hallte in dem hohen Raum nach. Lucius blickte nach vorn in das kalte Gesicht der Gamotvorsitzenden. „Ihre Identität wurde bereits magisch festgestellt. Zuerst werden Ihnen Fragen gestellt werden, die Sie wahrheitsgemäß beantworten. Zu jedem Punkt werden wir uns Notizen machen, um die spätere Befragung unter ’Veritaserum Plus’ vorzubereiten. Es wäre von Nachteil, sollten Sie lügen oder nicht die ganze Wahrheit sagen. Haben Sie das verstanden?“
Er fragte sich, ob sie ihn für unterbelichtet hielt, doch er antwortete höflich: „Natürlich, Mrs. Baltimore.“
Sie nickte und blätterte in ihren Papieren.
„Ihnen wird vorgeworfen“, las sie mit gefühlskalter Stimme von einem Pergament ab, „Mitglied einer gesetzeswidrigen Organisation zu sein. Was haben Sie dazu zu sagen?“
Gerade holte Lucius Luft, da sprach sein Beistand, ohne den Blick von den Akten zu erheben. „Mrs. Baltimore, wenn ich mich zu dem ersten Vorwurf beziehungsweise der sehr unglücklich gewählten Ausformulierung äußern dürfte?“
Ein Raunen ging durch die Menge und Lucius hatte arge Mühe, nicht laut loszulachen, als er die empörten Blicke der Gamotmitglieder bemerkte.
„Was denn für eine ’unglücklich gewählte Ausformulierung’?“, fragte jemand, dessen Name Lucius nicht kannte.
„Nun“, Sid blickte auf, „Mitglied kann Mr. Malfoy schon deshalb nicht mehr sein, weil es diese ’Organisation’ seit geraumer Zeit nicht mehr gibt, nicht wahr? Formulieren Sie das bitte um und verwenden Sie entsprechende Vergangenheitsform. Es soll doch alles seine Richtigkeit haben. Darüber hinaus muss erst geklärt werden, unter welchen Umständen Mr. Malfoy überhaupt dieser Organisation beigetreten ist.“
„Was soll der Unfug?“ Die Stimme kam von einem rundlichen Herrn, der leider nicht auf Lucius’ Liste stand.
„Was das soll?“, wiederholte Sid in arrogantem Tonfall. „Das soll heißen, dass wir klären müssen, wann Mr. Malfoy der Organisation beigetreten ist und ob für diesen ersten Anklagepunkt nicht gar das Minderjährigenstrafgesetz angewandt werden muss.“
„Wer sind Sie überhaupt?“ Die erbost klingende Frage wurde von demselben rundlichen Herrn gestellt.
„Ich, Mr. Logan, bin Sid Duvall – derjenige, der vom Ministerium persönlich als Beistand an Mr. Malfoys Seite gestellt wurde.“
Mrs. Baltimore schritt ein. „Dann in Bezug auf den ersten Anklagepunkt meine erste Frage an Mr. Malfoy. Wie alt waren Sie, als Sie das dunkle Mal angenommen haben?“
Mit erhabenen Gesichtsausdruck antwortete Lucius: „Ich war erst fünfzehn.“
Die Gamotmitglieder steckten ihre Köpfe zusammen und tuschelten, während Sid mit einem selbstgefälligen Grinsen in der Akte Malfoy blätterte.
„Wir werden klären, ob hierfür das Minderjährigenstrafgesetz angewandt werden wird.“ Rosalinds steinerne Miene ließ bereits erste Anzeichen von Wut erkennen.
„Oh“, machte Sid. „Aber es wird angewandt werden müssen. Was würde nur die Öffentlichkeit dazu sagen, dass man die Straftaten eines Fünfzehnjährigen handhabt wie die eines Erwachsenen? Das wäre nicht richtig.“
Lucius presste seine Lippen zusammen und amüsierte sich still.
„Wir gehen zum nächsten Punkt über und werden später noch alle Unklarheiten zur Behandlung des ersten Anklagepunktes beseitigen.“ Zum Angeklagten sagte Rosalind: „Ihnen wird zudem der Vorwurf der Erpressung gemacht.“
Bevor die Gamotvorsitzende genauere Angaben zur Anschuldigung machen konnte, warf Sid die Frage ein: „Handelt es sich um einen neuen Vorwurf oder lediglich um den, der bereits vor elf Jahren von der Abteilung für magische Strafverfolgung bearbeitet wurde?“ Er nahm eine aufgeschlagene Mappe zur Hand und blätterte kurz darin herum, bevor er sagte: „Ah ja, damals sind alle Schulräte befragt worden und keiner von ihnen hat Beweise für eine vermeintliche Erpressung vorbringen können, so dass der Fall ad acta gelegt wurde. Mr. Malfoy ist für diesen Punkt niemals angeklagt worden.“
Davon wusste Lucius gar nichts, weswegen er seinen Beistand Respekt zollend von der Seite betrachtete. Wie es aussah, dachte Lucius, hatten sich damals durchaus einige der Schulräte beim Ministerium über sein Auftreten beschwert, weil sie in seiner „Überredungskunst“, mit der er dazu auffordern wollte, für Dumbledores Ablösung als Direktor zu stimmen, eine Drohung ausgemacht haben wollten.
Abermals ergriff Sid das Wort und er deutete auf seine Unterlagen, bevor er deren Inhalt mündlich wiedergab. „Die Anschuldigungen gegen Mr. Malfoy waren haltlos gewesen. Die damaligen Aussagen der Schulräte haben für eine Anklage nicht ausgereicht. Will man das nach so langer Zeit plötzlich ändern?“ Ganz klar war seine Missbilligung herauszuhören. „Das würde nämlich bedeuten“, Sids Stimme war schmierig, „dass die Mitglieder des Schulrates ihre damaligen Aussagen“, er wedelte mit einem Schwung Papiere, „erst zurückziehen müssten, um neue machen zu können.“
Lucius rief sich ins Gedächtnis, was Dumbledore sinngemäß über die Schulräte gesagt hatte, als er ihn Ende des zweiten Schuljahres seines Sohnes im Büro besucht hatte. „Seltsamerweise, Lucius, hatten mehrere von ihnen den Eindruck, Sie verfluchen womöglich ihre Familien, wenn sie ihre Zustimmung zu meiner Suspendierung verweigern.“ hatte Dumbledore ihm damals an den Kopf geworfen. Es war nur eine Vermutung gewesen, aber mit Vermutungen konnte man niemanden vors Gamot zerren.
„Ich…“ Rosalind war ganz verlegen, denn es gab offensichtlich keinen anderen Fall, in dem man Lucius Erpressung vorwerfen konnte.
„Dachte ich’s mir“, säuselte Sid fies grinsend. „Es würde doch seltsam aussehen, sollte man plötzlich diesen längst erledigten Fall erneut aufrollen. Das könnte den Eindruck erwecken, der Fall wäre damals fehlerhaft behandelt worden, was kein gutes Licht auf die Abteilung für magische Strafverfolgung werfen würde.“ Sid hob eine Augenbraue. „Wenn darüber hinaus noch die damaligen Aussagen überraschend geändert werden, könnte man womöglich auch zu der Überlegung kommen, der Fall würde manipuliert werden, um Mr. Malfoy etwas anzuhängen.“
So oder so würde das Zaubergamot nicht gut dastehen, sollte man den Erpressungsfall in der aktuellen Verhandlung einfließen lassen.
Der rundliche Herr konnte sich nicht mehr halten. „Mr. Duvall, was fällt Ihnen ein? Wenn Sie das Zaubereiministerium solcher Manipulationen beschuldigen…“
„Entschuldigen Sie bitte“, warf Sid übermäßig freundlich mit einer stoppenden Geste seiner Hand ein. „Ich beschuldige niemanden, wirklich nicht. Ich habe nur dargestellt, wie diese Dinge von der Öffentlichkeit aufgenommen werden könnten.“
„Die Öffentlichkeit“, keifte der Dicke mit dem hochroten Gesicht, „ist von der Verhandlung ausgeschlossen!“
„Oh ja, das mag sein, aber wissen Sie… Ich als Mr. Malfoys Beistand bin auch gleichzeitig sein Sprecher – auch vor der Presse, die dort draußen“, er zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger zur Tür, „auf jede noch so kleine Information wartet, die heute Abend gedruckt in den Zeitungen zu lesen sein wird. Meinem Antrag, dieses Stockwerk für die Presse zu sperren, wurde ja bedauerlicherweise nicht stattgegeben.“
Die Presse war leicht zu manipulieren, das wusste Lucius nur zu gut. Nicht nur Miss Kimmkorn hatte es damals vorgemacht, sondern die gesamte Redaktion des Tagespropheten, die sich von Minister Fudge für seine Sache hatte benutzen lassen. Auch Duvall, davon war Lucius überzeugt, hätte mit seiner erhabenen Art sicherlich Einfluss auf die Medien, allein schon deshalb, weil er der Beistand von Lucius Malfoy war. Dem Tagespropheten wäre es egal, wen man in der Luft zerfetzte – ob man sich die Finger über Lucius Malfoy wund schrieb oder über die ans Tageslicht gekommenen Unrichtigkeiten des Ministeriums herzog. Jeder Skandal verkaufte sich gleich gut.
Alle Gamotmitglieder blickten zu Rosalind, die einmal kräftig schlucken musste. „Wir werden diesen Punkt aus der Anklageschrift streichen, Mr. Duvall. Kommen wir zum nächsten. Der Besitz schwarzmagischer Gegenstände.“
Jedes Augenpaar ruhte auf Sid, doch der – zum Erstaunen aller – hielt den Mund und hörte aufmerksam zu.
„Es ist bewiesen, dass Sie, Mr. Malfoy, im August 1992 in Flourish und Blotts heimlich ein schwarzmagisches Buch an Miss Ginevra Molly Weasleys gegeben haben, die zu diesem Zeitpunkt erst elf Jahre alt war. Dieses Buch, wie man später erfahren hat, war ein altes Schulbuch von Tom Riddle – Voldemort –, verhext mit einem Zauber, der von Miss Weasley Besitz ergriffen hatte, wodurch sie in der Lage gewesen war, die sogenannte ’Kammer des Schreckens’ zu öffnen, was wiederum die Insassen einer Lehranstalt gefährdet hat.“
„Wenn ich etwas einwerfen dürfte?“, fragte Sid außerordentlich höflich mit einem provozierend milden Lächeln auf den Lippen.
Die Vorsitzende gestattete ihm das Wort und er räusperte sich zunächst.
„Mr. Malfoy wird nicht abstreiten, dass es sich bei dem Buch um ein schwarzmagisches gehandelt hatte, auch nicht, dass es einst Tom Riddle gehörte, denn der Name stand ja, wie ich den Unterlagen entnehmen durfte, gut leserlich auf dem Objekt. Allerdings war Mr. Malfoy nicht darüber informiert, welche Macht dieser Gegenstand innehaben würde, geschweige denn, dass er von kleinen Mädchen Besitz ergreifen könnte. Ihm selbst ist nie etwas geschehen, wenn er darin blätterte.“ Er blickte einmal zu Lucius hinüber, der bestätigend nickte. „Mr. Malfoy wollte sich dieses Buches entledigen und im gleichen Atemzug einen damaligen, verhassten Kollegen – den Vater des Mädchens – in eine missliche Lage bringen. Zugegeben, das war kein netter Zug. Mr. Malfoy wird aber sicherlich unter Veritaserum bestätigen, dass seine Absichten, das Buch in die Hände eines Mädchen zu legen, nicht der Motivation entsprang, Kinder in Gefahr zu bringen.“
„Darüber zu urteilen, Mr. Duvall, werden Sie uns überlassen müssen“, zeterte Rosalind, die von diesem Beistand langsam genug hatte.
Davon ließ sich Sid nicht abschrecken. „Ich denke, für den Besitz von schwarzmagischen Gegenständen – in diesem Fall nur einem – darf mein Mandant aufgrund der geltenden Gesetze mit einer hohen Geldstrafe rechnen?“
Es war nicht als Frage gedacht, sondern deutlich als Empfehlung.
Mit vor unterdrückter Wut ganz rotem Gesicht zischte die Vorsitzende böse: „Wir werden klären, warum Mr. Malfoy das Buch in die Hände eines unschuldigen Schulmädchens gegeben hat.“
Lucius betrachtete Fortunatos Storm, der damals gemauschelt hatte, um einen Vergissmich auf den Freund der eigenen Tochter zu hetzen, der die Erinnerungen des Squibs an die Verlobung mit dieser reinblütigen jungen Dame gelöscht hatte. Fortunatos blickte verängstigt drein und schien zu hoffen, dass Rosalind ihre Abneigung gegen den Angeklagten im Zaum halten würde. Er würde wahrscheinlich gleich über das Urteil abstimmen wollen – mit „nicht schuldig“.
„Der nächste Punkt: Störung der Öffentlichen Ordnung. Mr. Malfoy wird vorgeworfen, auf der Quidditch-Weltmeisterschaft 1994 Sachbeschädigung begangen zu haben wie auch gegen das Gesetz zum Schutz der Muggel verstoßen zu haben.“ Sid blickte auf und bat nonverbal darum, das Wort zu ergreifen, weswegen Rosalinds Augenlid nervös zuckte. „Mr. Duvall, möchten Sie dazu etwa was sagen?“
„Wenn Sie mich schon so nett bitten! Ich habe mich an ähnlichen Fällen der Vergangenheit orientiert. Ein Verstoß gegen das Gesetz zum Schutz der Muggel wird in der Regel mit zwei Monaten Haft als Höchstmaß und einer Geldstrafe in Höhe von maximal 1.500 Galleonen geahndet, während die Muggel in die Obhut der Vergissmich kommen.“
Bei dem Wort „Vergissmich“ blickte Lucius erneut zu Fortunatos hinüber und ihre Blicke trafen sich.
„Ich denke“, fuhr Sid fort, „dieser Punkt bedarf keiner besonderen Klärung. Mr. Malfoy bekennt sich dieser Tat schuldig und wird das Höchstmaß erwarten.“
Für Lucius war es angenehm, nicht reden zu müssen. Erfreut hörte er seinem Beistand zu, wie er dem Gamot furchtlos gegenübertrat und sich von niemandem einschüchtern ließ. Der Mann hatte offensichtlich nichts zu verlieren, denn Mr. Duvall hatte von sich selbst gesagt, man würde ihn im Ministerium hassen. Und dass er gründlich arbeitete – zu gründlich, wie Mr. Duvall einmal betont hatte –, konnte für Lucius nur von Vorteil sein.
Auf ihrem Pergament machte Rosalind einige Notizen, bevor sie aufblickte. „Gegen die beiden Unverzeihlichen haben Sie aber nichts zu sagen?“ Sie klang sehr siegessicher.
„Nein, Mrs. Baltimore. Es wird sich in dem Verhör mit Veritaserum herausstellen, dass Mr. Malfoy zu dem Zeitpunkt, als er Sturgis Podmore und Broderick Bode unter den Imperius-Fluch gestellt hatte, selbst unter einem stand.“
„Wie bitte?“, fragte Rosalind verdutzt nach.
„Sie wissen doch sicherlich, dass in der Vergangenheit viele Menschen grausame Taten begangen haben, weil sie durch einen Imperius gelenkt wurden.“
Man konnte damals nie genau wissen, wer log und wer die Wahrheit sagte.
„Die Aussagen, die Mr. Malfoy dazu zu gegebener Zeit unter Veritaserum machen wird, könnten Ihnen, verehrte Anwesende, vor Augen führen, welche Intentionen er selbst gehabt hatte.“ In seinen Unterlagen blätternd schlug er eine bestimmte Seite auf, in der er kurz las. „Mr. Podmore ist nach sechs Monaten Haft wieder aus Askaban entlassen worden. Einen bleibenden Schaden hat er von dem Fluch nicht davongetragen. Dass Mr. Broderick einer Teufelsschlinge zum Opfer gefallen war, ist nicht die Schuld meines Mandanten – höchstens die der Krankenhausführung oder Stationsleitung, die eine Teufelsschlinge nicht von einer normalen Topfpflanze unterscheiden konnte.“ Zum Ende hin klang Sid absichtlich sehr verachtend. „Alles andere, was die beiden Unverzeihlichen betrifft, die Mr. Malfoy nachweislich mit seinem Zauberstab ausgeführt hatte, wird später noch geklärt werden können. An dieser Stelle möchte ich aber auf ähnliche Fälle verweisen, in denen den Angeklagten zwar nachgewiesen worden war, gegen das Gesetz verstoßen zu haben, jedoch nicht bewiesen werden konnte, ob sie oder ob sie nicht selbst von diesem Fluch eingenommen waren.“
Es hatte so viele Fälle gegeben, die dem Ministerium Kopfschmerzen bereitet hatten. Meistens hatte man die Anklage aus Mangel an Beweisen fallenlassen müssen. Veritaserum Plus konnte einen zwar dazu bringen, alle Erinnerungen an eine Tat – auch die eigenen Gedankengänge – zu schildern, aber eine Schilderung allein war kein eindeutiger Beweis. Nicht immer war es zu spüren, ob man durch einen Imperius gelenkt wurde, zum Beispiel wenn die Magie des anderen wesentlich kräftiger war als die eigene.
„Zu dem Anklagepunkt, zwei Unverzeihliche angewandt zu haben, werden wir Mr. Malfoy noch ausführlich befragen“, versicherte Rosalind verbissen, während sie einen Blick auf die Anklageliste warf. „Einbruch und versuchter Raub in Zusammenhang mit Körperverletzung und Zerstörung von Ministeriumseigentum macht den nächsten Anklagepunkt aus.“ Es wurde der Vorfall in der Mysteriumsabteilung angesprochen.
Sid schaute einmal zu Lucius hinüber, der die Sitzung zu genießen schien, bevor er die Vorsitzende anblickte. „In diesem Fall“, Sid hörte, wie jemand stöhnte, „verlange ich sogar eine Anhörung unter dem Einfluss des Wahrheitsserums, denn mein Mandant wird bestätigen, dass nicht er den ersten Fluch abgefeuert hat. Er selbst hat seinen Stab erst gehoben, als er sich verteidigen musste.“
Das alles musste sein Beistand aus den Gesprächen während der wenigen Besuche herausgehört haben, dachte Lucius, aber es war auch sehr wahrscheinlich, dass er sich alle Unterlagen besorgt hatte, wie zum Beispiel die Verhöre der Hogwarts-Schüler und Auroren.
Als er sich die Szenerie in der Mysteriumsabteilung ins Gedächtnis zurückrief, da konnte er nicht einmal sagen, wer genau angefangen hatte. Wahrscheinlich war es eines der Kinder gewesen, woraufhin Bellatrix in die Defensive gegangen war. Er selbst hatte sich nur gegen die niedlichen Flüche der Schüler verteidigt und später, als die Auroren gekommen waren, um sein Leben gekämpft. Töten wollte er niemanden, auch wenn es ihm beim Anblick des Schlammbluts für einen Moment in den Fingern gejuckt hatte.
Den Anklagepunkt auseinander nehmend erklärte Sid: „Ich empfehle, während einer Befragung unter dem Einfluss von Wahrheitsserum zu prüfen, ob tatsächlich der Tatbestand des Einbruchs erfüllt wurde. Mr. Malfoy was zu jener Zeit hier angestellt und hatte für die Mysteriumsabteilung sogar eine Zutrittsberechtigung, wenn auch eine eingeschränkte. Was den versuchten Raub betrifft…“ Sid hob beide Augenbrauen. „Es war nicht Mr. Malfoy gewesen, der als Erster nach der Prophezeiung gegriffen hatte, nicht wahr?“
Es war Potter gewesen, dachte Lucius, denn niemand außer ihm oder dem Dunklen Lord hätte sie berühren können, ohne um den Verstand fürchten zu müssen.
„Zur Körperverletzung hatte ich mich bereits geäußert. Mr. Malfoy hatte sich lediglich verteidigt. Kommen wir zur Zerstörung von Ministeriumseigentum. Während einer Auseinandersetzung von solchem Ausmaß gehen nun einmal Dinge zu Bruch. Wie ich den Zeugenaussagen von damals entnehmen kann, war es eine Schülerin gewesen, die den größten Schaden verursachte und für die Zerstörung von unzähligen Glaskugeln und den in ihnen aufbewahrten Prophezeiungen verantwortlich gemacht werden muss.“ Mit festem Blick schaute er der Gamotvorsitzenden in die Augen. „Mr. Malfoy wird sich aber dazu bereit erklären, für den von ihm angerichteten Schaden eine finanzielle Entschädigung zu gewährleisten. Natürlich nur anteilig und unter der Voraussetzung, dass man für den Schaden einen gültigen Zeitwert nachweisen kann.“
Lucius wusste genau, auf was Duvall hinaus wollte. Einer Prophezeiung einen Wert zuzuschreiben war so gut wie unmöglich, aber für die billigen Glaskugeln würde er natürlich gern aufkommen, dachte er schmunzelnd – anteilig, versteht sich.
Die Gamotvorsitzende schien für einen Moment wie versteinert. Ihr Blick ruhte auf dem Beistand und man konnte nur ahnen, dass sie ihm in Gedanken gerade den Hals umdrehte.
„Das werden wir alles gern bis ins kleinste Detail prüfen, Mr. Duvall. Kommen wir zum letzten Anklagepunkt: Der Ausbruch aus Askaban.“
„Darf ich…“ Nicht nur ein Gamotmitglied rollte mit den Augen, doch man gewehrte Sid das Wort. „Nun, der Ausbruch aus Askaban war kein ’Ausbruch’ im eigentlichen Sinne, daran gibt es nichts zu rütteln. Er wurde durch die damals durch das Ministerium ’angestellten’ Dementoren ermöglicht. Mr. Malfoy wurde von anderen Todessern gegen seinen Willen mitgenommen. Ich möchte nicht bezweifeln, dass er bei so einer Gelegenheit gern geflohen wäre“, er warf Lucius einen Blick zu, „aber sicherlich nicht in Begleitung von Mrs. Lestrange und acht weiteren Todessern.“
„Wollen Sie uns damit etwa weismachen“, schnaufte Rosalind wütend, „dass Mr. Malfoy ’entführt’ worden wäre? Das ist lächerlich!“
„Oh, entführt sicherlich nicht. Er erlag dem Gruppenzwang. Hätte er sich gewehrt, dann darf man davon ausgehen, dass man ihn an Ort und Stelle als Verräter betitelt und im gleichen Atemzug niedergestreckt hätte. Man darf nicht vergessen, über welche Macht Voldemort verfügte. Man durfte sich nicht ungestraft gegen ihn auflehnen, aber in dieser Hinsicht gibt es ja auch genügend Fallbeispiele, die ich Ihnen bei Bedarf gern nennen werde.“
Für einen Moment war es ruhig; man hörte nur die Federn, die kratzend auf dem Pergament der Gamotmitglieder Notizen niederschrieben.
Das Wort richtete Rosalind an die anderen Gamotmitglieder. „Sie dürfen nun Ihre Fragen stellen. Später werden wir entscheiden, welche der Fragen wir unter dem Einfluss von Wahrheitsserum stellen werden.“
Der rundliche Mann hob die Hand und durfte sprechen. „Mr. Malfoy, in Bezug auf den zweiten Anklagepunkt ’Besitz schwarzmagischer Gegenstände’ interessiert mich Ihr Grundmotiv. Warum haben Sie einem elfjährigen Mädchen das Buch überlassen?“
Sid blickte zu Lucius hinüber und nickte, zeigte ihm, dass er antworten sollte, was er auch tat. „Nun, das Buch selbst habe ich vom…“ Lucius hielt inne. Bisher hatte er von Voldemort immer als „Dunkler Lord“ gesprochen, doch hier wollte er nicht den Eindruck erwecken, er wäre immer noch ein ergebener Diener des Verblichenen. „…von Voldemort erhalten.“ Der Name kam ihm schwer über die Lippen. „Ich sollte es aufbewahren, wurde aber nicht darüber informiert, um was es sich handelte. Als man meinen Ruf schädigen wollte, indem mein Haus nach schwarzmagischen Objekten durchsucht wurde, da wollte ich mich von diesem Buch befreien. Ich verband dieses Vorhaben gleich mit dem Nützlichen und gab das Buch in der Hoffnung der kleinen Miss Weasley, dass Albus Dumbledore und Arthur Weasley dadurch Probleme bekommen würden.“
Eine Frauenstimme wollte wissen: „Heißt das, Sie haben das Buch nicht nach Hogwarts eingeschleust, um in Voldemorts Sinne zu handeln?“
„Aber nicht doch. Zu diesem Zeitpunkt bin ich davon ausgegangen, Voldemort nicht noch einmal wiederzusehen. Ich wusste nur, dass das Buch schwarzmagisch sein sollte, aber egal, mit welchen Zaubern ich es überprüft habe – bei mir tat sich gar nichts.“
Der rundliche Mann notierte sich etwas, bevor er aufblickte. „Dann haben Sie diese beiden Männer in Misskredit bringen wollen?“
„Ja“, gab Lucius offen zu und er schämte sich nicht einmal dafür.
Einige Gamotmitglieder tuschelten miteinander. Es war Fortunatos Storm, der die Hand hob und nach Zustimmung von Rosalind eine Frage stellen durfte.
„Dann haben Sie, wie Ihr Beistand vorhin schon erwähnte, nicht gewusst, was das Buch anrichten könnte?“
„Nein, Mr. Storm.“ Lucius liebte kurze und knappe Antworten.
„Dann behaupten Sie“, sagte eine Frauenstimme links, „Sie hätten nicht darauf spekuliert, durch das Buch den Basilisk zu befreien?“
„Nein, ich hätte nicht einmal in meinen kühnsten Träumen erahnt, dass so ein Monster in den Tiefen Hogwarts haust. Hätte ich das gewusst, hätte ich meinen Sohn sicherlich nach Durmstrang schicken wollen.“
Lucius blickte zu Anthony Wildfire hinüber, der damals gegen ein kleines Bestechungsgeld dafür gesorgt hatte, dass Draco nicht aus Hogwarts, sondern aus Durmstrang einen Brief erhielt. Er lächelte ihm selbstherrlich zu, denn Wildfire war einer derjenigen, die auf seiner Liste standen und erpressbar waren.
„Sie haben das Buch also einzig aus dem Grund an Miss Weasley gegeben, damit…“
Lucius vervollständigte: „…damit die beiden Herren wegen jener Sache angeklagt werden, wegen der man mich in diesem Augenblick belangt: Besitz schwarzmagischer Gegenstände.“
Es war zu spüren, dass vielen Gamotmitgliedern die Antworten nicht gefielen. Momentan würde man ihn nur befragen, damit man später auf Einzelheiten eingehen könnte, die er unter Veritaserum erklären müsste, aber es schien, dass man zumindest wegen des schwarzmagischen Objekts keine weitere Befragung mehr benötigte.
Man stellte ihm weitere Fragen, die er ehrlich beantwortete. Sein Beistand war still geblieben, schrieb aber in einer außergewöhnlichen Geschwindigkeit das mit, was ihm wichtig erschien – also ausnahmslos alles.
„Wir legen eine Pause von einer Stunde ein. Mr. Malfoy, Sie werden in einen Raum geführt, in dem Sie speisen können.“ Rosalind erhob sich, was die anderen Gamotmitglieder ihr gleichtaten. Lucius hingegen wurde von den Fesseln des Stuhls befreit, um gleich darauf mit den Handfesseln bedacht zu werden, damit man ihn ein paar Türen weiter bringen konnte.
„Mr. Malfoy, bevor wir rausgehen…“ Sid beugte sich vor uns sprach ihm ins Ohr. „Die Presse wird Fragen stellen. Soll ich denen einen kleinen Abriss schildern oder möchten Sie das nicht?“
Lucius schüttelte den Kopf. „Warten wir noch etwas. Mir ist noch nicht ganz wohl bei der Sache.“
Auch nicht ganz wohl bei der Sache war Hermine, denn sie fühlte sich durch die Gesamtsituation überfordert. Erst hatte sie nur ihre Prüfung zur Heilerin gemacht, bevor sie die Ausbildung zur Tränkemeisterin angenommen hatte, was sie sich, wenn sie ehrlich war, sehr gemütlich vorgestellt hatte, doch dann kam noch so vieles dazu. Die Nachforschung wegen seines Problems, ihr eigener Farbtrank, die bevorstehende Präsentation bei Körperschaft der Zaubertränkemeister und die Prüfung zur Zaubertränkemeisterin, die sie noch vorher ablegen musste – das wäre schon sehr bald, für ihren Geschmack zu früh. Darüber hinaus belastete sie der Vorfall mit Svelte, aber besonders der mit Nerhegeb… In ihrem Kopf drehte sich alles, genauso wie in ihrem Magen.
Severus fehlte heute Morgen am Frühstückstisch, weswegen Remus neben ihr gesessen hatte. Weil sie so ein ernstes Gesicht machte, sprach er sie an.
„Warum so bedrückt, Hermine?“
Weil sie in Gedanken versunken war, hatte sie sich erschreckt, obwohl er ruhig gesprochen hatte. „Nichts, es ist alles in Ordnung.“
Er glaubte ihr nicht, ließ die Sache aber ruhen. „Kann ich dir noch wegen des Tranks irgendwie helfen?“
„Mir fehlt immer noch dieser blöde Steinregen.“ Sie klang sehr verbittert. „In keinem der Bücher steht geschrieben, wo man ihn finden könnte. Er könnte überall wachsen. Na ja, überall, wo es dunkel ist.“
„Mmmh“, machte Remus nachdenklich. „Ich werde mal sehen, was ich darüber herausfinden kann.“
In einer Freistunde nach der ersten Unterrichtsstunde mit Hufflepuff und Ravenclaw machte Remus einen kleinen Spaziergang, der ihn unerwartet in seine Vergangenheit katapultierte. Alles, was er sah – die steinernen Wände, die Wege, die Bäume – erinnerte ihn an seine eigene Schulzeit, die er rückblickend mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachtete. Sein Weg durch den Schnee führte ihn zu den Gewächshäusern. In der Nummer vier sah er hinter dem beschlagenen Glas einen sich bewegenden Schatten. Jemand war dort drinnen und schien zu arbeiten, weswegen Remus zum Eingang hinüberging und die Tür öffnete.
„Hallo Neville“, grüßte er seinen ehemaligen Schüler, dem er auf den von Harry geführten Ordenstreffen häufig über den Weg gelaufen war, doch leider hatte sich viel zu selten die Gelegenheit ergeben, sich mit ihm ein wenig persönlicher zu unterhalten.
Weil Remus ihn freundlich lächelnd zu mustern schien, fragte Neville unsicher: „Was?“
„Ich habe gerade an früher denken müssen. Du hast dich sehr verändert, bist ein ganzes Stück gewachsen.“ Remus war näher an den jungen Mann herangetreten und musste sogar nach oben blicken, was ihn amüsierte. „Du bist größer als ich.“
Neville schnaufte erleichtert, bevor er zustimmte. „Ich glaube, nur noch Hagrid und Albus überragen mich.“
Erst jetzt fiel Remus auf, dass Neville ganz erdige Hände hatte, was sein Interesse weckte. „Was machst du da?“
„Ich erforsche einen besonderen Nährhumus aus basenreichem Boden, deren Auflagehorizonte durch von mir gezüchtete Pilzhyphen miteinander verfilzt sind.“
Remus öffnete mehrmals den Mund, um sich zu äußern, aber es benötigte einen Moment, bis er über sich selbst spöttelnd sagen konnte: „Tut mir Leid, ich hab kein Wort verstanden.“
„Das macht nichts.“ Neville lächelte ihm ermutigend zu. „Dafür habe ich keine Ahnung von Zaubertränken. Und ich kann bis heute keine weite Strecken zurücklegen, wenn ich appariere.“
„Jeder hat seine Stärken und seine Schwächen“, stellte Remus in den Raum, worüber Neville stutzte.
„Ich wüsste nicht, was Sie für Schwächen hätten.“
„Ich war nicht besonders gut in Verwandlung, aber mit der Zeit lernt man vieles dazu. Heute würde ich wohl ein ’O’ bekommen.“ Sein Blick schweifte zu einer Ecke im Gewächshaus. „Was ist das dort hinten?“
„Ach, das ist nur Hermines Ecke. Liebstöckel und Johanneskraut“, erwiderte Neville.
Natürlich wusste Remus von den Pastillen, die Hermine damals an einige Mitglieder des Ordens verteilt hatte – die meisten an Harry.
„Es geht ihr doch gut oder?“
„Was?“ Neville wiederholte Remus’ Frage nochmals in Gedanken und schien sich ebenfalls an früher zu erinnern. „Ach so, nein, ich denke nicht, dass sie sie für sich selbst macht.“
„Nicht?“ In Sekundenschnelle ging Remus sämtliche Freunde durch. Als er an Severus denken musste, glaubte er die Antwort gefunden zu haben. „Oh.“
Die Gespräche mit Hermine und Harry fielen ihm wieder ein. Severus ging es schlecht, aber dass er sogar Hermines starke Stimmungsaufheller einnehmen musste, hätte er nicht erwartet. Andererseits hatte Hermine ihm gegenüber erwähnt, sie würde bei Severus eine Depression vermuten.
„Wie kommst du so mit ihm aus?“, fragte Remus nach seiner Assoziation. Nebenbei nahm er gedankenverloren einige Dinge in die Hand, die auf dem Tischchen herumlagen.
„Mit Severus?“ Die kurze Nachfrage ließ erkennen, dass auch Neville davon ausging, Severus würde die Pastillen bekommen. „Es geht. Ich hab nicht viel mit ihm zu tun. Warum fragen Sie?“
„Ich kann mich noch gut an das Schuljahr erinnern, in welchem ich hier Lehrer war. Er war immerhin dein Irrwicht.“
Neville lachte. „Ja, und ein lustiger noch dazu.“
Eine kleine Schaufel wieder auf den Tisch legend schilderte Remus belustigt: „Er war damals nicht gerade erfreut darüber, hat sogar geglaubt, ich hätte dich dazu angestiftet.“
Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er Neville geduzt hatte, doch dem machte das nichts aus.
Mit verhaltener Stimme erzählte Neville, während er dabei verträumt den Humus auf der Erde verteilte: „Ich hatte Angst vor ihm, bis er im sechsten Schuljahr geflohen war. Ein paar Monate nach Albus’ Tod saß ich mit Harry und Hermine in der Bibliothek im Grimmauldplatz. Sie haben miteinander gesprochen und ich hab alles gehört. Harry sagte, Snape hätte ihm noch bis zum Ende Ratschläge erteilt. Er hätte gesagt, er könnte jeden von Harrys Schritten vorhersehen und dass Harry endlich seinen Mund halten sollte.“ Neville blickte von seiner Arbeit auf. „Okklumentik und wortlose Zauber! Da hat Harry mit diesen Okklumentikübungen angefangen. Hermine hat ihm geholfen, soweit es ging, aber sie ist mit dem Thema nicht warm geworden.“
Aufmerksam hörte Remus dem jungen Mann zu, denn auch wenn er einige Dinge persönlich miterlebt hatte, war es doch etwas anderes, diese Erlebnisse von jemandem geschildert zu bekommen, der sie anders wahrgenommen hatte.
„Dass Harry wortlose Zauber bis zum Abwinken gelernt hat, das wissen Sie ja selbst. Okklumentik kann er auch sehr gut, auch wenn er meint, er könnte sich gegen Überraschungsangriffe kaum zur Wehr setzen. Na ja, Snape…“ Neville verbesserte, denn in den Erinnerungen hatte er den Tränkemeister stets beim Nachnamen genannt. „Severus habe ich erst wieder während der Schlacht gesehen, nur von weitem. Später saß ich mit ihm während der Ordensverleihung an einem Tisch, aber mit ihm gesprochen habe ich das erste Mal auf Ihrer Verlobungsf…“
Scheu blickte Neville auf, um zu prüfen, ob er mit diesem Thema eine alte Wunde aufgerissen haben könnte. Remus lächelte wie immer freundlich, doch die Verlobungsfeier anzusprechen hatte ihm nichtsdestotrotz einen kleinen Stich im Herzen verpasst.
„Tut mir Leid.“
„Nein, das ist schon in Ordnung, Neville.“ Er atmete einmal tief durch. „Weswegen ich eigentlich hier bin: Ich bin da auf ein Problem gestoßen, das mit Pflanzen zu tun hat und nun rate mal, wer mir eingefallen ist, der mir helfen könnte?“
Deine Hände an der Schürze abwischend erwiderte Neville: „Pomona hat um 14 Uhr Schluss und wird eine Viertelstunde später hier sein. Wenn Sie möchten, dann sage ich ihr…“
„Nein, nicht Pomona“, warf Remus vorgetäuscht empört ein, doch er musste lachen, weil Neville nicht zu verstehen schien. „Ich meine dich, Neville.“
„Aha…“ Neville schien dem Braten nicht zu trauen. „Warum ich?“
„Weil du Ahnung hast von“, er versuchte sich zu erinnern, „besonderen Pilzhorizonten und Basenhumus.“
Unerwartet brach Neville in Gelächter aus, was Remus dazu animierte, ebenfalls über sein eigenes Unwissen zu lachen.
„Ich werde es nicht verbessern“, versicherte Neville breit grinsend. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Also erst einmal: Wenn ich schon so frech bin und dich duze, dann steht dir das gleiche Recht zu.“
„Okay und was noch?“
„Es geht um eine Pflanze, die sich ’Gespenstischer Steinregen’ schimpft.“
Der junge Kräuterkundelehrling kniff skeptisch die Augen zusammen. „Warum gerade diese scheußliche Pflanze?“
„Warum scheußlich?“ Remus wusste von dieser Pflanze nicht sehr viel.
„Na ja, es gibt Zaubertränke, in denen sie verwendet wird, aber wegen ihrer negativen Wirkung sind es nur schwarzmagische Tränke.“
„Erzähl mir von den negativen Auswirkungen“, bat Remus, der sich mit dem Gesäß an einen Tisch lehnte und interessiert eine Augebraue hob.
„Die Wirkstoffe in den Fruchtkapseln der Pflanze können...“ Neville suchte nach Worten. „Wie soll ich das nur erklären? Sie können teilen und zwar alles Mögliche, das Fleisch wie auch den Geist, die Persönlichkeit, die Seele – und das sogar schon im unverarbeiteten Zustand. Ich habe von Händlern gehört, denen die Finger abgefallen sein sollen, als sie die Fruchtkapseln geerntet haben. Deswegen ’scheußlich’.“
Die Pflanze schien wirklich eine Ausgeburt der Hölle zu sein, dachte Remus und außerdem wollte er nicht, dass Hermine mit so einer Trankzutat herumexperimentiert. Es war schlimm genug, dass Severus das damals getan haben musste.
„Woher weißt du so viel über diesen Steinregen?“
Neville machte ein Gesicht, als hätte er versehentlich etwas preisgegeben. „Ich…“ Und nun schien er nach einem Weg zu suchen, sich aus dieser Situation wieder herauszuwinden. „Ich habe darüber in Büchern gelesen.“
„Ich auch“, stimmte Remus zu. „Ich habe die ganze Bibliothek auf den Kopf gestellt, aber sehr wenig gefunden. Das, was du zu erzählen hattest, stand in keinem der Bücher.“
„Na ja, es sind Pomonas Bücher. Da durfte ich mal welche lesen.“
Gerade heraus fragte Remus: „Das sind nicht zufällig schwarzmagische Bücher gewesen?“ Nevilles weit aufgerissenen Augen waren Antwort genug. „Habe ich mir fast gedacht.“ Remus lächelte dem Kräuterkundelehrling beschwichtigend zu, bevor er den Kopf schräg legte. „Meinst du, Pomona würde mir das Buch ausleihen?“
„Halte ich für möglich.“ Aus Nevilles Stimme war mit einem Male herauszuhören, dass er sich zu schämen schien.
„Sag mal, Neville, stand dort auch beschrieben, wo man diese Pflanze finden kann? Wo sie wächst, in welchem Land, an welchen Orten?“
Zuerst nickte Neville heftig und gab dann den Inhalt der Bücher wider: „Sie wachsen in Höhlen.“
’Überall, wo es dunkel ist’, wiederholte Remus Hermines Aussage von heute Morgen.
Einmal durchatmend fügte Neville hinzu: „Direkt auf Stein, sie brauchen keine Erde. Es muss stockdunkel sein, also findet man sie nur tief im Innern. Es gibt eine Debatte unter Kräuterkundlern, ob der Steinregen nicht auch Unterwasser wachsen kann, aber man vermutet, dass er zu viel Sauerstoff benötigt, um dort existieren zu können.“
„Und in welchem Land?“, wollte Remus noch wissen.
„Na, hier in Schottland!“
Im Hintergrund konnte man ein leises Läuten hören.
„Oh“, machte Remus. „Die kleine Pause beginnt. Danach muss ich wieder ran. Ich werde dann mal gehen, aber vielen Dank für das Gespräch.“ Er wandte sich bereits um, blieb an der Glastür des Gewächshauses, an der das Kondenswasser hinunterlief, noch einmal stehen. „Wegen der Bücher… Ich würde gern einen Blick hineinwerfen, Neville.“
Der nickte. „Ich werde Pomona Bescheid geben.“
„Danke, wir sehen uns nachher zum Mittag?“
„Ja.“
Nach der Pause gab es eine kleine Ansammlung vor der Strickleiter, die nach oben zu Professor Trelawneys Unterrichtsraum führte. Draco hielt die Leiter mit einer Hand fest, während eine Gryffindor die Höhe erklomm. Er wandte seinen Blick ab, um ihr nicht unter den Rock zu sehen, was jeder Schüler tat, denn es gehörte sich so. Er kletterte als Nächster hoch, doch vorher beförderte er mit einem Wingardium Leviosa seine Schulsachen nach oben, die von der Gryffindor entgegengenommen und neben der Luke auf den Boden gelegt wurden. So halfen sich die Schüler immer gegenseitig. Nachdem er oben angekommen war, ergriff er die in der Luft schwebenden Schulsachen, die hinter ihm gerade durch die Öffnung kamen, denn sie gehörten der nächsten Schülerin – Ginny.
Der Raum von Professor Trelawney war wie eh und je übermäßig geheizt, was im Winter allerdings sehr angenehm war. Die schwer in der Luft liegenden ätherischen Düfte ließen einen schon gleich nach Unterrichtsbeginn damit kämpfen, die bleiernen Augenlider daran zu hindern, sich zu schließen. Hinzu kam die Stimme der Professorin, die oftmals ruhig und engelhaft klang, doch es gelang ihr nie, ihrer Stimme entsprechend auch sylphidenhaft durch den Raum zu wandeln, denn immer stieß sie irgendwo an oder warf versehentlich etwas hinunter. Das waren die Momente, in denen die Schüler aus ihrem tranceähnlichen Zustand erwachten und mit einem verschmitzten Lächeln ihrer Schadenfreude Ausdruck verliehen, bevor sie erneut durch die Düfte benebelt in Sphären abdrifteten, in denen Professor Trelawney zu Hause zu sein schien.
Warum Draco „Wahrsagen“ belegt hatte? Weil es hier nicht auffiel, wenn er mal die Augen schloss und döste. Der Unterricht war entspannend, fast wie Meditation und außerdem würde es niemanden interessieren, ob er in diesem für sein weiteres Leben unwichtigen Fach ein T oder ein O erhalten würde. Momentan hatte er sich mit seiner letzten, erdachten Traumanalyse auf ein Annehmbar hochgearbeitet.
Dieses Mal konnte Draco nicht dösen, denn Ginny, die ihm gegenüber saß, hielt seine Hand, um aus ihren Linien die Zukunft zu lesen. Wahrscheinlich hatte sie dieses Fach aus demselben Grund belegt wie er.
„Sag mal“, Ginny zog die Augenbrauen zusammen, „ist das hier deine Lebenslinie?“
Mit ihrem Zeigefinger fuhr sie über eine der längeren Linien, womit sie Draco unbeabsichtigt kitzelte. „Nein, das ist die Erfolgslinie.“
„Oh“, machte sie erstaunt, bevor sie breit grinste. „Dann bist du mit deinen Geschäften länger erfolgreich als du am Leben bist!“
„Was?“ Er riss seine Hand aus der ihren, um sich die Innenfläche anzusehen.
„Die Lebenslinie ist unterbrochen“, erklärte sie.
„Das ist nur eine Narbe, die Linie geht darunter weiter.“
Ginny beugte sich über das runde Tischlein zu ihm hinüber, was ihr schwerfiel, denn sie drohte in den weichen Polstern des Chintz-Sessels zu versinken.
„Ich schreibe einfach, dass du in Zukunft einmal dem Tod von der Schippe springen wirst und danach ein neues Leben beginnst. Auf so was steht sie.“
„Das liegt aber schon in der Vergangenheit.“
„Das weiß sie doch nicht.“ Mit ihrer Feder machte Ginny sich Stichpunkte zu den Rillen und Linien auf Dracos Handinnenfläche und ihrer möglichen Bedeutungen, bevor sie ihm ihre Hand hinhielt. „Jetzt bist du dran.“
Sie hatte ihre Hand flach auf den Tisch gelegt, so dass er ohne Probleme in ihr lesen konnte, als würde er über einem Buch hocken.
„Es steht eine Heirat an.“ Er blickte sie an und grinste. „Ich bin gut oder?“
Sie lachte auf, wenn auch unterdrückt, damit die Lehrerin nicht auf sie aufmerksam werden würde. „Das ist doch nichts Neues, das wird Trelawney nicht umhauen.“
„Na gut, dann lass mal sehen.“
Ein paar Mal blätterte Draco in seinem Buch „Chiromantie für Fortgeschrittene“, notierte sich hier und da etwas und ließ Ginny die ganze Zeit über im Dunkeln.
„Bist du bald fertig?“
Er nickte. „Willst du’s hören?“ Eine Antworte wartete er gar nicht ab. „Nach einer schweren Zeit wirst du den Mann deiner Träume heiraten und mit ihm zwei Kinder haben, um die er sich kümmern wird, weil du die Karriereleiter hinaufkletterst.“
„Warum nach einer schweren Zeit? Es ist nicht mal mehr ein halbes Jahr bis zur Hochzeit, Draco. Was soll da passieren? Das wird sie dir nie abnehmen!“
„Aber es hört sich gut an und außerdem“, er verstellte seine Stimme und ahmte leise die der Professorin für Wahrsagen nach, „lügen die Linien nie!“
„Schreib lieber, die schwere Zeit kommt im nächsten Jahr, dann sind wir längst aus der Schule raus und sie kann die Note nicht mehr ändern.“
„Die ’schwere Zeit’ kann doch alles Mögliche sein. Dann kränkelst du eben vor der Hochzeit ein bisschen rum.“
„Damit du gute Noten bekommst?“
Draco nickte. „Natürlich!“
Beide hörten das Klimpern unzähliger Ketten und Perlenschnüre, die um Professor Trelawneys dürrem Hals hingen und ihre Ankunft ankündigten. Sie hatte die Tische der Schüler reihum aufgesucht und war nun bei Draco und Ginny angekommen.
An Ginny gerichtet fragte sie mit überschwänglichem Enthusiasmus, während sie theatralisch eine präsentierende Handbewegung ausführte: „Und, Miss Weasley? Wie steht es um Mr. Malfoy?“ Ginny griff nach ihrem Pergament, doch Professor Trelawney nahm es ihr aus der Hand. Sie führte es dicht an ihr Gesicht, rückte derweil die Brille mit den dicken Gläsern zurecht, doch noch immer schien sie nicht besonders gut sehen zu können.
„Oh nein, Miss Weasley“, sagte Professor Trelawney beinahe schon nörgelnd. „Das können Sie sicherlich besser.“ Sie schüttelte den Kopf und murmelte etwas, das sie vom Pergament ablas, bevor sie es zurück an Ginny gab. „Noch ein Versuch, meine liebe Miss Weasley. Vielleicht sollten Sie Ihren Geist vorher ein wenig öffnen. Moment, da kann ich Abhilfe schaffen.“
Professor Trelawney eilte zu ihrem kleinen Tischlein hinüber, fiel derweil fast über ihren eigenen Hocker, der daneben stand. Mit einem bläulichen Gegenstand – einem kleinen Glas – kam sie zurück. Per Incendio entflammte sie Kerze in dem Behälter und stellte sie auf den Tisch. Gegen die einlullenden Düfte, die nun verströmt wurden, konnten Draco und Ginny nichts unternehmen.
„Auf ein Neues, Miss Weasley“, sagte Professor Trelawney freundlich, bevor sie sich den Schülern am nächsten Tisch widmete.
Einen Moment später, nachdem die Düfte der Kerze zu wirken begannen, fragte Ginny flüsternd: „Was glaubst du, was da drin ist?“ Sie deutete auf das Gläschen.
„Keine Ahnung“, lallte Draco, dessen Zunge plötzlich lahm geworden war. „Ich hoffe, es ist legal.“
Ginny schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen, doch das war offensichtlich nicht das, was Professor Trelawney angestrebt hatte. Das in diesem runden Klassenzimmer scharlachrote Dämmerlicht tat sein Übriges.
„Gut, dann gib mir nochmal deine Hand.“ Auch Ginnys Zunge stand mit einem Male ihren eigenen Worten im Wege, doch Draco schien das nicht einmal zu bemerken, denn er kam ihrer Aufforderung willig nach.
Nachdem Ginny für einige Minuten auf seine Handinnenfläche gestarrt hatte, wollte sie wissen: „Waren das vorhin die gleichen Linien?“
Über ihre Frage im ersten Moment irritiert antwortete er todernst: „Nein, ich hab sie heimlich unter dem Tisch ausgetauscht.“
Sie begann zu kichern, löste ihren Blick aber nicht von den vielen Rillen, Narben und Linien, bevor sie ihr Buch aufschlug und erneut seine Zukunft aus der Hand las.
Am Ende war Ginnys Pergament das Einzige von allen, welches vollständig beschrieben war, doch Draco konnte keinen Blick mehr drauf werfen, weil die Stunde bereits um war und Professor Trelawney die Aufgaben einsammelte.
„So, meine Lieben, wir sehen uns am Freitag. Da werde ich Ihnen die Arbeiten zurückgeben, und ein paar Auserwählte werden wir sogar vortragen. Vergessen Sie nicht, sich von dem Alltagsstress zu lösen, bevor Sie meinen Klassenraum betreten.“
Viele Schüler sprangen nach der Verkündung des Unterrichtsschluss von ihren Stühlen auf und verließen Professor Trelawneys Raum schneller als sonst den von Professor Snape. Nur die Schüler, auf deren Tisch ebenfalls so eine Kerze stand wie auf dem von Ginny und Draco, erhoben sich sichtlich träger, machten dabei einen leicht schläfrigen Eindruck, wenn nicht sogar einen beduselten.
„Ich könnte mich jetzt hinlegen und durchschlafen“, murmele Ginny, die ihre Schulsachen wie in Zeitlupe in ihre Tasche stopfte. Draco ging es nicht anders. Die beiden waren die letzten Schüler im Raum, als sie endlich von ihren Plätzen aufstanden und wie schlaftrunken zur Strickleiter torkelten. Schlurfenden Ganges war Ginny die Erste, die ihre Schulsache per Levitation nach unten beförderte, bevor sie sich niederkniete, um die Strickleiter durch das runde Loch im Boden hinunterzuklettern. Als ihre Unterschenkel bereits durch die Öffnung baumelten, erschrak sie, weil sie einen kurzen Aufschrei wahrgenommen hatte, der ihr augenblicklich ihre scharfen Sinne zurückgab.
Sie wandte ihren Kopf und sah, wie ein verschreckter Draco von Professor Trelawney gegen die Wand gedrückt wurde, während die Lehrerin mit befremdlicher Stimme sagte: „Ein jettschwarzes Symbol auf schneeweißem Grund kann nicht allein durch die Geheimnisse des Willens und seiner Gewalt schwinden. Feuer verzehrt, ein Brand erneuert. Erst nach dieser Reinigung wird seine Flamme es finden, das tränende Herz, um damit seine Wunden zu heilen.“
Professor Trelawney machte ein Geräusch, als hätte sie sich verschluckt, dann begann sie zu husten. Gleich darauf blickte sie auf und schien verwirrt. Neben sich schauend bemerkte sie Draco. Mit einer Hand fasste sie sich ans Herz, mit der anderen langte sie sanft an seine Schulter. „Oh Mr. Malfoy, haben Sie etwas gesagt?“
„Ich…“ Verdattert schüttelte er den Kopf.
„Dann sehen wir uns am Freitag.“ Zu Ginny schauend fügte sie hinzu: „Einen guten Appetit wünsche ich Ihnen.“
Es war Mittagszeit, doch weder Draco noch Ginny war nach einer Mahlzeit zumute.
Zuletzt geändert von Muggelchen am 10.02.2011 21:48, insgesamt 1-mal geändert.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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166 Rätselraten
Den Weg vom Turm hinunter über die sich bewegenden Treppen gingen Ginny und Draco nur schleppend, was jedoch nicht an den benebelnden Aromen in Professor Trelawneys Klassenzimmer lag, sondern an dem anfangs unbegreiflichen Ereignis, eben einer Prophezeiung beigewohnt zu haben, von der die Lehrerin für Wahrsagen nichts zu wissen schien. Die kleine Pause war längst vorüber. Zur nächsten Stunde waren sie bereits viel zu spät dran, doch sie beeilten sich nicht. Stattdessen wurde Ginny erst langsamer, setzte sich dann auf die Stufen kurz vor dem Treppenabsatz des vierten Stocks. Draco hielt an und lehnte sich an das steinerne Geländer. Sie waren vollkommen allein.
„Was mag das zu bedeuten haben?“, wagte Ginny leise zu fragen.
Sein Blick huschte nachdenklich hin und her. „Etwas mit dem dunklen Mal, ganz sicher!“
„Wem erzählen wir davon?“
„Harry“, kam es von Draco wie aus der Pistole geschossen. „Wem sonst? Harry und vielleicht Hermine.“
„Und was ist mit Dumbledore?“ Ginny stand wieder auf und hielt ihre Bücher mit beiden Armen vor ihren Oberkörper, als wollte sie sich vor etwas Unsichtbarem schützen.
„Harry kann entscheiden, wer davon erfahren soll.“
Ginny nickte. „Es gibt eine Meldepflicht dafür.“ Sie hatte leise gesprochen und blickte ihm nun direkt in die Augen. „Prophezeiungen müssen beim Ministerium gemeldet werden.“
„Und wenn es gar keine war? Woher sollen wir wissen, ob Trelawney von ihren Kerzen nicht einfach nur etwas… sagen wir mal ’berauscht’ war?“
Beide konnten an nichts anderes mehr denken als daran, jemandem davon zu berichten. Harry hielt noch Unterricht, aber Hermine wäre momentan zu erreichen. Das würde bedeuten, dass einer von ihnen den Unterricht schwänzen müsste, wenn sie ihr sofort Bescheid geben wollten und das wollte zumindest Ginny.
„Was haben wir jetzt?“, wollte sie wissen.
„’Geschichte der Zauberei’, hat vor fünfzehn Minuten angefangen.“
„Ach du meine Güte.“ Ginny seufzte. Die Entscheidung, dem Unterricht fernzubleiben, fiel ihr nicht schwer. „Ich gehe zu Pomfrey. Kannst du mich bei Binns krank melden?“
Er grinste gezwungen, weil er sich selbst und auch ihr die Befangenheit nehmen wollte, die seit der letzten Stunde über sie gekommen war. Besonders Draco konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, denn er war sich sicher, dass die Prophezeiung die restlichen Todesser betreffen würde. Die von Trelawney benutzten Worte „Feuer“ und „Brand“ hatten seiner Meinung nach einen bitteren Beigeschmack. Es jagte ihm Angst ein, doch das wollte er nicht zeigen.
„Fängst du doch an zu kränkeln? Mein ’Ohnegleichen’ ist mir wohl sicher“, scherzte er halbherzig. „Gut, ich sag Bescheid. Am besten bringe ich dich hin, damit Pomfrey mir eine Bescheinigung ausstellen kann, warum ich zu spät…“
„Mr. Malfoy, Miss Weasley“, hörten beide eine wohl bekannte, zischende Stimme sagen.
Mit einem Buch unter den Arm geklemmt, welches er sich eben aus der Bibliothek geholt zu haben schien, war Severus mit wenigen Schritten bei ihnen.
„Professor Snape“, grüßte Draco Respekt zollend, doch bevor er ihre Situation erklären konnte, machte Severus ihnen bereits Vorwürfe.
„Was tun Sie hier außerhalb der Klassenzimmer? Haben Sie beide keinen Unterricht?“ Durch verengte Augenlider fixierte er Ginny, die ihren Blick senkte.
Das Wort ergriff Draco. „Es geht Miss Weasley nicht sehr gut, Professor. Wir haben eben entschieden, dass ich Sie zur Krankenstation bringe, um…“
„…den Unterricht zu schwänzen?“ Severus zog beide Augenbrauen in die Höhe, bevor er sich Ginny zuwandte und sie von oben herab musterte. „Sie sehen nicht gerade mitgenommen aus, Miss Weasley. Um welche Art Beschwerde handelt es sich denn?“
Draco wollte sich für sie einsetzen. „Sir?“
„Ich habe nicht mit Ihnen gesprochen, Mr. Malfoy. Also, Miss Weasley? Keine Lust auf ’Geschichte der Zauberei’? Möchten Sie stattdessen vielleicht lieber den Boden wischen?“
„Severus…“
Aufgrund seines von Draco verwendeten Vornamens wandte er seinen Kopf so schnell, dass ein leises Knacken zu hören war.
„Ich lege Ihnen nahe, Mr. Malfoy“, zischte er, „auf eine persönliche Anrede während der Unterrichtszeit zu verzichten.“ Wieder an Ginny gerichtet fragte er erneut: „Was für Beschwerden haben Sie?“
Es war vorherzusehen, dass Ginny und Draco dieser Situation nicht entkommen könnten und zum Unterricht gehen müssten, zudem auch noch Punkteabzug fürs Trödeln bekommen würden. Deswegen riss sich Ginny zusammen und bedeutete Severus mit einem Wink ihres Zeigefingers, dass er ihr sein Ohr leihen sollte. Er verzog den Mund, kam der Aufforderung aber zögerlich nach und beugte sich zu ihr, so dass sie ihm leise etwas mitteilen konnte.
Draco beobachtete, wie Severus’ erst angestrengt zuhörte, dann die Augen weit aufriss und das Gesicht angewidert verzog, bevor er sich aufrichtete und sagte: „Genug! Lassen Sie sich von Mr. Malfoy schon in den Krankenflügel begleiten!“
Irritiert blickte Draco seinem Patenonkel nach, der fluchtartig das Weite suchte, während Ginny sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte.
„Was hast du ihm gesagt?“
Sie setzte sich wieder in Bewegung und er folgte ihr, derweil blickte sie ihn über ihre Schulter an. „Ich habe ihm gesagt, ich würde unter Menstruationsbeschwerden leiden.“ Diesmal verzog Draco das Gesicht, hörte aber weiter zu. „Ich bin davon ausgegangen, er würde aufhören nachzuhaken, weil kaum ein Mann gern über so ein Thema spricht.“
„Da muss ich dir zustimmen. Ich gehöre übrigens auch zu den Männern – nur so als Hinweis.“
„Ich habe doch aber gelogen.“
„Ich will das gar nicht wissen!“
Madam Pomfrey hatte Draco eine Bescheinigung für das Fehlen von Miss Weasley mitgegeben und eine Entschuldigung für sein Zu-Spät-Kommen zum Unterricht. Ginny würde jetzt Hermine aufsuchen, während er die Aufgabe hatte – falls sie zu dem Zeitpunkt nicht schon zurück wäre – Harry vor dem Mittagessen abzufangen.
An Hermines Tür stehend flehte sie leise: „Bitte Hermine, sei da! Bitte!“ Ihr Klopfen wurde gehört. Zaghaft öffnete sich die Tür und als Hermine ihre beste Freundin bemerkte, da schien sie erleichtert, weil sie offenbar mit jemand anderem gerechnet hatte.
„Ginny, hast du nicht noch Unterricht?“
Etwas an Hermine war anders, dachte Ginny. Ihre Stimme war monoton. Sie hörte sich an, als würde sie etwas sehr belasten, doch bevor sie darauf einging, trat sie ein und schloss die Tür hinter sich.
„Trelawney hat eine Prophezeiung gemacht!“, sprudelte es aus Ginny heraus.
Hermines Stirn schlug Falten. Sie war skeptisch und zeigte sich kein bisschen überwältigt von dieser Information. „Bist du sicher?“
„Draco hat sie auch gehört! Der Arme war am nächsten dran. Danach wusste Trelawney von nichts.“ Mit einer Mischung aus Neugier und Sorge kniff Ginny die Augen zusammen, weil Hermine einen sehr abgeschlagen Eindruck machte. „Du hast doch selbst mal gesagt, dass man sich an eine Prophezeiung, die man gemacht hat, nicht erinnert, im Gegensatz zu Visionen.“
„Ja schon, aber bei Trelawney bin ich mir da nicht so sicher. Ich halte nicht viel von Wahrsagerei.“
Hermine wandte sich von ihrer Freundin ab und ließ sich antriebslos auf die Couch sinken. Ihre Mimik verriet nur eines, nämlich dass sie besorgt zu sein schien, aber nicht wegen der Prophezeiung. Es musste ernst sein, dachte Ginny, wenn Hermine nicht einmal fragte, wie der Wortlaut der Prophezeiung war.
„Hermine, was ist nur los?“, fragte Ginny vorsichtig und erntete damit einen Blick von ihrer Freundin, der so viel Verzweiflung innehatte, dass sie hinüberging und sich neben sie setzte. „Hermine.“ Der Klang ihrer tröstenden Stimme ließ Hermines Unterlippe einen Augenblick beben. „Hermine?“
Die zuvor sachte bebende Unterlippe begann nun zu zittern. Hermine hielt sich beide Hände vors Gesicht und holte kräftig Luft. Nun zitterten auch ihre Hände und ihr Oberkörper schüttelte sich. In weiser Voraussicht legte Ginny einen Arm um Hermines Schultern, unterließ es jedoch, ein weiteres Mal nachzufragen, was sie so belasten würde.
„Ich…“ Hermine schluckte, um ihre Stimme unter Kontrolle zu bekommen. „Ich kann mich jetzt nicht auch noch um eine Prophezeiung kümmern. Ich kann nicht!“
Ginny strich ihr in kreisenden Bewegungen über den Rücken und machte damit deutlich, dass Hermine sich nicht kümmern müsste.
„Ich dachte nur“, begann Ginny mit ruhiger Stimme, „die Prophezeiung könnte mit Todessern zu tun haben, das glaubt jedenfalls Draco.“
Hier blickte Hermine interessiert auf. Es war ihr unangenehm, sich von ihrer schwachen Seite gezeigt zu haben, doch Ginny hatte sie in Kriegszeiten noch ganz anders erlebt.
„Warum mit Todessern?“
Mit warmer Stimme gab Ginny den Anfang wider: „’Ein jettschwarzes Symbol auf schneeweißem Grund…’, das kann nur eines bedeuten, oder?“
Nach vorn blickend ließ sich Hermine diese Worte durch den Kopf gehen. Ihre Gedanken wirbelten so schnell umher, dass jeder Tornado vor Neid erblassen würde. Innerlich stöhnte sie. Momentan war ihr alles zu viel. Sie wollte endlich Lösungen und Erklärungen, ohne dafür auch nur ein einziges Mal noch den kleinen Finger krümmen zu müssen, doch das blieb ihr verwehrt. Unerwartet nickte sie Ginny zu und rang sich ein Lächeln ab.
„Hast du dir alles gemerkt?“
„Ich denke schon, ansonsten zeige ich’s dir im Denkarium.“
Zustimmend machte Hermine den Vorschlag: „Jetzt gleich?“
„Okay!“
Während Hermine und Ginny bereits ins Erdgeschoss gingen, um die Erinnerung an die Prophezeiung anzuschauen, saß Draco hin und her rutschend auf seinem Stuhl, ignorierte die eintönige Stimme von Professor Binns und wartete auf den Unterrichtsschluss.
Von links hörte er jemanden flüstern: „Sag mal, was ist denn los?“ Es war Gordian gewesen, der Draco ungläubig anblickte.
„Nichts“, log Draco.
Weitere Fragen wurden vereitelt, denn der Unterrichtsschluss wurde eingeläutet und Draco war der Erste, der Professor Binns Räume verlassen hatte.
Durch die Flügeltür der großen Halle spähend schaute Draco nach, ob Harry schon am Lehrertisch saß, doch sein Platz war leer. Er kam nie durch den Hintereingang, so dass Draco vorn wartete. Vereinzelt gingen Lehrer und Schüler an ihm vorüber, doch von Harry oder Ginny war weit und breit nichts zu sehen.
„Mr. Malfoy, warten Sie auf jemanden?“ Es war Remus gewesen, der ihn so verloren an der Tür hatte stehen sehen. Gleich hinter Remus stand Neville.
„Ja, Sir. Ich warte auf Harr… auf Professor Potter.“
„Oh, den habe ich nicht gesehen. Sollte er hinten reinkommen, werde ich ihm Bescheid geben, dass Sie draußen auf ihn warten.“
„Danke, Sir.“
Nur kurz blickte Draco den beiden hinterher, die den Weg zum Lehrertisch eingeschlagen hatten, bevor er wieder diejenigen im Auge behielt, die in die große Halle stürmten, um zu Mittag zu essen.
Ein paar Gänge weiter schlenderte Harry frohen Herzens zur großen Halle. Noch immer war sein Gesicht mit einem breiten Lächeln versehen, denn die letzte Unterrichtsstunde hatte ihm sehr gefallen. Es war lustig gewesen und die Schüler – alle Schüler – hatten das Thema beim ersten Mal begriffen, was ein befriedigendes Gefühl in ihm ausgelöst hatte. Er war zufrieden, auch mit sich selbst.
Geistesabwesend passierte er einen abzweigenden Gang, in welchem er nur aus den Augenwinkeln zwei Personen sah, die dicht nebeneinanderstanden und sich zu küssen schienen. Harry stutze und blieb stehen, bevor er mit in Falten gelegter Stirn zurückging, um in den Gang zu schauen. Seine Stirn glättete sich wieder, aber nur kurz, denn seine Augenbrauen schossen in die Höhe. Im Anschluss bemerkte er, wie sich ein freches Grinsen in seinem Gesicht niederschlug und er konnte nichts dagegen unternehmen. Er ging ein paar Schritte auf die beiden zu, baute sich vor ihnen auf und wartete, bis sie voneinander lassen und ihn bemerken würden – lange brauchte er nicht zu warten. Minervas seliges Lächeln, das sie eben erst noch ihrem Gatten geschenkt hatte, wurde von der Erkenntnis aus dem Gesicht gefegt, einen Beobachter gehabt zu haben. Albus folgte ihrem Blick und betrachtete Harry, dessen albernes Grinsen und das freche Funkeln in den Augen den Direktor anzustecken schienen.
„Aber Professor McGonagall“, sagte Harry übertrieben vorwurfsvoll, bevor er zweimal langsam den Kopf schüttelte.
Auch wenn er sich einen Scherz erlaubte, so spielte er seine Rolle offenbar sehr gut, denn eine gesunde Röte schlug sich auf ihren Wangen nieder.
„Und Professor Dumbledore, gerade Sie.“ Rügend schnalzte er ein paar Mal mit der Zunge. „Sie wissen doch über das ’Küssen auf dem Gang’ Bescheid. Aber ich werde mal ein Auge zudrücken.“ Minerva hatte sich wieder gefangen und blickte Harry mit ernster Miene an, doch der hielt nicht zurück. „Ich werde von einem Punkteabzug absehen“, flunkerte er.
„Wie großzügig, Harry“, kam es von Minerva mit gewohnt ernster Stimme.
„Trotzdem denke ich, dass eine Strafarbeit angemessen wäre.“ Während Albus sich alles in Ruhe anhörte und die ganze Zeit über sehr amüsiert schien, wirkte Minerva nun ein wenig erbost, was Harry nicht davon abhielt anzufügen: „Ich denke, Mr. Filch würde sich sehr über ein wenig Hilfe am Abend freuen.“ Der jetzige Blick, den Minerva ihm zuwarf, ging ihm durch Mark und Bein, so dass er die Situation schnell wieder entschärfte. „Natürlich auf freiwilliger Basis.“
Breit grinsend wandte Harry sich wieder ab, um erneut den Weg in die große Halle anzutreten, da drehte er sich noch einmal um und zwinkerte den beiden zu.
Vor der großen Halle war jetzt großer Trubel, denn der größte Schwung Schüler zwängte sich zum Mittagessen in den riesigen Saal. Draco bemerkte gar nicht, dass jemand vor ihm stand, bis man ihn am Ärmel zupfte. Erschrocken blickte Draco nach unten.
„Wer bist du denn?“, fragte er den schmächtigen kleinen Jungen.
„Ich bin Linus Korrelian und wollte wissen, ob ihr noch einen Treiber braucht.“
Ungläubig verzog Draco sein Gesicht, was ihn für einen Moment hässlich machte. „Du willst Quidditch spielen?“ Der Junge nickte heftig. „Aus welcher Klasse stammst du?“
„Ravenclaw, erste Klasse!“
„Erste Klasse? Dann hast du hast ja nicht mal einen eigenen Besen.“
Der Junge kniff beleidigt die Augen zusammen. „Ich habe einen, den durfte ich nur nicht mitbringen!“
„Dann hast du schon oft auf einem Besen gesessen?“, fragte Draco, bevor er aufblickte, um die Menschenmenge im Auge zu behalten, falls Harry auftauchen würde.
„Sonst würde ich ja wohl nicht fragen oder? Braucht ihr nun einen Treiber oder bin ich euch auch zu klein?“
Deutlich war herauszuhören, dass Linus bereits beim Kapitän der eigenen Quidditch-Mannschaft nachgefragt haben musste.
„Mann, Linus…“ Er legte eine Hand auf die Schulter des zierlichen Mitschülers. „Ehrlich gesagt habe ich Angst, dass du auf einem Besen Schlagseite bekommst, wenn du den Schläger in der Hand hältst.“
„Willst du mich veräppeln?“ Missgestimmt stieß Linus die Hand weg, die auf seiner Schulter ruhte. „Nur damit du es weißt: Ich spiele seit meinem sechsten Lebensjahr Cricket und ich habe als Batsman noch jeden Ball getroffen!“
Gekränkt ließ der Ravenclaw Draco stehen, der ihm verdutzt hinterherschaute, weil ihm wagemutige Gedanken durch den Kopf gingen, obwohl er mit den Begriff „Cricket“ nichts anzufangen wusste, aber „spiele seit meinem sechsten Lebensjahr“ und „jeden Ball getroffen“ hörte sich sehr vielversprechend an. Linus überholte in der großen Halle einen Erwachsenen und plötzlich bemerkte Draco einen Kopf mit strubbeligen Haaren. Harry muss längst an ihm vorbeigegangen sein und war schon auf dem Weg zum Lehrertisch.
„Har..“ Nein, er durfte ihn nicht beim Vornamen nennen. „Professor Potter?“ Harry blickte sich um und versuchte denjenigen ausfindig zu machen, der nach ihm gerufen hatte. Als er Draco erkannte, ging er zurück auf den Flur.
„Dra… ähm, Mr. Malfoy?“
„Ich muss mit Ihnen reden.“
Weil Draco so ernst geklungen hatte, ließ Harry sich von ihm ein paar Schritte wegführen, so dass sie nicht nur ungestört reden, sondern vor allem auf die höfliche Anrede verzichten konnten.
Während Draco in Stichpunkten das Erlebte nach dem Unterricht bei Trelawney wiedergab, betrachtete Hermine die Prophezeiung mit eigenen Augen, denn zusammen mit Ginny war sie in deren Erinnerung eingetaucht. Sie sah, wie ein verschreckter Draco von einer sich in Trance befindenden Wahrsagelehrerin gegen die Wand gedrückt wurde. Trelawneys Stimme klang ungewohnt, fast unirdisch.
„Ein jettschwarzes Symbol auf schneeweißem Grund kann nicht allein durch die Geheimnisse des Willens und seiner Gewalt schwinden. Feuer verzehrt, ein Brand erneuert. Erst nach dieser Reinigung wird seine Flamme es finden, das tränende Herz, um damit seine Wunden zu heilen.“
Kaum war Hermine aus der Erinnerung aufgetaucht, zückte sie aus ihrer Tasche das magische Schreibfederset und diktierte – gab Wort für Wort Trelawneys Vorhersage wider. Ginny atmete auf, als sie die Prophezeiung in Hermines wohlklingendem Tonfall hörte.
„Was glaubst du hat das zu bedeuten?“
Nachdem die Feder fertig geschrieben hatte, las Hermine die paar Zeilen noch mindestens drei Mal, bevor sie antwortete: „Ich habe keinen blassen Schimmer.“
Unerwartet trat Harry ins Wohnzimmer, der Draco im Schlepptau hatte.
„Also? Ich habe einen kurzen Abriss erhalten. Darf ich es sehen?“
Im Gegensatz zu Hermine nahm Harry Prophezeiungen etwas ernster, wusste aber durchaus, dass man diesen Dingen nicht zu viel Bedeutung beimessen durfte. Er blickte Ginny an, die daraufhin zum Denkarium hinüberschaute.
„Wir könnten es zu viert ansehen“, schlug Hermine vor. „Ich würde mich gern vergewissern, ob ich auch alles richtig behalten habe.“
So kam es, dass vier zierliche Nasen im Becken des Denkariums untertauchten. Die Prophezeiung war nicht lang. Die vier benötigten weniger als dreißig Sekunden, um sie gesehen zu haben, doch dreißig Sekunden reichten aus, um den Herzschlag zu erhöhen, um sich Gedanken zu machen und um ein seltsames Gefühl in der Magengegend nicht mehr ignorieren zu können.
Draco warf seinen Umhang über die Rückenlehne der Couch. Mit einer Hand öffnete er die Knöpfe der Schuluniform und auch die beiden obersten seines Hemdes, denn er schien schwer Luft zu bekommen.
„Alles okay?“, fragte Harry ihn, weswegen er nickte, doch nichts war „okay“. „Hermine?“ Harry drehte sich, um sie ansehen zu können. „Was denkst du?“
„Lass mich das noch ein paar Mal lesen, bevor ich irgendwas dazu sage!“
Sie hatte recht giftig geklungen, doch er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie nicht seinetwegen verärgert war, sondern deswegen, weil sie die Antwort noch nicht kannte.
Mit seinen Vermutungen hielt Draco sich nicht mehr zurück: „Ich bitte euch: „schwarzes Symbol“ – was kann das schon bedeuten? Das ist das dunkle Mal!“
Er öffnete den Manschettenknopf seines linken Ärmels und entblößte seinen Unterarm. Das Zeichen Voldemorts war nicht mehr schwarz, weil es verblasst war, aber es war einst schwarz gewesen und noch immer konnte man es sehen.
„Was sonst?“, murmelte Draco zu sich selbst.
„Was bedeutet ’jettschwarz’?“ Harry hatte keine Probleme damit zuzugeben, wenn er etwas nicht wusste.
Noch immer mit ihren Augen über die Zeilen huschend erklärte Hermine nebenbei: „’Jett’ ist eine alte Bezeichnung für Kohle. Schwarz ist Schwarz, ob nun jett- oder pechschwarz.“
„Okay“, murmelte er und klopfte sich nervös auf den Oberschenkel, bevor er sich neben Draco setzte und seine grauen Zellen anstrengte. Er runzelte die Stirn. „Schneeweißer Grund?“
Ihn anblickend erklärte Draco: „Keiner der Todesser hatte eine ’gesunde Hautfarbe’. Sie waren allesamt sehr hellhäutig; ’vornehme Blässe’, du verstehst?“
„Und wenn ein Pergament gemeint ist, auf welchem etwas in schwarzer Schrift geschrieben steht? Oder gemalt, wenn es ein Emblem sein sollte, vielleicht ein Wappen?“, warf Ginny in den Raum.
Durch Ginnys Gedankengänge angeregt bewegte auch Harry sich in eine andere Richtung. „Und wenn Severus’ Augen damit gemeint sind? Die sind…“
„…nicht mehr schwarz“, hatte Hermine vorweggenommen.
„Aber sie waren es, genau wie das dunkle Mal“, hielt Harry dagegen sowie er ihr auch gedankenverloren Dracos Unterarm entgegenhielt, was der Blonde sich nur ein paar Sekunden lang gefallen ließ, bevor er seinen Arm aus Harrys Griff befreite, um den Ärmel wieder hinunterzukrempeln.
Endlich blickte Hermine auf und schaute ihren Freunden einmal in die Augen.
„Mir macht das mit dem Feuer und dem Brand ein wenig Sorgen, wenn ich ehrlich bin. Und was für eine Flamme soll gemeint sein und wie soll eine Flamme etwas finden?“
„Schneeweiß“, murmelte Ginny vor sich hin.
Die schriftlich festgehaltene Prophezeiung auf den Tisch legend stellte Hermine klar: „Mit ’schneeweiß’ ist bestimmt nur weiß oder hell gemeint. Es ist genauso theatralisch ausgedrückt wie ’jettschwarz’.“
„Die Prophezeiung im dritten Schuljahr war aber wesentlich deutlicher“, nörgelte Harry.
Hier machte Draco große Augen. „Du hast so etwas auch schon mal erlebt?“
„Eine Prophezeiung von Trelawney? Ja!“
„Und was war es gewesen?“
„Jungs“, warf Hermine ein, „bitte keine alten Prophezeiungen aufbrühen. Die ist längst verjährt. Kümmern wir uns um die neue. Vielleicht ist sie nicht deutlich, weil Trelawney es nicht sehr klar gesehen hat?“
Direkt neben Harry nahm Ginny Platz. „Ich wollte für alle nochmal zu Bedenken geben, dass es eine Meldepflicht für Prophezeiungen gibt. Was glaubt ihr, warum in der Mysteriumsabteilung so viele Glaskugeln lagern? Dort bewahrt man immer eine Kopie auf!“
Dazu gab Hermine ihre Meinung von sich. „Von mir aus meldet es. Ich hab es nicht miterlebt; es liegt nicht an mir.“
An der Unterhaltung hatte sich Harry nicht beteiligt, denn er überlegte konzentriert, grübelte über die möglichen Deutungen und die Bedeutung der Prophezeiung nach.
„Wie deutet man so was überhaupt?“, wollte Harry wissen.
Hermine hob und senkte einmal die Schultern und erwiderte: „Ich hab keine Ahnung. Ist mein erstes Mal, Harry. Ich denke, wenn man sich alles notiert, was gemeint sein könnte, dann kann man am Ende ein einleuchtendes Ergebnis erlangen. Also“, sie beugte sich nach vorn, „eure Vorschläge zum ’jettschwarzen Symbol’. Ich werde alles aufschreiben.“
Nochmals wiederholte Draco: „Das schwarze Mal.“ Hermine kritzelte es aufs Pergament.
„Severus’ Augen! Es könnte doch sein, Hermine.“ Seinen Gedanken fand Harry nun wirklich nicht gerade abwegig.
Zu Ginny schauend erwartete Hermine einen Vorschlag, so dass die Rothaarige sagte: „Ich denke, es handelt sich vielleicht um etwas Geschriebenes; ein Buch, ein Stück Papier, ein Symbol auf Marmor oder was auch immer weiß sein könnte.“
Hermine runzelte die Stirn. „Wie soll Marmor brennen können?“
„Was?“ Ginny schien nicht folgen zu können.
Den Kopf schüttelnd erklärte Hermine: „Das Ausschlussverfahren kommt eigentlich später dran, aber genau genommen sagt die Prophezeiung, dass das schwarze Symbol nicht durch Gedanken- oder Willenskraft verschwinden kann – nein, es muss brennen. Marmor kann nicht brennen, er wird unter der Einwirkung von Flammen einfach zu Kalk und scheidet daher von vornherein aus.“
„Augen können brennen!“, warf Harry überzeugt ein.
Hermine nickte. „Ja, Augen oder ’Fleisch’ – ein Körper – können gleichermaßen im übertragenen Sinne brennen wie auch im eigentlichen.“
Draco verzog das Gesicht. „Der übertragene Sinn gefällt mir besser.“ Den Gedanken an einen brennenden Körper fand er abstoßend. „Ich bin der Meinung, das ’dunkle Mal auf weißer Haut’ passt wie die Faust aufs Auge! Voldemort hatte keinen einzigen farbigen Anhänger, nur falls jemand einwerfen möchte, dass Menschen verschiedene Hautfarben haben.“
Eine Augenbraue hebend warf Harry ein: „Er war wohl nicht nur in Hinsicht auf Muggel sehr rassistisch oder?“
„Was weiß ich…?“ Draco zuckte mit den Schultern. Mit einem Male überkam ihn der Drang, sich zu rechtfertigen. „Ich bin keiner!“
„Was?“ Harry stutze.
„Ein Rassist. Ich bin keiner!“
„Das hat doch auch niemand behaup…“
In die Unterhaltung mischte sich Hermine ein. „Leute, wenn ihr alleine weitermachen wollt, dann sagt es nur. Wir sollten uns auf die wichtigen Dinge konzentrieren. Ich muss bald weg und ich hätte vorher gern noch ein paar Ergebnisse, also strengt euch an!“
Mit Severus war sie um 14 Uhr verabredet. Ein wenig Zeit hatten sie noch, aber nicht mehr viel. Hermine wollte dieses unerwartete Rätsel vorher am liebsten noch komplett lösen, wenigstens aber logische Lösungsansätze finden, denn das lenkte sie von der Tatsache ab, Severus in weniger als einer Stunde gegenüberstehen zu müssen. Sie machte sich Gedanken darüber, wie er reagieren könnte. Innig hoffte sie, dass sich nichts zwischen ihnen geändert hatte, nachdem sie ihm gestern auf den Dachboden gefolgt war. Ihr Herz fing plötzlich an, ganz aufgeregt zu pochen.
„Gut“, sagte sie, „das ’dunkle Mal auf heller Haut’ sehe ich als sehr wahrscheinlich. Was ist mit ’Feuer verzehrt, ein Brand erneuert.’? Hat jemand einen Vorschlag?“
„Die Stelle mag ich am wenigsten“, sagte Draco vor sich hin, während er seinen Kopf senkte.
Harry konnte das gut nachvollziehen. „Ja, das hört sich fies an. Warum soll das dunkle Mal brennen?“
Draco musste so kräftig schlucken, dass alle drei es hören konnten. Zögerlich blickte er auf.
„Das dunkle Mal…“ Er musste erneut schlucken, aber der Kloß in seinem Hals wollte einfach nicht verschwinden. „Das dunkle Mal hat gebrannt, wenn er gerufen hat.“ Seine Stimme wollte versagen, doch er zwang sich, nicht schwach zu klingen. „Es wurde glühend heiß; sah aus, wie glimmende Kohle.“
„Aber…“ Harry hatte Draco mitleidig angesehen und musste erst seinen Blick von ihm abwenden, um seinen Satz vervollständigen zu können. „Wie soll das dunkle Mal brennen? Voldemort kann nicht zurückkehren und er kann die Todesser nicht rufen!“ Allein der Gedanke daran wühlte ihn auf.
Ginny legte besänftigend einen Arm um seine Schultern. „Harry, beruhig dich. Voldemort ist tot – endgültig!“
„Daran gibt es nichts zu rütteln“, bestätigte Hermine. „Da macht euch keine Gedanken. Alle Horkruxe haben wir gefunden und zerstört. Es hieß in der Prophezeiung ja auch, dass das dunkle Mal nicht anders schwinden kann. Der Schwerpunkt liegt auf ’schwinden’ und nicht auf ’Brand’! Vielleicht ist damit gemeint, dass das Mal durch Feuer vernichten werden kann, so dass sich der Untergrund – die Haut – erneuert.“
„Schön gesagt“, warf Draco ungläubig ein, „aber wie soll das gehen?“
Zu Wort meldete sich Ginny. „Vielleicht ist das ’Feuer’ ebenfalls nur sinnbildlich gemeint? Ich hab allerdings keine Ahnung, wofür.“
Die Idee fand Hermine nicht abwegig und sie hatte in dieser Hinsicht auch gleich noch einen eigenen Einwurf. „Die ’Flamme’ ist auf jeden Fall nur metaphorisch gemeint, denn es scheint mir so, als stünde sie für ein lebendes Wesen.“
Wie zuvor schon ging sie im Kopf sämtliche Synonyme für das Wort ’Flamme’ durch und eines der gefundenen Worte ließ erneut ihr Herz schneller schlagen. Sie hatte eine vage Ahnung.
„Vielleicht…“ Alle blickten Harry an, der dadurch verunsichert wirkte. „Starrt mich nicht so an, nur weil ich den Mund aufmache“, scherzte er. „Was ich sagen wollte: Die Flamme…“
Er zog beide Augenbrauen in die Höhe, bevor zur Seite schaute. Die anderen folgten seinem Blick und ließen ihn auf einem ramponiert aussehenden, scharlachroten Vogel ruhen, der gerade sein ausgefranstes Gefieder putzte.
Ginny riss ihre Augen weit auf. „Du meinst doch nicht etwa…“
„Was sonst?“, erwiderte Harry und hob einmal die Schultern, bevor er sie wieder locker fallen ließ.
Draco nahm Hermine das Stück Pergament aus der Hand und las den letzten Satz: „Erst nach dieser Reinigung wird seine Flamme es finden, das tränende Herz, um damit seine Wunden zu heilen.“ Er spitzte die Lippen. „Das würde aber bedeuten, Harry, dass die Prophezeiung mit dir zu tun hätte, denn der Phönix ist dein Begleiter!“
Man konnte ihm ansehen, dass er sich sehr anstrengte, eine einleuchtende Verknüpfung zu finden, doch Harry schüttelte nach einem Moment ratlos den Kopf.
Draco wiederholte zum besseren Verständnis: „Es heißt ’seine’ Flamme, Harry.“ Er wandte sich dem Schwarzhaarigen zu. „Wenn die Flamme Fawkes wäre, bist definitiv du mit dem ersten ’seine’ gemeint. Aber ’seine Wunden zu heilen’ macht dann keinen Sinn. Hast du Wunden?“
„Mit dem zweiten ’seine’ könnte jemand anderes gemeint sein, zum Beispiel du“, machte Harry deutlich. „Wenn meine Flamme, nennen wir sie vorläufig ’Fawkes’, das tränende Herz findet, kann ich deine Wunden heilen.“
„Aber ich hab keine“, hielt Draco verblüfft dagegen.
„Doch, hast du.“ Harry tippte auf Dracos linken Unterarm.
Ginny seufzte. Ihrer Meinung nach hatten sie sich gerade festgefahren.
„Versteift euch mal nicht so auf Fawkes, vielleicht hat der Arme rein gar nichts mit der Prophezeiung zu tun.“
„Ich stimme Ginny zu“, sagte Hermine nickend. „Außerdem ist das unlogisch, denn es heißt ja, ’erst nach dieser Reinigung wird seine Flamme es finden’. Das jettschwarze Zeichen beziehungsweise das dunkle Mal muss vorab ’schwinden’ und erst DANN können ’seine’ Wunden geheilt werden.“
Harry kniff die Augen zusammen und sagte gespielt eingeschnappt: „Mach mir doch nicht meine Theorie kaputt, vor allem nicht so schnell!“
Damit hatte er Hermine zu seiner Erleichterung ein Lächeln abgerungen, denn sie war die ganze Zeit über so ernst gewesen.
Direkt neben Hermine nahm Ginny Platz, bevor sie sagte: „Fragt sich jetzt nur, wer mit ’seine’ gemeint ist. Jemand, der Wunden hat, die geheilt werden müssen.’’
„Leute“, sagte Harry, um auf sich aufmerksam zu machen. „Geht es nur mir so? Bin ich wirklich der Einzige, der an Severus denken muss?“
„Ich wollt’s nicht sagen“, gab Draco zu, „aber ich denke wirklich, dass er damit gemeint sein könnte.“
Ginny blickte verdutzt drein. „Ehrlich? Wenn Snape gemeint ist, wer ist dann seine Flamme.“
Bevor irgendjemand sich dazu äußern konnte, ergriff Hermine das Wort. „Vielleicht Linda, möglicherweise Lily, Brenda wohl weniger.“ Innerlich aufgeschreckt blickte sie auf die Uhr, die an der Wand neben der Tür hing. „Ich muss los, sonst gibt es Ärger.“
In Windeseile packte sie ihre Tasche, ließ jedoch das Pergament mit der notierten Prophezeiung bei den dreien, die ihr irritiert nachschauten, zurück.
Nachdem Hermine die Tür hinter sich geschlossen hatte, schaute Harry zur Uhr hinüber. „Es ist kurz nach halb zwei, sie fängt doch erst um vierzehn Uhr an oder? Warum ist sie denn jetzt schon weg?“
Als würde es die Antwort darstellen dachte Draco mit einem Male plötzlich an das Gerücht, welches Gordian ihm um die Weihnachtszeit herum erzählt hatte. Harry hingegen wiederholte in Gedanken Hermines erst gestern gesagten Worte, dass sie nicht wüsste, ob sie mit der Entwicklung zufrieden wäre und Ginny dachte sich ihren Teil, denn sie kannte ihre beste Freundin und wusste, dass sie erst dazu fähig war, über Dinge zu reden, wenn sie sie auch beim Namen nennen konnte.
Fast genau unter Harrys Räumen stand Hermine in dem nur durch Fackeln erhellten Gang, in welchem sich die Tür zu Severus’ Büro befand. Die Prophezeiung hatte sie aufgewühlt, denn sie versprach Heilung für ihn und Erfolg für sie, doch trotzdem war sie innerlich zerrissen.
Sie seufzte müde. Um diese Zeit wäre Severus noch im Unterricht, wusste sie, weswegen sie die Tür ohne anzuklopfen öffnete. Als sie drinnen eine schwarz gekleidete Person erblickte, rutschte ihr das Herz in die Hose. Blitzschnell drehte sich Severus wegen des Geräuschs der sich öffnenden Tür um.
„Da sind Sie ja endlich!“, keifte er.
’Endlich’, wiederholte Hermine verärgert in Gedanken. Gern hätte sie gekontert, dass sie immerhin zwanzig Minuten zu früh wäre, doch sein Gesichtsausdruck riet ihr, sich zurückzuhalten. Die Adern an seinen Schläfen waren ein wenig hervorgetreten, was nur geschah, wenn er wütend war – sehr wütend. Sie hoffte von tiefstem Herzen, dass nicht sie der Anlass für seine schlechte Laune war. Nicht ein Wort kam über ihre Lippen, denn es war angemessen, die Situation zunächst in Ruhe einzuschätzen – zu prüfen, wie wütend er war und vor allem warum.
Er stürmte auf sie zu. Durch seinen wehenden Umhang sah er so aufgeplustert aus wie ein Raubtier, das sich auf furchteinflössende Art größer machen wollte als es eigentlich war. Als sie noch ein Kind gewesen war, hatte dieses Benehmen sie manchmal eingeschüchtert und so auch heute, nach etlichen Jahren.
Es war ein Brief, den er ihr unter die Nase hielt.
„Lesen Sie!“, befahl er grantig.
Noch immer hatte sie keinen Mucks von sich gegeben, blickte ihn nur mit großen Augen an. Den Brief hatte sie schnell überflogen, dann einmal gelesen. Er war vom Mungos.
„Aber…“ Sie hielt inne und schüttelte den Kopf.
Sein Gesicht verzog sich vor Zorn, als er sie anblickte und auf eine Äußerung wartete, doch es kam keine, weswegen er zu seinem Schreibtisch hinüberging. Die vielen Unterlagen, die dort verteilt lagen, stapelte er, bevor er sich ihr damit in einem Tempo näherte, der sie verunsichert einen Schritt zurückweichen ließ, was er bemerkte. Er blieb stehen, betrachtete sie einen kurzen Augenblick und atmete einmal tief durch, um sich zu beruhigen. Wesentlich langsamer legte er die letzten drei Schritte zurück, um sie nicht noch mehr zu verschrecken. Ihr Blick fiel auf die vielen Unterlagen, die er ihr entgegenhielt.
„Hier, rechnen Sie das bitte nach.“
„Was ist das?“
„Dem Schreiben von Professor Puddle und Professor Junot konnten Sie bereits entnehmen, dass das Gegenmittel nicht geholfen hat. Miss Parkinsons Zustand ist unverändert.“
Hermine wusste nun, warum er so aufgebracht war. Dass seine Arbeit nutzlos gewesen sein soll, war für ihn ein Schlag ins Gesicht; eine Kränkung seines Stolzes.
„Ich kann mir das nicht vorstellen, Severus. Ich…“
Er unterbrach. „Ich bin nicht unfehlbar. Tun Sie mir den Gefallen und rechnen Sie das nach. Sie finden in den Unterlagen alle benötigten Angaben wie Körpergewicht und –größe, sämtliche Informationen über ’Schlafes Bruder’ und die enthaltene Menge Basiliskengift, Forschungsergebnisse von Mr. Callidita und was sonst noch hilfreich wäre, um ein Gegengift herstellen zu können. Mir muss ein Fehler unterlaufen sein. Finden Sie ihn!“
Hermine musste ihre Augen schließen. Sie war so froh gewesen, diese Sache längst zu den Akten gelegt zu haben. Auch ohne den Fall Pansy hatte sie viel um die Ohren, für ihren Geschmack zu viel. Ihre Belastungsgrenze war hoch angesetzt, wie sie damals in Kriegszeiten erfahren hatte, aber sie bemerkte, dass mittlerweile der Stress auf ihr eigenes Gemüt schlug.
Als hätte Severus ihre Gedanken gelesen, sagte er, nachdem er sich zuvor peinlich berührt geräuspert hatte: „Die…“ Er räusperte sich erneut. „Die Pastillen…“
Ein zaghaftes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Helfen Sie?“ Sie wusste, dass sie helfen mussten. Jeder, der sie einmal eingenommen hatte, konnte dies bestätigen.
Severus’ Bestätigung bestand aus einem knappen Nicken. „Ich wollte Sie darüber in Kenntnis setzen, dass sie langsam zur Neige gehen.“
Hermines Lächeln verblasste, als seine Worte ihr die Gewissheit über seinen Zustand vor Augen hielten.
„Severus“, flüsterte sie besorgt. „Das waren 200 Stück!“
„Und Sie gehen zur Neige. Es ist mir gleich, was Sie tun werden, Hermine. Bitten werde ich nicht darum.“
„Eine am Tag reicht vollkommen. Severus, wie viele haben Sie täglich genommen?“
Sie hörte ihn kräftig schlucken, bevor er sich abwandte. „Viele, und jetzt gehen Sie bitte und rechnen Sie nach.“
„Sagen Sie mir, wie viele Sie genommen haben!“
Er spritzte die Lippen und wollte die Angelegenheit hinunterspielen. „Fünf im Durchschnitt, nicht selten auch mal zwanzig.“
Ihr war zum Heulen zumute. Jeder andere, der zwanzig Stück auf einmal genommen hätte, würde völlig euphorisch auf den Gängen umhertanzen und sich des Lebens freuen, doch bei ihm schienen die Pastillen gerade mal den Stimmungslevel so konstant zu halten, damit er seines Lebens nicht überdrüssig wurde.
„Severus?“
„Wenn Sie der Meinung sind, Sie dürften sich nun herausnehmen, mir die Leviten zu lesen…“
Sie schüttelte den Kopf und unterbrach kleinlaut. „Nein, ich wollte Sie nur bitten, meine Vorstellung bei der ’Körperschaft der Zaubertränkemeister’ abzusagen. Wir könnten aufs nächste Jahr ver…“
Diesmal fiel er ihr ins Wort: „Wie bitte? Warum sollte ich das tun?“
„Weil es mir zu viel wird!“
„Was für ein Unfug ist das denn?“, meckerte er missgelaunt.
„Ich habe so viel um die Ohren, das wächst mir alles über den Kopf.“
„Sie müssen nur für ein, zwei Stunden an einem Podium stehen und Ihren Trank beweihräuchern. Was in Merlins Namen ist daran so einnehmend?“
„Vielleicht“, konterte sie mutlos, „weil es viele zeitraubende Vorbereitungen mit sich bringt. Die Versammlung ist schon im Februar und dann muss ich Ende des Monats auch noch meine Prüfung beim Ministerium ablegen.“
„Und was soll daran so schwer sein? Es handelt sich bei der Prüfung nur um einen einzigen Tag, Hermine! Sie gehen hin, beantworten ein paar Fragen schriftlich und mündlich, panschen vor Publikum einen Standardtrank zusammen und nehmen am Ende Ihr Zertifikat entgegen. Ich verstehe nicht, warum Ihnen das ’zu viel’ sein sollte?“
Mit großen Augen blickte sie ihn an und wägte ab, ob sie weiterhin dagegenhalten sollte, doch sie entschied sich dazu, jedes Wort, das ihre Kehle hinaufklettern wollte, sofort wieder hinunterzuschlucken.
„Schon gut.“ Sie hatte nicht verbergen können, dass sie kraftlos klang. „Wie viele Pastillen haben Sie noch?“
„Warum fragen Sie? Damit Sie mir doch noch Vorhaltungen machen können?“
Erneut musste sie ihre Augen schließen. Am liebsten würde sie die Unterlagen auf seinen Tisch legen und gehen, irgendwo hin: ein Spaziergang mit dem Hund zum See oder einen Kurztrip nach Japan. Überall dorthin, wo sie ihren Kopf freibekommen könnte.
„Nein, ich möchte nur wissen, ob ich die Pastillen herstellen soll, bevor ich mich an die Berechnungen für das Gegengift mache.“
„Sie werden erst nachrechnen. Die Pastillen sind zweitrangig!“
„Aber wenn…“
„Kein ’aber wenn’! Das Basiliskengift, das in dem Gegenmittel enthalten war, stimuliert die Nerven, Hermine. Wenn der Trank keine Heilung gebracht hat, dann muss ich davon ausgehen, dass Miss Parkinson eventuell unter Nervenschmerzen leidet, was sie niemandem mitteilen kann – Höllenqualen, Hermine! Könnten Sie mit dieser Vorstellung leben?“
Sie war so schockiert, dass ihr die Worte fehlten.
„Gehen Sie und nehmen Sie sich die Zeit, die Sie benötigen, aber nichtsdestotrotz erwarte ich, dass Sie nicht trödeln. Das hier“, er tippte auf die Unterlagen in ihren Händen, „hat absolute Priorität, verstehen Sie?“
Ihr blieb nichts anderes übrig als zu nicken.
Mit einem mulmigen Gefühl begab sie sich in den vierten Stock, breitete ohne Umschweife die Unterlagen auf ihrem Tisch aus und machte sich daran, mit den vielen Anhaltspunkten eine Formel zu erstellen, während sie die Berechnungen von Severus weit weg legte, denn sie wollte sich nicht von ihnen beeinflussen lassen – wollte nicht riskieren, dass sein vermeintlicher Denkfehler auf sie überging.
Dem Abendessen blieb sie fern und auch Severus wurde vermisst, als Harry am Lehrertisch zwischen Remus und Neville Platz genommen hatte. Mit seinem alten Schulfreund unterhielt er sich über alles Mögliche, aber vor allem prächtig.
Neben sich vernahm Harry, wie Remus jemanden fragte: „Wo ist Albus?“
Minervas Stimme antwortete mit hörbarer Verbissenheit: „Der ist bei Mr. Filch und hilft ihm bei seiner Arbeit.“
Harry verschluckte sich an seinem Grünkohl. Sein Hals kratzte fürchterlich, doch ein Schluck Kürbissaft schaffte Abhilfe. Er wagte es nicht, seinen Kopf zu drehen, denn er spürte jetzt schon den bohrenden Blick Minervas, die sich darüber ärgerte, dass Albus die spaßig gemeinte Strafarbeit vor vorhin ernst genommen hatte.
„Remus?“ Der Angesprochene beugte sich nach hinten, damit er über Harrys Rücken hinweg Neville ansehen konnte, der ihn darüber unterrichtete: „Pomona hat gesagt, du kannst das Buch heute Abend noch abholen. Sie selbst hat noch zu tun, aber so gegen 21 Uhr erwartet sie dich.“
„Oh, vielen Dank. Ich werde pünktlich da sein.“
Harry lehnte sich zurück. „Was für ein Buch?“
„Na ja“, begann Remus ausweichend, „du weißt schon. Hat mit der fehlenden Zutat zu tun.“
„Ihr habt sie gefunden?“, wollte Harry wissen.
Remus schüttelte den Kopf. „Noch nicht, aber das Buch kann sehr hilfreich sein. Da soll beschrieben stehen, wo man die Pflanze findet. Sie wächst hier in Schottland.“ Neville nickte bestätigend, als er von Remus angesehen wurde.
„Ich drück die Daumen. Im Moment…“ Harry verbat sich selbst den Mund, denn er konnte hier schlecht über die Prophezeiung sprechen.
„Im Moment…“, wiederholte Remus neugierig.
„Nicht hier. Ich weiß nicht, ob du davon überhaupt erfahren solltest, aber andererseits…“ Er legte den Kopf schräg und dachte einen Augenblick nach. „Warum eigentlich nicht? Mehr Köpfe könnten das Rätsel schneller lösen.“
Neville wurde hellhörig. „Rätsel?“
Ein Seufzer entwich Harry. „Ja, ein Rätsel, zumindest etwas Ähnliches.“
„Luna ist gut in so was!“
„Ich weiß, Neville, aber das würde wirklich den Rahmen sprengen, auch noch sie damit zu belasten.“
Ein Moment des Schweigens trat ein, in welchem Neville ein Schälchen Karamellpudding zu sich heranzog.
„Wo sind eigentlich Hermine und Severus?“, fragte Remus, weil er vermutete, dass Harry es wissen könnte.
Mit den Schultern zuckend erwiderte Harry: „Zusammen arbeiten?“
Zwar arbeiten Severus und Hermine momentan nicht zusammen, aber jeder für sich und zwar an der gleichen Sache. Severus rechnete und blätterte, rechnete erneut und schaute in seinen Unterlagen nach, doch immer wieder kam er zum gleichen Ergebnis und das war jenes gewesen, welches bei Pansy nicht angeschlagen hatte.
„Verdammt!“ Mürrisch warf er seine Feder von sich, die entgegen seiner Erregung lautlos und sanft gen Tisch schwebte. Sein Gesicht in den Händen vergrabend wiederholte er leise: „Verdammt!“
Selbstzweifel gehörte zu den Gefühlen, die er nie wieder spüren wollte. Das war eine der wenigen Emotionen, die zu empfinden er in all den Jahren noch in der Lage gewesen war und momentan wurde er von diesem Gefühl eingenommen. Selbstzweifel, Unsicherheit, Zerrissenheit. Severus legte eine Hand auf seinen Bauch. Wie schon in den letzten Monaten zum Glück nur vereinzelt auftretend bekam er auch in dieser Situation Magenschmerzen, doch dieses Mal würde er einen der von ihm selbst gebrauten Tränke gegen Beschwerden dieser Art einnehmen müssen. Damals, gleich nach Lilys Tod, hatte sich sein Gram in die Schleimhäute seines Magens gefressen, was er mit Poppys Hilfe in den Griff bekommen hatte. Schon seit längerer Zeit – seitdem er seinen Frieden mit Harry geschlossen hatte – wusste Severus, dass diese unerwartete Fähigkeit, empfinden zu können, ihm aufs Neue auf der Seele liegen würde und genau das hatte er damals verhindern wollen. Ohne Hermines Pastillen hätte er seinen Qualen längst ein Ende bereitet.
Severus seufzte, bevor er die letzten fünf Pergamente zerknüllte und achtlos hinter sich warf. Er atmete einmal tief durch und widmete sich hartnäckig der Stöchiometrie, überprüfte im Vorfeld nochmals die Summenformeln der Ausgangsstoffe, bevor er sich an die zeitraubende Reaktionsgleichung wagte. Der Fehler, wenn es denn einen gab, konnte nur in der Berechnung für die Summenformel des Basiliskengiftes liegen, denn die Angaben von Callidita, der damals in Hogwarts als Heiler gearbeitet hatte, waren eventuell ungenau.
Auf die gleiche Vermutung kam Hermine, nachdem sie ihr sechstes Pergament nochmals überflog, nur um zu bemerken, dass sie auf genau dieselbe Berechnung schon fünf Mal zuvor gekommen war.
„Verdammt!“, fauchte sie gereizt und Fellini fühlte sich persönlich angesprochen und suchte vorsichtshalber das Weite. Sie rieb sich das Gesicht mit beiden Händen, stöhnte weinerlich und fluchte aufgebracht, doch das half ihr auch nicht weiter. Niemanden könnte sie in dieser Angelegenheit um Hilfe bitten, denn sie war sich sicher, dass Rechnen in Bezug auf Zaubertränke weder Harrys heimliches Steckenpferd darstellte noch das von Remus. Ihr fiel bis auf Albus niemand ein, den sie um Hilfe bitten könnte, doch Severus hätte den Direktor sicherlich längst gefragt, würde er sich etwas davon versprechen.
„Blöder Basilisk!“
Von diesen Kreaturen wusste man viel zu wenig, über ihr Gift noch weniger. Dass diese Wesen einzigartig waren zeigte allein schon die Tatsache, dass ihr Toxin nicht lähmte, wofür Schlangengift in der Regel bekannt war, sondern das vegetatives Nervensystem anregte. Tödlich war es trotzdem, zumindest bei Abraxanern. Den Grund konnte man nur erahnen. Hermine konnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, warum ein Basilisk überhaupt über Giftdrüsen verfügte, wo er doch seine Opfer mit einem einzigen Blick töten konnte – also wozu das Gift?
Die ganze Zeit über hatte sie einen Namen im Hinterkopf.
„Wer weiß am meisten über Basilisken Bescheid?“ Mit strengem Lehrerblick betrachtete sie ihren Kater.
„Mau?“, machte Fellini vorsichtig.
„Richtig, Corvinus Callidita! Mal sehen, ob ich seinem Gemälde in Poppys Büro ein paar Worte entlocken kann.“
Zuversichtlich sprang sie von der Couch, um sich etwas Schickeres anzuziehen, denn auch wenn es – sie stutzte, denn offenbar hatte sie die Zeit vergessen – bereits halb zwei war, war sie fest entschlossen, ihr Vorhaben nicht zu verschieben.
Hogwarts’ Gänge waren kalt. Die meisten Herren und Damen in den Gemälden schnarchten, als Hermine leise die sich bewegenden Treppen hinunterging, um im ersten Stock den Krankenflügel aufzusuchen. Callidita war ein magisches Gemälde, würde aber nicht sprechen; das hatte zumindest Severus von Remus erfahren und der wusste es von Poppy selbst.
Der Zutritt zum Krankenflügel lief problemlos vonstatten, aber dass sie auch mit Leichtigkeit in Poppys Büro eintreten konnte, machte sie skeptisch.
„Was tun Sie hier?“, hörte man eine Frauenstimme im Dunkeln sagen. Erschrocken drehte sich Hermine um, eine Hand auf der Brust sollte ihr Herz beruhigen. Poppy entzündete mit einem Incendio alle Lichter. „Miss Granger? Hermine, was tun Sie hier?“ Sie musste gerade dem Bett entstiegen sein, denn sie war in einen Morgenmantel mit üppig fallenden Stoffen gehüllt, auf dem Kopf trug sie eine altmodische Schlafhaube.
„Ich… Ich… Ich bin momentan um Worte verlegen.“ Ein gequältes Lächeln lag auf Hermines Lippen. „Ich wollte nichts stehlen, falls Sie das vermuten, Poppy.“
„Nein, das würde ich auch nicht von Ihnen denken. Wie kann ich Ihnen“, sie blickte zur Standuhr hinüber, „um kurz nach halb zwei behilflich sein?“
Schuldbewusst betrachtete Hermine ihre Fingernägel. „Ich hätte nicht unangemeldet kommen sollen, das tut mir Leid.“
„Sie sind Heilerin, Hermine – eine Kollegin. Ich würde Ihnen bestimmt keine Steine in den Weg legen, was Sie auch tun oder worüber Sie auch Nachforschungen anstellen, aber Sie müssen auch verstehen“, Poppy drosselte ihre aufgebrachte Stimme und fuhr sanfter fort, „dass es immer wieder ein großer Schreck ist, mitten in der Nacht von dem Alarmzauber geweckt zu werden.“
„Es tut mir so Leid.“
Wesentlich gelassener sagte Poppy: „Na ja, es kommt zum Glück sehr selten vor. Ich werde Ihre magische Signatur dem Schutzzauber zuführen, damit Sie ein- und ausgehen können.“
Einen Wutsch mit dem Zauberstab später nickte Poppy selbstzufrieden. „Das wäre erledigt.“
Erst jetzt blickte sich Hermine in Poppys gemütlich wirkendem Büro um. An drei Stellen hingen Gemälde. Eines zeigte eine hochnäsig wirkende Frau mit Schönheitsfleck über der linken Oberlippe, den sie Hermines Meinung nach wirklich nötig hatte, denn hübsch anzusehen war sie nicht. Sie wirkte wie eine Karikatur. In einem anderen Bild war ein alter Mann mit schlohweißem Haar abgebildet, der dösig in einem weichen Sessel saß und die Szenerie nur mit einem halbwachen Auge verfolgte. Das dritte Gemälde musste den Gesuchten darstellen. Vom Alter her passte es, denn Callidita war laut der Bücher gerade mal 34 Jahre alt geworden, allerdings war nicht schriftlich festgehalten worden, dass er so gut ausgesehen hatte.
„Wenn Sie nur meine Dekoration betrachten wollten, Hermine, dann hätten Sie auch am Tage kommen können.“
„Verzeihung, Poppy. Ich wollte ein Wort mit Mr. Callidita wechseln, wenn er nichts dagegen hat.“
Sie blickte zu dem jungen Mann hinüber, dessen strahlend blaue Augen vor Neugierde funkelten. Ihm gegenüber begann die Dame mit dem Schönheitsfleck hinter vorgehaltener Hand zu kichern und das Funkeln in Calliditas Augen verstarb. Er blickte zu Boden und täuschte Desinteresse vor. Als Hermine ihre Augen von ihm lösen konnte und die ältere Heilerin anblickte, da bemerkte sie, dass Poppy so erstaunt zu sein schien, dass ihre Augenbrauen unter der tief sitzenden Schlafhaube verschwunden waren.
„Sie möchten mit…“ Poppys Blick huschte zum besagten Gemälde hinüber, dann wieder zu Hermine. „Wenn Sie es schaffen, nur zu.“ Sie klang ein wenig enttäuscht. „Ich werde Sie allein lassen. Gute Nacht, Hermine. Und viel Glück!“
„Gute Nacht Poppy.“
Die Tür schloss sich hinter der Heilerin, die sich nun wieder ins Bett begeben würde. Was genau Hermine das Gemälde fragen wollte, wusste sie selbst nicht. Zudem war es zweifelhaft, ob gerade ihr gelingen würde, woran andere gescheitert waren: Mr. Callidita zum Reden zu bewegen.
„Nur zu“, drängte die Frauenstimme aus dem Gemälde hinter Hermine, doch sie schenkte der hochnäsigen Dame keinerlei Beachtung. Hermine konnte sehen, wie Callidita seinem Gegenüber einen mürrischen Blick zuwarf, dann aber seinen Kopf drehte und sie ignorierte.
„Mr. Callidita, ich bin Hermine Granger. Ich bin, wie Sie von Madam Pomfrey eben erfahren haben, Heilerin.“ Seinen Blick hatte Callidita noch immer abgewandt. „Bitte, ich möchte gern mit Ihnen über etwas reden, wovon Sie mehr verstehen als jeder andere.“ Seine Neugierde schien wieder aufzuflammen, denn er beäugte sie aus den Augenwinkeln. „Ich habe in einem Buch über Sie gelesen und über Ihre Arbeit, die ich übrigens sehr beeindruckend finde.“
Etwas zu schmeicheln, dachte Hermine, könnte nicht schaden, solang sie dabei nicht log und das tat sie nicht. Endlich schaute er sie an, was ihr ein kleines Triumphsgefühl bescherte, doch leider machte er nichts anderes.
„Sie können sich sicherlich denken, von was ich spreche.“ Ihre Stimme war sehr sanft. „Ich habe vor kurzer Zeit das Glück gehabt, einen Basilisk zu sehen.“ Seine Augen gewannen mit einem Male wieder an Lebendigkeit. Er schien kurz davor, sie mit einem Schwall an Informationen erschlagen zu wollen, doch er blieb stumm. „Es ist uns gelungen, die Giftdrüsen zu entfernen und mitzunehmen.“ Wegen seines schockierten Gesichtsausdrucks erklärte sie schnell: „Das Tier war tot, seit einigen Jahren schon.“ Erleichtert schloss er einen kurzen Moment die Augen, bevor er in die ihren blickte und auf weitere Anekdoten zu hoffen schien. „Auch ein paar Schuppen haben wir mitnehmen können.“ Der Herr, dessen Augenfarbe an einen Bergsee erinnerte, lächelte freundlich gesinnt. „Ich stehe vor einem Problem. Ich…“
Hermine blickte zu dem Gemälde mit dem alten Mann hinüber, aber der war in seinem Sessel längst wieder eingeschlafen. Die hochnäsige Dame hinter Hermine hatte jedoch ihren Hals gestreckt, um lauschen zu können, weswegen Hermine näher an Calliditas Gemälde heranging, um leiser sprechen zu können.
„Ich brauche Hilfe, sehr dringend sogar und ich bin der Überzeugung, dass es für Sie eine Leichtigkeit wäre, mir ein wenig unter die Arme zu greifen. Würden Sie mir helfen?“
Möglicherweise hatte sie ein bisschen zu flehend geklungen, doch sie hatte sich nicht verstellt. Der Hundeblick könnte gegebenenfalls zu viel sein, schalt sie sich selbst, aber bei Ron und Harry hatte der immer gewirkt. Sie war verzweifelt und das durfte er ruhig hören und auch sehen. Calliditas Mund öffneten sich ein wenig und seine Lippen bewegten sich, als würde er etwas sagen wollen, doch kein Wort war zu vernehmen.
„Bitte“, hauchte sie.
Das letzte Wort hatte sie so beschwörend ausgesprochen, dass Callidita sich endlich einen Ruck gab, doch was Hermine hörte, irritierte sie.
„Mmmm“, summte er in verschiedenen Tonlagen, als wäre das Wort, das er von sich geben wollte, so lang wie eine Gummischlange aus dem Honigtopf; es wollte einfach nicht in einem Stück über seine Lippen kommen und in diesem Augenblick verstand Hermine seine Abneigung zu sprechen.
Hinter sich hörte sie, wie die Frau aus dem Gemälde ihn auf gemeine Weise nachäffte und über ihre Imitation schrill lachte.
„M-M-Mr. C-C-Callidita kann ja nicht mal seinen Namen nennen, ohne über ihn zu stolpern!“
Blitzschnell drehte sich Hermine um und schimpfte: „Das ist wirklich unverfroren. Jetzt kann ich mir auch gut vorstellen, warum der Maler Sie karikiert hat. Ihre Garstigkeit hat er allerdings ganz wunderbar ausgearbeitet!“
Das hässliche Grinsen verschwand aus dem Gesicht der Dame und wurde durch einen erbosten Gesichtsausdruck ersetzt.
„Ich höre wohl nicht recht?“, schimpfte die Frau. „Und das von einem Weibsbild, das nie etwas von einer Bürste gehört zu haben scheint.“
„Zumindest brauche ich keinen Schönheitsfleck, der die Augen von einem grässlichen Gesicht ablenkt!“
„Das ist ja wohl…“ Die Dame war so vor den Kopf geschlagen, dass ihr sogar die Sprache wegblieb.
Mit klopfendem Herzen wandte sich Hermine wieder an Callidita, der zu ihrem Erstaunen mit gehässiger Miene zu seinem weiblichen Gegenüber starrte, bevor er seinen Blick senkte, um Hermine ansehen zu können.
„Wenn Sie gestatten, Mr. Callidita, dann würde ich Sie gern ’ausleihen’ und mit auf mein Zimmer nehmen. Ich bringe Sie wieder zurück, wann immer Sie möchten, aber ich glaube, hier kann man sich nicht ungestört unterhalten.“
Erleichterung machte sich in ihr breit, denn der hübsche Mann in dem Gemälde nickte zustimmend.
Den Weg vom Turm hinunter über die sich bewegenden Treppen gingen Ginny und Draco nur schleppend, was jedoch nicht an den benebelnden Aromen in Professor Trelawneys Klassenzimmer lag, sondern an dem anfangs unbegreiflichen Ereignis, eben einer Prophezeiung beigewohnt zu haben, von der die Lehrerin für Wahrsagen nichts zu wissen schien. Die kleine Pause war längst vorüber. Zur nächsten Stunde waren sie bereits viel zu spät dran, doch sie beeilten sich nicht. Stattdessen wurde Ginny erst langsamer, setzte sich dann auf die Stufen kurz vor dem Treppenabsatz des vierten Stocks. Draco hielt an und lehnte sich an das steinerne Geländer. Sie waren vollkommen allein.
„Was mag das zu bedeuten haben?“, wagte Ginny leise zu fragen.
Sein Blick huschte nachdenklich hin und her. „Etwas mit dem dunklen Mal, ganz sicher!“
„Wem erzählen wir davon?“
„Harry“, kam es von Draco wie aus der Pistole geschossen. „Wem sonst? Harry und vielleicht Hermine.“
„Und was ist mit Dumbledore?“ Ginny stand wieder auf und hielt ihre Bücher mit beiden Armen vor ihren Oberkörper, als wollte sie sich vor etwas Unsichtbarem schützen.
„Harry kann entscheiden, wer davon erfahren soll.“
Ginny nickte. „Es gibt eine Meldepflicht dafür.“ Sie hatte leise gesprochen und blickte ihm nun direkt in die Augen. „Prophezeiungen müssen beim Ministerium gemeldet werden.“
„Und wenn es gar keine war? Woher sollen wir wissen, ob Trelawney von ihren Kerzen nicht einfach nur etwas… sagen wir mal ’berauscht’ war?“
Beide konnten an nichts anderes mehr denken als daran, jemandem davon zu berichten. Harry hielt noch Unterricht, aber Hermine wäre momentan zu erreichen. Das würde bedeuten, dass einer von ihnen den Unterricht schwänzen müsste, wenn sie ihr sofort Bescheid geben wollten und das wollte zumindest Ginny.
„Was haben wir jetzt?“, wollte sie wissen.
„’Geschichte der Zauberei’, hat vor fünfzehn Minuten angefangen.“
„Ach du meine Güte.“ Ginny seufzte. Die Entscheidung, dem Unterricht fernzubleiben, fiel ihr nicht schwer. „Ich gehe zu Pomfrey. Kannst du mich bei Binns krank melden?“
Er grinste gezwungen, weil er sich selbst und auch ihr die Befangenheit nehmen wollte, die seit der letzten Stunde über sie gekommen war. Besonders Draco konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, denn er war sich sicher, dass die Prophezeiung die restlichen Todesser betreffen würde. Die von Trelawney benutzten Worte „Feuer“ und „Brand“ hatten seiner Meinung nach einen bitteren Beigeschmack. Es jagte ihm Angst ein, doch das wollte er nicht zeigen.
„Fängst du doch an zu kränkeln? Mein ’Ohnegleichen’ ist mir wohl sicher“, scherzte er halbherzig. „Gut, ich sag Bescheid. Am besten bringe ich dich hin, damit Pomfrey mir eine Bescheinigung ausstellen kann, warum ich zu spät…“
„Mr. Malfoy, Miss Weasley“, hörten beide eine wohl bekannte, zischende Stimme sagen.
Mit einem Buch unter den Arm geklemmt, welches er sich eben aus der Bibliothek geholt zu haben schien, war Severus mit wenigen Schritten bei ihnen.
„Professor Snape“, grüßte Draco Respekt zollend, doch bevor er ihre Situation erklären konnte, machte Severus ihnen bereits Vorwürfe.
„Was tun Sie hier außerhalb der Klassenzimmer? Haben Sie beide keinen Unterricht?“ Durch verengte Augenlider fixierte er Ginny, die ihren Blick senkte.
Das Wort ergriff Draco. „Es geht Miss Weasley nicht sehr gut, Professor. Wir haben eben entschieden, dass ich Sie zur Krankenstation bringe, um…“
„…den Unterricht zu schwänzen?“ Severus zog beide Augenbrauen in die Höhe, bevor er sich Ginny zuwandte und sie von oben herab musterte. „Sie sehen nicht gerade mitgenommen aus, Miss Weasley. Um welche Art Beschwerde handelt es sich denn?“
Draco wollte sich für sie einsetzen. „Sir?“
„Ich habe nicht mit Ihnen gesprochen, Mr. Malfoy. Also, Miss Weasley? Keine Lust auf ’Geschichte der Zauberei’? Möchten Sie stattdessen vielleicht lieber den Boden wischen?“
„Severus…“
Aufgrund seines von Draco verwendeten Vornamens wandte er seinen Kopf so schnell, dass ein leises Knacken zu hören war.
„Ich lege Ihnen nahe, Mr. Malfoy“, zischte er, „auf eine persönliche Anrede während der Unterrichtszeit zu verzichten.“ Wieder an Ginny gerichtet fragte er erneut: „Was für Beschwerden haben Sie?“
Es war vorherzusehen, dass Ginny und Draco dieser Situation nicht entkommen könnten und zum Unterricht gehen müssten, zudem auch noch Punkteabzug fürs Trödeln bekommen würden. Deswegen riss sich Ginny zusammen und bedeutete Severus mit einem Wink ihres Zeigefingers, dass er ihr sein Ohr leihen sollte. Er verzog den Mund, kam der Aufforderung aber zögerlich nach und beugte sich zu ihr, so dass sie ihm leise etwas mitteilen konnte.
Draco beobachtete, wie Severus’ erst angestrengt zuhörte, dann die Augen weit aufriss und das Gesicht angewidert verzog, bevor er sich aufrichtete und sagte: „Genug! Lassen Sie sich von Mr. Malfoy schon in den Krankenflügel begleiten!“
Irritiert blickte Draco seinem Patenonkel nach, der fluchtartig das Weite suchte, während Ginny sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte.
„Was hast du ihm gesagt?“
Sie setzte sich wieder in Bewegung und er folgte ihr, derweil blickte sie ihn über ihre Schulter an. „Ich habe ihm gesagt, ich würde unter Menstruationsbeschwerden leiden.“ Diesmal verzog Draco das Gesicht, hörte aber weiter zu. „Ich bin davon ausgegangen, er würde aufhören nachzuhaken, weil kaum ein Mann gern über so ein Thema spricht.“
„Da muss ich dir zustimmen. Ich gehöre übrigens auch zu den Männern – nur so als Hinweis.“
„Ich habe doch aber gelogen.“
„Ich will das gar nicht wissen!“
Madam Pomfrey hatte Draco eine Bescheinigung für das Fehlen von Miss Weasley mitgegeben und eine Entschuldigung für sein Zu-Spät-Kommen zum Unterricht. Ginny würde jetzt Hermine aufsuchen, während er die Aufgabe hatte – falls sie zu dem Zeitpunkt nicht schon zurück wäre – Harry vor dem Mittagessen abzufangen.
An Hermines Tür stehend flehte sie leise: „Bitte Hermine, sei da! Bitte!“ Ihr Klopfen wurde gehört. Zaghaft öffnete sich die Tür und als Hermine ihre beste Freundin bemerkte, da schien sie erleichtert, weil sie offenbar mit jemand anderem gerechnet hatte.
„Ginny, hast du nicht noch Unterricht?“
Etwas an Hermine war anders, dachte Ginny. Ihre Stimme war monoton. Sie hörte sich an, als würde sie etwas sehr belasten, doch bevor sie darauf einging, trat sie ein und schloss die Tür hinter sich.
„Trelawney hat eine Prophezeiung gemacht!“, sprudelte es aus Ginny heraus.
Hermines Stirn schlug Falten. Sie war skeptisch und zeigte sich kein bisschen überwältigt von dieser Information. „Bist du sicher?“
„Draco hat sie auch gehört! Der Arme war am nächsten dran. Danach wusste Trelawney von nichts.“ Mit einer Mischung aus Neugier und Sorge kniff Ginny die Augen zusammen, weil Hermine einen sehr abgeschlagen Eindruck machte. „Du hast doch selbst mal gesagt, dass man sich an eine Prophezeiung, die man gemacht hat, nicht erinnert, im Gegensatz zu Visionen.“
„Ja schon, aber bei Trelawney bin ich mir da nicht so sicher. Ich halte nicht viel von Wahrsagerei.“
Hermine wandte sich von ihrer Freundin ab und ließ sich antriebslos auf die Couch sinken. Ihre Mimik verriet nur eines, nämlich dass sie besorgt zu sein schien, aber nicht wegen der Prophezeiung. Es musste ernst sein, dachte Ginny, wenn Hermine nicht einmal fragte, wie der Wortlaut der Prophezeiung war.
„Hermine, was ist nur los?“, fragte Ginny vorsichtig und erntete damit einen Blick von ihrer Freundin, der so viel Verzweiflung innehatte, dass sie hinüberging und sich neben sie setzte. „Hermine.“ Der Klang ihrer tröstenden Stimme ließ Hermines Unterlippe einen Augenblick beben. „Hermine?“
Die zuvor sachte bebende Unterlippe begann nun zu zittern. Hermine hielt sich beide Hände vors Gesicht und holte kräftig Luft. Nun zitterten auch ihre Hände und ihr Oberkörper schüttelte sich. In weiser Voraussicht legte Ginny einen Arm um Hermines Schultern, unterließ es jedoch, ein weiteres Mal nachzufragen, was sie so belasten würde.
„Ich…“ Hermine schluckte, um ihre Stimme unter Kontrolle zu bekommen. „Ich kann mich jetzt nicht auch noch um eine Prophezeiung kümmern. Ich kann nicht!“
Ginny strich ihr in kreisenden Bewegungen über den Rücken und machte damit deutlich, dass Hermine sich nicht kümmern müsste.
„Ich dachte nur“, begann Ginny mit ruhiger Stimme, „die Prophezeiung könnte mit Todessern zu tun haben, das glaubt jedenfalls Draco.“
Hier blickte Hermine interessiert auf. Es war ihr unangenehm, sich von ihrer schwachen Seite gezeigt zu haben, doch Ginny hatte sie in Kriegszeiten noch ganz anders erlebt.
„Warum mit Todessern?“
Mit warmer Stimme gab Ginny den Anfang wider: „’Ein jettschwarzes Symbol auf schneeweißem Grund…’, das kann nur eines bedeuten, oder?“
Nach vorn blickend ließ sich Hermine diese Worte durch den Kopf gehen. Ihre Gedanken wirbelten so schnell umher, dass jeder Tornado vor Neid erblassen würde. Innerlich stöhnte sie. Momentan war ihr alles zu viel. Sie wollte endlich Lösungen und Erklärungen, ohne dafür auch nur ein einziges Mal noch den kleinen Finger krümmen zu müssen, doch das blieb ihr verwehrt. Unerwartet nickte sie Ginny zu und rang sich ein Lächeln ab.
„Hast du dir alles gemerkt?“
„Ich denke schon, ansonsten zeige ich’s dir im Denkarium.“
Zustimmend machte Hermine den Vorschlag: „Jetzt gleich?“
„Okay!“
Während Hermine und Ginny bereits ins Erdgeschoss gingen, um die Erinnerung an die Prophezeiung anzuschauen, saß Draco hin und her rutschend auf seinem Stuhl, ignorierte die eintönige Stimme von Professor Binns und wartete auf den Unterrichtsschluss.
Von links hörte er jemanden flüstern: „Sag mal, was ist denn los?“ Es war Gordian gewesen, der Draco ungläubig anblickte.
„Nichts“, log Draco.
Weitere Fragen wurden vereitelt, denn der Unterrichtsschluss wurde eingeläutet und Draco war der Erste, der Professor Binns Räume verlassen hatte.
Durch die Flügeltür der großen Halle spähend schaute Draco nach, ob Harry schon am Lehrertisch saß, doch sein Platz war leer. Er kam nie durch den Hintereingang, so dass Draco vorn wartete. Vereinzelt gingen Lehrer und Schüler an ihm vorüber, doch von Harry oder Ginny war weit und breit nichts zu sehen.
„Mr. Malfoy, warten Sie auf jemanden?“ Es war Remus gewesen, der ihn so verloren an der Tür hatte stehen sehen. Gleich hinter Remus stand Neville.
„Ja, Sir. Ich warte auf Harr… auf Professor Potter.“
„Oh, den habe ich nicht gesehen. Sollte er hinten reinkommen, werde ich ihm Bescheid geben, dass Sie draußen auf ihn warten.“
„Danke, Sir.“
Nur kurz blickte Draco den beiden hinterher, die den Weg zum Lehrertisch eingeschlagen hatten, bevor er wieder diejenigen im Auge behielt, die in die große Halle stürmten, um zu Mittag zu essen.
Ein paar Gänge weiter schlenderte Harry frohen Herzens zur großen Halle. Noch immer war sein Gesicht mit einem breiten Lächeln versehen, denn die letzte Unterrichtsstunde hatte ihm sehr gefallen. Es war lustig gewesen und die Schüler – alle Schüler – hatten das Thema beim ersten Mal begriffen, was ein befriedigendes Gefühl in ihm ausgelöst hatte. Er war zufrieden, auch mit sich selbst.
Geistesabwesend passierte er einen abzweigenden Gang, in welchem er nur aus den Augenwinkeln zwei Personen sah, die dicht nebeneinanderstanden und sich zu küssen schienen. Harry stutze und blieb stehen, bevor er mit in Falten gelegter Stirn zurückging, um in den Gang zu schauen. Seine Stirn glättete sich wieder, aber nur kurz, denn seine Augenbrauen schossen in die Höhe. Im Anschluss bemerkte er, wie sich ein freches Grinsen in seinem Gesicht niederschlug und er konnte nichts dagegen unternehmen. Er ging ein paar Schritte auf die beiden zu, baute sich vor ihnen auf und wartete, bis sie voneinander lassen und ihn bemerken würden – lange brauchte er nicht zu warten. Minervas seliges Lächeln, das sie eben erst noch ihrem Gatten geschenkt hatte, wurde von der Erkenntnis aus dem Gesicht gefegt, einen Beobachter gehabt zu haben. Albus folgte ihrem Blick und betrachtete Harry, dessen albernes Grinsen und das freche Funkeln in den Augen den Direktor anzustecken schienen.
„Aber Professor McGonagall“, sagte Harry übertrieben vorwurfsvoll, bevor er zweimal langsam den Kopf schüttelte.
Auch wenn er sich einen Scherz erlaubte, so spielte er seine Rolle offenbar sehr gut, denn eine gesunde Röte schlug sich auf ihren Wangen nieder.
„Und Professor Dumbledore, gerade Sie.“ Rügend schnalzte er ein paar Mal mit der Zunge. „Sie wissen doch über das ’Küssen auf dem Gang’ Bescheid. Aber ich werde mal ein Auge zudrücken.“ Minerva hatte sich wieder gefangen und blickte Harry mit ernster Miene an, doch der hielt nicht zurück. „Ich werde von einem Punkteabzug absehen“, flunkerte er.
„Wie großzügig, Harry“, kam es von Minerva mit gewohnt ernster Stimme.
„Trotzdem denke ich, dass eine Strafarbeit angemessen wäre.“ Während Albus sich alles in Ruhe anhörte und die ganze Zeit über sehr amüsiert schien, wirkte Minerva nun ein wenig erbost, was Harry nicht davon abhielt anzufügen: „Ich denke, Mr. Filch würde sich sehr über ein wenig Hilfe am Abend freuen.“ Der jetzige Blick, den Minerva ihm zuwarf, ging ihm durch Mark und Bein, so dass er die Situation schnell wieder entschärfte. „Natürlich auf freiwilliger Basis.“
Breit grinsend wandte Harry sich wieder ab, um erneut den Weg in die große Halle anzutreten, da drehte er sich noch einmal um und zwinkerte den beiden zu.
Vor der großen Halle war jetzt großer Trubel, denn der größte Schwung Schüler zwängte sich zum Mittagessen in den riesigen Saal. Draco bemerkte gar nicht, dass jemand vor ihm stand, bis man ihn am Ärmel zupfte. Erschrocken blickte Draco nach unten.
„Wer bist du denn?“, fragte er den schmächtigen kleinen Jungen.
„Ich bin Linus Korrelian und wollte wissen, ob ihr noch einen Treiber braucht.“
Ungläubig verzog Draco sein Gesicht, was ihn für einen Moment hässlich machte. „Du willst Quidditch spielen?“ Der Junge nickte heftig. „Aus welcher Klasse stammst du?“
„Ravenclaw, erste Klasse!“
„Erste Klasse? Dann hast du hast ja nicht mal einen eigenen Besen.“
Der Junge kniff beleidigt die Augen zusammen. „Ich habe einen, den durfte ich nur nicht mitbringen!“
„Dann hast du schon oft auf einem Besen gesessen?“, fragte Draco, bevor er aufblickte, um die Menschenmenge im Auge zu behalten, falls Harry auftauchen würde.
„Sonst würde ich ja wohl nicht fragen oder? Braucht ihr nun einen Treiber oder bin ich euch auch zu klein?“
Deutlich war herauszuhören, dass Linus bereits beim Kapitän der eigenen Quidditch-Mannschaft nachgefragt haben musste.
„Mann, Linus…“ Er legte eine Hand auf die Schulter des zierlichen Mitschülers. „Ehrlich gesagt habe ich Angst, dass du auf einem Besen Schlagseite bekommst, wenn du den Schläger in der Hand hältst.“
„Willst du mich veräppeln?“ Missgestimmt stieß Linus die Hand weg, die auf seiner Schulter ruhte. „Nur damit du es weißt: Ich spiele seit meinem sechsten Lebensjahr Cricket und ich habe als Batsman noch jeden Ball getroffen!“
Gekränkt ließ der Ravenclaw Draco stehen, der ihm verdutzt hinterherschaute, weil ihm wagemutige Gedanken durch den Kopf gingen, obwohl er mit den Begriff „Cricket“ nichts anzufangen wusste, aber „spiele seit meinem sechsten Lebensjahr“ und „jeden Ball getroffen“ hörte sich sehr vielversprechend an. Linus überholte in der großen Halle einen Erwachsenen und plötzlich bemerkte Draco einen Kopf mit strubbeligen Haaren. Harry muss längst an ihm vorbeigegangen sein und war schon auf dem Weg zum Lehrertisch.
„Har..“ Nein, er durfte ihn nicht beim Vornamen nennen. „Professor Potter?“ Harry blickte sich um und versuchte denjenigen ausfindig zu machen, der nach ihm gerufen hatte. Als er Draco erkannte, ging er zurück auf den Flur.
„Dra… ähm, Mr. Malfoy?“
„Ich muss mit Ihnen reden.“
Weil Draco so ernst geklungen hatte, ließ Harry sich von ihm ein paar Schritte wegführen, so dass sie nicht nur ungestört reden, sondern vor allem auf die höfliche Anrede verzichten konnten.
Während Draco in Stichpunkten das Erlebte nach dem Unterricht bei Trelawney wiedergab, betrachtete Hermine die Prophezeiung mit eigenen Augen, denn zusammen mit Ginny war sie in deren Erinnerung eingetaucht. Sie sah, wie ein verschreckter Draco von einer sich in Trance befindenden Wahrsagelehrerin gegen die Wand gedrückt wurde. Trelawneys Stimme klang ungewohnt, fast unirdisch.
„Ein jettschwarzes Symbol auf schneeweißem Grund kann nicht allein durch die Geheimnisse des Willens und seiner Gewalt schwinden. Feuer verzehrt, ein Brand erneuert. Erst nach dieser Reinigung wird seine Flamme es finden, das tränende Herz, um damit seine Wunden zu heilen.“
Kaum war Hermine aus der Erinnerung aufgetaucht, zückte sie aus ihrer Tasche das magische Schreibfederset und diktierte – gab Wort für Wort Trelawneys Vorhersage wider. Ginny atmete auf, als sie die Prophezeiung in Hermines wohlklingendem Tonfall hörte.
„Was glaubst du hat das zu bedeuten?“
Nachdem die Feder fertig geschrieben hatte, las Hermine die paar Zeilen noch mindestens drei Mal, bevor sie antwortete: „Ich habe keinen blassen Schimmer.“
Unerwartet trat Harry ins Wohnzimmer, der Draco im Schlepptau hatte.
„Also? Ich habe einen kurzen Abriss erhalten. Darf ich es sehen?“
Im Gegensatz zu Hermine nahm Harry Prophezeiungen etwas ernster, wusste aber durchaus, dass man diesen Dingen nicht zu viel Bedeutung beimessen durfte. Er blickte Ginny an, die daraufhin zum Denkarium hinüberschaute.
„Wir könnten es zu viert ansehen“, schlug Hermine vor. „Ich würde mich gern vergewissern, ob ich auch alles richtig behalten habe.“
So kam es, dass vier zierliche Nasen im Becken des Denkariums untertauchten. Die Prophezeiung war nicht lang. Die vier benötigten weniger als dreißig Sekunden, um sie gesehen zu haben, doch dreißig Sekunden reichten aus, um den Herzschlag zu erhöhen, um sich Gedanken zu machen und um ein seltsames Gefühl in der Magengegend nicht mehr ignorieren zu können.
Draco warf seinen Umhang über die Rückenlehne der Couch. Mit einer Hand öffnete er die Knöpfe der Schuluniform und auch die beiden obersten seines Hemdes, denn er schien schwer Luft zu bekommen.
„Alles okay?“, fragte Harry ihn, weswegen er nickte, doch nichts war „okay“. „Hermine?“ Harry drehte sich, um sie ansehen zu können. „Was denkst du?“
„Lass mich das noch ein paar Mal lesen, bevor ich irgendwas dazu sage!“
Sie hatte recht giftig geklungen, doch er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie nicht seinetwegen verärgert war, sondern deswegen, weil sie die Antwort noch nicht kannte.
Mit seinen Vermutungen hielt Draco sich nicht mehr zurück: „Ich bitte euch: „schwarzes Symbol“ – was kann das schon bedeuten? Das ist das dunkle Mal!“
Er öffnete den Manschettenknopf seines linken Ärmels und entblößte seinen Unterarm. Das Zeichen Voldemorts war nicht mehr schwarz, weil es verblasst war, aber es war einst schwarz gewesen und noch immer konnte man es sehen.
„Was sonst?“, murmelte Draco zu sich selbst.
„Was bedeutet ’jettschwarz’?“ Harry hatte keine Probleme damit zuzugeben, wenn er etwas nicht wusste.
Noch immer mit ihren Augen über die Zeilen huschend erklärte Hermine nebenbei: „’Jett’ ist eine alte Bezeichnung für Kohle. Schwarz ist Schwarz, ob nun jett- oder pechschwarz.“
„Okay“, murmelte er und klopfte sich nervös auf den Oberschenkel, bevor er sich neben Draco setzte und seine grauen Zellen anstrengte. Er runzelte die Stirn. „Schneeweißer Grund?“
Ihn anblickend erklärte Draco: „Keiner der Todesser hatte eine ’gesunde Hautfarbe’. Sie waren allesamt sehr hellhäutig; ’vornehme Blässe’, du verstehst?“
„Und wenn ein Pergament gemeint ist, auf welchem etwas in schwarzer Schrift geschrieben steht? Oder gemalt, wenn es ein Emblem sein sollte, vielleicht ein Wappen?“, warf Ginny in den Raum.
Durch Ginnys Gedankengänge angeregt bewegte auch Harry sich in eine andere Richtung. „Und wenn Severus’ Augen damit gemeint sind? Die sind…“
„…nicht mehr schwarz“, hatte Hermine vorweggenommen.
„Aber sie waren es, genau wie das dunkle Mal“, hielt Harry dagegen sowie er ihr auch gedankenverloren Dracos Unterarm entgegenhielt, was der Blonde sich nur ein paar Sekunden lang gefallen ließ, bevor er seinen Arm aus Harrys Griff befreite, um den Ärmel wieder hinunterzukrempeln.
Endlich blickte Hermine auf und schaute ihren Freunden einmal in die Augen.
„Mir macht das mit dem Feuer und dem Brand ein wenig Sorgen, wenn ich ehrlich bin. Und was für eine Flamme soll gemeint sein und wie soll eine Flamme etwas finden?“
„Schneeweiß“, murmelte Ginny vor sich hin.
Die schriftlich festgehaltene Prophezeiung auf den Tisch legend stellte Hermine klar: „Mit ’schneeweiß’ ist bestimmt nur weiß oder hell gemeint. Es ist genauso theatralisch ausgedrückt wie ’jettschwarz’.“
„Die Prophezeiung im dritten Schuljahr war aber wesentlich deutlicher“, nörgelte Harry.
Hier machte Draco große Augen. „Du hast so etwas auch schon mal erlebt?“
„Eine Prophezeiung von Trelawney? Ja!“
„Und was war es gewesen?“
„Jungs“, warf Hermine ein, „bitte keine alten Prophezeiungen aufbrühen. Die ist längst verjährt. Kümmern wir uns um die neue. Vielleicht ist sie nicht deutlich, weil Trelawney es nicht sehr klar gesehen hat?“
Direkt neben Harry nahm Ginny Platz. „Ich wollte für alle nochmal zu Bedenken geben, dass es eine Meldepflicht für Prophezeiungen gibt. Was glaubt ihr, warum in der Mysteriumsabteilung so viele Glaskugeln lagern? Dort bewahrt man immer eine Kopie auf!“
Dazu gab Hermine ihre Meinung von sich. „Von mir aus meldet es. Ich hab es nicht miterlebt; es liegt nicht an mir.“
An der Unterhaltung hatte sich Harry nicht beteiligt, denn er überlegte konzentriert, grübelte über die möglichen Deutungen und die Bedeutung der Prophezeiung nach.
„Wie deutet man so was überhaupt?“, wollte Harry wissen.
Hermine hob und senkte einmal die Schultern und erwiderte: „Ich hab keine Ahnung. Ist mein erstes Mal, Harry. Ich denke, wenn man sich alles notiert, was gemeint sein könnte, dann kann man am Ende ein einleuchtendes Ergebnis erlangen. Also“, sie beugte sich nach vorn, „eure Vorschläge zum ’jettschwarzen Symbol’. Ich werde alles aufschreiben.“
Nochmals wiederholte Draco: „Das schwarze Mal.“ Hermine kritzelte es aufs Pergament.
„Severus’ Augen! Es könnte doch sein, Hermine.“ Seinen Gedanken fand Harry nun wirklich nicht gerade abwegig.
Zu Ginny schauend erwartete Hermine einen Vorschlag, so dass die Rothaarige sagte: „Ich denke, es handelt sich vielleicht um etwas Geschriebenes; ein Buch, ein Stück Papier, ein Symbol auf Marmor oder was auch immer weiß sein könnte.“
Hermine runzelte die Stirn. „Wie soll Marmor brennen können?“
„Was?“ Ginny schien nicht folgen zu können.
Den Kopf schüttelnd erklärte Hermine: „Das Ausschlussverfahren kommt eigentlich später dran, aber genau genommen sagt die Prophezeiung, dass das schwarze Symbol nicht durch Gedanken- oder Willenskraft verschwinden kann – nein, es muss brennen. Marmor kann nicht brennen, er wird unter der Einwirkung von Flammen einfach zu Kalk und scheidet daher von vornherein aus.“
„Augen können brennen!“, warf Harry überzeugt ein.
Hermine nickte. „Ja, Augen oder ’Fleisch’ – ein Körper – können gleichermaßen im übertragenen Sinne brennen wie auch im eigentlichen.“
Draco verzog das Gesicht. „Der übertragene Sinn gefällt mir besser.“ Den Gedanken an einen brennenden Körper fand er abstoßend. „Ich bin der Meinung, das ’dunkle Mal auf weißer Haut’ passt wie die Faust aufs Auge! Voldemort hatte keinen einzigen farbigen Anhänger, nur falls jemand einwerfen möchte, dass Menschen verschiedene Hautfarben haben.“
Eine Augenbraue hebend warf Harry ein: „Er war wohl nicht nur in Hinsicht auf Muggel sehr rassistisch oder?“
„Was weiß ich…?“ Draco zuckte mit den Schultern. Mit einem Male überkam ihn der Drang, sich zu rechtfertigen. „Ich bin keiner!“
„Was?“ Harry stutze.
„Ein Rassist. Ich bin keiner!“
„Das hat doch auch niemand behaup…“
In die Unterhaltung mischte sich Hermine ein. „Leute, wenn ihr alleine weitermachen wollt, dann sagt es nur. Wir sollten uns auf die wichtigen Dinge konzentrieren. Ich muss bald weg und ich hätte vorher gern noch ein paar Ergebnisse, also strengt euch an!“
Mit Severus war sie um 14 Uhr verabredet. Ein wenig Zeit hatten sie noch, aber nicht mehr viel. Hermine wollte dieses unerwartete Rätsel vorher am liebsten noch komplett lösen, wenigstens aber logische Lösungsansätze finden, denn das lenkte sie von der Tatsache ab, Severus in weniger als einer Stunde gegenüberstehen zu müssen. Sie machte sich Gedanken darüber, wie er reagieren könnte. Innig hoffte sie, dass sich nichts zwischen ihnen geändert hatte, nachdem sie ihm gestern auf den Dachboden gefolgt war. Ihr Herz fing plötzlich an, ganz aufgeregt zu pochen.
„Gut“, sagte sie, „das ’dunkle Mal auf heller Haut’ sehe ich als sehr wahrscheinlich. Was ist mit ’Feuer verzehrt, ein Brand erneuert.’? Hat jemand einen Vorschlag?“
„Die Stelle mag ich am wenigsten“, sagte Draco vor sich hin, während er seinen Kopf senkte.
Harry konnte das gut nachvollziehen. „Ja, das hört sich fies an. Warum soll das dunkle Mal brennen?“
Draco musste so kräftig schlucken, dass alle drei es hören konnten. Zögerlich blickte er auf.
„Das dunkle Mal…“ Er musste erneut schlucken, aber der Kloß in seinem Hals wollte einfach nicht verschwinden. „Das dunkle Mal hat gebrannt, wenn er gerufen hat.“ Seine Stimme wollte versagen, doch er zwang sich, nicht schwach zu klingen. „Es wurde glühend heiß; sah aus, wie glimmende Kohle.“
„Aber…“ Harry hatte Draco mitleidig angesehen und musste erst seinen Blick von ihm abwenden, um seinen Satz vervollständigen zu können. „Wie soll das dunkle Mal brennen? Voldemort kann nicht zurückkehren und er kann die Todesser nicht rufen!“ Allein der Gedanke daran wühlte ihn auf.
Ginny legte besänftigend einen Arm um seine Schultern. „Harry, beruhig dich. Voldemort ist tot – endgültig!“
„Daran gibt es nichts zu rütteln“, bestätigte Hermine. „Da macht euch keine Gedanken. Alle Horkruxe haben wir gefunden und zerstört. Es hieß in der Prophezeiung ja auch, dass das dunkle Mal nicht anders schwinden kann. Der Schwerpunkt liegt auf ’schwinden’ und nicht auf ’Brand’! Vielleicht ist damit gemeint, dass das Mal durch Feuer vernichten werden kann, so dass sich der Untergrund – die Haut – erneuert.“
„Schön gesagt“, warf Draco ungläubig ein, „aber wie soll das gehen?“
Zu Wort meldete sich Ginny. „Vielleicht ist das ’Feuer’ ebenfalls nur sinnbildlich gemeint? Ich hab allerdings keine Ahnung, wofür.“
Die Idee fand Hermine nicht abwegig und sie hatte in dieser Hinsicht auch gleich noch einen eigenen Einwurf. „Die ’Flamme’ ist auf jeden Fall nur metaphorisch gemeint, denn es scheint mir so, als stünde sie für ein lebendes Wesen.“
Wie zuvor schon ging sie im Kopf sämtliche Synonyme für das Wort ’Flamme’ durch und eines der gefundenen Worte ließ erneut ihr Herz schneller schlagen. Sie hatte eine vage Ahnung.
„Vielleicht…“ Alle blickten Harry an, der dadurch verunsichert wirkte. „Starrt mich nicht so an, nur weil ich den Mund aufmache“, scherzte er. „Was ich sagen wollte: Die Flamme…“
Er zog beide Augenbrauen in die Höhe, bevor zur Seite schaute. Die anderen folgten seinem Blick und ließen ihn auf einem ramponiert aussehenden, scharlachroten Vogel ruhen, der gerade sein ausgefranstes Gefieder putzte.
Ginny riss ihre Augen weit auf. „Du meinst doch nicht etwa…“
„Was sonst?“, erwiderte Harry und hob einmal die Schultern, bevor er sie wieder locker fallen ließ.
Draco nahm Hermine das Stück Pergament aus der Hand und las den letzten Satz: „Erst nach dieser Reinigung wird seine Flamme es finden, das tränende Herz, um damit seine Wunden zu heilen.“ Er spitzte die Lippen. „Das würde aber bedeuten, Harry, dass die Prophezeiung mit dir zu tun hätte, denn der Phönix ist dein Begleiter!“
Man konnte ihm ansehen, dass er sich sehr anstrengte, eine einleuchtende Verknüpfung zu finden, doch Harry schüttelte nach einem Moment ratlos den Kopf.
Draco wiederholte zum besseren Verständnis: „Es heißt ’seine’ Flamme, Harry.“ Er wandte sich dem Schwarzhaarigen zu. „Wenn die Flamme Fawkes wäre, bist definitiv du mit dem ersten ’seine’ gemeint. Aber ’seine Wunden zu heilen’ macht dann keinen Sinn. Hast du Wunden?“
„Mit dem zweiten ’seine’ könnte jemand anderes gemeint sein, zum Beispiel du“, machte Harry deutlich. „Wenn meine Flamme, nennen wir sie vorläufig ’Fawkes’, das tränende Herz findet, kann ich deine Wunden heilen.“
„Aber ich hab keine“, hielt Draco verblüfft dagegen.
„Doch, hast du.“ Harry tippte auf Dracos linken Unterarm.
Ginny seufzte. Ihrer Meinung nach hatten sie sich gerade festgefahren.
„Versteift euch mal nicht so auf Fawkes, vielleicht hat der Arme rein gar nichts mit der Prophezeiung zu tun.“
„Ich stimme Ginny zu“, sagte Hermine nickend. „Außerdem ist das unlogisch, denn es heißt ja, ’erst nach dieser Reinigung wird seine Flamme es finden’. Das jettschwarze Zeichen beziehungsweise das dunkle Mal muss vorab ’schwinden’ und erst DANN können ’seine’ Wunden geheilt werden.“
Harry kniff die Augen zusammen und sagte gespielt eingeschnappt: „Mach mir doch nicht meine Theorie kaputt, vor allem nicht so schnell!“
Damit hatte er Hermine zu seiner Erleichterung ein Lächeln abgerungen, denn sie war die ganze Zeit über so ernst gewesen.
Direkt neben Hermine nahm Ginny Platz, bevor sie sagte: „Fragt sich jetzt nur, wer mit ’seine’ gemeint ist. Jemand, der Wunden hat, die geheilt werden müssen.’’
„Leute“, sagte Harry, um auf sich aufmerksam zu machen. „Geht es nur mir so? Bin ich wirklich der Einzige, der an Severus denken muss?“
„Ich wollt’s nicht sagen“, gab Draco zu, „aber ich denke wirklich, dass er damit gemeint sein könnte.“
Ginny blickte verdutzt drein. „Ehrlich? Wenn Snape gemeint ist, wer ist dann seine Flamme.“
Bevor irgendjemand sich dazu äußern konnte, ergriff Hermine das Wort. „Vielleicht Linda, möglicherweise Lily, Brenda wohl weniger.“ Innerlich aufgeschreckt blickte sie auf die Uhr, die an der Wand neben der Tür hing. „Ich muss los, sonst gibt es Ärger.“
In Windeseile packte sie ihre Tasche, ließ jedoch das Pergament mit der notierten Prophezeiung bei den dreien, die ihr irritiert nachschauten, zurück.
Nachdem Hermine die Tür hinter sich geschlossen hatte, schaute Harry zur Uhr hinüber. „Es ist kurz nach halb zwei, sie fängt doch erst um vierzehn Uhr an oder? Warum ist sie denn jetzt schon weg?“
Als würde es die Antwort darstellen dachte Draco mit einem Male plötzlich an das Gerücht, welches Gordian ihm um die Weihnachtszeit herum erzählt hatte. Harry hingegen wiederholte in Gedanken Hermines erst gestern gesagten Worte, dass sie nicht wüsste, ob sie mit der Entwicklung zufrieden wäre und Ginny dachte sich ihren Teil, denn sie kannte ihre beste Freundin und wusste, dass sie erst dazu fähig war, über Dinge zu reden, wenn sie sie auch beim Namen nennen konnte.
Fast genau unter Harrys Räumen stand Hermine in dem nur durch Fackeln erhellten Gang, in welchem sich die Tür zu Severus’ Büro befand. Die Prophezeiung hatte sie aufgewühlt, denn sie versprach Heilung für ihn und Erfolg für sie, doch trotzdem war sie innerlich zerrissen.
Sie seufzte müde. Um diese Zeit wäre Severus noch im Unterricht, wusste sie, weswegen sie die Tür ohne anzuklopfen öffnete. Als sie drinnen eine schwarz gekleidete Person erblickte, rutschte ihr das Herz in die Hose. Blitzschnell drehte sich Severus wegen des Geräuschs der sich öffnenden Tür um.
„Da sind Sie ja endlich!“, keifte er.
’Endlich’, wiederholte Hermine verärgert in Gedanken. Gern hätte sie gekontert, dass sie immerhin zwanzig Minuten zu früh wäre, doch sein Gesichtsausdruck riet ihr, sich zurückzuhalten. Die Adern an seinen Schläfen waren ein wenig hervorgetreten, was nur geschah, wenn er wütend war – sehr wütend. Sie hoffte von tiefstem Herzen, dass nicht sie der Anlass für seine schlechte Laune war. Nicht ein Wort kam über ihre Lippen, denn es war angemessen, die Situation zunächst in Ruhe einzuschätzen – zu prüfen, wie wütend er war und vor allem warum.
Er stürmte auf sie zu. Durch seinen wehenden Umhang sah er so aufgeplustert aus wie ein Raubtier, das sich auf furchteinflössende Art größer machen wollte als es eigentlich war. Als sie noch ein Kind gewesen war, hatte dieses Benehmen sie manchmal eingeschüchtert und so auch heute, nach etlichen Jahren.
Es war ein Brief, den er ihr unter die Nase hielt.
„Lesen Sie!“, befahl er grantig.
Noch immer hatte sie keinen Mucks von sich gegeben, blickte ihn nur mit großen Augen an. Den Brief hatte sie schnell überflogen, dann einmal gelesen. Er war vom Mungos.
„Aber…“ Sie hielt inne und schüttelte den Kopf.
Sein Gesicht verzog sich vor Zorn, als er sie anblickte und auf eine Äußerung wartete, doch es kam keine, weswegen er zu seinem Schreibtisch hinüberging. Die vielen Unterlagen, die dort verteilt lagen, stapelte er, bevor er sich ihr damit in einem Tempo näherte, der sie verunsichert einen Schritt zurückweichen ließ, was er bemerkte. Er blieb stehen, betrachtete sie einen kurzen Augenblick und atmete einmal tief durch, um sich zu beruhigen. Wesentlich langsamer legte er die letzten drei Schritte zurück, um sie nicht noch mehr zu verschrecken. Ihr Blick fiel auf die vielen Unterlagen, die er ihr entgegenhielt.
„Hier, rechnen Sie das bitte nach.“
„Was ist das?“
„Dem Schreiben von Professor Puddle und Professor Junot konnten Sie bereits entnehmen, dass das Gegenmittel nicht geholfen hat. Miss Parkinsons Zustand ist unverändert.“
Hermine wusste nun, warum er so aufgebracht war. Dass seine Arbeit nutzlos gewesen sein soll, war für ihn ein Schlag ins Gesicht; eine Kränkung seines Stolzes.
„Ich kann mir das nicht vorstellen, Severus. Ich…“
Er unterbrach. „Ich bin nicht unfehlbar. Tun Sie mir den Gefallen und rechnen Sie das nach. Sie finden in den Unterlagen alle benötigten Angaben wie Körpergewicht und –größe, sämtliche Informationen über ’Schlafes Bruder’ und die enthaltene Menge Basiliskengift, Forschungsergebnisse von Mr. Callidita und was sonst noch hilfreich wäre, um ein Gegengift herstellen zu können. Mir muss ein Fehler unterlaufen sein. Finden Sie ihn!“
Hermine musste ihre Augen schließen. Sie war so froh gewesen, diese Sache längst zu den Akten gelegt zu haben. Auch ohne den Fall Pansy hatte sie viel um die Ohren, für ihren Geschmack zu viel. Ihre Belastungsgrenze war hoch angesetzt, wie sie damals in Kriegszeiten erfahren hatte, aber sie bemerkte, dass mittlerweile der Stress auf ihr eigenes Gemüt schlug.
Als hätte Severus ihre Gedanken gelesen, sagte er, nachdem er sich zuvor peinlich berührt geräuspert hatte: „Die…“ Er räusperte sich erneut. „Die Pastillen…“
Ein zaghaftes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Helfen Sie?“ Sie wusste, dass sie helfen mussten. Jeder, der sie einmal eingenommen hatte, konnte dies bestätigen.
Severus’ Bestätigung bestand aus einem knappen Nicken. „Ich wollte Sie darüber in Kenntnis setzen, dass sie langsam zur Neige gehen.“
Hermines Lächeln verblasste, als seine Worte ihr die Gewissheit über seinen Zustand vor Augen hielten.
„Severus“, flüsterte sie besorgt. „Das waren 200 Stück!“
„Und Sie gehen zur Neige. Es ist mir gleich, was Sie tun werden, Hermine. Bitten werde ich nicht darum.“
„Eine am Tag reicht vollkommen. Severus, wie viele haben Sie täglich genommen?“
Sie hörte ihn kräftig schlucken, bevor er sich abwandte. „Viele, und jetzt gehen Sie bitte und rechnen Sie nach.“
„Sagen Sie mir, wie viele Sie genommen haben!“
Er spritzte die Lippen und wollte die Angelegenheit hinunterspielen. „Fünf im Durchschnitt, nicht selten auch mal zwanzig.“
Ihr war zum Heulen zumute. Jeder andere, der zwanzig Stück auf einmal genommen hätte, würde völlig euphorisch auf den Gängen umhertanzen und sich des Lebens freuen, doch bei ihm schienen die Pastillen gerade mal den Stimmungslevel so konstant zu halten, damit er seines Lebens nicht überdrüssig wurde.
„Severus?“
„Wenn Sie der Meinung sind, Sie dürften sich nun herausnehmen, mir die Leviten zu lesen…“
Sie schüttelte den Kopf und unterbrach kleinlaut. „Nein, ich wollte Sie nur bitten, meine Vorstellung bei der ’Körperschaft der Zaubertränkemeister’ abzusagen. Wir könnten aufs nächste Jahr ver…“
Diesmal fiel er ihr ins Wort: „Wie bitte? Warum sollte ich das tun?“
„Weil es mir zu viel wird!“
„Was für ein Unfug ist das denn?“, meckerte er missgelaunt.
„Ich habe so viel um die Ohren, das wächst mir alles über den Kopf.“
„Sie müssen nur für ein, zwei Stunden an einem Podium stehen und Ihren Trank beweihräuchern. Was in Merlins Namen ist daran so einnehmend?“
„Vielleicht“, konterte sie mutlos, „weil es viele zeitraubende Vorbereitungen mit sich bringt. Die Versammlung ist schon im Februar und dann muss ich Ende des Monats auch noch meine Prüfung beim Ministerium ablegen.“
„Und was soll daran so schwer sein? Es handelt sich bei der Prüfung nur um einen einzigen Tag, Hermine! Sie gehen hin, beantworten ein paar Fragen schriftlich und mündlich, panschen vor Publikum einen Standardtrank zusammen und nehmen am Ende Ihr Zertifikat entgegen. Ich verstehe nicht, warum Ihnen das ’zu viel’ sein sollte?“
Mit großen Augen blickte sie ihn an und wägte ab, ob sie weiterhin dagegenhalten sollte, doch sie entschied sich dazu, jedes Wort, das ihre Kehle hinaufklettern wollte, sofort wieder hinunterzuschlucken.
„Schon gut.“ Sie hatte nicht verbergen können, dass sie kraftlos klang. „Wie viele Pastillen haben Sie noch?“
„Warum fragen Sie? Damit Sie mir doch noch Vorhaltungen machen können?“
Erneut musste sie ihre Augen schließen. Am liebsten würde sie die Unterlagen auf seinen Tisch legen und gehen, irgendwo hin: ein Spaziergang mit dem Hund zum See oder einen Kurztrip nach Japan. Überall dorthin, wo sie ihren Kopf freibekommen könnte.
„Nein, ich möchte nur wissen, ob ich die Pastillen herstellen soll, bevor ich mich an die Berechnungen für das Gegengift mache.“
„Sie werden erst nachrechnen. Die Pastillen sind zweitrangig!“
„Aber wenn…“
„Kein ’aber wenn’! Das Basiliskengift, das in dem Gegenmittel enthalten war, stimuliert die Nerven, Hermine. Wenn der Trank keine Heilung gebracht hat, dann muss ich davon ausgehen, dass Miss Parkinson eventuell unter Nervenschmerzen leidet, was sie niemandem mitteilen kann – Höllenqualen, Hermine! Könnten Sie mit dieser Vorstellung leben?“
Sie war so schockiert, dass ihr die Worte fehlten.
„Gehen Sie und nehmen Sie sich die Zeit, die Sie benötigen, aber nichtsdestotrotz erwarte ich, dass Sie nicht trödeln. Das hier“, er tippte auf die Unterlagen in ihren Händen, „hat absolute Priorität, verstehen Sie?“
Ihr blieb nichts anderes übrig als zu nicken.
Mit einem mulmigen Gefühl begab sie sich in den vierten Stock, breitete ohne Umschweife die Unterlagen auf ihrem Tisch aus und machte sich daran, mit den vielen Anhaltspunkten eine Formel zu erstellen, während sie die Berechnungen von Severus weit weg legte, denn sie wollte sich nicht von ihnen beeinflussen lassen – wollte nicht riskieren, dass sein vermeintlicher Denkfehler auf sie überging.
Dem Abendessen blieb sie fern und auch Severus wurde vermisst, als Harry am Lehrertisch zwischen Remus und Neville Platz genommen hatte. Mit seinem alten Schulfreund unterhielt er sich über alles Mögliche, aber vor allem prächtig.
Neben sich vernahm Harry, wie Remus jemanden fragte: „Wo ist Albus?“
Minervas Stimme antwortete mit hörbarer Verbissenheit: „Der ist bei Mr. Filch und hilft ihm bei seiner Arbeit.“
Harry verschluckte sich an seinem Grünkohl. Sein Hals kratzte fürchterlich, doch ein Schluck Kürbissaft schaffte Abhilfe. Er wagte es nicht, seinen Kopf zu drehen, denn er spürte jetzt schon den bohrenden Blick Minervas, die sich darüber ärgerte, dass Albus die spaßig gemeinte Strafarbeit vor vorhin ernst genommen hatte.
„Remus?“ Der Angesprochene beugte sich nach hinten, damit er über Harrys Rücken hinweg Neville ansehen konnte, der ihn darüber unterrichtete: „Pomona hat gesagt, du kannst das Buch heute Abend noch abholen. Sie selbst hat noch zu tun, aber so gegen 21 Uhr erwartet sie dich.“
„Oh, vielen Dank. Ich werde pünktlich da sein.“
Harry lehnte sich zurück. „Was für ein Buch?“
„Na ja“, begann Remus ausweichend, „du weißt schon. Hat mit der fehlenden Zutat zu tun.“
„Ihr habt sie gefunden?“, wollte Harry wissen.
Remus schüttelte den Kopf. „Noch nicht, aber das Buch kann sehr hilfreich sein. Da soll beschrieben stehen, wo man die Pflanze findet. Sie wächst hier in Schottland.“ Neville nickte bestätigend, als er von Remus angesehen wurde.
„Ich drück die Daumen. Im Moment…“ Harry verbat sich selbst den Mund, denn er konnte hier schlecht über die Prophezeiung sprechen.
„Im Moment…“, wiederholte Remus neugierig.
„Nicht hier. Ich weiß nicht, ob du davon überhaupt erfahren solltest, aber andererseits…“ Er legte den Kopf schräg und dachte einen Augenblick nach. „Warum eigentlich nicht? Mehr Köpfe könnten das Rätsel schneller lösen.“
Neville wurde hellhörig. „Rätsel?“
Ein Seufzer entwich Harry. „Ja, ein Rätsel, zumindest etwas Ähnliches.“
„Luna ist gut in so was!“
„Ich weiß, Neville, aber das würde wirklich den Rahmen sprengen, auch noch sie damit zu belasten.“
Ein Moment des Schweigens trat ein, in welchem Neville ein Schälchen Karamellpudding zu sich heranzog.
„Wo sind eigentlich Hermine und Severus?“, fragte Remus, weil er vermutete, dass Harry es wissen könnte.
Mit den Schultern zuckend erwiderte Harry: „Zusammen arbeiten?“
Zwar arbeiten Severus und Hermine momentan nicht zusammen, aber jeder für sich und zwar an der gleichen Sache. Severus rechnete und blätterte, rechnete erneut und schaute in seinen Unterlagen nach, doch immer wieder kam er zum gleichen Ergebnis und das war jenes gewesen, welches bei Pansy nicht angeschlagen hatte.
„Verdammt!“ Mürrisch warf er seine Feder von sich, die entgegen seiner Erregung lautlos und sanft gen Tisch schwebte. Sein Gesicht in den Händen vergrabend wiederholte er leise: „Verdammt!“
Selbstzweifel gehörte zu den Gefühlen, die er nie wieder spüren wollte. Das war eine der wenigen Emotionen, die zu empfinden er in all den Jahren noch in der Lage gewesen war und momentan wurde er von diesem Gefühl eingenommen. Selbstzweifel, Unsicherheit, Zerrissenheit. Severus legte eine Hand auf seinen Bauch. Wie schon in den letzten Monaten zum Glück nur vereinzelt auftretend bekam er auch in dieser Situation Magenschmerzen, doch dieses Mal würde er einen der von ihm selbst gebrauten Tränke gegen Beschwerden dieser Art einnehmen müssen. Damals, gleich nach Lilys Tod, hatte sich sein Gram in die Schleimhäute seines Magens gefressen, was er mit Poppys Hilfe in den Griff bekommen hatte. Schon seit längerer Zeit – seitdem er seinen Frieden mit Harry geschlossen hatte – wusste Severus, dass diese unerwartete Fähigkeit, empfinden zu können, ihm aufs Neue auf der Seele liegen würde und genau das hatte er damals verhindern wollen. Ohne Hermines Pastillen hätte er seinen Qualen längst ein Ende bereitet.
Severus seufzte, bevor er die letzten fünf Pergamente zerknüllte und achtlos hinter sich warf. Er atmete einmal tief durch und widmete sich hartnäckig der Stöchiometrie, überprüfte im Vorfeld nochmals die Summenformeln der Ausgangsstoffe, bevor er sich an die zeitraubende Reaktionsgleichung wagte. Der Fehler, wenn es denn einen gab, konnte nur in der Berechnung für die Summenformel des Basiliskengiftes liegen, denn die Angaben von Callidita, der damals in Hogwarts als Heiler gearbeitet hatte, waren eventuell ungenau.
Auf die gleiche Vermutung kam Hermine, nachdem sie ihr sechstes Pergament nochmals überflog, nur um zu bemerken, dass sie auf genau dieselbe Berechnung schon fünf Mal zuvor gekommen war.
„Verdammt!“, fauchte sie gereizt und Fellini fühlte sich persönlich angesprochen und suchte vorsichtshalber das Weite. Sie rieb sich das Gesicht mit beiden Händen, stöhnte weinerlich und fluchte aufgebracht, doch das half ihr auch nicht weiter. Niemanden könnte sie in dieser Angelegenheit um Hilfe bitten, denn sie war sich sicher, dass Rechnen in Bezug auf Zaubertränke weder Harrys heimliches Steckenpferd darstellte noch das von Remus. Ihr fiel bis auf Albus niemand ein, den sie um Hilfe bitten könnte, doch Severus hätte den Direktor sicherlich längst gefragt, würde er sich etwas davon versprechen.
„Blöder Basilisk!“
Von diesen Kreaturen wusste man viel zu wenig, über ihr Gift noch weniger. Dass diese Wesen einzigartig waren zeigte allein schon die Tatsache, dass ihr Toxin nicht lähmte, wofür Schlangengift in der Regel bekannt war, sondern das vegetatives Nervensystem anregte. Tödlich war es trotzdem, zumindest bei Abraxanern. Den Grund konnte man nur erahnen. Hermine konnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, warum ein Basilisk überhaupt über Giftdrüsen verfügte, wo er doch seine Opfer mit einem einzigen Blick töten konnte – also wozu das Gift?
Die ganze Zeit über hatte sie einen Namen im Hinterkopf.
„Wer weiß am meisten über Basilisken Bescheid?“ Mit strengem Lehrerblick betrachtete sie ihren Kater.
„Mau?“, machte Fellini vorsichtig.
„Richtig, Corvinus Callidita! Mal sehen, ob ich seinem Gemälde in Poppys Büro ein paar Worte entlocken kann.“
Zuversichtlich sprang sie von der Couch, um sich etwas Schickeres anzuziehen, denn auch wenn es – sie stutzte, denn offenbar hatte sie die Zeit vergessen – bereits halb zwei war, war sie fest entschlossen, ihr Vorhaben nicht zu verschieben.
Hogwarts’ Gänge waren kalt. Die meisten Herren und Damen in den Gemälden schnarchten, als Hermine leise die sich bewegenden Treppen hinunterging, um im ersten Stock den Krankenflügel aufzusuchen. Callidita war ein magisches Gemälde, würde aber nicht sprechen; das hatte zumindest Severus von Remus erfahren und der wusste es von Poppy selbst.
Der Zutritt zum Krankenflügel lief problemlos vonstatten, aber dass sie auch mit Leichtigkeit in Poppys Büro eintreten konnte, machte sie skeptisch.
„Was tun Sie hier?“, hörte man eine Frauenstimme im Dunkeln sagen. Erschrocken drehte sich Hermine um, eine Hand auf der Brust sollte ihr Herz beruhigen. Poppy entzündete mit einem Incendio alle Lichter. „Miss Granger? Hermine, was tun Sie hier?“ Sie musste gerade dem Bett entstiegen sein, denn sie war in einen Morgenmantel mit üppig fallenden Stoffen gehüllt, auf dem Kopf trug sie eine altmodische Schlafhaube.
„Ich… Ich… Ich bin momentan um Worte verlegen.“ Ein gequältes Lächeln lag auf Hermines Lippen. „Ich wollte nichts stehlen, falls Sie das vermuten, Poppy.“
„Nein, das würde ich auch nicht von Ihnen denken. Wie kann ich Ihnen“, sie blickte zur Standuhr hinüber, „um kurz nach halb zwei behilflich sein?“
Schuldbewusst betrachtete Hermine ihre Fingernägel. „Ich hätte nicht unangemeldet kommen sollen, das tut mir Leid.“
„Sie sind Heilerin, Hermine – eine Kollegin. Ich würde Ihnen bestimmt keine Steine in den Weg legen, was Sie auch tun oder worüber Sie auch Nachforschungen anstellen, aber Sie müssen auch verstehen“, Poppy drosselte ihre aufgebrachte Stimme und fuhr sanfter fort, „dass es immer wieder ein großer Schreck ist, mitten in der Nacht von dem Alarmzauber geweckt zu werden.“
„Es tut mir so Leid.“
Wesentlich gelassener sagte Poppy: „Na ja, es kommt zum Glück sehr selten vor. Ich werde Ihre magische Signatur dem Schutzzauber zuführen, damit Sie ein- und ausgehen können.“
Einen Wutsch mit dem Zauberstab später nickte Poppy selbstzufrieden. „Das wäre erledigt.“
Erst jetzt blickte sich Hermine in Poppys gemütlich wirkendem Büro um. An drei Stellen hingen Gemälde. Eines zeigte eine hochnäsig wirkende Frau mit Schönheitsfleck über der linken Oberlippe, den sie Hermines Meinung nach wirklich nötig hatte, denn hübsch anzusehen war sie nicht. Sie wirkte wie eine Karikatur. In einem anderen Bild war ein alter Mann mit schlohweißem Haar abgebildet, der dösig in einem weichen Sessel saß und die Szenerie nur mit einem halbwachen Auge verfolgte. Das dritte Gemälde musste den Gesuchten darstellen. Vom Alter her passte es, denn Callidita war laut der Bücher gerade mal 34 Jahre alt geworden, allerdings war nicht schriftlich festgehalten worden, dass er so gut ausgesehen hatte.
„Wenn Sie nur meine Dekoration betrachten wollten, Hermine, dann hätten Sie auch am Tage kommen können.“
„Verzeihung, Poppy. Ich wollte ein Wort mit Mr. Callidita wechseln, wenn er nichts dagegen hat.“
Sie blickte zu dem jungen Mann hinüber, dessen strahlend blaue Augen vor Neugierde funkelten. Ihm gegenüber begann die Dame mit dem Schönheitsfleck hinter vorgehaltener Hand zu kichern und das Funkeln in Calliditas Augen verstarb. Er blickte zu Boden und täuschte Desinteresse vor. Als Hermine ihre Augen von ihm lösen konnte und die ältere Heilerin anblickte, da bemerkte sie, dass Poppy so erstaunt zu sein schien, dass ihre Augenbrauen unter der tief sitzenden Schlafhaube verschwunden waren.
„Sie möchten mit…“ Poppys Blick huschte zum besagten Gemälde hinüber, dann wieder zu Hermine. „Wenn Sie es schaffen, nur zu.“ Sie klang ein wenig enttäuscht. „Ich werde Sie allein lassen. Gute Nacht, Hermine. Und viel Glück!“
„Gute Nacht Poppy.“
Die Tür schloss sich hinter der Heilerin, die sich nun wieder ins Bett begeben würde. Was genau Hermine das Gemälde fragen wollte, wusste sie selbst nicht. Zudem war es zweifelhaft, ob gerade ihr gelingen würde, woran andere gescheitert waren: Mr. Callidita zum Reden zu bewegen.
„Nur zu“, drängte die Frauenstimme aus dem Gemälde hinter Hermine, doch sie schenkte der hochnäsigen Dame keinerlei Beachtung. Hermine konnte sehen, wie Callidita seinem Gegenüber einen mürrischen Blick zuwarf, dann aber seinen Kopf drehte und sie ignorierte.
„Mr. Callidita, ich bin Hermine Granger. Ich bin, wie Sie von Madam Pomfrey eben erfahren haben, Heilerin.“ Seinen Blick hatte Callidita noch immer abgewandt. „Bitte, ich möchte gern mit Ihnen über etwas reden, wovon Sie mehr verstehen als jeder andere.“ Seine Neugierde schien wieder aufzuflammen, denn er beäugte sie aus den Augenwinkeln. „Ich habe in einem Buch über Sie gelesen und über Ihre Arbeit, die ich übrigens sehr beeindruckend finde.“
Etwas zu schmeicheln, dachte Hermine, könnte nicht schaden, solang sie dabei nicht log und das tat sie nicht. Endlich schaute er sie an, was ihr ein kleines Triumphsgefühl bescherte, doch leider machte er nichts anderes.
„Sie können sich sicherlich denken, von was ich spreche.“ Ihre Stimme war sehr sanft. „Ich habe vor kurzer Zeit das Glück gehabt, einen Basilisk zu sehen.“ Seine Augen gewannen mit einem Male wieder an Lebendigkeit. Er schien kurz davor, sie mit einem Schwall an Informationen erschlagen zu wollen, doch er blieb stumm. „Es ist uns gelungen, die Giftdrüsen zu entfernen und mitzunehmen.“ Wegen seines schockierten Gesichtsausdrucks erklärte sie schnell: „Das Tier war tot, seit einigen Jahren schon.“ Erleichtert schloss er einen kurzen Moment die Augen, bevor er in die ihren blickte und auf weitere Anekdoten zu hoffen schien. „Auch ein paar Schuppen haben wir mitnehmen können.“ Der Herr, dessen Augenfarbe an einen Bergsee erinnerte, lächelte freundlich gesinnt. „Ich stehe vor einem Problem. Ich…“
Hermine blickte zu dem Gemälde mit dem alten Mann hinüber, aber der war in seinem Sessel längst wieder eingeschlafen. Die hochnäsige Dame hinter Hermine hatte jedoch ihren Hals gestreckt, um lauschen zu können, weswegen Hermine näher an Calliditas Gemälde heranging, um leiser sprechen zu können.
„Ich brauche Hilfe, sehr dringend sogar und ich bin der Überzeugung, dass es für Sie eine Leichtigkeit wäre, mir ein wenig unter die Arme zu greifen. Würden Sie mir helfen?“
Möglicherweise hatte sie ein bisschen zu flehend geklungen, doch sie hatte sich nicht verstellt. Der Hundeblick könnte gegebenenfalls zu viel sein, schalt sie sich selbst, aber bei Ron und Harry hatte der immer gewirkt. Sie war verzweifelt und das durfte er ruhig hören und auch sehen. Calliditas Mund öffneten sich ein wenig und seine Lippen bewegten sich, als würde er etwas sagen wollen, doch kein Wort war zu vernehmen.
„Bitte“, hauchte sie.
Das letzte Wort hatte sie so beschwörend ausgesprochen, dass Callidita sich endlich einen Ruck gab, doch was Hermine hörte, irritierte sie.
„Mmmm“, summte er in verschiedenen Tonlagen, als wäre das Wort, das er von sich geben wollte, so lang wie eine Gummischlange aus dem Honigtopf; es wollte einfach nicht in einem Stück über seine Lippen kommen und in diesem Augenblick verstand Hermine seine Abneigung zu sprechen.
Hinter sich hörte sie, wie die Frau aus dem Gemälde ihn auf gemeine Weise nachäffte und über ihre Imitation schrill lachte.
„M-M-Mr. C-C-Callidita kann ja nicht mal seinen Namen nennen, ohne über ihn zu stolpern!“
Blitzschnell drehte sich Hermine um und schimpfte: „Das ist wirklich unverfroren. Jetzt kann ich mir auch gut vorstellen, warum der Maler Sie karikiert hat. Ihre Garstigkeit hat er allerdings ganz wunderbar ausgearbeitet!“
Das hässliche Grinsen verschwand aus dem Gesicht der Dame und wurde durch einen erbosten Gesichtsausdruck ersetzt.
„Ich höre wohl nicht recht?“, schimpfte die Frau. „Und das von einem Weibsbild, das nie etwas von einer Bürste gehört zu haben scheint.“
„Zumindest brauche ich keinen Schönheitsfleck, der die Augen von einem grässlichen Gesicht ablenkt!“
„Das ist ja wohl…“ Die Dame war so vor den Kopf geschlagen, dass ihr sogar die Sprache wegblieb.
Mit klopfendem Herzen wandte sich Hermine wieder an Callidita, der zu ihrem Erstaunen mit gehässiger Miene zu seinem weiblichen Gegenüber starrte, bevor er seinen Blick senkte, um Hermine ansehen zu können.
„Wenn Sie gestatten, Mr. Callidita, dann würde ich Sie gern ’ausleihen’ und mit auf mein Zimmer nehmen. Ich bringe Sie wieder zurück, wann immer Sie möchten, aber ich glaube, hier kann man sich nicht ungestört unterhalten.“
Erleichterung machte sich in ihr breit, denn der hübsche Mann in dem Gemälde nickte zustimmend.
Zuletzt geändert von Muggelchen am 10.02.2011 21:49, insgesamt 1-mal geändert.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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167 Freunde
Mitten in der Nacht war Lucius aufgewacht, weil sein Zimmergenosse – Gregory Goyle – angefangen hatte zu schnarchen. So hatte er jedoch einen Moment Zeit, über die Verhandlung nachzudenken – den zweiten Tag. Dieser war ähnlich verlaufen wie der erste. Die Mitglieder des Gamots haben ungeklärte Punkte angesprochen und bevor er Antworten geben konnte, hatte Mr. Duvall eine volle Breitseite in Richtung Rosalind abgefeuert.
Man wollte zunächst nicht erlauben, dass zumindest in einem Anklagepunkt das Minderjährigenstrafgesetz angewandt werden sollte, doch als sein Beistand damit begann, Paragraphen und Fallbeispiele zu nennen – auswendig –, da hatten sie gar keine andere Möglichkeit. Ein Todesser zu sein war allein schon Grund genug, lebenslang in Askaban zu versauern, doch die Regelung im Minderjährigenstrafgesetz ahnte so ein Verbrechen mit ein paar Stunden Arbeit in gemeinnützigen Einrichtungen. Nicht einmal eine Geldstrafe würde anfallen, rief sich Lucius amüsiert ins Gedächtnis zurück, während er seine Hände hinter dem Kopf verschränkte und durch das Fenster des Krankenzimmers in den Sternenhimmel blickte.
Was den Besitz schwarzmagischer Gegenstände betraf, hatten die Gamotmitglieder sehr viele Fragen gestellt, sich ganze Pergamente voll mit möglichen Punkten notiert, die man später unter dem Einfluss von Veritaserum Plus detailliert klären wollte. Mr. Duvall hatte ihm am Ende des Verhandlungstages versichert, dass man ihm nicht mehr als eine Geldstrafe dafür aufbrummen könnte, also nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste.
Mit mehr als zwei Monaten Haft und einer Geldstrafe in Höhe von maximal 1.500 Galleonen musste Lucius wegen der „Störung der Öffentlichen Ordnung“ nicht rechnen. Auch hier hatte sein Beistand mit zwölf Fällen aus der Vergangenheit aufwarten können, in denen die Beschuldigten noch viel schlimmere Dinge angestellt hatten, als eine Muggelfamilie durch die Luft fliegen zu lassen. Das Gute an diesen Beispielfällen, die Duvall ausgegraben hatte, war, dass jedes der anwesenden Gamotmitglieder mindestens in einem der Fälle für die Verurteilung mitverantwortlich gewesen war. Sie mussten sich somit zwangsweise an ihre damals gefällten und glücklicherweise sehr milde ausgefallenen Urteile halten, wenn sie nicht riskieren wollten, dass ihre einstige Entscheidung angezweifelt werden würden, sollte der Fall von Lucius Malfoy plötzlich härter bestraft werden als Fälle, die selbst für einen Laien grausamere Verbrechen an Muggeln veranschaulichten.
Knifflig wurde es bei den beiden Unverzeihlichen, denn hier müsste Lucius demnächst unter Veritaserum sehr genau schildern – von den ersten Ideen, bis hin zur Umsetzung der Tat –, wie es dazu gekommen war. Sollte sich für das Gamot nicht klar herauskristallisieren, dass er den Imperius an Sturgis Podmore und Broderick Bode angewandt hatte, während er von Voldemort höchstpersönlich durch genau denselben Fluch gelenkt wurde, würde er die sieben Jahre Haft, die er mit dem Minister vereinbart hatte, auch tatsächlich absitzen müssen. Lucius hoffe sehr, dass Duvall entweder bei der Formulierung der Fragen, die man ihm später stellen würde, mitverantwortlich sein würde oder gar selbst welche ausarbeiten dürfte. Dass sein Beistand nicht auf den Kopf gefallen war, hatte Lucius längst begriffen. Es gab einige zurückliegende Fälle, die dem Ministerium Kopfschmerzen bereitet haben. Fälle, in denen man einem Angeklagten nicht nachweisen konnte, ob er unter Imperius gestanden hatte oder nicht. Man hatte sich nach ewigen Diskussionen dazu entschlossen, die Anklagen fallen zu lassen – im Zweifel für den Angeklagten.
Den Einbruch und den versuchten Raub in Zusammenhang mit Körperverletzung und Zerstörung von Ministeriumseigentum hatte Duvall beim zweiten Anlauf erneut gelassen abgeschmettert. Die Gamotmitglieder hatten leise geflucht, doch letztendlich mussten sie den Punkt streichen, denn nicht Lucius hatte das kleine Gefecht begonnen. Der Tatbestand des Einbruchs war nicht belegt, weil er damals Zugang in die Mysteriumsabteilung hatte, wofür er Fudge heute noch dankbar war, auch wenn es viel Überredungskunst benötigt hatte, um den damaligen Minister davon zu überzeugen, dass Lucius als neutrale Person ebenfalls ein Auge auf die Vorgänge in der Prophezeiungs-Kammer werfen sollte. Großzügig, wie Lucius war, hatte er durch Mr. Duvall seine Bereitschaft erklären lassen, für zehn Prozent des entstandenen Glasschadens aufzukommen.
Den Ausbruch aus Askaban sollte Lucius in den nächsten Tagen mit Wahrheitsserum schildern und er war sich jetzt schon seines Sieges sicher. Bellatrix hatte ihn mitgenommen, weil er selbst in sehr schlechter Verfassung gewesen war. Damals hatte er schon kaum noch etwas sehen können. Er war nicht einmal selbst appariert.
„Das ist gut!“, hatte Mr. Duvall ihm vorhin noch gesagt, als sie über diesen letzten Punkt gesprochen hatten. „Sie haben die Apparation nicht selbst durchgeführt, Mr. Malfoy. Man kann Ihnen nicht vorwerfen, dass Sie geflohen seien, wo Sie nicht einmal dazu in der Lage gewesen waren, durch Ihre Rückenverletzung überhaupt aufrecht zu gehen.“
Ach ja, dachte Lucius. Die damalige Verletzung der Wirbelsäule hatte er sich zugezogen, weil er aufgrund des schwindenden Augenlichts gefallen war. Miss Bones hatte anfangs noch dafür gesorgt, dass sich ein Heiler seinen Rücken ansehen würde und auch, wie er sich wehmütig erinnerte, seine Augen. Miss Bones hatte sich um ihn gekümmert, als er in Askaban saß, hatte dafür gesorgt, dass sein Sohn ihn besuchte, hatte ihm Formulare und Anträge vorgelesen und ihm beim Ausfüllen geholfen. Heute hieß die junge Frau nicht einmal mehr Bones mit Nachnamen, sondern Malfoy. Sie war eine Malfoy.
Lucius schnaufte verächtlich. Er hasste es, wenn es Dinge in seinem Leben gab, auf die er keinen Einfluss hatte. In den guten alten Zeiten hatte er sich wenigstens noch Entscheidungen erkaufen können, die ihm einen Vorteil verschafften. Er hätte gewusst, was zu tun war, um auf die Entscheidung seines Sprosses einzuwirken, aber weil ihm die Hände gebunden waren, sah er sich außerstande, seinen eigenen Sohn vor der Hochzeit mit einer Halbblüterin zu bewahren. Als seine Gedanken sich um diese abwertende Bezeichnung drehten, da dachte er unerwartet an Schwester Marie. Sie war ebenfalls halbblütig, aber mit ihr kam er wunderbar zurecht. Woran das lag, war ihm selbst ein Rätsel. Vielleicht, vermutete er, war es hier im Krankenhaus, in seiner kleinen, heilen Welt, völlig unwichtig, von wem sie abstammte. Die gute Seele war hier und vertrieb die Langeweile, unterrichtete ihn über Neuigkeiten und brachte ihm eine Extraportion Nachtisch, weil sie wusste, dass er es mochte.
„Wir könnten etwas Hafterlass wegen guter Führung herausschlagen“, hallte Duvalls Stimme in Lucius Gedanken nach. „Miss Amabilis wäre eine perfekte Zeugin, Mr. Malfoy. Sie ist halbblütig und kann nur Gutes über Sie berichten. Das rückt Sie in ein besseres Licht, denn es ist ja kein Geheimnis, dass man Ihnen zumindest früher rassistische Ansichten zuschrieb.“
Schwester Marie wollte Lucius nicht mit seinem Fall belasten, doch Duvall war von seiner eigenen Idee sehr begeistert.
„Wer könnte bestätigen“, hatte Duvall vorhin noch gefragt, „wann Sie das dunkle Mal angenommen haben?“
„Meine Frau und alle anderen Todesser.“
Duvall hatte seinen Kopf geschüttelt. „Nein, wir benötigen jemand anderen. Jemanden, dem man nicht unterstellen kann, aufgrund des Ehebundes oder einer engen Freundschaft befangen zu sein.“
Nur aus Spaß hatte Lucius, nachdem sie sich längst verabschiedet hatten, gesagt: „So lebendig wie Hogwarts ist würde es mich nicht wundern, wenn ein Geist oder Gemälde davon erfahren haben könnte.“
Duvall war an der Tür stehengeblieben und schien wie in Trance, die er nach ein paar Sekunden von sich abschüttelte, bevor er das Krankenzimmer ungewöhnlich nachdenklich verließ.
Die Erinnerung an das Gespräch am Abend hatte Lucius nun erst recht am Einschlafen gehindert, von dem Sägewerk im Bett gegenüber ganz zu schweigen.
Wenigstens hatte Duvall den Punkt in Bezug auf die Erpressung ein für allemal aus der Anklageschrift streichen lassen. Sein Beistand hatte es sich jedoch nicht nehmen lassen, dem Gamot noch ein einziges Mal vorzuwerfen, sich diese Dreistigkeit überhaupt erlaubt zu haben, einen uralten Fall neu aufwärmen zu wollen.
Mr. Duvall war ein Mistkerl.
Lucius begann ihn zu mögen.
Hermine hingegen hatten Mr. Callidita ins Herz geschlossen. Sein Gemälde hatte sie neben dem Tisch, an dem sie arbeitete, auf einem Sessel abgestellt, ganz so, als würde er darin sitzen. Nur zweimal musste sie Fellini vertreiben, weil der an dem bemalten Leinen seine Krallen wetzen wollte.
„Mr. Callidita, Ihre Berechnung der letalen Dosis in Bezug auf Abraxaner ist korrekt?“ Sie blickte das Gemälde an und der darin befindliche junge Mann nickte beipflichtend. „Der von Severus errechnete Wert der Dosis für eine Frau mit einer Körpergröße von einem Meter achtundsechzig und einem Gewicht von“, sie stutze, denn das erste Mal wurde sie sich über Pansys Untergewicht bewusst, „zweiundfünfzig Kilogramm ist auch richtig?“ Wieder nickte Callidita.
Es schien unmöglich, ihm ein paar Worte zu entlocken, doch sie wollte es mit einer ihrer ausgeprägtesten Fähigkeiten vollbringen und deswegen redete sie nicht nur wie ein Wasserfall , sondern zudem mit Engelszungen. Es war nicht unbedingt die Art, wie sie redete, sondern über was. Da er anfangs kein Wort von sich gab, begann sie mit einer Neuberechnung mit Hilfe von Severus’ Unterlagen, teilte während des gesamten Prozesses ihre Gedanken mit und nannte ihre Rechenschritte. Als sie damit fertig war und erneut Wut in ihr aufkam, weil sie zum wiederholten Male auf das gleiche Ergebnis gekommen war, da bestätigte Callidita stotternd, dass ihr Rechenweg korrekt gewesen wäre.
„Aber es hilf nicht“, sagte sie weinerlich. „Das Gegengift ist längst verabreicht worden und an dem Zustand der Frau hat sich nichts geändert. Irgendwas muss falsch sein!“
Weil sie so verzweifelt geklungen hatte, fragte Callidita mit teilweise lang gezogener Betonung: „Gegengift fff-für was?“
Verzweifelt legte sie die Unterlagen beiseite und schaute ihn an. „Der Trank heißt ’Schlafes Bruder’. Die Patientin ist mit einem Gegenstand verletzt worden. Aufgrund der Wunde konnte man die Breite des Objekts bestimmen. Es muss ein Messer gewesen sein. Mein Professor hat berechnet, wie viel von Schlafes Bruder sich auf der breiten Fläche der Klinge befunden haben muss, natürlich in Rücksichtnahme auf die Tiefe der Stichverletzung.“ Sie blickte zurück auf die Unterlagen. „Vielleicht ist dieser Wert falsch?“ Murmelnd fügte sie hinzu: „Aber ich hab’s doch selbst nachgerechnet…“
Callidita öffnete den Mund, doch für einen kurzen Moment war nichts zu hören, bis die Stimme plötzlich aus ihm heraussprudelte, als hätte jemand die Schleusen geöffnet: „Ein sch-scheusäliger Trank. Www-wie lang ist die Dame sch-schon siech?“
Einen Augenblick schaute Hermine irritiert drein, denn Callidita verwendete einen ungewöhnlichen Sprachmix aus verschiedenen Epochen, was daran liegen mochte, dass sein Gemälde seit über vierhundert Jahren sämtliche sprachliche Veränderung miterlebt haben musste. Da er selbst seit langer Zeit nicht gesprochen hatte, hatte sich sehr wahrscheinlich kein Gefühl für den heutigen Redestil entwickeln können. Selbst Sir Nicholas, der sich oft und gern mit Lehrern und Schülern unterhielt, hatte seinen Wortschatz im Laufe der Jahrhunderte angepasst.
„Gleich nach der Geburt ihres Kindes ist sie in diesen todesähnlichen Zustand verfallen. Sie leidet also seit fast vier Jahren an den Auswirkungen von Schlafes Bruder.“
„Ppp-Potzblitz! Das bedeutet ein nicht aaaa-abzuleugnendes Übel.“
Während Callidita sich mit dem Zeigefinger über die Lippen fuhr und nachdachte, kam Hermine zu dem Schluss, dass es seltsam, aber in ihren Augen auch sehr charmant war, einen jungen Mann solche ausgestorbenen Worte benutzen zu hören. Sie mochte ihn und das Schönste war, dass er sofort verstanden hatte, was sie von ihm wollte. Sie waren auf gleicher Wellenlänge.
Sie hörte ihn höflich fragen: „Wenn ich ww-wohl die Unterlagen besehen darf?“ Mit einem Schwung ihres Zauberstabes ließ Hermine per Levitation alle notwendigen Papiere vor dem Gemälde schweben, so dass er einen guten Überblick über alles erhielt.
„Ihr Gegengift sollte gedanklich gesehen das Leiden ringern.“
Dass er das erste Mal einen Satz flüssig wiedergegeben hatte, war ihr gar nicht aufgefallen, denn das Thema hatte sie voll und ganz in Beschlag genommen. „Sie denken also auch, das Gegengift hätte helfen müssen. Warum aber liegt sie noch immer starr in ihrem Bett? Braucht es vielleicht nach fast vier Jahren etwas länger, bis das Gegenmittel sich im Körper ausbreiten kann?“
„Das Venenum vom Basilisk bleibt in seiner Fährlichkeit unübertroffen, denn es selbst wirkt nicht tödlich – man wird lebig. Die Spannadern werden stimuliert, so sehr, dass man dadurch den Tod finden könnte, doch wenn die Glieder längst verstarrt sind, so wie bei dieser jungen Frau, dann kann das Gift wiedererwecken.“
Hermine kniff die Augen zusammen. „Es tut mir aufrichtig Leid, aber hier konnte ich nicht mehr folgen. Meinen Sie mit ’lebig werden’, dass etwas im Körper angeregt wird? Und was sind ’Spannadern’?“
Callidita überlegte einen Moment und fuchtelte derweil mit einer Hand herum, weil ihm das Wort nicht einzufallen schien. „Spannadern“, wiederholte er verzweifelt, doch dann versuchte er zu erklären, „durch sie fühlt man.“ Der junge Mann auf dem Gemälde fuhr sich mit den Fingern über die Wange. „Berührung, Schmerz…“ Er versuchte es mit Latein: „Nervi.“
„Oh, Sie meinen die Nerven!“
„Das ist es!“, sagte er so laut, dass sie unmerklich zurückwich. „Nerven! Spannadern.“
Severus hatte erzählt, dass das Basiliskengift auf das Nervensystem einwirken und es stimulieren würde.
„Ja, das hat mein Professor auch gesagt.“
„Wer ist Ihr Professor?“
„Das ist Professor Snape.“ Callidita verzog das Gesicht. „Kennen Sie ihn etwa?“, wollte Hermine daraufhin wissen. Wenn ja, vermutete sie, musste Callidita ihn in Poppys Büro erlebt haben.
„Eee-er ist mir schon begegnet, zwey, drey Mahl.“
Aufgrund der erneuten Verlängerung der Laute dachte sich Hermine ihren Teil, doch unüberlegt sprach sie es auch an: „Sie mögen ihn nicht besonders oder?“ Calliditas hob die Augenbrauen und versuchte, unschuldig dreinzublicken, weswegen Hermine lächeln musste. „Ich mochte ihn damals auch nicht, aber jetzt… Er ist in Ordnung, wenn man seine Eigenarten kennt und man weiß, wie ernst oder weniger ernst die Dinge gemeint sind, die er von sich gibt.“
Callidita spitzte die Lippen. „Ich will das nicht bezwisten, Miss Granger.“
Eine lange Zeit unterhielten sich die beiden miteinander, schweiften sogar ab, als Callidita von seinem Basilisk erzählte, den er nach seiner Zeit als Heiler in Hogwarts in den nicht auf Karten verzeichneten Untiefen des riesigen Wohnsitzes seiner Familie gezüchtet und gehalten hatte. Immer seltener verlängerte er während des Redens unbeabsichtigt die Laute, doch manchmal noch war eine stumme Blockade zu bemerken, die Hermine geduldig abwartete.
„Was ist mit Ihrem Basilisk geschehen?“
Er hatte schnell gelernt, sich ihrem Sprachgebrauch anzupassen, so dass nur noch selten ein uraltes Wort seine Lippen verließ. „Ich weiß es nicht. Nicht einmal von meinem Verbleib kann ich etwas berichten.“ Er winkte sie zu sich heran und flüsterte: „Können Sie sich vorstellen, Miss Granger, wie es für ein magisches Gemälde für mich sein muss, nicht zu wissen, was mit dem Original geschehen ist?“
Sie schüttelte den Kopf. Die Vorstellung war ihrer Meinung nach grausam, seit über 400 Jahren nicht zu wissen, wie man verstorben sein könnte und dass man dieses Geheimnis sehr wahrscheinlich auch niemals herausbekommen würde.
„Aber ich habe mich damit abgefunden“, erklärte Calliditas, nachdem er Hermines betrübtes Gesicht bemerkt hatte. „Hier im Schloss aufbewahrt zu werden ist eine wahre Wohlthat. Es ist nicht nur beynahe wie ein Zuhause, Hogwarts ist ein Heim für mich.“
„Nur schade“, schmollte Hermine, „dass Sie gegenüber dieser widerlichen Person hängen müssen.“
„Nun bin ich ja hier. Vielleicht wage ich den Direktor zu fragen, ob ich mir einen angenehmeren Platz aussuchen dürfte.“
Sie lächelte und deutete auf ihre Wände. „Bei mir wäre Platz genug.“
„Oh, wie freundlich von Ihnen, doch ich muss anzweifeln, dass Ihre Räume ein angemessener Ort für mich wären.“ Weil Hermine ihn fragend anblickte, wurde er deutlicher. „Sie hätten sicherlich gern Ihr Otium; Ihre Ruhe, besonders wenn Sie nicht allein sein sollten.“
Sie seufzte, doch ohne auf seine Worte einzugehen wiederholte sie, diesmal etwas wehmütiger: „Bei mir wäre Platz genug.“
Nach reiflicher Überlegung rief Hermine zur Nachtzeit einen Elf. Es war ein junges Ding, das verschlafen wirkte, sich nichtsdestotrotz darüber zu freuen schien, dienen zu dürfen. Hermine hatte plötzlich ein ganz schlechtes Gewissen.
„Du bist doch Shibby oder? Wir haben uns schon einmal gesehen.“
Die Elfe nickte und war sichtlich beeindruckt, nicht nur eine kurze Unterhaltung wert zu sein, sondern dass man sich auch an ihren Namen erinnerte. „Shibby ist ganz gerührt, Miss Granger. Wie darf Shibby Ihnen behilflich sein?“ Der Wortlaut des letzten Satzes klang dem sehr ähnlich, den Wobbel sonst immer benutzte.
„Ich hätte gern Tee.“ Schnell verbesserte Hermine: „Nein, lieber Kaffee! Schwarz und stark und dazu irgendwas zum Knabbern.“
„Darf Shibby Kekse bringen?“
„Ja, Kekse klingen gut.“
Die Elfe wandte sich an das Gemälde. „Darf Shibby Mr. Callidita etwas bringen?“
„Woher kennst du seinen Namen?“, wollte Hermine wissen.
„Jeder Elf kennt die Gemälde, Miss Granger.“ Sie blickte erneut zu Callidita. „Shibby bringt Tee?“
Callidita lächelte einseitig. „Wie gern ich würd’“, schwärmte er in Erinnerungen an eine heiße Tasse Tee. „Wär’ es doch mm-möglich, würde ich Sie bittlich um einen schwarzen Tee angehen.“
Shibby schnippte einmal mit den Fingern und direkt neben Calliditas Sessel erschien wie von Geisterhand gemalt ein kleines Beistelltischlein, in schönsten Farben gemalt. Darauf befand sich ein Tablett, auf dem eine kunstvoll verzierte Porzellantasse mit dampfenden Tee zu finden war. Gleich daneben präsentierte sich ein kleiner Teller mit Gebäck.
„Das ist…“ Callidita war sprachlos.
„Unglaublich“, murmelte Hermine, die noch nie in ihrem Leben gesehen hatte, wie ein Hauself ein Gemälde bewirtet hatte. Noch immer so verwundert darüber bemerkte sie nicht einmal, dass Shibby für einen Moment verschwunden war, doch der kräftige Geruch Kaffee ließ sie aufblicken.
„Vielen Dank, Shibby.“
Die Hauselfe hatte sich freundlich verabschiedet. Zur gleichen Zeit nahm Callidita einen Schluck von seinem Tee und Hermine einen von ihrem Kaffee – beide stöhnten wonnig.
„Ich sollte den anderen Gemälden lieber nicht verbothschaften, dass dies möglich sey. Die Elfen hätten sonst wohl alle Hände voll zu tun.“ Callidita in seinem mit warmen Farben gemalten Gemälde schloss die Augen und gönnte sich einen weiteren Schluck.
In der Zwischenzeit saß Severus in den Kerkern wütend auf seinem Sofa und ging einige Pergamente durch. Immer wieder war er auf das gleiche Ergebnis gekommen und das hatte ihn aufgewühlt. Die Tasse Kaffee, die er sich vorhin von einer Elfe hatte bringen lassen, flog in hohem Bogen durch sein Wohnzimmer und zersplitterte an der steinernen Wand. Der Hund, der neben ihm auf dem Sofa döste, schreckte auf und begann zu bellen, weswegen Severus mit einem Zauberspruch die Tasse reparierte und den Hund mit sanften Worten milde zu stimmen hoffte. Harry machte noch einmal „Wuff“, bevor er sich dreimal im Kreis drehte, um es sich erneut auf dem weichen Polster gemütlich zu machen.
„Du hast mich gut erzogen“, sagte Severus mit kühler Stimme, obwohl er sich damit selbst hatte aufheitern wollen. Harrys Schwanz begann so stark zu wedelt, dass er im Takt an die Rückenlehne schlug und ein dumpfes Klopfgeräusch zu hören war, das nach und nach ruhiger wurde, weil Harry die Augen schloss und sich vom Halbschlaf übermannen ließ.
„Vielleicht wäre ein wenig Entspannung momentan genau das Richtige für mich?“ Die Arbeit ließ Severus unbeachtet auf seinem Tisch zurück. Er hatte Appetit bekommen, wollte die Hauselfe jedoch nicht ein zweites Mal in dieser Nacht stören. „Ich hatte doch irgendwo...“
An einem Schrank angelangt öffnete er eine der unteren Türen. Hinter der Kiste von Weasleys Zauberhafte Zauberscherze, die er herausnehmen musste, fand er den Schokofrosch, den Hermine ihm zu seinem Geburtstag geschenkt hatte. Der Hauch eines Lächelns schlich über seine Lippen. Allein durch den Gedanken an diesen unerwartet angenehmen Abend schien seine Wut über den nicht auffindbaren Fehler in seinen Berechnungen zu verfliegen. Noch in der Hocke öffnete er die Packung. Er griff nach dem kakaohaltigen Frosch, der sich mit einem Sprung in die Freiheit retten wollte, aber von Severus' leicht gelblich verfärbten Fingern gepackt wurde. Der Frosch quakte resignierend, bevor er sich seinem Schicksal ergab. In der leeren Schachtel hörte Severus es klappern, weswegen er die Packung umdrehte. Etwas fiel hinaus und landete auf dem Boden. Die nun wirklich leere Packung warf er in den Papierkorb neben dem Schrank, bevor er den flachen Gegenstand aufhob und umdrehte. Es war die Schokofroschkarte mit der Nummer 18. Das Bild einer warm lächelnden Hermine verstärkte die Erinnerung an den netten Abend, doch auch andere Situationen schossen ihm plötzlich durch den Kopf. Severus seufzte und legte die Karte oben auf den Schrank, aber bevor er die Tür wieder schließen konnte, musste er den Tagtraumzauber von Weasleys Zauberhafte Zauberscherze in die Hand nehmen, um ihn wieder hineinzustellen. Als ihn die bunte Schrift auf der Packung neugierig machte, hielt er inne. Er täuschte sich selbst Desinteresse vor, während er die Informationen auf der viereckigen Verpackung las.
„Überraschungstraum“, murmelte Severus. Wenigstens hatte Hermine kein bestimmtes Thema gewählt, sondern es dem Zufall überlassen. Damit hatte sie ihm ein wenig die Angst genommen, sich mit diesem Tagtraumzauber zu beschäftigen, auch wenn er nur die Anleitung auf der Verpackung las, die er mit hinüber zur Couch mitgenommen hatte. Direkt neben einem scharchenden Harry hatte Severus sich wieder gesetzt. Sein Blick schweifte über die gedruckte Anleitung.
„Danke, dass Sie sich für den patentierten Tagtraumzauber entschieden haben. Der befristete Gedächtniszauber wird Sie in einen realitätsnahen Tagtraum entführen, welcher sich Ihren individuellen Vorgaben anpasst. Bei diesem Produkt handelt es sich um einen Überraschungstraum: einem von bisher 142 verschiedenen Traum-Themen. Mit Leichtigkeit können Sie Ihren persönlichen Tagtraum mit dem auf dem Deckel genannten Zauberspruch aktivieren.“
Etwas weiter darunter, viel kleiner gedruckt, stand „Nebenwirkungen: abwesender Blick, kurzfristige Beeinträchtigung der Wahrnehmung“.
Wieder viel größer, so dass man das Kleingedruckte leicht hätte übersehen können, stand geschrieben „Lehnen Sie sich zurück und tauchen Sie ein in die Tiefen der Welt Ihrer eigenen Fantasie. Lassen Sie Ihrem Wunschdenken für eine halbe Stunden freien Lauf.“.
'Fantasie', wiederholte Severus in Gedanken, schnaufte dabei verachtend. Er ging nicht davon aus, so etwas wie eine kreative Vorstellungsgabe zu besitzen. Der Tagtraum würde sicherlich eine Enttäuschung werden, nichtsdestotrotz las er interessiert den Spruch auf dem Deckel, mit dem sich der patentierte Zauber der Weasleys aktivieren ließ.
Die Box stellte Severus auf den Couchtisch, bevor er sich die Schuhe auszog und sich auch von seinem Gehrock und der schwarzen Weste darunter trennte. Dank des Kaminfeuers war es angenehm war. Früher hatte Severus selten geheizt, doch den Hund konnte er nicht so einer bitteren Kälte aussetzen.
Severus seufzte und nahm erneut die Box mit dem Tagtraumzauber in die Hand. Seine Neugierde war groß. Aus der Innentasche seines auf der Seitenlehne liegenden Gehrocks zog er den neuen Zauberstab aus Weiß-Birke, lehnte sich zurück und tippte die Schachtel an, während er zeitgleich den Zauberspruch sagte.
Die Box öffnete sich und mit einem theatralischen Glitzern und Funkeln quoll eine beigefarbene Wolke hervor, die sich um seinen Kopf legte und Severus' Gedanken einnebelte.
Ohne Übergang fand er sich auf einem der Schulhöfe Hogwarts' wieder und Severus glaubte für einen Moment, er wäre womöglich während des Tagtraumzaubers unbewusst umhergelaufen, doch dann fielen ihm Unstimmigkeiten auf, denn es war hell und warm. Sein Sichtfeld war anders, so als wäre er in die Knie gegangen. Er betrachtete verwundert seine eigene kleine Hand, deren Finger durch die jahrelange Arbeit mit Tränken und Zutaten noch keinen gelblichen Farbton auf der Leistenhaut aufwiesen. Seine Fingernägel waren ordentlich gefeilt und nicht ein bisschen schmutzig. Ein Gewicht machte ihn auf seine andere Hand aufmerksam und er ahnte mit einem dumpfen Gefühl im Herzen, was der Traum ihm zeigen würde; darüber war er keinesfalls erfreut. Ein Sack voller Murmeln wurde von seiner Kinderhand umfasst. Jeden Moment, das sah Severus voraus, würde Lily zu ihm stoßen. Sie würden eine halbe Stunde lang zusammen spielen, sich unterhalten und Scherze machen und wenn er aufwachte, würde er ihrer Gesellschaft nachtrauern, würde sein Leben verfluchen und das Leben danach ersehnen.
„Severus“, rief eine helle, weibliche Stimme, doch es war nicht Lilys. Ein junges Mädchen, eine Zweitklässlerin, rannte freudestrahlend auf ihn zu, derweil wippten ihre buschigen Haare auf und ab wie die Mähne eines galoppierenden Pferdes. Er kannte sie.
„Hermine?“ Severus war fassungslos, aber vor allem war er überrascht.
Sie war bei ihm angekommen, schmiss unachtsam ihre große Tasche auf den Boden und sagte mit einem breiten Lächeln: „Du bist ja schon so früh da.“
„Ich...“
Er wusste nicht, was er sagen sollte. Sie war – wie er – zwölf Jahre alt. 'Dreizehn', verbesserte er in Gedanken, denn ihr Geburtstag war im September, gleich im ersten Monat des neuen Schuljahres. Sie würde in ein paar Tagen Geburtstag haben, dachte er, denn die Schule hatte erst vor wenigen Tagen wieder begonnen.
Sie kramte einen Sack mit Murmeln aus ihrer Tasche.
„Warten wir noch einen Moment.“ Bevor er fragen konnte, warum sie warten sollten – im Hinterkopf wusste er, dass er nur eine halbe Stunde Zeit haben würde – fragte sie: „Wie waren deine Ferien?“
Erinnerungsfetzen an die Gespräche mit Lily schwirrten durch seinen Kopf. Ihr hatte er immer alles erzählen können.
„Gab es wieder Stress?“ Die kleine Hermine schenkte ihm ein ermutigendes Lächeln und einen mitfühlenden Blick.
„Es gab Streit, ja.“ Er verfluchte, dass seine Stimme so holprig geklungen hatten, doch die Hand auf seiner Schulter ließ ihn aufblicken und erzählen: „Wir sind umgezogen.“
„Was, schon wieder?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ach, Severus.“ Die Hand auf seiner Schulter drückte einmal zu. „Was ist denn nur passiert?“
„In der magischen Welt hat mein Vater keine Arbeit gefunden und er hat meiner Mutter die Schuld gegeben. Er wollte zurück, aber sie wollte nicht.“
„Weil sie hier Arbeit hat“, warf Hermine korrekt ein, so dass er nickte.
„Sie hat nachgegeben.“
Er erinnerte sich an den heftigen Streit, bei welchem sich die beiden angeschrien hatten. Severus wollte in diesem Moment nichts anderes als weg von Zuhause, doch es gab keinen Ort, an dem er sich hätte verkriechen können. Auf den Boden gekauert hatte er der Auseinandersetzung seiner Eltern gelauscht, hatte dabei nicht nur das Gefühl, sondern wusste, dass er das schon einmal erlebt hatte. Sie stritten oft. Severus hatte gehört, wie sein Vater die Schuld an seiner Arbeitslosigkeit der Mutter in die Schuhe schob.
„Wir sind zurück in die Muggelwelt gezogen und er...“ Severus hatte innegehalten, doch Hermine konnte er offenbar nichts vormachen.
„Er hat dort auch noch keinen Job bekommen.“ Sie erwähnte nicht, dass seine Mutter ihre Anstellung aufgegeben haben musste. Wütend stellte sie klar: „Wenn er nicht aufhört zu trinken, dann wird ihn auch in den nächsten Jahren niemand einstellen! Daran ist doch nicht deine Mutter schuld!“ Er blickte beschämt zu Boden, weswegen sie ruhig hinzufügte: „Und du auch nicht, Severus.“
„Und wenn er wegen mir angefangen hat?“ Die Selbstzweifel, die ihn damals schon belastet hatten, waren mit einem Male wieder da und er hasste dieses Gefühl, von sich selbst so wenig zu halten.
„Hermine, Severus!“ Die beiden Gerufenen blickten auf und sahen zwei Jungen, die sich ihnen näherten. Beide hatten ebenfalls einen Sack in der Hand, in der sich sehr wahrscheinlich Murmeln befanden. Severus traute seinen Augen kaum. Der eine mit den zerstrubbelten Haaren und der Brille war nicht James, sondern ein sehr junger Harry und an seiner Seite, in eine noch gut erhaltene Schuluniform gekleidet und ebenfalls im zarten Alter von zwölf Jahren, trottete ein milde lächelnder und etwas kränklich aussehender Remus nebenher.
„Hallo Severus“, grüßte Harry, der so sehr grinste, dass ihm durch die Muskelbewegung im Gesicht die runde Brille von der Nase rutschte. „Wo warst du eigentlich im Zug? Du hättest in unserem Abteil sitzen können.“ Nur ganz kurz wurde sich Severus darüber klar, dass er in einem realitätsnahem Tagtraumzauber verweilte, doch diesen Gedanken verdrängte er schnell.
„Lucius und seine Freunde wollten, dass ich bei ihnen sitze.“
Remus verzog das Gesicht, äußerte sich aber selbst bei diesen unangenehmen Personen nicht negativ, sondern sagte stattdessen kurz und knapp: „Schade.“
Harry hockte sich bereits neben Hermine auf den Boden und nahm einen Stock, um im Sand das Spielfeld zu zeichnen, während Hermine in ihrem Murmelsack wühlte. Severus überraschte sich selbst, als er plötzlich vorschlug: „Lasst uns was anderes machen!“
Spontanität war keine Eigenschaft, die man mit ihm in Verbindung brachte, weswegen Harry und Remus sichtlich erstaunt, aber auch erfreut waren. Hermine hingegen schien sich riesig zu freuen und stimmte mit vor Vorfreude glitzernden Augen zu.
„Hast du einen Vorschlag?“, fragte sie, während sie ihren Beutel wieder verstaute.
„Wir...“ Ihm fiel auf die Schnelle gar nichts ein. Von Impulsen hatte er sich nie lenken lassen. Der ältere Severus, der noch immer, wenn auch beschränkt, den Traum lenken konnte, versuchte sich an all das zu erinnern, was er früher mit Lily unternommen hatte, doch da war nicht viel gewesen. Immer waren Black und Potter gekommen, um ihn zu piesacken. Eine andere Strategie musste her, also überlegte er, was Hermine und Harry mit ihrem rothaarigen Freund damals immer unternommen hatten. Durch seine Kollegen war er über einige Abenteuer des Trios informiert gewesen, von anderen wusste er von vom Direktor persönlich.
„Wir könnten zu Hagrid gehen und schauen, ob er wieder ein neues Monster angeschleppt hat“, schlug Harry vor und Hermine begann daraufhin zu lachen.
„Nein“, nörgelte Remus. „Ich mag die Tiere nicht. Er hatte mal welche, die explodiert sind, wenn man sie falsch gefüttert hat.“
Hermine blickte fragend in die Runde. „Was dann? Wir könnten vielleicht in die Bibliothek gehen...“
„Nein, nein, nein.“ Harry schüttelte vehement den Kopf. „Das klingt jetzt schon langweilig.“
Schlagartig fiel Severus etwas ein. „Wir könnten zum See gehen und dort Verstecken spielen.“
„Ja!“, stimmte Hermine begeistert zu und auch Remus nickte zuversichtlich.
Von den anderen überstimmt ging Harry vor. „Okay, gehen wir.“ Nachdem er einige Schritte gegangen war, rief er den anderen zu: „Wer als Erster an der Eiche angekommen ist, hat gewonnen!“
Schon rannte er mit großem Vorsprung los und die anderen drei sprinteten hinterher.
Rennen konnte – und das hätte Severus nie gedacht – wirklich Spaß machen, denn er rannte diesmal nicht um sein Leben, flüchtete nicht vor grimmigen Auroren oder Voldemorts Schergen, sondern nur um der Freude Willen. Der kleine Wettkampf ließ sein Herz vor Aufregung schneller schlagen. Harry war ganz vorn, gefolgt von Hermine. Mit Remus lief Severus auf gleicher Höhe, doch er strengte sich an und ließ ihn nach ein paar großen Schritten hinter sich, um sich nun an ihre Fersen zu heften. Hermine schaute ab und an über ihre Schulter und bemerkte, dass er immer näher kam. Sie lachte fröhlich, gab aber nicht auf, obwohl Severus sie jeden Moment überholen müsste. Auch Harry war nicht mehr weit. Ihn könnte er ebenfalls einholen, dann würde er gewinnen, dachte Severus, weswegen er seine ganze Kraft mobilisierte, um nun auch Hermine davonzurennen. Jeden Moment hätte er Harry überholt, da blickte er hinter sich und sah Hermine fallen. Nur kurz war der Drang da gewesen, an Harry vorbeizulaufen und zu gewinnen, denn das Ziel war nahe – die große Eiche am See lag nur noch wenige Meter vor ihnen.
Abrupt hielt Severus an und blickte Harry ein paar Sekunden neidisch nach, bevor er zurück zu Hermine lief, um ihr aufzuhelfen. Der Sieg in ihrem kindlichen Spiel war ihm nicht mehr wichtig gewesen.
„Danke Severus.“ Sie strich sich mit den Handflächen den Schmutz vom Rock und schaute dabei nach vorn zu Harry, der gerade beide Hände an den Baumstamm schlug und „Erster!“ rief. „Schade, jetzt hast du nicht gewonnen.“ Sie zog einen Schmollmund, der ihn einen Moment in seinen Bann schlug.
Severus fühlte sich trotzdem als Gewinner. „Ich spare mir meine Kraft fürs Versteckspiel.“
Man hörte jemanden keuchen, weswegen sich Hermine und Severus umdrehten. Remus sah gar nicht gut aus. Er hatte eine Hand auf die Rippen gelegt und atmete heftig. Für den schmächtigen Jungen war es sehr anstrengend gewesen, mit seinen Freunden mitzuhalten.
„Seitenstechen?“, fragte Hermine und legte Remus, der in diesem Alter ein wenig kleiner war als sie, einen Arm um die Schulter.
„Geht schon.“ Langsam normalisierte sich Remus' Atmung.
Mit einem Ast in der Hand, den er übers Gras streifen ließ, kam Harry auf die drei zugeschlendert. Den Ast warf er auf den Boden, als er Remus ermutigend auf die Schulter schlug. Dann sah er alle drei einmal an.
„Es macht keinen Spaß zu gewinnen, wenn man der Einzige ist, der mitmacht“, beklagte sich Harry bei seinen Freunden.
„Hast Recht, Harry.“ Hermine grinste breit und tippte ihn mit ihren Fingerspitzen an. „Bist!“
Gleich danach rannte sie weg. Nicht sofort hatte Harry die Situation begriffen, doch als er wusste, dass sie gerade damit begonnen hatten, Fangen zu spielen, da stieß er Severus an, sagte ebenfalls „Bist!“ und suchte das Weite. Nun standen noch Remus und Severus verdutzt nebeneinander und beobachteten, wie Harry und Hermine einen kleinen Sicherheitsabstand zwischen sich und dem Fänger gebracht hatten. Scheu schaute Remus zu dem dunkel gekleideten Jungen, doch bevor der ihn berühren konnte, lächelte er verschmitzt, bevor er wie von der Tarantel gestochen davonrannte – Severus hinterher.
Beinahe hatte Severus vergessen, dass das Spiel mit seinen Freunden nicht echt war, so wirklich fühlte sich der Tagtraum an. Er konnte das Gras riechen und die vom nächtlichen Regen noch feuchte Erde. Severus spürte den Wind auf seiner Haut und auch Hermine, als er sie zaghaft am Oberarm berührte und sie zur Fängerin machte.
Der Severus, der momentan mit einem entrückten Blick in seinem Wohnzimmer auf dem Sofa saß, wünschte sich einen Moment herbei, den er damals sehr oft als Tagtraum durchgespielt hatte und von dem er bis heute bedauerte, dass er niemals wahr geworden war.
Kaum hatte er daran gedacht, fand er sich auch schon in seinem Zimmer in Spinners End wieder. Vom Gefühl her wusste Severus, dass er nun siebzehn Jahre alt sein musste. Es waren Ferien. Er begutachtete kritisch sein eigenes Spiegelbild. Selbst für ihn war es ungewohnt, sich mit einem weißen Hemd zu sehen, vor allem ohne die vertrauten, fettigen Haare, doch heute hatte er keinen Schutzbalsam verwendet. Heute würde er nicht mit seiner Mutter zusammen im Keller einen Trank brauen. Heute würde er...
Jemand klopfte an die Vordertür, weswegen Severus' Herz in die Hose rutschte, doch in gleichem Maße konnte er diesen Augenblick gar nicht abwarten. Flugs öffnete er die Tür seines Zimmers, um nach unten zu laufen. Seine Mutter war bereits an der Vordertür angekommen, hatte sie jedoch noch nicht geöffnet. Sie lächelte ihren Sohn an.
„Dein erster Gast“, sagte sie leise. Die Wärme in ihren Augen zeigte ihm, dass sie sich für ihn freute, denn es kam nicht oft vor – war noch nie vorgekommen – dass er Besuch empfing. Seine Mutter lächelte und trat zur Seite; offenbarte ihm die dicke, hölzerne Tür, die auf seltsame Weise einschüchternd wirkte.
Sich einen Ruck gebend öffnete Severus, doch entgegen seiner damaligen Wunschvorstellung war es nicht Lily gewesen, die ihn grüßte.
„Hallo Hermine, komm doch rein.“ Die Worte waren fast unhörbar leise über seine Lippen gekommen, doch sie schenkte ihm ein Lächeln und folgte seiner Aufforderung.
„Harry und Remus kommen ein wenig später“, sagte sie ungewohnt schüchtern, denn sie hatte seine Mutter erblickt.
Nachdem Severus die Tür geschlossen hatte, machte sich für einen kurzen Augenblick eine peinliche Stille breit, die er durchbrechen wollte, weswegen er vorstellte: „Hermine, das ist meine Mutter.“
Hermine trat einen Schritt an sie heran, begrüßte sie per Handschlag und mit den Worten: „Freut mich sehr, Mrs. Snape, Sie einmal persönlich kennen zu lernen. Es kommt mir so vor, als wären wir schon schon seit Jahren miteinander vertraut.“
Eileen schüttelte Hermines Hand. „Das geht mir ganz genauso. Severus hat viel von Ihnen und den beiden anderen erzählt.“
Normalerweise war Hermine eine offenherzige Person, doch heute war sie anders. Ihre an den Tag gelegte Unsicherheit ließ die seine schwinden, wofür er dankbar war. Während seine Mutter das Essen weiter zubereitete, zeigte er Hermine das Haus, das in seiner Vorstellung sehr viel hübscher anzusehen war als die schäbige Behausung es in Wirklichkeit gewesen war.
In seinem Zimmer angelangt setzte sie sich auf sein Bett und ließ ihren Blick schweifen.
„Warum kommen Harry und Remus später?“, fragte Severus.
„Harry hat kurzfristig einen Termin für ein Vorstellungsgespräch im Ministerium bekommen. Er will doch nach der Schule Auror werden.“ Sie blickte zu einem voll gestopften Bücherregal hinüber, das aus allen Nähten zu platzen schien, was nicht Severus' lebhafter Fantasie zuzuschreiben war. „Und Remus kommt heute schwer in die Gänge. Gestern war doch Vollmond...“ Severus war seit Jahren eingeweiht. „Er hat lange geschlafen und kommt nachher zusammen mit Harry.“
Severus setzte sich in manierlichem Abstand neben Hermine aufs Bett. „Was willst du später werden?“ Das Jahr würden sie noch zusammen in Hogwarts verbringen, bevor jeder seiner Wege gehen würde.
„Ich würde gern meinen Meister in Zaubertränken machen“, antwortete sie strahlend. „Und du?“
„Dito!“
Sie nickte. „Ja, das dachte ich mir.“ Sie legte ihren Kopf schräg. „Ob es wohl einen Meister gibt, der gleichzeitig zwei Schüler aufnehmen würde?“ Hoffnungsvoll fügte sie hinzu: „Dann würden wir noch drei Jahre zusammen sein.“
Ihr Vorschlag und das, was er heraushören konnte, ließ ihn selig lächeln. „Wir können uns doch auch so sehen.“
„Ja, können wir“, stimmte sie wie aus der Pistole geschossen zu, weswegen er sich in einer ganz bestimmten Sache bestärkt fühlte, die er damals in der Schule nie zu fragen gewagt hatte.
„Hermine?“ Als sie ihn anblickte, schluckte er einmal kräftig und er war froh, dass seine Stimme ihn nicht im Stich gelassen hatte: „Möchtest du mit mir zum Abschlussball gehen?“
Severus bemerkte, wie die Umgebung seines Wohnzimmers in den Kerkern Hogwarts' langsam wieder deutlicher für ihn wurde. Der Tagtraumzauber ließ nach, doch ihre Antwort konnte er noch hören.
„Ja, das möchte ich sehr gern.“
Mitten in der Nacht war Lucius aufgewacht, weil sein Zimmergenosse – Gregory Goyle – angefangen hatte zu schnarchen. So hatte er jedoch einen Moment Zeit, über die Verhandlung nachzudenken – den zweiten Tag. Dieser war ähnlich verlaufen wie der erste. Die Mitglieder des Gamots haben ungeklärte Punkte angesprochen und bevor er Antworten geben konnte, hatte Mr. Duvall eine volle Breitseite in Richtung Rosalind abgefeuert.
Man wollte zunächst nicht erlauben, dass zumindest in einem Anklagepunkt das Minderjährigenstrafgesetz angewandt werden sollte, doch als sein Beistand damit begann, Paragraphen und Fallbeispiele zu nennen – auswendig –, da hatten sie gar keine andere Möglichkeit. Ein Todesser zu sein war allein schon Grund genug, lebenslang in Askaban zu versauern, doch die Regelung im Minderjährigenstrafgesetz ahnte so ein Verbrechen mit ein paar Stunden Arbeit in gemeinnützigen Einrichtungen. Nicht einmal eine Geldstrafe würde anfallen, rief sich Lucius amüsiert ins Gedächtnis zurück, während er seine Hände hinter dem Kopf verschränkte und durch das Fenster des Krankenzimmers in den Sternenhimmel blickte.
Was den Besitz schwarzmagischer Gegenstände betraf, hatten die Gamotmitglieder sehr viele Fragen gestellt, sich ganze Pergamente voll mit möglichen Punkten notiert, die man später unter dem Einfluss von Veritaserum Plus detailliert klären wollte. Mr. Duvall hatte ihm am Ende des Verhandlungstages versichert, dass man ihm nicht mehr als eine Geldstrafe dafür aufbrummen könnte, also nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste.
Mit mehr als zwei Monaten Haft und einer Geldstrafe in Höhe von maximal 1.500 Galleonen musste Lucius wegen der „Störung der Öffentlichen Ordnung“ nicht rechnen. Auch hier hatte sein Beistand mit zwölf Fällen aus der Vergangenheit aufwarten können, in denen die Beschuldigten noch viel schlimmere Dinge angestellt hatten, als eine Muggelfamilie durch die Luft fliegen zu lassen. Das Gute an diesen Beispielfällen, die Duvall ausgegraben hatte, war, dass jedes der anwesenden Gamotmitglieder mindestens in einem der Fälle für die Verurteilung mitverantwortlich gewesen war. Sie mussten sich somit zwangsweise an ihre damals gefällten und glücklicherweise sehr milde ausgefallenen Urteile halten, wenn sie nicht riskieren wollten, dass ihre einstige Entscheidung angezweifelt werden würden, sollte der Fall von Lucius Malfoy plötzlich härter bestraft werden als Fälle, die selbst für einen Laien grausamere Verbrechen an Muggeln veranschaulichten.
Knifflig wurde es bei den beiden Unverzeihlichen, denn hier müsste Lucius demnächst unter Veritaserum sehr genau schildern – von den ersten Ideen, bis hin zur Umsetzung der Tat –, wie es dazu gekommen war. Sollte sich für das Gamot nicht klar herauskristallisieren, dass er den Imperius an Sturgis Podmore und Broderick Bode angewandt hatte, während er von Voldemort höchstpersönlich durch genau denselben Fluch gelenkt wurde, würde er die sieben Jahre Haft, die er mit dem Minister vereinbart hatte, auch tatsächlich absitzen müssen. Lucius hoffe sehr, dass Duvall entweder bei der Formulierung der Fragen, die man ihm später stellen würde, mitverantwortlich sein würde oder gar selbst welche ausarbeiten dürfte. Dass sein Beistand nicht auf den Kopf gefallen war, hatte Lucius längst begriffen. Es gab einige zurückliegende Fälle, die dem Ministerium Kopfschmerzen bereitet haben. Fälle, in denen man einem Angeklagten nicht nachweisen konnte, ob er unter Imperius gestanden hatte oder nicht. Man hatte sich nach ewigen Diskussionen dazu entschlossen, die Anklagen fallen zu lassen – im Zweifel für den Angeklagten.
Den Einbruch und den versuchten Raub in Zusammenhang mit Körperverletzung und Zerstörung von Ministeriumseigentum hatte Duvall beim zweiten Anlauf erneut gelassen abgeschmettert. Die Gamotmitglieder hatten leise geflucht, doch letztendlich mussten sie den Punkt streichen, denn nicht Lucius hatte das kleine Gefecht begonnen. Der Tatbestand des Einbruchs war nicht belegt, weil er damals Zugang in die Mysteriumsabteilung hatte, wofür er Fudge heute noch dankbar war, auch wenn es viel Überredungskunst benötigt hatte, um den damaligen Minister davon zu überzeugen, dass Lucius als neutrale Person ebenfalls ein Auge auf die Vorgänge in der Prophezeiungs-Kammer werfen sollte. Großzügig, wie Lucius war, hatte er durch Mr. Duvall seine Bereitschaft erklären lassen, für zehn Prozent des entstandenen Glasschadens aufzukommen.
Den Ausbruch aus Askaban sollte Lucius in den nächsten Tagen mit Wahrheitsserum schildern und er war sich jetzt schon seines Sieges sicher. Bellatrix hatte ihn mitgenommen, weil er selbst in sehr schlechter Verfassung gewesen war. Damals hatte er schon kaum noch etwas sehen können. Er war nicht einmal selbst appariert.
„Das ist gut!“, hatte Mr. Duvall ihm vorhin noch gesagt, als sie über diesen letzten Punkt gesprochen hatten. „Sie haben die Apparation nicht selbst durchgeführt, Mr. Malfoy. Man kann Ihnen nicht vorwerfen, dass Sie geflohen seien, wo Sie nicht einmal dazu in der Lage gewesen waren, durch Ihre Rückenverletzung überhaupt aufrecht zu gehen.“
Ach ja, dachte Lucius. Die damalige Verletzung der Wirbelsäule hatte er sich zugezogen, weil er aufgrund des schwindenden Augenlichts gefallen war. Miss Bones hatte anfangs noch dafür gesorgt, dass sich ein Heiler seinen Rücken ansehen würde und auch, wie er sich wehmütig erinnerte, seine Augen. Miss Bones hatte sich um ihn gekümmert, als er in Askaban saß, hatte dafür gesorgt, dass sein Sohn ihn besuchte, hatte ihm Formulare und Anträge vorgelesen und ihm beim Ausfüllen geholfen. Heute hieß die junge Frau nicht einmal mehr Bones mit Nachnamen, sondern Malfoy. Sie war eine Malfoy.
Lucius schnaufte verächtlich. Er hasste es, wenn es Dinge in seinem Leben gab, auf die er keinen Einfluss hatte. In den guten alten Zeiten hatte er sich wenigstens noch Entscheidungen erkaufen können, die ihm einen Vorteil verschafften. Er hätte gewusst, was zu tun war, um auf die Entscheidung seines Sprosses einzuwirken, aber weil ihm die Hände gebunden waren, sah er sich außerstande, seinen eigenen Sohn vor der Hochzeit mit einer Halbblüterin zu bewahren. Als seine Gedanken sich um diese abwertende Bezeichnung drehten, da dachte er unerwartet an Schwester Marie. Sie war ebenfalls halbblütig, aber mit ihr kam er wunderbar zurecht. Woran das lag, war ihm selbst ein Rätsel. Vielleicht, vermutete er, war es hier im Krankenhaus, in seiner kleinen, heilen Welt, völlig unwichtig, von wem sie abstammte. Die gute Seele war hier und vertrieb die Langeweile, unterrichtete ihn über Neuigkeiten und brachte ihm eine Extraportion Nachtisch, weil sie wusste, dass er es mochte.
„Wir könnten etwas Hafterlass wegen guter Führung herausschlagen“, hallte Duvalls Stimme in Lucius Gedanken nach. „Miss Amabilis wäre eine perfekte Zeugin, Mr. Malfoy. Sie ist halbblütig und kann nur Gutes über Sie berichten. Das rückt Sie in ein besseres Licht, denn es ist ja kein Geheimnis, dass man Ihnen zumindest früher rassistische Ansichten zuschrieb.“
Schwester Marie wollte Lucius nicht mit seinem Fall belasten, doch Duvall war von seiner eigenen Idee sehr begeistert.
„Wer könnte bestätigen“, hatte Duvall vorhin noch gefragt, „wann Sie das dunkle Mal angenommen haben?“
„Meine Frau und alle anderen Todesser.“
Duvall hatte seinen Kopf geschüttelt. „Nein, wir benötigen jemand anderen. Jemanden, dem man nicht unterstellen kann, aufgrund des Ehebundes oder einer engen Freundschaft befangen zu sein.“
Nur aus Spaß hatte Lucius, nachdem sie sich längst verabschiedet hatten, gesagt: „So lebendig wie Hogwarts ist würde es mich nicht wundern, wenn ein Geist oder Gemälde davon erfahren haben könnte.“
Duvall war an der Tür stehengeblieben und schien wie in Trance, die er nach ein paar Sekunden von sich abschüttelte, bevor er das Krankenzimmer ungewöhnlich nachdenklich verließ.
Die Erinnerung an das Gespräch am Abend hatte Lucius nun erst recht am Einschlafen gehindert, von dem Sägewerk im Bett gegenüber ganz zu schweigen.
Wenigstens hatte Duvall den Punkt in Bezug auf die Erpressung ein für allemal aus der Anklageschrift streichen lassen. Sein Beistand hatte es sich jedoch nicht nehmen lassen, dem Gamot noch ein einziges Mal vorzuwerfen, sich diese Dreistigkeit überhaupt erlaubt zu haben, einen uralten Fall neu aufwärmen zu wollen.
Mr. Duvall war ein Mistkerl.
Lucius begann ihn zu mögen.
Hermine hingegen hatten Mr. Callidita ins Herz geschlossen. Sein Gemälde hatte sie neben dem Tisch, an dem sie arbeitete, auf einem Sessel abgestellt, ganz so, als würde er darin sitzen. Nur zweimal musste sie Fellini vertreiben, weil der an dem bemalten Leinen seine Krallen wetzen wollte.
„Mr. Callidita, Ihre Berechnung der letalen Dosis in Bezug auf Abraxaner ist korrekt?“ Sie blickte das Gemälde an und der darin befindliche junge Mann nickte beipflichtend. „Der von Severus errechnete Wert der Dosis für eine Frau mit einer Körpergröße von einem Meter achtundsechzig und einem Gewicht von“, sie stutze, denn das erste Mal wurde sie sich über Pansys Untergewicht bewusst, „zweiundfünfzig Kilogramm ist auch richtig?“ Wieder nickte Callidita.
Es schien unmöglich, ihm ein paar Worte zu entlocken, doch sie wollte es mit einer ihrer ausgeprägtesten Fähigkeiten vollbringen und deswegen redete sie nicht nur wie ein Wasserfall , sondern zudem mit Engelszungen. Es war nicht unbedingt die Art, wie sie redete, sondern über was. Da er anfangs kein Wort von sich gab, begann sie mit einer Neuberechnung mit Hilfe von Severus’ Unterlagen, teilte während des gesamten Prozesses ihre Gedanken mit und nannte ihre Rechenschritte. Als sie damit fertig war und erneut Wut in ihr aufkam, weil sie zum wiederholten Male auf das gleiche Ergebnis gekommen war, da bestätigte Callidita stotternd, dass ihr Rechenweg korrekt gewesen wäre.
„Aber es hilf nicht“, sagte sie weinerlich. „Das Gegengift ist längst verabreicht worden und an dem Zustand der Frau hat sich nichts geändert. Irgendwas muss falsch sein!“
Weil sie so verzweifelt geklungen hatte, fragte Callidita mit teilweise lang gezogener Betonung: „Gegengift fff-für was?“
Verzweifelt legte sie die Unterlagen beiseite und schaute ihn an. „Der Trank heißt ’Schlafes Bruder’. Die Patientin ist mit einem Gegenstand verletzt worden. Aufgrund der Wunde konnte man die Breite des Objekts bestimmen. Es muss ein Messer gewesen sein. Mein Professor hat berechnet, wie viel von Schlafes Bruder sich auf der breiten Fläche der Klinge befunden haben muss, natürlich in Rücksichtnahme auf die Tiefe der Stichverletzung.“ Sie blickte zurück auf die Unterlagen. „Vielleicht ist dieser Wert falsch?“ Murmelnd fügte sie hinzu: „Aber ich hab’s doch selbst nachgerechnet…“
Callidita öffnete den Mund, doch für einen kurzen Moment war nichts zu hören, bis die Stimme plötzlich aus ihm heraussprudelte, als hätte jemand die Schleusen geöffnet: „Ein sch-scheusäliger Trank. Www-wie lang ist die Dame sch-schon siech?“
Einen Augenblick schaute Hermine irritiert drein, denn Callidita verwendete einen ungewöhnlichen Sprachmix aus verschiedenen Epochen, was daran liegen mochte, dass sein Gemälde seit über vierhundert Jahren sämtliche sprachliche Veränderung miterlebt haben musste. Da er selbst seit langer Zeit nicht gesprochen hatte, hatte sich sehr wahrscheinlich kein Gefühl für den heutigen Redestil entwickeln können. Selbst Sir Nicholas, der sich oft und gern mit Lehrern und Schülern unterhielt, hatte seinen Wortschatz im Laufe der Jahrhunderte angepasst.
„Gleich nach der Geburt ihres Kindes ist sie in diesen todesähnlichen Zustand verfallen. Sie leidet also seit fast vier Jahren an den Auswirkungen von Schlafes Bruder.“
„Ppp-Potzblitz! Das bedeutet ein nicht aaaa-abzuleugnendes Übel.“
Während Callidita sich mit dem Zeigefinger über die Lippen fuhr und nachdachte, kam Hermine zu dem Schluss, dass es seltsam, aber in ihren Augen auch sehr charmant war, einen jungen Mann solche ausgestorbenen Worte benutzen zu hören. Sie mochte ihn und das Schönste war, dass er sofort verstanden hatte, was sie von ihm wollte. Sie waren auf gleicher Wellenlänge.
Sie hörte ihn höflich fragen: „Wenn ich ww-wohl die Unterlagen besehen darf?“ Mit einem Schwung ihres Zauberstabes ließ Hermine per Levitation alle notwendigen Papiere vor dem Gemälde schweben, so dass er einen guten Überblick über alles erhielt.
„Ihr Gegengift sollte gedanklich gesehen das Leiden ringern.“
Dass er das erste Mal einen Satz flüssig wiedergegeben hatte, war ihr gar nicht aufgefallen, denn das Thema hatte sie voll und ganz in Beschlag genommen. „Sie denken also auch, das Gegengift hätte helfen müssen. Warum aber liegt sie noch immer starr in ihrem Bett? Braucht es vielleicht nach fast vier Jahren etwas länger, bis das Gegenmittel sich im Körper ausbreiten kann?“
„Das Venenum vom Basilisk bleibt in seiner Fährlichkeit unübertroffen, denn es selbst wirkt nicht tödlich – man wird lebig. Die Spannadern werden stimuliert, so sehr, dass man dadurch den Tod finden könnte, doch wenn die Glieder längst verstarrt sind, so wie bei dieser jungen Frau, dann kann das Gift wiedererwecken.“
Hermine kniff die Augen zusammen. „Es tut mir aufrichtig Leid, aber hier konnte ich nicht mehr folgen. Meinen Sie mit ’lebig werden’, dass etwas im Körper angeregt wird? Und was sind ’Spannadern’?“
Callidita überlegte einen Moment und fuchtelte derweil mit einer Hand herum, weil ihm das Wort nicht einzufallen schien. „Spannadern“, wiederholte er verzweifelt, doch dann versuchte er zu erklären, „durch sie fühlt man.“ Der junge Mann auf dem Gemälde fuhr sich mit den Fingern über die Wange. „Berührung, Schmerz…“ Er versuchte es mit Latein: „Nervi.“
„Oh, Sie meinen die Nerven!“
„Das ist es!“, sagte er so laut, dass sie unmerklich zurückwich. „Nerven! Spannadern.“
Severus hatte erzählt, dass das Basiliskengift auf das Nervensystem einwirken und es stimulieren würde.
„Ja, das hat mein Professor auch gesagt.“
„Wer ist Ihr Professor?“
„Das ist Professor Snape.“ Callidita verzog das Gesicht. „Kennen Sie ihn etwa?“, wollte Hermine daraufhin wissen. Wenn ja, vermutete sie, musste Callidita ihn in Poppys Büro erlebt haben.
„Eee-er ist mir schon begegnet, zwey, drey Mahl.“
Aufgrund der erneuten Verlängerung der Laute dachte sich Hermine ihren Teil, doch unüberlegt sprach sie es auch an: „Sie mögen ihn nicht besonders oder?“ Calliditas hob die Augenbrauen und versuchte, unschuldig dreinzublicken, weswegen Hermine lächeln musste. „Ich mochte ihn damals auch nicht, aber jetzt… Er ist in Ordnung, wenn man seine Eigenarten kennt und man weiß, wie ernst oder weniger ernst die Dinge gemeint sind, die er von sich gibt.“
Callidita spitzte die Lippen. „Ich will das nicht bezwisten, Miss Granger.“
Eine lange Zeit unterhielten sich die beiden miteinander, schweiften sogar ab, als Callidita von seinem Basilisk erzählte, den er nach seiner Zeit als Heiler in Hogwarts in den nicht auf Karten verzeichneten Untiefen des riesigen Wohnsitzes seiner Familie gezüchtet und gehalten hatte. Immer seltener verlängerte er während des Redens unbeabsichtigt die Laute, doch manchmal noch war eine stumme Blockade zu bemerken, die Hermine geduldig abwartete.
„Was ist mit Ihrem Basilisk geschehen?“
Er hatte schnell gelernt, sich ihrem Sprachgebrauch anzupassen, so dass nur noch selten ein uraltes Wort seine Lippen verließ. „Ich weiß es nicht. Nicht einmal von meinem Verbleib kann ich etwas berichten.“ Er winkte sie zu sich heran und flüsterte: „Können Sie sich vorstellen, Miss Granger, wie es für ein magisches Gemälde für mich sein muss, nicht zu wissen, was mit dem Original geschehen ist?“
Sie schüttelte den Kopf. Die Vorstellung war ihrer Meinung nach grausam, seit über 400 Jahren nicht zu wissen, wie man verstorben sein könnte und dass man dieses Geheimnis sehr wahrscheinlich auch niemals herausbekommen würde.
„Aber ich habe mich damit abgefunden“, erklärte Calliditas, nachdem er Hermines betrübtes Gesicht bemerkt hatte. „Hier im Schloss aufbewahrt zu werden ist eine wahre Wohlthat. Es ist nicht nur beynahe wie ein Zuhause, Hogwarts ist ein Heim für mich.“
„Nur schade“, schmollte Hermine, „dass Sie gegenüber dieser widerlichen Person hängen müssen.“
„Nun bin ich ja hier. Vielleicht wage ich den Direktor zu fragen, ob ich mir einen angenehmeren Platz aussuchen dürfte.“
Sie lächelte und deutete auf ihre Wände. „Bei mir wäre Platz genug.“
„Oh, wie freundlich von Ihnen, doch ich muss anzweifeln, dass Ihre Räume ein angemessener Ort für mich wären.“ Weil Hermine ihn fragend anblickte, wurde er deutlicher. „Sie hätten sicherlich gern Ihr Otium; Ihre Ruhe, besonders wenn Sie nicht allein sein sollten.“
Sie seufzte, doch ohne auf seine Worte einzugehen wiederholte sie, diesmal etwas wehmütiger: „Bei mir wäre Platz genug.“
Nach reiflicher Überlegung rief Hermine zur Nachtzeit einen Elf. Es war ein junges Ding, das verschlafen wirkte, sich nichtsdestotrotz darüber zu freuen schien, dienen zu dürfen. Hermine hatte plötzlich ein ganz schlechtes Gewissen.
„Du bist doch Shibby oder? Wir haben uns schon einmal gesehen.“
Die Elfe nickte und war sichtlich beeindruckt, nicht nur eine kurze Unterhaltung wert zu sein, sondern dass man sich auch an ihren Namen erinnerte. „Shibby ist ganz gerührt, Miss Granger. Wie darf Shibby Ihnen behilflich sein?“ Der Wortlaut des letzten Satzes klang dem sehr ähnlich, den Wobbel sonst immer benutzte.
„Ich hätte gern Tee.“ Schnell verbesserte Hermine: „Nein, lieber Kaffee! Schwarz und stark und dazu irgendwas zum Knabbern.“
„Darf Shibby Kekse bringen?“
„Ja, Kekse klingen gut.“
Die Elfe wandte sich an das Gemälde. „Darf Shibby Mr. Callidita etwas bringen?“
„Woher kennst du seinen Namen?“, wollte Hermine wissen.
„Jeder Elf kennt die Gemälde, Miss Granger.“ Sie blickte erneut zu Callidita. „Shibby bringt Tee?“
Callidita lächelte einseitig. „Wie gern ich würd’“, schwärmte er in Erinnerungen an eine heiße Tasse Tee. „Wär’ es doch mm-möglich, würde ich Sie bittlich um einen schwarzen Tee angehen.“
Shibby schnippte einmal mit den Fingern und direkt neben Calliditas Sessel erschien wie von Geisterhand gemalt ein kleines Beistelltischlein, in schönsten Farben gemalt. Darauf befand sich ein Tablett, auf dem eine kunstvoll verzierte Porzellantasse mit dampfenden Tee zu finden war. Gleich daneben präsentierte sich ein kleiner Teller mit Gebäck.
„Das ist…“ Callidita war sprachlos.
„Unglaublich“, murmelte Hermine, die noch nie in ihrem Leben gesehen hatte, wie ein Hauself ein Gemälde bewirtet hatte. Noch immer so verwundert darüber bemerkte sie nicht einmal, dass Shibby für einen Moment verschwunden war, doch der kräftige Geruch Kaffee ließ sie aufblicken.
„Vielen Dank, Shibby.“
Die Hauselfe hatte sich freundlich verabschiedet. Zur gleichen Zeit nahm Callidita einen Schluck von seinem Tee und Hermine einen von ihrem Kaffee – beide stöhnten wonnig.
„Ich sollte den anderen Gemälden lieber nicht verbothschaften, dass dies möglich sey. Die Elfen hätten sonst wohl alle Hände voll zu tun.“ Callidita in seinem mit warmen Farben gemalten Gemälde schloss die Augen und gönnte sich einen weiteren Schluck.
In der Zwischenzeit saß Severus in den Kerkern wütend auf seinem Sofa und ging einige Pergamente durch. Immer wieder war er auf das gleiche Ergebnis gekommen und das hatte ihn aufgewühlt. Die Tasse Kaffee, die er sich vorhin von einer Elfe hatte bringen lassen, flog in hohem Bogen durch sein Wohnzimmer und zersplitterte an der steinernen Wand. Der Hund, der neben ihm auf dem Sofa döste, schreckte auf und begann zu bellen, weswegen Severus mit einem Zauberspruch die Tasse reparierte und den Hund mit sanften Worten milde zu stimmen hoffte. Harry machte noch einmal „Wuff“, bevor er sich dreimal im Kreis drehte, um es sich erneut auf dem weichen Polster gemütlich zu machen.
„Du hast mich gut erzogen“, sagte Severus mit kühler Stimme, obwohl er sich damit selbst hatte aufheitern wollen. Harrys Schwanz begann so stark zu wedelt, dass er im Takt an die Rückenlehne schlug und ein dumpfes Klopfgeräusch zu hören war, das nach und nach ruhiger wurde, weil Harry die Augen schloss und sich vom Halbschlaf übermannen ließ.
„Vielleicht wäre ein wenig Entspannung momentan genau das Richtige für mich?“ Die Arbeit ließ Severus unbeachtet auf seinem Tisch zurück. Er hatte Appetit bekommen, wollte die Hauselfe jedoch nicht ein zweites Mal in dieser Nacht stören. „Ich hatte doch irgendwo...“
An einem Schrank angelangt öffnete er eine der unteren Türen. Hinter der Kiste von Weasleys Zauberhafte Zauberscherze, die er herausnehmen musste, fand er den Schokofrosch, den Hermine ihm zu seinem Geburtstag geschenkt hatte. Der Hauch eines Lächelns schlich über seine Lippen. Allein durch den Gedanken an diesen unerwartet angenehmen Abend schien seine Wut über den nicht auffindbaren Fehler in seinen Berechnungen zu verfliegen. Noch in der Hocke öffnete er die Packung. Er griff nach dem kakaohaltigen Frosch, der sich mit einem Sprung in die Freiheit retten wollte, aber von Severus' leicht gelblich verfärbten Fingern gepackt wurde. Der Frosch quakte resignierend, bevor er sich seinem Schicksal ergab. In der leeren Schachtel hörte Severus es klappern, weswegen er die Packung umdrehte. Etwas fiel hinaus und landete auf dem Boden. Die nun wirklich leere Packung warf er in den Papierkorb neben dem Schrank, bevor er den flachen Gegenstand aufhob und umdrehte. Es war die Schokofroschkarte mit der Nummer 18. Das Bild einer warm lächelnden Hermine verstärkte die Erinnerung an den netten Abend, doch auch andere Situationen schossen ihm plötzlich durch den Kopf. Severus seufzte und legte die Karte oben auf den Schrank, aber bevor er die Tür wieder schließen konnte, musste er den Tagtraumzauber von Weasleys Zauberhafte Zauberscherze in die Hand nehmen, um ihn wieder hineinzustellen. Als ihn die bunte Schrift auf der Packung neugierig machte, hielt er inne. Er täuschte sich selbst Desinteresse vor, während er die Informationen auf der viereckigen Verpackung las.
„Überraschungstraum“, murmelte Severus. Wenigstens hatte Hermine kein bestimmtes Thema gewählt, sondern es dem Zufall überlassen. Damit hatte sie ihm ein wenig die Angst genommen, sich mit diesem Tagtraumzauber zu beschäftigen, auch wenn er nur die Anleitung auf der Verpackung las, die er mit hinüber zur Couch mitgenommen hatte. Direkt neben einem scharchenden Harry hatte Severus sich wieder gesetzt. Sein Blick schweifte über die gedruckte Anleitung.
„Danke, dass Sie sich für den patentierten Tagtraumzauber entschieden haben. Der befristete Gedächtniszauber wird Sie in einen realitätsnahen Tagtraum entführen, welcher sich Ihren individuellen Vorgaben anpasst. Bei diesem Produkt handelt es sich um einen Überraschungstraum: einem von bisher 142 verschiedenen Traum-Themen. Mit Leichtigkeit können Sie Ihren persönlichen Tagtraum mit dem auf dem Deckel genannten Zauberspruch aktivieren.“
Etwas weiter darunter, viel kleiner gedruckt, stand „Nebenwirkungen: abwesender Blick, kurzfristige Beeinträchtigung der Wahrnehmung“.
Wieder viel größer, so dass man das Kleingedruckte leicht hätte übersehen können, stand geschrieben „Lehnen Sie sich zurück und tauchen Sie ein in die Tiefen der Welt Ihrer eigenen Fantasie. Lassen Sie Ihrem Wunschdenken für eine halbe Stunden freien Lauf.“.
'Fantasie', wiederholte Severus in Gedanken, schnaufte dabei verachtend. Er ging nicht davon aus, so etwas wie eine kreative Vorstellungsgabe zu besitzen. Der Tagtraum würde sicherlich eine Enttäuschung werden, nichtsdestotrotz las er interessiert den Spruch auf dem Deckel, mit dem sich der patentierte Zauber der Weasleys aktivieren ließ.
Die Box stellte Severus auf den Couchtisch, bevor er sich die Schuhe auszog und sich auch von seinem Gehrock und der schwarzen Weste darunter trennte. Dank des Kaminfeuers war es angenehm war. Früher hatte Severus selten geheizt, doch den Hund konnte er nicht so einer bitteren Kälte aussetzen.
Severus seufzte und nahm erneut die Box mit dem Tagtraumzauber in die Hand. Seine Neugierde war groß. Aus der Innentasche seines auf der Seitenlehne liegenden Gehrocks zog er den neuen Zauberstab aus Weiß-Birke, lehnte sich zurück und tippte die Schachtel an, während er zeitgleich den Zauberspruch sagte.
Die Box öffnete sich und mit einem theatralischen Glitzern und Funkeln quoll eine beigefarbene Wolke hervor, die sich um seinen Kopf legte und Severus' Gedanken einnebelte.
Ohne Übergang fand er sich auf einem der Schulhöfe Hogwarts' wieder und Severus glaubte für einen Moment, er wäre womöglich während des Tagtraumzaubers unbewusst umhergelaufen, doch dann fielen ihm Unstimmigkeiten auf, denn es war hell und warm. Sein Sichtfeld war anders, so als wäre er in die Knie gegangen. Er betrachtete verwundert seine eigene kleine Hand, deren Finger durch die jahrelange Arbeit mit Tränken und Zutaten noch keinen gelblichen Farbton auf der Leistenhaut aufwiesen. Seine Fingernägel waren ordentlich gefeilt und nicht ein bisschen schmutzig. Ein Gewicht machte ihn auf seine andere Hand aufmerksam und er ahnte mit einem dumpfen Gefühl im Herzen, was der Traum ihm zeigen würde; darüber war er keinesfalls erfreut. Ein Sack voller Murmeln wurde von seiner Kinderhand umfasst. Jeden Moment, das sah Severus voraus, würde Lily zu ihm stoßen. Sie würden eine halbe Stunde lang zusammen spielen, sich unterhalten und Scherze machen und wenn er aufwachte, würde er ihrer Gesellschaft nachtrauern, würde sein Leben verfluchen und das Leben danach ersehnen.
„Severus“, rief eine helle, weibliche Stimme, doch es war nicht Lilys. Ein junges Mädchen, eine Zweitklässlerin, rannte freudestrahlend auf ihn zu, derweil wippten ihre buschigen Haare auf und ab wie die Mähne eines galoppierenden Pferdes. Er kannte sie.
„Hermine?“ Severus war fassungslos, aber vor allem war er überrascht.
Sie war bei ihm angekommen, schmiss unachtsam ihre große Tasche auf den Boden und sagte mit einem breiten Lächeln: „Du bist ja schon so früh da.“
„Ich...“
Er wusste nicht, was er sagen sollte. Sie war – wie er – zwölf Jahre alt. 'Dreizehn', verbesserte er in Gedanken, denn ihr Geburtstag war im September, gleich im ersten Monat des neuen Schuljahres. Sie würde in ein paar Tagen Geburtstag haben, dachte er, denn die Schule hatte erst vor wenigen Tagen wieder begonnen.
Sie kramte einen Sack mit Murmeln aus ihrer Tasche.
„Warten wir noch einen Moment.“ Bevor er fragen konnte, warum sie warten sollten – im Hinterkopf wusste er, dass er nur eine halbe Stunde Zeit haben würde – fragte sie: „Wie waren deine Ferien?“
Erinnerungsfetzen an die Gespräche mit Lily schwirrten durch seinen Kopf. Ihr hatte er immer alles erzählen können.
„Gab es wieder Stress?“ Die kleine Hermine schenkte ihm ein ermutigendes Lächeln und einen mitfühlenden Blick.
„Es gab Streit, ja.“ Er verfluchte, dass seine Stimme so holprig geklungen hatten, doch die Hand auf seiner Schulter ließ ihn aufblicken und erzählen: „Wir sind umgezogen.“
„Was, schon wieder?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ach, Severus.“ Die Hand auf seiner Schulter drückte einmal zu. „Was ist denn nur passiert?“
„In der magischen Welt hat mein Vater keine Arbeit gefunden und er hat meiner Mutter die Schuld gegeben. Er wollte zurück, aber sie wollte nicht.“
„Weil sie hier Arbeit hat“, warf Hermine korrekt ein, so dass er nickte.
„Sie hat nachgegeben.“
Er erinnerte sich an den heftigen Streit, bei welchem sich die beiden angeschrien hatten. Severus wollte in diesem Moment nichts anderes als weg von Zuhause, doch es gab keinen Ort, an dem er sich hätte verkriechen können. Auf den Boden gekauert hatte er der Auseinandersetzung seiner Eltern gelauscht, hatte dabei nicht nur das Gefühl, sondern wusste, dass er das schon einmal erlebt hatte. Sie stritten oft. Severus hatte gehört, wie sein Vater die Schuld an seiner Arbeitslosigkeit der Mutter in die Schuhe schob.
„Wir sind zurück in die Muggelwelt gezogen und er...“ Severus hatte innegehalten, doch Hermine konnte er offenbar nichts vormachen.
„Er hat dort auch noch keinen Job bekommen.“ Sie erwähnte nicht, dass seine Mutter ihre Anstellung aufgegeben haben musste. Wütend stellte sie klar: „Wenn er nicht aufhört zu trinken, dann wird ihn auch in den nächsten Jahren niemand einstellen! Daran ist doch nicht deine Mutter schuld!“ Er blickte beschämt zu Boden, weswegen sie ruhig hinzufügte: „Und du auch nicht, Severus.“
„Und wenn er wegen mir angefangen hat?“ Die Selbstzweifel, die ihn damals schon belastet hatten, waren mit einem Male wieder da und er hasste dieses Gefühl, von sich selbst so wenig zu halten.
„Hermine, Severus!“ Die beiden Gerufenen blickten auf und sahen zwei Jungen, die sich ihnen näherten. Beide hatten ebenfalls einen Sack in der Hand, in der sich sehr wahrscheinlich Murmeln befanden. Severus traute seinen Augen kaum. Der eine mit den zerstrubbelten Haaren und der Brille war nicht James, sondern ein sehr junger Harry und an seiner Seite, in eine noch gut erhaltene Schuluniform gekleidet und ebenfalls im zarten Alter von zwölf Jahren, trottete ein milde lächelnder und etwas kränklich aussehender Remus nebenher.
„Hallo Severus“, grüßte Harry, der so sehr grinste, dass ihm durch die Muskelbewegung im Gesicht die runde Brille von der Nase rutschte. „Wo warst du eigentlich im Zug? Du hättest in unserem Abteil sitzen können.“ Nur ganz kurz wurde sich Severus darüber klar, dass er in einem realitätsnahem Tagtraumzauber verweilte, doch diesen Gedanken verdrängte er schnell.
„Lucius und seine Freunde wollten, dass ich bei ihnen sitze.“
Remus verzog das Gesicht, äußerte sich aber selbst bei diesen unangenehmen Personen nicht negativ, sondern sagte stattdessen kurz und knapp: „Schade.“
Harry hockte sich bereits neben Hermine auf den Boden und nahm einen Stock, um im Sand das Spielfeld zu zeichnen, während Hermine in ihrem Murmelsack wühlte. Severus überraschte sich selbst, als er plötzlich vorschlug: „Lasst uns was anderes machen!“
Spontanität war keine Eigenschaft, die man mit ihm in Verbindung brachte, weswegen Harry und Remus sichtlich erstaunt, aber auch erfreut waren. Hermine hingegen schien sich riesig zu freuen und stimmte mit vor Vorfreude glitzernden Augen zu.
„Hast du einen Vorschlag?“, fragte sie, während sie ihren Beutel wieder verstaute.
„Wir...“ Ihm fiel auf die Schnelle gar nichts ein. Von Impulsen hatte er sich nie lenken lassen. Der ältere Severus, der noch immer, wenn auch beschränkt, den Traum lenken konnte, versuchte sich an all das zu erinnern, was er früher mit Lily unternommen hatte, doch da war nicht viel gewesen. Immer waren Black und Potter gekommen, um ihn zu piesacken. Eine andere Strategie musste her, also überlegte er, was Hermine und Harry mit ihrem rothaarigen Freund damals immer unternommen hatten. Durch seine Kollegen war er über einige Abenteuer des Trios informiert gewesen, von anderen wusste er von vom Direktor persönlich.
„Wir könnten zu Hagrid gehen und schauen, ob er wieder ein neues Monster angeschleppt hat“, schlug Harry vor und Hermine begann daraufhin zu lachen.
„Nein“, nörgelte Remus. „Ich mag die Tiere nicht. Er hatte mal welche, die explodiert sind, wenn man sie falsch gefüttert hat.“
Hermine blickte fragend in die Runde. „Was dann? Wir könnten vielleicht in die Bibliothek gehen...“
„Nein, nein, nein.“ Harry schüttelte vehement den Kopf. „Das klingt jetzt schon langweilig.“
Schlagartig fiel Severus etwas ein. „Wir könnten zum See gehen und dort Verstecken spielen.“
„Ja!“, stimmte Hermine begeistert zu und auch Remus nickte zuversichtlich.
Von den anderen überstimmt ging Harry vor. „Okay, gehen wir.“ Nachdem er einige Schritte gegangen war, rief er den anderen zu: „Wer als Erster an der Eiche angekommen ist, hat gewonnen!“
Schon rannte er mit großem Vorsprung los und die anderen drei sprinteten hinterher.
Rennen konnte – und das hätte Severus nie gedacht – wirklich Spaß machen, denn er rannte diesmal nicht um sein Leben, flüchtete nicht vor grimmigen Auroren oder Voldemorts Schergen, sondern nur um der Freude Willen. Der kleine Wettkampf ließ sein Herz vor Aufregung schneller schlagen. Harry war ganz vorn, gefolgt von Hermine. Mit Remus lief Severus auf gleicher Höhe, doch er strengte sich an und ließ ihn nach ein paar großen Schritten hinter sich, um sich nun an ihre Fersen zu heften. Hermine schaute ab und an über ihre Schulter und bemerkte, dass er immer näher kam. Sie lachte fröhlich, gab aber nicht auf, obwohl Severus sie jeden Moment überholen müsste. Auch Harry war nicht mehr weit. Ihn könnte er ebenfalls einholen, dann würde er gewinnen, dachte Severus, weswegen er seine ganze Kraft mobilisierte, um nun auch Hermine davonzurennen. Jeden Moment hätte er Harry überholt, da blickte er hinter sich und sah Hermine fallen. Nur kurz war der Drang da gewesen, an Harry vorbeizulaufen und zu gewinnen, denn das Ziel war nahe – die große Eiche am See lag nur noch wenige Meter vor ihnen.
Abrupt hielt Severus an und blickte Harry ein paar Sekunden neidisch nach, bevor er zurück zu Hermine lief, um ihr aufzuhelfen. Der Sieg in ihrem kindlichen Spiel war ihm nicht mehr wichtig gewesen.
„Danke Severus.“ Sie strich sich mit den Handflächen den Schmutz vom Rock und schaute dabei nach vorn zu Harry, der gerade beide Hände an den Baumstamm schlug und „Erster!“ rief. „Schade, jetzt hast du nicht gewonnen.“ Sie zog einen Schmollmund, der ihn einen Moment in seinen Bann schlug.
Severus fühlte sich trotzdem als Gewinner. „Ich spare mir meine Kraft fürs Versteckspiel.“
Man hörte jemanden keuchen, weswegen sich Hermine und Severus umdrehten. Remus sah gar nicht gut aus. Er hatte eine Hand auf die Rippen gelegt und atmete heftig. Für den schmächtigen Jungen war es sehr anstrengend gewesen, mit seinen Freunden mitzuhalten.
„Seitenstechen?“, fragte Hermine und legte Remus, der in diesem Alter ein wenig kleiner war als sie, einen Arm um die Schulter.
„Geht schon.“ Langsam normalisierte sich Remus' Atmung.
Mit einem Ast in der Hand, den er übers Gras streifen ließ, kam Harry auf die drei zugeschlendert. Den Ast warf er auf den Boden, als er Remus ermutigend auf die Schulter schlug. Dann sah er alle drei einmal an.
„Es macht keinen Spaß zu gewinnen, wenn man der Einzige ist, der mitmacht“, beklagte sich Harry bei seinen Freunden.
„Hast Recht, Harry.“ Hermine grinste breit und tippte ihn mit ihren Fingerspitzen an. „Bist!“
Gleich danach rannte sie weg. Nicht sofort hatte Harry die Situation begriffen, doch als er wusste, dass sie gerade damit begonnen hatten, Fangen zu spielen, da stieß er Severus an, sagte ebenfalls „Bist!“ und suchte das Weite. Nun standen noch Remus und Severus verdutzt nebeneinander und beobachteten, wie Harry und Hermine einen kleinen Sicherheitsabstand zwischen sich und dem Fänger gebracht hatten. Scheu schaute Remus zu dem dunkel gekleideten Jungen, doch bevor der ihn berühren konnte, lächelte er verschmitzt, bevor er wie von der Tarantel gestochen davonrannte – Severus hinterher.
Beinahe hatte Severus vergessen, dass das Spiel mit seinen Freunden nicht echt war, so wirklich fühlte sich der Tagtraum an. Er konnte das Gras riechen und die vom nächtlichen Regen noch feuchte Erde. Severus spürte den Wind auf seiner Haut und auch Hermine, als er sie zaghaft am Oberarm berührte und sie zur Fängerin machte.
Der Severus, der momentan mit einem entrückten Blick in seinem Wohnzimmer auf dem Sofa saß, wünschte sich einen Moment herbei, den er damals sehr oft als Tagtraum durchgespielt hatte und von dem er bis heute bedauerte, dass er niemals wahr geworden war.
Kaum hatte er daran gedacht, fand er sich auch schon in seinem Zimmer in Spinners End wieder. Vom Gefühl her wusste Severus, dass er nun siebzehn Jahre alt sein musste. Es waren Ferien. Er begutachtete kritisch sein eigenes Spiegelbild. Selbst für ihn war es ungewohnt, sich mit einem weißen Hemd zu sehen, vor allem ohne die vertrauten, fettigen Haare, doch heute hatte er keinen Schutzbalsam verwendet. Heute würde er nicht mit seiner Mutter zusammen im Keller einen Trank brauen. Heute würde er...
Jemand klopfte an die Vordertür, weswegen Severus' Herz in die Hose rutschte, doch in gleichem Maße konnte er diesen Augenblick gar nicht abwarten. Flugs öffnete er die Tür seines Zimmers, um nach unten zu laufen. Seine Mutter war bereits an der Vordertür angekommen, hatte sie jedoch noch nicht geöffnet. Sie lächelte ihren Sohn an.
„Dein erster Gast“, sagte sie leise. Die Wärme in ihren Augen zeigte ihm, dass sie sich für ihn freute, denn es kam nicht oft vor – war noch nie vorgekommen – dass er Besuch empfing. Seine Mutter lächelte und trat zur Seite; offenbarte ihm die dicke, hölzerne Tür, die auf seltsame Weise einschüchternd wirkte.
Sich einen Ruck gebend öffnete Severus, doch entgegen seiner damaligen Wunschvorstellung war es nicht Lily gewesen, die ihn grüßte.
„Hallo Hermine, komm doch rein.“ Die Worte waren fast unhörbar leise über seine Lippen gekommen, doch sie schenkte ihm ein Lächeln und folgte seiner Aufforderung.
„Harry und Remus kommen ein wenig später“, sagte sie ungewohnt schüchtern, denn sie hatte seine Mutter erblickt.
Nachdem Severus die Tür geschlossen hatte, machte sich für einen kurzen Augenblick eine peinliche Stille breit, die er durchbrechen wollte, weswegen er vorstellte: „Hermine, das ist meine Mutter.“
Hermine trat einen Schritt an sie heran, begrüßte sie per Handschlag und mit den Worten: „Freut mich sehr, Mrs. Snape, Sie einmal persönlich kennen zu lernen. Es kommt mir so vor, als wären wir schon schon seit Jahren miteinander vertraut.“
Eileen schüttelte Hermines Hand. „Das geht mir ganz genauso. Severus hat viel von Ihnen und den beiden anderen erzählt.“
Normalerweise war Hermine eine offenherzige Person, doch heute war sie anders. Ihre an den Tag gelegte Unsicherheit ließ die seine schwinden, wofür er dankbar war. Während seine Mutter das Essen weiter zubereitete, zeigte er Hermine das Haus, das in seiner Vorstellung sehr viel hübscher anzusehen war als die schäbige Behausung es in Wirklichkeit gewesen war.
In seinem Zimmer angelangt setzte sie sich auf sein Bett und ließ ihren Blick schweifen.
„Warum kommen Harry und Remus später?“, fragte Severus.
„Harry hat kurzfristig einen Termin für ein Vorstellungsgespräch im Ministerium bekommen. Er will doch nach der Schule Auror werden.“ Sie blickte zu einem voll gestopften Bücherregal hinüber, das aus allen Nähten zu platzen schien, was nicht Severus' lebhafter Fantasie zuzuschreiben war. „Und Remus kommt heute schwer in die Gänge. Gestern war doch Vollmond...“ Severus war seit Jahren eingeweiht. „Er hat lange geschlafen und kommt nachher zusammen mit Harry.“
Severus setzte sich in manierlichem Abstand neben Hermine aufs Bett. „Was willst du später werden?“ Das Jahr würden sie noch zusammen in Hogwarts verbringen, bevor jeder seiner Wege gehen würde.
„Ich würde gern meinen Meister in Zaubertränken machen“, antwortete sie strahlend. „Und du?“
„Dito!“
Sie nickte. „Ja, das dachte ich mir.“ Sie legte ihren Kopf schräg. „Ob es wohl einen Meister gibt, der gleichzeitig zwei Schüler aufnehmen würde?“ Hoffnungsvoll fügte sie hinzu: „Dann würden wir noch drei Jahre zusammen sein.“
Ihr Vorschlag und das, was er heraushören konnte, ließ ihn selig lächeln. „Wir können uns doch auch so sehen.“
„Ja, können wir“, stimmte sie wie aus der Pistole geschossen zu, weswegen er sich in einer ganz bestimmten Sache bestärkt fühlte, die er damals in der Schule nie zu fragen gewagt hatte.
„Hermine?“ Als sie ihn anblickte, schluckte er einmal kräftig und er war froh, dass seine Stimme ihn nicht im Stich gelassen hatte: „Möchtest du mit mir zum Abschlussball gehen?“
Severus bemerkte, wie die Umgebung seines Wohnzimmers in den Kerkern Hogwarts' langsam wieder deutlicher für ihn wurde. Der Tagtraumzauber ließ nach, doch ihre Antwort konnte er noch hören.
„Ja, das möchte ich sehr gern.“
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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168 Dosis sola venenum facit
Nach dem erlebten Tagtraumzauber befand sich Severus nun nicht mehr in seinem Jugendzimmer. Er saß auch nicht mehr auf seinem Bett neben Hermine, sondern stattdessen neben seinem Hund, der sich in der halben Stunde so breit gemacht hatte, dass eine Hinterpfote auf Severus' Oberschenkeln lag. Harry schnarchte. Severus hingegen seufzte. Jetzt konnte er nicht mehr leugnen, dass Hermine vollends die Rolle von Lily eingenommen hatte. Das hatte er Harry gegenüber sogar schon einmal zugegeben, doch Lily war für ihn weit mehr gewesen als nur eine Freundin. Er bezweifelte, dass seine hoffentlich kurzzeitige Verwirrung Perspektiven hätte.
'Verdammt', dachte er, doch trotzdem ließ er sich von seinem eigenen Tagtraum erweichen.
Eines Tages seiner Mutter die Freundin vorzustellen war ein großer Wunsch von ihm gewesen. Sein Vater war zum Glück nicht in der halben Stunde vorgekommen. Früher hatte er sich viele Gedanken darüber gemacht, mit welchen Erklärungen er den Zustand seines Vaters verharmlosen könnte, wenn der wieder einmal im Delirium auf der Couch eingeschlafen war. Solche möglichen Peinlichkeiten hatten ihn immer davon abgehalten, jemanden zu sich einzuladen, auch wenn er hätte sicher sein können, dass die Herzlichkeit seine Mutter einiges beim Gast wieder wett gemacht hätte. Seine Mutter hatte er über alles geliebt, doch seinen Vater machte er für unzählige Miseren und familiäre Probleme verantwortlich. Als er seine Eltern in Gedanken gegenüberstellte, erschrak er, denn ihm wurde bewusst, dass er, obwohl er seine Mutter vergötterte, im Wesen so viel mehr dem grantigen Vater glich.
Gegen Remus' Freundlichkeit konnte er sich in der Realität schon nicht wehren, im Tagtraum hatte er es gar nicht erst versucht. Remus war immer ein unscheinbarer und ruhiger Junge gewesen, der einmal im Monat besonders kränklich ausgesehen hatte, das wusste Severus noch aus Kindertagen. Er hatte seiner Meinung nach nur mit den falschen Leuten Umgang. Genau wie er selbst, dachte Severus wehmütig. Albus hatte ihm einmal vorgeworfen, den einzig wahren Freund gegen eine Handvoll Heuchler eingetauscht zu haben.
Harry war nach Albus der Erste gewesen, der in der neuen und daher ungewohnten Zeit des Friedens den Kontakt zu ihm gesucht hatte und mit seinem Vorhaben nicht locker ließ. Severus hatte gar keine Chance gehabt, gegen Harrys dezent hartnäckige Kontaktfreudigkeit Widerstand zu leisten und als er Harry auch noch einen Kollegen nennen musste, blieb Severus nichts anderes übrig, als die Segel zu streichen. Er konnte sich noch gut an Harrys Forderung erinnern, die er als Bezahlung genannt hatte, weil er mit dem Hund spazieren ging. Sein ehemaliger Plagegeist hatte lediglich verlangt, dass er versuchen sollte, nett zu sein.
Damals hatte Severus fast zehn Jahre Zeit gehabt, sich psychisch auf Harrys Einschulung in Hogwarts vorzubereiten und dennoch traf es ihn wie der Schlag, als er zum ersten Mal mit eigenen Augen sehen musste, dass Harry so sehr seinem Vater glich, doch die Augen waren ganz die von Lily. Es quälte ihn ganze sechs Jahre, tagein, tagaus in diesem Jungen die ewige Vereinigung von James und Lily vor Augen zu haben, immerfort das fühlen zu müssen, was er einst ein für alle Mal aus seinem Gemüt hatte verbannen wollen. Selbst die zerrissene Psyche konnte reichlich Seelenschmerz erleiden und deswegen hasste Severus Harry, denn der war mit den Erinnerungen, die er in ihm weckte, die Ursache dieser Qual. Mit dem täglichen Andenken an seine vergangene Blume gab es keine Aussicht zu vergessen, dabei hätte er so viel gegeben, um nur einen winzigen Schluck aus dem Lethe trinken zu dürfen.
Im Tagtraum war jedoch nicht einmal Lilys Name gefallen und Harrys Anblick hatte ihm keinen Stich im Herzen versetzt. Der Junge war sein Freund gewesen; alle drei hatten sich um Freundschaft bemüht. Seit Lily hatte er das nur in Albus gefunden.
Severus beugte sich nach vorn, um die leere Schachtel des Tagtraums in die Hand zu nehmen. Der Hund ließ sich von der Bewegung nicht stören, auch nicht davon, dass Severus dessen Hinterpfote umfasste und geistesabwesend eine Zehe mit seinem Daumen streichelte. Sich die Packung vor Augen haltend las Severus unter dem Logo „Überraschungstraum“ den erst jetzt sichtbaren Satz „Diese Überraschung beinhaltete den 'Kindheitstraum'. Weil uns die Qualität unserer Produkte am Herzen liegt bitten wir Sie, die Fragen im Deckel dieser Box zu beantworten.“ Severus klappte mit dem Zeigefinger den Deckel hoch, um die Schrift lesen zu können. „Bitte kreuzen Sie an, ob Sie mit folgenden Aspekten 'voll und ganz zufrieden', 'nur zufrieden' oder von ihnen 'enttäuscht' waren.“ Gleich darunter befanden sich die Fragen „Bedienung der Box“, „Design“, „Preis-Leistungs-Verhältnis“, „Realitätsnähe“ und noch einige andere, die Severus weder zu lesen noch zu beantworten bereit war.
Einen Stock tiefer kam Harry gerade schlaftrunken von der Toilette und steuerte das Bett an, um noch drei Stunden Schlaf zu finden, als er es aus der Wiege quengeln hörte.
„Dabei war ich extra so leise“, sagte er zu sich selbst, als er in die Wiege schaute. Nicholas war hellwach, fokussierte ihn mit den großen blauen Augen und lächelte, was Harry unbewusst erwiderte. Vorsichtig nahm er den Jungen auf den Arm. Der kleine Kopf mit dem schwarzen Flaum kitzelte ihn an der Wange. Harry würde beschwören, dass es nichts Weicheres gab als die Haut eines Babys. Mit der Decke aus der Wiege umwickelte Harry den Kleinen, bevor er ins dunkle Wohnzimmer ging. Das Rascheln von Federn war zu hören. Nur Hedwig konnte man sehen, weil das Mondlicht auf ihr weißes Gefieder fiel. Fawkes hingegen war ein sich bewegender Schatten im Zimmer. Das Babys im Arm wiegend ging er hinüber zum Fenster, um ein wenig hinauszusehen. Die vereinzelten Wolken zogen schnell über den Himmel, als hätten sie es eilig. Die Äste der blätterlosen Bäume wiegten sich im Wind. Er musste unweigerlich daran denken, wie oft er nachts im Schlafsaal der Gryffindors am Fenster gesessen hatten, nur weil ein schrecklicher Traum ihn aus dem Schlaf gerissen oder weil Voldemort ihm widerliche Visionen per Legilimentik gezeigt hatte. Heutzutage wachte Harry entweder auf, wenn seine Blase sich des vielen Kürbissafts entledigen wollte oder weil Nicholas dies bereits hinter sich hatte und daraufhin lauthals eine neue Windeln einforderte.
In Malfoy Manor war Draco gerade dabei, Charles trockenzulegen. Fast jeden Tag, wenn seine schulischen Pflichten es zuließen, kam er nach dem Unterricht nachhause, nur dann nicht, wenn er Nachhilfe gab oder er anderweitig eingebunden war. Susan hatte sich nie beschwert, mehrmals in der Nacht aufzustehen, um das Baby zu versorgen. Diesmal war Draco durch Zufall wachgeworden und als er nach dem Rechten sah, da begann das Baby in seinem Bettchen zu wimmern. Die Windel war schnell und dank des von seiner Mutter erlernten Zauberspruchs gewechselt, so dass Draco ihn eine Weile auf seinem Arm hielt und ihn sanft schaukelte. Im Nu war der Junge wieder eingeschlafen, doch Draco legte ihn nicht zurück ins Kinderbett. Von dem Gefühl des leichten Gewichts auf seinen Armen und der Wärme, die von dem Baby ausstrahlte, konnte er sich schwer trennen. Ein Blick zum Bett verriet ihm, dass Susan fest schlief. Sie atmete genauso leise wie Charles, dessen Wange an Dracos Schlüsselbein ruhte.
Von der Prophezeiung hatte er natürlich Susan erzählt. Gestern Abend erst erklärte sie ihm – sie hatte sich zuvor schlaumachen müssen –, dass er und Ginny ab dem Tag der Prophezeiung insgesamt vier Wochen Zeit hätten, sie beim Ministerium zu melden. Man würde die Zeugen einladen und auch den Seher. Die Erinnerung an die Prophezeiung würde man den Zeugen entnehmen, um sie sich im ministeriumseigenen Denkarium zu betrachten und erst dann würde man sich entscheiden, welche von ihnen am deutlichsten war, welche also gelagert werden würde.
„Die Typen von der Mysteriumsabteilung“, hatte Susan ihm vor einigen Stunden gesagt, „sind ein wenig seltsam, aber lass dich davon nicht abschrecken.“
„Seltsam?“
„Ja, seltsam.“
Die Bezeichnung sagte nicht gerade viel aus, weswegen Draco wissen wollte: „Seltsam wie Luna?“
Daraufhin hatte er einen skeptischen Blick geerntet, bevor Susan ihn mit einem leichten Vorwurf korrigierte: „Luna ist doch nicht seltsam.“
Während er Charles wiegte, erinnerte er sich an den Rest des Gesprächs vom letzten Abend.
„Die Mitarbeiter, die die Prophezeiungen katalogisieren, deuten und verwalten, haben alle ein 'Ohnegleichen' in Wahrsagen gehabt“, hatte Susan erklärt.
„Dann sind sie alle wie Trelawney?“
Susans Lippen waren von einem breiten Grinsen eingenommen. „Ich würde sagen, sie sind viel seltsamer!“
„Geht denn das überhaupt?“
Draco schaute zu seinem Nachttisch hinüber. Dort lagen die Formulare, die er morgen mit in die Schule nehmen musste, damit auch Ginny eines ausfüllen konnte. Es würde eine Einladung zum Ministerium folgen, für die sie vom Unterricht befreit werden würden.
Das schlafende Baby legte Draco zurück in das Bettchen neben der elterlichen Schlafstatt, bevor er zurück unter die Bettdecke zu Susan kroch, sie von hinten umarmte und wieder einschlief.
Hermine hingegen war zu dieser Nachtstunde noch sehr munter. „Ich könnte Sie umarmen, Corvinus.“ Der Heiler im Gemälde hatte ihr vorhin die Anrede mit dem Vornamen angeboten. „Wenn Ihre Überlegungen richtig sind und das könnten Sie durchaus sein, dann wäre das Problem gelöst!“
Sie kramte einige Unterlagen zusammen, um sich auf den Weg zu Severus zu machen, der jetzt bestimmt noch nicht schlief, doch da klopfte es unerwartet. Bevor sie „Herein!“ rufen konnte, wurde die Tür bereits stürmisch geöffnet. Der erste Blick auf ihren Tränkemeister verriet ihr, dass er sehr ungehalten zu sein schien. Warum das so war, rieb er ihr sofort unter die Nase. Er holte tief Luft und sprach angestrengt leise, so dass sein Flüsterton Ähnlichkeit mit dem Zischen einer gereizten Schlange hatte.
„Da will ich mir nur einen Traumlosen Schlaf aus meinem persönlichen Vorräten holen und was muss ich sehen?“ Sie stutze und zuckte mit den Schultern, so dass er sie erleuchtete. „Es fehlen Basiliskenschuppen!“ Der Vorwurf benötigte einen Augenblick, bis Hermine ihn verarbeitet hatte und sich der Anschuldigung stellen konnte.
„Die wieder einmal ich genommen haben soll oder was?“, sprudelte es wütend aus ihr heraus. „Nein Severus, langsam reicht es. Immer wenn etwas fehlt, soll ich der Dieb sein.“
„Mmmh“, summte er, was in seiner jetzigen Verfassung sehr bedrohlich wirkte. „Das könnte eventuell daran liegen“, seine Stimme wurde lauter, „dass Sie sich schon mehrmals aus meinen Vorräten bedient haben, als wäre es ein Zutatengeschäft.“ Corvinus zuckte in seinem Gemälde zusammen.
„Ein Geschäft wäre bestimmt besser sortiert“, schoss sie zurück und sie bereute es, so schnippisch gewesen zu sein, denn damit brachte sie ihn nur noch mehr auf die Palme.
„Wer sonst sollte sich Basiliskenschuppen nehmen wollen? Ich bin mir sicher, dass es in diesem Schloss nur eine Handvoll Menschen gibt, die überhaupt wissen, um was es sich dabei handelt!“
„Harry war's“, warf sie salopp ein.
„Ja sicher...“ Er glaubte ihr nicht. „Was sollte er damit wollen? Seine Noten sprechen dagegen, sich mit solch ungewöhnlichen Komponenten freiwillig auseinandersetzen zu wollen. Aber vielleicht haben Sie ja Recht und er will er sich für das nächste Quidditch-Spiel ein paar Knieschützer daraus basteln?“
„Severus!“ Sie seufzte und versuchte, sich zu beruhigen. „Harry hat die Schuppen genommen, um mit den Wassermenschen einen Handel abzuschließen. Sie bekommen sie zurück! Er muss nur in die Kammer gehen. Alles, was da unten vergammelt, gehört Ihnen und es nimmt Ihnen auch keiner weg.“ Es war nicht ihre Absicht gewesen, ihn auf den Arm zu nehmen. Dass es ein Fehler gewesen war, machte er ihr auf der Stelle klar.
Nicht wie sonst drohte er leise, sondern aus voller Kehle: „Was fällt Ihnen ein, sich über mich lustig zu machen?“
Durch den Schlafmangel war Severus äußerst affektgeladen. Sie versuchte ihn milde zu stimmen, obwohl sie ahnte, dass es dafür längst zu spät war.
„Tun Sie mir einen Gefallen, Severus: Nehmen Sie Ihren Trank und gehen Sie schlafen. Wir reden morgen...“
„Das könnte Ihnen so passen!“, fiel er ihr Gift und Galle spuckend ins Wort. „Ich werde nicht zulassen, dass Sie mit Dingen experimentieren, die selbst für mich Neuland sind. Ich will auf der Stelle die Schuppen zurück!“
„Dann wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als kopfüber in den See zu springen, weil die Wassermenschen sie haben!“ Auch sie hielt mit ihrer Lautstärke nun nicht mehr zurück, Corvinus hingegen gab keinen Mucks von sich.
Severus' Blick fiel jetzt erst auf das Gemälde auf dem Sessel, dann auf die Unterlagen auf dem Tisch. Ihn beschlich das ungute Gefühl, sie könnte mit dem porträtierten Heiler über ihn und sein Problem geredet haben.
„Was tun Sie da überhaupt?“
Jetzt war Hermine wirklich wütend. „Das Fragen Sie? Ich schlag mir hier die Nacht um die Ohren, weil Sie mich darum gebeten haben, Ihre Berechnungen durchzusehen oder haben Sie das etwa schon vergessen? Das wäre nämlich schade, denn wir...“
Ein Zimmer weiter wälzte sich Remus im Bett hin und her. Von den erst dumpfen, dann immer lauter werdenden Stimmen war er aufgewacht. Verstehen konnte er kein Wort, aber er hörte, dass eine angemessene Zimmerlautstärke mit Füßen getreten wurde. Eine Weile hatte er gehofft, es würde sich von allein geben, aber mittlerweile war diese Hoffnung dahin. Hermine und wer auch immer hatten sich „warm geredet“, leisteten sich einen verbalen Schlagabtausch und das um...
Remus drehte sich und nahm die Uhr vom Nachttisch. Fünf Uhr morgens. Zum Aufstehen war ihm das zu früh, aber am Schlafen hinderte ihn die Streitigkeit im Nebenzimmer. Dösig überlegte Remus, ob er nebenan für Ruhe sorgen oder lieber versuchen sollte, die lauten Stimmen zu ignorieren.
Die Luft in Hermines Wohnzimmer war stetig dicker geworden. Sie hatte so schon den Kopf voll, aber sich jetzt auch noch mit einem aufgebrachten Severus befassen zu müssen, das war ihr zu viel.
„Warum sind Sie eigentlich hier, Severus? Nur um mir zu sagen, dass man Sie bestohlen hat? Ich habe es doch erklärt!“
„Und ich glaube Ihnen nicht!“ Severus hatte sich selbst belogen. Er glaubte ihr, aber er befürchtete, sie würde sich momentan mit dem „Ewigen See“ befassen.
„Lassen Sie mich bitte weiterarbeiten“, bat sie kraftlos.
Sein Blick fiel auf das Gemälde.
„Was sucht der hier?“
Hermine schaute zum Sessel hinüber. „Darf ich vorstellen: Das ist Mr. Corvinus Callidita und wir sind zusammen die Berechnungen für das Gegengift durchgegangen.“
„Sind Sie das?“ Severus kniff arrogant die Augen zusammen, bevor er Corvinus anblickte. „Und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?“ Gerade mal ein Wort hatte Hermine herausbringen können, da unterbrach Severus sie. „Habe ich das Wort an Sie gerichtet?“ Erneut den Herrn im Gemälde fixierend trat Severus einige Schritte an ihn heran. „Und? Was haben Sie erfahren?“
Corvinus schluckte aufgeregt. Seine Augen flackerten zwischen Hermine und dem Tränkemeister hin und her, bevor er sich zusammenriss und sagte: „Www-wir haben...“ Severus Augenbrauen schossen in die Höhe und seinem Gesichtsausdruck war die Frage zu entnehmen, ob das ein Scherz sein sollte. Trotzdem ihn der Tränkemeister einschüchterte, erklärte Corvinus weiter. „Wir haben Ihre...“ Eine Sprechblockade setzte ein. Corvinus' Lippen zuckten, seine Hände untermalten das nicht noch nicht gesagte Wort und Severus hatte im Gegenteil zu Hermine keine Geduld für so etwas.
Mit lapidarer Handbewegung winkte er Corvinus ab und richtete das Wort an Hermine: „Was soll der Unfug? Warum befassen Sie sich mit einem fehlerhaften Gemälde. Das würde ja Stunden dauern.“
Dass er mit seinen Worten einen Fehler begangen hatte, wurde ihm zuerst bewusst, als Hermine schockiert ihre Augen aufriss. Kurz darauf konnte er ihre Enttäuschung erkennen, gefolgt von einem Gesichtsausdruck, der ihm vor Augen hielt, mit seinem Verhalten bei ihr soeben Abscheu hervorgerufen zu haben.
„Sein Sie nicht so, Severus.“ Ihre Augen funkelten böse und zu seinem Erstaunen bleckte sie die Zähne. „Man bekommt sonst Eindruck, dass Sie erst vor Kurzem beim Fleischer waren.“ Sie äffte seine Stimme nach: „Ein Pfund Freundlichkeit bitte, wenn möglich drehen Sie es kurz durch den Fleischwolf.“ Seine Augenlider verengten sich zu schmalen Schlitzen, die jedem Erstklässler eine nasse Hose beschert hätte, doch sie ließ sich von seinem Gebaren nicht abschrecken. „Mr. Callidita ist mein Gast und ich werde nicht zulassen, dass Sie ihn auf diese Weise behandeln. Raus, gehen Sie!“ Sie deutete demonstrativ auf die Tür, doch Severus bewegte sich nicht, so dass ihre nächsten Worte schon wesentlich energischer klangen: „Das ist mein Zimmer, ich sagte raus!“ Um ihrer Aufforderung Nachdruck zu verleihen, warf sie mit einem der Kissen, die auf ihrer Couch lagen. Er fing es noch in der Luft und grinste fies.
„Wie goldig, jetzt werfen Sie mit Kissen.“ Blitzschnell zog sie ihren Zauberstab, weswegen er das Kissen fallen ließ und beide Hände in beschwichtigender Geste hob. „Ich gehe, keine Sorge. Sie können weiterhin mit Ihrem Gemälde liebäugeln und mit so vielen Plüschkissen um sich werfen, wie Sie es möchten.“
An der Tür angelangt erschrak Severus unmerklich, denn kaum hatte er seine Hand auf den Türknauf gelegt, klopfte es. Da er sowieso gehen wollte, öffnete er einfach und blickte in das müde und ungewohnt grimmige Gesicht seines Kollegen für die Pflege magischer Geschöpfe, der sogleich das Wort an beide richtete.
Remus legte eine Hand auf sein Herz und sagte gezwungen freundlich: „Ich bin der festen Überzeugung, dass – egal was ihr hier treibt – es auch leiser geht!“ Severus wollte gerade das Wort ergreifen, da verbat Remus ihm mit einem Fingerzeig den Mund. „Um fünf Uhr in der Früh darf ich sicherlich Rücksicht von meinen Kollegen erwarten.“ Als Hermine bewusst wurde, dass sie mit ihrer Streitigkeit Remus geweckt hatten, hielt sie sich vor Scham eine Hand vor den Mund. Remus schloss die Augen und atmete einmal tief durch. „Wenn sich das nächste Mal so eine hitzige Diskussion entfachen sollte, dann wäre ich wirklich außerordentlich dankbar“, Remus blickte einmal zu Hermine hinüber, weil er damit auch sie meinte, „wenn einer von euch prophylaktisch an einen Stillezauber denken könnte.“ Remus rang sich ein sein Lächeln ab, aber das wirkte so gekünstelt, dass sogar Severus klar wurde, eben über die Stränge geschlagen zu haben. „Danke“, war das letzte Wort des neuen Lehrers, bevor der sich auf den Rückweg in sein Zimmer machte.
Severus warf Hermine einen Schulterblick zu, bevor auch er hinaustrat. Auf dem Gang erblickte er nochmals Remus, der gerade an seiner Tür stand.
„Verzeihen Sie die Unannehmlichkeiten“, sagte Severus so verbissen, als hätte jemand diese Worte mit einer Saftpresse aus ihm herausgequetscht. Remus nickte ihm einmal wohlwollend zu, bevor er in seinem Zimmer verschwand.
Stumm saß Hermine in ihrem Zimmer und verfluchte die vorangegangene Situation. Ihr Herz schlug wie wild. Es war ihr unbegreiflich, warum Severus sie so angefahren hatte. Der Schlafmangel allein konnte nicht die Ursache sein, auch nicht die Tatsache, dass er erst jetzt die fehlenden Schuppen bemerkt hatte. Morgen würde sie dafür Harry eine Abreibung verpassen, denn der hatte versichert, neue Schuppen aus der Kammer zu besorgen.
„Ich werd' zu ihm gehen“, sagte Hermine mit niedergeschlagener Stimme. Corvinus konnte ihre Motivation nicht verstehen, blickte sie daher irritiert an. „Sein Sie ihm bitte nicht böse. Sie können mir glauben, dass er anderen Menschen schon viel übler zugesetzt hat.“
„Ihnen auch?“, wollte er wissen.
„Ganz besonders mir, würde ich sagen. Ich weiß nicht, warum ihm eine Laus über die Leber gelaufen ist. Er ist nicht immer so.“
„Wenn Sie meinen, Hermine. Ich kann ihn nicht leiden.“ Corvinus nahm einen Schluck von seinem Tee, doch als Hermine aufstand, da bat er: „Würden Sie mich in Sicherheit bringen?“
Sie stutzte. „Wovor?“ Er deutete in eine Richtung und Hermine erkannte das Problem: Fellini. Er wetzte seine Krallen gerade an einem Sisal-Kratzbrett. „Ja, natürlich. Ich werde Sie an die Wand hängen.“
Gesagt, getan. Corvinus fand sich über ihrem Kamin wieder und es schien, als hätte sein Gemälde schon immer dort gehangen.
In den Kerkern hatte Severus noch keinen Traumlosen Schlaf zu sich genommen. Er war wütend, aber die Ursache für seinen Zorn war ihm nicht ganz klar. Natürlich würde Hermine ihn nicht bestehlen. Nicht nachdem sie ihm all ihre Missetaten offen gelegt hatte. Sogar seinen Umhang hatte sie damals in Brand gesetzt, weil sie ihn für Harrys verrückt spielenden Besen beim Quidditch verantwortlich gemacht hatte. Severus schmunzelte. Solch ein Unterfangen hätte auch Lilys temperamentvollem Wesen entspringen können, besonders wenn er sich an das Ereignis mit den Knallfröschen in „Geschichte der Zauberei“ erinnerte. Das war das erste und einzige Mal gewesen, dass Professor Binns aus der Haut gefahren war – oder besser aus seinem Astralleib. Lily hatte zehn Punkte verloren, aber immerhin die Wette gewonnen, Professor Binns aus dem Konzept zu bringen.
Seufzend knetete er die Ohren von Harry, der nur mit einem Auge wach war und seinen Kopf auf Severus' Schenkel gelegt hatte. Sein Blick verweilte auf der leeren Kiste des Tagtraums und er wägte ab, ob er sich später einmal über das umfassende Angebot – die anderen Traumthemen – der Weasley-Zwillinge informieren sollte, da klopfte es.
Die Tür öffnete sich ohne eine verbale Aufforderung seinerseits, und Hermine trat herein. Ein gutes Zeichen war, dass sie die Tür leise hinter sich schloss. Ein weiteres gutes Zeichen war seiner Meinung nach ihr Gesichtsausdruck. Wut war nicht zu erkennen. Sie wirkte eher bekümmert, teilweise auch sehr abgeschlagen. Das letzte positive Anzeichen war, dass sie ihm in die Augen schaute, ihn nicht ignorierte. Sie setzte sich neben ihn, auch wenn dort wenig Platz war, doch die andere Hälfte des Sofas hatte der Hund für sich beansprucht.
Mit ruhiger Stimme machte sie ihm klar: „Ich will nicht streiten, das habe ich schon einmal gesagt.“ Sie seufzte und er bekam deswegen ein ganz schlechtes Gewissen. „Wenn Sie mich grundlos so zur Schnecke machen, dann lasse ich mir das nicht gefallen.“ Aufmerksam hörte er ihrer Ausführung zu. „Besonders schlimm fand ich, wie Sie mit Callidita umgesprungen sind. Das war mir unangenehm.“
„Das ist nur ein Gemälde“, rechtfertigte sich Severus. „Ich bin mir nicht einmal sicher, ob magische Gemälde Empfindungen haben können.“
„Das frage ich mich manchmal auch bei Ihnen.“ Ihre Worte waren nicht als Beleidigung gemeint, was ihre verzweifelte Stimme untermauerte. Sie blickte ihn eindringlich an. „Wenn es die Möglichkeit gäbe, Severus, dann würde ich die Freundlichkeit und die Herzensgüte aus Calliditas Gemälde hinauszaubern und ihn Sie hineinprügeln. Irgendwo zwischen Sarkasmus und Groll ist bestimmt noch etwas Platz für ein wenig Sanftmut“, sagte sie todernst und traurig, weswegen ihm zum ersten Mal bewusst wurde, was sie an seinem Wesen so sehr vermisste und es tat weh.
Müde und ausgelaugt lehnte sie sich zurück und dabei fiel ihr Blick auf die leere Schachtel von dem Tagtraum. Mit schnellem Griff hatte sie die Kiste auch schon in den Händen und las murmelnd: „Diese Überraschung beinhaltete den 'Kindheitstraum'.“ Sie stutzte, schaute erneut neben sich und sagte ein wenig aufgeregt: „Herrje, sind Sie deswegen so missgestimmt? Ich schwöre, dass George mir versichert hat, keiner der Tagträume würde negative Stimmung aufkommen lassen.“
„Nein, es war...“
Weil er sich selbst weitere Worte verbat, hakte sie nach. „Was haben Sie geträumt?“
„Was haben Sie in Nerhegeb gesehen?“ Die Gegenfrage stellte er so schnell, dass Hermine die Ahnung beschlich, sie hätte ihm schon länger auf der Zunge gebrannt.
„Das ist ein schlechter Tausch, Severus.“ Sie lächelte. „Ich hab kaum was gesehen, habe schnell weggeschaut. Sagen Sie schon, was haben Sie geträumt?“
„Das ist sehr persönlich.“
„Es ist nur ein Tagtraum, nichts Besonderes.“
„Hermine“, stöhnte er. „Es ist sehr persönlich.“
„In Ordnung, ich frag nicht länger.“
Die Box stellte sie wieder auf dem Tisch ab und wechselte das Thema.
„Mr. Callidita und ich haben eine Theorie.“ Mit hochgezogenen Augenbrauen zeigte er sein Interesse, so dass sie erzählte: „Die Berechnung von Ihnen war korrekt, aber wenn es nicht hilft, dann muss etwas in Pansys Körper sein, das noch immer 'Schlafes Bruder' in kleinen Dosen abgibt.“
Severus' Stirn schlug Falten. „Wie soll ich das verstehen?“
„Na ja, wir müssten es prüfen. Pansy wurde nur ein einziges Mal von Kopf bis Fuß untersucht und das auch nur von der Leichenbeschauerin. Professor Puddle hat bisher keine erneute Gesamtuntersuchung angeordnet.“
„Und?“
„Die Untersuchung bei der Leichenbeschau ist sehr oberflächlich, es sei denn, ein Mord wird vermutet und das war bei Pansy nicht der Fall. Was wir also im Mungos anregen sollten wäre eine umfangreiche Untersuchung auf mögliche Fremdkörper.“
„Warum habe ich das Gefühl, dass Sie schon eine Ahnung haben?“ Er rang sich ein Lächeln ab und war erstaunt, dass es ihm nicht einmal schwerfiel.
„Corvinus und ich glauben, dass womöglich die Spitze des Messers in Pansys Schulter zurückgeblieben ist. Es reicht ein kleines Stückchen abgesplittertes Metall, das mit Schlafes Bruder versetzt war und schon kann das Gegengift nicht helfen, weil sich die beiden Mittel im Wege stehen.“
Einen Moment lang überlegte Severus, bis er nickte.
„Es ist durchaus möglich, dass durch den extrem verlangsamten Blutkreislauf noch immer Schlafes Bruder von einem Fremdkörper abgegeben wird. Wir reden hier von minimalsten Mengen, von Nanolitern. Jedes Mal, wenn Miss Parkinson erwacht und ihr Blut wieder zirkuliert, breitet sich das Gift erneut aus.“ Er schüttelte den Kopf. „Dieser Trank ist ein wirklich geschmackloser Einfall, aus wissenschaftlicher Sicht aber äußerst durchdacht.“
„Ich hab nie angenommen, dass Bellatrix dumm gewesen war. Sie war sogar sehr clever, aber auch sehr gefährlich.“
Er nickte zustimmend. „Solche Eigenschaften machen einen Menschen unberechenbar.“
„Ich glaube sogar, sie war es gewesen, die...“ Ihre Kehle schnürte sich zusammen, doch sie hatte den Anfang gemacht und sie wusste, dass Severus nicht beendete Sätze hasste.
„Was hat Bellatrix getan?“, fragte er zaghaft nach.
Wie schon so oft wurden die Erinnerungen an den Moment, als sie und ihre Freunde von Inferi und Todessern umzingelt waren, so lebendig, dass kalter Schweiß auf Hermines Stirn ausbrach.
„Bellatrix war eine von den Todessern gewesen, die die Inferi geleitet haben, als wir den einen Abend...“ Sie schluckte, atmete tief durch. „Wir hatten unsere Lager aufgeschlagen. Luna und ich hatten Nachtwache.“ Unbewusst schlug Hermine ein Bein übers andere und verschränkte zusätzlich die Arme – eine ablehnende Haltung, die Severus aus eigener Erfahrung gut zu deuten wusste. „Luna musste mal. Sie war irgendwo in den Büschen, als ich die ersten Inferi gesehen habe. Da war auch dieses grauenvolle, wirklich widerliche gellende Lachen.“
„Bellatrix“, warf Severus mit ruhiger Stimme ein. Dieses Gelächter kannte er selbst.
„Ja.“ Hermine nickte und nutzte einen Moment, um sich die Worte zurechtzulegen, denn sie hatte bisher nur ein einziges Mal mit ihren Freunden darüber gesprochen, was damals geschehen war. „Die Inferi waren sehr leicht auszuschalten. Susan, Ginny, Fred und George hatten seit Jahren an einem wirkungsvollen Spruch gefeilt und den haben wir alle gelernt. Ich hab keine Todesser gesehen, musste aber die Inferi abwehren. Luna war noch nicht zurück. Ich hab geglaubt, ihr wäre etwas geschehen. Mein Patronus sollte die anderen warnen.“ Hermine seufzte. „Bellatrix hat nur darauf gewartet.“
„Worauf?“
„Dass es durch den Patronus so hell wird, dass sie mich bestens sehen konnte und da hat sie...“ Zittrig atmete Hermine ein und aus, bevor sie leise erzählte: „Sie hat mir ein Spinnenfeuer entgegengeschleudert.“
Blitzartig setzte sich Severus gerade hin. „Das ist nicht möglich. Den hätten Sie nicht überlebt.“ Er konnte sich noch gut an das Experiment mit Harry erinnern, als der Hermines Farbtrank eingenommen hatte und im Anschluss eine harmlose Pflanze mit dem alles verzehrenden Spinnenfeuer verbrannte.
„Ich hätte es auch nicht überlebt, aber Luna... Im ersten Moment wusste ich nicht, was sie getan hatte. Es hat auf jeden Fall noch mehr wehgetan als das Spinnenfeuer, aber es brannte nicht mehr.“
„Was hat Miss Lovegood angewandt? Soweit ich weiß, gibt es keinen Gegenzauber.“
Hermine schüttelte den Kopf. „Gibt es nicht. Luna hat improvisiert. Später im Mungos hat man mir erklärt, dass sie einen einfachen Haushaltszauber an meinem Bein angewandt hat.“
Severus war gleichermaßen neugierig und ergriffen. „Erzählen Sie!“
„Sie hat meinen Unterschenkel schockgefroren.“
Weil keine Reaktion kam, blickte Hermine neben sich. Severus war sichtlich verblüfft, brachte kein Wort mehr heraus. Für Hermine lockerte sich dadurch die Situation ein wenig.
„Das ist wirklich selten, dass Ihnen etwas die Sprache verschlägt“, stellte sie lächelnd fest.
Er blinzelte. „Das ist wirklich ungeheuerlich! Sie haben das Spinnenfeuer überlebt, Ihr Fall wäre bei Heilern auf der ganzen Welt Gold wert.“
„Nicht gerade Gold, aber ich hab's in die Juli-Ausgabe von 'Heile/rs Welt' gebracht. Na ja, nicht ich persönlich, aber immerhin meine Wade.“
„Tatsächlich? Darf ich mal sehen?“
„Die Ausgabe habe ich in meinem Zimmer.“
„Ich meinte ja auch das Original.“
„Nein!“ Außer Ron hatte sie niemandem nach diesem Vorfall freiwillig nochmal das Brandmal gezeigt.
Er schien die Situation einen Moment zu überdenken. „Ich versichere Ihnen, dass ich ein rein medizinisches Interesse an Ihrer Wade habe.“
Belustigt zog sie eine einzige Augenbraue in die Höhe. „Haben Sie das?“ Er nickte, doch gab trotzdem nicht nach. „Nein, Severus. Tut mir wirklich Leid, aber dazu bin ich nicht bereit. Ich zeig Ihnen morgen das Bild und den Artikel.“ Sie machte mit beiden Armen eine Geste, als würde sie ihm die Größe eines geangelten Fisches zeigen. „Ein laaanger Artikel.“
Demonstrativ schaute er auf seine Standuhr. „'Morgen' ist bereits seit Stunden eingetroffen. Wir sollten uns für das Frühstück fertigmachen.“
„Schon so spät?“
„Nein, 'schon so früh' würde es eher treffen. Wir sollten uns nach dem Frühstück kurz treffen und mit dem Mungos einen Termin ausmachen. Ich möchte Miss Parkinson sehen. Von mir aus kann Mr. Zabini uns begleiten.“
Hermine stimmte summend zu, machte aber keine Anstalten, wieder in ihr Zimmer zu gehen. Stattdessen seufzte sie, setzte das übergeschlagene Bein wieder auf dem Boden ab, behielt aber weiterhin die Arme vor der Brust verschränkt. Als sie ein zweites Mal seufzte, war das Schuldgefühl in Severus so groß geworden, dass er nach einer Möglichkeit suchte, sein vorangegangenes patziges Verhalten zu erklären.
Seine Stimme war leise, geradezu flehend. „Ich möchte nicht, dass Sie sich mit dem Ewigen See befassen. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, dass Sie den Trank nicht brauen müssen.“
„Wie fühlt es sich an?“ Ihre zögerlich gesprochene Frage konnte er nicht zuordnen.
„Wie fühlt sich was an?“
Einen Moment lang blieb sie stumm, so dass er schon vermutete, sie hätte die Frage fallen gelassen, doch sie wurde genauer und blickte ihm diesmal in die Augen. „Wie fühlt es sich an, nur noch einen kleinen Teil zu haben?“
Es ging über ihre Vorstellungsgabe hinaus. Die Frage, wie sich ein Leben mit einem kleinen Überbleibsel der Seele anfühlen könnte, konnte sie sich selbst nicht beantworten.
Nun war er es, der stumm blieb.
„Ich kann es mir nicht vorstellen“, gab sie kleinlaut zu, „aber ich würde es gern versuchen.“
„Ich werde es schwerlich erklären können.“
„Versuchen Sie es“, forderte sie mit sanfter Stimme.
„Hermine.“ Er atmete tief durch. In seinem Innern wusste er, dass Sie diejenige war, die eine Antwort verdiente. „Ich kann es nicht begreiflich machen. Es wäre ein genauso fruchtloser Versuch, einem Hauself die Freiheit nahebringen zu wollen.“
Sie blickte ihn entgeistert an. „Ist es das? Empfinden Sie es als Freiheit?“
Seine Schultern zuckten einmal. „In gewisser Weise ja.“
„In welcher Weise?“
Die Augen schließend ging er in sich, um seine Antwort wohl überlegt zu formulieren. „Ich bin befreit von hinderlichen Emotionen.“
Ein Blick zur Seite ließ ihn in große braune Augen schauen, aus denen man ablesen konnte, dass das Gesagte in ihrem schlauen Köpfchen verarbeitet wurde, sich der Sinn dahinter ihr jedoch nicht erschließen wollte.
„Welche hinderlichen Emotionen?“, wollte sie wissen.
„Was weiß ich...“ Er wollte es verharmlosen. „Mitgefühl, Sympathie, Begeisterung.“
Flüsternd, als wollte sie seine Antwort nicht wahrhaben, fragte sie nach: „Das sind hinderliche Emotionen für Sie?“
„Sie stehen im Weg, wenn man effektive Leistungen erbringen möchte“, erwiderte er kühl.
Ihre damaligen Vermutungen schienen sich zu bestätigen, doch sie fragte nach, um Gewissheit zu erlangen. „Damit Sie als Spion bei den Todessern bleiben konnten? Sie hätten es auch ohne diesen schrecklichen Trank geschafft.“
„Das bezweifle ich, Hermine“, sagte er so überzeugt, weswegen sie nicht daran rütteln wollte.
„Der Trank hat nicht so gewirkt, wie es es geglaubt haben oder?“ Er schüttelte den Kopf, weshalb sie nachhakte. „Was ist danebengegangen?“
„Das, was ich bewahrt habe“, seine Stimme bebte, „war der Teil, der im höchsten Maße empfindlich geblieben war. Mir ist das jedoch erst aufgefallen, als Harry auf der Bildfläche...“
Wortlos forderte sie ihn auf, seine Worte zu erklären, doch er hatte aufgegeben. Die damals so leichtfertig gefällte Entscheidung war mit einem Male schwer verständlich zu machen. Sie versuchte es an seiner Stelle und zwar mit ihren eigenen Worten.
„Ihr Tod hat starke Schuldgefühle in Ihnen ausgelöst und Sie waren niedergeschlagen.“ Viel leiser wagte sie hinzuzufügen: „Und vielleicht sogar suizidgef...“ In Windeseile drehte er seinen Kopf und blickte sie an, so dass sie ihren Mund abrupt schloss.
„Der Trank konnte das Schlimmste nehmen“, versuchte er ihr krampfhaft zu versichern.
„Und wie fühlt es sich an?“
Die gleiche Frage ihrerseits, doch diesmal blieb Severus ihr die Antwort nicht schuldig. Es war eine schauderhafte Antwort, die er ohne jegliche Empfindsamkeit geben konnte.
„Als würde man sterben.“
„Oh mein Gott“, hauchte sie erschüttert.
Ohne eine nach Gefühlsregung preiszugeben beteuerte er: „Kein Grund zur Sorge, Hermine. Es rührt mich nicht.“ Ihre Lippen begannen zu zittern, so dass er sich dazu verpflichtet fühlte, ihr zu empfehlen: „Und Ihnen sollte es auch nicht nahegehen. Bitte lassen Sie die Finger vom Ewigen See. Schon der Dunst beim Brauen wirkt auf das Empfinden ein. Setzen Sie sich dem nicht aus!“
Sie zog ihre Nase hoch und rang sich ein Lächeln ab. „Werde ich nicht, ich versprech's.“
„Danke.“
Dieses eine, so kurze Wort hatte all seine Erleichterung zum Ausdruck bringen können.
„Möchten Sie sich erst frischmachen, bevor wir in die große Halle gehen?“
Sie fand es ernüchternd, dass er so nebensächlich das Thema wechseln konnte. Seine distanzierte Art zu seinem eigenen Schicksal bewegte sie zutiefst, aber vielleicht, dachte sie, konnte er gar nicht andres.
In der großen Halle blickte Harry seine beste Freundin mit großen Augen an.
„Hermine“, sagte er völlig verdattert. „Du siehst ja völlig fertig aus!“
„Vielen Dank auch, Harry! Dir ebenfalls einen guten Morgen.“ Sie setzte sich neben ihn und stellte ihm als wortlose Aufforderung, ihr etwas einzuschenken, die Kaffeetasse vor die Nase. „Ich hab die Nacht durchgemacht. Warum fällt es nicht auf, dass Severus auch die ganze Nacht über kein Auge zugemacht hat?“
Harry beugte sich nach vorn und blickte seinen älteren Kollegen an, der fragend eine Augenbraue hob und auf die Antwort wartete, die Harry prompt gab und zwar schmunzelnd. „Severus sieht doch immer so aus.“ Severus' Augen verengten sich zu bedrohlich schmalen Schlitzen, weswegen Harry flugs noch hinzufügte: „Das war nur Spaß! Aber mal im Ernst Hermine, du siehst furchtbar aus. Dabei dachte ich schon, nur Remus sieht heute wie ein lebender Toter aus.“
Remus, der gar nicht weit weg saß, hatte das gehört und warf Hermine und Severus einen vorwurfsvollen Blick zu, äußerte sich jedoch nicht.
„Ist mir irgendwas entgangen?“ Harry hatte trotz des Toilettenganges in der Nacht prächtig geschlafen.
„Wir haben sehr wahrscheinlich den Grund dafür gefunden, warum Severus' Gegengift bei Pansy nicht gewirkt hat“, erklärte Hermine, die somit zumindest für Harry erklären konnte, womit sie sich in der Nacht beschäftigte hatte. Für Remus müsste sie sich etwas anderes einfallen lassen.
„Ich drücke euch die Daumen. Mir tut sie wirklich sehr Leid. Für Blaise und Berenice muss das eine schlimme Situation sein.“ Mit ihrer Antwort war Harry zufrieden, so dass er sich dem Frühstück widmen konnte, wenn auch wegen seiner Gedanken an Pansys Schicksal nicht mehr zu beschwingt.
An seinem Frühstück tat sich auch Lucius gütlich, doch es missfiel ihm, dass er nicht wie üblich allein an seinem Tisch sitzen und nebenbei den Klatsch und Tratsch lesen konnte, der im Tagespropheten zu finden war. Heute saß Mr. Duvall ihm gegenüber und er hatte tatsächlich mit seinem kecken Lächeln Schwester Marie ein Frühstück aus dem Ärmel leiern können.
Nach einem Schluck Kaffee ging der Beistand einige Unterlagen durch und sagte mit fester Stimme, während er auf ein bestimmtes Dokument deutete: „Das mit dem Imperiusfluch wird nicht schwer werden, Mr. Malfoy. Man kann Ihnen nicht beweisen, dass Sie nicht unter einem gestanden haben. Hier“, er überreichte Lucius das Pergamant, „1981 wurde Walden Macnair vorm Zaubergamot angeklagt und keine zwei Wochen später wieder freigesprochen. Auch ihm hatte man nicht nachweisen können, aus eigenen Stücken gehandelt zu haben oder durch Voldemort einem Imperiusfluch ausgesetzt gewesen zu sein.“ Sid blätterte einige Seiten weiter und murmelte: „Wäre Augustus Rookwood nicht von Igor Karkaroff verraten worden, hätte man ihn nicht überführen können.“
„Moment“, warf Lucius aufgebracht ein. „Was, wenn einer der ebenfalls in Haft befindlichen Todesser mich denunzieren wollte?“
Die Gelassenheit, die Sid ausstrahlte, hätte Lucius gern inne. Mit arroganter Miene hielt er dem Blonden eine Liste vor Augen.
„Jeder ist mit seiner eigenen Verhandlung beschäftigt, aber Ihre wird längst vorüber sein, bevor die anderen soweit sind, die ersten Aussagen zu machen. Glauben Sie mir, Mr. Malfoy: Niemand von denen würde sich erlauben, Ihren 'guten Namen' in den Schmutz zu ziehen.“
„Und warum sollten die mich mit Samthandschuhen anpacken?“
„Kein Grund so gnatzig zu werden, Mr. Malfoy. Überlegen Sie doch mal! Die können doch froh sein, dass sie selbst in Ruhe gelassen werden. Sollte einer von denen, wie zum Beispiel“, er las zufällig einen Namen von der Liste, „Adelmus Harrington so unüberlegt handeln und seine Mitgefangenen beschuldigen, dann könnte ihm das Gleiche blühen.“ Er legte die Liste mit den Namen aller inhaftierten Todesser zurück in seine Mappe. „Ich bin mir sicher, dass keiner einen anderen verraten würde. Denen liegt mehr an ihrem eigenen Wohl.“
„Haben die anderen schon einen Beistand?“, wollte Lucius wissen.
Sein Gegenüber grinste selbstgefällig. „Nein, man wählt die Beistände nun sorgfältiger aus. Ich habe wohl keinen guten Eindruck beim Gamot hinterlassen.“
Weil er unterdrückt lachte, hörte man von Lucius nur ein Schnaufen. „Dann passen wir ja bestens zueinander.“
Eine ganze Weile blickte Sid auf seine Unterlagen und Lucius wollte schon fragen, ob die Unterredung für heute beendet werden könnte, da blickte sein Beistand ihn so intensiv an, dass Lucius das erste Mal die strahlend blauen Augen auffielen, die so kontrastreich dem schwarzen Haar gegenüberstanden.
„Mr. Malfoy, was wissen Sie über die Verstecke der Todesser?“ Diese so ernsthaft gestellte Frage wirkte beinahe bedrohlich.
„Warum wollen Sie das wissen? Ich habe dem Minister und Mr. Shacklebolt alle Informationen...“
„Nein“, unterbrach Duvall, „haben Sie nicht. Sie haben keine Informationen mehr gegeben, seit man Ihnen heimlich Veritaserum verabreicht hat.“
„Weshalb fragen Sie?“ Lucius war skeptisch geworden.
„Sagen wir einfach, ich möchte nicht, dass man Ihnen zur Last legen könnte, Ihre flüchtigen Freunde weiterhin in Schutz zu nehmen.“
„Das meinen Sie nicht ernst! Außerdem bezeichne ich diese Männer nicht als meine Freunde!“ Seine Empörung ließ eine Ader an Lucius' Schläfe sichtbar pulsieren.
Dem bohrenden Blick seines Beistands wollte Lucius standhalten, doch als er seinen eigenen Blick abwenden musste, fragte Sid: „Wen schützen Sie?“
„Ich schütze niemanden, ich...“
Frech unterbrach der Beistand und sagte in einem Tonfall, den Lucius sich bei jedem anderen verbitten würde: „Den Akten ist zu entnehmen, dass Macnair einige Aussagen gemacht hatte, Aufenthaltsorte und Gebäude, doch die Auroren fanden nichts. Man vermutet jedoch einen Fidelius. Also“, Sid lehnte sich zu Lucius und forderte, „wen schützen Sie?“
Lucius biss sich auf die Zunge und versuchte, Sid mit einem Blick zur Strecke zu bringen, doch dessen Lippen formten nur ein gehässiges Lächeln.
„Sie baten das Ministerium einmal darum, bei Ihrer Frau nach dem Rechten zu sehen.“ Sid hob seine Augenbrauen. „Sie haben vermutet, dass die Lestrange-Brüder dort auftauchen könnten, nicht wahr, Mr. Malfoy? Schützen Sie die beiden, weil sie zu Ihrer Familie gehören?“
Die Muskeln in Lucius' Kiefer spannten sich an, bevor er fauchte: „Ich schütze Sie nicht! Ich werde nur nichts tun, dass man sie fängt, denn eines sage ich Ihnen, Mr. Duvall“, diesmal beugte sich Lucius nach vorn, „den beiden möchten Sie bestimmt nicht über den Weg laufen! Ich bin mir sicher, dass sie sich aus jeder Gefangenschaft befreien können und deswegen werde ich mich selbst und meine Familie nicht auf deren schwarze Liste setzen, nur weil ich meine Haft damit verkürzen könnte, indem ich sie ausliefere!“
„Das, Mr. Malfoy, werden wir beide vor dem nächsten Anhörungstermin noch regeln müssen.“
„Da gibt es nichts zu regeln!“
„Das sehe ich anders.“
Das Frühstück war beendet. Sid ließ einen Lucius zurück, der momentan verfluchte, so einen Federfuchser als Beistand zu haben. Er hoffte, nein er flehte, dass Duvall keine schlafenden Hunde wecken würde.
Beendet war auch das Frühstück in Hogwarts. Die Schüler hatten sich bereits auf den Weg zu ihren Klassenräumen gemacht. Hermine und Severus verließen gefolgt von Harry und Remus die große Halle, doch kaum waren sie durch die Tür gegangen, drehte sich Severus um.
„Harry, hätten Sie einen Augenblick Zeit?“
Ein ungutes Gefühl überkam ihn, als er Severus' Blick zu deuten versuchte. Er sah sich plötzlich in seine eigene Schulzeit zurückversetzt und schien eine Rüge zu erwarten. Harry nickte und folgte Severus ein paar Schritte den Gang hinunter.
„Was gibt’s?“, fragte er, obwohl er es gar nicht wissen wollte
„Sie haben mich bestohlen!“
Innerlich war Harry nun definitiv wieder der Schüler von damals, nur diesmal ohne eine Ausrede parat zu haben. Kleinlaut gab er zu: „Ach ja, die Schuppen.“
„'Ach ja'? Als würde es Ihnen jetzt erst wieder einfallen! Das ist eine Frechheit sondergleichen. Wie können Sie es wagen?“
„Tut mir Leid, Sir“, murmelte Harry verlegen, während er zu Boden blickte und mit einem Fuß ein Steinchen wegkickte.
„'Tut mir Leid, Sir'“, äffte Severus ihn mit provokant dämlichen Unterton nach. „Das macht dreißig Punkte Abzug und zwei Wochenenden mit Filch!“
Harry seufzte. „Ja, Sir.“ Dann stutzte er. „Moment, ich bin hier Lehrer.“ Er blickte auf. „Sie können mir gar keine Punkte abziehen!“
Ein fieses Grinsen schlug sich auf dem fahlen Gesicht nieder. „Nein, kann ich nicht, aber es war allein schon eine große Genugtuung zu erleben, dass Sie für einen winzigen Augenblick tatsächlich gedacht haben“, Severus kam ein wenig näher, „ich könnte!“
Ernüchtert schüttelte Harry den Kopf, musste aber schmunzeln. „An so etwas finden Sie Gefallen, ja?“
„Ja!“, kam als knappe und zufrieden klingende Antwort.
Hermine stand die ganze Zeit über mit Remus zusammen und versuchte, sich für die Lärmbelästigung letzter Nacht zu entschuldigen.
„Remus, ich hab wirklich nicht dran gedacht, dass man uns hören könnte.“
„Was habt Ihr um diese Zeit überhaupt...?“ Er schüttelte den Kopf. „Geht mich ja nichts an.“
„Wir haben nur diskutiert“, wollte sie ihm weismachen. Er schnaufte und schaute ihr direkt in die Augen, doch sie schaute verlegen weg.
„Nur diskutiert, ja? Ich denke ich weiß, was da los ist.“ Zum Ende hin war er leiser geworden, so dass sie nachfragte.
„Was wo los ist?“
„Eure 'Diskussionen', die Auseinandersetzungen, eure gegenseitigen Provokationen“, zählte er auf. „Es ist ein Wunder, dass bisher keiner von euch beiden in einer Papiertüte zum Krankenflügel gebracht werden musste.“
„Na, so schlimm ist es ja nun auch nicht“, verteidigte sie sich nörgelnd. „Es eskaliert ja nie.“
„Von wegen! Ihr habt euch in den Haaren, dass es nur so kracht, aber ihr rauft euch am Ende immer wieder zusammen.“
„Weil wir eben erwachsen sind und miteinander reden können.“
Remus schüttelte den Kopf, was Hermine irritierte. „Nein Hermine, das hat meines Erachtens mit etwas ganz anderem zu tun.“ Seine Augen suchten etwas in den ihren, doch er fand es nicht. „Du hast keine Ahnung?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“
Ein mildes Lächeln huschte über seine Lippen, seine Augen leuchteten gutmütig. „Ich denke, zwischen euch beiden herrscht eine so hohe Spannung“, er schüttelte den Kopf, weil er nicht glauben konnte, dass sie es selbst nicht sah, „dass man damit ganz Hogwarts mit Strom versorgen könnte.“
Noch immer beobachte er ihre Augen, und er erkannte erst Verständnislosigkeit, doch dann gebrauchte sie ihren Verstand und mit einem Male waren ihre Gesichtszüge durch Erkenntnis geprägt. Hermine wollte sich dazu äußern, wollte alles dementieren, doch als sich ihre Lippen öffneten, wurde ihre Sprache von einem überraschten Seufzer überrumpelt.
Hinter Hermine sah Remus, dass Harry und Severus ihr Gespräch beendet hatten, so dass er sich von ihr verabschiedete und sie verdattert zurückließ. Noch immer war sie sprachlos, bemerkte nicht einmal, dass Severus neben ihr stand. Erst durch seine Frage gewann sie die Fassung wieder.
„Ist alles in Ordnung?“ Er klang besorgt. Hermine traute sich nicht einmal, ihn anzusehen. Stattdessen nickte sie heftig, blickte dabei zu Boden. „Hermine?“
„Alles...“ Sie räusperte sich. „Alles in Ordnung.“
„Was wollte Lupin?“ Severus legte eine Hand auf ihre Schulter, um sie dazu aufzufordern, mit ihm zu gehen. Er hatte nicht darüber hinwegsehen können, dass sie aufgrund der Berührung zusammengefahren war. „Hermine, was wollte Lupin?“
„Er hat nur gemeint“, so unsicher hatte ihre Stimme selten geklungen, „dass Hogwarts vielleicht ans hiesige Energieversorgungsnetz angeschlossen werden sollte.“ Es würde schon nicht auffallen, wenn sie Remus' Worte ein wenig verdrehte.
Abrupt blieb Severus stehen, als würde er seinen Ohren nicht trauen. „Der Mann wurde offensichtlich doch mit dem Klammerbeutel gepudert. Er müsste doch wissen, dass Magie elektrische und elektronische Geräte stören kann. Weiß er das denn nicht?“ Kraftlos hob sie die Schultern, die sie gleich darauf wieder hängen ließ, bevor sie ihm folgte.
Über den Kamin erfuhren sie vom Mungos, dass Blaise samt Tochter gerade bei Pansy zu Besuch war.
„Severus, warum haben Sie denen nicht gesagt was wir vorhaben?“
„Weil ich mir erst selbst ein Bild von der Gesamtsituation machen möchten. Kommen Sie!“ Er hielt ihr seine Hand entgegen, um ihr in den Kamin zu helfen, obwohl die kleine Erhebung an der Feuerstelle nicht schwer zu überwinden war.
„Was ist mit Ihrem Unterricht?“
„Der beginnt heute später.“
Im Mungos wurden Severus und Hermine von einer freundlich dreinblickenden Schwester in Empfang genommen, auf deren Namensschild man „Marie Amabilis“ ablesen konnte.
„Mr. Zabini wartet schon auf Sie“, sagte sie mit einem Lächeln.
Der Anblick, der sich ihr im Krankenzimmer bot, ließ Hermine nicht kalt. Die kleine Berenice saß im Schneidersitz auf dem Bett dicht bei der Mama und malte ein Bild, erzählte dabei immerfort, was sie in den letzten Tagen mit ihrem Vater unternommen hatte. Blaise saß neben dem Bett auf einem Stuhl und hielt Pansys regungslose Hand. Sein Daumen strich zart über ihren Handrücken, während er seiner Tochter lauschte. Er schien so sehr in Gedanken zu sein, dass er die Schwester erst bemerkte, als sie ihn ansprach.
„Mr. Zabini, die beiden Besucher sind hier.“ Sein Kopf schnellte hoch, danach er selbst, als er sich von seinem Stuhl erhob und sich den dreien näherte. Berenice war verstummt und hatte aufgehört zu malen.
„Hermine, Professor Snape.“ Beiden gab er die Hand, bevor er das Wort an seinen ehemaligen richtete. „Ich wollte mich bei Ihnen schon melden, aber Schwester Marie sagte, dass Sie kommen wollten.“
„Ganz recht“, antwortete Severus und blickte die genannte Schwester an. „Wenn Sie uns mit Mr. Zabini allein lassen würden?“
„Selbstverständlich.“
Die Schwester war gegangen, da forderte Severus ohne Umschweife: „Helfen Sie mir, Miss Parkinson auf die Seite zu drehen. Ich möchte mir die alte Stichwunde ansehen.“
Blaise verharrte für einen Moment an Ort und Stelle, bevor er irritiert vorschlug: „Wir könnten sie mit einem Zauberspruch umdrehen.“
Dazu erklärte Hermine: „Nein, das würde den Alarm im Schwesternzimmer auslösen.“ Da Blaise nicht zu verstehen schien, schilderte Hermine: „Wir vermuten, dass etwas von der Klinge in ihrer Schulter zurückgeblieben ist, was dafür verantwortlich sein könnte, dass das Gegenmittel nicht hilft, weil das Gift noch immer abgegeben wird, wenn auch nur in kleinsten Mengen. Du kennst doch den Spruch 'Dosis sola venenum facit'?“
Blaise nickte. „'Allein die Menge macht das Gift'. Wenn das wahr ist...“
Er atmete tief durch und Hermine sah sich gezwungen, die Alternative zu nennen: „Wir können natürlich auch die Professoren darum bitten, Pansy noch einmal zu untersuchen, diesmal aber gründlich.“
Damit Blaise erst gar keine Bedenken äußern konnte, warf Severus trocken ein: „Miss Granger ist Heilerin, hat sogar hier im Mungos ihre Prüfung absolviert.“
„Tatsächlich?“ Blaise schaute sie Respekt zollend an, weswegen sie zuversichtlich nickte. „Dann sehe ich kein Problem.“ An seine Tochter gewandt bat er: „Gehst du bitte vom Bett hinunter?“
Berenice gehorchte ihrem Vater ohne Murren und setzte sich mit ihrem Malblock an den Tisch, achtete aber mit wachen Augen darauf, was die Erwachsenen wohl anstellen würden. Zusammen mit Hermine drehte Blaise die Patientin auf Muggelart um, was ein wenig Zeit in Anspruch nahm, denn Pansy konnte natürlich nicht mithelfen. Er sprach die ganze Zeit über mit ihr, schilderte genau, was sie vorhatten. Das Nachthemd zog er hinauf, um den Rücken zu entblößen, während Hermine darauf achtete, dass die Bettdecke keine pikanten Stellen des nackten Körpers freigeben würde. Die kleine weiße Narbe war auf der blassen Haut, die seit langer Zeit kein Sonnenbad mehr erfahren durfte, kaum zu sehen. Severus näherte sich nun dem Bett, Blaise machte ihm ohne Aufforderung Platz.
„Ah ja“, murmelte Severus, bevor er eine Hand hob und mit seinen gelblichen Fingerkuppen die Narbe berührte, dann das umliegende Gewebe abtastete. Derweil blickte er überall woanders hin, nur nicht auf den Rücken, den er befühlte, denn so konnte er sich besser konzentrieren. Nach einem Moment wandte er sich, die Finger noch immer auf Pansys Rücken liegend, an Hermine. „Hier ist eine Verhärtung. Es liegt an Ihnen zu bestimmen, ob es sich um starres Narbengewebe handelt oder um das, was wir suchen.“
„Zeigen Sie mal.“
Sie konnte sehen, dass sein Zeigefinger etwas rechts von der Narbe lag. Ihr eigener Finger nahm die gleiche Stelle ein. Sie drückte vorsichtig und bewegte ihn sanft in kreisförmigen Bewegungen.
„Ja, das könnte was sein. Holen wir die Professoren?“, fragte sie.
Er zog eine Augenbraue in die Höhe. „Wozu? Sie können das genauso gut jetzt gleich entfernen. Ich würde das Stück Metall gern mitnehmen!“
„Warum denn das?“
„Weil an dieser Messerspitze noch der ursprüngliche Trank aus dem Hause Lestrange haftet. Ich möchte ihn genau analysieren und herausfinden, ob die Modifikation des Trankes tatsächlich die ist, auf die man aufgrund der Blutanalyse gekommen ist.“
Hermine warf Blaise einen fragenden Blick zu. Zu ihrem Erstaunen nickte er.
An ihren Professor gewandt sagte sie: „Aber wenn ich das Objekt mit einem Zauber entferne, dann wird der Alarm losgehen!“
„Dann holen Sie es auf altmodische Art und Weise. Ich vermute nicht, dass der Alarm aktiviert wird, wenn Sie nur einen Desinfektionszauber sprechen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Dann desinfizieren Sie die Stelle. Der Gegenstand befindet sich nur wenige Millimeter unter der Haut.“
Von dem Gespräch wachgerüttelt fragte Blaise aufgebracht: „Schneiden Sie es heraus?“
Hermine nickte. „Es wird, wenn überhaupt, nur ein wenig brennen, aber große Schmerzen wird sie nicht haben.“
„Ich will nicht, dass sie überhaupt Schmerzen...“
„Mr. Zabini!“ Severus Stimme wirkte noch genauso einschüchternd wie im Klassenzimmer, denn Blaise verstummte auf der Stelle und hörte aufmerksam zu. „Ich bin mir sicher, dass Miss Parkinson allein aufgrund der Aussicht auf Genesung den kurzen Schmerz liebend gern ertragen möchte.“
„Kann man die Stelle nicht per Zauber betäuben?“
„Nein, der Alarm geht bei solchen Sprüchen auf jeden Fall los. Seit dem Krieg sind die Schutzmaßnahmen für den Patienten extrem erweitert worden. Kaum ein Zauberspruch im Krankenzimmer bleibt unerkannt.“
Der junge Mann schien sich das durch den Kopf gehen zu lassen.
„Dann holen wir lieber die Professoren.“
Darüber schien Severus wütend zu werden. „Gut, wie Sie meinen!“ Gerade wollte er zur Tür hinaus, da hielt Blaise ihn auf.
„Nein, machen Sie es. Jetzt! Je schneller...“ Er fuhr sich mit einer Hand durch die schwarzen Locken. „Machen Sie schon“, flüsterte er und man konnte heraushören, dass ihm nicht ganz wohl bei der Sache war.
Um ihm die Sorge zu nehmen, erklärte Hermine: „Es ist ähnlich, als würde man sich einen Finger an Papier schneiden, Blaise. Mach dir keine Gedanken. Der Schnitt wird nicht tief.“
Hermine desinfizierte die Hautpartie und ihr Messer, dass sie seit ihrem Geburtstag immer in ihrer Tasche mit sich herumtrug, doch dann stutzte sie.
„Das Messer schneidet nichts Lebendiges, das hat Draco gesagt. Wir brauchen ein anderes.“
Severus schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht. Der Zauber, der auf Ihrem Messer liegt, wird nicht so ausgeklügelt sein und bei Miss Parkinsons Körper den minimalen Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen können, wenn sogar die Heiler es nicht bemerkt haben. So teuer war das Geburtstagsgeschenk nun auch wieder nicht.“
„Ich kann es ja versuchen“, murmelte sie, bevor sie ihre Hände, Pansys Rücken und das Messer nochmals desinfizierte und mit einem winzigen Schnitt begann.
Die Klinge drang tatsächlich durch die Haut. Hermine musste kaum Druck ausüben. Man hörte ein leises, kratzendes metallenes Geräusch, als die Klinge ihres Messers auf die abgebrochene Spitze in Pansys Rücken traf.
„Es blutet nicht“, sagte Blaise beeindruckt.
Severus fühlte sich dazu aufgefordert, mit lehrerhafter Stimme zu vermitteln: „Ohne einen anständigen Kreislauf würde Miss Parkinson nicht einmal verbluten, sollte sie eine ansonsten tödliche Wunde aufweisen. Das Blut zirkuliert ja kaum, weswegen es auch nicht austreten kann“, an Hermines Messer war etwas Rotes zu sehen, „oder nur extrem wenig.“ Er hielt ihr eine metallene Schale entgegen. „Wenn Sie es haben, dann bloß nicht anfassen.“
Mit der Spitze bohrte Hermine in dem eben zugefügten Schnitt herum, so dass sich Blaise abwenden musste. Sie musste daran denken, dass einige Kratzer, die sie von Sveltes Kniesel erhalten hatte, nicht nur länger, sondern auch tiefer gewesen waren.
„Hier ist es, es ist wirklich ein Stück Metall!“ Sie präsentierte den kleinen Splitter auf der Klinge balancierend, bevor sie ihn in der Schale abklopfte.
Interessiert hatte Blaise den letzten Vorgang beobachtet, bevor er fragte: „Wie lange wird es dauern, bis sie aufwacht?“
„Miss Parkinson sollte jeden Moment..“
Man hörte ein leises Stöhnen.
Nach dem erlebten Tagtraumzauber befand sich Severus nun nicht mehr in seinem Jugendzimmer. Er saß auch nicht mehr auf seinem Bett neben Hermine, sondern stattdessen neben seinem Hund, der sich in der halben Stunde so breit gemacht hatte, dass eine Hinterpfote auf Severus' Oberschenkeln lag. Harry schnarchte. Severus hingegen seufzte. Jetzt konnte er nicht mehr leugnen, dass Hermine vollends die Rolle von Lily eingenommen hatte. Das hatte er Harry gegenüber sogar schon einmal zugegeben, doch Lily war für ihn weit mehr gewesen als nur eine Freundin. Er bezweifelte, dass seine hoffentlich kurzzeitige Verwirrung Perspektiven hätte.
'Verdammt', dachte er, doch trotzdem ließ er sich von seinem eigenen Tagtraum erweichen.
Eines Tages seiner Mutter die Freundin vorzustellen war ein großer Wunsch von ihm gewesen. Sein Vater war zum Glück nicht in der halben Stunde vorgekommen. Früher hatte er sich viele Gedanken darüber gemacht, mit welchen Erklärungen er den Zustand seines Vaters verharmlosen könnte, wenn der wieder einmal im Delirium auf der Couch eingeschlafen war. Solche möglichen Peinlichkeiten hatten ihn immer davon abgehalten, jemanden zu sich einzuladen, auch wenn er hätte sicher sein können, dass die Herzlichkeit seine Mutter einiges beim Gast wieder wett gemacht hätte. Seine Mutter hatte er über alles geliebt, doch seinen Vater machte er für unzählige Miseren und familiäre Probleme verantwortlich. Als er seine Eltern in Gedanken gegenüberstellte, erschrak er, denn ihm wurde bewusst, dass er, obwohl er seine Mutter vergötterte, im Wesen so viel mehr dem grantigen Vater glich.
Gegen Remus' Freundlichkeit konnte er sich in der Realität schon nicht wehren, im Tagtraum hatte er es gar nicht erst versucht. Remus war immer ein unscheinbarer und ruhiger Junge gewesen, der einmal im Monat besonders kränklich ausgesehen hatte, das wusste Severus noch aus Kindertagen. Er hatte seiner Meinung nach nur mit den falschen Leuten Umgang. Genau wie er selbst, dachte Severus wehmütig. Albus hatte ihm einmal vorgeworfen, den einzig wahren Freund gegen eine Handvoll Heuchler eingetauscht zu haben.
Harry war nach Albus der Erste gewesen, der in der neuen und daher ungewohnten Zeit des Friedens den Kontakt zu ihm gesucht hatte und mit seinem Vorhaben nicht locker ließ. Severus hatte gar keine Chance gehabt, gegen Harrys dezent hartnäckige Kontaktfreudigkeit Widerstand zu leisten und als er Harry auch noch einen Kollegen nennen musste, blieb Severus nichts anderes übrig, als die Segel zu streichen. Er konnte sich noch gut an Harrys Forderung erinnern, die er als Bezahlung genannt hatte, weil er mit dem Hund spazieren ging. Sein ehemaliger Plagegeist hatte lediglich verlangt, dass er versuchen sollte, nett zu sein.
Damals hatte Severus fast zehn Jahre Zeit gehabt, sich psychisch auf Harrys Einschulung in Hogwarts vorzubereiten und dennoch traf es ihn wie der Schlag, als er zum ersten Mal mit eigenen Augen sehen musste, dass Harry so sehr seinem Vater glich, doch die Augen waren ganz die von Lily. Es quälte ihn ganze sechs Jahre, tagein, tagaus in diesem Jungen die ewige Vereinigung von James und Lily vor Augen zu haben, immerfort das fühlen zu müssen, was er einst ein für alle Mal aus seinem Gemüt hatte verbannen wollen. Selbst die zerrissene Psyche konnte reichlich Seelenschmerz erleiden und deswegen hasste Severus Harry, denn der war mit den Erinnerungen, die er in ihm weckte, die Ursache dieser Qual. Mit dem täglichen Andenken an seine vergangene Blume gab es keine Aussicht zu vergessen, dabei hätte er so viel gegeben, um nur einen winzigen Schluck aus dem Lethe trinken zu dürfen.
Im Tagtraum war jedoch nicht einmal Lilys Name gefallen und Harrys Anblick hatte ihm keinen Stich im Herzen versetzt. Der Junge war sein Freund gewesen; alle drei hatten sich um Freundschaft bemüht. Seit Lily hatte er das nur in Albus gefunden.
Severus beugte sich nach vorn, um die leere Schachtel des Tagtraums in die Hand zu nehmen. Der Hund ließ sich von der Bewegung nicht stören, auch nicht davon, dass Severus dessen Hinterpfote umfasste und geistesabwesend eine Zehe mit seinem Daumen streichelte. Sich die Packung vor Augen haltend las Severus unter dem Logo „Überraschungstraum“ den erst jetzt sichtbaren Satz „Diese Überraschung beinhaltete den 'Kindheitstraum'. Weil uns die Qualität unserer Produkte am Herzen liegt bitten wir Sie, die Fragen im Deckel dieser Box zu beantworten.“ Severus klappte mit dem Zeigefinger den Deckel hoch, um die Schrift lesen zu können. „Bitte kreuzen Sie an, ob Sie mit folgenden Aspekten 'voll und ganz zufrieden', 'nur zufrieden' oder von ihnen 'enttäuscht' waren.“ Gleich darunter befanden sich die Fragen „Bedienung der Box“, „Design“, „Preis-Leistungs-Verhältnis“, „Realitätsnähe“ und noch einige andere, die Severus weder zu lesen noch zu beantworten bereit war.
Einen Stock tiefer kam Harry gerade schlaftrunken von der Toilette und steuerte das Bett an, um noch drei Stunden Schlaf zu finden, als er es aus der Wiege quengeln hörte.
„Dabei war ich extra so leise“, sagte er zu sich selbst, als er in die Wiege schaute. Nicholas war hellwach, fokussierte ihn mit den großen blauen Augen und lächelte, was Harry unbewusst erwiderte. Vorsichtig nahm er den Jungen auf den Arm. Der kleine Kopf mit dem schwarzen Flaum kitzelte ihn an der Wange. Harry würde beschwören, dass es nichts Weicheres gab als die Haut eines Babys. Mit der Decke aus der Wiege umwickelte Harry den Kleinen, bevor er ins dunkle Wohnzimmer ging. Das Rascheln von Federn war zu hören. Nur Hedwig konnte man sehen, weil das Mondlicht auf ihr weißes Gefieder fiel. Fawkes hingegen war ein sich bewegender Schatten im Zimmer. Das Babys im Arm wiegend ging er hinüber zum Fenster, um ein wenig hinauszusehen. Die vereinzelten Wolken zogen schnell über den Himmel, als hätten sie es eilig. Die Äste der blätterlosen Bäume wiegten sich im Wind. Er musste unweigerlich daran denken, wie oft er nachts im Schlafsaal der Gryffindors am Fenster gesessen hatten, nur weil ein schrecklicher Traum ihn aus dem Schlaf gerissen oder weil Voldemort ihm widerliche Visionen per Legilimentik gezeigt hatte. Heutzutage wachte Harry entweder auf, wenn seine Blase sich des vielen Kürbissafts entledigen wollte oder weil Nicholas dies bereits hinter sich hatte und daraufhin lauthals eine neue Windeln einforderte.
In Malfoy Manor war Draco gerade dabei, Charles trockenzulegen. Fast jeden Tag, wenn seine schulischen Pflichten es zuließen, kam er nach dem Unterricht nachhause, nur dann nicht, wenn er Nachhilfe gab oder er anderweitig eingebunden war. Susan hatte sich nie beschwert, mehrmals in der Nacht aufzustehen, um das Baby zu versorgen. Diesmal war Draco durch Zufall wachgeworden und als er nach dem Rechten sah, da begann das Baby in seinem Bettchen zu wimmern. Die Windel war schnell und dank des von seiner Mutter erlernten Zauberspruchs gewechselt, so dass Draco ihn eine Weile auf seinem Arm hielt und ihn sanft schaukelte. Im Nu war der Junge wieder eingeschlafen, doch Draco legte ihn nicht zurück ins Kinderbett. Von dem Gefühl des leichten Gewichts auf seinen Armen und der Wärme, die von dem Baby ausstrahlte, konnte er sich schwer trennen. Ein Blick zum Bett verriet ihm, dass Susan fest schlief. Sie atmete genauso leise wie Charles, dessen Wange an Dracos Schlüsselbein ruhte.
Von der Prophezeiung hatte er natürlich Susan erzählt. Gestern Abend erst erklärte sie ihm – sie hatte sich zuvor schlaumachen müssen –, dass er und Ginny ab dem Tag der Prophezeiung insgesamt vier Wochen Zeit hätten, sie beim Ministerium zu melden. Man würde die Zeugen einladen und auch den Seher. Die Erinnerung an die Prophezeiung würde man den Zeugen entnehmen, um sie sich im ministeriumseigenen Denkarium zu betrachten und erst dann würde man sich entscheiden, welche von ihnen am deutlichsten war, welche also gelagert werden würde.
„Die Typen von der Mysteriumsabteilung“, hatte Susan ihm vor einigen Stunden gesagt, „sind ein wenig seltsam, aber lass dich davon nicht abschrecken.“
„Seltsam?“
„Ja, seltsam.“
Die Bezeichnung sagte nicht gerade viel aus, weswegen Draco wissen wollte: „Seltsam wie Luna?“
Daraufhin hatte er einen skeptischen Blick geerntet, bevor Susan ihn mit einem leichten Vorwurf korrigierte: „Luna ist doch nicht seltsam.“
Während er Charles wiegte, erinnerte er sich an den Rest des Gesprächs vom letzten Abend.
„Die Mitarbeiter, die die Prophezeiungen katalogisieren, deuten und verwalten, haben alle ein 'Ohnegleichen' in Wahrsagen gehabt“, hatte Susan erklärt.
„Dann sind sie alle wie Trelawney?“
Susans Lippen waren von einem breiten Grinsen eingenommen. „Ich würde sagen, sie sind viel seltsamer!“
„Geht denn das überhaupt?“
Draco schaute zu seinem Nachttisch hinüber. Dort lagen die Formulare, die er morgen mit in die Schule nehmen musste, damit auch Ginny eines ausfüllen konnte. Es würde eine Einladung zum Ministerium folgen, für die sie vom Unterricht befreit werden würden.
Das schlafende Baby legte Draco zurück in das Bettchen neben der elterlichen Schlafstatt, bevor er zurück unter die Bettdecke zu Susan kroch, sie von hinten umarmte und wieder einschlief.
Hermine hingegen war zu dieser Nachtstunde noch sehr munter. „Ich könnte Sie umarmen, Corvinus.“ Der Heiler im Gemälde hatte ihr vorhin die Anrede mit dem Vornamen angeboten. „Wenn Ihre Überlegungen richtig sind und das könnten Sie durchaus sein, dann wäre das Problem gelöst!“
Sie kramte einige Unterlagen zusammen, um sich auf den Weg zu Severus zu machen, der jetzt bestimmt noch nicht schlief, doch da klopfte es unerwartet. Bevor sie „Herein!“ rufen konnte, wurde die Tür bereits stürmisch geöffnet. Der erste Blick auf ihren Tränkemeister verriet ihr, dass er sehr ungehalten zu sein schien. Warum das so war, rieb er ihr sofort unter die Nase. Er holte tief Luft und sprach angestrengt leise, so dass sein Flüsterton Ähnlichkeit mit dem Zischen einer gereizten Schlange hatte.
„Da will ich mir nur einen Traumlosen Schlaf aus meinem persönlichen Vorräten holen und was muss ich sehen?“ Sie stutze und zuckte mit den Schultern, so dass er sie erleuchtete. „Es fehlen Basiliskenschuppen!“ Der Vorwurf benötigte einen Augenblick, bis Hermine ihn verarbeitet hatte und sich der Anschuldigung stellen konnte.
„Die wieder einmal ich genommen haben soll oder was?“, sprudelte es wütend aus ihr heraus. „Nein Severus, langsam reicht es. Immer wenn etwas fehlt, soll ich der Dieb sein.“
„Mmmh“, summte er, was in seiner jetzigen Verfassung sehr bedrohlich wirkte. „Das könnte eventuell daran liegen“, seine Stimme wurde lauter, „dass Sie sich schon mehrmals aus meinen Vorräten bedient haben, als wäre es ein Zutatengeschäft.“ Corvinus zuckte in seinem Gemälde zusammen.
„Ein Geschäft wäre bestimmt besser sortiert“, schoss sie zurück und sie bereute es, so schnippisch gewesen zu sein, denn damit brachte sie ihn nur noch mehr auf die Palme.
„Wer sonst sollte sich Basiliskenschuppen nehmen wollen? Ich bin mir sicher, dass es in diesem Schloss nur eine Handvoll Menschen gibt, die überhaupt wissen, um was es sich dabei handelt!“
„Harry war's“, warf sie salopp ein.
„Ja sicher...“ Er glaubte ihr nicht. „Was sollte er damit wollen? Seine Noten sprechen dagegen, sich mit solch ungewöhnlichen Komponenten freiwillig auseinandersetzen zu wollen. Aber vielleicht haben Sie ja Recht und er will er sich für das nächste Quidditch-Spiel ein paar Knieschützer daraus basteln?“
„Severus!“ Sie seufzte und versuchte, sich zu beruhigen. „Harry hat die Schuppen genommen, um mit den Wassermenschen einen Handel abzuschließen. Sie bekommen sie zurück! Er muss nur in die Kammer gehen. Alles, was da unten vergammelt, gehört Ihnen und es nimmt Ihnen auch keiner weg.“ Es war nicht ihre Absicht gewesen, ihn auf den Arm zu nehmen. Dass es ein Fehler gewesen war, machte er ihr auf der Stelle klar.
Nicht wie sonst drohte er leise, sondern aus voller Kehle: „Was fällt Ihnen ein, sich über mich lustig zu machen?“
Durch den Schlafmangel war Severus äußerst affektgeladen. Sie versuchte ihn milde zu stimmen, obwohl sie ahnte, dass es dafür längst zu spät war.
„Tun Sie mir einen Gefallen, Severus: Nehmen Sie Ihren Trank und gehen Sie schlafen. Wir reden morgen...“
„Das könnte Ihnen so passen!“, fiel er ihr Gift und Galle spuckend ins Wort. „Ich werde nicht zulassen, dass Sie mit Dingen experimentieren, die selbst für mich Neuland sind. Ich will auf der Stelle die Schuppen zurück!“
„Dann wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als kopfüber in den See zu springen, weil die Wassermenschen sie haben!“ Auch sie hielt mit ihrer Lautstärke nun nicht mehr zurück, Corvinus hingegen gab keinen Mucks von sich.
Severus' Blick fiel jetzt erst auf das Gemälde auf dem Sessel, dann auf die Unterlagen auf dem Tisch. Ihn beschlich das ungute Gefühl, sie könnte mit dem porträtierten Heiler über ihn und sein Problem geredet haben.
„Was tun Sie da überhaupt?“
Jetzt war Hermine wirklich wütend. „Das Fragen Sie? Ich schlag mir hier die Nacht um die Ohren, weil Sie mich darum gebeten haben, Ihre Berechnungen durchzusehen oder haben Sie das etwa schon vergessen? Das wäre nämlich schade, denn wir...“
Ein Zimmer weiter wälzte sich Remus im Bett hin und her. Von den erst dumpfen, dann immer lauter werdenden Stimmen war er aufgewacht. Verstehen konnte er kein Wort, aber er hörte, dass eine angemessene Zimmerlautstärke mit Füßen getreten wurde. Eine Weile hatte er gehofft, es würde sich von allein geben, aber mittlerweile war diese Hoffnung dahin. Hermine und wer auch immer hatten sich „warm geredet“, leisteten sich einen verbalen Schlagabtausch und das um...
Remus drehte sich und nahm die Uhr vom Nachttisch. Fünf Uhr morgens. Zum Aufstehen war ihm das zu früh, aber am Schlafen hinderte ihn die Streitigkeit im Nebenzimmer. Dösig überlegte Remus, ob er nebenan für Ruhe sorgen oder lieber versuchen sollte, die lauten Stimmen zu ignorieren.
Die Luft in Hermines Wohnzimmer war stetig dicker geworden. Sie hatte so schon den Kopf voll, aber sich jetzt auch noch mit einem aufgebrachten Severus befassen zu müssen, das war ihr zu viel.
„Warum sind Sie eigentlich hier, Severus? Nur um mir zu sagen, dass man Sie bestohlen hat? Ich habe es doch erklärt!“
„Und ich glaube Ihnen nicht!“ Severus hatte sich selbst belogen. Er glaubte ihr, aber er befürchtete, sie würde sich momentan mit dem „Ewigen See“ befassen.
„Lassen Sie mich bitte weiterarbeiten“, bat sie kraftlos.
Sein Blick fiel auf das Gemälde.
„Was sucht der hier?“
Hermine schaute zum Sessel hinüber. „Darf ich vorstellen: Das ist Mr. Corvinus Callidita und wir sind zusammen die Berechnungen für das Gegengift durchgegangen.“
„Sind Sie das?“ Severus kniff arrogant die Augen zusammen, bevor er Corvinus anblickte. „Und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?“ Gerade mal ein Wort hatte Hermine herausbringen können, da unterbrach Severus sie. „Habe ich das Wort an Sie gerichtet?“ Erneut den Herrn im Gemälde fixierend trat Severus einige Schritte an ihn heran. „Und? Was haben Sie erfahren?“
Corvinus schluckte aufgeregt. Seine Augen flackerten zwischen Hermine und dem Tränkemeister hin und her, bevor er sich zusammenriss und sagte: „Www-wir haben...“ Severus Augenbrauen schossen in die Höhe und seinem Gesichtsausdruck war die Frage zu entnehmen, ob das ein Scherz sein sollte. Trotzdem ihn der Tränkemeister einschüchterte, erklärte Corvinus weiter. „Wir haben Ihre...“ Eine Sprechblockade setzte ein. Corvinus' Lippen zuckten, seine Hände untermalten das nicht noch nicht gesagte Wort und Severus hatte im Gegenteil zu Hermine keine Geduld für so etwas.
Mit lapidarer Handbewegung winkte er Corvinus ab und richtete das Wort an Hermine: „Was soll der Unfug? Warum befassen Sie sich mit einem fehlerhaften Gemälde. Das würde ja Stunden dauern.“
Dass er mit seinen Worten einen Fehler begangen hatte, wurde ihm zuerst bewusst, als Hermine schockiert ihre Augen aufriss. Kurz darauf konnte er ihre Enttäuschung erkennen, gefolgt von einem Gesichtsausdruck, der ihm vor Augen hielt, mit seinem Verhalten bei ihr soeben Abscheu hervorgerufen zu haben.
„Sein Sie nicht so, Severus.“ Ihre Augen funkelten böse und zu seinem Erstaunen bleckte sie die Zähne. „Man bekommt sonst Eindruck, dass Sie erst vor Kurzem beim Fleischer waren.“ Sie äffte seine Stimme nach: „Ein Pfund Freundlichkeit bitte, wenn möglich drehen Sie es kurz durch den Fleischwolf.“ Seine Augenlider verengten sich zu schmalen Schlitzen, die jedem Erstklässler eine nasse Hose beschert hätte, doch sie ließ sich von seinem Gebaren nicht abschrecken. „Mr. Callidita ist mein Gast und ich werde nicht zulassen, dass Sie ihn auf diese Weise behandeln. Raus, gehen Sie!“ Sie deutete demonstrativ auf die Tür, doch Severus bewegte sich nicht, so dass ihre nächsten Worte schon wesentlich energischer klangen: „Das ist mein Zimmer, ich sagte raus!“ Um ihrer Aufforderung Nachdruck zu verleihen, warf sie mit einem der Kissen, die auf ihrer Couch lagen. Er fing es noch in der Luft und grinste fies.
„Wie goldig, jetzt werfen Sie mit Kissen.“ Blitzschnell zog sie ihren Zauberstab, weswegen er das Kissen fallen ließ und beide Hände in beschwichtigender Geste hob. „Ich gehe, keine Sorge. Sie können weiterhin mit Ihrem Gemälde liebäugeln und mit so vielen Plüschkissen um sich werfen, wie Sie es möchten.“
An der Tür angelangt erschrak Severus unmerklich, denn kaum hatte er seine Hand auf den Türknauf gelegt, klopfte es. Da er sowieso gehen wollte, öffnete er einfach und blickte in das müde und ungewohnt grimmige Gesicht seines Kollegen für die Pflege magischer Geschöpfe, der sogleich das Wort an beide richtete.
Remus legte eine Hand auf sein Herz und sagte gezwungen freundlich: „Ich bin der festen Überzeugung, dass – egal was ihr hier treibt – es auch leiser geht!“ Severus wollte gerade das Wort ergreifen, da verbat Remus ihm mit einem Fingerzeig den Mund. „Um fünf Uhr in der Früh darf ich sicherlich Rücksicht von meinen Kollegen erwarten.“ Als Hermine bewusst wurde, dass sie mit ihrer Streitigkeit Remus geweckt hatten, hielt sie sich vor Scham eine Hand vor den Mund. Remus schloss die Augen und atmete einmal tief durch. „Wenn sich das nächste Mal so eine hitzige Diskussion entfachen sollte, dann wäre ich wirklich außerordentlich dankbar“, Remus blickte einmal zu Hermine hinüber, weil er damit auch sie meinte, „wenn einer von euch prophylaktisch an einen Stillezauber denken könnte.“ Remus rang sich ein sein Lächeln ab, aber das wirkte so gekünstelt, dass sogar Severus klar wurde, eben über die Stränge geschlagen zu haben. „Danke“, war das letzte Wort des neuen Lehrers, bevor der sich auf den Rückweg in sein Zimmer machte.
Severus warf Hermine einen Schulterblick zu, bevor auch er hinaustrat. Auf dem Gang erblickte er nochmals Remus, der gerade an seiner Tür stand.
„Verzeihen Sie die Unannehmlichkeiten“, sagte Severus so verbissen, als hätte jemand diese Worte mit einer Saftpresse aus ihm herausgequetscht. Remus nickte ihm einmal wohlwollend zu, bevor er in seinem Zimmer verschwand.
Stumm saß Hermine in ihrem Zimmer und verfluchte die vorangegangene Situation. Ihr Herz schlug wie wild. Es war ihr unbegreiflich, warum Severus sie so angefahren hatte. Der Schlafmangel allein konnte nicht die Ursache sein, auch nicht die Tatsache, dass er erst jetzt die fehlenden Schuppen bemerkt hatte. Morgen würde sie dafür Harry eine Abreibung verpassen, denn der hatte versichert, neue Schuppen aus der Kammer zu besorgen.
„Ich werd' zu ihm gehen“, sagte Hermine mit niedergeschlagener Stimme. Corvinus konnte ihre Motivation nicht verstehen, blickte sie daher irritiert an. „Sein Sie ihm bitte nicht böse. Sie können mir glauben, dass er anderen Menschen schon viel übler zugesetzt hat.“
„Ihnen auch?“, wollte er wissen.
„Ganz besonders mir, würde ich sagen. Ich weiß nicht, warum ihm eine Laus über die Leber gelaufen ist. Er ist nicht immer so.“
„Wenn Sie meinen, Hermine. Ich kann ihn nicht leiden.“ Corvinus nahm einen Schluck von seinem Tee, doch als Hermine aufstand, da bat er: „Würden Sie mich in Sicherheit bringen?“
Sie stutzte. „Wovor?“ Er deutete in eine Richtung und Hermine erkannte das Problem: Fellini. Er wetzte seine Krallen gerade an einem Sisal-Kratzbrett. „Ja, natürlich. Ich werde Sie an die Wand hängen.“
Gesagt, getan. Corvinus fand sich über ihrem Kamin wieder und es schien, als hätte sein Gemälde schon immer dort gehangen.
In den Kerkern hatte Severus noch keinen Traumlosen Schlaf zu sich genommen. Er war wütend, aber die Ursache für seinen Zorn war ihm nicht ganz klar. Natürlich würde Hermine ihn nicht bestehlen. Nicht nachdem sie ihm all ihre Missetaten offen gelegt hatte. Sogar seinen Umhang hatte sie damals in Brand gesetzt, weil sie ihn für Harrys verrückt spielenden Besen beim Quidditch verantwortlich gemacht hatte. Severus schmunzelte. Solch ein Unterfangen hätte auch Lilys temperamentvollem Wesen entspringen können, besonders wenn er sich an das Ereignis mit den Knallfröschen in „Geschichte der Zauberei“ erinnerte. Das war das erste und einzige Mal gewesen, dass Professor Binns aus der Haut gefahren war – oder besser aus seinem Astralleib. Lily hatte zehn Punkte verloren, aber immerhin die Wette gewonnen, Professor Binns aus dem Konzept zu bringen.
Seufzend knetete er die Ohren von Harry, der nur mit einem Auge wach war und seinen Kopf auf Severus' Schenkel gelegt hatte. Sein Blick verweilte auf der leeren Kiste des Tagtraums und er wägte ab, ob er sich später einmal über das umfassende Angebot – die anderen Traumthemen – der Weasley-Zwillinge informieren sollte, da klopfte es.
Die Tür öffnete sich ohne eine verbale Aufforderung seinerseits, und Hermine trat herein. Ein gutes Zeichen war, dass sie die Tür leise hinter sich schloss. Ein weiteres gutes Zeichen war seiner Meinung nach ihr Gesichtsausdruck. Wut war nicht zu erkennen. Sie wirkte eher bekümmert, teilweise auch sehr abgeschlagen. Das letzte positive Anzeichen war, dass sie ihm in die Augen schaute, ihn nicht ignorierte. Sie setzte sich neben ihn, auch wenn dort wenig Platz war, doch die andere Hälfte des Sofas hatte der Hund für sich beansprucht.
Mit ruhiger Stimme machte sie ihm klar: „Ich will nicht streiten, das habe ich schon einmal gesagt.“ Sie seufzte und er bekam deswegen ein ganz schlechtes Gewissen. „Wenn Sie mich grundlos so zur Schnecke machen, dann lasse ich mir das nicht gefallen.“ Aufmerksam hörte er ihrer Ausführung zu. „Besonders schlimm fand ich, wie Sie mit Callidita umgesprungen sind. Das war mir unangenehm.“
„Das ist nur ein Gemälde“, rechtfertigte sich Severus. „Ich bin mir nicht einmal sicher, ob magische Gemälde Empfindungen haben können.“
„Das frage ich mich manchmal auch bei Ihnen.“ Ihre Worte waren nicht als Beleidigung gemeint, was ihre verzweifelte Stimme untermauerte. Sie blickte ihn eindringlich an. „Wenn es die Möglichkeit gäbe, Severus, dann würde ich die Freundlichkeit und die Herzensgüte aus Calliditas Gemälde hinauszaubern und ihn Sie hineinprügeln. Irgendwo zwischen Sarkasmus und Groll ist bestimmt noch etwas Platz für ein wenig Sanftmut“, sagte sie todernst und traurig, weswegen ihm zum ersten Mal bewusst wurde, was sie an seinem Wesen so sehr vermisste und es tat weh.
Müde und ausgelaugt lehnte sie sich zurück und dabei fiel ihr Blick auf die leere Schachtel von dem Tagtraum. Mit schnellem Griff hatte sie die Kiste auch schon in den Händen und las murmelnd: „Diese Überraschung beinhaltete den 'Kindheitstraum'.“ Sie stutzte, schaute erneut neben sich und sagte ein wenig aufgeregt: „Herrje, sind Sie deswegen so missgestimmt? Ich schwöre, dass George mir versichert hat, keiner der Tagträume würde negative Stimmung aufkommen lassen.“
„Nein, es war...“
Weil er sich selbst weitere Worte verbat, hakte sie nach. „Was haben Sie geträumt?“
„Was haben Sie in Nerhegeb gesehen?“ Die Gegenfrage stellte er so schnell, dass Hermine die Ahnung beschlich, sie hätte ihm schon länger auf der Zunge gebrannt.
„Das ist ein schlechter Tausch, Severus.“ Sie lächelte. „Ich hab kaum was gesehen, habe schnell weggeschaut. Sagen Sie schon, was haben Sie geträumt?“
„Das ist sehr persönlich.“
„Es ist nur ein Tagtraum, nichts Besonderes.“
„Hermine“, stöhnte er. „Es ist sehr persönlich.“
„In Ordnung, ich frag nicht länger.“
Die Box stellte sie wieder auf dem Tisch ab und wechselte das Thema.
„Mr. Callidita und ich haben eine Theorie.“ Mit hochgezogenen Augenbrauen zeigte er sein Interesse, so dass sie erzählte: „Die Berechnung von Ihnen war korrekt, aber wenn es nicht hilft, dann muss etwas in Pansys Körper sein, das noch immer 'Schlafes Bruder' in kleinen Dosen abgibt.“
Severus' Stirn schlug Falten. „Wie soll ich das verstehen?“
„Na ja, wir müssten es prüfen. Pansy wurde nur ein einziges Mal von Kopf bis Fuß untersucht und das auch nur von der Leichenbeschauerin. Professor Puddle hat bisher keine erneute Gesamtuntersuchung angeordnet.“
„Und?“
„Die Untersuchung bei der Leichenbeschau ist sehr oberflächlich, es sei denn, ein Mord wird vermutet und das war bei Pansy nicht der Fall. Was wir also im Mungos anregen sollten wäre eine umfangreiche Untersuchung auf mögliche Fremdkörper.“
„Warum habe ich das Gefühl, dass Sie schon eine Ahnung haben?“ Er rang sich ein Lächeln ab und war erstaunt, dass es ihm nicht einmal schwerfiel.
„Corvinus und ich glauben, dass womöglich die Spitze des Messers in Pansys Schulter zurückgeblieben ist. Es reicht ein kleines Stückchen abgesplittertes Metall, das mit Schlafes Bruder versetzt war und schon kann das Gegengift nicht helfen, weil sich die beiden Mittel im Wege stehen.“
Einen Moment lang überlegte Severus, bis er nickte.
„Es ist durchaus möglich, dass durch den extrem verlangsamten Blutkreislauf noch immer Schlafes Bruder von einem Fremdkörper abgegeben wird. Wir reden hier von minimalsten Mengen, von Nanolitern. Jedes Mal, wenn Miss Parkinson erwacht und ihr Blut wieder zirkuliert, breitet sich das Gift erneut aus.“ Er schüttelte den Kopf. „Dieser Trank ist ein wirklich geschmackloser Einfall, aus wissenschaftlicher Sicht aber äußerst durchdacht.“
„Ich hab nie angenommen, dass Bellatrix dumm gewesen war. Sie war sogar sehr clever, aber auch sehr gefährlich.“
Er nickte zustimmend. „Solche Eigenschaften machen einen Menschen unberechenbar.“
„Ich glaube sogar, sie war es gewesen, die...“ Ihre Kehle schnürte sich zusammen, doch sie hatte den Anfang gemacht und sie wusste, dass Severus nicht beendete Sätze hasste.
„Was hat Bellatrix getan?“, fragte er zaghaft nach.
Wie schon so oft wurden die Erinnerungen an den Moment, als sie und ihre Freunde von Inferi und Todessern umzingelt waren, so lebendig, dass kalter Schweiß auf Hermines Stirn ausbrach.
„Bellatrix war eine von den Todessern gewesen, die die Inferi geleitet haben, als wir den einen Abend...“ Sie schluckte, atmete tief durch. „Wir hatten unsere Lager aufgeschlagen. Luna und ich hatten Nachtwache.“ Unbewusst schlug Hermine ein Bein übers andere und verschränkte zusätzlich die Arme – eine ablehnende Haltung, die Severus aus eigener Erfahrung gut zu deuten wusste. „Luna musste mal. Sie war irgendwo in den Büschen, als ich die ersten Inferi gesehen habe. Da war auch dieses grauenvolle, wirklich widerliche gellende Lachen.“
„Bellatrix“, warf Severus mit ruhiger Stimme ein. Dieses Gelächter kannte er selbst.
„Ja.“ Hermine nickte und nutzte einen Moment, um sich die Worte zurechtzulegen, denn sie hatte bisher nur ein einziges Mal mit ihren Freunden darüber gesprochen, was damals geschehen war. „Die Inferi waren sehr leicht auszuschalten. Susan, Ginny, Fred und George hatten seit Jahren an einem wirkungsvollen Spruch gefeilt und den haben wir alle gelernt. Ich hab keine Todesser gesehen, musste aber die Inferi abwehren. Luna war noch nicht zurück. Ich hab geglaubt, ihr wäre etwas geschehen. Mein Patronus sollte die anderen warnen.“ Hermine seufzte. „Bellatrix hat nur darauf gewartet.“
„Worauf?“
„Dass es durch den Patronus so hell wird, dass sie mich bestens sehen konnte und da hat sie...“ Zittrig atmete Hermine ein und aus, bevor sie leise erzählte: „Sie hat mir ein Spinnenfeuer entgegengeschleudert.“
Blitzartig setzte sich Severus gerade hin. „Das ist nicht möglich. Den hätten Sie nicht überlebt.“ Er konnte sich noch gut an das Experiment mit Harry erinnern, als der Hermines Farbtrank eingenommen hatte und im Anschluss eine harmlose Pflanze mit dem alles verzehrenden Spinnenfeuer verbrannte.
„Ich hätte es auch nicht überlebt, aber Luna... Im ersten Moment wusste ich nicht, was sie getan hatte. Es hat auf jeden Fall noch mehr wehgetan als das Spinnenfeuer, aber es brannte nicht mehr.“
„Was hat Miss Lovegood angewandt? Soweit ich weiß, gibt es keinen Gegenzauber.“
Hermine schüttelte den Kopf. „Gibt es nicht. Luna hat improvisiert. Später im Mungos hat man mir erklärt, dass sie einen einfachen Haushaltszauber an meinem Bein angewandt hat.“
Severus war gleichermaßen neugierig und ergriffen. „Erzählen Sie!“
„Sie hat meinen Unterschenkel schockgefroren.“
Weil keine Reaktion kam, blickte Hermine neben sich. Severus war sichtlich verblüfft, brachte kein Wort mehr heraus. Für Hermine lockerte sich dadurch die Situation ein wenig.
„Das ist wirklich selten, dass Ihnen etwas die Sprache verschlägt“, stellte sie lächelnd fest.
Er blinzelte. „Das ist wirklich ungeheuerlich! Sie haben das Spinnenfeuer überlebt, Ihr Fall wäre bei Heilern auf der ganzen Welt Gold wert.“
„Nicht gerade Gold, aber ich hab's in die Juli-Ausgabe von 'Heile/rs Welt' gebracht. Na ja, nicht ich persönlich, aber immerhin meine Wade.“
„Tatsächlich? Darf ich mal sehen?“
„Die Ausgabe habe ich in meinem Zimmer.“
„Ich meinte ja auch das Original.“
„Nein!“ Außer Ron hatte sie niemandem nach diesem Vorfall freiwillig nochmal das Brandmal gezeigt.
Er schien die Situation einen Moment zu überdenken. „Ich versichere Ihnen, dass ich ein rein medizinisches Interesse an Ihrer Wade habe.“
Belustigt zog sie eine einzige Augenbraue in die Höhe. „Haben Sie das?“ Er nickte, doch gab trotzdem nicht nach. „Nein, Severus. Tut mir wirklich Leid, aber dazu bin ich nicht bereit. Ich zeig Ihnen morgen das Bild und den Artikel.“ Sie machte mit beiden Armen eine Geste, als würde sie ihm die Größe eines geangelten Fisches zeigen. „Ein laaanger Artikel.“
Demonstrativ schaute er auf seine Standuhr. „'Morgen' ist bereits seit Stunden eingetroffen. Wir sollten uns für das Frühstück fertigmachen.“
„Schon so spät?“
„Nein, 'schon so früh' würde es eher treffen. Wir sollten uns nach dem Frühstück kurz treffen und mit dem Mungos einen Termin ausmachen. Ich möchte Miss Parkinson sehen. Von mir aus kann Mr. Zabini uns begleiten.“
Hermine stimmte summend zu, machte aber keine Anstalten, wieder in ihr Zimmer zu gehen. Stattdessen seufzte sie, setzte das übergeschlagene Bein wieder auf dem Boden ab, behielt aber weiterhin die Arme vor der Brust verschränkt. Als sie ein zweites Mal seufzte, war das Schuldgefühl in Severus so groß geworden, dass er nach einer Möglichkeit suchte, sein vorangegangenes patziges Verhalten zu erklären.
Seine Stimme war leise, geradezu flehend. „Ich möchte nicht, dass Sie sich mit dem Ewigen See befassen. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, dass Sie den Trank nicht brauen müssen.“
„Wie fühlt es sich an?“ Ihre zögerlich gesprochene Frage konnte er nicht zuordnen.
„Wie fühlt sich was an?“
Einen Moment lang blieb sie stumm, so dass er schon vermutete, sie hätte die Frage fallen gelassen, doch sie wurde genauer und blickte ihm diesmal in die Augen. „Wie fühlt es sich an, nur noch einen kleinen Teil zu haben?“
Es ging über ihre Vorstellungsgabe hinaus. Die Frage, wie sich ein Leben mit einem kleinen Überbleibsel der Seele anfühlen könnte, konnte sie sich selbst nicht beantworten.
Nun war er es, der stumm blieb.
„Ich kann es mir nicht vorstellen“, gab sie kleinlaut zu, „aber ich würde es gern versuchen.“
„Ich werde es schwerlich erklären können.“
„Versuchen Sie es“, forderte sie mit sanfter Stimme.
„Hermine.“ Er atmete tief durch. In seinem Innern wusste er, dass Sie diejenige war, die eine Antwort verdiente. „Ich kann es nicht begreiflich machen. Es wäre ein genauso fruchtloser Versuch, einem Hauself die Freiheit nahebringen zu wollen.“
Sie blickte ihn entgeistert an. „Ist es das? Empfinden Sie es als Freiheit?“
Seine Schultern zuckten einmal. „In gewisser Weise ja.“
„In welcher Weise?“
Die Augen schließend ging er in sich, um seine Antwort wohl überlegt zu formulieren. „Ich bin befreit von hinderlichen Emotionen.“
Ein Blick zur Seite ließ ihn in große braune Augen schauen, aus denen man ablesen konnte, dass das Gesagte in ihrem schlauen Köpfchen verarbeitet wurde, sich der Sinn dahinter ihr jedoch nicht erschließen wollte.
„Welche hinderlichen Emotionen?“, wollte sie wissen.
„Was weiß ich...“ Er wollte es verharmlosen. „Mitgefühl, Sympathie, Begeisterung.“
Flüsternd, als wollte sie seine Antwort nicht wahrhaben, fragte sie nach: „Das sind hinderliche Emotionen für Sie?“
„Sie stehen im Weg, wenn man effektive Leistungen erbringen möchte“, erwiderte er kühl.
Ihre damaligen Vermutungen schienen sich zu bestätigen, doch sie fragte nach, um Gewissheit zu erlangen. „Damit Sie als Spion bei den Todessern bleiben konnten? Sie hätten es auch ohne diesen schrecklichen Trank geschafft.“
„Das bezweifle ich, Hermine“, sagte er so überzeugt, weswegen sie nicht daran rütteln wollte.
„Der Trank hat nicht so gewirkt, wie es es geglaubt haben oder?“ Er schüttelte den Kopf, weshalb sie nachhakte. „Was ist danebengegangen?“
„Das, was ich bewahrt habe“, seine Stimme bebte, „war der Teil, der im höchsten Maße empfindlich geblieben war. Mir ist das jedoch erst aufgefallen, als Harry auf der Bildfläche...“
Wortlos forderte sie ihn auf, seine Worte zu erklären, doch er hatte aufgegeben. Die damals so leichtfertig gefällte Entscheidung war mit einem Male schwer verständlich zu machen. Sie versuchte es an seiner Stelle und zwar mit ihren eigenen Worten.
„Ihr Tod hat starke Schuldgefühle in Ihnen ausgelöst und Sie waren niedergeschlagen.“ Viel leiser wagte sie hinzuzufügen: „Und vielleicht sogar suizidgef...“ In Windeseile drehte er seinen Kopf und blickte sie an, so dass sie ihren Mund abrupt schloss.
„Der Trank konnte das Schlimmste nehmen“, versuchte er ihr krampfhaft zu versichern.
„Und wie fühlt es sich an?“
Die gleiche Frage ihrerseits, doch diesmal blieb Severus ihr die Antwort nicht schuldig. Es war eine schauderhafte Antwort, die er ohne jegliche Empfindsamkeit geben konnte.
„Als würde man sterben.“
„Oh mein Gott“, hauchte sie erschüttert.
Ohne eine nach Gefühlsregung preiszugeben beteuerte er: „Kein Grund zur Sorge, Hermine. Es rührt mich nicht.“ Ihre Lippen begannen zu zittern, so dass er sich dazu verpflichtet fühlte, ihr zu empfehlen: „Und Ihnen sollte es auch nicht nahegehen. Bitte lassen Sie die Finger vom Ewigen See. Schon der Dunst beim Brauen wirkt auf das Empfinden ein. Setzen Sie sich dem nicht aus!“
Sie zog ihre Nase hoch und rang sich ein Lächeln ab. „Werde ich nicht, ich versprech's.“
„Danke.“
Dieses eine, so kurze Wort hatte all seine Erleichterung zum Ausdruck bringen können.
„Möchten Sie sich erst frischmachen, bevor wir in die große Halle gehen?“
Sie fand es ernüchternd, dass er so nebensächlich das Thema wechseln konnte. Seine distanzierte Art zu seinem eigenen Schicksal bewegte sie zutiefst, aber vielleicht, dachte sie, konnte er gar nicht andres.
In der großen Halle blickte Harry seine beste Freundin mit großen Augen an.
„Hermine“, sagte er völlig verdattert. „Du siehst ja völlig fertig aus!“
„Vielen Dank auch, Harry! Dir ebenfalls einen guten Morgen.“ Sie setzte sich neben ihn und stellte ihm als wortlose Aufforderung, ihr etwas einzuschenken, die Kaffeetasse vor die Nase. „Ich hab die Nacht durchgemacht. Warum fällt es nicht auf, dass Severus auch die ganze Nacht über kein Auge zugemacht hat?“
Harry beugte sich nach vorn und blickte seinen älteren Kollegen an, der fragend eine Augenbraue hob und auf die Antwort wartete, die Harry prompt gab und zwar schmunzelnd. „Severus sieht doch immer so aus.“ Severus' Augen verengten sich zu bedrohlich schmalen Schlitzen, weswegen Harry flugs noch hinzufügte: „Das war nur Spaß! Aber mal im Ernst Hermine, du siehst furchtbar aus. Dabei dachte ich schon, nur Remus sieht heute wie ein lebender Toter aus.“
Remus, der gar nicht weit weg saß, hatte das gehört und warf Hermine und Severus einen vorwurfsvollen Blick zu, äußerte sich jedoch nicht.
„Ist mir irgendwas entgangen?“ Harry hatte trotz des Toilettenganges in der Nacht prächtig geschlafen.
„Wir haben sehr wahrscheinlich den Grund dafür gefunden, warum Severus' Gegengift bei Pansy nicht gewirkt hat“, erklärte Hermine, die somit zumindest für Harry erklären konnte, womit sie sich in der Nacht beschäftigte hatte. Für Remus müsste sie sich etwas anderes einfallen lassen.
„Ich drücke euch die Daumen. Mir tut sie wirklich sehr Leid. Für Blaise und Berenice muss das eine schlimme Situation sein.“ Mit ihrer Antwort war Harry zufrieden, so dass er sich dem Frühstück widmen konnte, wenn auch wegen seiner Gedanken an Pansys Schicksal nicht mehr zu beschwingt.
An seinem Frühstück tat sich auch Lucius gütlich, doch es missfiel ihm, dass er nicht wie üblich allein an seinem Tisch sitzen und nebenbei den Klatsch und Tratsch lesen konnte, der im Tagespropheten zu finden war. Heute saß Mr. Duvall ihm gegenüber und er hatte tatsächlich mit seinem kecken Lächeln Schwester Marie ein Frühstück aus dem Ärmel leiern können.
Nach einem Schluck Kaffee ging der Beistand einige Unterlagen durch und sagte mit fester Stimme, während er auf ein bestimmtes Dokument deutete: „Das mit dem Imperiusfluch wird nicht schwer werden, Mr. Malfoy. Man kann Ihnen nicht beweisen, dass Sie nicht unter einem gestanden haben. Hier“, er überreichte Lucius das Pergamant, „1981 wurde Walden Macnair vorm Zaubergamot angeklagt und keine zwei Wochen später wieder freigesprochen. Auch ihm hatte man nicht nachweisen können, aus eigenen Stücken gehandelt zu haben oder durch Voldemort einem Imperiusfluch ausgesetzt gewesen zu sein.“ Sid blätterte einige Seiten weiter und murmelte: „Wäre Augustus Rookwood nicht von Igor Karkaroff verraten worden, hätte man ihn nicht überführen können.“
„Moment“, warf Lucius aufgebracht ein. „Was, wenn einer der ebenfalls in Haft befindlichen Todesser mich denunzieren wollte?“
Die Gelassenheit, die Sid ausstrahlte, hätte Lucius gern inne. Mit arroganter Miene hielt er dem Blonden eine Liste vor Augen.
„Jeder ist mit seiner eigenen Verhandlung beschäftigt, aber Ihre wird längst vorüber sein, bevor die anderen soweit sind, die ersten Aussagen zu machen. Glauben Sie mir, Mr. Malfoy: Niemand von denen würde sich erlauben, Ihren 'guten Namen' in den Schmutz zu ziehen.“
„Und warum sollten die mich mit Samthandschuhen anpacken?“
„Kein Grund so gnatzig zu werden, Mr. Malfoy. Überlegen Sie doch mal! Die können doch froh sein, dass sie selbst in Ruhe gelassen werden. Sollte einer von denen, wie zum Beispiel“, er las zufällig einen Namen von der Liste, „Adelmus Harrington so unüberlegt handeln und seine Mitgefangenen beschuldigen, dann könnte ihm das Gleiche blühen.“ Er legte die Liste mit den Namen aller inhaftierten Todesser zurück in seine Mappe. „Ich bin mir sicher, dass keiner einen anderen verraten würde. Denen liegt mehr an ihrem eigenen Wohl.“
„Haben die anderen schon einen Beistand?“, wollte Lucius wissen.
Sein Gegenüber grinste selbstgefällig. „Nein, man wählt die Beistände nun sorgfältiger aus. Ich habe wohl keinen guten Eindruck beim Gamot hinterlassen.“
Weil er unterdrückt lachte, hörte man von Lucius nur ein Schnaufen. „Dann passen wir ja bestens zueinander.“
Eine ganze Weile blickte Sid auf seine Unterlagen und Lucius wollte schon fragen, ob die Unterredung für heute beendet werden könnte, da blickte sein Beistand ihn so intensiv an, dass Lucius das erste Mal die strahlend blauen Augen auffielen, die so kontrastreich dem schwarzen Haar gegenüberstanden.
„Mr. Malfoy, was wissen Sie über die Verstecke der Todesser?“ Diese so ernsthaft gestellte Frage wirkte beinahe bedrohlich.
„Warum wollen Sie das wissen? Ich habe dem Minister und Mr. Shacklebolt alle Informationen...“
„Nein“, unterbrach Duvall, „haben Sie nicht. Sie haben keine Informationen mehr gegeben, seit man Ihnen heimlich Veritaserum verabreicht hat.“
„Weshalb fragen Sie?“ Lucius war skeptisch geworden.
„Sagen wir einfach, ich möchte nicht, dass man Ihnen zur Last legen könnte, Ihre flüchtigen Freunde weiterhin in Schutz zu nehmen.“
„Das meinen Sie nicht ernst! Außerdem bezeichne ich diese Männer nicht als meine Freunde!“ Seine Empörung ließ eine Ader an Lucius' Schläfe sichtbar pulsieren.
Dem bohrenden Blick seines Beistands wollte Lucius standhalten, doch als er seinen eigenen Blick abwenden musste, fragte Sid: „Wen schützen Sie?“
„Ich schütze niemanden, ich...“
Frech unterbrach der Beistand und sagte in einem Tonfall, den Lucius sich bei jedem anderen verbitten würde: „Den Akten ist zu entnehmen, dass Macnair einige Aussagen gemacht hatte, Aufenthaltsorte und Gebäude, doch die Auroren fanden nichts. Man vermutet jedoch einen Fidelius. Also“, Sid lehnte sich zu Lucius und forderte, „wen schützen Sie?“
Lucius biss sich auf die Zunge und versuchte, Sid mit einem Blick zur Strecke zu bringen, doch dessen Lippen formten nur ein gehässiges Lächeln.
„Sie baten das Ministerium einmal darum, bei Ihrer Frau nach dem Rechten zu sehen.“ Sid hob seine Augenbrauen. „Sie haben vermutet, dass die Lestrange-Brüder dort auftauchen könnten, nicht wahr, Mr. Malfoy? Schützen Sie die beiden, weil sie zu Ihrer Familie gehören?“
Die Muskeln in Lucius' Kiefer spannten sich an, bevor er fauchte: „Ich schütze Sie nicht! Ich werde nur nichts tun, dass man sie fängt, denn eines sage ich Ihnen, Mr. Duvall“, diesmal beugte sich Lucius nach vorn, „den beiden möchten Sie bestimmt nicht über den Weg laufen! Ich bin mir sicher, dass sie sich aus jeder Gefangenschaft befreien können und deswegen werde ich mich selbst und meine Familie nicht auf deren schwarze Liste setzen, nur weil ich meine Haft damit verkürzen könnte, indem ich sie ausliefere!“
„Das, Mr. Malfoy, werden wir beide vor dem nächsten Anhörungstermin noch regeln müssen.“
„Da gibt es nichts zu regeln!“
„Das sehe ich anders.“
Das Frühstück war beendet. Sid ließ einen Lucius zurück, der momentan verfluchte, so einen Federfuchser als Beistand zu haben. Er hoffte, nein er flehte, dass Duvall keine schlafenden Hunde wecken würde.
Beendet war auch das Frühstück in Hogwarts. Die Schüler hatten sich bereits auf den Weg zu ihren Klassenräumen gemacht. Hermine und Severus verließen gefolgt von Harry und Remus die große Halle, doch kaum waren sie durch die Tür gegangen, drehte sich Severus um.
„Harry, hätten Sie einen Augenblick Zeit?“
Ein ungutes Gefühl überkam ihn, als er Severus' Blick zu deuten versuchte. Er sah sich plötzlich in seine eigene Schulzeit zurückversetzt und schien eine Rüge zu erwarten. Harry nickte und folgte Severus ein paar Schritte den Gang hinunter.
„Was gibt’s?“, fragte er, obwohl er es gar nicht wissen wollte
„Sie haben mich bestohlen!“
Innerlich war Harry nun definitiv wieder der Schüler von damals, nur diesmal ohne eine Ausrede parat zu haben. Kleinlaut gab er zu: „Ach ja, die Schuppen.“
„'Ach ja'? Als würde es Ihnen jetzt erst wieder einfallen! Das ist eine Frechheit sondergleichen. Wie können Sie es wagen?“
„Tut mir Leid, Sir“, murmelte Harry verlegen, während er zu Boden blickte und mit einem Fuß ein Steinchen wegkickte.
„'Tut mir Leid, Sir'“, äffte Severus ihn mit provokant dämlichen Unterton nach. „Das macht dreißig Punkte Abzug und zwei Wochenenden mit Filch!“
Harry seufzte. „Ja, Sir.“ Dann stutzte er. „Moment, ich bin hier Lehrer.“ Er blickte auf. „Sie können mir gar keine Punkte abziehen!“
Ein fieses Grinsen schlug sich auf dem fahlen Gesicht nieder. „Nein, kann ich nicht, aber es war allein schon eine große Genugtuung zu erleben, dass Sie für einen winzigen Augenblick tatsächlich gedacht haben“, Severus kam ein wenig näher, „ich könnte!“
Ernüchtert schüttelte Harry den Kopf, musste aber schmunzeln. „An so etwas finden Sie Gefallen, ja?“
„Ja!“, kam als knappe und zufrieden klingende Antwort.
Hermine stand die ganze Zeit über mit Remus zusammen und versuchte, sich für die Lärmbelästigung letzter Nacht zu entschuldigen.
„Remus, ich hab wirklich nicht dran gedacht, dass man uns hören könnte.“
„Was habt Ihr um diese Zeit überhaupt...?“ Er schüttelte den Kopf. „Geht mich ja nichts an.“
„Wir haben nur diskutiert“, wollte sie ihm weismachen. Er schnaufte und schaute ihr direkt in die Augen, doch sie schaute verlegen weg.
„Nur diskutiert, ja? Ich denke ich weiß, was da los ist.“ Zum Ende hin war er leiser geworden, so dass sie nachfragte.
„Was wo los ist?“
„Eure 'Diskussionen', die Auseinandersetzungen, eure gegenseitigen Provokationen“, zählte er auf. „Es ist ein Wunder, dass bisher keiner von euch beiden in einer Papiertüte zum Krankenflügel gebracht werden musste.“
„Na, so schlimm ist es ja nun auch nicht“, verteidigte sie sich nörgelnd. „Es eskaliert ja nie.“
„Von wegen! Ihr habt euch in den Haaren, dass es nur so kracht, aber ihr rauft euch am Ende immer wieder zusammen.“
„Weil wir eben erwachsen sind und miteinander reden können.“
Remus schüttelte den Kopf, was Hermine irritierte. „Nein Hermine, das hat meines Erachtens mit etwas ganz anderem zu tun.“ Seine Augen suchten etwas in den ihren, doch er fand es nicht. „Du hast keine Ahnung?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“
Ein mildes Lächeln huschte über seine Lippen, seine Augen leuchteten gutmütig. „Ich denke, zwischen euch beiden herrscht eine so hohe Spannung“, er schüttelte den Kopf, weil er nicht glauben konnte, dass sie es selbst nicht sah, „dass man damit ganz Hogwarts mit Strom versorgen könnte.“
Noch immer beobachte er ihre Augen, und er erkannte erst Verständnislosigkeit, doch dann gebrauchte sie ihren Verstand und mit einem Male waren ihre Gesichtszüge durch Erkenntnis geprägt. Hermine wollte sich dazu äußern, wollte alles dementieren, doch als sich ihre Lippen öffneten, wurde ihre Sprache von einem überraschten Seufzer überrumpelt.
Hinter Hermine sah Remus, dass Harry und Severus ihr Gespräch beendet hatten, so dass er sich von ihr verabschiedete und sie verdattert zurückließ. Noch immer war sie sprachlos, bemerkte nicht einmal, dass Severus neben ihr stand. Erst durch seine Frage gewann sie die Fassung wieder.
„Ist alles in Ordnung?“ Er klang besorgt. Hermine traute sich nicht einmal, ihn anzusehen. Stattdessen nickte sie heftig, blickte dabei zu Boden. „Hermine?“
„Alles...“ Sie räusperte sich. „Alles in Ordnung.“
„Was wollte Lupin?“ Severus legte eine Hand auf ihre Schulter, um sie dazu aufzufordern, mit ihm zu gehen. Er hatte nicht darüber hinwegsehen können, dass sie aufgrund der Berührung zusammengefahren war. „Hermine, was wollte Lupin?“
„Er hat nur gemeint“, so unsicher hatte ihre Stimme selten geklungen, „dass Hogwarts vielleicht ans hiesige Energieversorgungsnetz angeschlossen werden sollte.“ Es würde schon nicht auffallen, wenn sie Remus' Worte ein wenig verdrehte.
Abrupt blieb Severus stehen, als würde er seinen Ohren nicht trauen. „Der Mann wurde offensichtlich doch mit dem Klammerbeutel gepudert. Er müsste doch wissen, dass Magie elektrische und elektronische Geräte stören kann. Weiß er das denn nicht?“ Kraftlos hob sie die Schultern, die sie gleich darauf wieder hängen ließ, bevor sie ihm folgte.
Über den Kamin erfuhren sie vom Mungos, dass Blaise samt Tochter gerade bei Pansy zu Besuch war.
„Severus, warum haben Sie denen nicht gesagt was wir vorhaben?“
„Weil ich mir erst selbst ein Bild von der Gesamtsituation machen möchten. Kommen Sie!“ Er hielt ihr seine Hand entgegen, um ihr in den Kamin zu helfen, obwohl die kleine Erhebung an der Feuerstelle nicht schwer zu überwinden war.
„Was ist mit Ihrem Unterricht?“
„Der beginnt heute später.“
Im Mungos wurden Severus und Hermine von einer freundlich dreinblickenden Schwester in Empfang genommen, auf deren Namensschild man „Marie Amabilis“ ablesen konnte.
„Mr. Zabini wartet schon auf Sie“, sagte sie mit einem Lächeln.
Der Anblick, der sich ihr im Krankenzimmer bot, ließ Hermine nicht kalt. Die kleine Berenice saß im Schneidersitz auf dem Bett dicht bei der Mama und malte ein Bild, erzählte dabei immerfort, was sie in den letzten Tagen mit ihrem Vater unternommen hatte. Blaise saß neben dem Bett auf einem Stuhl und hielt Pansys regungslose Hand. Sein Daumen strich zart über ihren Handrücken, während er seiner Tochter lauschte. Er schien so sehr in Gedanken zu sein, dass er die Schwester erst bemerkte, als sie ihn ansprach.
„Mr. Zabini, die beiden Besucher sind hier.“ Sein Kopf schnellte hoch, danach er selbst, als er sich von seinem Stuhl erhob und sich den dreien näherte. Berenice war verstummt und hatte aufgehört zu malen.
„Hermine, Professor Snape.“ Beiden gab er die Hand, bevor er das Wort an seinen ehemaligen richtete. „Ich wollte mich bei Ihnen schon melden, aber Schwester Marie sagte, dass Sie kommen wollten.“
„Ganz recht“, antwortete Severus und blickte die genannte Schwester an. „Wenn Sie uns mit Mr. Zabini allein lassen würden?“
„Selbstverständlich.“
Die Schwester war gegangen, da forderte Severus ohne Umschweife: „Helfen Sie mir, Miss Parkinson auf die Seite zu drehen. Ich möchte mir die alte Stichwunde ansehen.“
Blaise verharrte für einen Moment an Ort und Stelle, bevor er irritiert vorschlug: „Wir könnten sie mit einem Zauberspruch umdrehen.“
Dazu erklärte Hermine: „Nein, das würde den Alarm im Schwesternzimmer auslösen.“ Da Blaise nicht zu verstehen schien, schilderte Hermine: „Wir vermuten, dass etwas von der Klinge in ihrer Schulter zurückgeblieben ist, was dafür verantwortlich sein könnte, dass das Gegenmittel nicht hilft, weil das Gift noch immer abgegeben wird, wenn auch nur in kleinsten Mengen. Du kennst doch den Spruch 'Dosis sola venenum facit'?“
Blaise nickte. „'Allein die Menge macht das Gift'. Wenn das wahr ist...“
Er atmete tief durch und Hermine sah sich gezwungen, die Alternative zu nennen: „Wir können natürlich auch die Professoren darum bitten, Pansy noch einmal zu untersuchen, diesmal aber gründlich.“
Damit Blaise erst gar keine Bedenken äußern konnte, warf Severus trocken ein: „Miss Granger ist Heilerin, hat sogar hier im Mungos ihre Prüfung absolviert.“
„Tatsächlich?“ Blaise schaute sie Respekt zollend an, weswegen sie zuversichtlich nickte. „Dann sehe ich kein Problem.“ An seine Tochter gewandt bat er: „Gehst du bitte vom Bett hinunter?“
Berenice gehorchte ihrem Vater ohne Murren und setzte sich mit ihrem Malblock an den Tisch, achtete aber mit wachen Augen darauf, was die Erwachsenen wohl anstellen würden. Zusammen mit Hermine drehte Blaise die Patientin auf Muggelart um, was ein wenig Zeit in Anspruch nahm, denn Pansy konnte natürlich nicht mithelfen. Er sprach die ganze Zeit über mit ihr, schilderte genau, was sie vorhatten. Das Nachthemd zog er hinauf, um den Rücken zu entblößen, während Hermine darauf achtete, dass die Bettdecke keine pikanten Stellen des nackten Körpers freigeben würde. Die kleine weiße Narbe war auf der blassen Haut, die seit langer Zeit kein Sonnenbad mehr erfahren durfte, kaum zu sehen. Severus näherte sich nun dem Bett, Blaise machte ihm ohne Aufforderung Platz.
„Ah ja“, murmelte Severus, bevor er eine Hand hob und mit seinen gelblichen Fingerkuppen die Narbe berührte, dann das umliegende Gewebe abtastete. Derweil blickte er überall woanders hin, nur nicht auf den Rücken, den er befühlte, denn so konnte er sich besser konzentrieren. Nach einem Moment wandte er sich, die Finger noch immer auf Pansys Rücken liegend, an Hermine. „Hier ist eine Verhärtung. Es liegt an Ihnen zu bestimmen, ob es sich um starres Narbengewebe handelt oder um das, was wir suchen.“
„Zeigen Sie mal.“
Sie konnte sehen, dass sein Zeigefinger etwas rechts von der Narbe lag. Ihr eigener Finger nahm die gleiche Stelle ein. Sie drückte vorsichtig und bewegte ihn sanft in kreisförmigen Bewegungen.
„Ja, das könnte was sein. Holen wir die Professoren?“, fragte sie.
Er zog eine Augenbraue in die Höhe. „Wozu? Sie können das genauso gut jetzt gleich entfernen. Ich würde das Stück Metall gern mitnehmen!“
„Warum denn das?“
„Weil an dieser Messerspitze noch der ursprüngliche Trank aus dem Hause Lestrange haftet. Ich möchte ihn genau analysieren und herausfinden, ob die Modifikation des Trankes tatsächlich die ist, auf die man aufgrund der Blutanalyse gekommen ist.“
Hermine warf Blaise einen fragenden Blick zu. Zu ihrem Erstaunen nickte er.
An ihren Professor gewandt sagte sie: „Aber wenn ich das Objekt mit einem Zauber entferne, dann wird der Alarm losgehen!“
„Dann holen Sie es auf altmodische Art und Weise. Ich vermute nicht, dass der Alarm aktiviert wird, wenn Sie nur einen Desinfektionszauber sprechen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Dann desinfizieren Sie die Stelle. Der Gegenstand befindet sich nur wenige Millimeter unter der Haut.“
Von dem Gespräch wachgerüttelt fragte Blaise aufgebracht: „Schneiden Sie es heraus?“
Hermine nickte. „Es wird, wenn überhaupt, nur ein wenig brennen, aber große Schmerzen wird sie nicht haben.“
„Ich will nicht, dass sie überhaupt Schmerzen...“
„Mr. Zabini!“ Severus Stimme wirkte noch genauso einschüchternd wie im Klassenzimmer, denn Blaise verstummte auf der Stelle und hörte aufmerksam zu. „Ich bin mir sicher, dass Miss Parkinson allein aufgrund der Aussicht auf Genesung den kurzen Schmerz liebend gern ertragen möchte.“
„Kann man die Stelle nicht per Zauber betäuben?“
„Nein, der Alarm geht bei solchen Sprüchen auf jeden Fall los. Seit dem Krieg sind die Schutzmaßnahmen für den Patienten extrem erweitert worden. Kaum ein Zauberspruch im Krankenzimmer bleibt unerkannt.“
Der junge Mann schien sich das durch den Kopf gehen zu lassen.
„Dann holen wir lieber die Professoren.“
Darüber schien Severus wütend zu werden. „Gut, wie Sie meinen!“ Gerade wollte er zur Tür hinaus, da hielt Blaise ihn auf.
„Nein, machen Sie es. Jetzt! Je schneller...“ Er fuhr sich mit einer Hand durch die schwarzen Locken. „Machen Sie schon“, flüsterte er und man konnte heraushören, dass ihm nicht ganz wohl bei der Sache war.
Um ihm die Sorge zu nehmen, erklärte Hermine: „Es ist ähnlich, als würde man sich einen Finger an Papier schneiden, Blaise. Mach dir keine Gedanken. Der Schnitt wird nicht tief.“
Hermine desinfizierte die Hautpartie und ihr Messer, dass sie seit ihrem Geburtstag immer in ihrer Tasche mit sich herumtrug, doch dann stutzte sie.
„Das Messer schneidet nichts Lebendiges, das hat Draco gesagt. Wir brauchen ein anderes.“
Severus schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht. Der Zauber, der auf Ihrem Messer liegt, wird nicht so ausgeklügelt sein und bei Miss Parkinsons Körper den minimalen Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen können, wenn sogar die Heiler es nicht bemerkt haben. So teuer war das Geburtstagsgeschenk nun auch wieder nicht.“
„Ich kann es ja versuchen“, murmelte sie, bevor sie ihre Hände, Pansys Rücken und das Messer nochmals desinfizierte und mit einem winzigen Schnitt begann.
Die Klinge drang tatsächlich durch die Haut. Hermine musste kaum Druck ausüben. Man hörte ein leises, kratzendes metallenes Geräusch, als die Klinge ihres Messers auf die abgebrochene Spitze in Pansys Rücken traf.
„Es blutet nicht“, sagte Blaise beeindruckt.
Severus fühlte sich dazu aufgefordert, mit lehrerhafter Stimme zu vermitteln: „Ohne einen anständigen Kreislauf würde Miss Parkinson nicht einmal verbluten, sollte sie eine ansonsten tödliche Wunde aufweisen. Das Blut zirkuliert ja kaum, weswegen es auch nicht austreten kann“, an Hermines Messer war etwas Rotes zu sehen, „oder nur extrem wenig.“ Er hielt ihr eine metallene Schale entgegen. „Wenn Sie es haben, dann bloß nicht anfassen.“
Mit der Spitze bohrte Hermine in dem eben zugefügten Schnitt herum, so dass sich Blaise abwenden musste. Sie musste daran denken, dass einige Kratzer, die sie von Sveltes Kniesel erhalten hatte, nicht nur länger, sondern auch tiefer gewesen waren.
„Hier ist es, es ist wirklich ein Stück Metall!“ Sie präsentierte den kleinen Splitter auf der Klinge balancierend, bevor sie ihn in der Schale abklopfte.
Interessiert hatte Blaise den letzten Vorgang beobachtet, bevor er fragte: „Wie lange wird es dauern, bis sie aufwacht?“
„Miss Parkinson sollte jeden Moment..“
Man hörte ein leises Stöhnen.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
~ Muggelchen.net ~
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- Sonea Ginevra Inava
- Drache
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- Registriert: 23.11.2010 12:04
Re: Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit (168)
Da ich erst vor kurzem angefangen habe zu lesen, bin ich erst bei Kapitel 61, kann also nur bis dahin kommentieren.
Ich finde die Story bisher sehr gut, und dein Schreibstil ist eigentlich auch ganz gut
Nur zwei Anmerkungen: Die Perspektivsprünge stören, weil man nicht sofort erkennt ob jetzt eher aus Severus, oder aus Harrys Perspektive geschrieben wird, als ein Besipiel.
Und ansonsten hast du manchmal Wiederholungen in der Wortwahl drin. Also, dass zum Besipiel in zwei Sätzen hintereinander "Hereinkommen" verwendet wird oder mehrfache Verwendung von "war" in einem Satz. [Edit: mal was konkretes dazu : Er würde sich bei Rosalind zunächst ins Gedächtnis zurückrufen. ’Sie hat doch bald Geburtstag’, rief sich Lucius ins Gedächtnis. Kapitel 94.] Ich habe bei eigenen Geschichten früher auch häufig unbewusst solch Fehler gemacht und das ist mir beim Korrekturlesen nie aufgefallen. Erst seit dem ich die Werbetexte meiner Ma gegenlese, hab ich da auch bei eigenen Texten ein Auge für. ;)
Ansonsten bin ich schon auf die nächsten 100 Kapitel gespannt. ;) Vielleicht kommentiere ich auch ab und zu nochmal.
Achja zu deinen Pairings: Harry und Ginny sind natürlich super. Draco und Susan gefallen mir auch. Schade, dass Hermine und Ron bei dir doch nicht zusammen passen.. Es schaut ja immer mal wieder so aus, als würde da was aus Hermine & Severus werden, wo ich gaanz stark gegen bin, irgendwie - nö.
Ach, Sirius und seine Freundin sind auch toll. Und ich fand ihre Beschwerde ans Ministerium super.. Ich hoffe doch sehr, dass Sirius die ihm fehlenden Jahre noch irgendwie aufholt, der Arme tut mir voll Leid.
Edit (Ein paar Kapitel weiter):
Harrys Antrag ist echt süß.
Angelina und Ron sind mir da doch zu hastig gewesen
Wobei ich die Anmerkung, dass Angelina und Fred ähnliche Probleme hatten echt gut fand. ;) Nur dann wieder Sev, nein da bin ich gegen
Der Prof, der neue, wäre doch viel besser
- Aber gut die Geschichte ist geschrieben, vielleicht werde ich ja auch noch ein Hermine-Sev-Fan, bisher hat das noch kein FF-Autor geschafft.
Edit die 2. (noch ein paar Kapitel weiter):
Bin ich eigentlich die einzige Leserin, die Mitleid mit Sirius hat? Mein Gott er war ein Arsch, aber ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass sich sowas von einem Jahr aufs andere verändern kann. Manche Leute machen einfache einen Sprung, und sie können einen davor aufs übelste fertig gemacht habe, plötzlich versteht man sich zumindest, muss ja nicht gleich die innigste Freundschaft draus werden. ;) Und da Sirius mein absoluter Liebling ist, können selbst die schlimmsten Storys über ihn nichts daran ändern. James hat ja auch eine Wandlung durchlebt, ich bezweifel, dass es nur ein Zusammenreißen in Gegenwart von Lily war.
Ich finde die Story bisher sehr gut, und dein Schreibstil ist eigentlich auch ganz gut
Nur zwei Anmerkungen: Die Perspektivsprünge stören, weil man nicht sofort erkennt ob jetzt eher aus Severus, oder aus Harrys Perspektive geschrieben wird, als ein Besipiel.
Und ansonsten hast du manchmal Wiederholungen in der Wortwahl drin. Also, dass zum Besipiel in zwei Sätzen hintereinander "Hereinkommen" verwendet wird oder mehrfache Verwendung von "war" in einem Satz. [Edit: mal was konkretes dazu : Er würde sich bei Rosalind zunächst ins Gedächtnis zurückrufen. ’Sie hat doch bald Geburtstag’, rief sich Lucius ins Gedächtnis. Kapitel 94.] Ich habe bei eigenen Geschichten früher auch häufig unbewusst solch Fehler gemacht und das ist mir beim Korrekturlesen nie aufgefallen. Erst seit dem ich die Werbetexte meiner Ma gegenlese, hab ich da auch bei eigenen Texten ein Auge für. ;)
Ansonsten bin ich schon auf die nächsten 100 Kapitel gespannt. ;) Vielleicht kommentiere ich auch ab und zu nochmal.
Achja zu deinen Pairings: Harry und Ginny sind natürlich super. Draco und Susan gefallen mir auch. Schade, dass Hermine und Ron bei dir doch nicht zusammen passen.. Es schaut ja immer mal wieder so aus, als würde da was aus Hermine & Severus werden, wo ich gaanz stark gegen bin, irgendwie - nö.

Edit (Ein paar Kapitel weiter):
Harrys Antrag ist echt süß.




Edit die 2. (noch ein paar Kapitel weiter):
Bin ich eigentlich die einzige Leserin, die Mitleid mit Sirius hat? Mein Gott er war ein Arsch, aber ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass sich sowas von einem Jahr aufs andere verändern kann. Manche Leute machen einfache einen Sprung, und sie können einen davor aufs übelste fertig gemacht habe, plötzlich versteht man sich zumindest, muss ja nicht gleich die innigste Freundschaft draus werden. ;) Und da Sirius mein absoluter Liebling ist, können selbst die schlimmsten Storys über ihn nichts daran ändern. James hat ja auch eine Wandlung durchlebt, ich bezweifel, dass es nur ein Zusammenreißen in Gegenwart von Lily war.
Every villain is a hero in his own mind.
Tom Hiddleston
Tom Hiddleston