
Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - BEENDET
Moderator: Modis
Re: Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit (155)
also jetzt brauch ich aber bald mal ganz dringend das nächste kapitel, sonst weiß ich ja gar nicht mehr, wodrums in dem letzten ging
aber ich brauch ja auch nicht mehr zu sagen, dass die kapitel alle super sind!

- Muggelchen
- Eule
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Hallo Là,
tut mir wirklich leid, dass ich momentan etwas kürzer trete. Habe mir den Fuß gebrochen und kann nicht lange sitzen. Aber ich bessere mich, versprochen.
Hier also das neue Kapitel. Es wird lustig und spannend. Severus ist diesmal voll in seinem Element
LG, Muggelchen
156 Kammer ohne Schrecken
Eine der Zutaten, die in der Blutprobe von Pansy Parkinson gefunden worden war und die von dem von Bellatrix Lestrange modifizierten Trank namens „Schlafes Bruder“ herrühren musste, stammte laut der Untersuchung des Mungos von einem Basilisk. Es war äußerst selten, Material dieser Riesenschlange in die Finger zu bekommen, was natürlich damit zusammenhing, dass man sich dieser magischen Kreatur nicht nähern konnte, ohne das Risiko einzugehen versteinert, vergiftet oder verschlugen zu werden. Zudem wusste man kaum etwas über die Existenz dieser Schlangen, die einem Hühnerei entsprangen, wenn eine Kröte es ausgebrütet hatte. Alle anderen in der Blutprobe gefundenen Restbestände von Trankzutaten zählten nicht zu den ungewöhnlichen, jedoch zu den schwarzmagischen; Severus kannte sie alle.
„Professor Snape?“ Blaise wartete, bis er angesehen wurde. „Dürfte ich Sie wohl einen Moment unter vier Augen sprechen?“
Beleidigt darüber, dass sie ausgeschlossen wurde, war Hermine nicht, aber neugierig und so beobachtete sie, wie Severus und Blaise sich in eine Ecke des Labors begaben, um miteinander zu reden.
„Mr. Zabini?“ Severus hielt sich kurz und forderte den jungen Mann, einst einer seiner besten Schüler, dazu auf zur Sache zu kommen.
„Ich wollte mich erkundigen, ob Sie eventuell etwas von dem Verbleib meiner ehemaligen Mitschüler wissen“, fragte Blaise verdächtig oberflächlich. Severus blickte ihn einen Moment lang mit regungsloser Miene an und Blaise konnte dem Augenkontakt nicht standhalten, weswegen er kurz zur Wand schaute.
Einmal tief durchatmend sagte Severus: „Ich nehme an, dass Sie sich über das Schicksal eines bestimmten Schülers oder einer bestimmten Schülerin erkundigen möchten. Es wäre daher wesentlich einfacher und vor allem könnte ich Ihnen viel zügiger eine Antwort geben, wüsste ich, um wen es sich spezifisch handelt.“
Severus hatte mitten ins Schwarze getroffen, was er an dem Gesichtsausdruck des dunkelhäutigen jungen Mannes genau erkennen konnte, denn es war Unsicherheit zu sehen und auch ein wenig Furcht.
Nachdem Blaise einmal kräftig geschluckt hatte, schaute er zunächst zu Hermine hinüber, die in den Unterlagen des Mungos vertieft schien, bevor er sein Gegenüber anblickte und zaghaft offenbarte: „Ich meine Mr. Gregory Goyle.“
Mit ruhiger, dennoch fordernder Stimme fragte Severus langsam: „Mr. Goyle junior? Glauben Sie, ich pflege weiterhin so einen Umgang oder…?“
„Nein!“, beruhigte Blaise schnell und etwas eingeschüchtert, obwohl Severus sich Mühe gegeben hatte nicht angsteinflössend zu wirken. „Ich denke nur“, begann Blaise mit nicht sehr fester Stimme, „dass Sie über solche Dinge informiert sein könnten. Wenn nicht…“
„Darf ich fragen“, unterbrach Severus, „warum Sie sich für das Schicksal von Mr. Goyle interessieren?“
Es war nicht zu übersehen, dass Blaise mit sich im Zwiespalt stand. Einerseits wollte er seinem ehemaligen Lehrer ehrlich gegenüber sein, denn immerhin hatte der – das wusste Blaise aus den alten Ausgaben des Tagespropheten – den Orden des Merlin erhalten; erster Klasse. Andererseits befürchtete er, dass man Pansy und ihn zur Rechenschaft ziehen könnte.
„Mr. Zabini“, sagte Severus mit ungewohnt vertraulicher Stimme. „Sie brauchen nicht zu mutmaßen, dass ich Sie – weshalb auch immer – beim Ministerium anschwärzen werde. Ich habe Mr. Goyle vor gar nicht allzu langer Zeit gesehen, doch bevor ich Ihnen Informationen gebe, die äußerst vertraulich sind, muss ich erfahren…“
„Wir haben ihn getroffen“, brach es auch Blaise heraus. „Zuerst bin ich Pansy über den Weg gelaufen. Wir hatten beide das gleiche Ziel: ein Gutshof in Peninver, der unter Fidelius stehen sollte, ein Zufluchtsort.“ Blaise redete so schnell, dass er sich verhaspelte. „Eine ganz schöne Strecke zu Fuß, aber das Ministerium und die Todesser haben alle Apparationen überwacht, alle Zauberstabnutzungen registriert… Wir haben auf dem Weg Gregory gefunden. Er war in einem schrecklichen Zustand gewesen. Sein Vater hätte das getan, sagte er. Wir haben ihn mitgenommen.“ Aufgeregt atmend beteuerte Blaise: „Erst als wir ihn gebadet haben, da haben wir gesehen, dass er das dunkle Mal trägt. Wir wussten nicht, dass er ein Todesser war. Hätten wir ihn einfach zurückgelassen, dass wäre er gestorben.“ Nun viel bestimmender fügte Blaise hinzu: „Das kann man uns nicht zur Last legen!“
„Ich, Mr. Zabini, bin nun wirklich der Letzte, der Ihnen Ihre Hilfsbereitschaft zum Vorwurf machen würde.“ Die paar Worte hatten bei Blaise wahre Wunder bewirkt, denn er hatte sich schnell wieder gefangen. „Was ist mit Mr. Goyle geschehen?“ Severus fragte sehr behutsam, er wollte nicht drängen.
Blaise fuhr sich durchs kurze, naturgewellte Haar und blickte zu Boden, um sich die Erlebnisse ins Gedächtnis zurückzurufen.
„Wir waren in der Nähe von Minard Castle, als wir uns völlig unvorhergesehen mitten in einem Gefecht wiederfanden.“
„Ein Gefecht? Sind Ihnen Todesser gefolgt?“, fragte Severus neugierig.
„Ja und nein, anfangs sind sie uns gefolgt, aber wir haben uns versteckt; die müssen uns überholt haben. Wir ahnten, dass die allen Zauberern und Hexen auflauerten, die auf dem Weg nach Peninver waren, um dort Unterschlupf zu finden. Unsere Verfolger, es waren drei Männer und eine Frau, sind auf ein paar Muggel gestoßen“, Blaise’ Augen wurden ganz groß und seine Stimme zeugte von Respekt, „und ich schwöre, ich habe nie zuvor in meinem Leben gesehen, dass ein paar Muggel sich nicht nur vorsätzlich mit Todessern angelegt haben, sondern sie auch bezwingen konnten.“
Völlig ungläubig fragte Severus nach: „Die Muggel haben gewonnen?“
Blaise nickte. „Die vier hatten sich in ein abgelegenes Haus gerettet, aber das hat nichts gebracht. Die Muggel haben mit seltsamen Gegenständen geworfen; es war wahnsinnig laut gewesen. Hat nicht lange gedauert, da stand das Haus bereits in Flammen. Immer wieder knallte es, sogar die Wände sind eingestürzt, überall war Rauch. Die Todesser waren auf so einen Widerstand überhaupt nicht vorbereitet.“ Tief ein- und ausatmend schilderte Blaise, der sichtlich bewegt war: „Wir waren mittendrin: Vor uns war das Haus, aus dem die vier Todesser sich mit Flüchen zu wehren versuchten und hinter uns war der aufgebrachte Mob. Wir selbst lagen auf dem Boden und hofften, dass die Büsche undurchsichtig genug wären, damit man uns nicht sehen würde.“
Sich daran erinnernd, wie er sich zusammen mit Pansy und Gregory wie verängstigte Kaninchen auf den Boden gepresst hatte, ließ ihm eine Gänsehaut über den Rücken laufen.
„Als es vorbei war, schlugen die Flammen meterhoch. Es flogen keine Flüche mehr durch die Luft. Die Muggel hätten uns beinahe gefunden, aber wir konnten fliehen. Zu spät haben wir bemerkt, dass Gregory nicht mit uns mithalten konnte; sein Bein war noch nicht ganz verheilt.“ Nur mit einem Flüstern erzählte Blaise zu Ende. „Die Muggel haben Gregory mitgenommen und wir konnten nichts dagegen tun, nichts! Wenn schon Todesser gegen die keine Chance hatten, was hätten wir schon gegen die anrichten können?“ Er schüttelte den Kopf, als würde er Reue empfinden, bevor er schuldgeplagt erzählte: „Es war Pansys Idee gewesen zurückzugehen und die Zauberstäbe von zwei Todessern gegen unsere zu tauschen, damit man glauben würde, wir wären tot. Sie hoffte, wir hätten unsere Ruhe, wenn von unserem Ableben berichtet werden würde. Es war auch ihre Idee, Peninver links liegen zu lassen und uns stattdessen auf dem Herrensitz der Malfoys zu verstecken, weil sie das Haus betreten konnte, aber so schön wir uns auch alles ausgemalt hatten – wir hatten nicht damit gerechnet, dass einer der Todesser noch lebte, wenn auch nicht mehr lange. Als Pansy seinen Zauberstab genommen hatte, da hat er sie mit etwas in den Rücken gestochen.“ Mit zittriger Stimme fügte er hinzu: „Da war sie schon schwanger.“
„Haben Sie Mr. Shacklebolt davon unterrichtet?“ Den Kopf schüttelnd verneinte Blaise auch verbal. „Dann rate ich Ihnen, den Auror aufzusuchen und ihm Ihr Erlebnis zu schildern. Ich bin sicher, dass Sie nichts befürchten müssen, im Gegenteil. Mr. Goyle wird womöglich von Ihrer Aussage profitieren.“
„Wie geht es ihm?“, wollte Blaise wissen.
„Ich befürchte, es geht ihm nicht sonderlich gut, aber mir steht in diesem Fall nicht zu, Ihnen nähere Informationen zu geben. Ich kann Ihnen nur sagen, dass er sich im Krankenhaus befindet. Es wird für ihn gesorgt.“
Nickend beließ es Blaise bei dem Hinweis seines ehemaligen Zaubertränkelehrers und nahm sich vor, morgen im Ministerium nicht nur das Haus seiner Mutter einzufordern, sondern auch ein Gespräch mit Kingsley Shacklebolt zu suchen.
Im Erdgeschoss betrat Rosmerta soeben – nach vorheriger Ankündigung beim Direktor – die Schule, um Remus aufzusuchen. Sie traf auf Harry, der sich bereiterklärt hatte, sie bis in den vierten Stock zu begleiten. Sie unterhielten sich nett über dieses und jenes, bis sie Remus’ Tür erreicht hatten.
„Danke Harry, ich werde nun…“ Rosmerta kam nicht dazu auszureden, denn die Tür wurde geöffnet und Remus erschrak, weil er nicht damit gerechnet hatte, hier jemanden anzutreffen.
„Rosmerta? Was führt dich zu mir?“, fragte er erstaunt und doch erfreut über ihren Besuch.
„Es geht um…“ Sie hielt inne und blickte zu Harry hinüber, der den Wink verstand und sich verabschiedete.
„Komm doch rein“, bat Remus und er bot ihr gleich darauf einen Platz an. „Um was geht es?“
„Es geht um…“ Sie seufzte. Was sie zu sagen hatte fiel ihr offenbar nicht leicht. „Remus, du bist mir ein guter Angestellter und ein lieber Freund. Das Problem ist, dass ich dich aus rein finanzieller Sicht gar nicht hätte einstellen dürfen, aber ich dachte, mit dem Weihnachtsgeschäft und den zusätzlichen Einnahmen bekomme ich das auf die Reihe.“
„Das Weihnachtsgeschäft ist ins Wasser gefallen“, kombinierte Remus korrekt, denn Hogsmeade war noch immer nicht freigegeben.
„Die Auroren wollen morgen das Dorf wieder in die Hände des Bürgermeisters legen, damit wir wenigstens das neue Jahr im eigenen Heim feiern können. Mir fehlen die Einnahmen, Remus. Ich werde dich nicht bezahlen können“, gestand sie ihm wehmütig. „Dabei bist du der beste Koch, den ich jemals hatte.“
Aufgrund ihrer anerkennenden Worte lächelte Remus milde. Er war ihr nicht böse; wie könnte er auch. Es war nie vorgesehen, dass er lange in den Drei Besen bleiben sollte. Ursprünglich hatte er dort Unterschlupf gesucht, um Hogwarts vor den Muggeln zu schützen. Das Angebot, bei ihr zu arbeiten, hatte sich aus einer Laune heraus entwickelt.
„Ich werde schon etwas anderes finden“, sagte er mit warmer Stimme, um ihr jegliches Schuldgefühl zu nehmen, doch er belog sich selbst, denn noch immer waren Werwölfe gesellschaftlich minderwertige Wesen, die die meisten Menschen nicht in ihrer Nähe wollten.
„Es tut mir so Leid, Remus. Ich wünschte, ich könnte dich weiterhin beschäftigen, aber ich möchte dich auch nicht ausnutzen, indem ich dir weniger Lohn gebe. Es ist so verfahren…“
Den Kopf langsam schüttelnd versicherte er: „Bitte, mach dir keine Gedanken. Ich werde schon irgendwo unterkommen.“
Das mitleidige Lächeln in ihrem Gesicht war mit tiefem Bedauern durchzogen. Sie wollte Remus weiterhin ihren Kellner und Koch nennen dürfen, aber die Finanzen ließen das nicht zu. Sie seufzte, bevor sie es wagte, näher an ihn heranzutreten, um ihn ein wenig zögernd zu umarmen. An seine Halsbeuge flüsternd versprach sie: „Ich mache das irgendwie wieder gut.“
Er erwiderte die freundschaftliche Umarmung, bevor er nochmals beteuerte, dass sie sich um ihn keine Gedanken zu machen brauchte.
Die Umarmung lösend fragte er: „Morgen ist Hogsmeade wieder zugänglich?“
„Ja, ich werde den ersten Tag wohl mit Putzen verbringen müssen“, sagte sie scherzend, doch sie war sich bewusst darüber, dass sie ihm mit ihrem erzwungenen Lächeln nicht vorgaukeln könnte, die Situation mit ihm würde sie kalt lassen.
„Ich könnte dir helfen.“ Sein ehrliches Angebot machte sie sprachlos und es berührte sie, in Remus einen Menschen zu sehen, der uneigennütziger nicht sein konnte. Er bot ihr seine Hilfe an, obwohl sie ihm gerade eben hatte kündigen müssen.
Nachdem Rosmerta gegangen war, wollte Remus unbedingt mit jemandem reden; nicht darüber, dass er wieder unbeschäftigt war. Er wollte einfach nur bei jemandem sein und da Tonks arbeiten musste, ging er hinunter ins Erdgeschoss, um bei Harry und Ginny vorbeizusehen.
„Hi Remus, komm rein“, grüßte Ginny freundlich.
Neben Harry befand sich noch das kleine Mädchen im Zimmer, welches Remus auf der Hochzeitsfeier von Draco und Susan gesehen hatte. Berenice hielt, wenn auch mit Harrys Hilfe, Nicholas auf dem Arm und Harry lächelte Remus breit an.
„Hallo zusammen, ich dachte, ich schaue mal vorbei. Ihr störe doch hoffentlich nicht?“ Beide schüttelten den Kopf. „Ich habe eben erfahren, dass Hogsmeade morgen von den Auroren freigegeben wird.“
„Das wird aber auch Zeit“, sagte Harry, der eine Hand an Nicholas gewindelten Po hielt, damit Berenice ihn nicht fallen lassen würde. „Die armen Menschen mussten schon Weihnachten irgendwo anders feiern, da sollten sie wenigstens zu Silvester Zuhause sein dürfen.“
Sich setzend blickte Remus kurz zu Fawkes hinüber und bemerkte die große, feuerfeste Schale darunter. „Hast du mit Albus über Fawkes gesprochen?“
„Ja, hab ich, aber viel hatte er mir nicht sagen können, außer dass Fawkes vielleicht bald seine Wiedergeburt feiert, deswegen auch die Schale unter seiner Stange.“
Ginny hatte eine Flasche mit Milch erwärmt und Harry forderte Berenice dazu auf, neben ihm Platz zu nehmen, damit sie Nicholas füttern könnte. Er legte ihr den Jungen locker halb auf den Schoß, halb in den Arm und schaute einen Moment dabei zu, wie der Kleine gierig die Milch trank. Erst seit wenigen Tagen bekam er zusätzlich das Fläschchen.
Seine Augen von diesem beruhigenden Anblick nur schwer lösen könnend wandte sich Remus an Ginny. „Bei dir auch alles in Ordnung?“
„Alles bestens!“, bestätigte sie ihm gut gelaunt.
Ein angenehm leises Plop war zu hören, bevor Wobbel im Wohnzimmer erschien. Er wollte gerade das Wort an Harry richten, da bemerkte er Remus und Berenice, weswegen er innehielt.
„Verzeihen Sie vielmals, ich möchte nicht stören“, sagte der Elf reumütig.
„Seit wann störst du?“, fragte Harry mit einem Lächeln auf den Lippen. „Setz dich doch, möchtest du auch einen Tee?“
Wobbel nickte und nahm neben Remus auf der anderen Couch Platz. Harry zog seinen Zauberstab, um Wobbel magisch eine Tasse Tee einzuschenken. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie Wobbel gedankenverloren den Kopf schüttelte, als der dabei zusah, wie die Kanne sich vom Tisch hob und sich über eine leere Tasse positionierte, doch er wunderte sich nur einen kurzen Moment über Wobbels Verhalten.
„Vielen Dank, Sir. Sie sind viel zu gut zu mir“, sagte Wobbel, der die in der Luft schwebende Tasse entgegennahm.
„Und?“, hörte Wobbel es von seiner Seite. Als er Remus anblickte, fragte der ehrlich interessiert: „Wie geht es dir?“
„Ich kann nicht klagen, Sir. Mittlerweile kann ich auch mit der vielen Freizeit umgehen, auch wenn ich mich manchmal noch langweile.“ Harry rollte mit den Augen, doch außer Ginny sah es niemand.
Remus griff zu seiner eigenen Tasse und fragte, bevor er einen Schluck zu sich nahm: „Womit gestaltest du deine Freizeit?“
„Ich… ähm… Ich helfe manchmal in der Küche aus, Sir.“ Wobbel pustete verlegen in seine Tasse, obwohl der Tee nicht zu heiß war.
Stutzend wiederholte Remus: „Du hilfst in deiner Freizeit in der Küche.“ Wobbel nickte, blickte Remus dabei jedoch nicht an, sondern versuchte mit großen Augen seine Teetasse zu hypnotisieren.
Mittlerweile war Berenice mit dem Fläschchengeben fertig, weswegen Harry sich ein Tuch über die Schulter legte, um dem Jungen mit sanftem Klopfen ein Bäuerchen zu entlocken. Es kamen zwei. Harry brachte den Jungen ins Bett und während er sich im Schlafzimmer aufhielt, da klopfte es. Nachdem Ginny die Tür geöffnet hatte, blickte sie zunächst in die dunklen Augen von Blaise, der ein wenig besorgt schien. Hinter ihm standen Severus und Hermine, so dass Ginny alle drei hineinbat.
„Papa“, hörte man Berenice fröhlich rufen und die Sorge aus Blaise’ Gesicht verschwand mit einem Mal.
„Danke, dass ihr kurz auf sie aufgepasst habt“, sagte er, während seine Tochter sich bereits an sein Bein klammerte. Sie war auf der vergangenen Hochzeitsfeier das erste Mal in ihrem Leben von ihrem Vater getrennt gewesen – heute das zweite Mal.
„Es hat Spaß gemacht“, versicherte Ginny, die einmal kurz zu Berenice hinunterblickte, bevor sie sich der anderen Gäste annahm und mit einem Nicken grüßte: „Hermine, Professor Snape!“
„Miss Weasley“, grüßte Severus zurück, der wegen der vielen Leute im Wohnzimmer schon beinahe wieder gegangen wäre.
Sich wie Zuhause fühlend fragte Hermine: „Ist Harry da?“
„Ja, er kommt gleich wieder. Nehmt doch bitte Platz.“
„Nein danke, ich muss gehen“, lehnte Blaise ab. „Ich habe noch einiges zu erledigen. Bestell Harry einen Gruß von mir.“
Ginny hatte Blaise verabschiedet und sich zurück zur Couch begeben. Severus beobachtete, wie Hermine sich neben ihre Freundin setzte. Auf der Couch gegenüber saßen Remus und der Elf. Er selbst wollte neben niemandem Platz nehmen.
„Hallo Severus“, grüßte Remus, nachdem ein wenig Ruhe eingekehrt war.
„Lupin.“ Zum Gruß folgte ein verspanntes Nicken.
„Setzen Sie sich doch, Professor“, bat Ginny erneut.
„Nein danke.“ Severus klang sehr angespannt. „Ich möchte mit Harry sprechen.“
Kaum sprach man von ihm, kam Harry auch schon aus dem Schlafzimmer hinaus, blieb stehen und blickte kurz überrascht drein, bevor er strahlte und sagte: „Kaum ist man mal fünf Minuten weg…“
„Haben Sie einen Moment Zeit?“, fragte Severus steif.
„Sicher, um was geht es denn?“
„Ich benötige Zugang zur Kammer des Schreckens.“
Ein Schauer lief Ginny den Rücken hinunter und ihr Gesicht wurde ganz bleich.
„Was wollen Sie denn da?“, fragte Harry ihn skeptisch, doch es war Hermine, die ihm Antwort gab.
„Wir müssen uns den Basilisk ansehen. Eventuell benötigen wir etwas von den Überresten.“
Die Unterhaltung hatte Remus natürlich aufmerksam verfolgt, weswegen er wissen wollte: „Wofür?“
„Was interessiert Sie das?“, herrschte Severus ihn an, weswegen Remus einmal die Schultern hob und senkte und sich dazu entschloss, den Mund zu halten.
„Man hat bei Pansy Rückstände von den Trankzutaten im Blut gefunden. Da war etwas vom Basilisk mit dabei und wir müssen herausfinden, was genau das war.“
„Der wird längst verrottet sein“, mutmaßte Harry.
„Es ist aber auch möglich“, widersprach Severus, „dass durchaus verwertbare Reste zu finden wären. Es könnte zudem sein, dass der Verwesungsprozess eines solchen Tieres langsamer vonstatten geht, wie zum Beispiel bei der weiblichen Acromantula. Die magische Zusammensetzung des Gifts – und ein Basilisk hat davon nicht gerade wenig im Körper – kann einen Kadaver konservieren.“ Harry blinzelte ein paar Mal, bevor Severus sagte: „Wären Sie so freundlich?“
„Was, etwa jetzt?“
„Nicht nur Miss Parkinson würde es Ihnen danken.“
Zu Ginny blickend sah er sie ermutigend nicken, bevor er zusagte: „Na gut, gehen wir.“
Unerwartet stand Remus auf und fragte: „Darf ich mitkommen?“
„Das wird kein Abenteuerausflug, Lupin“, spottete Severus.
„Bitte! Ich würde die Kammer gern mal sehen. Ich habe immer nur von ihr gehört. Ich bin auch ganz still“, versicherte Remus mit einem schelmischen Lächeln.
Gerade wollte Severus ihm das Wort zum Tage geben, da sagte Hermine heiter: „Also, ich hätte nichts dagegen.“ Entgeistert blickte er seine Schülerin an, doch er hielt nicht dagegen.
Vom Erdgeschoss gingen die vier hinauf in den ersten Stock, um die Mädchentoilette aufzusuchen, in welcher sich der Zugang zur Kammer des Schreckens befand. An dem Waschbecken mit dem nicht funktionierenden Wasserhahn blieb Harry stehen und blickte Severus an.
„Worauf warten Sie noch, Harry. Zischeln Sie endlich ein wenig“, forderte sein Kollege neckend.
Gelassen entgegnete Harry: „Wozu sollte ich eigentlich mitkommen? Das können Sie doch ganz gut selbst.“
Bevor Severus’ etwas entgegnen konnte, sprach Harry Parsel und jedem lief bei den Schlangenlauten eine Gänsehaut den Rücken hinunter. Ein kratzendes Geräusch war zu hören, bevor die Waschbecken sich in Bewegung setzten und ein schwarzes Loch preisgaben, das in dunkle Tiefen führte.
„Was haben Sie auf Parsel gesagt?“, wollte Severus nebenher wissen.
„Sesam, öffne dich!“
„Tatsächlich?“
Harry nickte. „Es reagiert nur auf Parsel an sich; es ist völlig egal, was ich sage.“ Er blickte Hermine an und sagte: „Dann wünsche ich euch noch viel Spaß.“
„Moment“, sagte Severus aufhaltend, denn Harry wollte bereits gehen.
„Nein, Severus“, nörgelte er, „ich will nicht nochmal da runter.“
Hermine legte ihm eine Hand auf den Oberarm und sagte: „Bitte, es wäre gut, wenn du uns den Weg weisen könntest.“
Laut seufzend machte Harry seinem Unmut kund, so dass Severus ihm ins Gedächtnis rief: „Es ist nur noch eine Kammer. Der ’Schrecken’ existiert schon lange nicht mehr.“
„Es ist trotzdem kein Vergnügungspark. Es ist eklig da unten. Überall liegen Knochen und es stinkt – und jetzt stinkt es wahrscheinlich noch viel mehr bei dem riesigen Basilisk, der seit Jahren da unten verrottet.“
„Dann schildern Sie uns den Weg“, forderte Severus.
„Also, ganz unten sind zig Gänge. Sie müssen sich“, er dachte angestrengt nach und war sich unsicher, „rechts halten?“
„War das eine Frage?“, stichelte Severus amüsiert.
Harry seufzte. „Ich werde es wissen, wenn ich die Gänge sehe.“
„Weswegen Sie uns gern begleiten werden“, stellte Severus klar.
„Ich muss sowieso mitkommen“, rief sich Harry ins Gedächtnis zurück. „Es gibt nämlich noch einen Eingang, der sich nur mit Parsel öffnen lässt.“
„Nach Ihnen“, sagte Severus überaus höflich, während er mit einem Arm eine einladende Geste zum dunklen Abflussrohr machte. Harry verzog das Gesicht, bevor er als Erster den Zugang zur Kammer betrat.
Wenige Kilometer entfernt in Malfoy Manor bereitete Draco zusammen mit seiner Mutter eine kleine Zwischenmahlzeit vor, die er mit Susan zu sich nehmen wollte, die heute das Bett noch nicht verlassen hatte. Sie fühlte sich schwach und hatte viel geschlafen, doch ein wenig Stärkung musste sein. Das Tablett mit einigen Scheiben frisch gebackenen Brotes, jeder Menge geräuchertem Speck, verschiedenen Wurst und Käsesorten sowie anderen deftigen Leckereien brachte Draco mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck hinauf in den ersten Stock. In ihrem gemeinsamen Schlafzimmer angekommen erschrak Draco so sehr, dass er das mit Tomaten und Salat garnierte Tablett fallen ließ, denn Susan krümmte sich im Bett liegend, hechelte und stöhnte.
Durch den Lärm aufgeschreckt war Narzissa nach oben gerannt. Die eben liebevoll zusammengestellte Mahlzeit lag auf dem Boden und als sie aufblickte, sah sie ihren Sohn, der sich am Bett seiner ihm frisch angetrauten Ehefrau besorgt über sie beugte.
„Susan, was ist nur?“, wollte er wissen. Seine Stimme zitterte ebenso stark wie seine Hand, die nach ihrer Griff.
Am Bett angelangt hörte Narzissa die Hochschwangere keuchend sagen: „Es kommt…“ Gleich darauf biss sie die Zähne zusammen und atmete zischend ein und aus.
„Ich hole einen Heiler.“ Narzissa rannte hinüber zur Bibliothek, in welcher sich ein Kamin befand, der ans Flohnetzwerk angeschlossen war. Von ihm aus kontaktierte sie auf der Stelle das Mungos.
Von Susans Worten alarmiert sagte Draco: „Es ist viel zu früh!“
Sie war kreidebleich und ihr Gesicht war angstverzerrt. Ob nun vor Furcht oder vor Schmerz: in ihren Augen standen Tränen. „Es tut weh“, wimmerte sie herzzerreißend, so dass er eine Hand an ihre Wange legte, doch er könnte nichts tun, um ihr die Situation zu erleichtern. Seine Finger streichelten sie zaghaft und er setzte sich aufs Bett und lehnte sich zu ihr, damit er mit seinem Gesicht nahe an dem ihren war.
„Der Heiler kommt gleich“, versicherte er ihr, um sie zu beruhigen, doch die Situation schien ernster zu sein als er ahnte.
Ihre Augenbrauen waren zusammengezogen, die Lippen zitterten, bevor sie flüsternd sagte: „Das ist nicht normal. Es tut so weh.“
„Das ist normal“, wollte er ihr weismachen. „Das ist dein erstes Kind; unser erstes.“
Sie schüttelte den Kopf, während ihre Augen den Blickkontakt zu seinen nicht verloren, bevor sie schluchzend ihre Befürchtung kundtat. „Da stimmt was nicht.“
Draco konnte spüren, wie das Blut sein Gesicht verließ. Es war wie ein fühlbarer Wasserpegel in seinem Körper, der soeben rapide sank und eine frostige Kälte hinterließ. Würde er jetzt aufstehen, dann wäre es sehr wahrscheinlich, dachte Draco, dass er umfallen würde, weil sein Kreislauf nicht mehr mitmachen wollte. Er hatte Angst um Susan, Angst um das Kind; seine größte Sorge war, beide auf einmal zu verlieren.
„Wo sind die verdammten Heiler?“, fragte er laut und wütend in den Raum hinein.
Die Tür wurde aufgerissen. Seine Mutter betrat eilig Zimmer und führte einen Herrn und eine Dame hinein. Beide waren in limonengrünen Umhänge gehüllt, die das Hospitalslogo trugen: einen sich mit einem Zauberstab kreuzenden Knochen.
„Mrs. Malfoy“, sagte der Herr, der sich Susan näherte und Draco völlig ignorierte. „Mein Name ist Haig, das ist Heilerin Livingstone. Machen Sie sich keine Sorgen, wir werden Sie sofort untersuchen.“ Schon zückten beide ihre Zauberstäbe. „Mr. Malfoy“, sagte Heiler Haig, „wenn Sie bitte vom Bett wegtreten würden?“
Nur widerwillig verließ Draco seine Frau und wie er es befürchtet hatte, sackte das Blut in seine Beine und ihm wurde schwindelig; er schwankte und schloss die Augen. Ein Veilchenduft war um ihn herum wahrzunehmen, als er sich in der sicheren Umarmung seiner Mutter wiederfand, die ihn nach draußen führte.
Ein wenig bleich im Gesicht war auch Harry, der den Basilisk in Gedanken wieder und wieder mit dem Schwert von Godric Gryffindor attackierte, während er sich um Ginnys Leben sorgte. Der kaum verweste Kadaver der Riesenschlange erwies sich in der Kammer als einziger Schrecken. Weit weniger grausam war der sonst feuchte und durch die im Winter so niedrigen Temperaturen gefrorene Boden, der nun spiegelglatt war. Severus war der Erste gewesen, der sich seine Schuhsohlen heimlich rutschfest gezaubert hatte. Harry war erst auf diesen Gedanken gekommen, nachdem er ausgerutscht und sich auf den Allerwertesten gesetzt hatte, weswegen Hermine hatte kichern müssen.
Die riesige, tote Schlange betrachtend bemerkte Hermine deren Augen. „Um Himmels Willen!“, stieß sie aus, bevor sie sich eine Hand über den Mund hielt.
Harry erklärte unschuldig: „Das war ich nicht, das war Fawkes. Er hat dem Basilisk die Augen ausgepickt.“
„Was genau“, fragte Remus an Severus gerichtet, „möchtest du von dieser Kreatur mitnehmen?“
„Ich habe ein großes Interesse an den Giftdrüsen, die sich im Gaumen befinden.“
Mit weit aufgerissenen Augen sagte Hermine: „Aber dann müssen wir ja den Kopf aufbrechen!“
„Ganz recht“, erwiderte er trocken. „Wer geht mir zur Hand?“ Niemand riss sich darum, ihm helfen zu wollen. Hermine anblickend begann Severus mit den Worten: „Sie als meine Schülerin…“
Sie knurrte. „Oh ich wusste, dass das an mir hängen bleibt.“ Sie stellte sich an den Kopf der Schlange und fragte: „Was soll ich tun?“
„Warum ist der Basilisk so gut wie nicht verwest?“, fragte Harry staunend.
Severus, der bereits Hermine Instruktionen gegeben hatte, erklärte, während er mit seinem Zauberstab Haut und Fleisch bis zum Schädel des Tieres entfernte: „Ich weiß es nicht. Womöglich durch die Temperaturen hier unten? Oder durch die dicke, lederne Haut? Womöglich auch einfach durch das bisschen Magie, das solche Lebewesen innehaben. Es gibt auch Leichen von Menschen, die kaum oder extrem langsam verwesen. Das Phänomen hat verschiedene Ursache und manche von ihnen sind unerklärlich.“
Sich den Grund ihrer Reise in die Kammer des Schreckens vor Augen haltend murmelte Harry: „Pansy verwest auch nicht.“
Ein Knacken war zu hören, gleich darauf hörte man von Hermine ein lang gezogenes „bäh“. Severus hatte den oberen Kiefer des Tieres durchbrochen und ein stechender Gestank breitete sich aus, so dass sich Remus den Ärmel seines Umhangs vor die Nase hielt, während Harry die seine angeekelt rümpfte. Severus machte sich nun daran, die Giftdrüsen herauszutrennen, während Hermine dafür sorgte, dass diese nicht durch den gesplitterten Kiefer beschädigt werden würden. Immer wieder drehte sie ihren Kopf nach hinten, um Luft holen zu können. Der Gestank war unerträglich.
Nachdem Severus die erste wabbelige, gelblichgraue, faustgroße Drüse per Levitation vor sich schweben ließ, um sie kurz zu beäugen, sagte Harry angewidert, als er die ganzen schleimigen Windungen bemerkte: „Das sieht aus wie ein kleines Gehirn.“
„Ja, und es hat in etwa Ihre Größe, meinen Sie nicht?“ Severus warf ihm ein wohlwollendes Lächeln hinüber, was Harry gern erwidert hätte, wäre er nicht eben beleidigt worden.
„Das war nicht nett von Ihnen, Severus! Ich könnte jetzt oben bei Ginny sein, aber nein. Stattdessen hocke ich hier unten und schaue dabei zu, wie Sie irgendwelche ekelerregenden Organe aus dem Oberkiefer eines seit elf Jahren verfaulenden Kadavers herausbrechen, den Sie – nur nebenbei erwähnt – ohne meine Hilfe nicht einmal gefunden hätten und als Dank machen Sie sich auch noch über meine Intelligenz lustig.“ Harrys ruhige, wenn auch spöttische Art hatte seine Enttäuschung nicht im Geringsten überspielen können.
Mit einem gekonnten Augenaufschlag fixierte Severus seinen jungen Kollegen für einen Moment wortlos, als würde er abwägen, wie er reagieren sollte, bis er in neutralem Tonfall erwiderte: „Ich würde mich eher jetzt über Ihre Intelligenz lustig machen, Harry, denn ich hätte erwartet, dass Sie eine nicht ernst gemeinte Äußerung von einer wirklichen Beleidigung unterscheiden können.“
„Vielleicht passiert das nur“, begann Harry unschuldig klingend, „weil man manchmal einfach nicht weiß, ob Sie etwas ernst meinen oder nicht?“
Während Harry und Severus miteinander sprachen, hatten Hermine und Remus bereits die zweite Giftdrüse entfernt. Der Gestank rief bei Hermine einen Würgreflex hervor, weswegen Remus ein Glas herbeizauberte, in welchem er die Drüse unterbrachte. Auch die andere, die noch immer in Severus’ Nähe schwebte, ließ er ins Glas plumpsen, bevor er es luftdicht versiegelte.
Das Glas in den Händen haltend sagte Remus: „Severus?“ Nachdem der sich umgedreht hatte, hielt er ihm das Glas entgegen.
„Ah, wie aufmerksam von Ihnen, beide Organe sicher zu verstauen.“
Schmunzelnd scherzte Remus: „Ich dachte, es würde rein optisch viel besser zu den anderen schleimigen Dingen passen, die du so in deinem Büro zu stehen hast.“
Ein halbseitiges Grinsen war Severus’ Antwort gewesen.
Völlig unverhofft sagte Hermine: „Meine Mutter hat früher immer Marmelade selbst gekocht.“
Wie abgesprochen hoben alle drei ihre Augenbrauen, bevor Severus einwarf: „Das ist eine äußerst seltsame, aber interessante Assoziation, die Sie da haben.“
„Ich meine, wegen dem Glas. Sieht aus, wie… Ach, vergesst es.“
Remus kommentierte ihre Aussage nur mit einem Lächeln, bevor er Severus fragte: „Möchtest du das arme Tier noch mehr ausschlachten oder war’s das?“
„Vielleicht ein, zwei Zähne…“
„Severus“, unterbrach Hermine, „wozu sollten Sie die Zähne benötigen? Sie haben die Giftdrüsen, das reicht.“
Mit einem Schalk im Nacken sagte Harry, der einmal die ganze Länge der Schlange mit den Augen betrachtete: „Man könnte eine Menge Stiefel aus der Haut fertigen.“
„Vielleicht sollten wir auch einfach gehen?“, schlug Hermine vor, die nicht länger in der dunklen, übel riechenden Kammer verweilen wollte.
Als die vier sich umdrehten, um die Kammer zu verlassen, fiel ihr Blick fast gleichzeitig auf die dunklen Stellen auf dem Steinboden. Nachdem Harry sich geräuspert hatte, erklärte er, während er auf den großen Fleck deutete: „Das war das viele Blut, das aus Riddles Tagebuch geflossen ist, als ich es mit dem Zahn…“ Er stockte bei der Erinnerung, doch er lenkte von seinen eigenen Gefühlen ab und zeigte auf die kleinere Lache. „Das war mein Blut. Fawkes ist zum Glück rechtzeitig gekommen.“
Sich das Blut von den Händen zaubernd sagte Heiler Haig in beruhigendem Tonfall zu Susan: „Sie haben es bald geschafft, Mrs. Malfoy.“
Schwer atmend und durch den eigenen Schweiß pitschnass fragte Susan mit glasigen Augen und dünner Stimme: „Es ist alles in Ordnung?“ Der Heiler nickte, bevor er eine kleine Ampulle aus seiner Tasche zog. Das Nicken hatte ihr nicht als Antwort genüg. Sie war so voller Sorge, weswegen ihre Stimme an Kraft gewann, bevor sie laut wiederholte: „Es ist alles in Ordnung?“
„Ja“, sagte er wie aus der Pistole geschossen. „Er hatte sich nur die Nabelschnur um den Hals gelegt und konnte sich nicht anständig im Leib drehen. Das haben wir behoben. Es ist alles in Ordnung.“
„Er?“
Heiler Haig strich sich die silbernen Haare aus den Augen, bevor er lächelte. „Sie haben es sich nicht im Vorfeld sagen lassen? Es ist ein Junge und wie es aussieht, ein sehr ungeduldiger noch dazu.“
Die Worte musste Susan zunächst verarbeiten, bis endlich ein Gefühl in ihr wachgerufen wurde und das war in erster Linie Freude, gefolgt von Erleichterung. „Ein Junge!“ Sie strahlte über das ganze Gesicht. Ihre blassen Wangen bekamen auf der Stelle wieder Farbe. „Darf Mr. Malfoy hereinkommen?“
„Haben Sie das gar nicht bemerkt?“, fragte Heiler Haig und Susan runzelte daraufhin fragend die Stirn. „Vorhin war Mr. Malfoy bei uns im Zimmer. Sein Kreislauf ist momentan nicht sehr stabil. Heilerin Livingstone kümmert sich um ihn.“
Es klopfte leise und Susan hoffte, es würde sich um ihren Mann handeln, doch es war ihre Schwiegermutter, die vorsichtig ins Zimmer lugte.
„Susan?“
„Ja?“
Mit graziösem Gang kam Narzissa auf sie zu und setzte sich aufs Bett. Mit angenehm sanfter Stimme teilte Narzissa ihr mit: „Deine Eltern sind unten, und zwei deiner Cousinen sind auch gekommen.“
„Sie haben Sie gerufen?“, fragte Susan. Narzissa nickte einmal, so dass Susan erleichtert „Danke“ hauchte. Sie fühlte sich gleich wohler, da sie nun wusste, dass auch ihre Mutter im Haus war. „Wie geht es Draco?“
Narzissa presste die Lippen zusammen, aber das amüsierte Lächeln konnte sie nicht überspielen, als sie sagte: „Es geht ihm so, wie es damals seinem Vater gegangen war, als er unterwegs gewesen war. Er leidet furchtbar mit dir mit und ist leichenblass.“
Susan musste schwach auflachen, doch sie hielt sich sofort eine Hand über den Mund. „Sagen Sie ihm bitte nicht, dass ich lachen musste.“
„Werde ich nicht“, versprach Narzissa, die zwar vorher nichts gesagt, durchaus aber geahnt hatte, dass Draco wie sein Vater nicht die Stärke besitzen würde, einer Geburt beizuwohnen.
Heiler Haig räusperte sich, um die Aufmerksamkeit der beiden Damen zu erlangen.
„Wenn Sie Heilerin Livingstone bitte hereinschicken würden, Mrs. Malfoy“, sagte er an Narzissa gerichtet. „Der Wehen-Zauber müsste gleich nachlassen. Ich denke, wir werden es bald überstanden haben.“
„Natürlich, Mr. Haig.“ Narzissa nahm Susans Hand und drückte ermutigend zu. „Hab keine Angst.“ Es waren nicht die Worte, sondern die besonnene Stimme einer Frau, die wusste, wovon sie sprach.
Im grünen Salon war Draco von Heilerin Livingstone dazu gedrängt worden, sich auf die Couch zu legen, damit er die Beine hochlegen konnte und er fühlte sich nach einigen Minuten tatsächlich besser, bis er übermütig geworden und aufgestanden war, was ihn gleich wieder in die Knie zwang.
„Bleiben Sie doch bitte liegen, Mr. Malfoy“, bat die Heilerin. „Glauben Sie, Sie wären Ihrer Frau in diesem Zustand eine Hilfe?“
„Ich komme mir so unnütz vor“, quengelte Draco schwächlich, denn er sah Sternchen vor seinen Augen tanzen und er litt unter Herzrasen.
„Trinken Sie das“, sie hielt ihm ein Fläschchen entgegen, „damit Ihr Blutdruck wieder in Schwung kommt.“
Die Tür öffnete sich und Narzissa trat herein. „Mrs. Livingstone? Mr. Haig bittet Sie hinauf. Er sagte, der Wehen-Zauber ließe bald nach.“
„Natürlich.“ Die Heilerin, eine kräftige, freundliche Frau Mitte vierzig, blickte zu Draco hinüber und sagte im Anschluss zu dessen Mutter: „Wenn Sie dafür sorgen würden, dass er wenigstens die nächsten zehn Minuten ruhig liegen bleibt?“ Narzissa nickte. „Ich bin dann mal oben.“ Und schon hatte Heilerin Livingstone den grünen Salon verlassen.
Nicht weniger aufgeregt schien Mrs. Bones zu sein, die die Hand ihres Mannes hielt und sie kräftig knetete – er ließ sie zähneknirschend gewähren –, während Susans rothaarigen Cousinen mütterlicherseits, die eine siebzehn, die andere sechs Jahre älter, im Raum umherliefen und sich einige Gegenstände betrachtete, weil sie nicht stillzusitzen vermochten.
„Wie geht es ihr?“, fragte Draco, der sich in eine sitzende Position bringen wollte.
„Bleib liegen, es geht ihr gut.“ Vorsichtshalber setzte sich Narzissa zu im auf die Couch, damit sie ihn davon abhalten konnte aufzustehen.
Mrs. Bones blickte Narzissa neugierig an. „Hat sie etwas gesagt?“
„Sie freut sich, dass Sie alle hier sind. Ich glaube, sie ist deswegen sehr erleichtert. Wir können etwas später auch gern nach oben ins Kaminzimmer gehen, dann sind wir ganz in Susans Nähe.“ Als Draco erneut einen Versuch machte aufzustehen, da presse Narzissa ihn mit einer Hand an seiner Brust zurück ins Polster der Couch und sagte nochmals: „Etwas später, Draco.“
„Etwas später?“, wiederholte Severus erbost, während er gerade dabei war, die soeben abgetrennten Schuppen der Schlangenhaut in einem herbeigezauberten Säckchen zu verstauen. „Warum später wiederkommen, wenn wir gleich die Chance ergreifen können, uns mit einigen extrem seltenen…“ Er verstummte und Hermine wurde skeptisch.
„Sie wollten doch nicht eben ’Trankzutaten’ sagen oder? Seit wann zählen die Schuppen eines Basiliken zu Trankzutaten?“, fragte sie eindringlich. Remus und Harry tauschen einen Blick aus und rollten mit den Augen.
„Vielleicht entdecken wir in den Schuppen interessante Substanzen, Hermine! Wir könnten die Ersten sein, die Basiliskenschuppen in einem hilfreichen Trank verarbeiten.“
„In einem Trank“, konterte Hermine, „den niemals jemand brauen können wird, weil keiner an diese – wie Sie so schön sagten – ’extrem seltene’ Zutat gelangen wird oder möchten Sie etwa die Schuld daran tragen, dass Tränkemeister und Zutatenhändler auf die dumme Idee kommen, Hühnereier von Kröten ausbrüten zu lassen, um einen Basilisk zu züchten?“
„Sie sehen das alles viel zu negativ“, murmelte er missgelaunt, ließ sich jedoch nicht bei seiner Arbeit stören.
„ICH sehe alles negativ? Das ist ja mal ganz was Neues…“ Sie ärgerte sich.
„Mir wird langsam wirklich kalt“, meckerte Harry.
„Es dauert nicht mehr lange.“ Sich zu Harry umdrehend fragte Severus: „Hatte Riddle erwähnt, ob es sich bei diesem Exemplar um ein Männchen oder ein Weibchen handelt?“
Harry blinzelte ein paar Mal. „Wie bitte?“
„Schon gut, ich seh selbst nach“, sagte Severus, bevor er langsamen Schrittes und mit wachen Augen etliche Meter an dem langen Kadaver entlangging, so dass Remus, Hermine und Harry einen Augenblick für sich hatten.
„Hör auf zu grinsen“, sagte Hermine zu Remus, der es so tief unter dem großen See zwar unangenehm kalt, die herrschende Stimmung jedoch erwärmend heiter fand.
„Warum? Ich finde es erfrischend“, konterte er freundlich lächelnd.
„’Erfrischend’ ist nicht das richtige Wort. Es ist verdammt kalt hier.“ Seinen Worten verlieh Harry Ausdruck, als er fröstelnd die Arme vor der Brust verschränkte.
„Wenn wir nicht bald gehen“, flüsterte Hermine, „dann will er womöglich noch einen Zahn mitnehmen. Oder noch schlimmer: das ganze tote Ding!“
„So viele leere Gläser hat er gar nicht“, widersprach Harry.
„Hast du eine Ahnung.“ Hermine verstummte, denn Severus kam zurück.
Auch wenn niemand die Information hören wollte, sagte Severus völlig begeistert: „Nichts! Keine Geschlechtsteile – nicht ein einziger Hemipenis!“
„Mit wie vielen haben Sie denn gerechnet?“, fragte Harry trocken und deutlich gelangweilt.
Mit dem bösen Blick, den er Harry zuwarf, hielt sich Severus nicht lange auf, denn er verkündete beschwingt: „Wir können gleich gehen, ich möchte nur noch einen Zahn aus dem Kiefer lösen.“
Man hörte, wie Remus schnaufte und er überspielte es mit einem dezenten Husten.
„Das Fehlen von Geschlechtsteilen“, begann Severus mit seiner lehrerhaften Stimme, „ist der beste Beweis dafür, dass diese Kreaturen sich tatsächlich nicht selbst fortpflanzen können. Sie entstehen aufgrund äußerst ungewöhnlicher Umstände.“ Man hörte ein lautes Krachen, als Severus mit Hilfe seines Zauberstabes den zweiten großen Zahn aus dem Oberkiefer löste – der andere fehlte, seit Harry damals den Basilisk bezwungen hatte. „Man darf annehmen, dass während des Ausbrütens des Hühnereis eine sehr bizarre Magiekonstellation entsteht, die immerhin kräftig genug ist, so ein magisches Wesen hervorzubringen.“ Stolz und mit funkelnden Augen betrachtete er den langen Giftzahn, den er endlich errungen hatte. „Möglicherweise ist es bei einem Phönix ähnlich? Harry, ist Fawkes tatsächlich männlich?“ Harry fühlte sich in die erste Klasse zurückversetzt, als Severus ihm absichtlich Fragen gestellt hatte, die er gar nicht hätte beantworten können. Unsicher hob und senkte er einmal die Schultern. „Dann sollten Sie vielleicht einmal nachsehen?“, empfahl Severus schmunzelnd. „Hat sich noch etwas in Bezug auf die Verdickung bei dem Vogel ergeben? Konnte Albus eine Vermutung äußern?“
„Nein, er meinte nur, dass Fawkes sich womöglich bald erneuern möchte.“
„Ah“, war Severus’ einziger Kommentar dazu.
Sich ein Seufzen nicht verkneifen könnend fragte Hermine müde klingend: „Können wir jetzt bitte gehen? Mir ist nach einem heißen Tee!“
Endlich, dachte Harry erleichtert, konnte er zurück in sein geheiztes Wohnzimmer, doch ihr Weg führte sie zunächst durch die engen Gänge zurück zum Abflussrohr, aus welchem Harry sich nach einer Viertelstunde als Erster herauszwängte.
„Es ist da!“, sagte Heiler Haig fröhlich, bevor er den verschmierten kleinen Körper des ruhigen Neugeborenen säuberte und die Atemwege mit einem Spruch befreite. Nach einigen Standarduntersuchungen verkündete Heilerin Livingstone, dass der Junge kerngesund wäre. Ohne Zutun begann das Neugeborene aus voller Lunge zu schreien, weswegen Susans Lächeln immer breiter wurde. Heiler Haig überreichte ihr nach einem Moment den Jungen, die ihn freudestrahlend entgegennahm und an ihre Brust drückte. Der Junge schluchzte nur noch einmal, bevor er sich beruhigte.
„Hallo du“, flüsterte sie ihm ins Ohr und er machte ein Geräusch, als hätte er Schluckauf. Sie streichelte ihm über den hellroten Flaum, der aus seinem Haupt spross.
Dass der Heiler und die Heilerin alles Mögliche säuberten und desinfizierten, davon bekam Susan gar nichts mit, doch nach einem Moment des inneren Friedens bat sie: „Würden Sie bitte meinen Mann holen?“ Heiler Haig nickte und ging hinaus, während Heilerin Livingstone bei Susan blieb und sie über die Dinge informierte, die heute noch auf sie zukommen würden.
Heiler Haig kam mit dem auffallend kränklich wirkenden Vater im Schlepptau zurück ins Zimmer.
So leise, als hätte Draco Angst zu sprechen, fragte er, nachdem er sich zu ihr aufs Bett gesetzt hatte: „Wie geht’s dir?“ Seine Augen wanderten von den ihren zu dem Säugling auf ihrer Brust und allein der Anblick verbannte viele der schlimmen Erinnerungen aus seinem Leben, um sie nun durch neue und viel schönere ersetzen zu wollen.
„Uns geht es gut“, antwortete sie, ohne zu wissen, dass sie dem Drang verfallen war, auch für das Kind zu sprechen. „Es ist ein Junge“, flüsterte sie gleich im Anschluss. Dracos Lippen begannen zu zittern. Zaghaft und ehrfürchtig streckte er eine Hand nach dem kleinen Kopf aus.
Selig lächelnd bemerkte Draco: „Er ist so runzelig.“
Heilerin Livingstone erklärte unaufgefordert: „Das ist bei allen Neugeborenen so, aber das geht bald zurück und die Haut wird sich glätten.“ Sie lächelte und scherzte: „Wenn Sie zu lange in der Badewanne gelegen haben, dann ist Ihre Haut sicherlich auch runzelig.“
Mit nur einem Ohr hatte Draco zugehört, denn er streichelte jede erreichbare Stelle des kleinen Jungen, der erschöpft auf seiner Mutter liegend eingeschlafen war.
tut mir wirklich leid, dass ich momentan etwas kürzer trete. Habe mir den Fuß gebrochen und kann nicht lange sitzen. Aber ich bessere mich, versprochen.
Hier also das neue Kapitel. Es wird lustig und spannend. Severus ist diesmal voll in seinem Element

LG, Muggelchen
156 Kammer ohne Schrecken
Eine der Zutaten, die in der Blutprobe von Pansy Parkinson gefunden worden war und die von dem von Bellatrix Lestrange modifizierten Trank namens „Schlafes Bruder“ herrühren musste, stammte laut der Untersuchung des Mungos von einem Basilisk. Es war äußerst selten, Material dieser Riesenschlange in die Finger zu bekommen, was natürlich damit zusammenhing, dass man sich dieser magischen Kreatur nicht nähern konnte, ohne das Risiko einzugehen versteinert, vergiftet oder verschlugen zu werden. Zudem wusste man kaum etwas über die Existenz dieser Schlangen, die einem Hühnerei entsprangen, wenn eine Kröte es ausgebrütet hatte. Alle anderen in der Blutprobe gefundenen Restbestände von Trankzutaten zählten nicht zu den ungewöhnlichen, jedoch zu den schwarzmagischen; Severus kannte sie alle.
„Professor Snape?“ Blaise wartete, bis er angesehen wurde. „Dürfte ich Sie wohl einen Moment unter vier Augen sprechen?“
Beleidigt darüber, dass sie ausgeschlossen wurde, war Hermine nicht, aber neugierig und so beobachtete sie, wie Severus und Blaise sich in eine Ecke des Labors begaben, um miteinander zu reden.
„Mr. Zabini?“ Severus hielt sich kurz und forderte den jungen Mann, einst einer seiner besten Schüler, dazu auf zur Sache zu kommen.
„Ich wollte mich erkundigen, ob Sie eventuell etwas von dem Verbleib meiner ehemaligen Mitschüler wissen“, fragte Blaise verdächtig oberflächlich. Severus blickte ihn einen Moment lang mit regungsloser Miene an und Blaise konnte dem Augenkontakt nicht standhalten, weswegen er kurz zur Wand schaute.
Einmal tief durchatmend sagte Severus: „Ich nehme an, dass Sie sich über das Schicksal eines bestimmten Schülers oder einer bestimmten Schülerin erkundigen möchten. Es wäre daher wesentlich einfacher und vor allem könnte ich Ihnen viel zügiger eine Antwort geben, wüsste ich, um wen es sich spezifisch handelt.“
Severus hatte mitten ins Schwarze getroffen, was er an dem Gesichtsausdruck des dunkelhäutigen jungen Mannes genau erkennen konnte, denn es war Unsicherheit zu sehen und auch ein wenig Furcht.
Nachdem Blaise einmal kräftig geschluckt hatte, schaute er zunächst zu Hermine hinüber, die in den Unterlagen des Mungos vertieft schien, bevor er sein Gegenüber anblickte und zaghaft offenbarte: „Ich meine Mr. Gregory Goyle.“
Mit ruhiger, dennoch fordernder Stimme fragte Severus langsam: „Mr. Goyle junior? Glauben Sie, ich pflege weiterhin so einen Umgang oder…?“
„Nein!“, beruhigte Blaise schnell und etwas eingeschüchtert, obwohl Severus sich Mühe gegeben hatte nicht angsteinflössend zu wirken. „Ich denke nur“, begann Blaise mit nicht sehr fester Stimme, „dass Sie über solche Dinge informiert sein könnten. Wenn nicht…“
„Darf ich fragen“, unterbrach Severus, „warum Sie sich für das Schicksal von Mr. Goyle interessieren?“
Es war nicht zu übersehen, dass Blaise mit sich im Zwiespalt stand. Einerseits wollte er seinem ehemaligen Lehrer ehrlich gegenüber sein, denn immerhin hatte der – das wusste Blaise aus den alten Ausgaben des Tagespropheten – den Orden des Merlin erhalten; erster Klasse. Andererseits befürchtete er, dass man Pansy und ihn zur Rechenschaft ziehen könnte.
„Mr. Zabini“, sagte Severus mit ungewohnt vertraulicher Stimme. „Sie brauchen nicht zu mutmaßen, dass ich Sie – weshalb auch immer – beim Ministerium anschwärzen werde. Ich habe Mr. Goyle vor gar nicht allzu langer Zeit gesehen, doch bevor ich Ihnen Informationen gebe, die äußerst vertraulich sind, muss ich erfahren…“
„Wir haben ihn getroffen“, brach es auch Blaise heraus. „Zuerst bin ich Pansy über den Weg gelaufen. Wir hatten beide das gleiche Ziel: ein Gutshof in Peninver, der unter Fidelius stehen sollte, ein Zufluchtsort.“ Blaise redete so schnell, dass er sich verhaspelte. „Eine ganz schöne Strecke zu Fuß, aber das Ministerium und die Todesser haben alle Apparationen überwacht, alle Zauberstabnutzungen registriert… Wir haben auf dem Weg Gregory gefunden. Er war in einem schrecklichen Zustand gewesen. Sein Vater hätte das getan, sagte er. Wir haben ihn mitgenommen.“ Aufgeregt atmend beteuerte Blaise: „Erst als wir ihn gebadet haben, da haben wir gesehen, dass er das dunkle Mal trägt. Wir wussten nicht, dass er ein Todesser war. Hätten wir ihn einfach zurückgelassen, dass wäre er gestorben.“ Nun viel bestimmender fügte Blaise hinzu: „Das kann man uns nicht zur Last legen!“
„Ich, Mr. Zabini, bin nun wirklich der Letzte, der Ihnen Ihre Hilfsbereitschaft zum Vorwurf machen würde.“ Die paar Worte hatten bei Blaise wahre Wunder bewirkt, denn er hatte sich schnell wieder gefangen. „Was ist mit Mr. Goyle geschehen?“ Severus fragte sehr behutsam, er wollte nicht drängen.
Blaise fuhr sich durchs kurze, naturgewellte Haar und blickte zu Boden, um sich die Erlebnisse ins Gedächtnis zurückzurufen.
„Wir waren in der Nähe von Minard Castle, als wir uns völlig unvorhergesehen mitten in einem Gefecht wiederfanden.“
„Ein Gefecht? Sind Ihnen Todesser gefolgt?“, fragte Severus neugierig.
„Ja und nein, anfangs sind sie uns gefolgt, aber wir haben uns versteckt; die müssen uns überholt haben. Wir ahnten, dass die allen Zauberern und Hexen auflauerten, die auf dem Weg nach Peninver waren, um dort Unterschlupf zu finden. Unsere Verfolger, es waren drei Männer und eine Frau, sind auf ein paar Muggel gestoßen“, Blaise’ Augen wurden ganz groß und seine Stimme zeugte von Respekt, „und ich schwöre, ich habe nie zuvor in meinem Leben gesehen, dass ein paar Muggel sich nicht nur vorsätzlich mit Todessern angelegt haben, sondern sie auch bezwingen konnten.“
Völlig ungläubig fragte Severus nach: „Die Muggel haben gewonnen?“
Blaise nickte. „Die vier hatten sich in ein abgelegenes Haus gerettet, aber das hat nichts gebracht. Die Muggel haben mit seltsamen Gegenständen geworfen; es war wahnsinnig laut gewesen. Hat nicht lange gedauert, da stand das Haus bereits in Flammen. Immer wieder knallte es, sogar die Wände sind eingestürzt, überall war Rauch. Die Todesser waren auf so einen Widerstand überhaupt nicht vorbereitet.“ Tief ein- und ausatmend schilderte Blaise, der sichtlich bewegt war: „Wir waren mittendrin: Vor uns war das Haus, aus dem die vier Todesser sich mit Flüchen zu wehren versuchten und hinter uns war der aufgebrachte Mob. Wir selbst lagen auf dem Boden und hofften, dass die Büsche undurchsichtig genug wären, damit man uns nicht sehen würde.“
Sich daran erinnernd, wie er sich zusammen mit Pansy und Gregory wie verängstigte Kaninchen auf den Boden gepresst hatte, ließ ihm eine Gänsehaut über den Rücken laufen.
„Als es vorbei war, schlugen die Flammen meterhoch. Es flogen keine Flüche mehr durch die Luft. Die Muggel hätten uns beinahe gefunden, aber wir konnten fliehen. Zu spät haben wir bemerkt, dass Gregory nicht mit uns mithalten konnte; sein Bein war noch nicht ganz verheilt.“ Nur mit einem Flüstern erzählte Blaise zu Ende. „Die Muggel haben Gregory mitgenommen und wir konnten nichts dagegen tun, nichts! Wenn schon Todesser gegen die keine Chance hatten, was hätten wir schon gegen die anrichten können?“ Er schüttelte den Kopf, als würde er Reue empfinden, bevor er schuldgeplagt erzählte: „Es war Pansys Idee gewesen zurückzugehen und die Zauberstäbe von zwei Todessern gegen unsere zu tauschen, damit man glauben würde, wir wären tot. Sie hoffte, wir hätten unsere Ruhe, wenn von unserem Ableben berichtet werden würde. Es war auch ihre Idee, Peninver links liegen zu lassen und uns stattdessen auf dem Herrensitz der Malfoys zu verstecken, weil sie das Haus betreten konnte, aber so schön wir uns auch alles ausgemalt hatten – wir hatten nicht damit gerechnet, dass einer der Todesser noch lebte, wenn auch nicht mehr lange. Als Pansy seinen Zauberstab genommen hatte, da hat er sie mit etwas in den Rücken gestochen.“ Mit zittriger Stimme fügte er hinzu: „Da war sie schon schwanger.“
„Haben Sie Mr. Shacklebolt davon unterrichtet?“ Den Kopf schüttelnd verneinte Blaise auch verbal. „Dann rate ich Ihnen, den Auror aufzusuchen und ihm Ihr Erlebnis zu schildern. Ich bin sicher, dass Sie nichts befürchten müssen, im Gegenteil. Mr. Goyle wird womöglich von Ihrer Aussage profitieren.“
„Wie geht es ihm?“, wollte Blaise wissen.
„Ich befürchte, es geht ihm nicht sonderlich gut, aber mir steht in diesem Fall nicht zu, Ihnen nähere Informationen zu geben. Ich kann Ihnen nur sagen, dass er sich im Krankenhaus befindet. Es wird für ihn gesorgt.“
Nickend beließ es Blaise bei dem Hinweis seines ehemaligen Zaubertränkelehrers und nahm sich vor, morgen im Ministerium nicht nur das Haus seiner Mutter einzufordern, sondern auch ein Gespräch mit Kingsley Shacklebolt zu suchen.
Im Erdgeschoss betrat Rosmerta soeben – nach vorheriger Ankündigung beim Direktor – die Schule, um Remus aufzusuchen. Sie traf auf Harry, der sich bereiterklärt hatte, sie bis in den vierten Stock zu begleiten. Sie unterhielten sich nett über dieses und jenes, bis sie Remus’ Tür erreicht hatten.
„Danke Harry, ich werde nun…“ Rosmerta kam nicht dazu auszureden, denn die Tür wurde geöffnet und Remus erschrak, weil er nicht damit gerechnet hatte, hier jemanden anzutreffen.
„Rosmerta? Was führt dich zu mir?“, fragte er erstaunt und doch erfreut über ihren Besuch.
„Es geht um…“ Sie hielt inne und blickte zu Harry hinüber, der den Wink verstand und sich verabschiedete.
„Komm doch rein“, bat Remus und er bot ihr gleich darauf einen Platz an. „Um was geht es?“
„Es geht um…“ Sie seufzte. Was sie zu sagen hatte fiel ihr offenbar nicht leicht. „Remus, du bist mir ein guter Angestellter und ein lieber Freund. Das Problem ist, dass ich dich aus rein finanzieller Sicht gar nicht hätte einstellen dürfen, aber ich dachte, mit dem Weihnachtsgeschäft und den zusätzlichen Einnahmen bekomme ich das auf die Reihe.“
„Das Weihnachtsgeschäft ist ins Wasser gefallen“, kombinierte Remus korrekt, denn Hogsmeade war noch immer nicht freigegeben.
„Die Auroren wollen morgen das Dorf wieder in die Hände des Bürgermeisters legen, damit wir wenigstens das neue Jahr im eigenen Heim feiern können. Mir fehlen die Einnahmen, Remus. Ich werde dich nicht bezahlen können“, gestand sie ihm wehmütig. „Dabei bist du der beste Koch, den ich jemals hatte.“
Aufgrund ihrer anerkennenden Worte lächelte Remus milde. Er war ihr nicht böse; wie könnte er auch. Es war nie vorgesehen, dass er lange in den Drei Besen bleiben sollte. Ursprünglich hatte er dort Unterschlupf gesucht, um Hogwarts vor den Muggeln zu schützen. Das Angebot, bei ihr zu arbeiten, hatte sich aus einer Laune heraus entwickelt.
„Ich werde schon etwas anderes finden“, sagte er mit warmer Stimme, um ihr jegliches Schuldgefühl zu nehmen, doch er belog sich selbst, denn noch immer waren Werwölfe gesellschaftlich minderwertige Wesen, die die meisten Menschen nicht in ihrer Nähe wollten.
„Es tut mir so Leid, Remus. Ich wünschte, ich könnte dich weiterhin beschäftigen, aber ich möchte dich auch nicht ausnutzen, indem ich dir weniger Lohn gebe. Es ist so verfahren…“
Den Kopf langsam schüttelnd versicherte er: „Bitte, mach dir keine Gedanken. Ich werde schon irgendwo unterkommen.“
Das mitleidige Lächeln in ihrem Gesicht war mit tiefem Bedauern durchzogen. Sie wollte Remus weiterhin ihren Kellner und Koch nennen dürfen, aber die Finanzen ließen das nicht zu. Sie seufzte, bevor sie es wagte, näher an ihn heranzutreten, um ihn ein wenig zögernd zu umarmen. An seine Halsbeuge flüsternd versprach sie: „Ich mache das irgendwie wieder gut.“
Er erwiderte die freundschaftliche Umarmung, bevor er nochmals beteuerte, dass sie sich um ihn keine Gedanken zu machen brauchte.
Die Umarmung lösend fragte er: „Morgen ist Hogsmeade wieder zugänglich?“
„Ja, ich werde den ersten Tag wohl mit Putzen verbringen müssen“, sagte sie scherzend, doch sie war sich bewusst darüber, dass sie ihm mit ihrem erzwungenen Lächeln nicht vorgaukeln könnte, die Situation mit ihm würde sie kalt lassen.
„Ich könnte dir helfen.“ Sein ehrliches Angebot machte sie sprachlos und es berührte sie, in Remus einen Menschen zu sehen, der uneigennütziger nicht sein konnte. Er bot ihr seine Hilfe an, obwohl sie ihm gerade eben hatte kündigen müssen.
Nachdem Rosmerta gegangen war, wollte Remus unbedingt mit jemandem reden; nicht darüber, dass er wieder unbeschäftigt war. Er wollte einfach nur bei jemandem sein und da Tonks arbeiten musste, ging er hinunter ins Erdgeschoss, um bei Harry und Ginny vorbeizusehen.
„Hi Remus, komm rein“, grüßte Ginny freundlich.
Neben Harry befand sich noch das kleine Mädchen im Zimmer, welches Remus auf der Hochzeitsfeier von Draco und Susan gesehen hatte. Berenice hielt, wenn auch mit Harrys Hilfe, Nicholas auf dem Arm und Harry lächelte Remus breit an.
„Hallo zusammen, ich dachte, ich schaue mal vorbei. Ihr störe doch hoffentlich nicht?“ Beide schüttelten den Kopf. „Ich habe eben erfahren, dass Hogsmeade morgen von den Auroren freigegeben wird.“
„Das wird aber auch Zeit“, sagte Harry, der eine Hand an Nicholas gewindelten Po hielt, damit Berenice ihn nicht fallen lassen würde. „Die armen Menschen mussten schon Weihnachten irgendwo anders feiern, da sollten sie wenigstens zu Silvester Zuhause sein dürfen.“
Sich setzend blickte Remus kurz zu Fawkes hinüber und bemerkte die große, feuerfeste Schale darunter. „Hast du mit Albus über Fawkes gesprochen?“
„Ja, hab ich, aber viel hatte er mir nicht sagen können, außer dass Fawkes vielleicht bald seine Wiedergeburt feiert, deswegen auch die Schale unter seiner Stange.“
Ginny hatte eine Flasche mit Milch erwärmt und Harry forderte Berenice dazu auf, neben ihm Platz zu nehmen, damit sie Nicholas füttern könnte. Er legte ihr den Jungen locker halb auf den Schoß, halb in den Arm und schaute einen Moment dabei zu, wie der Kleine gierig die Milch trank. Erst seit wenigen Tagen bekam er zusätzlich das Fläschchen.
Seine Augen von diesem beruhigenden Anblick nur schwer lösen könnend wandte sich Remus an Ginny. „Bei dir auch alles in Ordnung?“
„Alles bestens!“, bestätigte sie ihm gut gelaunt.
Ein angenehm leises Plop war zu hören, bevor Wobbel im Wohnzimmer erschien. Er wollte gerade das Wort an Harry richten, da bemerkte er Remus und Berenice, weswegen er innehielt.
„Verzeihen Sie vielmals, ich möchte nicht stören“, sagte der Elf reumütig.
„Seit wann störst du?“, fragte Harry mit einem Lächeln auf den Lippen. „Setz dich doch, möchtest du auch einen Tee?“
Wobbel nickte und nahm neben Remus auf der anderen Couch Platz. Harry zog seinen Zauberstab, um Wobbel magisch eine Tasse Tee einzuschenken. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie Wobbel gedankenverloren den Kopf schüttelte, als der dabei zusah, wie die Kanne sich vom Tisch hob und sich über eine leere Tasse positionierte, doch er wunderte sich nur einen kurzen Moment über Wobbels Verhalten.
„Vielen Dank, Sir. Sie sind viel zu gut zu mir“, sagte Wobbel, der die in der Luft schwebende Tasse entgegennahm.
„Und?“, hörte Wobbel es von seiner Seite. Als er Remus anblickte, fragte der ehrlich interessiert: „Wie geht es dir?“
„Ich kann nicht klagen, Sir. Mittlerweile kann ich auch mit der vielen Freizeit umgehen, auch wenn ich mich manchmal noch langweile.“ Harry rollte mit den Augen, doch außer Ginny sah es niemand.
Remus griff zu seiner eigenen Tasse und fragte, bevor er einen Schluck zu sich nahm: „Womit gestaltest du deine Freizeit?“
„Ich… ähm… Ich helfe manchmal in der Küche aus, Sir.“ Wobbel pustete verlegen in seine Tasse, obwohl der Tee nicht zu heiß war.
Stutzend wiederholte Remus: „Du hilfst in deiner Freizeit in der Küche.“ Wobbel nickte, blickte Remus dabei jedoch nicht an, sondern versuchte mit großen Augen seine Teetasse zu hypnotisieren.
Mittlerweile war Berenice mit dem Fläschchengeben fertig, weswegen Harry sich ein Tuch über die Schulter legte, um dem Jungen mit sanftem Klopfen ein Bäuerchen zu entlocken. Es kamen zwei. Harry brachte den Jungen ins Bett und während er sich im Schlafzimmer aufhielt, da klopfte es. Nachdem Ginny die Tür geöffnet hatte, blickte sie zunächst in die dunklen Augen von Blaise, der ein wenig besorgt schien. Hinter ihm standen Severus und Hermine, so dass Ginny alle drei hineinbat.
„Papa“, hörte man Berenice fröhlich rufen und die Sorge aus Blaise’ Gesicht verschwand mit einem Mal.
„Danke, dass ihr kurz auf sie aufgepasst habt“, sagte er, während seine Tochter sich bereits an sein Bein klammerte. Sie war auf der vergangenen Hochzeitsfeier das erste Mal in ihrem Leben von ihrem Vater getrennt gewesen – heute das zweite Mal.
„Es hat Spaß gemacht“, versicherte Ginny, die einmal kurz zu Berenice hinunterblickte, bevor sie sich der anderen Gäste annahm und mit einem Nicken grüßte: „Hermine, Professor Snape!“
„Miss Weasley“, grüßte Severus zurück, der wegen der vielen Leute im Wohnzimmer schon beinahe wieder gegangen wäre.
Sich wie Zuhause fühlend fragte Hermine: „Ist Harry da?“
„Ja, er kommt gleich wieder. Nehmt doch bitte Platz.“
„Nein danke, ich muss gehen“, lehnte Blaise ab. „Ich habe noch einiges zu erledigen. Bestell Harry einen Gruß von mir.“
Ginny hatte Blaise verabschiedet und sich zurück zur Couch begeben. Severus beobachtete, wie Hermine sich neben ihre Freundin setzte. Auf der Couch gegenüber saßen Remus und der Elf. Er selbst wollte neben niemandem Platz nehmen.
„Hallo Severus“, grüßte Remus, nachdem ein wenig Ruhe eingekehrt war.
„Lupin.“ Zum Gruß folgte ein verspanntes Nicken.
„Setzen Sie sich doch, Professor“, bat Ginny erneut.
„Nein danke.“ Severus klang sehr angespannt. „Ich möchte mit Harry sprechen.“
Kaum sprach man von ihm, kam Harry auch schon aus dem Schlafzimmer hinaus, blieb stehen und blickte kurz überrascht drein, bevor er strahlte und sagte: „Kaum ist man mal fünf Minuten weg…“
„Haben Sie einen Moment Zeit?“, fragte Severus steif.
„Sicher, um was geht es denn?“
„Ich benötige Zugang zur Kammer des Schreckens.“
Ein Schauer lief Ginny den Rücken hinunter und ihr Gesicht wurde ganz bleich.
„Was wollen Sie denn da?“, fragte Harry ihn skeptisch, doch es war Hermine, die ihm Antwort gab.
„Wir müssen uns den Basilisk ansehen. Eventuell benötigen wir etwas von den Überresten.“
Die Unterhaltung hatte Remus natürlich aufmerksam verfolgt, weswegen er wissen wollte: „Wofür?“
„Was interessiert Sie das?“, herrschte Severus ihn an, weswegen Remus einmal die Schultern hob und senkte und sich dazu entschloss, den Mund zu halten.
„Man hat bei Pansy Rückstände von den Trankzutaten im Blut gefunden. Da war etwas vom Basilisk mit dabei und wir müssen herausfinden, was genau das war.“
„Der wird längst verrottet sein“, mutmaßte Harry.
„Es ist aber auch möglich“, widersprach Severus, „dass durchaus verwertbare Reste zu finden wären. Es könnte zudem sein, dass der Verwesungsprozess eines solchen Tieres langsamer vonstatten geht, wie zum Beispiel bei der weiblichen Acromantula. Die magische Zusammensetzung des Gifts – und ein Basilisk hat davon nicht gerade wenig im Körper – kann einen Kadaver konservieren.“ Harry blinzelte ein paar Mal, bevor Severus sagte: „Wären Sie so freundlich?“
„Was, etwa jetzt?“
„Nicht nur Miss Parkinson würde es Ihnen danken.“
Zu Ginny blickend sah er sie ermutigend nicken, bevor er zusagte: „Na gut, gehen wir.“
Unerwartet stand Remus auf und fragte: „Darf ich mitkommen?“
„Das wird kein Abenteuerausflug, Lupin“, spottete Severus.
„Bitte! Ich würde die Kammer gern mal sehen. Ich habe immer nur von ihr gehört. Ich bin auch ganz still“, versicherte Remus mit einem schelmischen Lächeln.
Gerade wollte Severus ihm das Wort zum Tage geben, da sagte Hermine heiter: „Also, ich hätte nichts dagegen.“ Entgeistert blickte er seine Schülerin an, doch er hielt nicht dagegen.
Vom Erdgeschoss gingen die vier hinauf in den ersten Stock, um die Mädchentoilette aufzusuchen, in welcher sich der Zugang zur Kammer des Schreckens befand. An dem Waschbecken mit dem nicht funktionierenden Wasserhahn blieb Harry stehen und blickte Severus an.
„Worauf warten Sie noch, Harry. Zischeln Sie endlich ein wenig“, forderte sein Kollege neckend.
Gelassen entgegnete Harry: „Wozu sollte ich eigentlich mitkommen? Das können Sie doch ganz gut selbst.“
Bevor Severus’ etwas entgegnen konnte, sprach Harry Parsel und jedem lief bei den Schlangenlauten eine Gänsehaut den Rücken hinunter. Ein kratzendes Geräusch war zu hören, bevor die Waschbecken sich in Bewegung setzten und ein schwarzes Loch preisgaben, das in dunkle Tiefen führte.
„Was haben Sie auf Parsel gesagt?“, wollte Severus nebenher wissen.
„Sesam, öffne dich!“
„Tatsächlich?“
Harry nickte. „Es reagiert nur auf Parsel an sich; es ist völlig egal, was ich sage.“ Er blickte Hermine an und sagte: „Dann wünsche ich euch noch viel Spaß.“
„Moment“, sagte Severus aufhaltend, denn Harry wollte bereits gehen.
„Nein, Severus“, nörgelte er, „ich will nicht nochmal da runter.“
Hermine legte ihm eine Hand auf den Oberarm und sagte: „Bitte, es wäre gut, wenn du uns den Weg weisen könntest.“
Laut seufzend machte Harry seinem Unmut kund, so dass Severus ihm ins Gedächtnis rief: „Es ist nur noch eine Kammer. Der ’Schrecken’ existiert schon lange nicht mehr.“
„Es ist trotzdem kein Vergnügungspark. Es ist eklig da unten. Überall liegen Knochen und es stinkt – und jetzt stinkt es wahrscheinlich noch viel mehr bei dem riesigen Basilisk, der seit Jahren da unten verrottet.“
„Dann schildern Sie uns den Weg“, forderte Severus.
„Also, ganz unten sind zig Gänge. Sie müssen sich“, er dachte angestrengt nach und war sich unsicher, „rechts halten?“
„War das eine Frage?“, stichelte Severus amüsiert.
Harry seufzte. „Ich werde es wissen, wenn ich die Gänge sehe.“
„Weswegen Sie uns gern begleiten werden“, stellte Severus klar.
„Ich muss sowieso mitkommen“, rief sich Harry ins Gedächtnis zurück. „Es gibt nämlich noch einen Eingang, der sich nur mit Parsel öffnen lässt.“
„Nach Ihnen“, sagte Severus überaus höflich, während er mit einem Arm eine einladende Geste zum dunklen Abflussrohr machte. Harry verzog das Gesicht, bevor er als Erster den Zugang zur Kammer betrat.
Wenige Kilometer entfernt in Malfoy Manor bereitete Draco zusammen mit seiner Mutter eine kleine Zwischenmahlzeit vor, die er mit Susan zu sich nehmen wollte, die heute das Bett noch nicht verlassen hatte. Sie fühlte sich schwach und hatte viel geschlafen, doch ein wenig Stärkung musste sein. Das Tablett mit einigen Scheiben frisch gebackenen Brotes, jeder Menge geräuchertem Speck, verschiedenen Wurst und Käsesorten sowie anderen deftigen Leckereien brachte Draco mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck hinauf in den ersten Stock. In ihrem gemeinsamen Schlafzimmer angekommen erschrak Draco so sehr, dass er das mit Tomaten und Salat garnierte Tablett fallen ließ, denn Susan krümmte sich im Bett liegend, hechelte und stöhnte.
Durch den Lärm aufgeschreckt war Narzissa nach oben gerannt. Die eben liebevoll zusammengestellte Mahlzeit lag auf dem Boden und als sie aufblickte, sah sie ihren Sohn, der sich am Bett seiner ihm frisch angetrauten Ehefrau besorgt über sie beugte.
„Susan, was ist nur?“, wollte er wissen. Seine Stimme zitterte ebenso stark wie seine Hand, die nach ihrer Griff.
Am Bett angelangt hörte Narzissa die Hochschwangere keuchend sagen: „Es kommt…“ Gleich darauf biss sie die Zähne zusammen und atmete zischend ein und aus.
„Ich hole einen Heiler.“ Narzissa rannte hinüber zur Bibliothek, in welcher sich ein Kamin befand, der ans Flohnetzwerk angeschlossen war. Von ihm aus kontaktierte sie auf der Stelle das Mungos.
Von Susans Worten alarmiert sagte Draco: „Es ist viel zu früh!“
Sie war kreidebleich und ihr Gesicht war angstverzerrt. Ob nun vor Furcht oder vor Schmerz: in ihren Augen standen Tränen. „Es tut weh“, wimmerte sie herzzerreißend, so dass er eine Hand an ihre Wange legte, doch er könnte nichts tun, um ihr die Situation zu erleichtern. Seine Finger streichelten sie zaghaft und er setzte sich aufs Bett und lehnte sich zu ihr, damit er mit seinem Gesicht nahe an dem ihren war.
„Der Heiler kommt gleich“, versicherte er ihr, um sie zu beruhigen, doch die Situation schien ernster zu sein als er ahnte.
Ihre Augenbrauen waren zusammengezogen, die Lippen zitterten, bevor sie flüsternd sagte: „Das ist nicht normal. Es tut so weh.“
„Das ist normal“, wollte er ihr weismachen. „Das ist dein erstes Kind; unser erstes.“
Sie schüttelte den Kopf, während ihre Augen den Blickkontakt zu seinen nicht verloren, bevor sie schluchzend ihre Befürchtung kundtat. „Da stimmt was nicht.“
Draco konnte spüren, wie das Blut sein Gesicht verließ. Es war wie ein fühlbarer Wasserpegel in seinem Körper, der soeben rapide sank und eine frostige Kälte hinterließ. Würde er jetzt aufstehen, dann wäre es sehr wahrscheinlich, dachte Draco, dass er umfallen würde, weil sein Kreislauf nicht mehr mitmachen wollte. Er hatte Angst um Susan, Angst um das Kind; seine größte Sorge war, beide auf einmal zu verlieren.
„Wo sind die verdammten Heiler?“, fragte er laut und wütend in den Raum hinein.
Die Tür wurde aufgerissen. Seine Mutter betrat eilig Zimmer und führte einen Herrn und eine Dame hinein. Beide waren in limonengrünen Umhänge gehüllt, die das Hospitalslogo trugen: einen sich mit einem Zauberstab kreuzenden Knochen.
„Mrs. Malfoy“, sagte der Herr, der sich Susan näherte und Draco völlig ignorierte. „Mein Name ist Haig, das ist Heilerin Livingstone. Machen Sie sich keine Sorgen, wir werden Sie sofort untersuchen.“ Schon zückten beide ihre Zauberstäbe. „Mr. Malfoy“, sagte Heiler Haig, „wenn Sie bitte vom Bett wegtreten würden?“
Nur widerwillig verließ Draco seine Frau und wie er es befürchtet hatte, sackte das Blut in seine Beine und ihm wurde schwindelig; er schwankte und schloss die Augen. Ein Veilchenduft war um ihn herum wahrzunehmen, als er sich in der sicheren Umarmung seiner Mutter wiederfand, die ihn nach draußen führte.
Ein wenig bleich im Gesicht war auch Harry, der den Basilisk in Gedanken wieder und wieder mit dem Schwert von Godric Gryffindor attackierte, während er sich um Ginnys Leben sorgte. Der kaum verweste Kadaver der Riesenschlange erwies sich in der Kammer als einziger Schrecken. Weit weniger grausam war der sonst feuchte und durch die im Winter so niedrigen Temperaturen gefrorene Boden, der nun spiegelglatt war. Severus war der Erste gewesen, der sich seine Schuhsohlen heimlich rutschfest gezaubert hatte. Harry war erst auf diesen Gedanken gekommen, nachdem er ausgerutscht und sich auf den Allerwertesten gesetzt hatte, weswegen Hermine hatte kichern müssen.
Die riesige, tote Schlange betrachtend bemerkte Hermine deren Augen. „Um Himmels Willen!“, stieß sie aus, bevor sie sich eine Hand über den Mund hielt.
Harry erklärte unschuldig: „Das war ich nicht, das war Fawkes. Er hat dem Basilisk die Augen ausgepickt.“
„Was genau“, fragte Remus an Severus gerichtet, „möchtest du von dieser Kreatur mitnehmen?“
„Ich habe ein großes Interesse an den Giftdrüsen, die sich im Gaumen befinden.“
Mit weit aufgerissenen Augen sagte Hermine: „Aber dann müssen wir ja den Kopf aufbrechen!“
„Ganz recht“, erwiderte er trocken. „Wer geht mir zur Hand?“ Niemand riss sich darum, ihm helfen zu wollen. Hermine anblickend begann Severus mit den Worten: „Sie als meine Schülerin…“
Sie knurrte. „Oh ich wusste, dass das an mir hängen bleibt.“ Sie stellte sich an den Kopf der Schlange und fragte: „Was soll ich tun?“
„Warum ist der Basilisk so gut wie nicht verwest?“, fragte Harry staunend.
Severus, der bereits Hermine Instruktionen gegeben hatte, erklärte, während er mit seinem Zauberstab Haut und Fleisch bis zum Schädel des Tieres entfernte: „Ich weiß es nicht. Womöglich durch die Temperaturen hier unten? Oder durch die dicke, lederne Haut? Womöglich auch einfach durch das bisschen Magie, das solche Lebewesen innehaben. Es gibt auch Leichen von Menschen, die kaum oder extrem langsam verwesen. Das Phänomen hat verschiedene Ursache und manche von ihnen sind unerklärlich.“
Sich den Grund ihrer Reise in die Kammer des Schreckens vor Augen haltend murmelte Harry: „Pansy verwest auch nicht.“
Ein Knacken war zu hören, gleich darauf hörte man von Hermine ein lang gezogenes „bäh“. Severus hatte den oberen Kiefer des Tieres durchbrochen und ein stechender Gestank breitete sich aus, so dass sich Remus den Ärmel seines Umhangs vor die Nase hielt, während Harry die seine angeekelt rümpfte. Severus machte sich nun daran, die Giftdrüsen herauszutrennen, während Hermine dafür sorgte, dass diese nicht durch den gesplitterten Kiefer beschädigt werden würden. Immer wieder drehte sie ihren Kopf nach hinten, um Luft holen zu können. Der Gestank war unerträglich.
Nachdem Severus die erste wabbelige, gelblichgraue, faustgroße Drüse per Levitation vor sich schweben ließ, um sie kurz zu beäugen, sagte Harry angewidert, als er die ganzen schleimigen Windungen bemerkte: „Das sieht aus wie ein kleines Gehirn.“
„Ja, und es hat in etwa Ihre Größe, meinen Sie nicht?“ Severus warf ihm ein wohlwollendes Lächeln hinüber, was Harry gern erwidert hätte, wäre er nicht eben beleidigt worden.
„Das war nicht nett von Ihnen, Severus! Ich könnte jetzt oben bei Ginny sein, aber nein. Stattdessen hocke ich hier unten und schaue dabei zu, wie Sie irgendwelche ekelerregenden Organe aus dem Oberkiefer eines seit elf Jahren verfaulenden Kadavers herausbrechen, den Sie – nur nebenbei erwähnt – ohne meine Hilfe nicht einmal gefunden hätten und als Dank machen Sie sich auch noch über meine Intelligenz lustig.“ Harrys ruhige, wenn auch spöttische Art hatte seine Enttäuschung nicht im Geringsten überspielen können.
Mit einem gekonnten Augenaufschlag fixierte Severus seinen jungen Kollegen für einen Moment wortlos, als würde er abwägen, wie er reagieren sollte, bis er in neutralem Tonfall erwiderte: „Ich würde mich eher jetzt über Ihre Intelligenz lustig machen, Harry, denn ich hätte erwartet, dass Sie eine nicht ernst gemeinte Äußerung von einer wirklichen Beleidigung unterscheiden können.“
„Vielleicht passiert das nur“, begann Harry unschuldig klingend, „weil man manchmal einfach nicht weiß, ob Sie etwas ernst meinen oder nicht?“
Während Harry und Severus miteinander sprachen, hatten Hermine und Remus bereits die zweite Giftdrüse entfernt. Der Gestank rief bei Hermine einen Würgreflex hervor, weswegen Remus ein Glas herbeizauberte, in welchem er die Drüse unterbrachte. Auch die andere, die noch immer in Severus’ Nähe schwebte, ließ er ins Glas plumpsen, bevor er es luftdicht versiegelte.
Das Glas in den Händen haltend sagte Remus: „Severus?“ Nachdem der sich umgedreht hatte, hielt er ihm das Glas entgegen.
„Ah, wie aufmerksam von Ihnen, beide Organe sicher zu verstauen.“
Schmunzelnd scherzte Remus: „Ich dachte, es würde rein optisch viel besser zu den anderen schleimigen Dingen passen, die du so in deinem Büro zu stehen hast.“
Ein halbseitiges Grinsen war Severus’ Antwort gewesen.
Völlig unverhofft sagte Hermine: „Meine Mutter hat früher immer Marmelade selbst gekocht.“
Wie abgesprochen hoben alle drei ihre Augenbrauen, bevor Severus einwarf: „Das ist eine äußerst seltsame, aber interessante Assoziation, die Sie da haben.“
„Ich meine, wegen dem Glas. Sieht aus, wie… Ach, vergesst es.“
Remus kommentierte ihre Aussage nur mit einem Lächeln, bevor er Severus fragte: „Möchtest du das arme Tier noch mehr ausschlachten oder war’s das?“
„Vielleicht ein, zwei Zähne…“
„Severus“, unterbrach Hermine, „wozu sollten Sie die Zähne benötigen? Sie haben die Giftdrüsen, das reicht.“
Mit einem Schalk im Nacken sagte Harry, der einmal die ganze Länge der Schlange mit den Augen betrachtete: „Man könnte eine Menge Stiefel aus der Haut fertigen.“
„Vielleicht sollten wir auch einfach gehen?“, schlug Hermine vor, die nicht länger in der dunklen, übel riechenden Kammer verweilen wollte.
Als die vier sich umdrehten, um die Kammer zu verlassen, fiel ihr Blick fast gleichzeitig auf die dunklen Stellen auf dem Steinboden. Nachdem Harry sich geräuspert hatte, erklärte er, während er auf den großen Fleck deutete: „Das war das viele Blut, das aus Riddles Tagebuch geflossen ist, als ich es mit dem Zahn…“ Er stockte bei der Erinnerung, doch er lenkte von seinen eigenen Gefühlen ab und zeigte auf die kleinere Lache. „Das war mein Blut. Fawkes ist zum Glück rechtzeitig gekommen.“
Sich das Blut von den Händen zaubernd sagte Heiler Haig in beruhigendem Tonfall zu Susan: „Sie haben es bald geschafft, Mrs. Malfoy.“
Schwer atmend und durch den eigenen Schweiß pitschnass fragte Susan mit glasigen Augen und dünner Stimme: „Es ist alles in Ordnung?“ Der Heiler nickte, bevor er eine kleine Ampulle aus seiner Tasche zog. Das Nicken hatte ihr nicht als Antwort genüg. Sie war so voller Sorge, weswegen ihre Stimme an Kraft gewann, bevor sie laut wiederholte: „Es ist alles in Ordnung?“
„Ja“, sagte er wie aus der Pistole geschossen. „Er hatte sich nur die Nabelschnur um den Hals gelegt und konnte sich nicht anständig im Leib drehen. Das haben wir behoben. Es ist alles in Ordnung.“
„Er?“
Heiler Haig strich sich die silbernen Haare aus den Augen, bevor er lächelte. „Sie haben es sich nicht im Vorfeld sagen lassen? Es ist ein Junge und wie es aussieht, ein sehr ungeduldiger noch dazu.“
Die Worte musste Susan zunächst verarbeiten, bis endlich ein Gefühl in ihr wachgerufen wurde und das war in erster Linie Freude, gefolgt von Erleichterung. „Ein Junge!“ Sie strahlte über das ganze Gesicht. Ihre blassen Wangen bekamen auf der Stelle wieder Farbe. „Darf Mr. Malfoy hereinkommen?“
„Haben Sie das gar nicht bemerkt?“, fragte Heiler Haig und Susan runzelte daraufhin fragend die Stirn. „Vorhin war Mr. Malfoy bei uns im Zimmer. Sein Kreislauf ist momentan nicht sehr stabil. Heilerin Livingstone kümmert sich um ihn.“
Es klopfte leise und Susan hoffte, es würde sich um ihren Mann handeln, doch es war ihre Schwiegermutter, die vorsichtig ins Zimmer lugte.
„Susan?“
„Ja?“
Mit graziösem Gang kam Narzissa auf sie zu und setzte sich aufs Bett. Mit angenehm sanfter Stimme teilte Narzissa ihr mit: „Deine Eltern sind unten, und zwei deiner Cousinen sind auch gekommen.“
„Sie haben Sie gerufen?“, fragte Susan. Narzissa nickte einmal, so dass Susan erleichtert „Danke“ hauchte. Sie fühlte sich gleich wohler, da sie nun wusste, dass auch ihre Mutter im Haus war. „Wie geht es Draco?“
Narzissa presste die Lippen zusammen, aber das amüsierte Lächeln konnte sie nicht überspielen, als sie sagte: „Es geht ihm so, wie es damals seinem Vater gegangen war, als er unterwegs gewesen war. Er leidet furchtbar mit dir mit und ist leichenblass.“
Susan musste schwach auflachen, doch sie hielt sich sofort eine Hand über den Mund. „Sagen Sie ihm bitte nicht, dass ich lachen musste.“
„Werde ich nicht“, versprach Narzissa, die zwar vorher nichts gesagt, durchaus aber geahnt hatte, dass Draco wie sein Vater nicht die Stärke besitzen würde, einer Geburt beizuwohnen.
Heiler Haig räusperte sich, um die Aufmerksamkeit der beiden Damen zu erlangen.
„Wenn Sie Heilerin Livingstone bitte hereinschicken würden, Mrs. Malfoy“, sagte er an Narzissa gerichtet. „Der Wehen-Zauber müsste gleich nachlassen. Ich denke, wir werden es bald überstanden haben.“
„Natürlich, Mr. Haig.“ Narzissa nahm Susans Hand und drückte ermutigend zu. „Hab keine Angst.“ Es waren nicht die Worte, sondern die besonnene Stimme einer Frau, die wusste, wovon sie sprach.
Im grünen Salon war Draco von Heilerin Livingstone dazu gedrängt worden, sich auf die Couch zu legen, damit er die Beine hochlegen konnte und er fühlte sich nach einigen Minuten tatsächlich besser, bis er übermütig geworden und aufgestanden war, was ihn gleich wieder in die Knie zwang.
„Bleiben Sie doch bitte liegen, Mr. Malfoy“, bat die Heilerin. „Glauben Sie, Sie wären Ihrer Frau in diesem Zustand eine Hilfe?“
„Ich komme mir so unnütz vor“, quengelte Draco schwächlich, denn er sah Sternchen vor seinen Augen tanzen und er litt unter Herzrasen.
„Trinken Sie das“, sie hielt ihm ein Fläschchen entgegen, „damit Ihr Blutdruck wieder in Schwung kommt.“
Die Tür öffnete sich und Narzissa trat herein. „Mrs. Livingstone? Mr. Haig bittet Sie hinauf. Er sagte, der Wehen-Zauber ließe bald nach.“
„Natürlich.“ Die Heilerin, eine kräftige, freundliche Frau Mitte vierzig, blickte zu Draco hinüber und sagte im Anschluss zu dessen Mutter: „Wenn Sie dafür sorgen würden, dass er wenigstens die nächsten zehn Minuten ruhig liegen bleibt?“ Narzissa nickte. „Ich bin dann mal oben.“ Und schon hatte Heilerin Livingstone den grünen Salon verlassen.
Nicht weniger aufgeregt schien Mrs. Bones zu sein, die die Hand ihres Mannes hielt und sie kräftig knetete – er ließ sie zähneknirschend gewähren –, während Susans rothaarigen Cousinen mütterlicherseits, die eine siebzehn, die andere sechs Jahre älter, im Raum umherliefen und sich einige Gegenstände betrachtete, weil sie nicht stillzusitzen vermochten.
„Wie geht es ihr?“, fragte Draco, der sich in eine sitzende Position bringen wollte.
„Bleib liegen, es geht ihr gut.“ Vorsichtshalber setzte sich Narzissa zu im auf die Couch, damit sie ihn davon abhalten konnte aufzustehen.
Mrs. Bones blickte Narzissa neugierig an. „Hat sie etwas gesagt?“
„Sie freut sich, dass Sie alle hier sind. Ich glaube, sie ist deswegen sehr erleichtert. Wir können etwas später auch gern nach oben ins Kaminzimmer gehen, dann sind wir ganz in Susans Nähe.“ Als Draco erneut einen Versuch machte aufzustehen, da presse Narzissa ihn mit einer Hand an seiner Brust zurück ins Polster der Couch und sagte nochmals: „Etwas später, Draco.“
„Etwas später?“, wiederholte Severus erbost, während er gerade dabei war, die soeben abgetrennten Schuppen der Schlangenhaut in einem herbeigezauberten Säckchen zu verstauen. „Warum später wiederkommen, wenn wir gleich die Chance ergreifen können, uns mit einigen extrem seltenen…“ Er verstummte und Hermine wurde skeptisch.
„Sie wollten doch nicht eben ’Trankzutaten’ sagen oder? Seit wann zählen die Schuppen eines Basiliken zu Trankzutaten?“, fragte sie eindringlich. Remus und Harry tauschen einen Blick aus und rollten mit den Augen.
„Vielleicht entdecken wir in den Schuppen interessante Substanzen, Hermine! Wir könnten die Ersten sein, die Basiliskenschuppen in einem hilfreichen Trank verarbeiten.“
„In einem Trank“, konterte Hermine, „den niemals jemand brauen können wird, weil keiner an diese – wie Sie so schön sagten – ’extrem seltene’ Zutat gelangen wird oder möchten Sie etwa die Schuld daran tragen, dass Tränkemeister und Zutatenhändler auf die dumme Idee kommen, Hühnereier von Kröten ausbrüten zu lassen, um einen Basilisk zu züchten?“
„Sie sehen das alles viel zu negativ“, murmelte er missgelaunt, ließ sich jedoch nicht bei seiner Arbeit stören.
„ICH sehe alles negativ? Das ist ja mal ganz was Neues…“ Sie ärgerte sich.
„Mir wird langsam wirklich kalt“, meckerte Harry.
„Es dauert nicht mehr lange.“ Sich zu Harry umdrehend fragte Severus: „Hatte Riddle erwähnt, ob es sich bei diesem Exemplar um ein Männchen oder ein Weibchen handelt?“
Harry blinzelte ein paar Mal. „Wie bitte?“
„Schon gut, ich seh selbst nach“, sagte Severus, bevor er langsamen Schrittes und mit wachen Augen etliche Meter an dem langen Kadaver entlangging, so dass Remus, Hermine und Harry einen Augenblick für sich hatten.
„Hör auf zu grinsen“, sagte Hermine zu Remus, der es so tief unter dem großen See zwar unangenehm kalt, die herrschende Stimmung jedoch erwärmend heiter fand.
„Warum? Ich finde es erfrischend“, konterte er freundlich lächelnd.
„’Erfrischend’ ist nicht das richtige Wort. Es ist verdammt kalt hier.“ Seinen Worten verlieh Harry Ausdruck, als er fröstelnd die Arme vor der Brust verschränkte.
„Wenn wir nicht bald gehen“, flüsterte Hermine, „dann will er womöglich noch einen Zahn mitnehmen. Oder noch schlimmer: das ganze tote Ding!“
„So viele leere Gläser hat er gar nicht“, widersprach Harry.
„Hast du eine Ahnung.“ Hermine verstummte, denn Severus kam zurück.
Auch wenn niemand die Information hören wollte, sagte Severus völlig begeistert: „Nichts! Keine Geschlechtsteile – nicht ein einziger Hemipenis!“
„Mit wie vielen haben Sie denn gerechnet?“, fragte Harry trocken und deutlich gelangweilt.
Mit dem bösen Blick, den er Harry zuwarf, hielt sich Severus nicht lange auf, denn er verkündete beschwingt: „Wir können gleich gehen, ich möchte nur noch einen Zahn aus dem Kiefer lösen.“
Man hörte, wie Remus schnaufte und er überspielte es mit einem dezenten Husten.
„Das Fehlen von Geschlechtsteilen“, begann Severus mit seiner lehrerhaften Stimme, „ist der beste Beweis dafür, dass diese Kreaturen sich tatsächlich nicht selbst fortpflanzen können. Sie entstehen aufgrund äußerst ungewöhnlicher Umstände.“ Man hörte ein lautes Krachen, als Severus mit Hilfe seines Zauberstabes den zweiten großen Zahn aus dem Oberkiefer löste – der andere fehlte, seit Harry damals den Basilisk bezwungen hatte. „Man darf annehmen, dass während des Ausbrütens des Hühnereis eine sehr bizarre Magiekonstellation entsteht, die immerhin kräftig genug ist, so ein magisches Wesen hervorzubringen.“ Stolz und mit funkelnden Augen betrachtete er den langen Giftzahn, den er endlich errungen hatte. „Möglicherweise ist es bei einem Phönix ähnlich? Harry, ist Fawkes tatsächlich männlich?“ Harry fühlte sich in die erste Klasse zurückversetzt, als Severus ihm absichtlich Fragen gestellt hatte, die er gar nicht hätte beantworten können. Unsicher hob und senkte er einmal die Schultern. „Dann sollten Sie vielleicht einmal nachsehen?“, empfahl Severus schmunzelnd. „Hat sich noch etwas in Bezug auf die Verdickung bei dem Vogel ergeben? Konnte Albus eine Vermutung äußern?“
„Nein, er meinte nur, dass Fawkes sich womöglich bald erneuern möchte.“
„Ah“, war Severus’ einziger Kommentar dazu.
Sich ein Seufzen nicht verkneifen könnend fragte Hermine müde klingend: „Können wir jetzt bitte gehen? Mir ist nach einem heißen Tee!“
Endlich, dachte Harry erleichtert, konnte er zurück in sein geheiztes Wohnzimmer, doch ihr Weg führte sie zunächst durch die engen Gänge zurück zum Abflussrohr, aus welchem Harry sich nach einer Viertelstunde als Erster herauszwängte.
„Es ist da!“, sagte Heiler Haig fröhlich, bevor er den verschmierten kleinen Körper des ruhigen Neugeborenen säuberte und die Atemwege mit einem Spruch befreite. Nach einigen Standarduntersuchungen verkündete Heilerin Livingstone, dass der Junge kerngesund wäre. Ohne Zutun begann das Neugeborene aus voller Lunge zu schreien, weswegen Susans Lächeln immer breiter wurde. Heiler Haig überreichte ihr nach einem Moment den Jungen, die ihn freudestrahlend entgegennahm und an ihre Brust drückte. Der Junge schluchzte nur noch einmal, bevor er sich beruhigte.
„Hallo du“, flüsterte sie ihm ins Ohr und er machte ein Geräusch, als hätte er Schluckauf. Sie streichelte ihm über den hellroten Flaum, der aus seinem Haupt spross.
Dass der Heiler und die Heilerin alles Mögliche säuberten und desinfizierten, davon bekam Susan gar nichts mit, doch nach einem Moment des inneren Friedens bat sie: „Würden Sie bitte meinen Mann holen?“ Heiler Haig nickte und ging hinaus, während Heilerin Livingstone bei Susan blieb und sie über die Dinge informierte, die heute noch auf sie zukommen würden.
Heiler Haig kam mit dem auffallend kränklich wirkenden Vater im Schlepptau zurück ins Zimmer.
So leise, als hätte Draco Angst zu sprechen, fragte er, nachdem er sich zu ihr aufs Bett gesetzt hatte: „Wie geht’s dir?“ Seine Augen wanderten von den ihren zu dem Säugling auf ihrer Brust und allein der Anblick verbannte viele der schlimmen Erinnerungen aus seinem Leben, um sie nun durch neue und viel schönere ersetzen zu wollen.
„Uns geht es gut“, antwortete sie, ohne zu wissen, dass sie dem Drang verfallen war, auch für das Kind zu sprechen. „Es ist ein Junge“, flüsterte sie gleich im Anschluss. Dracos Lippen begannen zu zittern. Zaghaft und ehrfürchtig streckte er eine Hand nach dem kleinen Kopf aus.
Selig lächelnd bemerkte Draco: „Er ist so runzelig.“
Heilerin Livingstone erklärte unaufgefordert: „Das ist bei allen Neugeborenen so, aber das geht bald zurück und die Haut wird sich glätten.“ Sie lächelte und scherzte: „Wenn Sie zu lange in der Badewanne gelegen haben, dann ist Ihre Haut sicherlich auch runzelig.“
Mit nur einem Ohr hatte Draco zugehört, denn er streichelte jede erreichbare Stelle des kleinen Jungen, der erschöpft auf seiner Mutter liegend eingeschlafen war.
Zuletzt geändert von Muggelchen am 02.02.2011 10:15, insgesamt 1-mal geändert.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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Re: Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit (156)
oje, dann wünsch ich natürlich erstmal gute besserung! ich kann mich ja noch ein wenig gedulden ;)
aber das kapitel war wirklich wieder super! severus wie gewohnt in seinem element und bei der überschrift musste ich schon lachen. und die übergänge fand ich prima. als alle aus der kammer rauskamen und das mit der geburt des babys verglichen würde
super!
aber das kapitel war wirklich wieder super! severus wie gewohnt in seinem element und bei der überschrift musste ich schon lachen. und die übergänge fand ich prima. als alle aus der kammer rauskamen und das mit der geburt des babys verglichen würde

- Muggelchen
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Hallo Là,
beim letzten Kapiteltitel konnte man wenigstens ahnen, um was es geht. Bei diesem wird man denken "Was?". Es wird nicht hier, aber beim nächsten Mal erklärt, was es bedeutet.
Ja, die Übergänge beim letzten Kapitel waren ... ungewöhnlich. Zum Glück aber nicht geschmacklos ;)
Viel Spaß, Muggelchen
157 Topor
„Mr. Zabini“, grüßte Kingsley erstaunt, denn er hatte nicht mit einem Besuch des jungen Mannes gerechnet, der seine artige und ruhige Tochter an der Hand hielt.
„Mr. Shacklebolt, verzeihen Sie bitte, dass ich Sie unangemeldet aufsuche. Es geht um…“ Blaise verstummte, als der Mann mit den breiten Schultern ihm die Hand entgegenstreckte, die er kurz, aber kräftig schüttelte.
„Nehmen Sie beide doch bitte Platz.“ Der Aufforderung kam Blaise sofort nach. An Berenice gerichtet fragte Kingsley mit warmer Stimme: „Wie geht es dir, Kleine?“ Sie lächelte nur schüchtern. „Möchtest du einen Bonbon?“ Eine Schale, die auf dem Tisch stand, an das Mädchen reichend streckte sie bereites die kleine Hand aus, doch auf der Hälfte des Weges hielt sie inne und blickte ihren Vater fragend an, der ihr mit einem kurzen Nicken die Erlaubnis gab, zugreifen zu dürfen. „Mr. Zabini, wenn ich mir die Frage erlauben darf: Wie haben Sie sich wieder einleben können? Es ist ja noch nicht allzu lange her, dass wir Sie gefunden haben.“
Zunächst kräftig schluckend erwiderte Blaise im Anschluss: „Danke der Nachfrage, ich hatte einige Menschen um mich herum, die mir meine Situation erleichtert haben. Die Angestellten im Ministerium sind auch sehr freundlich. Gerade eben hatte ich einen Antrag gestellt.“
„Sie möchten sicherlich Ihr Haus zurückerhalten“, hatte Kingsley richtig geraten, denn dann könnte der junge Mann mit seiner Tochter ein normales Leben beginnen.
„Ja Sir, aber es scheint Probleme zu geben. Meine Mutter ist verschollen und sie ist die rechtmäßige Eigentümerin. Da sie nicht als verschieden in den Akten geführt wird…“
„Wir mussten leider solche Vorkehrungen treffen, Mr. Zabini. Es gab einige Fälle, in denen Menschen den Grund und Boden von vermissten Familienangehörigen an sich gerissen hatten, um es zu veräußern. Die Verschollenen standen vor dem Nichts, nachdem sie unerwartet wieder aufgetaucht waren.“
Blaise senkte seinen Blick und fühlte sich gekränkt, weil man indirekt auch von ihm glaubte, das Verhältnis zu seiner Mutter wäre womöglich so schlecht, dass er ihr in diesem Sinne schaden wollen würde.
„Aber“, fuhr Kingsley ermutigend fort, „ich denke, wir können in Ihrem Fall eine Ausnahme machen. Sie müssten nur unterschreiben, dass Sie den Besitz Ihrer Mutter weder baulich verändern, an Dritte veräußern oder mutwillig zerstören möchten und ich werde dafür sorgen, dass Sie nicht lange warten müssen. Ich werde ein Nutzungsrecht für Sie erwirken; das Haus wird weiterhin Ihrer Mutter gehören, aber Sie dürfen darin wohnen. Was das Vermögen betrifft, so wird man Ihnen sicherlich eine Art ’Pflichtteil beim Erbe zu Lebzeiten’ gewähren. Mit dem sollten Sie auskommen, denn ich war so frei, mich über den Inhalt der Verliese bei der Bank zu erkundigen.“
„Ich wäre Ihnen dafür sehr dankbar, Mr. Shacklebolt. Wir haben keine Bleibe und Gringotts hatte mir bisher nur einen Vorschuss aus dem Familienvermögen gewährt.“
„Die kleinen Männer“, warf Berenice breit grinsend ein, weil sie den Namen der Bank mit den nicht sehr groß gewachsenen Kobolden assoziierte. Ihr Vater lächelte ihr zu und zeigte damit, dass sie richtig lag.
Nachdem Kingsley zwei Formulare ausgefüllt und Blaise zum Lesen gegeben hatte, unterschrieb der junge Mann beide und gab sie zurück.
„Ich schätze“, wägte Kingsley ab, „dass Sie morgen Vormittag herkommen und sich bereits die Bestätigung abholen können, das Haus beziehen zu dürfen. Die ministeriumseigenen Schutzzauber werden natürlich aufgehoben.“ Die Formulare legte Kingsley nicht auf den großen Stapel auf seinen Tisch, sondern separat in die Mitte, bevor er sich erneut Blaise zuwandte. „Aber ich hatte Sie anfangs gleich unterbrochen, Mr. Zabini. Es klang so, als hätten Sie mich wegen einer ganz anderen Angelegenheit aufgesucht.“
Nickend bestätigte Blaise die Vermutung seines Gegenübers. „Es geht um Mr. Gregory Goyle junior.“
„Was ist mit ihm?“, wollte Kingsley wissen.
„Nun ja, ich dachte, das könnten Sie mir sagen.“ Es war deutlich herauszuhören, dass Blaise besorgt schien.
Kingsley war ein wenig skeptisch, doch nicht dem jungen Mann gegenüber, sondern nur aufgrund des Interesses. „Darf ich fragen, warum Sie sich über Mr. Goyle informieren möchten?“
„Es ist kein Verbrechen, sich um einen Menschen zu kümmern, der dem Tode nahe ist oder?“, fragte Blaise scheinbar zusammenhanglos und in einem Tonfall, der nur eine Antwort zuließ.
„Nein, ist es nicht.“
„Wird daraus ein Verbrechen, wenn dieser Mensch das dunkle Mal auf dem Arm trägt?“
„Ich würde auch hier verneinen, Mr. Zabini, solange es nur um das Leben dieses Todessers ging, nicht aber darum, ihn bei einem fragwürdigen Vorhaben zu unterstützen.“ Kingsley blickte Blaise in die Augen und wartete darauf, erleuchtet zu werden.
So erzählte Blaise mit leiser Stimme die Ereignisse, die sich damals zugetragen hatten. Er schilderte, wie Pansys und seine Familie zu den Menschen gehört hatten, die von Todessern dazu aufgefordert worden waren, sich Voldemort anzuschließen. Unabhängig voneinander waren Pansy und er von den Eltern dazu angehalten worden, die gewohnte Umgebung zu verlassen und unterzutauchen, damit sie sich nicht um das Leben des einzigen Kindes sorgen mussten, wenn sie sich gegen die Todesser und Voldemort aufzulehnen wagten.
Die ganze Zeit hatte Kingsley zugehört, bevor er nachfragte: „Sie sagten, es gäbe einen großen Gutshof in Peninver, der unter Fidelius stehen würde?“
„Das hatte Miss Parkinson während ihrer Reise erfahren. Wenn man sich an dem Ort aufhalten würde, wo das Gebäude stehen müsste, dann würde irgendwann der Geheimniswahrer hinauskommen, der dann entscheiden würde, ob er einen einließe oder nicht. Ich weiß nicht, ob es der Wahrheit entspricht, aber das war wenigstens ein Ziel. Man konnte ja niemandem mehr trauen.“
Nur zu gut konnte sich Kingsley an die Intrigen erinnern, die während der Kriegszeit gesponnen worden waren. Niemand wusste mehr, ob der Nachbar – wenn schon nicht aus Überzeugung, dann vielleicht aus Angst um das eigene Leben – ein Verbündeter Voldemorts gewesen war oder nicht. Man konnte zu keiner Zeit an keinem Ort sicher sein, durfte nicht frei und offen sagen, was man dachte. Nur im Phönixorden, erinnerte sich Kingsley, da war man sich hundertprozentig sicher, dass es keine Spione gegeben hatte.
„Diese Reise muss für Sie sehr anstrengend gewesen sein“, sagte Kingsley mitleidig.
„Es war ein weiter Weg zu Fuß. Ich war recht bald meiner ehemaligen Klassenkameradin über den Weg gelaufen. Es war schön jemanden zu treffen, dem man vertraute. Wir fühlten uns gemeinsam viel sicherer, und wir hatten es vermieden, in einem Ort länger als eine Nacht zu bleiben. Oft sind wir sogar in der Dunkelheit weitergegangen und haben tagsüber ein kurzes Nickerchen gehalten. Zum Glück war es warm gewesen.“
„Sie haben nie die Zauberstäbe benutzt?“, wollte Kingsley wissen, der sich gar nicht vorstellen wollte, wie beschränkt ein Leben ohne Magie sein würde. „Wie haben Sie sich ernährt?“
Einmal die Schultern hebend und senkend zählte Blaise auf: „Gemüse und Obst von Muggelbauern, Vogeleier, Fisch, alle möglichen Pflanzen. Einmal hatte ich sogar einen Hasen gefangen, aber Miss Parkinson sagte, sie würde lieber stundenlang für uns beide Beeren pflücken, bevor sie mit ansehen müsste, wie ich einem so niedlichen Tier das Fell über die Ohren ziehe. Ich hab ihn laufen lassen.“
Mit einem milden Lächeln erinnerte sich Blaise an diesen besagten Tag, denn da waren sich die beiden das erste Mal näher gekommen.
„Wir haben sehr viel später Gregory Goyle gefunden“, gestand Blaise flüsternd, als würde er erwarten, allein deswegen sofort nach Askaban geschickt zu werden. „Er war völlig…“ Angewiderte schüttelte er den Kopf. „Wir hätten ihn beinahe nicht erkannt. Man musste ihm ins Gesicht getreten haben; alles war stark angeschwollen. Zwei seiner Rippen waren angebrochen und er hatte einen Schienbeinbruch. Er war nur bedingt bei Bewusstsein, als wir ihn fanden; er war sehr verwirrt und sagte immer wieder, dass er seinen Vater hasste. Miss Parkinson war der Überzeugung, dass man ihn mit dem Cruciatus gefoltert haben musste. Seine Muskeln zogen sich spasmisch zusammen und er spuckte ein wenig Blut. Aus Erzählungen wusste sie von ihrem Vater, wie jemand aussehen könnte, der mit dem Cruciatus gefoltert worden war.“ Weil Kingsley die Augenbrauen zusammenzog, erklärte Blaise schnell: „Ihr Vater hatte einmal durch Zufall ein solches Opfer gesehen.“ Kingsley nickte verständnisvoll, so dass Blaise fortfuhr. „Wir haben uns um Gregorys Wunden gekümmert und ihn mitgenommen, die ganze Zeit über zusammen getragen, ihn gefüttert und sauber gehalten, bis wir nach ein paar Tagen an einen abgelegenen See gekommen waren. Miss Parkinson hatte die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und all unsere Kleidung gewaschen und so auch die von Goyle. Erst da haben wir das dunkle Mal entdeckt; beide haben wir so getan, als hätten wir es nicht gesehen, aber uns beiden war in diesem Moment auch klar geworden, dass Gregory kein überzeugter Todesser war, nur weil er das Mal trug.“ Blaise lachte kurz auf, als er einen abstrusen Vergleich zog, denn er sagte: „Und auch nicht jeder, der eine Krone trägt, ist automatisch ein König.“ Er schüttelte sachte den Kopf und flüsterte: „Er ist da hineingeboren worden und konnte gar nichts dagegen tun.“
„Wie ging es mit Ihnen dreien weiter?“
„Nach und nach hatte Gregory bald wieder klar denken können. Er hat uns nicht viel erzählt, nur immer wieder beteuert, dass er nicht wie sein Vater wäre. Wir waren mit ihm insgesamt ungefähr fünf Wochen unterwegs. Ständig mussten wir uns verstecken, weil die Wege und Straßen nicht sicher waren. Es hätte auf diese Weise ewig gedauert, Peninver zu erreichen. Gregory sagte, wir müssten sehr vorsichtig sein, denn wenn Pansy nur durch Zufall von Peninver gehört hätte, dann würden die Todesser sicherlich längst davon wissen.“
Unaufgefordert schenkte Kingsley seinem Besuch und dessen artiger Tochter einen Tee ein.
„Sie hatten damals beim Verhör gesagt, dass Sie die Zauberstäbe absichtlich neben zwei Brandleichen gelegt hatten, damit man Sie beide später für tot erklären würde“, warf Kingsley ein.
„Ja, unsere Stäbe sollten neben den Brandopfern ja nicht wie neu aussehen, deswegen sind wir vorsichtig in das schon sehr heruntergebrannte Haus hineingegangen, um die Stäbe zu tauschen.“
„Warum haben Sie nur zwei Stäbe getauscht? Hatte Mr. Goyle keinen bei sich?“, wollte Kingsley wissen.
Blaise schüttelte den Kopf. „Hatte er nicht, aber zu diesem Zeitpunkt war er nicht mehr bei uns, denn kurz vorher…“ Blaise holte Luft. „Am gleichen Tag gab es eine Auseinandersetzung zwischen Todessern und Muggeln. Man hatte Goyle erwischt.“
Erstaunt fragte Kingsley: „Mr. Goyle wurde von den Todessern überwältigt?“
„Nein Sir, er wurde von den Muggeln mitgenommen! Uns hatte man zum Glück nicht gesehen und wir konnten uns verstecken, aber Gregory war durch sein Bein – es war noch nicht ganz verheilt – sehr langsam gewesen; er konnte nicht mit uns mithalten. Sie haben ihn erwischt.“
„Das ist wirklich“, sagte Kingsley mit hochgezogenen Augenbrauen, „sehr ungewöhnlich, Mr. Zabini. Haben Sie eine Ahnung, was für Muggel das gewesen sein könnten?“
„Nein, aber wir haben gehört, dass sie ihn nach Clova bringen wollten.“
Eins und eins waren schnell zusammengezählt, denn in der Nähe von Clova lag Hopkins’ kleine Festung, doch dem jungen Mann wollte er davon nichts sagen.
„Das war auch der Tag gewesen“, fragte Kingsley, „an welchem einer der Todesser Miss Parkinson mit einem Gegenstand in den Rücken gestochen hatte?“
„Richtig, Sir. Miss Parkinson fühlte sich danach sehr schwach, obwohl der Stich nicht tief gewesen war. Ich habe gleich geahnt, dass es sich um irgendeine Art Gift handeln musste, das sich nun in ihrem Blutkreislauf befand. Sie war zu diesem Zeitpunkt schon im dritten Monat schwanger, müssen Sie wissen. Ich hatte große Sorgen.“
„Sie haben Peninver bald aufgegeben, wie es aussah, denn Malfoy Manor liegt in einer ganz anderen Richtung“, kombinierte Kingsley.
„Der Weg war zu gefährlich. Miss Parkinson war davon überzeugt, dass die Todesser uns im Haus eines Todessers nicht suchen würden. Wir wussten ja aus den Zeitungen, dass man Mrs. Malfoy schon seit einiger Zeit vermisst gemeldet hatte und dass Draco von der Bildfläche verschwunden war. Außerdem gingen wir davon aus, dass Mr. Malfoy sich nach dem Ausbruch aus Askaban sicherlich nicht nachhause wagen würde, also musste das Haus leer stehen. Als Freund der Familie waren die Schutzzauber für Miss Parkinson kein Problem und solange ich bei ihr war, konnte auch ich das Haus betreten. Ein Problem waren anfangs die vielen Auroren, die das Herrenhaus bewacht hatten. Wir warteten zwei Nächte und nutzten in der dritten einen Schichtwechsel, um das Haus heimlich zu betreten. Dank des kräftigen Schutzwalls war es möglich, im Haus zaubern zu können, ohne dass irgendwelche Magiesignaturen nach außen gelangten und deswegen hatte ich einen der Stäbe aus der Vitrine genommen.“
Eine kurze Sprechpause nutzte Blaise, um von seinem Tee zu nippen. Er wollte nicht, dass sie Erinnerungen an die Zeit in Malfoy Manor ihn traurig stimmten. Sein Gegenüber strahlte jedoch so eine Vertrautheit aus, dass er sich einen Ruck gab.
„Miss Parkinson ging es während der restlichen Zeit der Schwangerschaft gar nicht gut, aber sie hat tapfer durchgehalten. Kaum war Berenice zur Welt gekommen, glaubte ich meine Lebensgefährtin verloren. Ich war von ihrem unerwarteten ’Tod’ völlig schockiert, aber noch verstörender war es gewesen, als sie nach ein paar Stunden wieder bei sich war. Sie sagte, sie hätte alles hören und fühlten können, aber sie konnte sich nicht bewegen; nicht einmal atmen. Sie hatte den Stich dafür verantwortlich gemacht.“ Blaise seufzte. „Ich habe mich bald damit abgefunden, dass sie nur selten und in unregelmäßigen Rhythmen aufwacht. Alleine konnte ich das Haus durch die Schutzzauber nicht verlassen, aber wohin hätte ich auch gehen sollen, um Hilfe zu holen?“ Er schüttelte den Kopf. „Die Situation war so verfahren, dass wir uns in dem Haus irgendwann heimisch fühlten – heimisch fühlen wollten. Wir wollten warten, bis der Krieg vorüber war, aber wir hatten keinerlei Anhaltspunkte; keine Zeitungen, keine Informationen – und wenn der Krieg vorüber sein sollte, dann bliebe für uns immer noch die Frage, welche Seite wohl gewonnen haben mochte und so haben wir uns dazu entschlossen, einfach dort zu bleiben und uns um die Welt draußen erst einmal nicht mehr zu kümmern.“
Berenice wollte auch etwas erzählen und sagte, während ihre Augen lebendig funkelten: „Die schöne Frau hat Kekse gekauft!“
Weil Kingsley ein wenig irritiert, aber dennoch amüsiert dreinschaute, erklärte Blaise lächelnd: „Als wir gemerkt haben, dass jemand im Haus war – Mrs. Malfoy – da habe ich beschlossen, dass wir das Zimmer nicht mehr verlassen, aber wie es scheint“, er blickte zu seiner Tochter hinüber, „haben sich nicht alle dran gehalten.“
„Aber ich war doch ganz leise“, versicherte die Kleine schmollend. „Wie du es mir immer gesagt hast.“
Grinsend ließ Kingsley ein paar Kekse an den Tisch schweben, woraufhin Berenice begeistert zugriff.
Den Vater des Mädchens ansehend sprach Kingsley eine Sache an, die ihn persönlich interessierte: „Sie hatten den einen Abend, als wir Sie festgenommen hatten, ein äußerst gutes Gehör.“
Blaise musste ein Lächeln unterdrücken, gab jedoch zu: „Wir mussten uns während unserer Reise nach Peninver sehr häufig auf unsere Ohren verlassen, ganz besonders wenn es dunkel war. Man lernt irgendwann, auf bestimmte Geräusche zu achten: reibende Kleidung, Schritte, knackende Äste. Miss Parkinson und ich konnten sehr bald verschiedene Tierarten unterscheiden und zwar allein aufgrund der Geräusche, die sie beim Gehen verursacht haben. Einmal hatte sich jemand angeschlichen, den wir nicht sehen konnten, wir hörten auch keine Schritte, aber derjenige hatte geatmet. Wir konnte ihn nur aufgrund dieses leisen Geräuschs überwältigen.“ Blaise blickte zu Berenice hinüber, die an einem Keks knabberte. „Wir haben uns in Malfoy Manor selten unterhalten und wenn, dann nur sehr leise. Sie hat auch angefangen, auf Geräusche zu achten; dachte immer, sie könnte vielleicht irgendwann ihre Mutter atmen hören.“
„Hat Professor Puddle oder Professor Junot Sie darüber unterrichtet, wie es mit Miss Parkinson weitergehen wird?“, wollte Kingsley wissen, weil das Schicksal der jungen Frau ihn nicht unberührt ließ.
„Sie versuchen ihr Bestes, aber ich habe mich auch an Professor Snape gewandt. Professor Junot hatte mir gesagt, dass aus Hogwarts die bisher einzige Antwort wegen des Trankes gekommen war und die Information auch noch sehr hilfreich wäre.“
„Hatten Sie Professor Snape wegen Mr. Goyle gefragt?“
Nickend bestätigte Blaise. „Er sagte, ich solle mit Ihnen darüber reden.“
Kingsley nahm einen tiefen Atemzug, bevor er dem jungen Mann eine äußerst vertrauliche Information gab.
„Mr. Goyle liegt im Mungos, gar nicht mal so weit weg von dem Zimmer, in welchem Miss Parkinson liegt.“
Erstaunt fragte Blaise nach: „Auf der gleichen Station?“
„Ja, als man ihn gefunden hatte, sah er ähnlich aus wie Sie es beschrieben hatten. Ich vermute, dass die Muggel ihm nochmals sehr zugesetzt haben müssen. Er hat das Bewusstsein verloren und ist bisher nicht aufgewacht.“
„Vom Regen in die Traufe“, flüsterte Blaise mitfühlend, bevor er seinem Gegenüber in die Augen blickte. „Er ist noch nicht aufgewacht? Nicht ein einziges Mal?“
„Nein, leider nicht. Man kümmert sich um ihn, aber man kann ihn nicht behandeln, weil man nicht weiß, warum er nicht aufwacht. Er reagiert aber auf Schmerzreize und zeigt Abwehrreaktionen.“
„Dürfte ich ihn wohl besuchen?“, fragte Blaise erwartungsvoll, weil er das Gesicht des ehemaligen Schülers, der ihm in einer schlimmen Zeit sympathisch geworden war, gern noch einmal sehen würde.
„Ich befürchte leider, dass das nicht realisierbar wäre. Nicht wegen Ihnen, Mr. Zabini, und auch nicht wegen Mr. Goyle selbst, aber wegen dessen Zimmergenossen. Vielleicht wäre es aber möglich, Mr. Goyle in ein anderes Zimmer zu verlegen?“ Blaise nickte verständnisvoll, bevor Kingsley fragte: „Hat Mr. Goyle etwas über seine Zeit bei den Todessern gesagt? Wo sie sich aufgehalten hatten oder wer alles dabei gewesen war?“
„Nein, nicht sehr viel. Er sagte nur, er hätte von nun an keinen Vater mehr. Ich hatte aus Gesprächen heraushören können, dass er jemanden umbringen sollte; er hätte es nicht gekonnt. Ich habe nie nachgefragt, aber ich war mir sicher, dass man ihn deswegen so zugerichtet hatte. Man dachte wohl, er würde sterben und deswegen hatten sie ihn allein gelassen. Mr. Goyle sagte einmal zu mir, wenn er eines Tages sterben sollte, dann nicht in seinem Elternhaus und schon gar nicht vor den ganzen Todessern. Man kann vermuten, dass die Todesser im Haus der Goyles gewesen waren, aber ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Er musste seine letzte Kraft dazu aufgebracht haben, sich nach draußen zu robben. In der gleichen Nacht hatten wir ihn gefunden. Wir wussten nicht einmal, dass ganz in unserer Nähe Todesser waren.“
Während Berenice bereits den dritten Keks wortlos verputzte, atmete Kingsley erleichtert durch.
„Es ist gut, dass Sie mit mir gesprochen haben, Mr. Zabini. Ich denke, ich werde es ermöglichen können, dass Sie Mr. Goyle besuchen können. Wo kann ich Sie erreichen?“
„Momentan dürfen wir noch im Krankenhaus bleiben, aber wenn ich morgen tatsächlich das Haus bekommen könnte…“
„Das wird sicherlich reibungslos vonstatten gehen“, versicherte Kingsley.
Sie verabschiedeten sich voneinander und kaum war die Tür geschlossen, hörte Kingsley ein Plop hinter sich. Ein Elf war erschienen.
„Sir, Melua hat einen Termin bei Mr. Shacklebolt“, sagte die betagte Hauselfe, deren Augen aufgeregt blinzelten.
„Seien Sie herzlich gegrüßt, Melua. Setzen Sie sich doch bitte“, grüßte Kingsley freundlich, doch er rechnete nicht damit, dass die Elfe an Ort und Stelle Platz nahm und zwar auf dem Boden. Dieser Anblick bewegte und verärgerte ihn gleichermaßen, doch er riss sich zusammen. Neben sich auf das Polster der Couch klopfend sagte er: „Nehmen Sie doch bitte hier Platz, das ist wesentlich gemütlicher.“
Skeptisch blickte die Elfe auf die Couch, als würde sie mit einer bösen Falle rechnen, doch sie kam seiner Aufforderung – wenn auch sehr zögerlich – nach. „Sie wissen, warum ich mit Ihnen sprechen möchte?“ Die Elfe nickte heftig, doch man sah ihr an, dass sie sich nicht wohl fühlte. „Sie können offen und ehrlich mit mir sein. Unser Gespräch ist vertraulich; Ihr Meister darf sich nicht über das heutige Gespräch mit mir bei Ihnen erkundigen, das hat er bindend unterschrieben. Es gibt also keinen Grund, Angst vor einer möglichen Bestrafung zu haben.“
Die Elfe machte ein Gesicht, als hätte man ihr gerade ein für sie bestimmtes Henkersbeil gezeigt, doch sie nickte, obwohl sie der Situation nicht zu trauen schien.
„Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Ihrem Meister und dessen Familie bezeichnen?“, fragte Kingsley vorsichtig, doch die Elfe antwortete nicht. „Gibt es etwas, dass Sie in Ihrem Leben gar nicht mögen?“ Wieder hielt die Elfe ihren Mund, doch an ihrem Gesicht konnte Kingsley erkennen, dass sie nachdachte und sehr wahrscheinlich alle Fragen in Gedanken beantwortete. „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir Dinge nennen würden, die man in der Beziehung von Mensch und Elf verbessern könnte. Gibt es etwas, das Sie vorschlagen möchten?“
Die meisten Elfen hatten bisher so reagiert wie diese. Sie hatten alle aufmerksam zugehört, doch kaum etwas gesagt und schon gar nichts Schlechtes über ihren Meister. Wenige Elfen waren jedoch ehrlich gewesen und ihre Schilderungen hatten Kingsley schockiert.
Er seufzte, weil er ahnte, dass Melua, die sechzigjährige Hauselfe einer angesehen Zaubererfamilie, ebenfalls nichts zu den Umständen ihrer Beschäftigung sagen wollte, doch er hakte nach und fragte mit leiser, vertraulicher Stimme: „Werden Sie gut behandelt?“ Die Elfe kniff ihre Lippen zusammen, als würde sie sich selbst davon abhalten wollen, auch nur ein einziges Wort zu verlieren.
Erneut seufzte Kingsley, bevor er einen Moment lang wortlos neben der Elfe saß. Sich einen Tee einschenkend fragte er höflich: „Möchten Sie auch eine Tasse Tee?“
Aufgrund dieser unbedeutenden Frage brach die Elfe in Tränen aus, denn solche netten Worte waren noch nie an sie gerichtet worden.
In Hogwarts weinte sich noch jemand anderes die Augen aus und Harry hatte arge Mühe, Nicholas zu beruhigen, doch nichts, was er tat, stoppte die Tränen oder das laute Schreien.
„Hier“, sagte Ginny und reichte ihm eine kleine Dose. „Hermine hat gesagt, die Paste soll man auf dem Zahnfleisch verteilen, es wäre schmerzlindernd.“ Der kleine Junge war vom Schreien schon ganz rot im Gesicht; Harry hingegen vernahm bereits ein leises Klingeln im Ohr. Es war leicht, die Paste zu verteilen, denn Nicholas’ Mund war weit aufgerissen, während er seinen Zahnschmerz lauthals kundtat.
„Was meinst du, wie viel Dezibel Nicholas wohl erreicht?“ Harry grinste schelmisch, während er mit seinem kleinen Finger vorsichtig im Mund des Babys hantierte.
„Ich würde meinen, er wäre genauso laut wie ein Knallrümpfiger Kröter, der gerade explodiert“, erwiderte sie grinsend.
Das Baby wurde leiser, schluchzte noch ein paar Mal mitleiderregend, bevor er vor lauter Müdigkeit die Augen schloss.
„Ich glaube“, sagte Harry leise, „ich habe jetzt einen Tinnitus.“
„Dagegen gibt’s einen Zauberspruch“, scherzte Ginny zurück, die Nicholas vorsichtig an sich nahm, um mit ihm ins Schlafzimmer zu gehen.
Es überraschte Harry, dass Wobbel ein paar Minuten später bei ihm auftauchte, obwohl dessen Arbeit laut Vereinbarung erst in ein paar Stunden beginnen würde.
„Wobbel“, grüßte Harry freudestrahlend, „was kann ich für dich tun?“
„Ich… ähm…“ Der Elf schien verlegen.
„Setz dich erst einmal. Möchtest du auch ein Stück Kuchen?“
Bereits zum Zauberstab greifend ließ er per Levitation je ein Stückchen Schokoladenkuchen auf die beiden Teller schweben und aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie Wobbel seine Zauberkünste beobachtete und derweil kritisch mit dem Kopf schüttelte, was Harry schon einmal bemerkt hatte. Der Elf setzte sich neben Harry und nahm dankend den Teller mit dem Kuchen entgegen. Er begann sofort zu Essen, so dass Harry es ihm gleichtat.
Erst nach drei Bissen Kuchen sagte Wobbel leise: „Sir, ich möchte in einer wichtigen Angelegenheit mit Ihnen sprechen.“ Verdutzt blickte Harry seinen kleinen Freund an und lauschte, als Wobbel verbesserte: „Beziehungsweise möchte ich Sie wegen etwas um Erlaubnis bitten.“
„Wobbel, du musst mich nicht immer um Erlaubnis bitten. Du kannst ruhig…“
„Nein Sir“, unterbrach Wobbel mutig, „ich muss! Es ist vom Ministerium vorgeschrieben.“
Den Ernst der Lage spürend stellte Harry seinen Teller mit dem angefangenen Stück Kuchen auf den Tisch ab, damit er sich voll und ganz seinem kleinen Freund widmen konnte.
Wobbel stöhnte, stellte jedoch ebenfalls den Teller ab und sagte, während es ihm schwerfiel, Harry in die Augen zu blicken: „Ich möchte um Erlaubnis bitten, einer Dame den Hof machen zu dürfen.“
Harrys Augenbrauen gingen nahtlos in seinen Haaransatz über. „Wie kommen wir denn dazu, dass du mich deswegen fragen musst? Nein Wobbel, da brauchst du keine Erlaubnis von mir. Natürlich darfst du…“
„Sir?“ Harry hielt sofort inne. „Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass ein Hauself den Herrn um Erlaubnis fragen muss und nicht nur das.“ Wobbel zog ein Stück Pergament aus der Jackentasche seines Trainingsanzugs. Auf dem Briefkopf erkannte Harry das Symbol des Ministeriums. „Ich muss auch um Ihre Unterschrift bitten, Mr. Potter.“
„Ich glaub’s nicht“, sagte Harry zu sich selbst, während er das Formular entgegennahm und zu lesen begann. Angewidert schüttelte er den Kopf, zauberte sich aber sofort Feder und Tintenfass herbei. Während er unterschrieb, sagte er entschuldigend: „Das tut mir so Leid, dass du mich um eine so natürliche Sache bitten musst.“
Peinlich berührt reichte Harry seinem Elf das unterschriebene Formular zurück. Er kam sich schäbig vor, obwohl er immer versucht hatte, Wobbel wie einen freien Hauself zu behandeln, auch wenn der sich bisher vehement gegen Bezahlung gewehrt hatte. Harry hatte immer einen Weg gefunden, Wobbel mehr Freiheit zu geben als es laut Ministeriumsvorgaben vorgesehen war. Ihm über einen Umweg Kleidung zu gestatten war nur die Spitze des Eisberges gewesen.
Mit zittriger Hand nahm Wobbel das Pergament entgegen, um es in seiner Tasche verschwinden zu lassen. Harry konnte nicht anders, als seinem Freund ermutigend auf die Schulter zu klopfen, doch da hielt Wobbel ihm plötzlich ein weiteres Formular unter die Nase, während er selbst beschämt zu Boden blickte.
Zögerlich nahm Harry auch dieses Schriftstück in die Hand und begann zu lesen, bevor er erbost in den Raum hineinmeckerte: „Das kann es doch nicht geben! Das ist unmenschlich!“
Sich beugend flüsterte Wobbel: „Ich bin ja auch kein Mensch.“
Erschrocken über seinen eigenen Fauxpas versicherte Harry: „Das meine ich doch nicht so.“ Mit dem Schriftstück wedelnd zeterte er: „Ich kann es nicht glauben. Das ist nicht nur rassistisch, das ist die absolute Höhe!“
Eingeschüchtert wirkend fragte Wobbel: „Dann werden Sie es nicht ausfüllen unterschreiben?“
„Natürlich werde ich, aber ich wünschte, du müsstest von mir erst gar keine Genehmigung einholen müssen. Das ist ja wie im Mittelalter!“
Erzürnt über das Formular machte sich Harry daran, die einzelnen Punkte durchzulesen, während ihm immer wieder Schimpfworte entwichen, über die Wobbel großzügig hinweghörte, denn die galten jenen Menschen, die diese Regelungen in grauer Vorzeit getroffen hatten.
„Was soll ich alles ankreuzen, Wobbel?“, fragte Harry unsicher.
„Das, was Sie für richtig halten, Sir.“
„Das geht hier um dein Leben!“, stellte Harry mit Nachdruck klar. „Hilf mir bitte.“ Er war seinem Freund einen flehenden Blick hinüber.
Wobbel rutschte auf der Couch nach vorn, betrachtete den ersten Punkt und fragte Harry verlegen: „Wie viel Nachwuchs würden Sie mir insgesamt gestatten?“
Harry war saurer – natürlich nicht auf Wobbel, sondern auf die Menschen im Ministerium, die solche Formulare noch immer für notwendig hielten. Dean musste davon wissen, doch der konnte nichts dagegen anrichten. Es waren Gesetze, an die sich jeder zu halten hatte.
„Ich sag dir was, Wobbel: Ich bin, was diese Sache betrifft“, er drückte dem Elf das Schriftstück in die Hand, „absolut deiner Meinung. Ich möchte, dass du es für mich ausfüllst. Alles, was du ankreuzt, ist in meinem Sinne, also mach dir keine Gedanken, in Ordnung?“
Ein Lächeln zauberte sich auf Wobbels Gesicht. „Danke, Sir.“
Bevor Wobbel mit einem Plop verschwinden konnte, klopfte es, so dass der Elf zuvorkommend die Tür öffnete und Hermine hineinließ.
„Hallo Wobbel“, grüßte sie fröhlich und er erwiderte den Gruß, bevor er sich verabschiede und sich in Luft auflöste. Als ihr Blick auf Harry fiel, da bemerkte sie, dass seine Laune nicht die Beste war, was sie an der runzligen Stirn ausmachen konnte.
„Was ist dir denn über die Leber gelaufen?“, wollte sie wissen.
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich und es schien, als wäre ihm bei ihrem Anblick gerade etwas Wichtiges eingefallen. „Hermine! Gut, dass du da bist. Wir müssen unbedingt über die Gesetzesänderungen sprechen und zwar in Bezug auf die Hauselfen!“
„Um was geht es denn?“, fragte sie ein wenig besorgt, denn Harry Stimme war noch immer voller Zorn gewesen.
„Wob…“ Er begann anders, damit Wobbel nicht wieder erscheinen würde. „Mein Elf hat mich gerade gefragt, ob er Babys machen darf!“, sagte Harry noch immer sehr perplex.
Hermine strahlte und fragte schelmisch: „Du hast es ihm hoffentlich erlaubt?“
„Verstehst du denn nicht?“, sagte er missgelaunt. „Er musste fragen! Er sollte mich nicht fragen müssen!“
Die Tür vom Schlafzimmer öffnete sich und Ginny huschte mit ermahnendem Blick ins Wohnzimmer.
„Könnt ihr bitte ein bisschen leiser reden, bis ich den Lärmschutzzauber gesprochen habe?“ Ginny wandte einen Spruch an der Schlafzimmertür an, damit Nicholas nicht gestört werden würde. Gleich darauf näherte sie sich Harry und Hermine und auch sie bemerkte, dass mit Harry etwas nicht stimmte.
„Warum bist du so sauer, Harry?“
„Warum ich so sauer bin?“, wiederholte er aufbrausend. „Ich sollte eben ein Formular unterschreiben, das es unserem kleinen Freund erlaubt, eine Elfe zu umwerben und einen Bund mit ihr zu schließen.“
„Aber das ist doch süß“, sagte Ginny grinsend.
Sich mit beiden Händen das Gesicht reibend verdeutlichte er zermürbt: „Ihr versteht mich einfach nicht…“
„Doch“, versicherte Hermine ernst, „ich verstehe. Er darf so einen Schritt nicht ohne deine Erlaubnis wagen. Das ist einfach eine Frechheit!“
Harry nahm seinen Teller mit dem angefangenen Kuchen auf den Schoß, doch bevor er ein Stück aß, schilderte er: „Ihr hättet erst mal das zweite Formular sehen müssen und die Punkte, die dort aufgeführt waren. Da hätte ich doch tatsächlich ankreuzen müssen, ob er die Kinder auch behalten darf! Das ist…“ Er schüttelte entrüstet den Kopf und stellte den Teller wieder aufgebracht zurück auf den Tisch, denn irgendwie war ihm nicht mehr nach Essen zumute. „Hermine, du musst Kingsley bitten, besonders diese Dinge zu ändern. Jeder Elf sollte das Recht haben, sich ohne seinen Herrn um seine Familienplanung kümmern zu dürfen. Ich muss ja auch niemanden fragen, ob ich ein Kind haben darf.“
„Doch“, widersprach Ginny neckend, „du musst mich fragen.“
„Aber das ist doch was anderes! Stell dir vor, ich müsste deine Mum fragen.“
„Die würde dir so viele Kinder erlauben wie du möchtest. Aber um zurück zum Thema zu kommen, ihr behaltet beide Recht. Das ist ungeheuerlich, dass die Zauberergesellschaft ihre Elfen so im Zaum hält.“
Zustimmend nickte Hermine. „Ich habe Kingsley schon einige Vorschläge gemacht, aber nicht spezifisch zu diesem Punkt. Ich werde es nochmal ansprechen.“
Während Ginny ihrer besten Freundin ihren Dank wegen der Salbe gegen Nicholas’ Zahnschmerzen aussprach, murmelte Harry ab und an Boshaftigkeiten, weil ihn die Angelegenheit mit dem Formular noch immer sehr aufregte.
„Hermine, warum bist du eigentlich hier?“, fragte er nach einer Weile, denn eigentlich war sie um diese Uhrzeit bei Severus.
„Ach ja!“ Hermine hatte während ihres Gesprächs mit Ginny ihr Anliegen ganz vergessen. „Ich wollte fragen, ob ich mit Severus zum Grimmauldplatz gehen darf. Ich bin mir sicher, dass in der großen Bibliothek einige alte Bücher stehen, die sich mit Basilisken befassen; zumindest in der Theorie. Wir würden sie uns gern ausleihen.“
„Wo ist Severus jetzt?“
„Er wartet vor der Tür“, antwortete Hermine.
„Warum ist er nicht mit reingekommen?“, fragte Harry, doch eine Antwort wartete er nicht ab, denn er ging bereits zur Tür hinüber, um sie zu öffnen. Die braunen Augen seinen Kollegen starrten ihn überrascht an. „Warum stehen Sie bitteschön hier draußen auf dem Flur?“ Einladend Harry öffnete die Tür und forderte Severus wortlos dazu auf einzutreten. „Sie möchten sich die Bibliothek im Grimmauldplatz ansehen?“
„Wenn Sie nichts dagegen haben“, antwortete Severus ruhig.
„Was sollte ich dagegen haben? Fast jeder, der eingeweiht ist, kann dort ein uns ausgehen.“ Erschöpft ließ sich Harry auf die Couch plumpsen.
„Ich hoffe, Sie haben ab und an mal einen Blick auf das Anwesen geworfen?“, fragte Severus. Weil alle drei ihn fragend anblickten, erklärte er: „Fletcher gehört auch zu den Eingeweihten und man muss leider befürchten, dass er bereits ungestört kostbare Gegenstände aus dem Besitz der Blacks veräußert hat.“
„Nein, da habe ich vorgesorgt“, versicherte Harry. „Er ist der Einzige, der das Haus nicht mehr allein betreten kann und schon gar nicht kann er etwas im Haus anfassen, das wertvoll ist. Die Zwillinge haben mir geholfen, die Gegenstände auf Fletchers Magiesignatur zu prägen und mit fiesen Abwehrzaubern zu versehen.“
Harry grinste niederträchtig, als er sich daran erinnerte, wie Mundungus mit eitrigen Pickeln im Gesicht aus der Küche gestürmt war, nachdem er sich über das Silberbesteck hatte hermachen wollen.
An Hermine gewandt sagte Harry: „Das Passwort ist das Gleiche wie früher, das habe ich nie geändert.“
„Passwort?“, fragte Severus irritiert.
Nickend antwortete Hermine: „In der Bibliothek gibt’s noch einen verborgenen Raum. Der Raum selbst ist zwar sehr klein, aber voller Bücher, die man lieber nicht öffentlich zur Schau stellen sollte.“
„Schwarzmagische?“ Severus Augen glitzerten interessiert.
„Ich nehme an, dass auch Schwarzmagische darunter sind. Ich habe den Raum nie betreten, weiß aber, wo er sich befindet. Nur Remus und Arthur hatten mal die Titel der Bücher überflogen und über sie diskutiert“, erklärte Hermine gewissenhaft.
Severus hob eine Augenbraue. „Dann bin ich gespannt, ob wir dort fündig werden.“
Vor den Toren von Hogwarts angelangt apparierten Severus und Hermine in eine Gasse in London, um von dort aus die paar Schritte bis zum Grimmauldplatz Nummer 12 zu gehen. Obwohl es erst Nachmittag war, war es bereits dunkel, was auch an der dichten Wolkendecke liegen mochte. Sich die heruntergekommenen Häuser in der Straße ansehend murmelte Severus: „Vor fünfundzwanzig Jahren war das hier noch ein angesehenes Viertel.“
Erst jetzt betrachtete Hermine die Umgebung und die wenigen Leute, die sich hier aufhielten. Die Häuser wirkten marode und die Bewohner waren rein äußerlich sehr schlampig gekleidet. Die erste Doppelseite der Tageszeitung „The Moon“ flatterte im Wind umher und schien den bescheidenen Intellekt der hier lebenden Menschen widerspiegeln zu wollen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite beobachtete Hermine fünf Jugendliche, von denen zwei sehr auffällig ein Auge auf eines der wenigen unzerbeulten Autos, die in dieser Straße parkten, geworfen hatten und durch die Scheibe auf der Fahrerseite ins Innere des Wagens blickten. Der durch den Straßenverkehr matschig gewordene Schnee war durch Reinigungsfahrzeuge an den Straßenrand geschoben worden. Über einen dieser grauweißen Hügel steigend, die an einigen Stellen mit den Exkrementen von Vierbeinern versehen waren, hielt Severus ihr die Hand entgegen, die sie dankend ergriff, um nicht auszurutschen. Sie hatten ihr Ziel erreicht: Grimmauldplatz Nummer 12.
Keiner der anwesenden Muggel bemerkte das Haus der Blacks, welches sich den beiden Eingeweihten zeigte. Hermine berührte mit ihrem Zauberstab die Tür mit der abblätternden, schwarzen Farbe, denn ein Schlüsselloch gab es nicht. Man hörte ein metallisches Kratzen, als würden schwere Riegel bewegt werden, dann folgte ein lautes Rasseln wie von schweren Ketten, bevor sich die Tür von allein öffnete und währenddessen einen Seufzer auszustoßen schien. Die beiden konnten das Haus nun betreten.
Es war erschreckend, wie sehr die jahrelangen Ausdunstungen von Möbeln, Tapeten, Teppichen und anderen Gegenständen das Atmen erschweren konnten, denn die Luft lag schwer im Innern des Hauses; der Geruch war ekelhaft. Trotzdem Hermine und Severus sich extra leise verhalten hatten, war das verdeckte Portrait von Mrs. Black hellhörig geworden.
„Wer ist da?“, keifte die Stimme hinter dem schweren Samtvorhang. „Sirius?“ Weil Mrs. Black den Namen ihres Sohnes genannt hatte, wurde Hermine stutzig, doch sie sagte kein Wort, so dass die alte Frau auf dem verhüllten Gemälde prophylaktisch schimpfte: „Abschaum, verschwinde aus meinem Haus, Verräter deines Blutes!“ Die Personen auf anderen Gemälden waren durch das Gezeter aufgeschreckt worden und begannen zu murmeln.
Wortlos schlugen Severus und Hermine den Weg in die Bibliothek ein. Derweil blickten die anderen Herren und Damen aus ihren Gemälden verächtlich zu beiden hinab und flüsterten bösartige Bemerkungen. Nur einmal hörte Hermine das gezischte Wort „Schlammblut“, doch sie reagierte nicht, auch wenn sie dem Bild gern die Meinung gesagt hätte. In der Bibliothek, in der zum Glück kein einziges Gemälde hing – jedenfalls keines, das eine Person abbildete –, atmete Hermine tief durch, während ihre Augen die ruhige Atmosphäre des Raumes mit seinen gemütlich großen Ohrensesseln, die ihr abgewandt am Kamin aufgestellt waren, auf sich wirken ließ. Auch hier war die Luft abgestanden, doch sie empfand sie als angenehm, denn es roch nach Papier und Leder; nach Büchern.
„Ich verstehe nur zu gut, warum Sirius und Anne sich ein eigenes Haus gekauft haben. Hier kann man gar nicht wohnen!“ Hermine ging schnurstracks auf eine Bücherwand zu, tippte sie mit ihrem Zauberstab an und flüsterte ein Passwort, so dass sich eine geheime Tür öffnete.
„Ich denke“, begann Severus, „dass es hier wohnlich sein könnte, wenn es möglich wäre, sich der Gemälde zu entledigen.“
„Der Dauerklebefluch beim Mrs. Black ist nicht zu brechen. Bill hat sich drum gekümmert. Ich meine, wenn er als Fluchbrecher es schon nicht schafft, dann…“
„Man könnte eventuell einen Elf fragen, ob es machbar wäre“, warf Severus ein und Hermine zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe, denn daran hatte sie noch gar nicht gedacht.
Die geöffnete Geheimtür gab den Blick auf einen kleinen Raum preis, der nicht größer als eineinhalb mal zweieinhalb Meter war. Bücher bedeckten jeden freien Platz an den drei Wänden und machten den Raum noch enger als er schon war.
„Eine kleine, aber feine Sammlung“, sagte Severus erfreut, als sein Blick über einige die vielen Titel schweifte. „Ah“, machte er erstaunt. „Sehen Sie mal, hier haben wir eine ’alte Bekannte’ und auch noch so gut erhalten.“ Severus zog ein Buch aus einem der Regale. Es handelte sich um „Die zwölf Briefe der Cassandra Trelawney“.
Erinnerungen kamen in Hermine auf, denn dieses war das erste Buch gewesen, welches Severus ihr zu lesen gegeben hatte, auch wenn es sich nicht um sein eigenes Exemplar gehandelt hatte, sondern um das geliehene von Luna, welches sie – das fiel ihr in diesem Augenblick mit einem Hauch von Reue ein – demnächst an ihre Freundin zurückgeben müsste. An Severus’ Gesichtsausdruck konnte sie ahnen, dass auch er sich in der Zeit zurückgesetzt fühlte.
Sie stöberten eine Weile und lasen die Titel. Es handelte sich überwiegend um verbotene Bücher, die beim Ministerium auf der schwarzen Liste standen, nur zwei von ihnen waren tatsächlich dunkelmagisch, doch Hermine und Severus kannten die entsprechenden Schutzsprüche, um sie gefahrlos öffnen zu können.
Eines der ältesten Bücher, das sie hier fanden, handelte von gefährlichen, magischen Wesen und Hermine war sich sicher, dass sie hier interessante Anhaltspunkte finden könnte. Sie blätterte und las hier und da einige Passagen und wurde stutzig. Severus bemerkte ihre fast unmerkliche Reaktion, denn sie kräuselte häufig ihre Nase, wenn sie etwas für Unfug hielt. In dem engen Raum hatte er sich ihr mit nur einem Schritt genähert.
Er blickte über ihre Schulter und fragte: „Auf was sind Sie gestoßen?“
„Hier steht“, Hermine tippte auf eine bestimmte Stelle, „wofür man den Samen eines Basilisken verwenden könnte, aber Sie sagten doch, er hätte gar keine… na ja.“
Severus las ein paar Textstellen und erklärte selbstsicher: „Der Autor hat sich das alles aus den Fingern gesogen. Er beschreibt unter anderem die Haut eines Basilisken als ’aalglatt’, dabei bestand sie aus Schuppen.“ Er zog ein Gesicht. „Vermutlich war das Buch zu seiner Zeit sogar ein Bestseller, denn es gab niemanden, der ihm das Gegenteil beweisen konnte.“
„Vielleicht gibt es aber auch verschiedene Arten von Basilisken?“, stellte Hermine als These auf, woraufhin er sie fragend anblickte. „Na ja, es wäre doch möglich, dass verschiedene Hühner- und Krötenarten auch verschiedene…“
Sie war am Ende immer leiser geworden, bis sie ganz verstummte, denn ihr eigener Denkfehler war ihr selbst aufgefallen, doch es war Severus, der sie amüsiert lächelnd darauf hinwies: „Was aber bedeuten würde, dass sich die Tiere auf biologische Art fortgepflanzt haben müssten, was jedoch nicht der Fall ist. Das Ei ist schon da, es wird noch von einer anderen Tierart ausgebrütet.“ Eine kleine Falte an ihrer Nasenwurzel verriet ihm ihre Gedanken, so dass er schmunzelnd sagte: „Aber wie ich sehe, sind Sie selbst eben darauf gekommen.“
„Was für ein Buch haben Sie in der Hand?“, wollte sie wissen und mit ihrer Frage gleichzeitig von sich ablenken.
Das Buch ansehend erklärte er: „Die halbbiografische Abhandlung über das Leben eines Parselmundes, der Gefallen an den Dunklen Künsten gefunden hatte. In einem Kapitel wird darüber berichtet, dass er sich einen Basilisk gezüchtet haben soll, den er dank seiner Kommunikationsfähigkeit unter Kontrolle gehalten hatte. Es wird auch beschrieben, wie er mit dem Gift der Schlange experimentiert haben soll. Das könnte hilfreich sein. Wir sollten es mitnehmen, falls Mrs. Lestrange eben jenes Buch für ihre Experimente zu Rate gezogen haben sollte.“
Es hatte eine Weile gedauert, bis sie alle anderen Buchtitel überflogen hatten. Während Hermine bereits an einer Wand fertig war, strich Severus noch mit seinen schmalen Fingern über die Buchrücken und las mit schräg gestelltem Kopf die Titel, als er plötzlich bei einem Band bewegungslos innehielt und nur seine gelblich verfärbten Finger zu zittern begannen, doch er riss sich schnell wieder zusammen. Hermine merkte sich das Buch und schaute sofort darauf in eine andere Richtung, so dass sein Kontrollblick, den er ihr hinüberwarf, um zu sehen, ob sie ihn womöglich beobachtet hatte, ihn auf eine falsche Fährte lenken sollte. Severus musste sich zunächst räuspern, bevor er sich einer festen Stimme sicher sein konnte.
„Haben Sie noch ein Buch gefunden, das Sie mitnehmen möchten?“, fragte er.
„Nein, ich denke, wir haben gefunden, was wir gesucht haben“, antwortete sie und zeigte derweil auf die Biografie, die er in der anderen Hand hielt.
„Dann können wir wohl gehen.“ Severus verzichtete auf Höflichkeit und verließ als Erster den Raum, denn hätte er ihr den Vortritt gegeben, hätte sie sich erst dicht an ihm vorbeischlängeln müssen.
Sie folgte ihm und zog im Vorbeigehen in Windeseile das eine Buch, welches Severus eben aus der Fassung gebracht hatte, aus dem Regal heraus und verkleinerte es schnell, um es unauffällig in ihrer Hosentasche verschwinden zu lassen, bevor sie den Raum verließ. Er hatte keinen Verdacht geschöpft.
„Mir wäre nach einem Tröpfchen Weinbrand“, sagte Severus sehnlich, nachdem er auf einer Anrichte neben dem Kamin eine kleine Auswahl an Karaffen mit schimmernd goldfarbenem Inhalt erblickt hatte.
Hermine ging an den beiden Ohrensesseln vorbei und näherte sich den Getränken. „Wenn Sie meinen, dass das noch gut ist.“ Sie säuberte zwei der Gläser magisch und ergriff bereits eine der Karaffen, um sie zu öffnen und am Inhalt zu schnuppern.
„So etwas wird nicht schlecht“, erwiderte er trocken.
Sie schenkte sich und ihm etwas ein, nahm beide Gläser jeweils in eine Hand und drehte sich um, bevor sie sich so sehr erschreckte, dass sie aufschrie und den guten Tropfen fallen ließ.
„Herrje, wollen Sie mir einen Herzinfarkt bescheren?“, wetterte Severus, der trotz seiner harschen Worte besorgt zu ihr eilte, um nach dem Rechten zu sehen. Sein Blick fiel auf einen der Ohrensessel und sofort wusste er, was Hermine erschreckt hatte.
„Black?“, grüßte er mit kühler Stimme.
Ein leichtes Schmunzeln war auf Sirius’ Gesicht zu erkennen, bevor er an Hermine gewandt sagte: „Ich wollte dich wirklich nicht erschrecken. Ich wollte nur mal sehen, wie lange ihr braucht, um mich zu entdecken.“
„Du hättest was sagen können!“, schimpfte sie, bevor sie die Verschmutzung auf dem Teppich beseitigte. „Wie lange bist du denn schon hier?“
Sirius saß gemütlich im Ohrensessel und schwenkte selbst ein Gläschen Weinbrand. „Schon lange vor euch.“
"Ah", machte Severus. "Sie schwärmen wohl von alten Zeiten?"
Mit zusammengekniffenen Augen blickte Sirius ihn an und musterte ihn argwöhnisch, bevor er eigentlich mehr zu sich selbst als zu Severus sagte: "Die alten Zeiten? Die alten Zeiten sind vorbei und die neuen sind ein wenig verstörend, geht es dir nicht genauso?" An Hermine gerichtet sagte er: „Ich wollte nachsehen, ob hier alles in Ordnung ist. Das Haus ist unbewohnt und auch wenn Harry Vorkehrungen getroffen hat, wollte ich mich vergewissern, dass nichts gestohlen wurde.“
Provozierend schaute Sirius erst Severus in die Augen, bevor er seinen Blick zu dem Buch wandern ließ, welches der Zaubertränkemeister in der Hand hielt.
„Wir haben Harry um Erlaubnis gebeten“, rechtfertigte sich Severus mit zischender Stimme.
„Mmmh“, machte Sirius nachdenklich. „Es ist nur, dass das Haus mir gehört. Harry hatte es mir zurückgegeben, nachdem ich… wieder da war.“ Er hatte sehr sachlich geklungen.
Hermine griff ein und fragte Sirius übertrieben höflich: „Darf ich mir das Buch bitte ausleihen?“
„Aber natürlich“, bestätigte Sirius müde klingend, bevor er an seinem Weinbrand nippte.
Man konnte ihm ansehen, dass er nicht in der Stimmung war, ein Gespräch führen zu wollen und so ließen Severus und Hermine ihn allein. Vor der Haustür zögerte sie jedoch und sagte: „Severus, gehen Sie doch bitte schon vor. Ich komme gleich nach.“
„Warum?“, fragte er barsch.
„Sirius ist irgendwie seltsam.“
„Der Mann ist immer seltsam!“, blaffe er sie missgelaunt an, womit er die Schimpftirade von Mrs. Blacks Portrait angekurbelt hatte, denn sie keifte und zeterte erneut über Halbblüter, Dreck und Ausgeburten von Schmutz und Niedertracht, die ihr Haus besudeln würden.
„Ich möchte nur mit ihm reden“, erklärte Hermine etwas lauter, damit Severus sie noch hören konnte.
„Dann tun Sie, was Sie nicht lassen können!“ Er riss die Tür auf und knallte sie hinter sich zu.
Hermine stöhnte, bevor sie sich kurz die Ohren zuhielt, denn auch alle anderen Gemälde hatten in den rassistischen Redeschwall von Mrs. Black eingestimmt. Zurück an der Tür der Bibliothek kündigte sich Hermine mit einem Klopfen an, bevor sie das Zimmer betrat.
„Du bist noch hier?“, fragte er nur wenig erstaunt.
„Warum bist du überhaupt hier, Sirius? Ich dachte, du magst das Haus nicht.“
„Tu ich auch nicht.“ Von unten schallte der Lärm vieler Stimmen hinauf, weswegen er die Augen zusammenkniff, als würde es ihm Kopfschmerzen bereiten. Von einem Schluck Weinbrand erhoffte er sich Erleichterung.
Mutig fragte Hermine, nachdem sie gegenüber auf dem anderen Ohrensessel Platz genommen hatte: „Gibt’s Ärger Zuhause?“
„Wie man’s nimmt“, sagte er emotionslos.
„Weil Anne arbeiten gehen möchte?“
Erstaunt blickte er sie an, bevor er fragte: „Harry hat das erzählt?“
„Ginny hat mir erzählt, dass Harry von ihr wissen wollte, was sie später machen möchte“, erwiderte sie ehrlich.
„Und was möchte sie machen?“, wollte er wissen.
„Sie möchte am liebsten Quidditch spielen.“ Hermine lächelte, doch Sirius erwiderte diese Freundlichkeit nicht.
„Was hat Harry dazu gesagt?“
„Er findet es in Ordnung.“ Hermine seufzte, bevor sie leise fragte: „Was ist das Problem, Sirius?“
Das Gezeter aus der Eingangshalle war wieder lauter geworden, so dass er ihre Frage ignorierte und sagte: „Ich habe mich schon oft gefragt, was geschehen würde, sollte ich das Haus einfach bis auf die Grundmauern abbrennen. Würden die Flammen trotz Fidelius auf die Nachbarhäuser übergreifen? Was meinst du?“
Mitfühlend sagte sie: „Man kann sich auch anders von seiner Vergangenheit lösen, Sirius.“
„Ich kann das verdammte Haus nicht einmal verkaufen!“, schimpfte er, bevor er mit einem großen Schluck sein Glas leerte.
Hermine legte ihm nahe: „Harry und Ginny würden sich freuen, wenn du sie besuchen würdest. Du hast dich in letzter Zeit sehr rar gemacht.“
„Damit man Mitleid mit mir haben kann?“, fragte er beleidigt.
„Wieso Mitleid? Wenn dir Zuhause die Decke auf den Kopf fällt, während Anne bei der Arbeit ist“, er schnaufte wütend, „dann kannst du doch tun und lassen, was du möchtest. Du warst lange nicht mehr bei Harry.“
Er dachte einen Moment lang nach, während sein Blick auf dem leeren Glas verweilte, bevor er mit leiser Stimme sagte: „Vielleicht sollte ich ihn wirklich mal besuchen.“
„Ja, solltest du.“ Sie klopfte sich auf die Oberschenkel, bevor sie aufstand und sich verabschiedete. „Ich muss jetzt gehen, aber ich würde mich freuen, wenn du mich auch mal besuchen würdest. Remus sieht dich auch nicht mehr so häufig, hat er mir jedenfalls neulich gesagt.“
Der Hauch eines Lächelns zeichnete sich in seinem Gesicht ab.
Als Hermine allein das Haus am Grimmauldplatz verließ, da schüttelte sie die Kopf, denn sie würde nicht die Kraft aufbringen können, Severus und Sirius gleichzeitig zu einem neuen Leben ermutigen zu können.
beim letzten Kapiteltitel konnte man wenigstens ahnen, um was es geht. Bei diesem wird man denken "Was?". Es wird nicht hier, aber beim nächsten Mal erklärt, was es bedeutet.
Ja, die Übergänge beim letzten Kapitel waren ... ungewöhnlich. Zum Glück aber nicht geschmacklos ;)
Viel Spaß, Muggelchen
157 Topor
„Mr. Zabini“, grüßte Kingsley erstaunt, denn er hatte nicht mit einem Besuch des jungen Mannes gerechnet, der seine artige und ruhige Tochter an der Hand hielt.
„Mr. Shacklebolt, verzeihen Sie bitte, dass ich Sie unangemeldet aufsuche. Es geht um…“ Blaise verstummte, als der Mann mit den breiten Schultern ihm die Hand entgegenstreckte, die er kurz, aber kräftig schüttelte.
„Nehmen Sie beide doch bitte Platz.“ Der Aufforderung kam Blaise sofort nach. An Berenice gerichtet fragte Kingsley mit warmer Stimme: „Wie geht es dir, Kleine?“ Sie lächelte nur schüchtern. „Möchtest du einen Bonbon?“ Eine Schale, die auf dem Tisch stand, an das Mädchen reichend streckte sie bereites die kleine Hand aus, doch auf der Hälfte des Weges hielt sie inne und blickte ihren Vater fragend an, der ihr mit einem kurzen Nicken die Erlaubnis gab, zugreifen zu dürfen. „Mr. Zabini, wenn ich mir die Frage erlauben darf: Wie haben Sie sich wieder einleben können? Es ist ja noch nicht allzu lange her, dass wir Sie gefunden haben.“
Zunächst kräftig schluckend erwiderte Blaise im Anschluss: „Danke der Nachfrage, ich hatte einige Menschen um mich herum, die mir meine Situation erleichtert haben. Die Angestellten im Ministerium sind auch sehr freundlich. Gerade eben hatte ich einen Antrag gestellt.“
„Sie möchten sicherlich Ihr Haus zurückerhalten“, hatte Kingsley richtig geraten, denn dann könnte der junge Mann mit seiner Tochter ein normales Leben beginnen.
„Ja Sir, aber es scheint Probleme zu geben. Meine Mutter ist verschollen und sie ist die rechtmäßige Eigentümerin. Da sie nicht als verschieden in den Akten geführt wird…“
„Wir mussten leider solche Vorkehrungen treffen, Mr. Zabini. Es gab einige Fälle, in denen Menschen den Grund und Boden von vermissten Familienangehörigen an sich gerissen hatten, um es zu veräußern. Die Verschollenen standen vor dem Nichts, nachdem sie unerwartet wieder aufgetaucht waren.“
Blaise senkte seinen Blick und fühlte sich gekränkt, weil man indirekt auch von ihm glaubte, das Verhältnis zu seiner Mutter wäre womöglich so schlecht, dass er ihr in diesem Sinne schaden wollen würde.
„Aber“, fuhr Kingsley ermutigend fort, „ich denke, wir können in Ihrem Fall eine Ausnahme machen. Sie müssten nur unterschreiben, dass Sie den Besitz Ihrer Mutter weder baulich verändern, an Dritte veräußern oder mutwillig zerstören möchten und ich werde dafür sorgen, dass Sie nicht lange warten müssen. Ich werde ein Nutzungsrecht für Sie erwirken; das Haus wird weiterhin Ihrer Mutter gehören, aber Sie dürfen darin wohnen. Was das Vermögen betrifft, so wird man Ihnen sicherlich eine Art ’Pflichtteil beim Erbe zu Lebzeiten’ gewähren. Mit dem sollten Sie auskommen, denn ich war so frei, mich über den Inhalt der Verliese bei der Bank zu erkundigen.“
„Ich wäre Ihnen dafür sehr dankbar, Mr. Shacklebolt. Wir haben keine Bleibe und Gringotts hatte mir bisher nur einen Vorschuss aus dem Familienvermögen gewährt.“
„Die kleinen Männer“, warf Berenice breit grinsend ein, weil sie den Namen der Bank mit den nicht sehr groß gewachsenen Kobolden assoziierte. Ihr Vater lächelte ihr zu und zeigte damit, dass sie richtig lag.
Nachdem Kingsley zwei Formulare ausgefüllt und Blaise zum Lesen gegeben hatte, unterschrieb der junge Mann beide und gab sie zurück.
„Ich schätze“, wägte Kingsley ab, „dass Sie morgen Vormittag herkommen und sich bereits die Bestätigung abholen können, das Haus beziehen zu dürfen. Die ministeriumseigenen Schutzzauber werden natürlich aufgehoben.“ Die Formulare legte Kingsley nicht auf den großen Stapel auf seinen Tisch, sondern separat in die Mitte, bevor er sich erneut Blaise zuwandte. „Aber ich hatte Sie anfangs gleich unterbrochen, Mr. Zabini. Es klang so, als hätten Sie mich wegen einer ganz anderen Angelegenheit aufgesucht.“
Nickend bestätigte Blaise die Vermutung seines Gegenübers. „Es geht um Mr. Gregory Goyle junior.“
„Was ist mit ihm?“, wollte Kingsley wissen.
„Nun ja, ich dachte, das könnten Sie mir sagen.“ Es war deutlich herauszuhören, dass Blaise besorgt schien.
Kingsley war ein wenig skeptisch, doch nicht dem jungen Mann gegenüber, sondern nur aufgrund des Interesses. „Darf ich fragen, warum Sie sich über Mr. Goyle informieren möchten?“
„Es ist kein Verbrechen, sich um einen Menschen zu kümmern, der dem Tode nahe ist oder?“, fragte Blaise scheinbar zusammenhanglos und in einem Tonfall, der nur eine Antwort zuließ.
„Nein, ist es nicht.“
„Wird daraus ein Verbrechen, wenn dieser Mensch das dunkle Mal auf dem Arm trägt?“
„Ich würde auch hier verneinen, Mr. Zabini, solange es nur um das Leben dieses Todessers ging, nicht aber darum, ihn bei einem fragwürdigen Vorhaben zu unterstützen.“ Kingsley blickte Blaise in die Augen und wartete darauf, erleuchtet zu werden.
So erzählte Blaise mit leiser Stimme die Ereignisse, die sich damals zugetragen hatten. Er schilderte, wie Pansys und seine Familie zu den Menschen gehört hatten, die von Todessern dazu aufgefordert worden waren, sich Voldemort anzuschließen. Unabhängig voneinander waren Pansy und er von den Eltern dazu angehalten worden, die gewohnte Umgebung zu verlassen und unterzutauchen, damit sie sich nicht um das Leben des einzigen Kindes sorgen mussten, wenn sie sich gegen die Todesser und Voldemort aufzulehnen wagten.
Die ganze Zeit hatte Kingsley zugehört, bevor er nachfragte: „Sie sagten, es gäbe einen großen Gutshof in Peninver, der unter Fidelius stehen würde?“
„Das hatte Miss Parkinson während ihrer Reise erfahren. Wenn man sich an dem Ort aufhalten würde, wo das Gebäude stehen müsste, dann würde irgendwann der Geheimniswahrer hinauskommen, der dann entscheiden würde, ob er einen einließe oder nicht. Ich weiß nicht, ob es der Wahrheit entspricht, aber das war wenigstens ein Ziel. Man konnte ja niemandem mehr trauen.“
Nur zu gut konnte sich Kingsley an die Intrigen erinnern, die während der Kriegszeit gesponnen worden waren. Niemand wusste mehr, ob der Nachbar – wenn schon nicht aus Überzeugung, dann vielleicht aus Angst um das eigene Leben – ein Verbündeter Voldemorts gewesen war oder nicht. Man konnte zu keiner Zeit an keinem Ort sicher sein, durfte nicht frei und offen sagen, was man dachte. Nur im Phönixorden, erinnerte sich Kingsley, da war man sich hundertprozentig sicher, dass es keine Spione gegeben hatte.
„Diese Reise muss für Sie sehr anstrengend gewesen sein“, sagte Kingsley mitleidig.
„Es war ein weiter Weg zu Fuß. Ich war recht bald meiner ehemaligen Klassenkameradin über den Weg gelaufen. Es war schön jemanden zu treffen, dem man vertraute. Wir fühlten uns gemeinsam viel sicherer, und wir hatten es vermieden, in einem Ort länger als eine Nacht zu bleiben. Oft sind wir sogar in der Dunkelheit weitergegangen und haben tagsüber ein kurzes Nickerchen gehalten. Zum Glück war es warm gewesen.“
„Sie haben nie die Zauberstäbe benutzt?“, wollte Kingsley wissen, der sich gar nicht vorstellen wollte, wie beschränkt ein Leben ohne Magie sein würde. „Wie haben Sie sich ernährt?“
Einmal die Schultern hebend und senkend zählte Blaise auf: „Gemüse und Obst von Muggelbauern, Vogeleier, Fisch, alle möglichen Pflanzen. Einmal hatte ich sogar einen Hasen gefangen, aber Miss Parkinson sagte, sie würde lieber stundenlang für uns beide Beeren pflücken, bevor sie mit ansehen müsste, wie ich einem so niedlichen Tier das Fell über die Ohren ziehe. Ich hab ihn laufen lassen.“
Mit einem milden Lächeln erinnerte sich Blaise an diesen besagten Tag, denn da waren sich die beiden das erste Mal näher gekommen.
„Wir haben sehr viel später Gregory Goyle gefunden“, gestand Blaise flüsternd, als würde er erwarten, allein deswegen sofort nach Askaban geschickt zu werden. „Er war völlig…“ Angewiderte schüttelte er den Kopf. „Wir hätten ihn beinahe nicht erkannt. Man musste ihm ins Gesicht getreten haben; alles war stark angeschwollen. Zwei seiner Rippen waren angebrochen und er hatte einen Schienbeinbruch. Er war nur bedingt bei Bewusstsein, als wir ihn fanden; er war sehr verwirrt und sagte immer wieder, dass er seinen Vater hasste. Miss Parkinson war der Überzeugung, dass man ihn mit dem Cruciatus gefoltert haben musste. Seine Muskeln zogen sich spasmisch zusammen und er spuckte ein wenig Blut. Aus Erzählungen wusste sie von ihrem Vater, wie jemand aussehen könnte, der mit dem Cruciatus gefoltert worden war.“ Weil Kingsley die Augenbrauen zusammenzog, erklärte Blaise schnell: „Ihr Vater hatte einmal durch Zufall ein solches Opfer gesehen.“ Kingsley nickte verständnisvoll, so dass Blaise fortfuhr. „Wir haben uns um Gregorys Wunden gekümmert und ihn mitgenommen, die ganze Zeit über zusammen getragen, ihn gefüttert und sauber gehalten, bis wir nach ein paar Tagen an einen abgelegenen See gekommen waren. Miss Parkinson hatte die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und all unsere Kleidung gewaschen und so auch die von Goyle. Erst da haben wir das dunkle Mal entdeckt; beide haben wir so getan, als hätten wir es nicht gesehen, aber uns beiden war in diesem Moment auch klar geworden, dass Gregory kein überzeugter Todesser war, nur weil er das Mal trug.“ Blaise lachte kurz auf, als er einen abstrusen Vergleich zog, denn er sagte: „Und auch nicht jeder, der eine Krone trägt, ist automatisch ein König.“ Er schüttelte sachte den Kopf und flüsterte: „Er ist da hineingeboren worden und konnte gar nichts dagegen tun.“
„Wie ging es mit Ihnen dreien weiter?“
„Nach und nach hatte Gregory bald wieder klar denken können. Er hat uns nicht viel erzählt, nur immer wieder beteuert, dass er nicht wie sein Vater wäre. Wir waren mit ihm insgesamt ungefähr fünf Wochen unterwegs. Ständig mussten wir uns verstecken, weil die Wege und Straßen nicht sicher waren. Es hätte auf diese Weise ewig gedauert, Peninver zu erreichen. Gregory sagte, wir müssten sehr vorsichtig sein, denn wenn Pansy nur durch Zufall von Peninver gehört hätte, dann würden die Todesser sicherlich längst davon wissen.“
Unaufgefordert schenkte Kingsley seinem Besuch und dessen artiger Tochter einen Tee ein.
„Sie hatten damals beim Verhör gesagt, dass Sie die Zauberstäbe absichtlich neben zwei Brandleichen gelegt hatten, damit man Sie beide später für tot erklären würde“, warf Kingsley ein.
„Ja, unsere Stäbe sollten neben den Brandopfern ja nicht wie neu aussehen, deswegen sind wir vorsichtig in das schon sehr heruntergebrannte Haus hineingegangen, um die Stäbe zu tauschen.“
„Warum haben Sie nur zwei Stäbe getauscht? Hatte Mr. Goyle keinen bei sich?“, wollte Kingsley wissen.
Blaise schüttelte den Kopf. „Hatte er nicht, aber zu diesem Zeitpunkt war er nicht mehr bei uns, denn kurz vorher…“ Blaise holte Luft. „Am gleichen Tag gab es eine Auseinandersetzung zwischen Todessern und Muggeln. Man hatte Goyle erwischt.“
Erstaunt fragte Kingsley: „Mr. Goyle wurde von den Todessern überwältigt?“
„Nein Sir, er wurde von den Muggeln mitgenommen! Uns hatte man zum Glück nicht gesehen und wir konnten uns verstecken, aber Gregory war durch sein Bein – es war noch nicht ganz verheilt – sehr langsam gewesen; er konnte nicht mit uns mithalten. Sie haben ihn erwischt.“
„Das ist wirklich“, sagte Kingsley mit hochgezogenen Augenbrauen, „sehr ungewöhnlich, Mr. Zabini. Haben Sie eine Ahnung, was für Muggel das gewesen sein könnten?“
„Nein, aber wir haben gehört, dass sie ihn nach Clova bringen wollten.“
Eins und eins waren schnell zusammengezählt, denn in der Nähe von Clova lag Hopkins’ kleine Festung, doch dem jungen Mann wollte er davon nichts sagen.
„Das war auch der Tag gewesen“, fragte Kingsley, „an welchem einer der Todesser Miss Parkinson mit einem Gegenstand in den Rücken gestochen hatte?“
„Richtig, Sir. Miss Parkinson fühlte sich danach sehr schwach, obwohl der Stich nicht tief gewesen war. Ich habe gleich geahnt, dass es sich um irgendeine Art Gift handeln musste, das sich nun in ihrem Blutkreislauf befand. Sie war zu diesem Zeitpunkt schon im dritten Monat schwanger, müssen Sie wissen. Ich hatte große Sorgen.“
„Sie haben Peninver bald aufgegeben, wie es aussah, denn Malfoy Manor liegt in einer ganz anderen Richtung“, kombinierte Kingsley.
„Der Weg war zu gefährlich. Miss Parkinson war davon überzeugt, dass die Todesser uns im Haus eines Todessers nicht suchen würden. Wir wussten ja aus den Zeitungen, dass man Mrs. Malfoy schon seit einiger Zeit vermisst gemeldet hatte und dass Draco von der Bildfläche verschwunden war. Außerdem gingen wir davon aus, dass Mr. Malfoy sich nach dem Ausbruch aus Askaban sicherlich nicht nachhause wagen würde, also musste das Haus leer stehen. Als Freund der Familie waren die Schutzzauber für Miss Parkinson kein Problem und solange ich bei ihr war, konnte auch ich das Haus betreten. Ein Problem waren anfangs die vielen Auroren, die das Herrenhaus bewacht hatten. Wir warteten zwei Nächte und nutzten in der dritten einen Schichtwechsel, um das Haus heimlich zu betreten. Dank des kräftigen Schutzwalls war es möglich, im Haus zaubern zu können, ohne dass irgendwelche Magiesignaturen nach außen gelangten und deswegen hatte ich einen der Stäbe aus der Vitrine genommen.“
Eine kurze Sprechpause nutzte Blaise, um von seinem Tee zu nippen. Er wollte nicht, dass sie Erinnerungen an die Zeit in Malfoy Manor ihn traurig stimmten. Sein Gegenüber strahlte jedoch so eine Vertrautheit aus, dass er sich einen Ruck gab.
„Miss Parkinson ging es während der restlichen Zeit der Schwangerschaft gar nicht gut, aber sie hat tapfer durchgehalten. Kaum war Berenice zur Welt gekommen, glaubte ich meine Lebensgefährtin verloren. Ich war von ihrem unerwarteten ’Tod’ völlig schockiert, aber noch verstörender war es gewesen, als sie nach ein paar Stunden wieder bei sich war. Sie sagte, sie hätte alles hören und fühlten können, aber sie konnte sich nicht bewegen; nicht einmal atmen. Sie hatte den Stich dafür verantwortlich gemacht.“ Blaise seufzte. „Ich habe mich bald damit abgefunden, dass sie nur selten und in unregelmäßigen Rhythmen aufwacht. Alleine konnte ich das Haus durch die Schutzzauber nicht verlassen, aber wohin hätte ich auch gehen sollen, um Hilfe zu holen?“ Er schüttelte den Kopf. „Die Situation war so verfahren, dass wir uns in dem Haus irgendwann heimisch fühlten – heimisch fühlen wollten. Wir wollten warten, bis der Krieg vorüber war, aber wir hatten keinerlei Anhaltspunkte; keine Zeitungen, keine Informationen – und wenn der Krieg vorüber sein sollte, dann bliebe für uns immer noch die Frage, welche Seite wohl gewonnen haben mochte und so haben wir uns dazu entschlossen, einfach dort zu bleiben und uns um die Welt draußen erst einmal nicht mehr zu kümmern.“
Berenice wollte auch etwas erzählen und sagte, während ihre Augen lebendig funkelten: „Die schöne Frau hat Kekse gekauft!“
Weil Kingsley ein wenig irritiert, aber dennoch amüsiert dreinschaute, erklärte Blaise lächelnd: „Als wir gemerkt haben, dass jemand im Haus war – Mrs. Malfoy – da habe ich beschlossen, dass wir das Zimmer nicht mehr verlassen, aber wie es scheint“, er blickte zu seiner Tochter hinüber, „haben sich nicht alle dran gehalten.“
„Aber ich war doch ganz leise“, versicherte die Kleine schmollend. „Wie du es mir immer gesagt hast.“
Grinsend ließ Kingsley ein paar Kekse an den Tisch schweben, woraufhin Berenice begeistert zugriff.
Den Vater des Mädchens ansehend sprach Kingsley eine Sache an, die ihn persönlich interessierte: „Sie hatten den einen Abend, als wir Sie festgenommen hatten, ein äußerst gutes Gehör.“
Blaise musste ein Lächeln unterdrücken, gab jedoch zu: „Wir mussten uns während unserer Reise nach Peninver sehr häufig auf unsere Ohren verlassen, ganz besonders wenn es dunkel war. Man lernt irgendwann, auf bestimmte Geräusche zu achten: reibende Kleidung, Schritte, knackende Äste. Miss Parkinson und ich konnten sehr bald verschiedene Tierarten unterscheiden und zwar allein aufgrund der Geräusche, die sie beim Gehen verursacht haben. Einmal hatte sich jemand angeschlichen, den wir nicht sehen konnten, wir hörten auch keine Schritte, aber derjenige hatte geatmet. Wir konnte ihn nur aufgrund dieses leisen Geräuschs überwältigen.“ Blaise blickte zu Berenice hinüber, die an einem Keks knabberte. „Wir haben uns in Malfoy Manor selten unterhalten und wenn, dann nur sehr leise. Sie hat auch angefangen, auf Geräusche zu achten; dachte immer, sie könnte vielleicht irgendwann ihre Mutter atmen hören.“
„Hat Professor Puddle oder Professor Junot Sie darüber unterrichtet, wie es mit Miss Parkinson weitergehen wird?“, wollte Kingsley wissen, weil das Schicksal der jungen Frau ihn nicht unberührt ließ.
„Sie versuchen ihr Bestes, aber ich habe mich auch an Professor Snape gewandt. Professor Junot hatte mir gesagt, dass aus Hogwarts die bisher einzige Antwort wegen des Trankes gekommen war und die Information auch noch sehr hilfreich wäre.“
„Hatten Sie Professor Snape wegen Mr. Goyle gefragt?“
Nickend bestätigte Blaise. „Er sagte, ich solle mit Ihnen darüber reden.“
Kingsley nahm einen tiefen Atemzug, bevor er dem jungen Mann eine äußerst vertrauliche Information gab.
„Mr. Goyle liegt im Mungos, gar nicht mal so weit weg von dem Zimmer, in welchem Miss Parkinson liegt.“
Erstaunt fragte Blaise nach: „Auf der gleichen Station?“
„Ja, als man ihn gefunden hatte, sah er ähnlich aus wie Sie es beschrieben hatten. Ich vermute, dass die Muggel ihm nochmals sehr zugesetzt haben müssen. Er hat das Bewusstsein verloren und ist bisher nicht aufgewacht.“
„Vom Regen in die Traufe“, flüsterte Blaise mitfühlend, bevor er seinem Gegenüber in die Augen blickte. „Er ist noch nicht aufgewacht? Nicht ein einziges Mal?“
„Nein, leider nicht. Man kümmert sich um ihn, aber man kann ihn nicht behandeln, weil man nicht weiß, warum er nicht aufwacht. Er reagiert aber auf Schmerzreize und zeigt Abwehrreaktionen.“
„Dürfte ich ihn wohl besuchen?“, fragte Blaise erwartungsvoll, weil er das Gesicht des ehemaligen Schülers, der ihm in einer schlimmen Zeit sympathisch geworden war, gern noch einmal sehen würde.
„Ich befürchte leider, dass das nicht realisierbar wäre. Nicht wegen Ihnen, Mr. Zabini, und auch nicht wegen Mr. Goyle selbst, aber wegen dessen Zimmergenossen. Vielleicht wäre es aber möglich, Mr. Goyle in ein anderes Zimmer zu verlegen?“ Blaise nickte verständnisvoll, bevor Kingsley fragte: „Hat Mr. Goyle etwas über seine Zeit bei den Todessern gesagt? Wo sie sich aufgehalten hatten oder wer alles dabei gewesen war?“
„Nein, nicht sehr viel. Er sagte nur, er hätte von nun an keinen Vater mehr. Ich hatte aus Gesprächen heraushören können, dass er jemanden umbringen sollte; er hätte es nicht gekonnt. Ich habe nie nachgefragt, aber ich war mir sicher, dass man ihn deswegen so zugerichtet hatte. Man dachte wohl, er würde sterben und deswegen hatten sie ihn allein gelassen. Mr. Goyle sagte einmal zu mir, wenn er eines Tages sterben sollte, dann nicht in seinem Elternhaus und schon gar nicht vor den ganzen Todessern. Man kann vermuten, dass die Todesser im Haus der Goyles gewesen waren, aber ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Er musste seine letzte Kraft dazu aufgebracht haben, sich nach draußen zu robben. In der gleichen Nacht hatten wir ihn gefunden. Wir wussten nicht einmal, dass ganz in unserer Nähe Todesser waren.“
Während Berenice bereits den dritten Keks wortlos verputzte, atmete Kingsley erleichtert durch.
„Es ist gut, dass Sie mit mir gesprochen haben, Mr. Zabini. Ich denke, ich werde es ermöglichen können, dass Sie Mr. Goyle besuchen können. Wo kann ich Sie erreichen?“
„Momentan dürfen wir noch im Krankenhaus bleiben, aber wenn ich morgen tatsächlich das Haus bekommen könnte…“
„Das wird sicherlich reibungslos vonstatten gehen“, versicherte Kingsley.
Sie verabschiedeten sich voneinander und kaum war die Tür geschlossen, hörte Kingsley ein Plop hinter sich. Ein Elf war erschienen.
„Sir, Melua hat einen Termin bei Mr. Shacklebolt“, sagte die betagte Hauselfe, deren Augen aufgeregt blinzelten.
„Seien Sie herzlich gegrüßt, Melua. Setzen Sie sich doch bitte“, grüßte Kingsley freundlich, doch er rechnete nicht damit, dass die Elfe an Ort und Stelle Platz nahm und zwar auf dem Boden. Dieser Anblick bewegte und verärgerte ihn gleichermaßen, doch er riss sich zusammen. Neben sich auf das Polster der Couch klopfend sagte er: „Nehmen Sie doch bitte hier Platz, das ist wesentlich gemütlicher.“
Skeptisch blickte die Elfe auf die Couch, als würde sie mit einer bösen Falle rechnen, doch sie kam seiner Aufforderung – wenn auch sehr zögerlich – nach. „Sie wissen, warum ich mit Ihnen sprechen möchte?“ Die Elfe nickte heftig, doch man sah ihr an, dass sie sich nicht wohl fühlte. „Sie können offen und ehrlich mit mir sein. Unser Gespräch ist vertraulich; Ihr Meister darf sich nicht über das heutige Gespräch mit mir bei Ihnen erkundigen, das hat er bindend unterschrieben. Es gibt also keinen Grund, Angst vor einer möglichen Bestrafung zu haben.“
Die Elfe machte ein Gesicht, als hätte man ihr gerade ein für sie bestimmtes Henkersbeil gezeigt, doch sie nickte, obwohl sie der Situation nicht zu trauen schien.
„Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Ihrem Meister und dessen Familie bezeichnen?“, fragte Kingsley vorsichtig, doch die Elfe antwortete nicht. „Gibt es etwas, dass Sie in Ihrem Leben gar nicht mögen?“ Wieder hielt die Elfe ihren Mund, doch an ihrem Gesicht konnte Kingsley erkennen, dass sie nachdachte und sehr wahrscheinlich alle Fragen in Gedanken beantwortete. „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir Dinge nennen würden, die man in der Beziehung von Mensch und Elf verbessern könnte. Gibt es etwas, das Sie vorschlagen möchten?“
Die meisten Elfen hatten bisher so reagiert wie diese. Sie hatten alle aufmerksam zugehört, doch kaum etwas gesagt und schon gar nichts Schlechtes über ihren Meister. Wenige Elfen waren jedoch ehrlich gewesen und ihre Schilderungen hatten Kingsley schockiert.
Er seufzte, weil er ahnte, dass Melua, die sechzigjährige Hauselfe einer angesehen Zaubererfamilie, ebenfalls nichts zu den Umständen ihrer Beschäftigung sagen wollte, doch er hakte nach und fragte mit leiser, vertraulicher Stimme: „Werden Sie gut behandelt?“ Die Elfe kniff ihre Lippen zusammen, als würde sie sich selbst davon abhalten wollen, auch nur ein einziges Wort zu verlieren.
Erneut seufzte Kingsley, bevor er einen Moment lang wortlos neben der Elfe saß. Sich einen Tee einschenkend fragte er höflich: „Möchten Sie auch eine Tasse Tee?“
Aufgrund dieser unbedeutenden Frage brach die Elfe in Tränen aus, denn solche netten Worte waren noch nie an sie gerichtet worden.
In Hogwarts weinte sich noch jemand anderes die Augen aus und Harry hatte arge Mühe, Nicholas zu beruhigen, doch nichts, was er tat, stoppte die Tränen oder das laute Schreien.
„Hier“, sagte Ginny und reichte ihm eine kleine Dose. „Hermine hat gesagt, die Paste soll man auf dem Zahnfleisch verteilen, es wäre schmerzlindernd.“ Der kleine Junge war vom Schreien schon ganz rot im Gesicht; Harry hingegen vernahm bereits ein leises Klingeln im Ohr. Es war leicht, die Paste zu verteilen, denn Nicholas’ Mund war weit aufgerissen, während er seinen Zahnschmerz lauthals kundtat.
„Was meinst du, wie viel Dezibel Nicholas wohl erreicht?“ Harry grinste schelmisch, während er mit seinem kleinen Finger vorsichtig im Mund des Babys hantierte.
„Ich würde meinen, er wäre genauso laut wie ein Knallrümpfiger Kröter, der gerade explodiert“, erwiderte sie grinsend.
Das Baby wurde leiser, schluchzte noch ein paar Mal mitleiderregend, bevor er vor lauter Müdigkeit die Augen schloss.
„Ich glaube“, sagte Harry leise, „ich habe jetzt einen Tinnitus.“
„Dagegen gibt’s einen Zauberspruch“, scherzte Ginny zurück, die Nicholas vorsichtig an sich nahm, um mit ihm ins Schlafzimmer zu gehen.
Es überraschte Harry, dass Wobbel ein paar Minuten später bei ihm auftauchte, obwohl dessen Arbeit laut Vereinbarung erst in ein paar Stunden beginnen würde.
„Wobbel“, grüßte Harry freudestrahlend, „was kann ich für dich tun?“
„Ich… ähm…“ Der Elf schien verlegen.
„Setz dich erst einmal. Möchtest du auch ein Stück Kuchen?“
Bereits zum Zauberstab greifend ließ er per Levitation je ein Stückchen Schokoladenkuchen auf die beiden Teller schweben und aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie Wobbel seine Zauberkünste beobachtete und derweil kritisch mit dem Kopf schüttelte, was Harry schon einmal bemerkt hatte. Der Elf setzte sich neben Harry und nahm dankend den Teller mit dem Kuchen entgegen. Er begann sofort zu Essen, so dass Harry es ihm gleichtat.
Erst nach drei Bissen Kuchen sagte Wobbel leise: „Sir, ich möchte in einer wichtigen Angelegenheit mit Ihnen sprechen.“ Verdutzt blickte Harry seinen kleinen Freund an und lauschte, als Wobbel verbesserte: „Beziehungsweise möchte ich Sie wegen etwas um Erlaubnis bitten.“
„Wobbel, du musst mich nicht immer um Erlaubnis bitten. Du kannst ruhig…“
„Nein Sir“, unterbrach Wobbel mutig, „ich muss! Es ist vom Ministerium vorgeschrieben.“
Den Ernst der Lage spürend stellte Harry seinen Teller mit dem angefangenen Stück Kuchen auf den Tisch ab, damit er sich voll und ganz seinem kleinen Freund widmen konnte.
Wobbel stöhnte, stellte jedoch ebenfalls den Teller ab und sagte, während es ihm schwerfiel, Harry in die Augen zu blicken: „Ich möchte um Erlaubnis bitten, einer Dame den Hof machen zu dürfen.“
Harrys Augenbrauen gingen nahtlos in seinen Haaransatz über. „Wie kommen wir denn dazu, dass du mich deswegen fragen musst? Nein Wobbel, da brauchst du keine Erlaubnis von mir. Natürlich darfst du…“
„Sir?“ Harry hielt sofort inne. „Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass ein Hauself den Herrn um Erlaubnis fragen muss und nicht nur das.“ Wobbel zog ein Stück Pergament aus der Jackentasche seines Trainingsanzugs. Auf dem Briefkopf erkannte Harry das Symbol des Ministeriums. „Ich muss auch um Ihre Unterschrift bitten, Mr. Potter.“
„Ich glaub’s nicht“, sagte Harry zu sich selbst, während er das Formular entgegennahm und zu lesen begann. Angewidert schüttelte er den Kopf, zauberte sich aber sofort Feder und Tintenfass herbei. Während er unterschrieb, sagte er entschuldigend: „Das tut mir so Leid, dass du mich um eine so natürliche Sache bitten musst.“
Peinlich berührt reichte Harry seinem Elf das unterschriebene Formular zurück. Er kam sich schäbig vor, obwohl er immer versucht hatte, Wobbel wie einen freien Hauself zu behandeln, auch wenn der sich bisher vehement gegen Bezahlung gewehrt hatte. Harry hatte immer einen Weg gefunden, Wobbel mehr Freiheit zu geben als es laut Ministeriumsvorgaben vorgesehen war. Ihm über einen Umweg Kleidung zu gestatten war nur die Spitze des Eisberges gewesen.
Mit zittriger Hand nahm Wobbel das Pergament entgegen, um es in seiner Tasche verschwinden zu lassen. Harry konnte nicht anders, als seinem Freund ermutigend auf die Schulter zu klopfen, doch da hielt Wobbel ihm plötzlich ein weiteres Formular unter die Nase, während er selbst beschämt zu Boden blickte.
Zögerlich nahm Harry auch dieses Schriftstück in die Hand und begann zu lesen, bevor er erbost in den Raum hineinmeckerte: „Das kann es doch nicht geben! Das ist unmenschlich!“
Sich beugend flüsterte Wobbel: „Ich bin ja auch kein Mensch.“
Erschrocken über seinen eigenen Fauxpas versicherte Harry: „Das meine ich doch nicht so.“ Mit dem Schriftstück wedelnd zeterte er: „Ich kann es nicht glauben. Das ist nicht nur rassistisch, das ist die absolute Höhe!“
Eingeschüchtert wirkend fragte Wobbel: „Dann werden Sie es nicht ausfüllen unterschreiben?“
„Natürlich werde ich, aber ich wünschte, du müsstest von mir erst gar keine Genehmigung einholen müssen. Das ist ja wie im Mittelalter!“
Erzürnt über das Formular machte sich Harry daran, die einzelnen Punkte durchzulesen, während ihm immer wieder Schimpfworte entwichen, über die Wobbel großzügig hinweghörte, denn die galten jenen Menschen, die diese Regelungen in grauer Vorzeit getroffen hatten.
„Was soll ich alles ankreuzen, Wobbel?“, fragte Harry unsicher.
„Das, was Sie für richtig halten, Sir.“
„Das geht hier um dein Leben!“, stellte Harry mit Nachdruck klar. „Hilf mir bitte.“ Er war seinem Freund einen flehenden Blick hinüber.
Wobbel rutschte auf der Couch nach vorn, betrachtete den ersten Punkt und fragte Harry verlegen: „Wie viel Nachwuchs würden Sie mir insgesamt gestatten?“
Harry war saurer – natürlich nicht auf Wobbel, sondern auf die Menschen im Ministerium, die solche Formulare noch immer für notwendig hielten. Dean musste davon wissen, doch der konnte nichts dagegen anrichten. Es waren Gesetze, an die sich jeder zu halten hatte.
„Ich sag dir was, Wobbel: Ich bin, was diese Sache betrifft“, er drückte dem Elf das Schriftstück in die Hand, „absolut deiner Meinung. Ich möchte, dass du es für mich ausfüllst. Alles, was du ankreuzt, ist in meinem Sinne, also mach dir keine Gedanken, in Ordnung?“
Ein Lächeln zauberte sich auf Wobbels Gesicht. „Danke, Sir.“
Bevor Wobbel mit einem Plop verschwinden konnte, klopfte es, so dass der Elf zuvorkommend die Tür öffnete und Hermine hineinließ.
„Hallo Wobbel“, grüßte sie fröhlich und er erwiderte den Gruß, bevor er sich verabschiede und sich in Luft auflöste. Als ihr Blick auf Harry fiel, da bemerkte sie, dass seine Laune nicht die Beste war, was sie an der runzligen Stirn ausmachen konnte.
„Was ist dir denn über die Leber gelaufen?“, wollte sie wissen.
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich und es schien, als wäre ihm bei ihrem Anblick gerade etwas Wichtiges eingefallen. „Hermine! Gut, dass du da bist. Wir müssen unbedingt über die Gesetzesänderungen sprechen und zwar in Bezug auf die Hauselfen!“
„Um was geht es denn?“, fragte sie ein wenig besorgt, denn Harry Stimme war noch immer voller Zorn gewesen.
„Wob…“ Er begann anders, damit Wobbel nicht wieder erscheinen würde. „Mein Elf hat mich gerade gefragt, ob er Babys machen darf!“, sagte Harry noch immer sehr perplex.
Hermine strahlte und fragte schelmisch: „Du hast es ihm hoffentlich erlaubt?“
„Verstehst du denn nicht?“, sagte er missgelaunt. „Er musste fragen! Er sollte mich nicht fragen müssen!“
Die Tür vom Schlafzimmer öffnete sich und Ginny huschte mit ermahnendem Blick ins Wohnzimmer.
„Könnt ihr bitte ein bisschen leiser reden, bis ich den Lärmschutzzauber gesprochen habe?“ Ginny wandte einen Spruch an der Schlafzimmertür an, damit Nicholas nicht gestört werden würde. Gleich darauf näherte sie sich Harry und Hermine und auch sie bemerkte, dass mit Harry etwas nicht stimmte.
„Warum bist du so sauer, Harry?“
„Warum ich so sauer bin?“, wiederholte er aufbrausend. „Ich sollte eben ein Formular unterschreiben, das es unserem kleinen Freund erlaubt, eine Elfe zu umwerben und einen Bund mit ihr zu schließen.“
„Aber das ist doch süß“, sagte Ginny grinsend.
Sich mit beiden Händen das Gesicht reibend verdeutlichte er zermürbt: „Ihr versteht mich einfach nicht…“
„Doch“, versicherte Hermine ernst, „ich verstehe. Er darf so einen Schritt nicht ohne deine Erlaubnis wagen. Das ist einfach eine Frechheit!“
Harry nahm seinen Teller mit dem angefangenen Kuchen auf den Schoß, doch bevor er ein Stück aß, schilderte er: „Ihr hättet erst mal das zweite Formular sehen müssen und die Punkte, die dort aufgeführt waren. Da hätte ich doch tatsächlich ankreuzen müssen, ob er die Kinder auch behalten darf! Das ist…“ Er schüttelte entrüstet den Kopf und stellte den Teller wieder aufgebracht zurück auf den Tisch, denn irgendwie war ihm nicht mehr nach Essen zumute. „Hermine, du musst Kingsley bitten, besonders diese Dinge zu ändern. Jeder Elf sollte das Recht haben, sich ohne seinen Herrn um seine Familienplanung kümmern zu dürfen. Ich muss ja auch niemanden fragen, ob ich ein Kind haben darf.“
„Doch“, widersprach Ginny neckend, „du musst mich fragen.“
„Aber das ist doch was anderes! Stell dir vor, ich müsste deine Mum fragen.“
„Die würde dir so viele Kinder erlauben wie du möchtest. Aber um zurück zum Thema zu kommen, ihr behaltet beide Recht. Das ist ungeheuerlich, dass die Zauberergesellschaft ihre Elfen so im Zaum hält.“
Zustimmend nickte Hermine. „Ich habe Kingsley schon einige Vorschläge gemacht, aber nicht spezifisch zu diesem Punkt. Ich werde es nochmal ansprechen.“
Während Ginny ihrer besten Freundin ihren Dank wegen der Salbe gegen Nicholas’ Zahnschmerzen aussprach, murmelte Harry ab und an Boshaftigkeiten, weil ihn die Angelegenheit mit dem Formular noch immer sehr aufregte.
„Hermine, warum bist du eigentlich hier?“, fragte er nach einer Weile, denn eigentlich war sie um diese Uhrzeit bei Severus.
„Ach ja!“ Hermine hatte während ihres Gesprächs mit Ginny ihr Anliegen ganz vergessen. „Ich wollte fragen, ob ich mit Severus zum Grimmauldplatz gehen darf. Ich bin mir sicher, dass in der großen Bibliothek einige alte Bücher stehen, die sich mit Basilisken befassen; zumindest in der Theorie. Wir würden sie uns gern ausleihen.“
„Wo ist Severus jetzt?“
„Er wartet vor der Tür“, antwortete Hermine.
„Warum ist er nicht mit reingekommen?“, fragte Harry, doch eine Antwort wartete er nicht ab, denn er ging bereits zur Tür hinüber, um sie zu öffnen. Die braunen Augen seinen Kollegen starrten ihn überrascht an. „Warum stehen Sie bitteschön hier draußen auf dem Flur?“ Einladend Harry öffnete die Tür und forderte Severus wortlos dazu auf einzutreten. „Sie möchten sich die Bibliothek im Grimmauldplatz ansehen?“
„Wenn Sie nichts dagegen haben“, antwortete Severus ruhig.
„Was sollte ich dagegen haben? Fast jeder, der eingeweiht ist, kann dort ein uns ausgehen.“ Erschöpft ließ sich Harry auf die Couch plumpsen.
„Ich hoffe, Sie haben ab und an mal einen Blick auf das Anwesen geworfen?“, fragte Severus. Weil alle drei ihn fragend anblickten, erklärte er: „Fletcher gehört auch zu den Eingeweihten und man muss leider befürchten, dass er bereits ungestört kostbare Gegenstände aus dem Besitz der Blacks veräußert hat.“
„Nein, da habe ich vorgesorgt“, versicherte Harry. „Er ist der Einzige, der das Haus nicht mehr allein betreten kann und schon gar nicht kann er etwas im Haus anfassen, das wertvoll ist. Die Zwillinge haben mir geholfen, die Gegenstände auf Fletchers Magiesignatur zu prägen und mit fiesen Abwehrzaubern zu versehen.“
Harry grinste niederträchtig, als er sich daran erinnerte, wie Mundungus mit eitrigen Pickeln im Gesicht aus der Küche gestürmt war, nachdem er sich über das Silberbesteck hatte hermachen wollen.
An Hermine gewandt sagte Harry: „Das Passwort ist das Gleiche wie früher, das habe ich nie geändert.“
„Passwort?“, fragte Severus irritiert.
Nickend antwortete Hermine: „In der Bibliothek gibt’s noch einen verborgenen Raum. Der Raum selbst ist zwar sehr klein, aber voller Bücher, die man lieber nicht öffentlich zur Schau stellen sollte.“
„Schwarzmagische?“ Severus Augen glitzerten interessiert.
„Ich nehme an, dass auch Schwarzmagische darunter sind. Ich habe den Raum nie betreten, weiß aber, wo er sich befindet. Nur Remus und Arthur hatten mal die Titel der Bücher überflogen und über sie diskutiert“, erklärte Hermine gewissenhaft.
Severus hob eine Augenbraue. „Dann bin ich gespannt, ob wir dort fündig werden.“
Vor den Toren von Hogwarts angelangt apparierten Severus und Hermine in eine Gasse in London, um von dort aus die paar Schritte bis zum Grimmauldplatz Nummer 12 zu gehen. Obwohl es erst Nachmittag war, war es bereits dunkel, was auch an der dichten Wolkendecke liegen mochte. Sich die heruntergekommenen Häuser in der Straße ansehend murmelte Severus: „Vor fünfundzwanzig Jahren war das hier noch ein angesehenes Viertel.“
Erst jetzt betrachtete Hermine die Umgebung und die wenigen Leute, die sich hier aufhielten. Die Häuser wirkten marode und die Bewohner waren rein äußerlich sehr schlampig gekleidet. Die erste Doppelseite der Tageszeitung „The Moon“ flatterte im Wind umher und schien den bescheidenen Intellekt der hier lebenden Menschen widerspiegeln zu wollen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite beobachtete Hermine fünf Jugendliche, von denen zwei sehr auffällig ein Auge auf eines der wenigen unzerbeulten Autos, die in dieser Straße parkten, geworfen hatten und durch die Scheibe auf der Fahrerseite ins Innere des Wagens blickten. Der durch den Straßenverkehr matschig gewordene Schnee war durch Reinigungsfahrzeuge an den Straßenrand geschoben worden. Über einen dieser grauweißen Hügel steigend, die an einigen Stellen mit den Exkrementen von Vierbeinern versehen waren, hielt Severus ihr die Hand entgegen, die sie dankend ergriff, um nicht auszurutschen. Sie hatten ihr Ziel erreicht: Grimmauldplatz Nummer 12.
Keiner der anwesenden Muggel bemerkte das Haus der Blacks, welches sich den beiden Eingeweihten zeigte. Hermine berührte mit ihrem Zauberstab die Tür mit der abblätternden, schwarzen Farbe, denn ein Schlüsselloch gab es nicht. Man hörte ein metallisches Kratzen, als würden schwere Riegel bewegt werden, dann folgte ein lautes Rasseln wie von schweren Ketten, bevor sich die Tür von allein öffnete und währenddessen einen Seufzer auszustoßen schien. Die beiden konnten das Haus nun betreten.
Es war erschreckend, wie sehr die jahrelangen Ausdunstungen von Möbeln, Tapeten, Teppichen und anderen Gegenständen das Atmen erschweren konnten, denn die Luft lag schwer im Innern des Hauses; der Geruch war ekelhaft. Trotzdem Hermine und Severus sich extra leise verhalten hatten, war das verdeckte Portrait von Mrs. Black hellhörig geworden.
„Wer ist da?“, keifte die Stimme hinter dem schweren Samtvorhang. „Sirius?“ Weil Mrs. Black den Namen ihres Sohnes genannt hatte, wurde Hermine stutzig, doch sie sagte kein Wort, so dass die alte Frau auf dem verhüllten Gemälde prophylaktisch schimpfte: „Abschaum, verschwinde aus meinem Haus, Verräter deines Blutes!“ Die Personen auf anderen Gemälden waren durch das Gezeter aufgeschreckt worden und begannen zu murmeln.
Wortlos schlugen Severus und Hermine den Weg in die Bibliothek ein. Derweil blickten die anderen Herren und Damen aus ihren Gemälden verächtlich zu beiden hinab und flüsterten bösartige Bemerkungen. Nur einmal hörte Hermine das gezischte Wort „Schlammblut“, doch sie reagierte nicht, auch wenn sie dem Bild gern die Meinung gesagt hätte. In der Bibliothek, in der zum Glück kein einziges Gemälde hing – jedenfalls keines, das eine Person abbildete –, atmete Hermine tief durch, während ihre Augen die ruhige Atmosphäre des Raumes mit seinen gemütlich großen Ohrensesseln, die ihr abgewandt am Kamin aufgestellt waren, auf sich wirken ließ. Auch hier war die Luft abgestanden, doch sie empfand sie als angenehm, denn es roch nach Papier und Leder; nach Büchern.
„Ich verstehe nur zu gut, warum Sirius und Anne sich ein eigenes Haus gekauft haben. Hier kann man gar nicht wohnen!“ Hermine ging schnurstracks auf eine Bücherwand zu, tippte sie mit ihrem Zauberstab an und flüsterte ein Passwort, so dass sich eine geheime Tür öffnete.
„Ich denke“, begann Severus, „dass es hier wohnlich sein könnte, wenn es möglich wäre, sich der Gemälde zu entledigen.“
„Der Dauerklebefluch beim Mrs. Black ist nicht zu brechen. Bill hat sich drum gekümmert. Ich meine, wenn er als Fluchbrecher es schon nicht schafft, dann…“
„Man könnte eventuell einen Elf fragen, ob es machbar wäre“, warf Severus ein und Hermine zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe, denn daran hatte sie noch gar nicht gedacht.
Die geöffnete Geheimtür gab den Blick auf einen kleinen Raum preis, der nicht größer als eineinhalb mal zweieinhalb Meter war. Bücher bedeckten jeden freien Platz an den drei Wänden und machten den Raum noch enger als er schon war.
„Eine kleine, aber feine Sammlung“, sagte Severus erfreut, als sein Blick über einige die vielen Titel schweifte. „Ah“, machte er erstaunt. „Sehen Sie mal, hier haben wir eine ’alte Bekannte’ und auch noch so gut erhalten.“ Severus zog ein Buch aus einem der Regale. Es handelte sich um „Die zwölf Briefe der Cassandra Trelawney“.
Erinnerungen kamen in Hermine auf, denn dieses war das erste Buch gewesen, welches Severus ihr zu lesen gegeben hatte, auch wenn es sich nicht um sein eigenes Exemplar gehandelt hatte, sondern um das geliehene von Luna, welches sie – das fiel ihr in diesem Augenblick mit einem Hauch von Reue ein – demnächst an ihre Freundin zurückgeben müsste. An Severus’ Gesichtsausdruck konnte sie ahnen, dass auch er sich in der Zeit zurückgesetzt fühlte.
Sie stöberten eine Weile und lasen die Titel. Es handelte sich überwiegend um verbotene Bücher, die beim Ministerium auf der schwarzen Liste standen, nur zwei von ihnen waren tatsächlich dunkelmagisch, doch Hermine und Severus kannten die entsprechenden Schutzsprüche, um sie gefahrlos öffnen zu können.
Eines der ältesten Bücher, das sie hier fanden, handelte von gefährlichen, magischen Wesen und Hermine war sich sicher, dass sie hier interessante Anhaltspunkte finden könnte. Sie blätterte und las hier und da einige Passagen und wurde stutzig. Severus bemerkte ihre fast unmerkliche Reaktion, denn sie kräuselte häufig ihre Nase, wenn sie etwas für Unfug hielt. In dem engen Raum hatte er sich ihr mit nur einem Schritt genähert.
Er blickte über ihre Schulter und fragte: „Auf was sind Sie gestoßen?“
„Hier steht“, Hermine tippte auf eine bestimmte Stelle, „wofür man den Samen eines Basilisken verwenden könnte, aber Sie sagten doch, er hätte gar keine… na ja.“
Severus las ein paar Textstellen und erklärte selbstsicher: „Der Autor hat sich das alles aus den Fingern gesogen. Er beschreibt unter anderem die Haut eines Basilisken als ’aalglatt’, dabei bestand sie aus Schuppen.“ Er zog ein Gesicht. „Vermutlich war das Buch zu seiner Zeit sogar ein Bestseller, denn es gab niemanden, der ihm das Gegenteil beweisen konnte.“
„Vielleicht gibt es aber auch verschiedene Arten von Basilisken?“, stellte Hermine als These auf, woraufhin er sie fragend anblickte. „Na ja, es wäre doch möglich, dass verschiedene Hühner- und Krötenarten auch verschiedene…“
Sie war am Ende immer leiser geworden, bis sie ganz verstummte, denn ihr eigener Denkfehler war ihr selbst aufgefallen, doch es war Severus, der sie amüsiert lächelnd darauf hinwies: „Was aber bedeuten würde, dass sich die Tiere auf biologische Art fortgepflanzt haben müssten, was jedoch nicht der Fall ist. Das Ei ist schon da, es wird noch von einer anderen Tierart ausgebrütet.“ Eine kleine Falte an ihrer Nasenwurzel verriet ihm ihre Gedanken, so dass er schmunzelnd sagte: „Aber wie ich sehe, sind Sie selbst eben darauf gekommen.“
„Was für ein Buch haben Sie in der Hand?“, wollte sie wissen und mit ihrer Frage gleichzeitig von sich ablenken.
Das Buch ansehend erklärte er: „Die halbbiografische Abhandlung über das Leben eines Parselmundes, der Gefallen an den Dunklen Künsten gefunden hatte. In einem Kapitel wird darüber berichtet, dass er sich einen Basilisk gezüchtet haben soll, den er dank seiner Kommunikationsfähigkeit unter Kontrolle gehalten hatte. Es wird auch beschrieben, wie er mit dem Gift der Schlange experimentiert haben soll. Das könnte hilfreich sein. Wir sollten es mitnehmen, falls Mrs. Lestrange eben jenes Buch für ihre Experimente zu Rate gezogen haben sollte.“
Es hatte eine Weile gedauert, bis sie alle anderen Buchtitel überflogen hatten. Während Hermine bereits an einer Wand fertig war, strich Severus noch mit seinen schmalen Fingern über die Buchrücken und las mit schräg gestelltem Kopf die Titel, als er plötzlich bei einem Band bewegungslos innehielt und nur seine gelblich verfärbten Finger zu zittern begannen, doch er riss sich schnell wieder zusammen. Hermine merkte sich das Buch und schaute sofort darauf in eine andere Richtung, so dass sein Kontrollblick, den er ihr hinüberwarf, um zu sehen, ob sie ihn womöglich beobachtet hatte, ihn auf eine falsche Fährte lenken sollte. Severus musste sich zunächst räuspern, bevor er sich einer festen Stimme sicher sein konnte.
„Haben Sie noch ein Buch gefunden, das Sie mitnehmen möchten?“, fragte er.
„Nein, ich denke, wir haben gefunden, was wir gesucht haben“, antwortete sie und zeigte derweil auf die Biografie, die er in der anderen Hand hielt.
„Dann können wir wohl gehen.“ Severus verzichtete auf Höflichkeit und verließ als Erster den Raum, denn hätte er ihr den Vortritt gegeben, hätte sie sich erst dicht an ihm vorbeischlängeln müssen.
Sie folgte ihm und zog im Vorbeigehen in Windeseile das eine Buch, welches Severus eben aus der Fassung gebracht hatte, aus dem Regal heraus und verkleinerte es schnell, um es unauffällig in ihrer Hosentasche verschwinden zu lassen, bevor sie den Raum verließ. Er hatte keinen Verdacht geschöpft.
„Mir wäre nach einem Tröpfchen Weinbrand“, sagte Severus sehnlich, nachdem er auf einer Anrichte neben dem Kamin eine kleine Auswahl an Karaffen mit schimmernd goldfarbenem Inhalt erblickt hatte.
Hermine ging an den beiden Ohrensesseln vorbei und näherte sich den Getränken. „Wenn Sie meinen, dass das noch gut ist.“ Sie säuberte zwei der Gläser magisch und ergriff bereits eine der Karaffen, um sie zu öffnen und am Inhalt zu schnuppern.
„So etwas wird nicht schlecht“, erwiderte er trocken.
Sie schenkte sich und ihm etwas ein, nahm beide Gläser jeweils in eine Hand und drehte sich um, bevor sie sich so sehr erschreckte, dass sie aufschrie und den guten Tropfen fallen ließ.
„Herrje, wollen Sie mir einen Herzinfarkt bescheren?“, wetterte Severus, der trotz seiner harschen Worte besorgt zu ihr eilte, um nach dem Rechten zu sehen. Sein Blick fiel auf einen der Ohrensessel und sofort wusste er, was Hermine erschreckt hatte.
„Black?“, grüßte er mit kühler Stimme.
Ein leichtes Schmunzeln war auf Sirius’ Gesicht zu erkennen, bevor er an Hermine gewandt sagte: „Ich wollte dich wirklich nicht erschrecken. Ich wollte nur mal sehen, wie lange ihr braucht, um mich zu entdecken.“
„Du hättest was sagen können!“, schimpfte sie, bevor sie die Verschmutzung auf dem Teppich beseitigte. „Wie lange bist du denn schon hier?“
Sirius saß gemütlich im Ohrensessel und schwenkte selbst ein Gläschen Weinbrand. „Schon lange vor euch.“
"Ah", machte Severus. "Sie schwärmen wohl von alten Zeiten?"
Mit zusammengekniffenen Augen blickte Sirius ihn an und musterte ihn argwöhnisch, bevor er eigentlich mehr zu sich selbst als zu Severus sagte: "Die alten Zeiten? Die alten Zeiten sind vorbei und die neuen sind ein wenig verstörend, geht es dir nicht genauso?" An Hermine gerichtet sagte er: „Ich wollte nachsehen, ob hier alles in Ordnung ist. Das Haus ist unbewohnt und auch wenn Harry Vorkehrungen getroffen hat, wollte ich mich vergewissern, dass nichts gestohlen wurde.“
Provozierend schaute Sirius erst Severus in die Augen, bevor er seinen Blick zu dem Buch wandern ließ, welches der Zaubertränkemeister in der Hand hielt.
„Wir haben Harry um Erlaubnis gebeten“, rechtfertigte sich Severus mit zischender Stimme.
„Mmmh“, machte Sirius nachdenklich. „Es ist nur, dass das Haus mir gehört. Harry hatte es mir zurückgegeben, nachdem ich… wieder da war.“ Er hatte sehr sachlich geklungen.
Hermine griff ein und fragte Sirius übertrieben höflich: „Darf ich mir das Buch bitte ausleihen?“
„Aber natürlich“, bestätigte Sirius müde klingend, bevor er an seinem Weinbrand nippte.
Man konnte ihm ansehen, dass er nicht in der Stimmung war, ein Gespräch führen zu wollen und so ließen Severus und Hermine ihn allein. Vor der Haustür zögerte sie jedoch und sagte: „Severus, gehen Sie doch bitte schon vor. Ich komme gleich nach.“
„Warum?“, fragte er barsch.
„Sirius ist irgendwie seltsam.“
„Der Mann ist immer seltsam!“, blaffe er sie missgelaunt an, womit er die Schimpftirade von Mrs. Blacks Portrait angekurbelt hatte, denn sie keifte und zeterte erneut über Halbblüter, Dreck und Ausgeburten von Schmutz und Niedertracht, die ihr Haus besudeln würden.
„Ich möchte nur mit ihm reden“, erklärte Hermine etwas lauter, damit Severus sie noch hören konnte.
„Dann tun Sie, was Sie nicht lassen können!“ Er riss die Tür auf und knallte sie hinter sich zu.
Hermine stöhnte, bevor sie sich kurz die Ohren zuhielt, denn auch alle anderen Gemälde hatten in den rassistischen Redeschwall von Mrs. Black eingestimmt. Zurück an der Tür der Bibliothek kündigte sich Hermine mit einem Klopfen an, bevor sie das Zimmer betrat.
„Du bist noch hier?“, fragte er nur wenig erstaunt.
„Warum bist du überhaupt hier, Sirius? Ich dachte, du magst das Haus nicht.“
„Tu ich auch nicht.“ Von unten schallte der Lärm vieler Stimmen hinauf, weswegen er die Augen zusammenkniff, als würde es ihm Kopfschmerzen bereiten. Von einem Schluck Weinbrand erhoffte er sich Erleichterung.
Mutig fragte Hermine, nachdem sie gegenüber auf dem anderen Ohrensessel Platz genommen hatte: „Gibt’s Ärger Zuhause?“
„Wie man’s nimmt“, sagte er emotionslos.
„Weil Anne arbeiten gehen möchte?“
Erstaunt blickte er sie an, bevor er fragte: „Harry hat das erzählt?“
„Ginny hat mir erzählt, dass Harry von ihr wissen wollte, was sie später machen möchte“, erwiderte sie ehrlich.
„Und was möchte sie machen?“, wollte er wissen.
„Sie möchte am liebsten Quidditch spielen.“ Hermine lächelte, doch Sirius erwiderte diese Freundlichkeit nicht.
„Was hat Harry dazu gesagt?“
„Er findet es in Ordnung.“ Hermine seufzte, bevor sie leise fragte: „Was ist das Problem, Sirius?“
Das Gezeter aus der Eingangshalle war wieder lauter geworden, so dass er ihre Frage ignorierte und sagte: „Ich habe mich schon oft gefragt, was geschehen würde, sollte ich das Haus einfach bis auf die Grundmauern abbrennen. Würden die Flammen trotz Fidelius auf die Nachbarhäuser übergreifen? Was meinst du?“
Mitfühlend sagte sie: „Man kann sich auch anders von seiner Vergangenheit lösen, Sirius.“
„Ich kann das verdammte Haus nicht einmal verkaufen!“, schimpfte er, bevor er mit einem großen Schluck sein Glas leerte.
Hermine legte ihm nahe: „Harry und Ginny würden sich freuen, wenn du sie besuchen würdest. Du hast dich in letzter Zeit sehr rar gemacht.“
„Damit man Mitleid mit mir haben kann?“, fragte er beleidigt.
„Wieso Mitleid? Wenn dir Zuhause die Decke auf den Kopf fällt, während Anne bei der Arbeit ist“, er schnaufte wütend, „dann kannst du doch tun und lassen, was du möchtest. Du warst lange nicht mehr bei Harry.“
Er dachte einen Moment lang nach, während sein Blick auf dem leeren Glas verweilte, bevor er mit leiser Stimme sagte: „Vielleicht sollte ich ihn wirklich mal besuchen.“
„Ja, solltest du.“ Sie klopfte sich auf die Oberschenkel, bevor sie aufstand und sich verabschiedete. „Ich muss jetzt gehen, aber ich würde mich freuen, wenn du mich auch mal besuchen würdest. Remus sieht dich auch nicht mehr so häufig, hat er mir jedenfalls neulich gesagt.“
Der Hauch eines Lächelns zeichnete sich in seinem Gesicht ab.
Als Hermine allein das Haus am Grimmauldplatz verließ, da schüttelte sie die Kopf, denn sie würde nicht die Kraft aufbringen können, Severus und Sirius gleichzeitig zu einem neuen Leben ermutigen zu können.
Zuletzt geändert von Muggelchen am 02.02.2011 10:16, insgesamt 1-mal geändert.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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158 Der Liebenswerte
Am Abend knisterte bei Harry und Ginny der Kamin, weswegen sie nachschaute, wer sich bei ihnen um diese Uhrzeit noch melden würde.
„Hallo Ginny“, sagte Draco mit einem ungewohnt ehrlich freundlichem Lächeln auf den Lippen. Bevor sie fragen konnte, ob er Harry sprechen wollte, nannte Draco bereits sein Anliegen. „Wir möchten euch morgen zum Mittag einladen, zu halb eins. Habt ihr Zeit? Natürlich könnt ihr Nicholas auch mitbringen.“
„Moment, ich frag mal Harry.“ Der hatte dem Gespräch seiner Verlobten längst gelauscht und nickte zustimmend, als sie sich zu ihm umwandte, so dass Ginny für morgen zusagen konnte. „Du weißt aber, dass morgen Silvester ist?“, erinnerte sie Draco.
„Natürlich weiß ich das. Ihr müsst auch nicht allzu lange bleiben, wenn ihr noch etwas anderes vorhabt. Ach, bevor ich es vergesse, würdet ihr bitte Hermine und Severus Bescheid geben? Die beiden sollen morgen bitte auch kommen.“ Ginny blinzelte erstaunt, nickte jedoch zustimmen und verabschiedete sich im Anschluss.
„Was war denn das?“, fragte Harry grinsend.
„Eine Einladung“, gab sie ihm neckend zur Antwort, obwohl er das durchaus hatte hören können, nur warum Draco die ausgesprochen hatte, das war ihm nicht klar. „Das mit Snape übernimmst du, Harry!“
„Ja, mach ich. Morgen halb eins?“ Sie nickte. „Ich sag am besten gleich Bescheid.“
In den Kerkern standen Hermine und Severus im Labor an einem Tisch über einem aufgeklappten Buch gebeugt, welches sie zeitgleich lasen.
„Wie wäre es, wenn ich das Buch zuerst lese und Sie danach?“, schlug er mit rauem Befehlston vor.
In den Text vertieft murmelte sie: „Warum? Wir haben doch die gleiche Lesegeschwindigkeit. Klappt doch hervorragend.“
„Aber ich möchte gern Platz nehmen!“
Sie blickte aufgrund seiner nörgelnden Worte auf und stimmte ihm gelassen zu: „Dann lassen Sie uns doch einfach Platz nehmen.“
„Ich habe noch nie in meinem Leben ein Buch mit einer anderen Person zur gleichen Zeit gelesen“, warf er ihr als ärgerlich klingende Tatsache vor, weil er dies jetzt tun musste und es offensichtlich nicht wollte.
Sie stutzte. „Dann haben Sie in der Schule nie ein Buch mit einem Mitschüler geteilt?“ Da seinerseits eine Antwort ausblieb, war es für sie Antwort genug. „Dachte ich’s mir“, fügte sie grinsend hinzu. „Wir können in Ihrem Wohnzimmer weiterlesen, wenn Sie nicht hier am Arbeitstisch sitzen möchten.“
„Meinetwegen“, erwiderte er knapp und resignierend, bevor er das Buch zuschlug.
Vor dem Gemälde von Salazar trafen beide auf Harry, den Severus hineinbat.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte Severus höflich.
„Nichts, ich wollte nur Bescheid geben, dass Draco uns morgen sehen möchte. Er hat uns zu halb eins eingeladen.“ Harry tätschelte den weißen Hund und bemerkte daher nicht den skeptischen Blick, den Severus ihm zuwarf.
„Warum?“, hörte Harry ihn kurz darauf fragen.
„Ähm, ich weiß nicht, das hat er nicht gesagt. Er hat Ginny und mich gebeten morgen zu kommen und ich sollte Ihnen und Hermine auch…“
„Es muss doch einen Grund geben“, unterbrach Severus.
Hermine vermutete laut: „Vielleicht wollen die beiden uns nur zum Essen einladen?“
„Das soll ein Grund sein?“, fragte Severus spöttisch. „Eine Einladung zur gemeinsamen Nahrungsaufnahme?“
Sie rollte genervt mit den Augen. „Man kann sich während eines Mittagsessens auch gut unterhalten!“
„Es klang so“, warf Harry erklärend ein, „als würde es nicht allzu lange dauern. Sie kommen doch, Severus?“
„Ich habe andere Dinge zu erledigen.“
Sie schnaufte, bevor sie ihm vor Augen hielt: „Zwei Stunden Ihrer Zeit können Sie wohl entbehren. Ich kann es jedenfalls und ich werde morgen hingehen.“
„Wir arbeiten zusammen an einem Projekt und…“
Sie unterbrach mit einer beschwichtigenden Geste ihrer Hände. „Severus, Sie haben erst letzte Woche gesagt, dass ich wie die anderen Schüler Ferien habe.“
Seine grantige Art verflog mit einem Male, denn sie hatte Recht. Sie hatten zwar zusammen gearbeitet, doch das war in ihrer Freizeit gewesen.
„Sie sollten sich auch mal eine Auszeit nehmen. Lassen Sie sich bewirten und unterhalten“, schlug sie ihm vor. Er verzog angewidert das Gesicht, so dass sie ihn ein wenig aus der Reserve zu locken versuchte, denn sie fügte leise hinzu: „Ich bin mir sicher, es würde sich für Sie sogar die Gelegenheit ergeben, mit Dracos Einverständnis mal einen Blick auf die malfoysche Sammlung schwarzer Objekte zu werfen.“ Eine seiner Augenbraue wanderte nach oben, ein Mundwinkel folgte zögerlich. Nachdem das geklärt war verabschiedete sich Harry wieder, so dass Severus und Hermine sich aufs Neue dem Buch widmen konnten.
Die halbbiografische Abhandlung des Parselmundes, der vor über 600 Jahren gelebt haben soll, war höchst interessant. Severus und Hermine saßen nebeneinander auf seiner Couch – das Buch lag halb auf ihrem, halb auf seinem Oberschenkel – als er nach dem fünften Kapitel leise fragte: „Denken Sie das Gleiche wie ich?“
Sie hatte dieselbe Textstelle erreicht und antwortete: „Ich denke schon. Unser Mr. Callidita hier war ein kluger Mann und ist durch Zufall auf etwas sehr Interessantes gestoßen.“
„Und dieser Zufall ist sehr wahrscheinlich der einzige Grund, warum dieses Buch Jahrhunderte später in dem ’Verzeichnis für verbotene Schriften’ beim Ministerium aufgeführt wird.“
„Das ist wirklich schade“, sagte Hermine. „Callidita hat sehr hilfreiche Heilmethoden mit Schlangengift entwickelt und das Basiliskengift hat offenbar noch wesentlich besser gewirkt. Rheuma, Asthma, Nervenerkrankungen“, las sie vor, „und wie es aussieht, hat er ein starkes Betäubungsmittel hergestellt.“
„Welches“, vervollständigte Severus, „bei zu hoher Dosierung einen nicht kontrollierbaren, komaähnlichen Tiefschlaf herbeiführt; viel tiefer als der Topor, bei dem der Patient zumindest noch Abwehrreaktionen zeigt. Es ist kein Wunder, dass man diese eine Entdeckung von Mr. Callidita verteufelt, denn der Patient wirkt wie tot und ist den Menschen um sich herum hilflos ausgeliefert.“
„Bellatrix muss ’Schlafes Bruder’ mit Hilfe der Beschreibungen dieses Buches verändert haben. Wir müssen anhand der Untersuchungsergebnisse von Pansys Blut berechnen, wie viel Gift dem Trank beigemischt worden sein könnte. Ich frage mich nur, wie wir ein Gegenmittel herstellen sollen.“
„Wenn wir die richtige Mischung des Trankes ausmachen konnten, dann wird ein Gegengift – zumindest in der Theorie – leichter zu finden sein.“
Sie lasen gemeinsam bis spät in die Nacht hinein und hatten am Ende das gesamte Buch geschafft, denn sehr dick war die Biografie nicht gewesen. Möglicherweise, so dachte Hermine, war das Buch nicht sehr umfangreich, weil Callidita nicht sehr alt geworden war. Er wäre mit nur 34 Jahren verschwunden und später für tot erklärt worden. Die Vermutung hatte sich gefestigt, dass Callidita seinem eigenen Basilisk zum Opfer gefallen sein musste.
Am nächsten Morgen hatte sich Hermine dezent, aber elegant gekleidet, denn sie hatte nicht einmal eine Ahnung, welchen Anlass Dracos Einladung haben würde. Überpünktlich trat sie aus dem Kamin der Bibliothek in Malfoy Manor, wo sie Severus in die Arme stolperte, der wenige Sekunden vor ihr hergefloht war. Er half ihr, das Gleichgewicht wiederzufinden.
„Die Zeitplanung ist bei euch beiden identisch, wie ich sehe“, murmelte Draco schmunzelnd, denn beide waren fast genau fünf Minuten vor halb eins eingetroffen. „Herzlich willkommen.“
„Darf ich nach dem Grund fragen? Warum sind wir eingeladen worden?“, fragte Severus fordernd.
Einmal die Schultern hebend und senkend erwiderte Draco als Frage formuliert: „Zum Mittagessen?“ Er lächelte einseitig, was ihn für einen Augenblick wie sein Vater aussehen ließ, doch die Augen des jungen Malfoy spiegelten nichts von Boshaftigkeit oder Arroganz wider.
Pünktlich traten auch Harry und Ginny aus dem Kamin. Das dösende Baby im Arm haltend erklärte Harry: „Die Apparationen hatte er bisher ja immer gut überstanden, aber ich hätte nicht gedacht, dass er bei seiner ersten Reise durchs Flohnetzwerk einfach einschläft.“
Ginny schaute sich Nicholas an. „Er hat eben die Flasche bekommen. Natürlich ist er danach müde.“
Draco folgend nahmen alle die Treppe ins Erdgeschoss und als sie an der Küche vorbeikamen, schlug ihnen ein kräftig würziger Duft entgegen, der einem das Wasser im Munde zusammenlaufen lief. Von ihrem Gastgeber wurden sie in den grünen Salon geführt. Die Tafel war bereits angerichtet und Narzissa erledigte noch den letzten Schliff, indem sie eine Stoffserviette durch einen silbernen Ring zog und auf einen der sechs Teller legte.
Aufmerksam betrachtete Hermine den großen Raum, in welchem vor kurzem die Hochzeit von Susan und Draco stattgefunden hatte. Der Wintergarten war wieder durch Fensterscheiben vom Raum abgetrennt, was sicherlich Wobbel zu verdanken war. Nun wirkte der grüne Salon nicht mehr ganz so unübersichtlich groß. Hier und da stellten prächtige, hoch gewachsene Pflanzen in riesigen Tontöpfen einen wahren Blickfang dar; die Atmosphäre war sehr gemütlich. Zwei Dinge fielen Hermine jedoch auf und zwar die nur sechs Gedecke, wo sie doch sieben sein würden und…
„Wo ist Susan?“, wollte sie wissen.
Ein seliges Lächeln legte sich auf Dracos Gesicht, bevor er sagte: „Sie wird nicht mit uns speisen, aber wir können sie nach dem Essen kurz aufsuchen.“ Severus machte ein Gesicht, als würde ihm ein Kürbistörtchen quer im Hals liegen, so dass Draco versicherte: „Nur wer möchte, versteht sich.“
Das gemeinsame Essen – Narzissa hatte gekocht und die Gäste bewirtet – verlief sehr angenehm und locker. Selbst Severus fand Gefallen an einigen Gesprächsthemen und er konnte sich sogar mit Ginny, die er natürlich weiterhin Miss Weasley nannte, bestens über Zaubertränke unterhalten, denn sie sprachen überwiegend über ihren großen Bruder Charlie und seiner Arbeit mit den Drachen.
Nach dem Dessert, einem Mousse au Chocolat, von dem Hermine aufgrund ihres Lobes ein zweites Schälchen von Narzissa erhalten hatte, folgten Hermine, Ginny und Harry ihrem Gastgeber in den ersten Stock, während Severus unten bei Narzissa blieb, um über die schwarzmagische Sammlung ihres Gatten zu diskutieren.
„Einen Moment bitte“, sagte Draco, bevor er hinter einer Tür verschwand. Es dauerte nicht sehr lange, da kam er mit einem Bündel im Arm zurück, während er über das ganze Gesicht strahlte.
„Susan schläft. Sie ist noch sehr mitgenommen von gestern“, sagte Draco leise, während er die Gesichter seiner drei Gäste auf sich wirken ließ, denn jeder hatte die Augen weit aufgerissen. Das überraschte Lächeln, als sie auf das in Decken eingewickelte Baby einen Blick zu erhaschen versuchten, machte ihn schon ganz stolz. Vorsichtig legte er das Gesicht des schlafenden Babys frei, so dass Harry, Ginny und Hermine zeitgleich wonnig seufzten.
„Mein Patenkind“, schwärmte Harry leise. Seine Augen strahlten eine Wärme aus, die Draco glatt die Sprache verschlug.
„Ein Junge oder ein Mädchen?“, wollte Ginny wissen.
Erst jetzt hatte Draco seine Stimme wiedergefunden. „Ein Junge, 3.310 Gramm, 48 Zentimeter“, antwortete der stolze Vater.
„Gott, hatte Susan es gut, Nicholas war ein Kilo schwerer gewesen!“ Besagtes Baby nahm sie Harry aus dem Arm, damit der sein Patenkind begrüßen konnte.
Neugierig fragte Hermine: „Ist denn der Blutzauber schon gesprochen worden?“
„Aber selbstverständlich! Allerdings…“ Draco hielt inne, weil er Harry den kleinen Jungen reichte, der ihn behutsam an sich nahm. „Allerdings zählt ihr laut Blutschutz alle zu meiner Familie. Harry als Patenonkel, Ginny als seine Verlobte, Severus als mein Patenonkel und du“, er blickte Hermine in die Augen, „als meine Trauzeugin. Alles völlig legal.“
„Das mit dem Paten und seiner Familie verstehe ich ja noch“, sagte Harry, „aber dass man als Trauzeuge auch gleich vom Blutzauber als Familienmitglied gezählt wird…?“
„Warum sollte das nicht so sein?“, fragte Draco entgeistert, denn es war ihm ein Rätsel, warum Harry so eine Frage stellte. „Hannah und Hermine sind mit ihrer Unterschrift auf der Heiratsurkunde mitunter unsere engsten Vertrauten wie auch du.“
„Ich bin da nicht so richtig informiert“, gab Harry kleinlaut zu. „Ich weiß nur, dass ich mich um das Kind kümmern werde, sollte euch – Merlin bewahre – irgendwas zustoßen.“
Nickend bestätigte Draco: „Wenn wir das Zeitliche segnen sollten, Harry, dann schlüpfst du in meine Rolle und zwar ohne Einschränkungen. Das heißt, du wirst auch das Erbe für ihn verwalten, bis er volljährig ist.“ Mit zusammengekniffenen Augen fragte Draco skeptisch nach: „Du hast wirklich keine Ahnung, auf was du dich mit der Patenschaft eingelassen hast?“
„Doch, doch“, wollte Harry ihm weismachen. Hermine warf ihm einen beruhigenden Blick zu, der ihm versicherte, dass sie es ihm später haarklein erklären würde.
Das kleine Baby in seiner Armbeuge betrachtend fragte Harry: „Wie heißt er?“
Harry rechnete fest mit einem außergewöhnlichen Namen, denn die Namen von Vater und Großvater waren nicht gerade alltäglich und ein Malfoy würde mit dem Namen seines Kindes sicherlich diese Tradition wahren wollen. Umso mehr erstaunte es ihn, als Draco antwortete: „Charles.“
„Charles?“, wiederholte Harry staunend.
„Das ist sein Rufname. Der vollständige Vorname lautet Charles Erasmus“, informierte Draco.
Ginnys Augen begannen zu leuchten. „Erasmus hieß mein Großvater! Ich hatte auch erst überlegt, ob ich Nicholas so benennen soll.“
Still lächelte Hermine in sich hinein, denn sie kannte die Bedeutung des zweiten Vornamens.
„Wollen wir wieder runtergehen?“, fragte Draco. „Ich würde gern, dass Severus ihn auch mal sieht.“ Harry wollte Charles bereits an den Vater zurückgeben, da erlaubte ihm Draco: „Nein, trag ihn ruhig. Ich werde noch oft genug dazu kommen.“
Im grünen Salon unterhielten sich Narzissa und Severus gerade ungestört über einige der schwarzmagischen Objekte, auf die Severus schon vor zwei Jahrzehnten ein Auge geworfen hatte.
„Gibt es noch den ’Zankapfel’? Hat Lucius ihn noch in seinem Besitz?“, fragte Severus sehr interessiert.
„Ja, den gibt es noch, aber ich finde ihn besonders abscheulich“, erwiderte sie mit gerümpfter Nase.
„Wenn es dir so viel Kummer bereitet, ihn in deinem Besitz zu wissen, dann…“
„Nein, den kann ich dir nicht aushändigen, Severus. Der richtet nur Chaos an!“
„Aber nicht für den Besitzer. Ich bin ja nur an dem Zauber interessiert, der auf dem Objekt liegt“, versicherte er ihr mit ruhiger Stimme.
„Ich weiß nicht, da fragst du besser Draco. Alles hier gehört laut Ministerium ihm, weil ich es damals in meinem beeinträchtigtem Zustand für richtig gehalten hatte, meinen Sohn über alles verfügen zu lassen.“
„Was ist mit dem ’Pfeil und Bogen des…’?“
Die Tür öffnete sich, weswegen Severus seine Frage für sich behielt. Seine Augenbrauen wanderten unmerklich in die Höhe, als er die vier jungen Leute sah, die nun zwei Bündel mit sich herumtrugen. Severus blickte Narzissa an, die ihm ein warmherziges Lächeln schenkte.
„Du bist nun Großmutter?“, fragte Severus leise. Es schien, als würde er sich für sie freuen, denn es hatten sich kleine Fältchen um seine Augen gelegt, die anstelle seines Mundes zu lachen schienen. Narzissa nickte, während sie ihren seligen Gesichtsausdruck nicht verlor.
„Severus?“, hörte er seinen Patensohn gutgelaunt sagen. „Darf ich dir das neuste Mitglied der Familie Malfoy vorstellen?“
Severus erhob sich und schaute zwischen den beiden Bündeln hin und her, verweilte dann mit seinen Augen auf dem kleineren in Harrys Armen und näherte sich seinem Kollegen. Die Decke behutsam umschlagend legte Draco das Gesicht des kleinen Jungen frei, der noch immer schlummerte.
„Ein Junge oder…?“
Draco bestätigte: „Ja, ein Junge. Charles Erasmus.“
„Erasmus? Vor zwei, drei Generationen war das ein sehr verbreiteter und beliebter Name“, warf Severus als Tatsache in den Raum hinein, während er das Kind betrachtete und seine Miene derweil keine Gefühle preisgab; nicht einmal mehr seine Augen. Nach einem kurzen Moment machte Severus die weniger charmante Feststellung: „Er ist runzelig.“
Hermine rollte mit den Augen. „Das ist völlig normal, das geht in ein paar Tagen weg.“
Da Severus so dicht bei ihm stand, fragte Harry, während er das Bündel an die Brust seines Kollegen drückte: „Wollen Sie ihn mal nehmen?“
„Nein…“, antwortete sein Kollege erschrocken, doch es war zu spät, denn Harry hatte ihn längst überrumpelt; Severus’ Arme hielten den Jungen bereits.
Er konnte es nicht verhindern, an den Moment zu denken, in welchem Lucius ihm damals stolz den eigenen Spross in den Arm gelegt hatte. Severus betrachtete das Kind, dessen Augen hinter den geschlossenen Lidern zaghaft hin und her rollten. Die Haut mochte runzelig sein, aber er war sich sicher, dass sie samtig weich sein würde, sollte er es wagen, das Gesicht des Babys zu berühren, wovon er sich selbst abhielt. Severus konnte sich kaum vorstellen, dass man mit diesem Kind in einigen Jahren bereits kommunizieren können würde; dass dieses Kind in elf Jahren sehr wahrscheinlich einen Brief aus Hogwarts erhalten würde. In dem Augenblick, als diese Gedanken seinen Geist fluteten, da erinnerte er sich daran, damals das Gleiche gedacht zu haben, als er Draco das erste Mal gehalten hatte. Severus schaute unbemerkt auf und erhaschte einen Blick auf den jungen Mann, dessen leichte, zerbrechlich wirkende Gestalt er vor über zwanzig Jahren in seinen Armen gehalten hatte – und der so frech gewesen war, ihm mit den kleinen Händen an die Nase zu langen. Wieder zu Dracos Kind schauend dachte Severus, wie unglaublich es schien, dass ein schlafender Säugling so viel Ruhe und Frieden ausstrahlen konnte.
Erträglicher wäre es momentan für Severus, wenn nur Draco und er im Raum wären, doch vor allen anderen das Kind zu halten war ihm unangenehm. Den unbehaglichen Augenblick überspielend sagte Severus, nachdem er den hellroten Flaum auf dem Kopf des Babys erblickt hatte: „Es wird wohl erstmalig mit den Traditionen gebrochen, denn soweit ich unterrichtet bin, waren alle Mitglieder der Familie Malfoy – väterlicherseits – durchweg blond.“
„Kommt drauf an, was die Eltern so an Genen mitbringen“, warf Hermine heiter ein. „Aber bei dem Kleinen sieht man ja schon, dass Susans Veranlagung für rote Haare kräftig mitgemischt hat.“
Sie lächelte, als sie Charles betrachtete, woraufhin Severus mit einem hoffnungsvollen Unterton in der Stimme fragte: „Hatten Sie ihn schon einmal gehalten?“ Sie schüttelte den Kopf, so dass er ihr das Bündel entgegenhielt und erleichtert ausamtete, nachdem sie das Baby an sich genommen hatte.
Sich seinen Patensohn am Oberarm greifend führte er ihn unauffällige wenige Meter von den anderen weg, bevor er vorwurfsvoll sagte: „Du hättest mich auch einfach über den Nachwuchs unterrichten können.“
Schnaufend konterte Draco: „Damit du uns gar nicht mehr besuchst?“ Mit nachsichtiger Stimme fügte Draco sofort hinzu, um seine Anschuldigung schnell wieder zu entkräften: „So schlimm war es nicht, ihn einmal zu halten oder?“ Severus schien kurz überlegen zu müssen, schüttelte jedoch kurz den Kopf. „Denk dran, Severus, dass ich dich gern zum Patenonkel gemacht hätte.“
„Mit Harry bist du in dieser Angelegenheit wesentlich besser bedient“, lautete Severus’ ernst gemeinte Stellungnahme. „Ich bin für so etwas zu alt.“
Jetzt platzte Draco der Kragen, doch er behielt seine Stimme unter Kontrolle. „Meine Güte, du wirst erst 44! Von wegen zu alt… Aber du hast Recht damit, wenn du meinst, dass Harry bestens für diese Aufgabe bestimmt ist.“ Draco blickte zu Harry hinüber, der das Baby in Hermines Armen federleicht am Kopf streichelte und derweil etwas zu Ginny sagte. „Ich bin in gewisser Weise froh, dass er zugesagt hat, auch wenn ich es mit einem weinenden Auge betrachte, dass du dich so einer Aufgabe nicht mehr gewappnet gefühlt hast.“
„Du willst es nicht verstehen oder?“, fragte Severus missgelaunt, aber auch abgekämpft klingend.
„Ich würde es gern verstehen“, erwiderte Draco ehrlich, doch wie er es geahnt hatte, äußerte sich Severus nicht dazu.
„Übermittel doch bitte deiner Gattin meine Glückwünsche. Und ich möchte mich für das vorzügliche Mittagessen bedanken. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest?“
Severus verließ unbeachtet von den anderen den grünen Salon und Draco wusste, dass sein Patenonkel den Kamin im ersten Stock nehmen würde, um sich klammheimlich davonzustehlen. Von der Tür, die Severus eben von außen geschlossen hatte, blickte Draco hinüber zu seinen verbliebenen Gästen. Hermine und Harry standen noch immer zusammen und bestaunten den Jungen, während seine Mutter sich in Ginnys Nähe aufhielt und deren Sohn betrachtete, sich derweil mit der Rothaarigen gelassen unterhielt. Plötzlich begann eines der Kinder zu schreien und es war nicht Nicholas.
„Oh“, machte Ginny mitfühlend, als sie sich Hermine näherte. Dem Geschrei von Charles Worte verleihen wollend versuchte sie sinngemäß zu interpretieren: „So viele Menschen auf einmal. Lasst mich doch alle in Ruhe, ich möchte zu meiner Mama.“
Lächelnd nahm Draco seinen Sohn von Hermine entgegen und bestätigte: „Ich bin davon überzeugt, dass er genau das denkt. Ich bin gleich wieder da.“
Auf seinem Weg in die Bibliothek im vierten Stock, denn Severus wollte nachschauen, ob er etwas über Mr. Callidita herausfinden könnte, hielt er beim Anblick von Remus inne, der verträumt aus dem Fenster im Flur auf die verschneite Landschaft schaute. Severus erkannte an der Körperhaltung seines alten Mitschülers, dass etwas schwer auf ihm zu lasten schien, was ihm völlig egal sein könnte, doch er entschloss sich dazu, mit seinen Bösartigkeiten zurückzuhalten. Er nahm seinen Weg erneut auf und machte keinen Hehl aus seiner Präsenz. Remus wandte seinen Kopf, als er näher kommende Schritte hörte und Severus bemerkte, wie sich ein gekünsteltes Lächeln auf das Gesicht des Werwolfs zauberte, womit er gute Laune vortäuschen wollte.
„Hallo Severus.“
„Lupin.“ Ein Kopfnicken folgte. „Haben Sie in Ihrem Zimmer keine eigenen Fenster?“ Severus war davon überzeugt, dass diese Spitze nicht als Bösartigkeit gesehen werden würde.
„Habe ich, aber der Ausblick ist langweilig geworden“, scherzte Remus zurück. „Hermine ist nicht in ihrem Zimmer, falls du sie suchen solltest.“
Es war eindeutig gewesen, dass Remus sie hatte aufsuchen wollen, weswegen Severus erklärte: „Sie ist noch bei Mr. Malfoy, um sein Kind zu bestaunen.“
„Sein Kind?“ Remus machte sich nicht erst die Mühe, seine Überraschung zu vertuschen, denn die stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Ein wenig früh oder?“
„Ich glaube, zweieinhalb Wochen zu früh, aber es ist alles bestens.“
Severus wollte bereits seinen Weg fortführen, da fragte Remus: „Wohin gehst du?“ Gerade wollte Severus ihm an den Kopf werfen, dass ihn das nicht anzugehen hätte, da sagte Remus ihm zuvorkommend: „Ich weiß, dass mich das nicht zu interessieren hat.“ Den Gang hinunterblickend schien ihm ein Gedanke zu kommen, weswegen er fragte: „Gehst du in die Bibliothek?“
„Ganz recht, wenn Sie mich also entschuldigen…“
„Ich komme mit! Ich war ewig nicht mehr dort.“ Als Schüler hatte Remus viele schöne Stunden dort verbracht, etliche davon mit Linda und die meisten – auch wenn beide immer weit voneinander entfernt gesessen hatten – mit Severus.
Da Severus ihm nicht folgte, blieb Remus stehen, um sich umzudrehen. Braune Augen blickten ihn skeptisch an, so dass Remus höflichkeitshalber fragte: „Ich störe doch nicht?“
„Wenn Sie zwanzig Meter Abstand halten“, er hob und senkte die Schultern, „dann nicht.“
Zusammen zur Bibliothek gehend hielt Remus ein wenig Smalltalk. „Nach was suchst du?“
Er hatte nicht mit einer Antwort gerechnet, weswegen er umso erstaunter war, als Severus nach einigem Zögern preisgab: „Nach Büchern von oder über einen Mann namens Corvinus Callidita.“
„Oh“, machte Remus begeistert. „Der war hier mal Schüler!“ Abrupt blieb Severus stehen, während Remus noch zwei Schritte ging, bevor er die dunkelgekleidete Präsenz neben sich vermisste und sich umdrehte. „Was, das wusstest du nicht?“
„Nein“, gab Severus zu. „Ich kann wohl kaum über jede Person informiert sein, die seit der Gründung Hogwarts vor über 1000 Jahren bis heute hier als Schüler in Erscheinung getreten ist.“
„Das wäre auch zuviel verlangt“, pflichtete Remus bei. „Ich weiß das auch nur von Poppy.“ Severus setzte sich wieder in Bewegung und forderte derweil Remus mit einem einzigen Blick auf weiterzureden. „Als ich damals dein Kollege hier war“, er spielte auf Harrys drittes Schuljahr an, „da waren die Erinnerungen an die versteinerten Schüler bei allen noch ganz frisch. Ich hatte mich erst mit Pomona darüber unterhalten. Diese Vorfälle hatten mich interessiert, es kommt ja nicht alle Tage vor. Später hat Poppy mir noch einiges erzählen können. Sie hatte von dem Basilisk in der Kammer des Schreckens gesprochen.“ Remus lächelte. „Deswegen war ich auch so wild drauf, das Tierchen mal mit eigenen Augen zu sehen.“ Severus schnaufte, hörte jedoch weiterhin zu. „Sie erwähnte, dass einer ihrer Vorgänger angeblich selbst mal einen Basilisk gezüchtet haben sollte, aber sie wusste nicht, ob das nur eine Legende wäre oder der Wahrheit entsprach.“
Severus stutzte. „Einer ihrer Vorgänger?“
„Ja, Callidita war für einige Zeit der Heiler in Hogwarts, aber nicht sehr lange.“
„Dann wird es Schulunterlagen von ihm geben“, vermutete Severus murmelnd.
„Es gibt auch ein Gemälde von ihm“, warf Remus ein, weswegen Severus ihn erstaunt anblickte. „Hängt in Poppys Büro. Er spricht aber nicht, hat er nie.“
„Ist es kein bewegliches…“
„Doch, ist es, aber er spricht nicht. Frag mich nicht, warum.“
Die Bibliothek hatten sie erreicht. Severus öffnete die Flügeltür und ließ Remus als Ersten hinein.
Völlig unerwartet fragte der Werwolf: „Wie heißt Dracos Kind?“
„Charles Erasmus.“
„Erasmus“, wiederholte Remus schätzend. „Ich glaube, Arthur hatte einmal erwähnt, dass sein Vater…“
Severus vollendete den Satz: „…ebenfalls so hieß, ja ich weiß.“
„’Erasmus’ bedeutet ’der Liebenswerte’, wusstest du das?“, fragte Remus, während er bereits die Bücher eines Regals überflog.
„Nein, aber dank Ihnen bin ich jetzt im Bilde“, erwiderte Severus gleichgültig, bevor er schnurstracks in die Verbotene Abteilung marschierte. Remus folgte ihm unaufgefordert.
„Der Name ’Remus’ bedeutet…“
Unterbrechend wies Severus ihn zurecht, denn er sagte: „Es bedeutet ’Ruder’, das weiß ich. Ich bin nicht völlig unerfahren, was die lateinische Sprache betrifft, aber Vornamen und ihre Bedeutungen interessieren mich nicht im Geringsten!“
„Ha, du machst deinem Namen alle Ehre“, stichelte Remus belustigt, woraufhin er sich einen bösen Blick einfing, doch den schmetterte er mit einem breiten Lächeln ab.
Während beide durch die dunklen Gänge der Verbotenen Abteilung schlenderten und die Buchtitel überflogen, da fragte Severus nebensächlich: „Warum sind Sie eigentlich noch in Hogwarts? Soweit ich darüber unterrichtet bin, ist Hogsmeade wieder zugänglich.“
„Ich, ähm…“ Remus war offensichtlich verlegen, antwortete jedoch ehrlich: „Ich bin nicht mehr bei Rosmerta beschäftigt.“ Severus schaute ihn mit gefühlskalter Miene an. „Ich werde nachher mit Albus reden und darum bitten, noch einige Tage hier bleiben zu dürfen, bis ich eine neue Bleibe…“ Die Stimme versagte und Remus hielt den Mund, widmete sich gleich wieder den Büchern, doch man konnte ihm ansehen, dass er nur halb bei der Sache war.
„Ich bin mir sicher“, begann Severus arrogant klingend, „dass sich für Sie ein Platz in der Küche finden würde.“
Im ersten Moment fühlte sich Remus gekränkt, doch im nächsten Augenblick erinnerte er sich daran, wie Severus eine ähnliche Bemerkung gemacht hatte, mit der er versteckt seine Kochkünste gelobt hatte. „Sie sollten in Hogwarts anfangen, Lupin. Ich bin sicher, die Hauselfen könnten noch viel von Ihnen lernen“, hatte Severus damals in den Drei Besen gesagt, nachdem er ihn und Hermine mit seiner Forelle hatte begeistern können.
„Ich denke, es würde vielen Eltern missfallen, einen Werwolf dauerhaft in Hogwarts zu wissen“, sagte Remus kleinlaut, ohne Severus anzublicken. „Das war schon einmal so gewesen.“
Ein seltsames Gefühl machte sich in Severus breit und er wagte es nicht, es als Schuld zu deuten, denn er war es gewesen, der damals „versehentlich“ vor seinen Slytherins hatte verlauten lassen, dass Professor Lupin an Lykanthropie leiden würde.
„Die Zeiten ändern sich. Sehen Sie mich an“, Remus blickte tatsächlich zu Severus hinüber, „ich bin ein Todesser und arbeite hier, ohne dass bisher auch nur ein einziger Brief von aufgebrachten Eltern eingetroffen ist.“
„Du hast einen Merlin erster Klasse erhalten!“ Für Remus war das Grund genug, die Vergangenheit als Todesser vergessen zu können, doch für Severus reichte das offenbar nicht aus.
„Und dieser Orden soll all das, was ich jemals getan habe, einfach ausradiert haben? Ich bin noch immer der gleiche Mann wie vor Kriegsende!“
„Es gibt Leute“, begann Remus mit weicher Stimme, „die das Gegenteil behaupten.“
„Die da wären?“, wollte Severus wissen.
Die Lippen schürzend hob Remus die Schultern und er senkte sie erst wieder, als er aufzählte: „Harry und Hermine, Draco… Albus hat damals immer schon mehr von dir gehalten als alle anderen.“ Einen Moment später fügte Remus mutig hinzu: „Ich denke übrigens auch, dass du dich verändert hast.“ Um seine Behauptung zu untermauern gab er als Beispiel: „Wir können miteinander reden, ohne uns gleich gegenseitig an die Kehle…“
„Mit Ihrem Gefasel machen Sie es mir sehr schwer, diesem durchaus noch vorhandenen Drang nicht nachzugeben, Lupin!“
Abrupt das Thema wechselnd erinnerte Severus mit schroffem Ton daran: „Am 7. Januar ist Vollmond. Ich erwarte Sie kommenden Montag für den ersten Trank.“
„Als ob ich das vergessen würde“, murmelte Remus amüsiert.
Während Severus und Remus zusammen in der Verbotenen Abteilung nach Büchern Ausschau hielten, die von Corvinus Callidita verfasst worden waren oder von ihm handelten, betraten Harry, Ginny und Hermine ihr Wohnzimmer in Hogwarts.
„Willst du noch etwas bleiben, Hermine?“, fragte Harry.
„Nein danke, ich möchte ein wenig lesen“, erwiderte sie, denn sie hatte gestern, während sie mit Severus die Biografie bis in die Nacht hinein verschlungen hatte, keine Zeit gehabt, jenes Buch aufzuschlagen, welches sie heimlich vom Grimmauldplatz mitgenommen hatte.
In ihrem eigenen Wohnzimmer angelangt fütterte sie zunächst Fellini, bevor sie in ihrem Schlafzimmerschrank nach dem Buch suchte, welches noch immer verkleinert in der Tasche der Hose verweilte, die sie gestern getragen hatte. Das Buch war in Null Komma nichts in seine ursprüngliche Größe zurückverwandelt und erst jetzt konnte sie erstmals den Titel lesen.
„Leib und Seele“, murmelte sie leise und sie hatte das überwältigende Gefühl, die Antwort auf all ihre Fragen in den Händen zu halten. Bevor sie es jedoch aufschlug, blätterte sie in dem Buch, das Severus ihr gegeben hatte, nachdem sie das erste Mal mit schwarzmagischen Büchern in Berührung gekommen war. Sie suchte in diesem Buch nach dem Titel „Leib und Seele“, um zu sehen, wie sie sich vor möglichen, negativen Beeinflussungen schützen könnte, doch der Titel war nicht aufgeführt. Sie fragte sich, ob ein normaler Schutzzauber ausreichen würde, aber sie zögerte. Albus’ Erklärung über eines seiner eigenen Bücher, bei dem man bestimmte Seitenzahlen nicht aufschlagen durfte, weil es einen sonst mit Haut und Haaren verschlingen würde, hielt sie davon ab, das Risiko unüberlegt einzugehen. Sie würde nicht Severus um Hilfe bitten, aber den Direktor.
„Hermine, was kann ich für Sie tun?“, fragte Albus heiter, nachdem er ihr seine Bürotür geöffnet hatte. Sein üppiger, farbenfroher Umhang war mit beweglichen Motiven dekoriert: zerplatzende Feuerwerkskörper. Heute war Silvester, dachte Hermine überrascht, denn wie schon Weihnachten wollte sich auch Neujahr ungesehen an ihr vorbeischleichen.
„Ich habe ein schwarzmagisches Buch, das ich gern lesen würde, aber ich weiß nicht, wie ich mich davor schützen muss, wenn ich überhaupt Vorkehrungen treffen muss. Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht einen Hinweis geben, Albus.“
„Ah, setzen Sie sich doch bitte. Einen Tee?“
Hermine verneinte wortlos und legte besagtes Buch auf den Tisch, während sie Albus’ Miene ganz genau beobachtete. Er schien es zu kennen, denn für einen Moment blickte er reumütig auf den Titel, bevor er leise seufzte.
„Ich habe es einmal jemandem empfohlen“, sagte er beschämt. „Es hatte dieser Person das Leben gerettet, aber ich wünschte, es hätte einen anderen Weg gegeben.“
Hermine brauchte gar nicht zu fragen, von welcher Person Albus sprach. „Dann können Sie mir sagen, wie ich es öffnen kann?“
„Das Buch selbst kann geöffnet werden, ohne dass man etwas Schlimmes befürchten muss, denn es sind die Dinge, die darin behandelt werden, die auf den gesunden Geist einwirken können. Lesen Sie es mit innerem Abstand, Hermine, denn es werden Geheimnisse angeschnitten, die verborgen bleiben sollten, Mysterien, die nicht erklärt werden können, egal was der Text einem als Tatsache vorgaukelt.“
„Warum ist es so ein schlechtes Buch?“, wollte sie wissen.
„Ein Buch allein kann nicht schlecht sein. Es nur zu lesen verdirbt einen nicht, aber sollte man auch nur mit dem Gedanken spielen, eine der beschriebenen Handlungen in die Tat umsetzen zu wollen, dann könnte man sich sehr schnell als verloren bezeichnen.“
Forsch fragte sie: „Aber nicht für immer verloren oder?“
„Ich hätte vor einiger Zeit noch rigoros bejaht, Hermine.“ Er schenkte sich selbst einen Tee ein und sagte, während er die Zuckerwürfel in die Tasse fallen ließ: „Doch wenn etwas einem völlig unbekannt ist, dann wird man sich schnell darüber bewusst, dass man die Antwort gar nicht kennen kann und da man sie nicht kennt, kommt die Hoffnung ins Spiel; davon sollte man immer reichlich in seinem Herzen haben.“ Er warf ihr ein freundliches Lächeln hinüber, welches sie ansteckte.
„Danke, Albus.“
Sie erhob sich bereits, doch er hielt sie mit einer Geste seiner Hand vom Gehen ab.
„Sagen Sie, Hermine, wie sind Sie in den Raum gelangt, der dieses Buch so viele Jahrhunderte vor neugierigen Blicken geschützt hatte?“
Sie blinzelte ein paar Mal, bevor sie sagte: „Ich habe es im Grimmauldplatz gefunden. Harry hatte mir erlaubt, ein paar Bücher aus der schwarzen Sammlung der Blacks auszuleihen.“
„Ah“, machte Albus erleichtert. „Und ich dachte schon, Sie hätten einen Weg gefunden, den versteckten Raum in der Bibliothek zu betreten.“
Sie schnaufte. „Ich wusste bisher nicht einmal, dass es dort außer der Verbotenen Abteilung noch einen weiteren Raum gibt.“
„Das muss auch niemand wissen. Es hätte mich sehr überrascht, wenn Sie diesen Raum nicht nur gefunden hätten, sondern auch in der Lage gewesen wären, den Eingang zu öffnen.“
Sie lachte auf. „Ich schaffe es ja nicht einmal, die Tür auf dem Dachboden zu öffnen, Albus“, konterte Hermine amüsiert und daher ein wenig unüberlegt, bevor sie sich erneut auf die Couch setzte und sich doch eine Tasse Tee einschenken ließ.
„Ja ja, der Dachboden“, sagte Albus murmelnd, als würde er in Erinnerungen schwelgen. Während er ihr einen Teller mit kleinen Kuchen reichte, warf er ein: „Auch der gute Harry war einst vom Dachboden sehr angetan.“
Hermines kleine, graue Zellen klatschten in die Hände, als ihr ohne Umschweife nur eine einzige Begebenheit einfiel, in welcher Harry vom Dachboden so fasziniert gewesen war.
Mit großen Augen fragte sie, obwohl sie sich der Antwort sicher war: „Nerhegeb?“
„Ja, mein alter Spiegel verweilt sicher auf dem Dachboden. Ich möchte nicht riskieren, dass eines der Kinder ihn findet und womöglich seine im Krieg verlorenen Eltern zu sehen bekommt. Solche Wunden müssen heilen und nicht mit unerfüllbaren Sehnsüchten aufgerissen werden.“
„Es steht tatsächlich Nerhegeb auf dem Dachboden?“ Sie war völlig verblüfft und weigerte sich momentan, bestimmte Ereignisse aus der Vergangenheit mit dieser Information verknüpfen zu wollen.
„Möchten Sie einen Blick hineinwerfen, Hermine?“
Die Versuchung war groß, sehr groß. Unsicher biss sich Hermine auf die Unterlippe und ihr Blick schweifte von ihrer Teetasse zum kleinen Kuchentablett hinüber, bis sie aufblickte und Albus’ freundlichen, aber fragenden Gesichtsausdruck wahrnahm.
„Ich…“ Sie haderte mit sich selbst. Gern würde sie ihre Wünsche als magisch manifestiertes Bild sehen, doch die Angst war zu groß, etwas zu Gesicht zu bekommen, von dem sie wusste, dass es sich nicht erfüllen würde. „Nein, ich möchte nicht hineinsehen. Über meine Wünsche und Ziele bin ich mir im Klaren.“ Viel leiser murmelte sie: „Denke ich jedenfalls.“
„Sie überraschen mich und in gewisser Weise machen Sie mich stolz, Hermine!“ Weil sie sprachlos schien, erklärte Albus: „Sie sind die Erste, die dieses Angebot abgeschlagen hat. Niemand, nicht einmal ich selbst, konnte widerstehen, zumindest ein einziges Mal hineinzublicken.“
„Was haben Sie gesehen?“, wollte sie wissen.
Albus schüttelte den Kopf, lächelte jedoch freundlich. „Das, Hermine, werde ich Ihnen nicht anvertrauen, aber seien Sie unbesorgt, denn nach all den Jahren ist dieser Wunsch tatsächlich Wirklichkeit geworden, auch wenn ich eine lange Zeit geglaubt hatte, diese Erfüllung wäre für mich unerreichbar.“
„Und Sie verspüren nicht den Drang, noch einmal hineinzusehen?“
„Nein, denn es gibt nur noch einen Wunsch, den ich habe und der wird sich hoffentlich sehr bald ebenfalls verwirklichen“, gab er zuversichtlich wider, doch ihr war nicht entgangen, dass er sie derweil eindringlich angesehen hatte.
Das Buch wieder verkleinernd und in ihre Hosentasche steckend machte sie sich auf den Rückweg in ihr Quartier, als sie im vierten Stock angelangt auf erhobene Stimmen aufmerksam wurde. Sie näherte sich der Tür der Bibliothek, aus der die Stimmen zu kommen schienen. Sie hörte Severus nur leise und bösartig zischen, doch die laute Stimme erkannte sie ebenfalls. Es war Sirius gewesen. Mutig öffnete sie die Tür und stutzte, als sie auch Remus bemerkte, der weniger mit Worten, sondern mit beruhigenden Gesten versuchte, seinen aufgebrachten Freund zu beschwichtigen. Sie lauschte dem, was Sirius zu sagen hatte.
„Du hast gestohlen, gib es zu!“, warf er Severus vor.
„Ich habe nicht mehr als das eine Buch, welches ich in meinen Händen hielt, aus dem Grimmauldplatz mitgenommen!“, verteidigte sich Severus und in genau diesem Moment überkam sie ein Schuldgefühl.
„Ähm“, machte sie, um die Aufmerksamkeit der drei Herren zu erlangen. Sie ging einige Schritte auf die Männer zu und beichtete verlegen: „Das zweite Buch habe ich mitgenommen, Sirius.“
„Siehst du“, sagte Remus erleichtert, während er einmal in die Hände klatschte, „es hat sich aufgeklärt.“
„DU, Hermine?“ Sirius schien völlig verwundert zu sein. „Warum nimmst du so ein Buch mit?“
„Um welches, wenn ich fragen darf, handelt es sich denn?“, wollte Severus wissen. Seine Gesichtsfarbe wurde noch bleicher als man sie gewohnt war, während er sie mit skeptischem Blick musterte.
Ausweichend erklärte sie: „Ich war mit dem Buch eben bei Albus.“
Sirius schüttelte ernüchtert den Kopf. „Warum will du so etwas lesen?“
„Es interessiert mich halt“, sollte als Antwort genügen, dachte sie.
„Du enttäuschst mich.“ Er hatte sehr ernst und vorwurfsvoll geklungen, doch Remus wollte Sirius umstimmen.
„Lass Hermine in Ruhe. Du hast doch gehört, dass sie damit bei Albus war. So schlimm kann es doch nicht sein.“ Einmal zu Severus hinüberblickend empfahl er Sirius: „Wie wäre es mit einer Entschuldigung?“
„Tut mir Leid, Hermine“, murmelte Sirius.
„Doch nicht bei Hermine!“
Sirius schaute seinen besten Freund an, blickte dann kurz zu Severus hinüber, bevor er an Remus gewandt abwiegeln wollte: „Komm schon: Wenn Severus und Hermine als Einzige einen Raum betreten und danach ein schwarzmagisches Buch fehlt, wen würdest du als Ersten verdächtigen?“
An Remus’ Gesichtsausdruck konnte man durchaus erkennen, dass er Sirius’ Gedankengänge nachvollziehen konnte, doch er nahm die Angelegenheit sehr gelassen, was das verschmitzte Lächeln untermalte. „Aber er war es nun mal nicht.“
Schnaufend blickte Sirius zu Boden. Ein paar Mal tief durchatmend hob er den Kopf und richtete das Wort an Severus. Übertrieben höflich mit meinem Hauch von Spott gab er seine Entschuldigung zum Besten, indem er sagte: „Es tut mir Leid, dass ich mit der für mich einzig logischen Erklärung falsch gelegen und dich zu Unrecht beschuldigt habe.“
„Es ist immer wieder sehr erheiternd miterleben zu dürfen“, begann Severus trocken, „wie selten ein Gryffindor seinen Verstand gebraucht.“
„Hey“, warf Remus lächelnd ein, „wir sind momentan in der Überzahl.“
„Eine Überzahl, die mir nicht gefährlich werden könnte. Wenn ich nun darum bitten darf, allein gelassen zu werden?“
Er wartete keine Antwort ab sondern entfernte sich von den dreien und widmete sich wieder den Regalen und ihren Büchern.
„Warum bist du eigentlich hier?“, fragte Remus. „Doch bestimmt nicht nur, um Severus wegen Diebstahls zu bezichtigen.“
Sirius verneinte. „Ich wollte erst dich und dann Harry und Ginny besuchen.“ Er warf Hermine einen Blick zu der ihr verriet, dass er ihrem Ratschlag, seine Freunde öfters aufzusuchen, nachkommen wollte. „Vielleicht könnten wir Silvester heute zusammen…“
Von dem nicht vollständig artikulierten Vorschlag sichtlich begeistert sagte Remus: „Ja, sicher! Ich werde Tonks Bescheid geben, dann können wir hier feiern. Albus hat sicherlich nichts dagegen.“ Er wandte sich an Hermine: „Wirst du auch zu Harry kommen oder hast du schon etwas anderes vor?“ Über seine Schulter schauend erhaschte er einen Blick auf Severus, der gerade ein Buch aus dem Regal zog.
„Ich habe bisher nichts vor. Ich wollte noch ein wenig lesen“, gestand Hermine. Im gleichen Moment wurde ihr bewusst, wie erbärmlich es sich anhören musste, dass sie für den Silvesterabend noch nicht einmal Pläne gemacht hatte.
„Bis wann willst du lesen? Bis zehn Minuten vor Mitternacht?“, stichelte Remus. „Du solltest mal entspannen!“
„Ich… Ich werde heute Abend in die große Halle kommen und danach mit zu Harry.“
Vorher wollte Hermine aber noch einen Blick in das Buch „Leib und Seele“ werfen, bei dessen Anblick weder Severus noch Albus unberührt geblieben waren.
In ihren Räumen legte sie sich Pergament, Tintenfass und Feder zurecht, falls sie sich etwas notieren wollte, bevor sie den schweren Deckel des sehr gebraucht aussehenden Buches öffnete. Als Erstes bemerkte sie eine Widmung in wunderschön geschwungener Schrift. Es war ein Geschenk für Phineas Nigellus Black von seiner Frau gewesen. Das Datum „1877“ konnte man noch gut erkennen.
Hermine vertrödelte keine Zeit damit, erst die Inhaltsangabe zu lesen; sie begann sofort mit dem ersten Kapitel. Das Lesen fiel ihr jedoch schwer, denn immer wieder erinnerte sie sich an das Gespräch mit Albus. Besonders die Information, dass der Spiegel Nerhegeb auf dem Dachboden zu finden wäre, bescherte ihr ein unbeschreibliches Gefühl; eine Mischung aus Unruhe und Herzklopfen. Sie wusste, dass Severus abends regelmäßig den Dachboden aufsuchte, aber jetzt ahnte sie auch, was ihn dazu bewegte. Die Buchstaben vor ihren Augen verschwammen, als sie sich ins Gedächtnis zurückrief, dass Severus sie genau dort gesehen haben will – auf dem Dachboden –, auch wenn er das später dementiert hatte. Ohne es zu bemerken begannen ihre Hände aufgeregt zu zittern. Sie konnte natürlich spekulieren und das Naheliegende einfach als Tatsache betrachten, doch sie war sich nicht sicher, ob sie für das Ergebnis dieser Kombination bereit war. Zumindest rückte es ihn in ein ganz anderes Licht, doch auch wenn sie im ersten Moment glaubte, nun mehr von ihm zu wissen, so machte es ihn gleichermaßen noch viel geheimnisumwitterter als zuvor.
Sie seufzte und verbann alle Gedanken, um sich auf den Text zu konzentrieren. Es stellte sich bald heraus, dass es sich um ein „medizinisches“ Buch handelte, in welchem irreführende Diagnosemaßnahmen und dubiose Behandlungsmethoden beschrieben wurden. So wie man damals in der Muggelwelt anfangs noch sehr grobschlächtig und voreilig die Lobotomie angewandt hatte, mit der man in der Hoffnung auf Heilung leichtsinnig Teile des Gehirns zerstörte, so hatten die Heiler der magischen Welt früher unter anderem bei Gemütserkrankungen überstürzt zu Methoden gegriffen, die zur Folge hatten, dass zwar nicht Teile des Körpers unwiderruflich beschädigt wurden, dafür aber Teile der Seele.
Ein eiskalter Schauer lief Hermine den Rücken hinunter.
Am Abend knisterte bei Harry und Ginny der Kamin, weswegen sie nachschaute, wer sich bei ihnen um diese Uhrzeit noch melden würde.
„Hallo Ginny“, sagte Draco mit einem ungewohnt ehrlich freundlichem Lächeln auf den Lippen. Bevor sie fragen konnte, ob er Harry sprechen wollte, nannte Draco bereits sein Anliegen. „Wir möchten euch morgen zum Mittag einladen, zu halb eins. Habt ihr Zeit? Natürlich könnt ihr Nicholas auch mitbringen.“
„Moment, ich frag mal Harry.“ Der hatte dem Gespräch seiner Verlobten längst gelauscht und nickte zustimmend, als sie sich zu ihm umwandte, so dass Ginny für morgen zusagen konnte. „Du weißt aber, dass morgen Silvester ist?“, erinnerte sie Draco.
„Natürlich weiß ich das. Ihr müsst auch nicht allzu lange bleiben, wenn ihr noch etwas anderes vorhabt. Ach, bevor ich es vergesse, würdet ihr bitte Hermine und Severus Bescheid geben? Die beiden sollen morgen bitte auch kommen.“ Ginny blinzelte erstaunt, nickte jedoch zustimmen und verabschiedete sich im Anschluss.
„Was war denn das?“, fragte Harry grinsend.
„Eine Einladung“, gab sie ihm neckend zur Antwort, obwohl er das durchaus hatte hören können, nur warum Draco die ausgesprochen hatte, das war ihm nicht klar. „Das mit Snape übernimmst du, Harry!“
„Ja, mach ich. Morgen halb eins?“ Sie nickte. „Ich sag am besten gleich Bescheid.“
In den Kerkern standen Hermine und Severus im Labor an einem Tisch über einem aufgeklappten Buch gebeugt, welches sie zeitgleich lasen.
„Wie wäre es, wenn ich das Buch zuerst lese und Sie danach?“, schlug er mit rauem Befehlston vor.
In den Text vertieft murmelte sie: „Warum? Wir haben doch die gleiche Lesegeschwindigkeit. Klappt doch hervorragend.“
„Aber ich möchte gern Platz nehmen!“
Sie blickte aufgrund seiner nörgelnden Worte auf und stimmte ihm gelassen zu: „Dann lassen Sie uns doch einfach Platz nehmen.“
„Ich habe noch nie in meinem Leben ein Buch mit einer anderen Person zur gleichen Zeit gelesen“, warf er ihr als ärgerlich klingende Tatsache vor, weil er dies jetzt tun musste und es offensichtlich nicht wollte.
Sie stutzte. „Dann haben Sie in der Schule nie ein Buch mit einem Mitschüler geteilt?“ Da seinerseits eine Antwort ausblieb, war es für sie Antwort genug. „Dachte ich’s mir“, fügte sie grinsend hinzu. „Wir können in Ihrem Wohnzimmer weiterlesen, wenn Sie nicht hier am Arbeitstisch sitzen möchten.“
„Meinetwegen“, erwiderte er knapp und resignierend, bevor er das Buch zuschlug.
Vor dem Gemälde von Salazar trafen beide auf Harry, den Severus hineinbat.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte Severus höflich.
„Nichts, ich wollte nur Bescheid geben, dass Draco uns morgen sehen möchte. Er hat uns zu halb eins eingeladen.“ Harry tätschelte den weißen Hund und bemerkte daher nicht den skeptischen Blick, den Severus ihm zuwarf.
„Warum?“, hörte Harry ihn kurz darauf fragen.
„Ähm, ich weiß nicht, das hat er nicht gesagt. Er hat Ginny und mich gebeten morgen zu kommen und ich sollte Ihnen und Hermine auch…“
„Es muss doch einen Grund geben“, unterbrach Severus.
Hermine vermutete laut: „Vielleicht wollen die beiden uns nur zum Essen einladen?“
„Das soll ein Grund sein?“, fragte Severus spöttisch. „Eine Einladung zur gemeinsamen Nahrungsaufnahme?“
Sie rollte genervt mit den Augen. „Man kann sich während eines Mittagsessens auch gut unterhalten!“
„Es klang so“, warf Harry erklärend ein, „als würde es nicht allzu lange dauern. Sie kommen doch, Severus?“
„Ich habe andere Dinge zu erledigen.“
Sie schnaufte, bevor sie ihm vor Augen hielt: „Zwei Stunden Ihrer Zeit können Sie wohl entbehren. Ich kann es jedenfalls und ich werde morgen hingehen.“
„Wir arbeiten zusammen an einem Projekt und…“
Sie unterbrach mit einer beschwichtigenden Geste ihrer Hände. „Severus, Sie haben erst letzte Woche gesagt, dass ich wie die anderen Schüler Ferien habe.“
Seine grantige Art verflog mit einem Male, denn sie hatte Recht. Sie hatten zwar zusammen gearbeitet, doch das war in ihrer Freizeit gewesen.
„Sie sollten sich auch mal eine Auszeit nehmen. Lassen Sie sich bewirten und unterhalten“, schlug sie ihm vor. Er verzog angewidert das Gesicht, so dass sie ihn ein wenig aus der Reserve zu locken versuchte, denn sie fügte leise hinzu: „Ich bin mir sicher, es würde sich für Sie sogar die Gelegenheit ergeben, mit Dracos Einverständnis mal einen Blick auf die malfoysche Sammlung schwarzer Objekte zu werfen.“ Eine seiner Augenbraue wanderte nach oben, ein Mundwinkel folgte zögerlich. Nachdem das geklärt war verabschiedete sich Harry wieder, so dass Severus und Hermine sich aufs Neue dem Buch widmen konnten.
Die halbbiografische Abhandlung des Parselmundes, der vor über 600 Jahren gelebt haben soll, war höchst interessant. Severus und Hermine saßen nebeneinander auf seiner Couch – das Buch lag halb auf ihrem, halb auf seinem Oberschenkel – als er nach dem fünften Kapitel leise fragte: „Denken Sie das Gleiche wie ich?“
Sie hatte dieselbe Textstelle erreicht und antwortete: „Ich denke schon. Unser Mr. Callidita hier war ein kluger Mann und ist durch Zufall auf etwas sehr Interessantes gestoßen.“
„Und dieser Zufall ist sehr wahrscheinlich der einzige Grund, warum dieses Buch Jahrhunderte später in dem ’Verzeichnis für verbotene Schriften’ beim Ministerium aufgeführt wird.“
„Das ist wirklich schade“, sagte Hermine. „Callidita hat sehr hilfreiche Heilmethoden mit Schlangengift entwickelt und das Basiliskengift hat offenbar noch wesentlich besser gewirkt. Rheuma, Asthma, Nervenerkrankungen“, las sie vor, „und wie es aussieht, hat er ein starkes Betäubungsmittel hergestellt.“
„Welches“, vervollständigte Severus, „bei zu hoher Dosierung einen nicht kontrollierbaren, komaähnlichen Tiefschlaf herbeiführt; viel tiefer als der Topor, bei dem der Patient zumindest noch Abwehrreaktionen zeigt. Es ist kein Wunder, dass man diese eine Entdeckung von Mr. Callidita verteufelt, denn der Patient wirkt wie tot und ist den Menschen um sich herum hilflos ausgeliefert.“
„Bellatrix muss ’Schlafes Bruder’ mit Hilfe der Beschreibungen dieses Buches verändert haben. Wir müssen anhand der Untersuchungsergebnisse von Pansys Blut berechnen, wie viel Gift dem Trank beigemischt worden sein könnte. Ich frage mich nur, wie wir ein Gegenmittel herstellen sollen.“
„Wenn wir die richtige Mischung des Trankes ausmachen konnten, dann wird ein Gegengift – zumindest in der Theorie – leichter zu finden sein.“
Sie lasen gemeinsam bis spät in die Nacht hinein und hatten am Ende das gesamte Buch geschafft, denn sehr dick war die Biografie nicht gewesen. Möglicherweise, so dachte Hermine, war das Buch nicht sehr umfangreich, weil Callidita nicht sehr alt geworden war. Er wäre mit nur 34 Jahren verschwunden und später für tot erklärt worden. Die Vermutung hatte sich gefestigt, dass Callidita seinem eigenen Basilisk zum Opfer gefallen sein musste.
Am nächsten Morgen hatte sich Hermine dezent, aber elegant gekleidet, denn sie hatte nicht einmal eine Ahnung, welchen Anlass Dracos Einladung haben würde. Überpünktlich trat sie aus dem Kamin der Bibliothek in Malfoy Manor, wo sie Severus in die Arme stolperte, der wenige Sekunden vor ihr hergefloht war. Er half ihr, das Gleichgewicht wiederzufinden.
„Die Zeitplanung ist bei euch beiden identisch, wie ich sehe“, murmelte Draco schmunzelnd, denn beide waren fast genau fünf Minuten vor halb eins eingetroffen. „Herzlich willkommen.“
„Darf ich nach dem Grund fragen? Warum sind wir eingeladen worden?“, fragte Severus fordernd.
Einmal die Schultern hebend und senkend erwiderte Draco als Frage formuliert: „Zum Mittagessen?“ Er lächelte einseitig, was ihn für einen Augenblick wie sein Vater aussehen ließ, doch die Augen des jungen Malfoy spiegelten nichts von Boshaftigkeit oder Arroganz wider.
Pünktlich traten auch Harry und Ginny aus dem Kamin. Das dösende Baby im Arm haltend erklärte Harry: „Die Apparationen hatte er bisher ja immer gut überstanden, aber ich hätte nicht gedacht, dass er bei seiner ersten Reise durchs Flohnetzwerk einfach einschläft.“
Ginny schaute sich Nicholas an. „Er hat eben die Flasche bekommen. Natürlich ist er danach müde.“
Draco folgend nahmen alle die Treppe ins Erdgeschoss und als sie an der Küche vorbeikamen, schlug ihnen ein kräftig würziger Duft entgegen, der einem das Wasser im Munde zusammenlaufen lief. Von ihrem Gastgeber wurden sie in den grünen Salon geführt. Die Tafel war bereits angerichtet und Narzissa erledigte noch den letzten Schliff, indem sie eine Stoffserviette durch einen silbernen Ring zog und auf einen der sechs Teller legte.
Aufmerksam betrachtete Hermine den großen Raum, in welchem vor kurzem die Hochzeit von Susan und Draco stattgefunden hatte. Der Wintergarten war wieder durch Fensterscheiben vom Raum abgetrennt, was sicherlich Wobbel zu verdanken war. Nun wirkte der grüne Salon nicht mehr ganz so unübersichtlich groß. Hier und da stellten prächtige, hoch gewachsene Pflanzen in riesigen Tontöpfen einen wahren Blickfang dar; die Atmosphäre war sehr gemütlich. Zwei Dinge fielen Hermine jedoch auf und zwar die nur sechs Gedecke, wo sie doch sieben sein würden und…
„Wo ist Susan?“, wollte sie wissen.
Ein seliges Lächeln legte sich auf Dracos Gesicht, bevor er sagte: „Sie wird nicht mit uns speisen, aber wir können sie nach dem Essen kurz aufsuchen.“ Severus machte ein Gesicht, als würde ihm ein Kürbistörtchen quer im Hals liegen, so dass Draco versicherte: „Nur wer möchte, versteht sich.“
Das gemeinsame Essen – Narzissa hatte gekocht und die Gäste bewirtet – verlief sehr angenehm und locker. Selbst Severus fand Gefallen an einigen Gesprächsthemen und er konnte sich sogar mit Ginny, die er natürlich weiterhin Miss Weasley nannte, bestens über Zaubertränke unterhalten, denn sie sprachen überwiegend über ihren großen Bruder Charlie und seiner Arbeit mit den Drachen.
Nach dem Dessert, einem Mousse au Chocolat, von dem Hermine aufgrund ihres Lobes ein zweites Schälchen von Narzissa erhalten hatte, folgten Hermine, Ginny und Harry ihrem Gastgeber in den ersten Stock, während Severus unten bei Narzissa blieb, um über die schwarzmagische Sammlung ihres Gatten zu diskutieren.
„Einen Moment bitte“, sagte Draco, bevor er hinter einer Tür verschwand. Es dauerte nicht sehr lange, da kam er mit einem Bündel im Arm zurück, während er über das ganze Gesicht strahlte.
„Susan schläft. Sie ist noch sehr mitgenommen von gestern“, sagte Draco leise, während er die Gesichter seiner drei Gäste auf sich wirken ließ, denn jeder hatte die Augen weit aufgerissen. Das überraschte Lächeln, als sie auf das in Decken eingewickelte Baby einen Blick zu erhaschen versuchten, machte ihn schon ganz stolz. Vorsichtig legte er das Gesicht des schlafenden Babys frei, so dass Harry, Ginny und Hermine zeitgleich wonnig seufzten.
„Mein Patenkind“, schwärmte Harry leise. Seine Augen strahlten eine Wärme aus, die Draco glatt die Sprache verschlug.
„Ein Junge oder ein Mädchen?“, wollte Ginny wissen.
Erst jetzt hatte Draco seine Stimme wiedergefunden. „Ein Junge, 3.310 Gramm, 48 Zentimeter“, antwortete der stolze Vater.
„Gott, hatte Susan es gut, Nicholas war ein Kilo schwerer gewesen!“ Besagtes Baby nahm sie Harry aus dem Arm, damit der sein Patenkind begrüßen konnte.
Neugierig fragte Hermine: „Ist denn der Blutzauber schon gesprochen worden?“
„Aber selbstverständlich! Allerdings…“ Draco hielt inne, weil er Harry den kleinen Jungen reichte, der ihn behutsam an sich nahm. „Allerdings zählt ihr laut Blutschutz alle zu meiner Familie. Harry als Patenonkel, Ginny als seine Verlobte, Severus als mein Patenonkel und du“, er blickte Hermine in die Augen, „als meine Trauzeugin. Alles völlig legal.“
„Das mit dem Paten und seiner Familie verstehe ich ja noch“, sagte Harry, „aber dass man als Trauzeuge auch gleich vom Blutzauber als Familienmitglied gezählt wird…?“
„Warum sollte das nicht so sein?“, fragte Draco entgeistert, denn es war ihm ein Rätsel, warum Harry so eine Frage stellte. „Hannah und Hermine sind mit ihrer Unterschrift auf der Heiratsurkunde mitunter unsere engsten Vertrauten wie auch du.“
„Ich bin da nicht so richtig informiert“, gab Harry kleinlaut zu. „Ich weiß nur, dass ich mich um das Kind kümmern werde, sollte euch – Merlin bewahre – irgendwas zustoßen.“
Nickend bestätigte Draco: „Wenn wir das Zeitliche segnen sollten, Harry, dann schlüpfst du in meine Rolle und zwar ohne Einschränkungen. Das heißt, du wirst auch das Erbe für ihn verwalten, bis er volljährig ist.“ Mit zusammengekniffenen Augen fragte Draco skeptisch nach: „Du hast wirklich keine Ahnung, auf was du dich mit der Patenschaft eingelassen hast?“
„Doch, doch“, wollte Harry ihm weismachen. Hermine warf ihm einen beruhigenden Blick zu, der ihm versicherte, dass sie es ihm später haarklein erklären würde.
Das kleine Baby in seiner Armbeuge betrachtend fragte Harry: „Wie heißt er?“
Harry rechnete fest mit einem außergewöhnlichen Namen, denn die Namen von Vater und Großvater waren nicht gerade alltäglich und ein Malfoy würde mit dem Namen seines Kindes sicherlich diese Tradition wahren wollen. Umso mehr erstaunte es ihn, als Draco antwortete: „Charles.“
„Charles?“, wiederholte Harry staunend.
„Das ist sein Rufname. Der vollständige Vorname lautet Charles Erasmus“, informierte Draco.
Ginnys Augen begannen zu leuchten. „Erasmus hieß mein Großvater! Ich hatte auch erst überlegt, ob ich Nicholas so benennen soll.“
Still lächelte Hermine in sich hinein, denn sie kannte die Bedeutung des zweiten Vornamens.
„Wollen wir wieder runtergehen?“, fragte Draco. „Ich würde gern, dass Severus ihn auch mal sieht.“ Harry wollte Charles bereits an den Vater zurückgeben, da erlaubte ihm Draco: „Nein, trag ihn ruhig. Ich werde noch oft genug dazu kommen.“
Im grünen Salon unterhielten sich Narzissa und Severus gerade ungestört über einige der schwarzmagischen Objekte, auf die Severus schon vor zwei Jahrzehnten ein Auge geworfen hatte.
„Gibt es noch den ’Zankapfel’? Hat Lucius ihn noch in seinem Besitz?“, fragte Severus sehr interessiert.
„Ja, den gibt es noch, aber ich finde ihn besonders abscheulich“, erwiderte sie mit gerümpfter Nase.
„Wenn es dir so viel Kummer bereitet, ihn in deinem Besitz zu wissen, dann…“
„Nein, den kann ich dir nicht aushändigen, Severus. Der richtet nur Chaos an!“
„Aber nicht für den Besitzer. Ich bin ja nur an dem Zauber interessiert, der auf dem Objekt liegt“, versicherte er ihr mit ruhiger Stimme.
„Ich weiß nicht, da fragst du besser Draco. Alles hier gehört laut Ministerium ihm, weil ich es damals in meinem beeinträchtigtem Zustand für richtig gehalten hatte, meinen Sohn über alles verfügen zu lassen.“
„Was ist mit dem ’Pfeil und Bogen des…’?“
Die Tür öffnete sich, weswegen Severus seine Frage für sich behielt. Seine Augenbrauen wanderten unmerklich in die Höhe, als er die vier jungen Leute sah, die nun zwei Bündel mit sich herumtrugen. Severus blickte Narzissa an, die ihm ein warmherziges Lächeln schenkte.
„Du bist nun Großmutter?“, fragte Severus leise. Es schien, als würde er sich für sie freuen, denn es hatten sich kleine Fältchen um seine Augen gelegt, die anstelle seines Mundes zu lachen schienen. Narzissa nickte, während sie ihren seligen Gesichtsausdruck nicht verlor.
„Severus?“, hörte er seinen Patensohn gutgelaunt sagen. „Darf ich dir das neuste Mitglied der Familie Malfoy vorstellen?“
Severus erhob sich und schaute zwischen den beiden Bündeln hin und her, verweilte dann mit seinen Augen auf dem kleineren in Harrys Armen und näherte sich seinem Kollegen. Die Decke behutsam umschlagend legte Draco das Gesicht des kleinen Jungen frei, der noch immer schlummerte.
„Ein Junge oder…?“
Draco bestätigte: „Ja, ein Junge. Charles Erasmus.“
„Erasmus? Vor zwei, drei Generationen war das ein sehr verbreiteter und beliebter Name“, warf Severus als Tatsache in den Raum hinein, während er das Kind betrachtete und seine Miene derweil keine Gefühle preisgab; nicht einmal mehr seine Augen. Nach einem kurzen Moment machte Severus die weniger charmante Feststellung: „Er ist runzelig.“
Hermine rollte mit den Augen. „Das ist völlig normal, das geht in ein paar Tagen weg.“
Da Severus so dicht bei ihm stand, fragte Harry, während er das Bündel an die Brust seines Kollegen drückte: „Wollen Sie ihn mal nehmen?“
„Nein…“, antwortete sein Kollege erschrocken, doch es war zu spät, denn Harry hatte ihn längst überrumpelt; Severus’ Arme hielten den Jungen bereits.
Er konnte es nicht verhindern, an den Moment zu denken, in welchem Lucius ihm damals stolz den eigenen Spross in den Arm gelegt hatte. Severus betrachtete das Kind, dessen Augen hinter den geschlossenen Lidern zaghaft hin und her rollten. Die Haut mochte runzelig sein, aber er war sich sicher, dass sie samtig weich sein würde, sollte er es wagen, das Gesicht des Babys zu berühren, wovon er sich selbst abhielt. Severus konnte sich kaum vorstellen, dass man mit diesem Kind in einigen Jahren bereits kommunizieren können würde; dass dieses Kind in elf Jahren sehr wahrscheinlich einen Brief aus Hogwarts erhalten würde. In dem Augenblick, als diese Gedanken seinen Geist fluteten, da erinnerte er sich daran, damals das Gleiche gedacht zu haben, als er Draco das erste Mal gehalten hatte. Severus schaute unbemerkt auf und erhaschte einen Blick auf den jungen Mann, dessen leichte, zerbrechlich wirkende Gestalt er vor über zwanzig Jahren in seinen Armen gehalten hatte – und der so frech gewesen war, ihm mit den kleinen Händen an die Nase zu langen. Wieder zu Dracos Kind schauend dachte Severus, wie unglaublich es schien, dass ein schlafender Säugling so viel Ruhe und Frieden ausstrahlen konnte.
Erträglicher wäre es momentan für Severus, wenn nur Draco und er im Raum wären, doch vor allen anderen das Kind zu halten war ihm unangenehm. Den unbehaglichen Augenblick überspielend sagte Severus, nachdem er den hellroten Flaum auf dem Kopf des Babys erblickt hatte: „Es wird wohl erstmalig mit den Traditionen gebrochen, denn soweit ich unterrichtet bin, waren alle Mitglieder der Familie Malfoy – väterlicherseits – durchweg blond.“
„Kommt drauf an, was die Eltern so an Genen mitbringen“, warf Hermine heiter ein. „Aber bei dem Kleinen sieht man ja schon, dass Susans Veranlagung für rote Haare kräftig mitgemischt hat.“
Sie lächelte, als sie Charles betrachtete, woraufhin Severus mit einem hoffnungsvollen Unterton in der Stimme fragte: „Hatten Sie ihn schon einmal gehalten?“ Sie schüttelte den Kopf, so dass er ihr das Bündel entgegenhielt und erleichtert ausamtete, nachdem sie das Baby an sich genommen hatte.
Sich seinen Patensohn am Oberarm greifend führte er ihn unauffällige wenige Meter von den anderen weg, bevor er vorwurfsvoll sagte: „Du hättest mich auch einfach über den Nachwuchs unterrichten können.“
Schnaufend konterte Draco: „Damit du uns gar nicht mehr besuchst?“ Mit nachsichtiger Stimme fügte Draco sofort hinzu, um seine Anschuldigung schnell wieder zu entkräften: „So schlimm war es nicht, ihn einmal zu halten oder?“ Severus schien kurz überlegen zu müssen, schüttelte jedoch kurz den Kopf. „Denk dran, Severus, dass ich dich gern zum Patenonkel gemacht hätte.“
„Mit Harry bist du in dieser Angelegenheit wesentlich besser bedient“, lautete Severus’ ernst gemeinte Stellungnahme. „Ich bin für so etwas zu alt.“
Jetzt platzte Draco der Kragen, doch er behielt seine Stimme unter Kontrolle. „Meine Güte, du wirst erst 44! Von wegen zu alt… Aber du hast Recht damit, wenn du meinst, dass Harry bestens für diese Aufgabe bestimmt ist.“ Draco blickte zu Harry hinüber, der das Baby in Hermines Armen federleicht am Kopf streichelte und derweil etwas zu Ginny sagte. „Ich bin in gewisser Weise froh, dass er zugesagt hat, auch wenn ich es mit einem weinenden Auge betrachte, dass du dich so einer Aufgabe nicht mehr gewappnet gefühlt hast.“
„Du willst es nicht verstehen oder?“, fragte Severus missgelaunt, aber auch abgekämpft klingend.
„Ich würde es gern verstehen“, erwiderte Draco ehrlich, doch wie er es geahnt hatte, äußerte sich Severus nicht dazu.
„Übermittel doch bitte deiner Gattin meine Glückwünsche. Und ich möchte mich für das vorzügliche Mittagessen bedanken. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest?“
Severus verließ unbeachtet von den anderen den grünen Salon und Draco wusste, dass sein Patenonkel den Kamin im ersten Stock nehmen würde, um sich klammheimlich davonzustehlen. Von der Tür, die Severus eben von außen geschlossen hatte, blickte Draco hinüber zu seinen verbliebenen Gästen. Hermine und Harry standen noch immer zusammen und bestaunten den Jungen, während seine Mutter sich in Ginnys Nähe aufhielt und deren Sohn betrachtete, sich derweil mit der Rothaarigen gelassen unterhielt. Plötzlich begann eines der Kinder zu schreien und es war nicht Nicholas.
„Oh“, machte Ginny mitfühlend, als sie sich Hermine näherte. Dem Geschrei von Charles Worte verleihen wollend versuchte sie sinngemäß zu interpretieren: „So viele Menschen auf einmal. Lasst mich doch alle in Ruhe, ich möchte zu meiner Mama.“
Lächelnd nahm Draco seinen Sohn von Hermine entgegen und bestätigte: „Ich bin davon überzeugt, dass er genau das denkt. Ich bin gleich wieder da.“
Auf seinem Weg in die Bibliothek im vierten Stock, denn Severus wollte nachschauen, ob er etwas über Mr. Callidita herausfinden könnte, hielt er beim Anblick von Remus inne, der verträumt aus dem Fenster im Flur auf die verschneite Landschaft schaute. Severus erkannte an der Körperhaltung seines alten Mitschülers, dass etwas schwer auf ihm zu lasten schien, was ihm völlig egal sein könnte, doch er entschloss sich dazu, mit seinen Bösartigkeiten zurückzuhalten. Er nahm seinen Weg erneut auf und machte keinen Hehl aus seiner Präsenz. Remus wandte seinen Kopf, als er näher kommende Schritte hörte und Severus bemerkte, wie sich ein gekünsteltes Lächeln auf das Gesicht des Werwolfs zauberte, womit er gute Laune vortäuschen wollte.
„Hallo Severus.“
„Lupin.“ Ein Kopfnicken folgte. „Haben Sie in Ihrem Zimmer keine eigenen Fenster?“ Severus war davon überzeugt, dass diese Spitze nicht als Bösartigkeit gesehen werden würde.
„Habe ich, aber der Ausblick ist langweilig geworden“, scherzte Remus zurück. „Hermine ist nicht in ihrem Zimmer, falls du sie suchen solltest.“
Es war eindeutig gewesen, dass Remus sie hatte aufsuchen wollen, weswegen Severus erklärte: „Sie ist noch bei Mr. Malfoy, um sein Kind zu bestaunen.“
„Sein Kind?“ Remus machte sich nicht erst die Mühe, seine Überraschung zu vertuschen, denn die stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Ein wenig früh oder?“
„Ich glaube, zweieinhalb Wochen zu früh, aber es ist alles bestens.“
Severus wollte bereits seinen Weg fortführen, da fragte Remus: „Wohin gehst du?“ Gerade wollte Severus ihm an den Kopf werfen, dass ihn das nicht anzugehen hätte, da sagte Remus ihm zuvorkommend: „Ich weiß, dass mich das nicht zu interessieren hat.“ Den Gang hinunterblickend schien ihm ein Gedanke zu kommen, weswegen er fragte: „Gehst du in die Bibliothek?“
„Ganz recht, wenn Sie mich also entschuldigen…“
„Ich komme mit! Ich war ewig nicht mehr dort.“ Als Schüler hatte Remus viele schöne Stunden dort verbracht, etliche davon mit Linda und die meisten – auch wenn beide immer weit voneinander entfernt gesessen hatten – mit Severus.
Da Severus ihm nicht folgte, blieb Remus stehen, um sich umzudrehen. Braune Augen blickten ihn skeptisch an, so dass Remus höflichkeitshalber fragte: „Ich störe doch nicht?“
„Wenn Sie zwanzig Meter Abstand halten“, er hob und senkte die Schultern, „dann nicht.“
Zusammen zur Bibliothek gehend hielt Remus ein wenig Smalltalk. „Nach was suchst du?“
Er hatte nicht mit einer Antwort gerechnet, weswegen er umso erstaunter war, als Severus nach einigem Zögern preisgab: „Nach Büchern von oder über einen Mann namens Corvinus Callidita.“
„Oh“, machte Remus begeistert. „Der war hier mal Schüler!“ Abrupt blieb Severus stehen, während Remus noch zwei Schritte ging, bevor er die dunkelgekleidete Präsenz neben sich vermisste und sich umdrehte. „Was, das wusstest du nicht?“
„Nein“, gab Severus zu. „Ich kann wohl kaum über jede Person informiert sein, die seit der Gründung Hogwarts vor über 1000 Jahren bis heute hier als Schüler in Erscheinung getreten ist.“
„Das wäre auch zuviel verlangt“, pflichtete Remus bei. „Ich weiß das auch nur von Poppy.“ Severus setzte sich wieder in Bewegung und forderte derweil Remus mit einem einzigen Blick auf weiterzureden. „Als ich damals dein Kollege hier war“, er spielte auf Harrys drittes Schuljahr an, „da waren die Erinnerungen an die versteinerten Schüler bei allen noch ganz frisch. Ich hatte mich erst mit Pomona darüber unterhalten. Diese Vorfälle hatten mich interessiert, es kommt ja nicht alle Tage vor. Später hat Poppy mir noch einiges erzählen können. Sie hatte von dem Basilisk in der Kammer des Schreckens gesprochen.“ Remus lächelte. „Deswegen war ich auch so wild drauf, das Tierchen mal mit eigenen Augen zu sehen.“ Severus schnaufte, hörte jedoch weiterhin zu. „Sie erwähnte, dass einer ihrer Vorgänger angeblich selbst mal einen Basilisk gezüchtet haben sollte, aber sie wusste nicht, ob das nur eine Legende wäre oder der Wahrheit entsprach.“
Severus stutzte. „Einer ihrer Vorgänger?“
„Ja, Callidita war für einige Zeit der Heiler in Hogwarts, aber nicht sehr lange.“
„Dann wird es Schulunterlagen von ihm geben“, vermutete Severus murmelnd.
„Es gibt auch ein Gemälde von ihm“, warf Remus ein, weswegen Severus ihn erstaunt anblickte. „Hängt in Poppys Büro. Er spricht aber nicht, hat er nie.“
„Ist es kein bewegliches…“
„Doch, ist es, aber er spricht nicht. Frag mich nicht, warum.“
Die Bibliothek hatten sie erreicht. Severus öffnete die Flügeltür und ließ Remus als Ersten hinein.
Völlig unerwartet fragte der Werwolf: „Wie heißt Dracos Kind?“
„Charles Erasmus.“
„Erasmus“, wiederholte Remus schätzend. „Ich glaube, Arthur hatte einmal erwähnt, dass sein Vater…“
Severus vollendete den Satz: „…ebenfalls so hieß, ja ich weiß.“
„’Erasmus’ bedeutet ’der Liebenswerte’, wusstest du das?“, fragte Remus, während er bereits die Bücher eines Regals überflog.
„Nein, aber dank Ihnen bin ich jetzt im Bilde“, erwiderte Severus gleichgültig, bevor er schnurstracks in die Verbotene Abteilung marschierte. Remus folgte ihm unaufgefordert.
„Der Name ’Remus’ bedeutet…“
Unterbrechend wies Severus ihn zurecht, denn er sagte: „Es bedeutet ’Ruder’, das weiß ich. Ich bin nicht völlig unerfahren, was die lateinische Sprache betrifft, aber Vornamen und ihre Bedeutungen interessieren mich nicht im Geringsten!“
„Ha, du machst deinem Namen alle Ehre“, stichelte Remus belustigt, woraufhin er sich einen bösen Blick einfing, doch den schmetterte er mit einem breiten Lächeln ab.
Während beide durch die dunklen Gänge der Verbotenen Abteilung schlenderten und die Buchtitel überflogen, da fragte Severus nebensächlich: „Warum sind Sie eigentlich noch in Hogwarts? Soweit ich darüber unterrichtet bin, ist Hogsmeade wieder zugänglich.“
„Ich, ähm…“ Remus war offensichtlich verlegen, antwortete jedoch ehrlich: „Ich bin nicht mehr bei Rosmerta beschäftigt.“ Severus schaute ihn mit gefühlskalter Miene an. „Ich werde nachher mit Albus reden und darum bitten, noch einige Tage hier bleiben zu dürfen, bis ich eine neue Bleibe…“ Die Stimme versagte und Remus hielt den Mund, widmete sich gleich wieder den Büchern, doch man konnte ihm ansehen, dass er nur halb bei der Sache war.
„Ich bin mir sicher“, begann Severus arrogant klingend, „dass sich für Sie ein Platz in der Küche finden würde.“
Im ersten Moment fühlte sich Remus gekränkt, doch im nächsten Augenblick erinnerte er sich daran, wie Severus eine ähnliche Bemerkung gemacht hatte, mit der er versteckt seine Kochkünste gelobt hatte. „Sie sollten in Hogwarts anfangen, Lupin. Ich bin sicher, die Hauselfen könnten noch viel von Ihnen lernen“, hatte Severus damals in den Drei Besen gesagt, nachdem er ihn und Hermine mit seiner Forelle hatte begeistern können.
„Ich denke, es würde vielen Eltern missfallen, einen Werwolf dauerhaft in Hogwarts zu wissen“, sagte Remus kleinlaut, ohne Severus anzublicken. „Das war schon einmal so gewesen.“
Ein seltsames Gefühl machte sich in Severus breit und er wagte es nicht, es als Schuld zu deuten, denn er war es gewesen, der damals „versehentlich“ vor seinen Slytherins hatte verlauten lassen, dass Professor Lupin an Lykanthropie leiden würde.
„Die Zeiten ändern sich. Sehen Sie mich an“, Remus blickte tatsächlich zu Severus hinüber, „ich bin ein Todesser und arbeite hier, ohne dass bisher auch nur ein einziger Brief von aufgebrachten Eltern eingetroffen ist.“
„Du hast einen Merlin erster Klasse erhalten!“ Für Remus war das Grund genug, die Vergangenheit als Todesser vergessen zu können, doch für Severus reichte das offenbar nicht aus.
„Und dieser Orden soll all das, was ich jemals getan habe, einfach ausradiert haben? Ich bin noch immer der gleiche Mann wie vor Kriegsende!“
„Es gibt Leute“, begann Remus mit weicher Stimme, „die das Gegenteil behaupten.“
„Die da wären?“, wollte Severus wissen.
Die Lippen schürzend hob Remus die Schultern und er senkte sie erst wieder, als er aufzählte: „Harry und Hermine, Draco… Albus hat damals immer schon mehr von dir gehalten als alle anderen.“ Einen Moment später fügte Remus mutig hinzu: „Ich denke übrigens auch, dass du dich verändert hast.“ Um seine Behauptung zu untermauern gab er als Beispiel: „Wir können miteinander reden, ohne uns gleich gegenseitig an die Kehle…“
„Mit Ihrem Gefasel machen Sie es mir sehr schwer, diesem durchaus noch vorhandenen Drang nicht nachzugeben, Lupin!“
Abrupt das Thema wechselnd erinnerte Severus mit schroffem Ton daran: „Am 7. Januar ist Vollmond. Ich erwarte Sie kommenden Montag für den ersten Trank.“
„Als ob ich das vergessen würde“, murmelte Remus amüsiert.
Während Severus und Remus zusammen in der Verbotenen Abteilung nach Büchern Ausschau hielten, die von Corvinus Callidita verfasst worden waren oder von ihm handelten, betraten Harry, Ginny und Hermine ihr Wohnzimmer in Hogwarts.
„Willst du noch etwas bleiben, Hermine?“, fragte Harry.
„Nein danke, ich möchte ein wenig lesen“, erwiderte sie, denn sie hatte gestern, während sie mit Severus die Biografie bis in die Nacht hinein verschlungen hatte, keine Zeit gehabt, jenes Buch aufzuschlagen, welches sie heimlich vom Grimmauldplatz mitgenommen hatte.
In ihrem eigenen Wohnzimmer angelangt fütterte sie zunächst Fellini, bevor sie in ihrem Schlafzimmerschrank nach dem Buch suchte, welches noch immer verkleinert in der Tasche der Hose verweilte, die sie gestern getragen hatte. Das Buch war in Null Komma nichts in seine ursprüngliche Größe zurückverwandelt und erst jetzt konnte sie erstmals den Titel lesen.
„Leib und Seele“, murmelte sie leise und sie hatte das überwältigende Gefühl, die Antwort auf all ihre Fragen in den Händen zu halten. Bevor sie es jedoch aufschlug, blätterte sie in dem Buch, das Severus ihr gegeben hatte, nachdem sie das erste Mal mit schwarzmagischen Büchern in Berührung gekommen war. Sie suchte in diesem Buch nach dem Titel „Leib und Seele“, um zu sehen, wie sie sich vor möglichen, negativen Beeinflussungen schützen könnte, doch der Titel war nicht aufgeführt. Sie fragte sich, ob ein normaler Schutzzauber ausreichen würde, aber sie zögerte. Albus’ Erklärung über eines seiner eigenen Bücher, bei dem man bestimmte Seitenzahlen nicht aufschlagen durfte, weil es einen sonst mit Haut und Haaren verschlingen würde, hielt sie davon ab, das Risiko unüberlegt einzugehen. Sie würde nicht Severus um Hilfe bitten, aber den Direktor.
„Hermine, was kann ich für Sie tun?“, fragte Albus heiter, nachdem er ihr seine Bürotür geöffnet hatte. Sein üppiger, farbenfroher Umhang war mit beweglichen Motiven dekoriert: zerplatzende Feuerwerkskörper. Heute war Silvester, dachte Hermine überrascht, denn wie schon Weihnachten wollte sich auch Neujahr ungesehen an ihr vorbeischleichen.
„Ich habe ein schwarzmagisches Buch, das ich gern lesen würde, aber ich weiß nicht, wie ich mich davor schützen muss, wenn ich überhaupt Vorkehrungen treffen muss. Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht einen Hinweis geben, Albus.“
„Ah, setzen Sie sich doch bitte. Einen Tee?“
Hermine verneinte wortlos und legte besagtes Buch auf den Tisch, während sie Albus’ Miene ganz genau beobachtete. Er schien es zu kennen, denn für einen Moment blickte er reumütig auf den Titel, bevor er leise seufzte.
„Ich habe es einmal jemandem empfohlen“, sagte er beschämt. „Es hatte dieser Person das Leben gerettet, aber ich wünschte, es hätte einen anderen Weg gegeben.“
Hermine brauchte gar nicht zu fragen, von welcher Person Albus sprach. „Dann können Sie mir sagen, wie ich es öffnen kann?“
„Das Buch selbst kann geöffnet werden, ohne dass man etwas Schlimmes befürchten muss, denn es sind die Dinge, die darin behandelt werden, die auf den gesunden Geist einwirken können. Lesen Sie es mit innerem Abstand, Hermine, denn es werden Geheimnisse angeschnitten, die verborgen bleiben sollten, Mysterien, die nicht erklärt werden können, egal was der Text einem als Tatsache vorgaukelt.“
„Warum ist es so ein schlechtes Buch?“, wollte sie wissen.
„Ein Buch allein kann nicht schlecht sein. Es nur zu lesen verdirbt einen nicht, aber sollte man auch nur mit dem Gedanken spielen, eine der beschriebenen Handlungen in die Tat umsetzen zu wollen, dann könnte man sich sehr schnell als verloren bezeichnen.“
Forsch fragte sie: „Aber nicht für immer verloren oder?“
„Ich hätte vor einiger Zeit noch rigoros bejaht, Hermine.“ Er schenkte sich selbst einen Tee ein und sagte, während er die Zuckerwürfel in die Tasse fallen ließ: „Doch wenn etwas einem völlig unbekannt ist, dann wird man sich schnell darüber bewusst, dass man die Antwort gar nicht kennen kann und da man sie nicht kennt, kommt die Hoffnung ins Spiel; davon sollte man immer reichlich in seinem Herzen haben.“ Er warf ihr ein freundliches Lächeln hinüber, welches sie ansteckte.
„Danke, Albus.“
Sie erhob sich bereits, doch er hielt sie mit einer Geste seiner Hand vom Gehen ab.
„Sagen Sie, Hermine, wie sind Sie in den Raum gelangt, der dieses Buch so viele Jahrhunderte vor neugierigen Blicken geschützt hatte?“
Sie blinzelte ein paar Mal, bevor sie sagte: „Ich habe es im Grimmauldplatz gefunden. Harry hatte mir erlaubt, ein paar Bücher aus der schwarzen Sammlung der Blacks auszuleihen.“
„Ah“, machte Albus erleichtert. „Und ich dachte schon, Sie hätten einen Weg gefunden, den versteckten Raum in der Bibliothek zu betreten.“
Sie schnaufte. „Ich wusste bisher nicht einmal, dass es dort außer der Verbotenen Abteilung noch einen weiteren Raum gibt.“
„Das muss auch niemand wissen. Es hätte mich sehr überrascht, wenn Sie diesen Raum nicht nur gefunden hätten, sondern auch in der Lage gewesen wären, den Eingang zu öffnen.“
Sie lachte auf. „Ich schaffe es ja nicht einmal, die Tür auf dem Dachboden zu öffnen, Albus“, konterte Hermine amüsiert und daher ein wenig unüberlegt, bevor sie sich erneut auf die Couch setzte und sich doch eine Tasse Tee einschenken ließ.
„Ja ja, der Dachboden“, sagte Albus murmelnd, als würde er in Erinnerungen schwelgen. Während er ihr einen Teller mit kleinen Kuchen reichte, warf er ein: „Auch der gute Harry war einst vom Dachboden sehr angetan.“
Hermines kleine, graue Zellen klatschten in die Hände, als ihr ohne Umschweife nur eine einzige Begebenheit einfiel, in welcher Harry vom Dachboden so fasziniert gewesen war.
Mit großen Augen fragte sie, obwohl sie sich der Antwort sicher war: „Nerhegeb?“
„Ja, mein alter Spiegel verweilt sicher auf dem Dachboden. Ich möchte nicht riskieren, dass eines der Kinder ihn findet und womöglich seine im Krieg verlorenen Eltern zu sehen bekommt. Solche Wunden müssen heilen und nicht mit unerfüllbaren Sehnsüchten aufgerissen werden.“
„Es steht tatsächlich Nerhegeb auf dem Dachboden?“ Sie war völlig verblüfft und weigerte sich momentan, bestimmte Ereignisse aus der Vergangenheit mit dieser Information verknüpfen zu wollen.
„Möchten Sie einen Blick hineinwerfen, Hermine?“
Die Versuchung war groß, sehr groß. Unsicher biss sich Hermine auf die Unterlippe und ihr Blick schweifte von ihrer Teetasse zum kleinen Kuchentablett hinüber, bis sie aufblickte und Albus’ freundlichen, aber fragenden Gesichtsausdruck wahrnahm.
„Ich…“ Sie haderte mit sich selbst. Gern würde sie ihre Wünsche als magisch manifestiertes Bild sehen, doch die Angst war zu groß, etwas zu Gesicht zu bekommen, von dem sie wusste, dass es sich nicht erfüllen würde. „Nein, ich möchte nicht hineinsehen. Über meine Wünsche und Ziele bin ich mir im Klaren.“ Viel leiser murmelte sie: „Denke ich jedenfalls.“
„Sie überraschen mich und in gewisser Weise machen Sie mich stolz, Hermine!“ Weil sie sprachlos schien, erklärte Albus: „Sie sind die Erste, die dieses Angebot abgeschlagen hat. Niemand, nicht einmal ich selbst, konnte widerstehen, zumindest ein einziges Mal hineinzublicken.“
„Was haben Sie gesehen?“, wollte sie wissen.
Albus schüttelte den Kopf, lächelte jedoch freundlich. „Das, Hermine, werde ich Ihnen nicht anvertrauen, aber seien Sie unbesorgt, denn nach all den Jahren ist dieser Wunsch tatsächlich Wirklichkeit geworden, auch wenn ich eine lange Zeit geglaubt hatte, diese Erfüllung wäre für mich unerreichbar.“
„Und Sie verspüren nicht den Drang, noch einmal hineinzusehen?“
„Nein, denn es gibt nur noch einen Wunsch, den ich habe und der wird sich hoffentlich sehr bald ebenfalls verwirklichen“, gab er zuversichtlich wider, doch ihr war nicht entgangen, dass er sie derweil eindringlich angesehen hatte.
Das Buch wieder verkleinernd und in ihre Hosentasche steckend machte sie sich auf den Rückweg in ihr Quartier, als sie im vierten Stock angelangt auf erhobene Stimmen aufmerksam wurde. Sie näherte sich der Tür der Bibliothek, aus der die Stimmen zu kommen schienen. Sie hörte Severus nur leise und bösartig zischen, doch die laute Stimme erkannte sie ebenfalls. Es war Sirius gewesen. Mutig öffnete sie die Tür und stutzte, als sie auch Remus bemerkte, der weniger mit Worten, sondern mit beruhigenden Gesten versuchte, seinen aufgebrachten Freund zu beschwichtigen. Sie lauschte dem, was Sirius zu sagen hatte.
„Du hast gestohlen, gib es zu!“, warf er Severus vor.
„Ich habe nicht mehr als das eine Buch, welches ich in meinen Händen hielt, aus dem Grimmauldplatz mitgenommen!“, verteidigte sich Severus und in genau diesem Moment überkam sie ein Schuldgefühl.
„Ähm“, machte sie, um die Aufmerksamkeit der drei Herren zu erlangen. Sie ging einige Schritte auf die Männer zu und beichtete verlegen: „Das zweite Buch habe ich mitgenommen, Sirius.“
„Siehst du“, sagte Remus erleichtert, während er einmal in die Hände klatschte, „es hat sich aufgeklärt.“
„DU, Hermine?“ Sirius schien völlig verwundert zu sein. „Warum nimmst du so ein Buch mit?“
„Um welches, wenn ich fragen darf, handelt es sich denn?“, wollte Severus wissen. Seine Gesichtsfarbe wurde noch bleicher als man sie gewohnt war, während er sie mit skeptischem Blick musterte.
Ausweichend erklärte sie: „Ich war mit dem Buch eben bei Albus.“
Sirius schüttelte ernüchtert den Kopf. „Warum will du so etwas lesen?“
„Es interessiert mich halt“, sollte als Antwort genügen, dachte sie.
„Du enttäuschst mich.“ Er hatte sehr ernst und vorwurfsvoll geklungen, doch Remus wollte Sirius umstimmen.
„Lass Hermine in Ruhe. Du hast doch gehört, dass sie damit bei Albus war. So schlimm kann es doch nicht sein.“ Einmal zu Severus hinüberblickend empfahl er Sirius: „Wie wäre es mit einer Entschuldigung?“
„Tut mir Leid, Hermine“, murmelte Sirius.
„Doch nicht bei Hermine!“
Sirius schaute seinen besten Freund an, blickte dann kurz zu Severus hinüber, bevor er an Remus gewandt abwiegeln wollte: „Komm schon: Wenn Severus und Hermine als Einzige einen Raum betreten und danach ein schwarzmagisches Buch fehlt, wen würdest du als Ersten verdächtigen?“
An Remus’ Gesichtsausdruck konnte man durchaus erkennen, dass er Sirius’ Gedankengänge nachvollziehen konnte, doch er nahm die Angelegenheit sehr gelassen, was das verschmitzte Lächeln untermalte. „Aber er war es nun mal nicht.“
Schnaufend blickte Sirius zu Boden. Ein paar Mal tief durchatmend hob er den Kopf und richtete das Wort an Severus. Übertrieben höflich mit meinem Hauch von Spott gab er seine Entschuldigung zum Besten, indem er sagte: „Es tut mir Leid, dass ich mit der für mich einzig logischen Erklärung falsch gelegen und dich zu Unrecht beschuldigt habe.“
„Es ist immer wieder sehr erheiternd miterleben zu dürfen“, begann Severus trocken, „wie selten ein Gryffindor seinen Verstand gebraucht.“
„Hey“, warf Remus lächelnd ein, „wir sind momentan in der Überzahl.“
„Eine Überzahl, die mir nicht gefährlich werden könnte. Wenn ich nun darum bitten darf, allein gelassen zu werden?“
Er wartete keine Antwort ab sondern entfernte sich von den dreien und widmete sich wieder den Regalen und ihren Büchern.
„Warum bist du eigentlich hier?“, fragte Remus. „Doch bestimmt nicht nur, um Severus wegen Diebstahls zu bezichtigen.“
Sirius verneinte. „Ich wollte erst dich und dann Harry und Ginny besuchen.“ Er warf Hermine einen Blick zu der ihr verriet, dass er ihrem Ratschlag, seine Freunde öfters aufzusuchen, nachkommen wollte. „Vielleicht könnten wir Silvester heute zusammen…“
Von dem nicht vollständig artikulierten Vorschlag sichtlich begeistert sagte Remus: „Ja, sicher! Ich werde Tonks Bescheid geben, dann können wir hier feiern. Albus hat sicherlich nichts dagegen.“ Er wandte sich an Hermine: „Wirst du auch zu Harry kommen oder hast du schon etwas anderes vor?“ Über seine Schulter schauend erhaschte er einen Blick auf Severus, der gerade ein Buch aus dem Regal zog.
„Ich habe bisher nichts vor. Ich wollte noch ein wenig lesen“, gestand Hermine. Im gleichen Moment wurde ihr bewusst, wie erbärmlich es sich anhören musste, dass sie für den Silvesterabend noch nicht einmal Pläne gemacht hatte.
„Bis wann willst du lesen? Bis zehn Minuten vor Mitternacht?“, stichelte Remus. „Du solltest mal entspannen!“
„Ich… Ich werde heute Abend in die große Halle kommen und danach mit zu Harry.“
Vorher wollte Hermine aber noch einen Blick in das Buch „Leib und Seele“ werfen, bei dessen Anblick weder Severus noch Albus unberührt geblieben waren.
In ihren Räumen legte sie sich Pergament, Tintenfass und Feder zurecht, falls sie sich etwas notieren wollte, bevor sie den schweren Deckel des sehr gebraucht aussehenden Buches öffnete. Als Erstes bemerkte sie eine Widmung in wunderschön geschwungener Schrift. Es war ein Geschenk für Phineas Nigellus Black von seiner Frau gewesen. Das Datum „1877“ konnte man noch gut erkennen.
Hermine vertrödelte keine Zeit damit, erst die Inhaltsangabe zu lesen; sie begann sofort mit dem ersten Kapitel. Das Lesen fiel ihr jedoch schwer, denn immer wieder erinnerte sie sich an das Gespräch mit Albus. Besonders die Information, dass der Spiegel Nerhegeb auf dem Dachboden zu finden wäre, bescherte ihr ein unbeschreibliches Gefühl; eine Mischung aus Unruhe und Herzklopfen. Sie wusste, dass Severus abends regelmäßig den Dachboden aufsuchte, aber jetzt ahnte sie auch, was ihn dazu bewegte. Die Buchstaben vor ihren Augen verschwammen, als sie sich ins Gedächtnis zurückrief, dass Severus sie genau dort gesehen haben will – auf dem Dachboden –, auch wenn er das später dementiert hatte. Ohne es zu bemerken begannen ihre Hände aufgeregt zu zittern. Sie konnte natürlich spekulieren und das Naheliegende einfach als Tatsache betrachten, doch sie war sich nicht sicher, ob sie für das Ergebnis dieser Kombination bereit war. Zumindest rückte es ihn in ein ganz anderes Licht, doch auch wenn sie im ersten Moment glaubte, nun mehr von ihm zu wissen, so machte es ihn gleichermaßen noch viel geheimnisumwitterter als zuvor.
Sie seufzte und verbann alle Gedanken, um sich auf den Text zu konzentrieren. Es stellte sich bald heraus, dass es sich um ein „medizinisches“ Buch handelte, in welchem irreführende Diagnosemaßnahmen und dubiose Behandlungsmethoden beschrieben wurden. So wie man damals in der Muggelwelt anfangs noch sehr grobschlächtig und voreilig die Lobotomie angewandt hatte, mit der man in der Hoffnung auf Heilung leichtsinnig Teile des Gehirns zerstörte, so hatten die Heiler der magischen Welt früher unter anderem bei Gemütserkrankungen überstürzt zu Methoden gegriffen, die zur Folge hatten, dass zwar nicht Teile des Körpers unwiderruflich beschädigt wurden, dafür aber Teile der Seele.
Ein eiskalter Schauer lief Hermine den Rücken hinunter.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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Das Kapitel ist in zwei Posts untergebracht, weil die Begrenzung dieser Seite bei 60.000 Zeichen liegt und das Kapitel ein paar mehr hat.
159 Wahrscheinlichkeiten
„Geh schon vor, Sirius“, waren Remus’ Worte in der Bibliothek gewesen, nachdem Hermine gegangen war. „Ich komme gleich nach.“
Ungläubig hatte Sirius seinen Freund angestarrt, bevor er skeptisch und auch etwas ratlos fragte: „Was willst du von ihm?“
Es war offensichtlich gewesen, dass Remus noch einen Moment lang bei Severus bleiben wollte, der abseits von den beiden Männern weiterhin in den Regalen nach Büchern stöberte.
„Er sucht ein bestimmtes Buch und ich denke, ich habe da eine Idee.“ Mit einem ernsten Blick untermauernd machte er seinem Freund unmissverständlich klar: „Ich werde es ihm heraussuchen, danach komme ich zu Harry runter.“ Sirius schien nicht verstehen zu wollen, dass sein bester Freund Severus einen Gefallen tun wollte – aus freien Stücken –, was Sirius selbst nie tun würde.
Noch einen Moment den sprachlosen Sirius anblickend wandte Remus sich langsam von ihm ab, um hinten in der Verbotenen Abteilung eine bestimmte Ecke anzusteuern, die er durchstöbern wollte. Severus hatte ihn an sich vorbeigehen sehen, weshalb seine Hand, die gerade ein Buch aus einem der Regale gezogen hatte, wie versteinert ihre Bewegung einstellte. Ein Blick zum Eingang der Verbotenen Abteilung verwirrte Severus noch mehr, denn Sirius stand einen Augenblick lang aufgrund der Reaktion des anderen Rumtreibers erst fassungslos an der Gittertür, bevor er klein beigab und die Bibliothek wortlos verließ. Danach wagte Severus es, einen unauffälligen Blick in Remus’ Richtung zu werfen, um an Körperhaltung oder Gesichtsausdruck einen möglichen Grund für dessen unerwartete Anwesenheit entnehmen zu können, doch alles, was er an ihm ausmachen konnte, war der konzentrierte Blick auf die Buchtitel, während er langsam ein Regal abging. Fest hatte Severus damit gerechnet, dass beide Männer zusammen die Bibliothek verlassen würden. Mit seiner Vermutung so falsch gelegen zu haben ließ ihn daran zweifeln, noch immer über die hervorragende Beobachtungsgabe zu verfügen, die er in Zeiten der Spionage perfekt beherrscht hatte. Nur mit Mühe konnte Severus die Anwesenheit von Remus akzeptieren und sich wieder seiner Suche widmen, auch wenn sich ihm die Frage stellte, warum der Mann noch hier war.
Vierzig Minuten später erschrak Severus, als er eine Hand an seinem Oberarm spürte, die jedoch nur kurz verweilte, als würde sie genau wissen, dass so ein naher Kontakt nicht geduldet war.
„Du hast mich nicht gehört“, sagte Remus entschuldigend.
„Ich war wohl in die Titel vertief“, rechtfertigte sich Severus, aber in Wirklichkeit hatte sein Verstand die ganze Zeit über versucht, die Situation zu begreifen.
Remus hielt ihm ein Buch unter die Nase. „Hier, das war das Einzige, welches ich damals gefunden hatte.“
„Wo stand es?“
„Da hinten“, Remus deutete auf eine Reihe in der Nähe, in welcher eine durch Schatten schwarz gefärbte Lücke klaffte. „Es steht bei ’Magischen Wesen’, aber es behandelt zu siebzig Prozent tierische Gifte und Zaubertränke.“
Ein Blick aufs Inhaltsverzeichnis bestätigte Severus, dass es auch ein Kapitel über Corvinus Callidita beinhaltete.
„Sehen wir uns heute in der großen Halle?“, fragte Remus, der somit auf freundliche Weise deutlich machte, dass er jetzt gehen würde.
„Ich…“ Noch immer war Severus völlig aus dem Konzept, doch sein Sprachzentrum stellte ihm nach einem kurzen Moment wieder das gesamte Vokabular zur Verfügung. „Ich denke nicht, ich werde mich zurückziehen und lesen.“
Remus wirkte belustigt und zog seine Augenbrauen hinauf. „Ach tatsächlich?“, fragte Remus schmunzelnd nach, denn etwas Ähnliches hatte er heute schon einmal gehört.
„Tatsächlich!“, versicherte Severus in einem Tonfall, der seinem Gegenüber nahe legte, ihn nicht auf den Arm zu nehmen.
„Wie du meinst, Severus. Vielleicht schaust du dir vom Astronomieturm aus das Feuerwerk an? Albus hatte einiges bei den Zwillingen bestellt.“
Nach diesen Worten verließ Remus die Bibliothek und er schlenderte an seinen eigenen Räumlichkeiten vorbei, bevor er bei Hermine Halt machte. Er wollte sich bei ihr erkundigen, ob sie mit ihm mitkommen wollte oder es vorzog, lieber noch zu lesen, wie sie es vorhin gesagt hatte. Als Remus nach mehrmaligem Klopfen schon dachte, sie wäre womöglich längst bei Harry und Ginny, da öffnete sich die Tür.
„Merlin, Hermine…“ Er packte sie am Arm, weil sie schwächlich wirkte. „Du bist leichenblass! Setz dich erst einmal.“
„Mir geht es gut“, log sie ihm ins Gesicht und ihre zittrige Stimme tat nicht gerade etwas dazu bei, ihm diese geflunkerte Aussage als Wahrheit verkaufen zu können. Er führte sie zur Couch hinüber, doch sie versicherte währenddessen: „Mir geht es gut, Remus! Jetzt übertreib es mal nicht. Mir ist nur ein wenig kalt, aber sonst fühl ich mich bestens.“
Der Schock über den Inhalt des Buches schien sich in ihrem Gesicht abgezeichnet zu haben, vermutete sie. Es ging ihr gut, auch wenn sie ein wenig Herzklopfen hatte und sich ihr an einigen Stellen der Magen hatte umdrehen wollen.
Auf den Couchtisch blickend bemerkte Remus den in schwarzes Leder gebundenen Band, weswegen er Hermine eindringlich anschaute. „Ist es wegen dem Buch?“
„Nein, ich meine ja… irgendwie schon.“
„Hermine“, flehte Remus leise.
„Das Buch selbst ist ungefährlich, wenn du das meinst. Ich bin nicht von einem dunkelmagischen Fluch eingenommen, Remus. Es ist das, über was dort geschrieben wurde, das ich schwer ertragen kann.“
„Warum liest du es denn?“, forderte er als Antwort.
„Weil…“ Sie stoppte sich.
Selbst nach dem Grund suchend fiel sein Blick erneut auf das Buch, welches er gleich im Anschluss ergriff. Er las den Titel, schaute sie an und wiederholte fassungslos: „’Leib und Seele’? Was hast du da nur für Schund gefunden? Hermine, du solltest das wirklich nicht lesen.“ Er legte das Buch sachte auf den Tisch zurück.
Seinen Ratschlag verstehen wollend fragte sie: „Warum nicht?“
„Es ist nicht gut, solche Dinge zu wissen. Niemand sollte erfahren, wie es möglich ist, eine Seele zu spalten.“
Seine Aussage hielt ihr vor Augen, dass er etwas mehr darüber zu wissen schien, weswegen sie mutig fragte: „Weil man mit dem Wissen, das darin beschrieben ist, dazu in der Lage wäre Horkruxe herzustellen?“
„In erster Linie ja, aber das Schlimmste sind die aufgeführten Behandlungsmethoden. Es ist schon grauenvoll genug, von diesem dunklen Kapitel der Heiler-Ära überhaupt zu wissen, aber man muss nicht auch noch bis ins kleinste Detail in Erfahrung bringen, wie man solche verpönten ’Therapien’ durchzuführen hat. Reicht es nicht zu wissen, dass man damals bei Geisteskrankheiten geglaubt hatte, den Patienten heilen zu können, wenn man den kranken Teil der Seele einfach entfernt?“
Erschrocken holte Remus Luft, denn mit einem Male glaubte er zu wissen, warum Hermine dieses Buch lesen wollte.
„Du glaubst doch nicht etwa…?“, fragte er mit dünner Stimme.
Hermine klang sehr mitgenommen, als sie antwortete: „Ich befürchte es.“
Im ersten Moment hatte Remus das Buch nicht mit Severus’ Problem in Zusammenhang bringen können, doch auf einen Schlag ahnte er, dass Hermine mit ihrer Befürchtung richtig liegen könnte.
„Ich war immer der Meinung“, begann er zaghaft, als er das Buch betrachtete, „dass man die Tränke und Zaubersprüche zu diesen schrecklichen Therapien nicht kennen sollte, Hermine.“
„Woher weißt du davon?“
„Ich habe es einmal überflogen, als ich damals mit Arthur zusammen den Raum im Grimmauldplatz geöffnet hatte. Ich bin nur durch Zufall drauf gestoßen. Ich fand es faszinierend und abstoßen zugleich und ich verstehe vollkommen, warum das Ministerium nicht möchte, dass die Anleitung zu Tränken, die eine intakte, menschliche Seele verstümmeln können, für jedermann zugänglich ist.“
„Warum hat man damals überhaupt zu solchen Methoden gegriffen?“, fragte sie neugierig.
„Weil man es nicht besser wusste. Bei manchen Patienten schien es geholfen zu haben, aber der Heilerfolg war insgesamt so gering, dass die Praktizierenden sich den Vorwurf anhören mussten, sie wüssten nicht, was sie tun würden und das war auch so, Hermine. Einige haben damit einfach experimentiert, denn es war unmöglich, genau vorherzubestimmen, welcher Teil des Gemüts entfernt werden würde – ob es sich dabei um einen erkrankten handelte oder um einen gesunden.“
„Dann baut die Herstellung von Horkruxen auf diesen Behandlungsmethoden auf, nur dass der Teil der Seele auf einen Gegenstand übertragen wird, nachdem er herausgerissen wurde?“, hatte sie kombiniert.
„Es wäre möglich, dass es so ist, aber genau wird man es wohl nie erfahren. Ich kann nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob vor Voldemort schon einmal jemand ein Horkrux erschaffen hat, aber es ist sehr wahrscheinlich.“ Er seufzte und fügte leise hinzu: „Das sind Dinge, die man einfach nicht tut.“
Es verging ein seltsam angenehmer Moment, in welchem sich Remus und Hermine in die Augen blickten. In den seinen spiegelte sich plötzlich Erkenntnis wider.
„Glaubst du, Severus hat ein Horkrux erschaffen?“, fragte er vorsichtig.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das glaube ich nicht. Ich gehe davon aus, dass das, was er sucht, verloren ist.“
Sie sprachen nach ihrer laut ausgesprochenen Vermutung, die Hermine erst jetzt verdeutlichte, wie schlimm es um Severus’ Seelenleben stand, einen ganzen Moment nicht mehr, denn auch Remus schien von dieser desillusionierenden Aussage schockiert zu sein.
So vielen Fragen brannten ihm auf der Zunge, doch nur eine trat über seine Lippen, als er voller Hoffnungslosigkeit das Wort an Hermine richtete. „Du glaubst, man kann ihm nicht helfen?“
Sie blickte zu Boden, dann wieder Remus in die Augen, um seine Vermutung lediglich zu bejahen, wie sie es damals im Mungos häufig getan hatte, wenn sie auf die Frage eines Patienten geantwortet hatte, doch dieses Mal wollte sich das einfache „Ja“ nicht verbalisieren, denn sein Gesichtsausdruck bewegte sie zu sehr. Die eben erlangte Offenbarung, dass es für Severus keine Heilung zu geben schien, zeigte wenige Sekunden später nicht mehr nur bei Remus ihre volle Wirkung. Die Erkenntnis darüber, dass all ihre bisherigen Mühen vergeblich gewesen sein sollten, war für Hermine schwerer zu ertragen, als sie es für möglich gehalten hatte. Als sich auch noch die eigene Hoffnung von ihr entfernen wollte, da suchte sie verzweifelt nach etwas, um neue schöpfen zu können. Sie würde auf eigene Faust nach einer Heilung für Severus suchen. Es war immerhin einer ihrer Professoren gewesen, der ihr während ihrer Ausbildung gesagt hatte, als sie am Bett eines siebenundzwanzigjährigen Opfers eines magischen Duells gestanden und über sein fünfzehnjähriges Koma diskutiert hatten: „Man darf zeitweise ein wenig Abstand zum Patienten gewinnen. Man darf sogar eine Phase haben, in der man zu zweifeln beginnt“, der betagte Heiler hatte die Decke höher über Schultern des jungen Mannes gezogen und einmal dessen verkrampfte Hand gedrückt, „aber man darf niemals aufgeben.“
„Ich werde weitermachen.“ Der hoffnungslose Klang in ihrer Stimme gefiel ihr nicht, weswegen sie viel energischer zu Remus sagte, aber auch zu sich selbst, um sich davon zu überzeugen: „Ich werde weitersuchen und weiterbohren und ich werde alles erfahren, damit ich endlich anständige Aussagen habe, mit denen ich nach einer Heilung suchen kann. Ohne zu wissen, was genau geschehen ist, werde ich gar nichts erreichen.“
Sie musste Luft holen, denn sie hatte viel Kraft aufbringen müssen, um sich zu sagen, was sie tun müsste, denn auch wenn sie in ihrem Leben bereits allein Entscheidungen getroffen hatte, so hatte sie bisher in Bezug auf Severus immer die Notbremse gezogen. Ab jetzt, so schwor sie sich, würde sie den Zug mit Höchstgeschwindigkeit weiterfahren lassen und sie setzte all ihre Hoffnung darin, dass die Endstation keine Sackgasse sein würde.
„Wenn du Hilfe braucht, dann bin ich für dich da“, versicherte Remus. Der Ernst in seiner Stimme hatte diesen Worten, die häufig als Floskel verwendet wurden, jedwede heuchlerischen Absichten genommen. Um sein Angebot noch deutlicher zu machen, bot er an: „Wenn du Hilfe bei der Recherche brauchst – ich lese alles, ich habe ja jetzt Zeit.“
In diesem Moment kam ihr nicht in den Sinn nachzufragen, was er damit meinen würde, denn sein Angebot erleichterte sie; ließ sie weniger auf sich allein gestellt dastehen.
„Kommst du trotzdem mit zu Harry?“, fragte Remus warmherzig.
„Ich möchte noch ein wenig lesen.“ Er ahnte, dass sie nicht zur Ruhe kommen würde, sollte sie nicht erst das Buch gelesen haben. Endlich hatte sie etwas gefunden, das auf Severus’ Zustand wie die Faust aufs Auge passte und er konnte auch nachvollziehen, dass sie deswegen am heutigen Tag – Silvester – ganz andere Dinge im Kopf hatte.
„Vielleicht später?“
„Ich komme ganz sicher vorbei, Remus, versprochen!“ Sie lächelte ihn dankbar an, bevor er sich verabschiedete.
Den ganzen Weg über hatte Remus nur den Gedanken an diese grauenvollen Gemütsverstümmelungen im Kopf, die in dem Buch „Leib und Seele“ behandelt wurden. Die Möglichkeit in Betracht ziehen zu müssen, dass Severus wahrscheinlich an einer entstalteten Seele aufgrund eines solch unmenschlichen Trankes leiden könnte, erschütterte ihn, aber es erklärte auch so vieles.
Die frohe und ausgelassene Stimmung, die ihm entgegenschlug, nachdem Harry ihm die Tür geöffnet hatte, schien für ihn wie ein emotionaler Schock.
„Alles in Ordnung, Remus?“ Harry schien etwas bemerkt zu haben, doch ein Nicken hatte ihm als Antwort genügt, so dass er nicht nachhakte, sondern im Anschluss nur noch wissen wollte: „Wo ist Hermine?“
„Sie kommt später.“
Sirius hatte Remus’ Antwort vernommen und warf schelmisch erbost ein: „Was denn? Möchte sie etwa noch lesen?“ Es klang fast so, als würde Hermine etwas Schlimmes tun. „Wenn ihr mich fragt, dann nimmt sie sich viel zu viel von ihm an.“
Der Aussage stimmte Harry innerlich zu, denn es war eine Sache, wenn Severus sich an einem Tag wie heute zurückziehen wollte – das war eben Severus –, doch seine Hermine hatte das nie getan. Freunde waren ihr immer wichtiger gewesen als Bücher.
„Ich werde sie holen“, sagte Harry bestimmend, doch Remus hielt ihn auf.
„Nein, lass sie noch einen Mom….“
Mit übertönender Lautstärke ermutigte Sirius seinen Patensohn. „Ja, hol sie her, Harry! Das Buch wird schon nicht wegrennen.“
Während Fellini ihr um die Beine strich und laut schnurrte, sackte Hermine wie erschlagen auf der Couch zusammen, nachdem sie einen Absatz über einen bestimmten Trank gelesen hatte. Der Grundtrank war in diesem Kapitel behandelt worden: ein Gebräu, das für die Spaltung der gesunden Seele verantwortlich war. Die Auswirkung des Trankes, wie sich erst viel später herausgestellt haben musste, war weder mit zusätzlichen Trankzutaten noch mit Zaubersprüchen zu steuern. Somit war es nicht möglich gewesen, ganz gezielt bestimmte Bereiche zu entfernen, die man für erkrankt und unheilbar hielt.
Vor ihrem geistigen Auge manifestierte sich aufgrund dieser Beschreibungen das Bild von einigen Chirurgen, die mit Skalpellen auf den auf dem Operationstisch liegend Patienten warfen, um einen Tumor zu entfernen, dessen Lage sie nicht einmal genau hatten bestimmen können – der Trank machte sich an der Seele genauso unpräzise zu schaffen.
Sie erinnerte sich an das, was Severus gesagt hatte: „Auf das Wesen und das Empfinden; auf all das, was einen Menschen ausmacht, darf man nicht einwirken, denn das sind Gebiete, die sich uns noch nicht erschlossen haben.“
Severus selbst hatte von einem „kleinen Überbleibsel“ gesprochen, welches er noch innehatte und manchmal auflodern würde. Allein diese Aussage gab Hermine wieder Hoffnung, denn wenn etwas loderte, dann könnte es eines Tages genauso gut in Flammen aufgehen und das wollte sie unbedingt erreichen – das war ihr neues Ziel –, aber vorweg musste sie alles über ihn in Erfahrung bringen; musste sie Severus zum Reden bringen, denn sie hatte genug davon, im Dunkeln zu tappen. Sie brauchte Details, damit ihre grauen Zellen etwas zum Arbeiten haben würden.
„Hermine?“, fragte Harry leise, doch sie war trotzdem zusammengefahren.
„Harry, was tust du denn hier?“ Sie wirkte auf ihn sehr mitgenommen, als würde ihr etwas das Leben schwer machen.
„Du hast mein Klopfen nicht gehört.“ Er schloss die Tür hinter sich und näherte sich seiner auf der Couch sitzenden Freundin, blieb jedoch vor ihr stehen und sagte ein wenig beleidig klingend: „Warum liest du, wenn du stattdessen bei uns sein kannst?“
„Harry, ich…“ Sie blickte ihn mit treuen Hundeaugen an und seufzte. Der Ernst der Lage war herauszuhören, als sie ihm leise anvertraute: „Ich habe es gefunden, Harry, ich bin mir ganz sicher!“ Er legte seine Stirn in Falten, so dass sie erklärte: „Das mit Severus. Ich weiß, was er getan haben muss.“
Sein Blick fiel auf das Buch in ihrem Schoß. „Darf ich mal?“
Nachdem sie ihm das aufgeschlagene Buch gereicht hatte, ließ er sich neben ihr nieder und las die beiden Seiten, die sie ihm gezeigt hatte.
„Es…“ Er stockte, denn er wollte es nicht laut aussprechen, weil es dann Realität werden würde, doch er gab sich einen Ruck. „Es gibt keine Heilung.“ Das niederschmetternde Gefühl der Enttäuschung machte sich nun auch in ihm breit und er konnte erahnen, wie es Hermine im Augenblick ergehen musste.
„Man kann es nicht rückgängig machen, damit liegst du richtig, aber das heißt nicht, dass es nicht eine andere Möglichkeit geben könnte.“
„Weißt du“, begann Harry mit einem Kloß im Hals, „wie viel ihm fehlt?“
Sie schüttelte den Kopf, bevor sie vermutete: „Ich gehe davon aus, dass nur noch ein winziger Rest übrig ist.“
„Warum bist du so sicher, dass das“, er hob das Buch in seinem Schoß an, „die Antwort sein soll?“
„Als er den Titel im Vorübergehen gelesen hatte…“ Sie erinnerte sich daran, wie Severus’ Finger gezittert hatten. „Das hättest du sehen müssen, Harry. Seine Reaktion hatte Bände gesprochen und deswegen habe ich das Buch auf gut Glück mitgenommen. Ich habe nur mit einem weiteren, versteckten Hinweis gerechnet, aber dass ich einen so eindeutigen Treffer landen würde, das hat mich umgehauen.“
„Aber warum um alles in der Welt soll er das getan haben?“, wollte Harry wissen, denn er war sich sicher, dass es keine Situation in seinem Leben geben könnte, die ihn zu so einer Selbstverstümmelung ermutigen könnte.
Sie hob und senkte die Schultern. „Ich werde das noch herausfinden müssen. Ich muss auch wissen, ob er an dem Trank etwas verändert hat.“ Sie seufzte.
„Das wird er dir nie erzählen, Hermine.“
„Ich weiß…“ Den kapitulierenden Klang in ihrer Stimme machte sie wieder wett, als sie anfügte: „Ich werde ihn provozieren müssen.“
Sanft schloss Harry das Buch, bevor er es auf den Tisch legte und sich danach, mit einem Arm um Hermines Schultern gelegt, gemütlich zurücklehnte. Einen Moment verweilten sie so, beide in Gedanken vertieft, bis Harry ermutigend ihre Schulter drückte.
„Ich mache dir einen Vorschlag: Wir beide gehen jetzt runter, haben eine schöne Zeit und rutschen nachher gemeinsam mit unseren Freunden ins neue Jahr“, sie wollte schon Einspruch einlegen, doch Harry verbat sich jede Unterbrechung, „und morgen, da werden wir das Buch zusammen lesen!“
Seine Entschlossenheit machte sie einen Moment lang sprachlos, bis sie sich gefangen hatte und nachfragte: „Du willst das Buch mit mir zusammen lesen?“
„Natürlich! Du musst mir danach nur sagen, was ich tun muss, um dir zu helfen. Ich bin ab jetzt wieder mit an Bord, Hermine. Ich helfe dir sogar, wenn du einen Trank brauen willst oder ich werde versuchen, etwas aus Severus herauszubekommen, du musst es mir nur sagen.“
Bereits Remus’ Hilfsangebot hatte ihr einen Lichtblick beschert, doch Harrys Worte gaben ihr tatsächlich wieder eine Perspektive.
Sie lächelte ihm dankend zu und nickte. „Dann lass uns heute feiern.“ Wehmütig klang sie noch immer.
Als Hermine und Harry das Wohnzimmer betraten, wurden sie herzlich von Anne begrüßt, die in der Zwischenzeit zum vereinbarten Zeitpunkt von Sirius abgeholt worden war.
„Sag mal“, begann Sirius an Remus gerichtet, „wo ist Tonks?“
„Die kommt später nach“, erwiderte Remus. „Wir hatten keine Pläne gemacht. Erstens sind ihre Eltern noch immer im Urlaub und zweitens muss sie in diesem Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr arbeiten.“
„’Zwischen’ ist gut“, warf Harry amüsiert ein. „Soviel ich weiß, musste sie auch direkt an Weihnachten arbeiten und ich denke, jetzt in diesem Moment wird sie auch noch im Ministerium hocken.“
Remus nickte, während er eine Luftschlange mit seinen Fingern in Einzelteile zerpflückte. „Ja, aber dafür hat sie bereits fürs nächste Jahr den Urlaub bewilligt bekommen. Jeder muss mal ran und in diesem Jahr waren es unter anderem Kingsley und Tonks. Sie weiß nicht, wann sie Feierabend machen kann, deswegen konnten wir für heute auch nichts planen.“ Remus blickte zu Anne hinüber und fragte: „Und ihr beide? Ihr hattet doch sicherlich auch nichts vor, wenn ihr so kurzfristig bei Harry zugesagt habt.“
„Mitnichten“, sagte Sirius, während Anne einen Flunsch zog, was ihn ein wenig traurig zu stimmen schien. „Wir hatten Pläne! Wir wollten bei Annes Mutter feiern, aber dann kam auch noch die Einladung von ihrem Vater und als der gehört hat, dass…“
Anne unterbrach und erklärte für alle: „Meine Eltern verstehen sich nicht besonders und mein Vater fühlte sich gekränkt, weil ich zu meiner Mutter gehen wollte. Ich hab daraufhin meine Mutter angerufen und ihr gesagt, dass Sirius und ich zu ihr kommen würden, später aber noch zu Dad gehen wollten, weswegen sie sauer geworden ist.“ Sie machte eine ratlose Geste mit ihren Händen. „Ich habe von diesen Kindereien die Nase voll und habe beiden absagt – das war gestern gewesen. Ich hoffe, ich habe damit irgendwie ein Zeichen setzen können, denn ich will mich nicht zwischen den beiden entscheiden müssen.“
„Das ist schade, dass das der Grund ist“, sagte Remus ehrlich, „aber ich freue mich sehr, dass ihr hier seid!“
„Meine Eltern“, begann Ginny, „sind dieses Jahr in Rumänien. Ron und Angelina sind mitgefahren, um mit Charlie zu feiern. Er will nächstes Jahr aber herkommen, hat er gesagt.“ Ihre Augen glänzten, denn Silvester mit all ihren Brüdern war bisher immer eine wahre Pracht.
Fernab jeglichen Zusammenseins las Severus allein in seinem Wohnzimmer den Abschnitt über Callidita und dessen Experimente mit dem Gift eines Basilisken, welches sich als hilfreiche Zutat in einigen Heiltränken hatte beweisen können. Es fanden sich sehr genaue Angaben in dem Buch, wie viel Rückstände im Blut zurückbleiben würden, woraus er – wenn er das unregelmäßige und kurzzeitige Erwachen der Patientin und damit den geringen Abbau mit einbezog – errechnen konnte, wie groß die Menge des Toxins in dem Trank gewesen sein musste, mit dem Pansy Parkinson vergiftet worden war.
Hermines Kopien beäugend las er parallel nochmals die Zutaten, die man in Schlafes Bruder verwendete. Anhand der Größe der an Miss Parkinsons Schulter begutachteten Wunde, an der damals der Trank in den Körper eingedrungen sein musste, ermittelte er, wie viel von diesem unheilvollen Gebräu an dem Stichwerkzeug gehaftet haben musste. Das zusätzliche Gift, wie Severus herausfand, war sehr wahrscheinlich für das nicht vorhersehbare Erwachen der Patientin verantwortlich, denn die Wirkung von Schlafes Bruder war lediglich jene, dass der Körper wie tot schien.
Ohne es zu wissen hatte Bellatrix mit ihrem modifizierten Trank gleichzeitig auch auf das Gegenmittel hingewiesen. Es war das Basiliskengift, welches die Wirkung von Schlafes Bruder aufzuheben vermochte; die magische Lähmung sogar heilen könnte. Die im Körper der jungen Frau vorhandene Menge war jedoch viel zu gering, um erfolgreich auf das Nervensystem einwirken zu können, damit die Blockierung durch Schlafes Bruder aufgehoben werden konnte. Stattdessen erwachte der Körper nur kurz aus seiner Starre und gaukelte Genesung vor, bevor Schlafes Bruder gegen den minimalen Anteil des Basiliskengifts erneut die Überhand gewann und das Opfer zurück in die Todesstarre versetzte.
Auf dem Stichwerkzeug – vermutlich der Klinge eines kleinen Messers – musste ein sehr dünner Film des Trankes gehaftet haben, was nur wenige Tropfen ausmachen würde, doch die Menge hatte ausgereicht, um Miss Parkinson außer Gefecht zu setzen. Severus war davon überzeugt, dass er für das Gegenmittel mit kleinsten Dosen des Basiliskengiftes hantieren müsste, die sich im Bereich Mikroliter bewegte, sehr wahrscheinlich sogar im Nanoliter-Bereich.
Erleichtert war Severus, dass Callidita sogar die „letale Dosis“ – die Giftmenge, die die tödliche Dosis für ein Lebewesen ausmachte – in Tierversuchen ermittelt hatte. Mit einem Male musste er an Hermine denken, denn er war sich sicher, dass sie über die beschriebenen Versuche am Tier nicht sehr erfreut sein würde. Natürlich waren Experimente an elefantengroßen Abraxanern nur ein kleiner Anhaltspunkt, doch zumindest hatte er damit überhaupt ein Ergebnis, mit dem er arbeiten konnte. Bei Gelegenheit müsste er noch das Gewicht und die Größe der Patientin in Erfahrung bringen, denn nur so könnte er berechnen, welche Dosis für sie nicht mehr tödlich sein würde.
Viele Schüler verabscheuten an dem Fach „Zaubertränke“ eine ganz bestimmte Sache und das war das Rechnen, doch wenn man mit Mengenangaben konfrontiert war, dann kam man nicht darum herum, früher oder später auch Mathematik anzuwenden.
Konzentriert berechnete er die mögliche Menge des Giftes, die Schlafes Bruder hinzugefügt worden sein musste, als sich plötzlich die Tür zu seinen Gemächern öffnete. Erstaunt blickte er auf.
Zögerlich näherte sich Hermine ein paar Schritte: „Severus, ich…“
„Hermine, es wird Sie hoffentlich freuen zu hören“, fiel er ihr ins Wort, „dass ich die Lösung gefunden habe.“
Sie lächelte zaghaft. „Ich wünschte, ich könnte das Gleiche von mir behaupten.“
Ihre Worte trafen ihn völlig unerwartet. Gerade eben hatte er noch einen Triumph in seiner Brust verspüren können, der einem Tränkemeister seines Kalibers nicht mehr allzu häufig vergönnt war, denn die unerforschten Gebiete, auf denen sich erfahrene Meister bewegten, verwehrten einem oftmals den Erfolg. Ihre niedergeschlagen klingenden Worte hatten seinem Hochgefühl einen mächtigen Dämpfer versetzt. Doch anstatt, wie er befürchtete, auf das Buch angesprochen zu werden, welches sie hatte mitgehen lassen, sagte sie: „Es ist schon elf durch. Wir sind jetzt alle in der großen Halle und ich dachte, Sie würden vielleicht auch kommen, damit wir anstoßen können.“
„Ich habe zu tun“, redete er sich heraus.
Weil sie daraufhin nichts erwiderte, widmete er sich wieder seiner Berechnung, um ihr mit Taten vor Augen zu halten, dass er nicht gelogen hatte. Das Einzige, das zu hören war, war das kratzende Geräusch seiner Feder.
Einen Moment später blickte er auf und es erstaunte ihn, sie noch immer an seiner Tür stehen zu sehen.
„Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie behilflich sein?“, fragte er spöttisch.
„Albus und Harry hoffen auch, dass Sie kommen werden.“
„’Auch’? Wer hofft es denn noch?“ Er widmete sich wieder seinen Unterlagen, um deutlich zu machen, dass er nicht motiviert war, einer albernen Festlichkeit beizuwohnen.
„Ich“, war ihre knappe Antwort gewesen.
Wenn er ihr so leicht eine Freude machen könnte, dann sollte er vielleicht mitgehen, dachte sich Severus, doch entgegen seiner Gedanken sagte er abweisend: „Wie ich bereits sagte, habe ich zu tun. Ich bin mir sicher, dass Miss Parkinson sowie Mr. Zabini und deren reizender kleiner Lockenkopf mich einvernehmlich dazu anhalten würden, mit meiner Arbeit weiterzumachen, anstatt mich an alkoholischen Getränken zu laben, bis man sich an Mitternacht gegenseitig ’Ein glückliches neues Jahr!’ ins Ohr lallt und im Anschluss sein Trommelfell einem ohrenbetäubenden Feuerwerk aussetzt.“
„Aber es ist Silvester!“
„Dieses Fest wird – wie andere auch – völlig überbewertet. Gehen Sie jetzt bitte, Hermine. Ich wünsche Ihnen von mir aus viel Spaß mit Ihren Freunden, aber erwarten Sie nicht von mir, dass ich die Arbeit ruhen lassen werde, die für mich momentan wesentlich interessanter ist!“
„Sie zählen auch zu meinen Freunden“, machte sie ihm mit enttäuschter Stimme klar, bevor sie nachgab und ihn allein ließ.
Nachdem sie gegangen war, verfluchte er sie, denn mit einem Male war er nicht mehr bei der Sache. Die eigenen Berechnungen auf dem Pergament vor sich sahen wie chinesische Schriftzeichen aus, die er nicht mehr zu entziffern in der Lage war. Vielleicht, dachte Severus, sollte er damit lieber am nächsten Tag weitermachen, denn immerhin musste er sehr genau arbeiten, um Miss Parkinson nicht einer vermeidbaren Gefahr auszusetzen. Den Mangel an Konzentration schob er auf die vorangeschrittene Uhrzeit. Ein Blick auf seine Standuhr verriet, dass es zwanzig nach elf war.
Durch seine vorangegangene Arbeit an Zahlen denkend rechnete sich Severus aus, dass er nicht einmal drei Minuten benötigen würde, um in die große Halle zu gelangen. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent würde er nach Betreten der Halle auf der Stelle ganz herzlich von Albus begrüßt werden, was ihm voraussichtlich zehn Minuten in der sicheren Obhut seines Mentors bescheren würde, denn der Direktor verlor an solchen festlichen Tagen gern viele Worte. Weitere zehn Minuten könnte er herausschlagen, sollte er sich seinerseits auf eine Konversation mit Albus einlassen. Den Rest der Zeit könnte er damit verbringen, sich am Büffet zu bedienen, denn niemand der Anwesenden würde es wagen das Wort an ihn zu richten, solange er etwas zu sich nahm. Die Verköstigung könnte er so lange hinauszögern, bis er sich um etwa fünf Minuten vor zwölf dem Zwang beugen müsste, ein Glas Hot Pint - einen Punsch aus Whisky, Eiern und Starkbier – entgegenzunehmen, welches er ungeduldig in der Hand halten würde, bis die Gästeschar völlig infantil die letzten zehn Sekunden bis Mitternacht laut und rückwärts mitzählen würde – oder leise mitsäuseln, wie eine angetrunkene Pomona es vor etlichen Jahren einmal getan hatte.
Danach würde es wie üblich ablaufen, dachte Severus. Anstoßen, Glückwünsche anhören – er selbst hatte nie welche verteilt –, zehn Minuten mit den anderen zusammen das Feuerwerk ansehen und die Gesellschaft heimlich verlassen, während die noch in den Himmel gaffte.
Niemand würde damit rechen, dass er sich doch noch zeigen würde; nicht mehr jetzt, wo Hermine sicherlich allen ausgerichtet haben musste, dass er nicht zum Mitgehen zu bewegen gewesen war. Das Überraschungsmoment gehörte voll und ganz ihm und er wollte ihn nutzen, um besonders seiner Schülerin zu beweisen, dass seine Handlungen nicht vorhersehbar waren, wie sie es ihm schon mehrmals hatte einreden wollen.
Ein weiterer Blick auf seine Uhr teilte ihm mit, dass er für seine Überlegungen ganze zehn Minuten benötigt hatte, was ihn ein wenig verblüffte, doch noch viel überraschter war er von sich selbst, als er sich bereits auf den Stufen befand, die nach oben ins Erdgeschoss führten.
In einer Festung in der Nähe von Clova fuhr sich noch vor Mitternacht Robert Hopkins mit flacher Hand über den Mund und als er etwas Schmieriges fühlte, da machte er Licht. Seine Finger hinterließen an dem Schalter der in gemütlichem Gelb scheinender Nachttischlampe einen roten Film, weswegen er seine Hand betrachtete. Sie war so voller Blut, dass sogar noch einige Tropfen auf das bereits befleckte Laken fielen.
„Du wirst ihnen völlig ausgeliefert sein“, sagte eine raue Stimme. Hopkins blickte zum Fußende und betrachtete weiter hinten das Bild seines Vorfahren, der sich den weißen Spitzenkragen zurechtzupfte, bevor er den im Bett Liegenden anblickte. Der Mann im Gemälde schien sehr besonnen. „Davon bin ich zumindest überzeugt.“
„Was meinen Sie?“, wollte Hopkins verwundert wissen. Eine Stimme hatte er schon einmal vernommen, aber dass sich der Mann in dem Gemälde nun auch bewegte ließ ihn glauben, er wäre noch nicht ganz erwacht.
„Du hast deine Aufgabe vernachlässigt!“ Matthew Hopkins nahm seinen schwarzen Filzhut ab und fuhr mit den Fingern über die aufgeschlagene Krempe, bevor er einmal seufzte. Tadelnd warf das Gemälde dem Rothaarigen vor: „Seit Monaten!“
„Es ist Winter“, verteidigte sich Robert, der über das ungewohnt viele Blut auf dem schneeweißen Kopfkissen genauso schockiert war wie über die Tatsache, dass ein Gemälde mit ihm sprach.
„Eine Ausrede ist das, weiter nichts“, zeterte der Mann im Bild. Robert nahm sich ein Stofftaschentuch vom Nachttisch, mit dem er an seiner Oberlippe rieb und war erschrocken, dass es noch immer blutete. Bisher war es nie so viel gewesen.
„Du kannst reiben und tupfen soviel du willst, es wird nicht weggehen, bevor du nicht den Übertäter erwischt hast!“ Robert fragte sich, ob er den Mann in dem Gemälde ungestraft ignorieren durfte, denn er wusste, dass ein Ölbild nicht sprechen konnte. Andererseits hatte er Arnold und Alex einmal über sprechende Gemälde der Zaubererwelt diskutieren hören und er wurde unsicher. Dieses Gemälde durfte nicht sprechen können, dachte Robert. Als hätte Matthew seine Gedanken gelesen, da sagte dieser auch schon: „Doch, ich kann reden, wie du hörst.“
Aufgescheucht verließ Robert sein Schlafzimmer, um ins Bad zu laufen. Der eiskalte Steinboden brannte ihm an den Fußsohlen, doch das hatte den Vorteil, dass er spätestens jetzt hellwach war. Sein Spiegelbild versetzte ihm einen weiteren Schock. Nicht nur sein Gesicht war komplett rot von dem Blut, das ihm während des Schlafens aus der Nase gelaufen war, sondern auch das Oberteil seines Pyjamas. Für einen winzigen Moment glaubte Robert, dass die Lebenssäfte seiner Opfer an ihm hafteten. In Panik riss er sich das Oberteil vom Körper und warf es in die Ecke. Mit zitternden Händen füllte er die Waschschüssel mit kaltem Wasser, griff nach einem Lappen und wusch sich angeekelt das viele Blut vom Leib.
Erst Minuten später, als er in dem angelaufenen Spiegel vor sich endlich sein sauberes Gesicht sehen konnte, da fühlte er sich ein wenig erleichtert. Zurück im Schlafzimmer betrachtete er das verschmutzte Bett. Er zögerte, bevor er die Wäsche entfernte und das Bett neu bezog.
„Und du glaubst…“ Robert drehte sich blitzschnell zu dem Gemälde um, welches abermals das Wort ergriffen zu haben schien, doch jetzt war es still. Ungläubig starrte er den unbeweglichen Mann an und er fragte sich, ob er sich das alles einbilden würde, doch da hörte er, wie Matthew Hopkins erneut begann: „Und du glaubst, dass du diese Belastung loswerden könntest, wenn du die verräterischen Zeichen verschwinden lässt?“
„Was wollen Sie von mir?“, fragte Robert eingeschüchtert.
„Du weißt es genau, bist immerhin genau wie ich. Man könnte meinen, wir sind ein und dieselbe Person, nicht wahr?“ Der Hexenjäger in dem Gemälde setzte seinen Filzhut wieder auf, rückte ihn in eine angenehme Position und streckte den Rücken, bevor er stolz verkündete: „In meiner allerersten Stadt habe ich neunzehn von ihnen erwischt, Robert!“ In Erinnerungen schwelgend gab Matthew preis: „Für die Arbeit dort habe ich 20 Pfund erhalten; das war mehr als ein durchschnittliches Jahresgehalt, mein Guter! Von Mal zu Mal, von Stadt zu Stadt habe ich mich gesteigert. Ich bin besser geworden, habe sie viel schneller ausmachen können unter dem gewöhnlichen Weibsvolk, wobei ich durchaus eine Zeitlang der Meinung war, jede Frau wäre eine Hexe.“
Ohne auch nur einmal zu blinzeln hatte Robert aufmerksam zugehört. Die verwirrende Situation konnte er trotzdem nicht begreifen, so sehr er sich auch anstrengte. Mit einer Hand befühlte seine Stirn, doch Fieber hatte er nicht.
Sein Vorfahre richtete abermals das Wort an ihn und die antiken Pinselstriche warfen ihm vor: „Du steigerst dich nicht! Ich hab es dir richtig vorgemacht, nun kannst du das Werk vollenden oder glaubst du, du wärst nur durch Zufall auf den Geschmack gekommen, in meine Fußstapfen zu treten? Es liegt dir im Blut!“
„Warum…?“ Robert räusperte sich, bevor er erneut ansetzte und fragte: „Warum können Sie sprechen?“ Flüsternd fügte er hinzu, als hätte er Angst gehört zu werden: „Das ist Hexerei…“
„Willst du mich verbrennen?“, stichelte Matthew. „Gerade mich, der dir ihre Schwachpunkte nennen kann?“
Die Verführung war groß, von einem erfolgreichen Hexenjäger einige Tipps bekommen zu können, dachte Robert, doch sich mit einem sprechenden Gemälde einzulassen wäre Verrat an sich selbst.
Dieser surreale Moment, den er gerade erlebte, schleuderte ihn gedanklich etliche Jahre in die Vergangenheit zurück und er sah sich selbst als sechzehnjährigen Schüler eines privaten Internats, in welchem er die beste Ausbildung genoss, die man sich für Geld kaufen konnte – seine Familie war steinreich; er war steinreich. Eines Tages hatte er zwei Kommilitonen belauscht, die über ihn geredet hatten. Seine Gedanken wurden jedoch unterbrochen, als er erneut die raue Stimme seines Vorfahren vernahm.
„In nur vierzehn Monaten habe ich 232 Hexen überführen können! Und du? Seit wann machst du das jetzt schon? Seit sechs Jahren, vielleicht sieben? Nicht einmal die ersten Hundert hast du voll!“ Der Hexenjäger schnaufte verachtend.
Erinnerungsfetzen an seine Internatszeit flammten erneut auf und er hörte seinen Geschichtslehrer klar und deutlich sagen, als stünde der direkt vor ihm: „In dem keinen Örtchen Manningtree hatte Matthew Hopkins im März 1644 angeblich einige Hexen belauscht, die sich mit dem Teufel treffen wollten. Die Hexenhysterie war noch ganz jung und man glaubte, etwas gegen die verteufelten Dinge unternehmen zu müssen. Besonders der junge Hopkins fühlte sich dazu berufen, gegen die dunklen Mächte in den Krieg zu ziehen – jedenfalls aus seiner Sicht der Dinge.“ Einige Mädchen, die an diesem Tag hinter Robert gesessen hatten, hatten ihr Kichern nicht unterdrücken können und so hatte er sich trotz seiner starken Kopfschmerzen, die ihn bereits einige Wochen begleiteten, zu ihnen umgewandt und sie gefragt, warum sie so albern wären.
„Ist das nicht dein ’Urur-was-weiß-ich-Großvater’? Sag bloß, du hast dich damit noch nie befasst?“ Die Mädchen kicherten erneut und hatten nicht bemerkt, wie es ihm eiskalt den Rücken hinuntergelaufen war.
Er musste erneut an die beiden Kommilitonen denken, die er belauscht hatte. Sie hatten über ihn hergezogen, über den Reichtum seiner Familie.
„Wenn du mich fragst, dann stammen die vollen Bankkonten von dem ganzen Geld, das dieser Typ für die Hexen bekommen hat“, hatte der Blonde gesagt.
„Du kannst doch aber nicht alle Generationen einer Familie verurteilen, nur weil einer der Vorfahren mal richtig Mist gebaut hat.“
„Mist gebaut? Hopkins war ein sadistischer Mörder und er hat das von der Regierung auch noch sehr gut bezahlt bekommen!“
In diesem Moment hatte Robert das seltsame Gefühl gehabt, die beiden würden über ihn reden. Der Schock über das Erfahrene hatte so tief gesessen, dass er all seinen Mut zusammengenommen hatte und nach der nächsten Stunde seinen Geschichtslehrer fragte, ob Matthew Hopkins tatsächlich einer seiner Vorfahren wäre.
„Warum recherchieren Sie in den Ferien nicht selbst, Mr. Hopkins?“, hatte sein Lehrer ihm abweisend geantwortet, doch den Ratschlag hatte er beherzigen wollen. Bei seiner Ahnenforschung war er auf die ganze Wahrheit gestoßen und die hatte ihn völlig aus dem Sattel geworfen. Die Kopfschmerzen, die während seiner Nachforschung immer häufiger aufgetreten waren, veranlassten ihn auch dazu, alte Bücher lesen, in denen die von Hexen angewandten Kräfte beschrieben wurden. Die Ernüchterung war groß gewesen, nachdem er über Schadenszauber gelesen hatte, denn da wusste er zum ersten Mal, dass es jemand auf ihn abgesehen hatte; jemand verhexte ihn aus der Ferne und zauberte ihm diese Kopfschmerzen herbei. Irgendeine Hexe musste darauf aufmerksam geworden sein, dass sein Vorfahre ein berüchtigter Hexenjäger gewesen war und er verdächtigte natürlich sofort die beiden Kommilitoninnen, die ihn deswegen im Unterricht auf den Arm genommen hatten.
Zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her schwankend verweilte sein Blick einen Moment lang auf dem Gemälde in seinem Schlafzimmer, als dieses von ihm wissen wollte: „Sag, wann genau hast du mit der Reinigung angefangen?“
„Ich…“ Robert musste kurz überlegen. Die Kopfschmerzen erschwerten es, einen klaren Gedanken fassen zu können. „Sieben oder acht Jahre sind es her…“
„Wer waren die Ersten gewesen?“, fragte der Hexenjäger.
„Mellie und Bianca.“ Die Mädchen aus dem Internat, die er etliche Jahre nach der Schulzeit überraschend aufgesucht hatte. „Ich war mir sicher, dass sie es gewesen waren, aber es hat danach nicht aufgehört.“ Mit ihrem Tod war der Kopfschmerz nicht verschwunden und auch nicht mit dem seines ehemaligen Geschichtslehrers.
„Ich sage dir, Robert, du wirst nicht ruhen, bis du alle erledigt hast.“
„Wie viele gibt es?“, fragte Robert unsicher nach, denn er hatte nicht die leiseste Ahnung.
’Wie viele gibt es?’, hatte sich der junge Robert auch damals schon gefragt, als er das erste Mal in seinem Leben in der Bibliothek einen Computer benutzt hatte, mit dessen Hilfe er im Internet nach Hexenvereinigungen suchte. Die Anzahl der Mitglieder, die heutzutage nicht einmal mehr Scheu davor hatten, sich öffentlich der Hexerei zu bekennen, war angsteinflössend hoch gewesen. ’Eine von denen muss es sein’, hatte Robert sich selbst eingeredet, doch um gegen diese gefährlichen Personen eine Chance haben zu können, benötigte er Verstärkung.
„Wen hast du an deiner Seite?“, fragte die Stimme aus dem Gemälde.
„Ein paar Männer und Frauen, etwas über zwanzig insgesamt“, antwortete Robert gewissenhaft, wenn auch eingeschüchtert.
Von oben herabblickend schüttelte Matthew verächtlich den Kopf. „Über zwanzig und dann hast du nicht einmal hundert Hexen dingfest machen können? Ich habe mit meinem guten Freund John und einigen“, Matthew lächelte verschmitzt, „’Assistentinnen’ in kürzerer Zeitspanne mehr geschafft als du mit über zwanzig Leuten. Ich sollte dir wirklich Tipps geben, wie du sie besser erkennen kannst.“
Noch immer davon schockiert, dass ein Mann in einem Gemälde mit ihm sprach, sagte er scheu: „Nein, das ist Hexerei; Sie dürften gar nicht sprechen können!“
„Überlege gut“, drohte Matthew zischend, „wen du hier der Hexerei beschuldigst!“
„Ich…“
Matthew fuhr ihm über den Mund. „Vielleicht ist es auch einfach ein Wunder, dass wir uns unterhalten können, obwohl uns Jahrhunderte trennen? Meine Familie war geachtet und gottesfürchtig! Mein Vater war ein angesehener Vikar in Great Wenham in Suffolk, meine Brüder hatten Stellungen inne, von denen andere Menschen ihr Leben lang träumten – einer war sogar Minister in South Fambridge!” Elegant hob Matthew eine Augenbraue, bevor er hinzufügte: „Und ich habe ihnen in Ruhm und Ansehen nachgeeifert; ich habe zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, denn ich hatte im Sinne meines Vaters gehandelt – Gott hab ihn selig – und im gleichen Atemzug mehr Geld als meine Geschwister verdient.”
„Es geht nicht ums Geld”, flüsterte Robert, „es geht um…” Mit einer Hand berührte er seinen Kopf, der erneut zu schmerzen begann.
„Vielleicht solltest du noch etwas schlafen und morgen, im neuen Jahr, machst du neue Pläne“, schlug Matthew vor und Robert, weil es in seinem Schädel so sehr pochte, kam dem Ratschlag liebend gern nach.
Der Steinboden hatte Roberts Füße vor Kälte schon ganz taub gemacht und so wickelte er besonders sie sorgsam in die Bettdecke ein, bevor er das Licht löschte, dabei einen Moment zögerte, weil ihn das Blut an dem Schalter anekelte.
159 Wahrscheinlichkeiten
„Geh schon vor, Sirius“, waren Remus’ Worte in der Bibliothek gewesen, nachdem Hermine gegangen war. „Ich komme gleich nach.“
Ungläubig hatte Sirius seinen Freund angestarrt, bevor er skeptisch und auch etwas ratlos fragte: „Was willst du von ihm?“
Es war offensichtlich gewesen, dass Remus noch einen Moment lang bei Severus bleiben wollte, der abseits von den beiden Männern weiterhin in den Regalen nach Büchern stöberte.
„Er sucht ein bestimmtes Buch und ich denke, ich habe da eine Idee.“ Mit einem ernsten Blick untermauernd machte er seinem Freund unmissverständlich klar: „Ich werde es ihm heraussuchen, danach komme ich zu Harry runter.“ Sirius schien nicht verstehen zu wollen, dass sein bester Freund Severus einen Gefallen tun wollte – aus freien Stücken –, was Sirius selbst nie tun würde.
Noch einen Moment den sprachlosen Sirius anblickend wandte Remus sich langsam von ihm ab, um hinten in der Verbotenen Abteilung eine bestimmte Ecke anzusteuern, die er durchstöbern wollte. Severus hatte ihn an sich vorbeigehen sehen, weshalb seine Hand, die gerade ein Buch aus einem der Regale gezogen hatte, wie versteinert ihre Bewegung einstellte. Ein Blick zum Eingang der Verbotenen Abteilung verwirrte Severus noch mehr, denn Sirius stand einen Augenblick lang aufgrund der Reaktion des anderen Rumtreibers erst fassungslos an der Gittertür, bevor er klein beigab und die Bibliothek wortlos verließ. Danach wagte Severus es, einen unauffälligen Blick in Remus’ Richtung zu werfen, um an Körperhaltung oder Gesichtsausdruck einen möglichen Grund für dessen unerwartete Anwesenheit entnehmen zu können, doch alles, was er an ihm ausmachen konnte, war der konzentrierte Blick auf die Buchtitel, während er langsam ein Regal abging. Fest hatte Severus damit gerechnet, dass beide Männer zusammen die Bibliothek verlassen würden. Mit seiner Vermutung so falsch gelegen zu haben ließ ihn daran zweifeln, noch immer über die hervorragende Beobachtungsgabe zu verfügen, die er in Zeiten der Spionage perfekt beherrscht hatte. Nur mit Mühe konnte Severus die Anwesenheit von Remus akzeptieren und sich wieder seiner Suche widmen, auch wenn sich ihm die Frage stellte, warum der Mann noch hier war.
Vierzig Minuten später erschrak Severus, als er eine Hand an seinem Oberarm spürte, die jedoch nur kurz verweilte, als würde sie genau wissen, dass so ein naher Kontakt nicht geduldet war.
„Du hast mich nicht gehört“, sagte Remus entschuldigend.
„Ich war wohl in die Titel vertief“, rechtfertigte sich Severus, aber in Wirklichkeit hatte sein Verstand die ganze Zeit über versucht, die Situation zu begreifen.
Remus hielt ihm ein Buch unter die Nase. „Hier, das war das Einzige, welches ich damals gefunden hatte.“
„Wo stand es?“
„Da hinten“, Remus deutete auf eine Reihe in der Nähe, in welcher eine durch Schatten schwarz gefärbte Lücke klaffte. „Es steht bei ’Magischen Wesen’, aber es behandelt zu siebzig Prozent tierische Gifte und Zaubertränke.“
Ein Blick aufs Inhaltsverzeichnis bestätigte Severus, dass es auch ein Kapitel über Corvinus Callidita beinhaltete.
„Sehen wir uns heute in der großen Halle?“, fragte Remus, der somit auf freundliche Weise deutlich machte, dass er jetzt gehen würde.
„Ich…“ Noch immer war Severus völlig aus dem Konzept, doch sein Sprachzentrum stellte ihm nach einem kurzen Moment wieder das gesamte Vokabular zur Verfügung. „Ich denke nicht, ich werde mich zurückziehen und lesen.“
Remus wirkte belustigt und zog seine Augenbrauen hinauf. „Ach tatsächlich?“, fragte Remus schmunzelnd nach, denn etwas Ähnliches hatte er heute schon einmal gehört.
„Tatsächlich!“, versicherte Severus in einem Tonfall, der seinem Gegenüber nahe legte, ihn nicht auf den Arm zu nehmen.
„Wie du meinst, Severus. Vielleicht schaust du dir vom Astronomieturm aus das Feuerwerk an? Albus hatte einiges bei den Zwillingen bestellt.“
Nach diesen Worten verließ Remus die Bibliothek und er schlenderte an seinen eigenen Räumlichkeiten vorbei, bevor er bei Hermine Halt machte. Er wollte sich bei ihr erkundigen, ob sie mit ihm mitkommen wollte oder es vorzog, lieber noch zu lesen, wie sie es vorhin gesagt hatte. Als Remus nach mehrmaligem Klopfen schon dachte, sie wäre womöglich längst bei Harry und Ginny, da öffnete sich die Tür.
„Merlin, Hermine…“ Er packte sie am Arm, weil sie schwächlich wirkte. „Du bist leichenblass! Setz dich erst einmal.“
„Mir geht es gut“, log sie ihm ins Gesicht und ihre zittrige Stimme tat nicht gerade etwas dazu bei, ihm diese geflunkerte Aussage als Wahrheit verkaufen zu können. Er führte sie zur Couch hinüber, doch sie versicherte währenddessen: „Mir geht es gut, Remus! Jetzt übertreib es mal nicht. Mir ist nur ein wenig kalt, aber sonst fühl ich mich bestens.“
Der Schock über den Inhalt des Buches schien sich in ihrem Gesicht abgezeichnet zu haben, vermutete sie. Es ging ihr gut, auch wenn sie ein wenig Herzklopfen hatte und sich ihr an einigen Stellen der Magen hatte umdrehen wollen.
Auf den Couchtisch blickend bemerkte Remus den in schwarzes Leder gebundenen Band, weswegen er Hermine eindringlich anschaute. „Ist es wegen dem Buch?“
„Nein, ich meine ja… irgendwie schon.“
„Hermine“, flehte Remus leise.
„Das Buch selbst ist ungefährlich, wenn du das meinst. Ich bin nicht von einem dunkelmagischen Fluch eingenommen, Remus. Es ist das, über was dort geschrieben wurde, das ich schwer ertragen kann.“
„Warum liest du es denn?“, forderte er als Antwort.
„Weil…“ Sie stoppte sich.
Selbst nach dem Grund suchend fiel sein Blick erneut auf das Buch, welches er gleich im Anschluss ergriff. Er las den Titel, schaute sie an und wiederholte fassungslos: „’Leib und Seele’? Was hast du da nur für Schund gefunden? Hermine, du solltest das wirklich nicht lesen.“ Er legte das Buch sachte auf den Tisch zurück.
Seinen Ratschlag verstehen wollend fragte sie: „Warum nicht?“
„Es ist nicht gut, solche Dinge zu wissen. Niemand sollte erfahren, wie es möglich ist, eine Seele zu spalten.“
Seine Aussage hielt ihr vor Augen, dass er etwas mehr darüber zu wissen schien, weswegen sie mutig fragte: „Weil man mit dem Wissen, das darin beschrieben ist, dazu in der Lage wäre Horkruxe herzustellen?“
„In erster Linie ja, aber das Schlimmste sind die aufgeführten Behandlungsmethoden. Es ist schon grauenvoll genug, von diesem dunklen Kapitel der Heiler-Ära überhaupt zu wissen, aber man muss nicht auch noch bis ins kleinste Detail in Erfahrung bringen, wie man solche verpönten ’Therapien’ durchzuführen hat. Reicht es nicht zu wissen, dass man damals bei Geisteskrankheiten geglaubt hatte, den Patienten heilen zu können, wenn man den kranken Teil der Seele einfach entfernt?“
Erschrocken holte Remus Luft, denn mit einem Male glaubte er zu wissen, warum Hermine dieses Buch lesen wollte.
„Du glaubst doch nicht etwa…?“, fragte er mit dünner Stimme.
Hermine klang sehr mitgenommen, als sie antwortete: „Ich befürchte es.“
Im ersten Moment hatte Remus das Buch nicht mit Severus’ Problem in Zusammenhang bringen können, doch auf einen Schlag ahnte er, dass Hermine mit ihrer Befürchtung richtig liegen könnte.
„Ich war immer der Meinung“, begann er zaghaft, als er das Buch betrachtete, „dass man die Tränke und Zaubersprüche zu diesen schrecklichen Therapien nicht kennen sollte, Hermine.“
„Woher weißt du davon?“
„Ich habe es einmal überflogen, als ich damals mit Arthur zusammen den Raum im Grimmauldplatz geöffnet hatte. Ich bin nur durch Zufall drauf gestoßen. Ich fand es faszinierend und abstoßen zugleich und ich verstehe vollkommen, warum das Ministerium nicht möchte, dass die Anleitung zu Tränken, die eine intakte, menschliche Seele verstümmeln können, für jedermann zugänglich ist.“
„Warum hat man damals überhaupt zu solchen Methoden gegriffen?“, fragte sie neugierig.
„Weil man es nicht besser wusste. Bei manchen Patienten schien es geholfen zu haben, aber der Heilerfolg war insgesamt so gering, dass die Praktizierenden sich den Vorwurf anhören mussten, sie wüssten nicht, was sie tun würden und das war auch so, Hermine. Einige haben damit einfach experimentiert, denn es war unmöglich, genau vorherzubestimmen, welcher Teil des Gemüts entfernt werden würde – ob es sich dabei um einen erkrankten handelte oder um einen gesunden.“
„Dann baut die Herstellung von Horkruxen auf diesen Behandlungsmethoden auf, nur dass der Teil der Seele auf einen Gegenstand übertragen wird, nachdem er herausgerissen wurde?“, hatte sie kombiniert.
„Es wäre möglich, dass es so ist, aber genau wird man es wohl nie erfahren. Ich kann nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob vor Voldemort schon einmal jemand ein Horkrux erschaffen hat, aber es ist sehr wahrscheinlich.“ Er seufzte und fügte leise hinzu: „Das sind Dinge, die man einfach nicht tut.“
Es verging ein seltsam angenehmer Moment, in welchem sich Remus und Hermine in die Augen blickten. In den seinen spiegelte sich plötzlich Erkenntnis wider.
„Glaubst du, Severus hat ein Horkrux erschaffen?“, fragte er vorsichtig.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das glaube ich nicht. Ich gehe davon aus, dass das, was er sucht, verloren ist.“
Sie sprachen nach ihrer laut ausgesprochenen Vermutung, die Hermine erst jetzt verdeutlichte, wie schlimm es um Severus’ Seelenleben stand, einen ganzen Moment nicht mehr, denn auch Remus schien von dieser desillusionierenden Aussage schockiert zu sein.
So vielen Fragen brannten ihm auf der Zunge, doch nur eine trat über seine Lippen, als er voller Hoffnungslosigkeit das Wort an Hermine richtete. „Du glaubst, man kann ihm nicht helfen?“
Sie blickte zu Boden, dann wieder Remus in die Augen, um seine Vermutung lediglich zu bejahen, wie sie es damals im Mungos häufig getan hatte, wenn sie auf die Frage eines Patienten geantwortet hatte, doch dieses Mal wollte sich das einfache „Ja“ nicht verbalisieren, denn sein Gesichtsausdruck bewegte sie zu sehr. Die eben erlangte Offenbarung, dass es für Severus keine Heilung zu geben schien, zeigte wenige Sekunden später nicht mehr nur bei Remus ihre volle Wirkung. Die Erkenntnis darüber, dass all ihre bisherigen Mühen vergeblich gewesen sein sollten, war für Hermine schwerer zu ertragen, als sie es für möglich gehalten hatte. Als sich auch noch die eigene Hoffnung von ihr entfernen wollte, da suchte sie verzweifelt nach etwas, um neue schöpfen zu können. Sie würde auf eigene Faust nach einer Heilung für Severus suchen. Es war immerhin einer ihrer Professoren gewesen, der ihr während ihrer Ausbildung gesagt hatte, als sie am Bett eines siebenundzwanzigjährigen Opfers eines magischen Duells gestanden und über sein fünfzehnjähriges Koma diskutiert hatten: „Man darf zeitweise ein wenig Abstand zum Patienten gewinnen. Man darf sogar eine Phase haben, in der man zu zweifeln beginnt“, der betagte Heiler hatte die Decke höher über Schultern des jungen Mannes gezogen und einmal dessen verkrampfte Hand gedrückt, „aber man darf niemals aufgeben.“
„Ich werde weitermachen.“ Der hoffnungslose Klang in ihrer Stimme gefiel ihr nicht, weswegen sie viel energischer zu Remus sagte, aber auch zu sich selbst, um sich davon zu überzeugen: „Ich werde weitersuchen und weiterbohren und ich werde alles erfahren, damit ich endlich anständige Aussagen habe, mit denen ich nach einer Heilung suchen kann. Ohne zu wissen, was genau geschehen ist, werde ich gar nichts erreichen.“
Sie musste Luft holen, denn sie hatte viel Kraft aufbringen müssen, um sich zu sagen, was sie tun müsste, denn auch wenn sie in ihrem Leben bereits allein Entscheidungen getroffen hatte, so hatte sie bisher in Bezug auf Severus immer die Notbremse gezogen. Ab jetzt, so schwor sie sich, würde sie den Zug mit Höchstgeschwindigkeit weiterfahren lassen und sie setzte all ihre Hoffnung darin, dass die Endstation keine Sackgasse sein würde.
„Wenn du Hilfe braucht, dann bin ich für dich da“, versicherte Remus. Der Ernst in seiner Stimme hatte diesen Worten, die häufig als Floskel verwendet wurden, jedwede heuchlerischen Absichten genommen. Um sein Angebot noch deutlicher zu machen, bot er an: „Wenn du Hilfe bei der Recherche brauchst – ich lese alles, ich habe ja jetzt Zeit.“
In diesem Moment kam ihr nicht in den Sinn nachzufragen, was er damit meinen würde, denn sein Angebot erleichterte sie; ließ sie weniger auf sich allein gestellt dastehen.
„Kommst du trotzdem mit zu Harry?“, fragte Remus warmherzig.
„Ich möchte noch ein wenig lesen.“ Er ahnte, dass sie nicht zur Ruhe kommen würde, sollte sie nicht erst das Buch gelesen haben. Endlich hatte sie etwas gefunden, das auf Severus’ Zustand wie die Faust aufs Auge passte und er konnte auch nachvollziehen, dass sie deswegen am heutigen Tag – Silvester – ganz andere Dinge im Kopf hatte.
„Vielleicht später?“
„Ich komme ganz sicher vorbei, Remus, versprochen!“ Sie lächelte ihn dankbar an, bevor er sich verabschiedete.
Den ganzen Weg über hatte Remus nur den Gedanken an diese grauenvollen Gemütsverstümmelungen im Kopf, die in dem Buch „Leib und Seele“ behandelt wurden. Die Möglichkeit in Betracht ziehen zu müssen, dass Severus wahrscheinlich an einer entstalteten Seele aufgrund eines solch unmenschlichen Trankes leiden könnte, erschütterte ihn, aber es erklärte auch so vieles.
Die frohe und ausgelassene Stimmung, die ihm entgegenschlug, nachdem Harry ihm die Tür geöffnet hatte, schien für ihn wie ein emotionaler Schock.
„Alles in Ordnung, Remus?“ Harry schien etwas bemerkt zu haben, doch ein Nicken hatte ihm als Antwort genügt, so dass er nicht nachhakte, sondern im Anschluss nur noch wissen wollte: „Wo ist Hermine?“
„Sie kommt später.“
Sirius hatte Remus’ Antwort vernommen und warf schelmisch erbost ein: „Was denn? Möchte sie etwa noch lesen?“ Es klang fast so, als würde Hermine etwas Schlimmes tun. „Wenn ihr mich fragt, dann nimmt sie sich viel zu viel von ihm an.“
Der Aussage stimmte Harry innerlich zu, denn es war eine Sache, wenn Severus sich an einem Tag wie heute zurückziehen wollte – das war eben Severus –, doch seine Hermine hatte das nie getan. Freunde waren ihr immer wichtiger gewesen als Bücher.
„Ich werde sie holen“, sagte Harry bestimmend, doch Remus hielt ihn auf.
„Nein, lass sie noch einen Mom….“
Mit übertönender Lautstärke ermutigte Sirius seinen Patensohn. „Ja, hol sie her, Harry! Das Buch wird schon nicht wegrennen.“
Während Fellini ihr um die Beine strich und laut schnurrte, sackte Hermine wie erschlagen auf der Couch zusammen, nachdem sie einen Absatz über einen bestimmten Trank gelesen hatte. Der Grundtrank war in diesem Kapitel behandelt worden: ein Gebräu, das für die Spaltung der gesunden Seele verantwortlich war. Die Auswirkung des Trankes, wie sich erst viel später herausgestellt haben musste, war weder mit zusätzlichen Trankzutaten noch mit Zaubersprüchen zu steuern. Somit war es nicht möglich gewesen, ganz gezielt bestimmte Bereiche zu entfernen, die man für erkrankt und unheilbar hielt.
Vor ihrem geistigen Auge manifestierte sich aufgrund dieser Beschreibungen das Bild von einigen Chirurgen, die mit Skalpellen auf den auf dem Operationstisch liegend Patienten warfen, um einen Tumor zu entfernen, dessen Lage sie nicht einmal genau hatten bestimmen können – der Trank machte sich an der Seele genauso unpräzise zu schaffen.
Sie erinnerte sich an das, was Severus gesagt hatte: „Auf das Wesen und das Empfinden; auf all das, was einen Menschen ausmacht, darf man nicht einwirken, denn das sind Gebiete, die sich uns noch nicht erschlossen haben.“
Severus selbst hatte von einem „kleinen Überbleibsel“ gesprochen, welches er noch innehatte und manchmal auflodern würde. Allein diese Aussage gab Hermine wieder Hoffnung, denn wenn etwas loderte, dann könnte es eines Tages genauso gut in Flammen aufgehen und das wollte sie unbedingt erreichen – das war ihr neues Ziel –, aber vorweg musste sie alles über ihn in Erfahrung bringen; musste sie Severus zum Reden bringen, denn sie hatte genug davon, im Dunkeln zu tappen. Sie brauchte Details, damit ihre grauen Zellen etwas zum Arbeiten haben würden.
„Hermine?“, fragte Harry leise, doch sie war trotzdem zusammengefahren.
„Harry, was tust du denn hier?“ Sie wirkte auf ihn sehr mitgenommen, als würde ihr etwas das Leben schwer machen.
„Du hast mein Klopfen nicht gehört.“ Er schloss die Tür hinter sich und näherte sich seiner auf der Couch sitzenden Freundin, blieb jedoch vor ihr stehen und sagte ein wenig beleidig klingend: „Warum liest du, wenn du stattdessen bei uns sein kannst?“
„Harry, ich…“ Sie blickte ihn mit treuen Hundeaugen an und seufzte. Der Ernst der Lage war herauszuhören, als sie ihm leise anvertraute: „Ich habe es gefunden, Harry, ich bin mir ganz sicher!“ Er legte seine Stirn in Falten, so dass sie erklärte: „Das mit Severus. Ich weiß, was er getan haben muss.“
Sein Blick fiel auf das Buch in ihrem Schoß. „Darf ich mal?“
Nachdem sie ihm das aufgeschlagene Buch gereicht hatte, ließ er sich neben ihr nieder und las die beiden Seiten, die sie ihm gezeigt hatte.
„Es…“ Er stockte, denn er wollte es nicht laut aussprechen, weil es dann Realität werden würde, doch er gab sich einen Ruck. „Es gibt keine Heilung.“ Das niederschmetternde Gefühl der Enttäuschung machte sich nun auch in ihm breit und er konnte erahnen, wie es Hermine im Augenblick ergehen musste.
„Man kann es nicht rückgängig machen, damit liegst du richtig, aber das heißt nicht, dass es nicht eine andere Möglichkeit geben könnte.“
„Weißt du“, begann Harry mit einem Kloß im Hals, „wie viel ihm fehlt?“
Sie schüttelte den Kopf, bevor sie vermutete: „Ich gehe davon aus, dass nur noch ein winziger Rest übrig ist.“
„Warum bist du so sicher, dass das“, er hob das Buch in seinem Schoß an, „die Antwort sein soll?“
„Als er den Titel im Vorübergehen gelesen hatte…“ Sie erinnerte sich daran, wie Severus’ Finger gezittert hatten. „Das hättest du sehen müssen, Harry. Seine Reaktion hatte Bände gesprochen und deswegen habe ich das Buch auf gut Glück mitgenommen. Ich habe nur mit einem weiteren, versteckten Hinweis gerechnet, aber dass ich einen so eindeutigen Treffer landen würde, das hat mich umgehauen.“
„Aber warum um alles in der Welt soll er das getan haben?“, wollte Harry wissen, denn er war sich sicher, dass es keine Situation in seinem Leben geben könnte, die ihn zu so einer Selbstverstümmelung ermutigen könnte.
Sie hob und senkte die Schultern. „Ich werde das noch herausfinden müssen. Ich muss auch wissen, ob er an dem Trank etwas verändert hat.“ Sie seufzte.
„Das wird er dir nie erzählen, Hermine.“
„Ich weiß…“ Den kapitulierenden Klang in ihrer Stimme machte sie wieder wett, als sie anfügte: „Ich werde ihn provozieren müssen.“
Sanft schloss Harry das Buch, bevor er es auf den Tisch legte und sich danach, mit einem Arm um Hermines Schultern gelegt, gemütlich zurücklehnte. Einen Moment verweilten sie so, beide in Gedanken vertieft, bis Harry ermutigend ihre Schulter drückte.
„Ich mache dir einen Vorschlag: Wir beide gehen jetzt runter, haben eine schöne Zeit und rutschen nachher gemeinsam mit unseren Freunden ins neue Jahr“, sie wollte schon Einspruch einlegen, doch Harry verbat sich jede Unterbrechung, „und morgen, da werden wir das Buch zusammen lesen!“
Seine Entschlossenheit machte sie einen Moment lang sprachlos, bis sie sich gefangen hatte und nachfragte: „Du willst das Buch mit mir zusammen lesen?“
„Natürlich! Du musst mir danach nur sagen, was ich tun muss, um dir zu helfen. Ich bin ab jetzt wieder mit an Bord, Hermine. Ich helfe dir sogar, wenn du einen Trank brauen willst oder ich werde versuchen, etwas aus Severus herauszubekommen, du musst es mir nur sagen.“
Bereits Remus’ Hilfsangebot hatte ihr einen Lichtblick beschert, doch Harrys Worte gaben ihr tatsächlich wieder eine Perspektive.
Sie lächelte ihm dankend zu und nickte. „Dann lass uns heute feiern.“ Wehmütig klang sie noch immer.
Als Hermine und Harry das Wohnzimmer betraten, wurden sie herzlich von Anne begrüßt, die in der Zwischenzeit zum vereinbarten Zeitpunkt von Sirius abgeholt worden war.
„Sag mal“, begann Sirius an Remus gerichtet, „wo ist Tonks?“
„Die kommt später nach“, erwiderte Remus. „Wir hatten keine Pläne gemacht. Erstens sind ihre Eltern noch immer im Urlaub und zweitens muss sie in diesem Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr arbeiten.“
„’Zwischen’ ist gut“, warf Harry amüsiert ein. „Soviel ich weiß, musste sie auch direkt an Weihnachten arbeiten und ich denke, jetzt in diesem Moment wird sie auch noch im Ministerium hocken.“
Remus nickte, während er eine Luftschlange mit seinen Fingern in Einzelteile zerpflückte. „Ja, aber dafür hat sie bereits fürs nächste Jahr den Urlaub bewilligt bekommen. Jeder muss mal ran und in diesem Jahr waren es unter anderem Kingsley und Tonks. Sie weiß nicht, wann sie Feierabend machen kann, deswegen konnten wir für heute auch nichts planen.“ Remus blickte zu Anne hinüber und fragte: „Und ihr beide? Ihr hattet doch sicherlich auch nichts vor, wenn ihr so kurzfristig bei Harry zugesagt habt.“
„Mitnichten“, sagte Sirius, während Anne einen Flunsch zog, was ihn ein wenig traurig zu stimmen schien. „Wir hatten Pläne! Wir wollten bei Annes Mutter feiern, aber dann kam auch noch die Einladung von ihrem Vater und als der gehört hat, dass…“
Anne unterbrach und erklärte für alle: „Meine Eltern verstehen sich nicht besonders und mein Vater fühlte sich gekränkt, weil ich zu meiner Mutter gehen wollte. Ich hab daraufhin meine Mutter angerufen und ihr gesagt, dass Sirius und ich zu ihr kommen würden, später aber noch zu Dad gehen wollten, weswegen sie sauer geworden ist.“ Sie machte eine ratlose Geste mit ihren Händen. „Ich habe von diesen Kindereien die Nase voll und habe beiden absagt – das war gestern gewesen. Ich hoffe, ich habe damit irgendwie ein Zeichen setzen können, denn ich will mich nicht zwischen den beiden entscheiden müssen.“
„Das ist schade, dass das der Grund ist“, sagte Remus ehrlich, „aber ich freue mich sehr, dass ihr hier seid!“
„Meine Eltern“, begann Ginny, „sind dieses Jahr in Rumänien. Ron und Angelina sind mitgefahren, um mit Charlie zu feiern. Er will nächstes Jahr aber herkommen, hat er gesagt.“ Ihre Augen glänzten, denn Silvester mit all ihren Brüdern war bisher immer eine wahre Pracht.
Fernab jeglichen Zusammenseins las Severus allein in seinem Wohnzimmer den Abschnitt über Callidita und dessen Experimente mit dem Gift eines Basilisken, welches sich als hilfreiche Zutat in einigen Heiltränken hatte beweisen können. Es fanden sich sehr genaue Angaben in dem Buch, wie viel Rückstände im Blut zurückbleiben würden, woraus er – wenn er das unregelmäßige und kurzzeitige Erwachen der Patientin und damit den geringen Abbau mit einbezog – errechnen konnte, wie groß die Menge des Toxins in dem Trank gewesen sein musste, mit dem Pansy Parkinson vergiftet worden war.
Hermines Kopien beäugend las er parallel nochmals die Zutaten, die man in Schlafes Bruder verwendete. Anhand der Größe der an Miss Parkinsons Schulter begutachteten Wunde, an der damals der Trank in den Körper eingedrungen sein musste, ermittelte er, wie viel von diesem unheilvollen Gebräu an dem Stichwerkzeug gehaftet haben musste. Das zusätzliche Gift, wie Severus herausfand, war sehr wahrscheinlich für das nicht vorhersehbare Erwachen der Patientin verantwortlich, denn die Wirkung von Schlafes Bruder war lediglich jene, dass der Körper wie tot schien.
Ohne es zu wissen hatte Bellatrix mit ihrem modifizierten Trank gleichzeitig auch auf das Gegenmittel hingewiesen. Es war das Basiliskengift, welches die Wirkung von Schlafes Bruder aufzuheben vermochte; die magische Lähmung sogar heilen könnte. Die im Körper der jungen Frau vorhandene Menge war jedoch viel zu gering, um erfolgreich auf das Nervensystem einwirken zu können, damit die Blockierung durch Schlafes Bruder aufgehoben werden konnte. Stattdessen erwachte der Körper nur kurz aus seiner Starre und gaukelte Genesung vor, bevor Schlafes Bruder gegen den minimalen Anteil des Basiliskengifts erneut die Überhand gewann und das Opfer zurück in die Todesstarre versetzte.
Auf dem Stichwerkzeug – vermutlich der Klinge eines kleinen Messers – musste ein sehr dünner Film des Trankes gehaftet haben, was nur wenige Tropfen ausmachen würde, doch die Menge hatte ausgereicht, um Miss Parkinson außer Gefecht zu setzen. Severus war davon überzeugt, dass er für das Gegenmittel mit kleinsten Dosen des Basiliskengiftes hantieren müsste, die sich im Bereich Mikroliter bewegte, sehr wahrscheinlich sogar im Nanoliter-Bereich.
Erleichtert war Severus, dass Callidita sogar die „letale Dosis“ – die Giftmenge, die die tödliche Dosis für ein Lebewesen ausmachte – in Tierversuchen ermittelt hatte. Mit einem Male musste er an Hermine denken, denn er war sich sicher, dass sie über die beschriebenen Versuche am Tier nicht sehr erfreut sein würde. Natürlich waren Experimente an elefantengroßen Abraxanern nur ein kleiner Anhaltspunkt, doch zumindest hatte er damit überhaupt ein Ergebnis, mit dem er arbeiten konnte. Bei Gelegenheit müsste er noch das Gewicht und die Größe der Patientin in Erfahrung bringen, denn nur so könnte er berechnen, welche Dosis für sie nicht mehr tödlich sein würde.
Viele Schüler verabscheuten an dem Fach „Zaubertränke“ eine ganz bestimmte Sache und das war das Rechnen, doch wenn man mit Mengenangaben konfrontiert war, dann kam man nicht darum herum, früher oder später auch Mathematik anzuwenden.
Konzentriert berechnete er die mögliche Menge des Giftes, die Schlafes Bruder hinzugefügt worden sein musste, als sich plötzlich die Tür zu seinen Gemächern öffnete. Erstaunt blickte er auf.
Zögerlich näherte sich Hermine ein paar Schritte: „Severus, ich…“
„Hermine, es wird Sie hoffentlich freuen zu hören“, fiel er ihr ins Wort, „dass ich die Lösung gefunden habe.“
Sie lächelte zaghaft. „Ich wünschte, ich könnte das Gleiche von mir behaupten.“
Ihre Worte trafen ihn völlig unerwartet. Gerade eben hatte er noch einen Triumph in seiner Brust verspüren können, der einem Tränkemeister seines Kalibers nicht mehr allzu häufig vergönnt war, denn die unerforschten Gebiete, auf denen sich erfahrene Meister bewegten, verwehrten einem oftmals den Erfolg. Ihre niedergeschlagen klingenden Worte hatten seinem Hochgefühl einen mächtigen Dämpfer versetzt. Doch anstatt, wie er befürchtete, auf das Buch angesprochen zu werden, welches sie hatte mitgehen lassen, sagte sie: „Es ist schon elf durch. Wir sind jetzt alle in der großen Halle und ich dachte, Sie würden vielleicht auch kommen, damit wir anstoßen können.“
„Ich habe zu tun“, redete er sich heraus.
Weil sie daraufhin nichts erwiderte, widmete er sich wieder seiner Berechnung, um ihr mit Taten vor Augen zu halten, dass er nicht gelogen hatte. Das Einzige, das zu hören war, war das kratzende Geräusch seiner Feder.
Einen Moment später blickte er auf und es erstaunte ihn, sie noch immer an seiner Tür stehen zu sehen.
„Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie behilflich sein?“, fragte er spöttisch.
„Albus und Harry hoffen auch, dass Sie kommen werden.“
„’Auch’? Wer hofft es denn noch?“ Er widmete sich wieder seinen Unterlagen, um deutlich zu machen, dass er nicht motiviert war, einer albernen Festlichkeit beizuwohnen.
„Ich“, war ihre knappe Antwort gewesen.
Wenn er ihr so leicht eine Freude machen könnte, dann sollte er vielleicht mitgehen, dachte sich Severus, doch entgegen seiner Gedanken sagte er abweisend: „Wie ich bereits sagte, habe ich zu tun. Ich bin mir sicher, dass Miss Parkinson sowie Mr. Zabini und deren reizender kleiner Lockenkopf mich einvernehmlich dazu anhalten würden, mit meiner Arbeit weiterzumachen, anstatt mich an alkoholischen Getränken zu laben, bis man sich an Mitternacht gegenseitig ’Ein glückliches neues Jahr!’ ins Ohr lallt und im Anschluss sein Trommelfell einem ohrenbetäubenden Feuerwerk aussetzt.“
„Aber es ist Silvester!“
„Dieses Fest wird – wie andere auch – völlig überbewertet. Gehen Sie jetzt bitte, Hermine. Ich wünsche Ihnen von mir aus viel Spaß mit Ihren Freunden, aber erwarten Sie nicht von mir, dass ich die Arbeit ruhen lassen werde, die für mich momentan wesentlich interessanter ist!“
„Sie zählen auch zu meinen Freunden“, machte sie ihm mit enttäuschter Stimme klar, bevor sie nachgab und ihn allein ließ.
Nachdem sie gegangen war, verfluchte er sie, denn mit einem Male war er nicht mehr bei der Sache. Die eigenen Berechnungen auf dem Pergament vor sich sahen wie chinesische Schriftzeichen aus, die er nicht mehr zu entziffern in der Lage war. Vielleicht, dachte Severus, sollte er damit lieber am nächsten Tag weitermachen, denn immerhin musste er sehr genau arbeiten, um Miss Parkinson nicht einer vermeidbaren Gefahr auszusetzen. Den Mangel an Konzentration schob er auf die vorangeschrittene Uhrzeit. Ein Blick auf seine Standuhr verriet, dass es zwanzig nach elf war.
Durch seine vorangegangene Arbeit an Zahlen denkend rechnete sich Severus aus, dass er nicht einmal drei Minuten benötigen würde, um in die große Halle zu gelangen. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent würde er nach Betreten der Halle auf der Stelle ganz herzlich von Albus begrüßt werden, was ihm voraussichtlich zehn Minuten in der sicheren Obhut seines Mentors bescheren würde, denn der Direktor verlor an solchen festlichen Tagen gern viele Worte. Weitere zehn Minuten könnte er herausschlagen, sollte er sich seinerseits auf eine Konversation mit Albus einlassen. Den Rest der Zeit könnte er damit verbringen, sich am Büffet zu bedienen, denn niemand der Anwesenden würde es wagen das Wort an ihn zu richten, solange er etwas zu sich nahm. Die Verköstigung könnte er so lange hinauszögern, bis er sich um etwa fünf Minuten vor zwölf dem Zwang beugen müsste, ein Glas Hot Pint - einen Punsch aus Whisky, Eiern und Starkbier – entgegenzunehmen, welches er ungeduldig in der Hand halten würde, bis die Gästeschar völlig infantil die letzten zehn Sekunden bis Mitternacht laut und rückwärts mitzählen würde – oder leise mitsäuseln, wie eine angetrunkene Pomona es vor etlichen Jahren einmal getan hatte.
Danach würde es wie üblich ablaufen, dachte Severus. Anstoßen, Glückwünsche anhören – er selbst hatte nie welche verteilt –, zehn Minuten mit den anderen zusammen das Feuerwerk ansehen und die Gesellschaft heimlich verlassen, während die noch in den Himmel gaffte.
Niemand würde damit rechen, dass er sich doch noch zeigen würde; nicht mehr jetzt, wo Hermine sicherlich allen ausgerichtet haben musste, dass er nicht zum Mitgehen zu bewegen gewesen war. Das Überraschungsmoment gehörte voll und ganz ihm und er wollte ihn nutzen, um besonders seiner Schülerin zu beweisen, dass seine Handlungen nicht vorhersehbar waren, wie sie es ihm schon mehrmals hatte einreden wollen.
Ein weiterer Blick auf seine Uhr teilte ihm mit, dass er für seine Überlegungen ganze zehn Minuten benötigt hatte, was ihn ein wenig verblüffte, doch noch viel überraschter war er von sich selbst, als er sich bereits auf den Stufen befand, die nach oben ins Erdgeschoss führten.
In einer Festung in der Nähe von Clova fuhr sich noch vor Mitternacht Robert Hopkins mit flacher Hand über den Mund und als er etwas Schmieriges fühlte, da machte er Licht. Seine Finger hinterließen an dem Schalter der in gemütlichem Gelb scheinender Nachttischlampe einen roten Film, weswegen er seine Hand betrachtete. Sie war so voller Blut, dass sogar noch einige Tropfen auf das bereits befleckte Laken fielen.
„Du wirst ihnen völlig ausgeliefert sein“, sagte eine raue Stimme. Hopkins blickte zum Fußende und betrachtete weiter hinten das Bild seines Vorfahren, der sich den weißen Spitzenkragen zurechtzupfte, bevor er den im Bett Liegenden anblickte. Der Mann im Gemälde schien sehr besonnen. „Davon bin ich zumindest überzeugt.“
„Was meinen Sie?“, wollte Hopkins verwundert wissen. Eine Stimme hatte er schon einmal vernommen, aber dass sich der Mann in dem Gemälde nun auch bewegte ließ ihn glauben, er wäre noch nicht ganz erwacht.
„Du hast deine Aufgabe vernachlässigt!“ Matthew Hopkins nahm seinen schwarzen Filzhut ab und fuhr mit den Fingern über die aufgeschlagene Krempe, bevor er einmal seufzte. Tadelnd warf das Gemälde dem Rothaarigen vor: „Seit Monaten!“
„Es ist Winter“, verteidigte sich Robert, der über das ungewohnt viele Blut auf dem schneeweißen Kopfkissen genauso schockiert war wie über die Tatsache, dass ein Gemälde mit ihm sprach.
„Eine Ausrede ist das, weiter nichts“, zeterte der Mann im Bild. Robert nahm sich ein Stofftaschentuch vom Nachttisch, mit dem er an seiner Oberlippe rieb und war erschrocken, dass es noch immer blutete. Bisher war es nie so viel gewesen.
„Du kannst reiben und tupfen soviel du willst, es wird nicht weggehen, bevor du nicht den Übertäter erwischt hast!“ Robert fragte sich, ob er den Mann in dem Gemälde ungestraft ignorieren durfte, denn er wusste, dass ein Ölbild nicht sprechen konnte. Andererseits hatte er Arnold und Alex einmal über sprechende Gemälde der Zaubererwelt diskutieren hören und er wurde unsicher. Dieses Gemälde durfte nicht sprechen können, dachte Robert. Als hätte Matthew seine Gedanken gelesen, da sagte dieser auch schon: „Doch, ich kann reden, wie du hörst.“
Aufgescheucht verließ Robert sein Schlafzimmer, um ins Bad zu laufen. Der eiskalte Steinboden brannte ihm an den Fußsohlen, doch das hatte den Vorteil, dass er spätestens jetzt hellwach war. Sein Spiegelbild versetzte ihm einen weiteren Schock. Nicht nur sein Gesicht war komplett rot von dem Blut, das ihm während des Schlafens aus der Nase gelaufen war, sondern auch das Oberteil seines Pyjamas. Für einen winzigen Moment glaubte Robert, dass die Lebenssäfte seiner Opfer an ihm hafteten. In Panik riss er sich das Oberteil vom Körper und warf es in die Ecke. Mit zitternden Händen füllte er die Waschschüssel mit kaltem Wasser, griff nach einem Lappen und wusch sich angeekelt das viele Blut vom Leib.
Erst Minuten später, als er in dem angelaufenen Spiegel vor sich endlich sein sauberes Gesicht sehen konnte, da fühlte er sich ein wenig erleichtert. Zurück im Schlafzimmer betrachtete er das verschmutzte Bett. Er zögerte, bevor er die Wäsche entfernte und das Bett neu bezog.
„Und du glaubst…“ Robert drehte sich blitzschnell zu dem Gemälde um, welches abermals das Wort ergriffen zu haben schien, doch jetzt war es still. Ungläubig starrte er den unbeweglichen Mann an und er fragte sich, ob er sich das alles einbilden würde, doch da hörte er, wie Matthew Hopkins erneut begann: „Und du glaubst, dass du diese Belastung loswerden könntest, wenn du die verräterischen Zeichen verschwinden lässt?“
„Was wollen Sie von mir?“, fragte Robert eingeschüchtert.
„Du weißt es genau, bist immerhin genau wie ich. Man könnte meinen, wir sind ein und dieselbe Person, nicht wahr?“ Der Hexenjäger in dem Gemälde setzte seinen Filzhut wieder auf, rückte ihn in eine angenehme Position und streckte den Rücken, bevor er stolz verkündete: „In meiner allerersten Stadt habe ich neunzehn von ihnen erwischt, Robert!“ In Erinnerungen schwelgend gab Matthew preis: „Für die Arbeit dort habe ich 20 Pfund erhalten; das war mehr als ein durchschnittliches Jahresgehalt, mein Guter! Von Mal zu Mal, von Stadt zu Stadt habe ich mich gesteigert. Ich bin besser geworden, habe sie viel schneller ausmachen können unter dem gewöhnlichen Weibsvolk, wobei ich durchaus eine Zeitlang der Meinung war, jede Frau wäre eine Hexe.“
Ohne auch nur einmal zu blinzeln hatte Robert aufmerksam zugehört. Die verwirrende Situation konnte er trotzdem nicht begreifen, so sehr er sich auch anstrengte. Mit einer Hand befühlte seine Stirn, doch Fieber hatte er nicht.
Sein Vorfahre richtete abermals das Wort an ihn und die antiken Pinselstriche warfen ihm vor: „Du steigerst dich nicht! Ich hab es dir richtig vorgemacht, nun kannst du das Werk vollenden oder glaubst du, du wärst nur durch Zufall auf den Geschmack gekommen, in meine Fußstapfen zu treten? Es liegt dir im Blut!“
„Warum…?“ Robert räusperte sich, bevor er erneut ansetzte und fragte: „Warum können Sie sprechen?“ Flüsternd fügte er hinzu, als hätte er Angst gehört zu werden: „Das ist Hexerei…“
„Willst du mich verbrennen?“, stichelte Matthew. „Gerade mich, der dir ihre Schwachpunkte nennen kann?“
Die Verführung war groß, von einem erfolgreichen Hexenjäger einige Tipps bekommen zu können, dachte Robert, doch sich mit einem sprechenden Gemälde einzulassen wäre Verrat an sich selbst.
Dieser surreale Moment, den er gerade erlebte, schleuderte ihn gedanklich etliche Jahre in die Vergangenheit zurück und er sah sich selbst als sechzehnjährigen Schüler eines privaten Internats, in welchem er die beste Ausbildung genoss, die man sich für Geld kaufen konnte – seine Familie war steinreich; er war steinreich. Eines Tages hatte er zwei Kommilitonen belauscht, die über ihn geredet hatten. Seine Gedanken wurden jedoch unterbrochen, als er erneut die raue Stimme seines Vorfahren vernahm.
„In nur vierzehn Monaten habe ich 232 Hexen überführen können! Und du? Seit wann machst du das jetzt schon? Seit sechs Jahren, vielleicht sieben? Nicht einmal die ersten Hundert hast du voll!“ Der Hexenjäger schnaufte verachtend.
Erinnerungsfetzen an seine Internatszeit flammten erneut auf und er hörte seinen Geschichtslehrer klar und deutlich sagen, als stünde der direkt vor ihm: „In dem keinen Örtchen Manningtree hatte Matthew Hopkins im März 1644 angeblich einige Hexen belauscht, die sich mit dem Teufel treffen wollten. Die Hexenhysterie war noch ganz jung und man glaubte, etwas gegen die verteufelten Dinge unternehmen zu müssen. Besonders der junge Hopkins fühlte sich dazu berufen, gegen die dunklen Mächte in den Krieg zu ziehen – jedenfalls aus seiner Sicht der Dinge.“ Einige Mädchen, die an diesem Tag hinter Robert gesessen hatten, hatten ihr Kichern nicht unterdrücken können und so hatte er sich trotz seiner starken Kopfschmerzen, die ihn bereits einige Wochen begleiteten, zu ihnen umgewandt und sie gefragt, warum sie so albern wären.
„Ist das nicht dein ’Urur-was-weiß-ich-Großvater’? Sag bloß, du hast dich damit noch nie befasst?“ Die Mädchen kicherten erneut und hatten nicht bemerkt, wie es ihm eiskalt den Rücken hinuntergelaufen war.
Er musste erneut an die beiden Kommilitonen denken, die er belauscht hatte. Sie hatten über ihn hergezogen, über den Reichtum seiner Familie.
„Wenn du mich fragst, dann stammen die vollen Bankkonten von dem ganzen Geld, das dieser Typ für die Hexen bekommen hat“, hatte der Blonde gesagt.
„Du kannst doch aber nicht alle Generationen einer Familie verurteilen, nur weil einer der Vorfahren mal richtig Mist gebaut hat.“
„Mist gebaut? Hopkins war ein sadistischer Mörder und er hat das von der Regierung auch noch sehr gut bezahlt bekommen!“
In diesem Moment hatte Robert das seltsame Gefühl gehabt, die beiden würden über ihn reden. Der Schock über das Erfahrene hatte so tief gesessen, dass er all seinen Mut zusammengenommen hatte und nach der nächsten Stunde seinen Geschichtslehrer fragte, ob Matthew Hopkins tatsächlich einer seiner Vorfahren wäre.
„Warum recherchieren Sie in den Ferien nicht selbst, Mr. Hopkins?“, hatte sein Lehrer ihm abweisend geantwortet, doch den Ratschlag hatte er beherzigen wollen. Bei seiner Ahnenforschung war er auf die ganze Wahrheit gestoßen und die hatte ihn völlig aus dem Sattel geworfen. Die Kopfschmerzen, die während seiner Nachforschung immer häufiger aufgetreten waren, veranlassten ihn auch dazu, alte Bücher lesen, in denen die von Hexen angewandten Kräfte beschrieben wurden. Die Ernüchterung war groß gewesen, nachdem er über Schadenszauber gelesen hatte, denn da wusste er zum ersten Mal, dass es jemand auf ihn abgesehen hatte; jemand verhexte ihn aus der Ferne und zauberte ihm diese Kopfschmerzen herbei. Irgendeine Hexe musste darauf aufmerksam geworden sein, dass sein Vorfahre ein berüchtigter Hexenjäger gewesen war und er verdächtigte natürlich sofort die beiden Kommilitoninnen, die ihn deswegen im Unterricht auf den Arm genommen hatten.
Zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her schwankend verweilte sein Blick einen Moment lang auf dem Gemälde in seinem Schlafzimmer, als dieses von ihm wissen wollte: „Sag, wann genau hast du mit der Reinigung angefangen?“
„Ich…“ Robert musste kurz überlegen. Die Kopfschmerzen erschwerten es, einen klaren Gedanken fassen zu können. „Sieben oder acht Jahre sind es her…“
„Wer waren die Ersten gewesen?“, fragte der Hexenjäger.
„Mellie und Bianca.“ Die Mädchen aus dem Internat, die er etliche Jahre nach der Schulzeit überraschend aufgesucht hatte. „Ich war mir sicher, dass sie es gewesen waren, aber es hat danach nicht aufgehört.“ Mit ihrem Tod war der Kopfschmerz nicht verschwunden und auch nicht mit dem seines ehemaligen Geschichtslehrers.
„Ich sage dir, Robert, du wirst nicht ruhen, bis du alle erledigt hast.“
„Wie viele gibt es?“, fragte Robert unsicher nach, denn er hatte nicht die leiseste Ahnung.
’Wie viele gibt es?’, hatte sich der junge Robert auch damals schon gefragt, als er das erste Mal in seinem Leben in der Bibliothek einen Computer benutzt hatte, mit dessen Hilfe er im Internet nach Hexenvereinigungen suchte. Die Anzahl der Mitglieder, die heutzutage nicht einmal mehr Scheu davor hatten, sich öffentlich der Hexerei zu bekennen, war angsteinflössend hoch gewesen. ’Eine von denen muss es sein’, hatte Robert sich selbst eingeredet, doch um gegen diese gefährlichen Personen eine Chance haben zu können, benötigte er Verstärkung.
„Wen hast du an deiner Seite?“, fragte die Stimme aus dem Gemälde.
„Ein paar Männer und Frauen, etwas über zwanzig insgesamt“, antwortete Robert gewissenhaft, wenn auch eingeschüchtert.
Von oben herabblickend schüttelte Matthew verächtlich den Kopf. „Über zwanzig und dann hast du nicht einmal hundert Hexen dingfest machen können? Ich habe mit meinem guten Freund John und einigen“, Matthew lächelte verschmitzt, „’Assistentinnen’ in kürzerer Zeitspanne mehr geschafft als du mit über zwanzig Leuten. Ich sollte dir wirklich Tipps geben, wie du sie besser erkennen kannst.“
Noch immer davon schockiert, dass ein Mann in einem Gemälde mit ihm sprach, sagte er scheu: „Nein, das ist Hexerei; Sie dürften gar nicht sprechen können!“
„Überlege gut“, drohte Matthew zischend, „wen du hier der Hexerei beschuldigst!“
„Ich…“
Matthew fuhr ihm über den Mund. „Vielleicht ist es auch einfach ein Wunder, dass wir uns unterhalten können, obwohl uns Jahrhunderte trennen? Meine Familie war geachtet und gottesfürchtig! Mein Vater war ein angesehener Vikar in Great Wenham in Suffolk, meine Brüder hatten Stellungen inne, von denen andere Menschen ihr Leben lang träumten – einer war sogar Minister in South Fambridge!” Elegant hob Matthew eine Augenbraue, bevor er hinzufügte: „Und ich habe ihnen in Ruhm und Ansehen nachgeeifert; ich habe zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, denn ich hatte im Sinne meines Vaters gehandelt – Gott hab ihn selig – und im gleichen Atemzug mehr Geld als meine Geschwister verdient.”
„Es geht nicht ums Geld”, flüsterte Robert, „es geht um…” Mit einer Hand berührte er seinen Kopf, der erneut zu schmerzen begann.
„Vielleicht solltest du noch etwas schlafen und morgen, im neuen Jahr, machst du neue Pläne“, schlug Matthew vor und Robert, weil es in seinem Schädel so sehr pochte, kam dem Ratschlag liebend gern nach.
Der Steinboden hatte Roberts Füße vor Kälte schon ganz taub gemacht und so wickelte er besonders sie sorgsam in die Bettdecke ein, bevor er das Licht löschte, dabei einen Moment zögerte, weil ihn das Blut an dem Schalter anekelte.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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Teil 2 von Kapitel 159
Mit einem leichten Wärmezauber an den Füßen marschierte Severus die Stufen hinauf und während er sich der großen Halle näherte, ging er den geschmiedeten Zeitplan nochmals in Gedanken durch. Albus würde ihn als Erster grüßen, davon ging Severus fest aus. Die Flügeltür öffnend fand er sich entgegen seinen Erwartungen Aug in Aug mit Remus wieder, der gerade eben die Halle verlassen wollte.
„Das ist aber eine Überraschung“, sagte der Werwolf strahlend.
„Wo wollten Sie denn gerade hin?“, fragte Severus verdutzt.
„Dorthin“, begann Remus schmunzelnd, „wohin einen vier Gläser Punsch treiben.“
„Ah“, machte Severus.
An Remus vorbeischauend bemerkte er an einem runden Tisch die gemütliche Gruppe, die aus Minerva, Harry, Ginny, Sirius, Anne, Tonks und Poppy bestand. Sie saßen alle zusammen und hingen Albus den Lippen. Hermine war die Einzige, die Albus nicht anblickte, sondern mit dem Untersetzer ihres Glases spielte, doch sie hörte ihm wahrscheinlich ebenfalls zu.
„Das könnte dich interessieren“, sagte Remus, der seinem Blick gefolgt war. „Albus erzählt gerade, wie Mundungus neulich etwas über die Anhänger von diesem Hopkins erfahren hat. Er hat sie wohl wieder in diesem Pub belauscht.“
„Dann werde ich Sie nicht weiter aufhalten, Lupin. Ihre Blase könnte es mir übel nehmen“, sagte Severus trocken, bevor er sich dem Tisch näherte.
Als Harry eine Gestalt aus den Augenwinkeln bemerkte, da wunderte er sich, dass Remus so schnell wieder zurück war, doch als er aufblickte, legte sich ein zufriedenes Lächeln auf sein Gesicht.
„Severus!“, sagte Harry erfreut und alle anderen blickten aufgrund seiner Worte ebenfalls auf.
Albus hielt mit seiner Erzählung inne und ein lebendiges Funkeln in dessen Augen schien Severus inniger zu begrüßen als jedes Feuerwerk.
„Schön, dass Sie doch gekommen sind.“ Er hatte eine weibliche Stimme vernehmen können und ließ seinen Blick daher über die Anwesenden schweifen. Es war Anne gewesen, die das Wort an ihn gerichtet hatte und ihm nun ein wohlwollendes Lächeln schenkte.
Nur mit einem Kopfnicken grüßte Severus in die angenehm kleine Runde, auch wenn einzig Blacks Anwesenheit am heutigen Abend dafür verantwortlich sein würde, dass es seiner Meinung nach nicht gemütlich werden könnte. Harry wagte es, Severus am Oberarm zu ergreifen und ihm einen Platz neben sich zuzuweisen. Nachdem alle anderen ihn ebenfalls begrüßt hatten – manche nur mit einem Kopfnicken, Poppy jedoch zusätzlich mit einem freundlichen Lächeln – da begann Albus erneut zu berichten, was Mundungus ihm geschildert hatte.
Severus fand es außerordentlich befreiend, dass jeder dem Direktor lauschte; niemand ihm selbst Aufmerksamkeit schenkte. Plötzlich spürte er eine Hand an seinem Unterarm und er blickte sich um. Hermine hatte ihn berührt und jetzt, wo er sie anschaute, hob sie eine Flasche Wein, um ihn wortlos zu Fragen, ob er etwas trinken wollte. Um Albus’ bei seiner Ausführung nicht zu stören bejahte Severus mit einem kurzen Nicken, so dass sie ihm einschenkte.
Nachdem Albus seine Ausführungen beendet hatte, startete Tonks ein Gespräch, doch nicht jeder beteiligte sich an dem Thema Hopkins, denn alles, was Mundungus hatte in Erfahrung bringen können, war die Tatsache, dass die Anzahl der Anhänger des selbst ernannten Hexenjägers nicht nur schwindend gering war, sondern auch noch stetig zu sinken schien. Albus versicherte, dass Arthur und der andere Minister davon in Kenntnis gesetzt worden waren, wo der flüchtige Pablo Abello das letzte Mal gesehen worden war.
Harry blickte an Severus vorbei und sagte zu Hermine: „Ich bin froh, dass sich das Problem von allein zu lösen scheint.“
Dagegenhaltend sagte Severus: „Vielleicht ist das auch nur die Ruhe vor dem Sturm?“
„Wie meinen Sie das?“, wollte Harry wissen.
„Menschen wie Hopkins geben ihre Träume nur ungern auf. Wenn er davon Kenntnis erlangt, wie seine übrigen Anhänger von ihm denken, könnte es durchaus sein, dass er zum letzten verheerenden Schlag ausholen wollen wird. Man sollte solche Muggel nicht unterschätzen.“
„Ich hoffe, dass Sie sich irren, Severus“, murmelte Harry, bevor er zu seinem Glas griff.
Von seiner anderen Seite hörte er: „Ich freue mich, dass Sie doch noch gekommen sind.“
Hermine ansehend sagte er vorgetäuscht erstaunt: „Was denn, haben Sie das etwa nicht vorhergesehen? Sie lassen nach, Hermine.“
Sie musste grinsen. „Ich bin froh, dass ich auch mal danebenliege.“ Hermine ergriff ihr Glas und hielt es Severus entgegen, um mit ihm anzustoßen.
Nochmals die Anwesenden überblickend fragte Severus: „Wo sind Pomona und die beiden Schüler?“
Die Antwort kam von Poppy. „Sie hat die beiden mit nach Edinburgh zu ihrer Schwester genommen. Die Eltern von Mr. Foster“, fügte sie beruhigend an, weil Severus bereits fragen wollte, „haben ihre Zustimmung für den Ausflug gegeben. Sie werden nachts zurückkehren.“
Sich mit einem Teller dampfendem Etwas zurück zu den anderen gesellend blickte sein Gegenüber – Harry – mit verzogenem Gesicht auf das, was Remus gleich zu verspeisen gedachte.
„Ist das Haggis?“, fragte Hermine, die einen ähnlichen Gesichtsausdruck wie Harry innehatte.
„Ja!“ Über das ganze Gesicht strahlend nahm er Messer und Gabel in die Hand, um den Faden zu entfernen, mit dem der Schafsmagen an beiden Enden verschlossen worden war.
„Ach“, sagte Ginny abwägend, „so eine kleine Portion könnte ich auch vertragen.“ Schon war sie aufgestanden, um sich am Büffet zu bedienen.
„Was hast du, Harry?“, wollte Remus wissen, der bereits an den Inhalt des Schafsmagens gelangt war.
„Ich mag Haggis nicht“, war seine einzige Antwort.
Hermine anblickend fragte Severus: „Sie auch nicht, wie es scheint.“
Ihr Gesichtsausdruck sprach für sich selbst. „Ich kann mir Appetitlicheres vorstellen.“
Nachdem Ginny sich wieder neben Harry gesetzt hatte, dem der warme Duft der schottischen Köstlichkeit in die Nase stieg, da kräuselte er dieselbe.
„Jetzt zieh nicht so ein Gesicht, Harry. Du weiß, dass es bei meinen Eltern zu Silvester immer Haggis gegeben hat und ich liebe das!“ Von der breiigen Masse, die aus Leber, Herz und Lungen eines Schafes bestanden, schob sich Ginny etwas auf die Gabel; Remus gegenüber tat es ihr gleich. Beide stöhnten wonnig, als der Bissen auf der Zunge zerging.
Scherzend warnte Harry: „Glaub ja nicht, dass ich dich nachher auf den Mund küsse.“
Auf einmal erschien vor jedem ein Hot Pint, was ankündigte, dass Mitternacht nicht mehr weit war – um genau zu sein nur noch fünf Minuten. Ginny und Remus hatten den restlichen Inhalt des gefüllten Schafsmagens in Rekordgeschwindigkeit verputzt, bevor sie den Krug mit dem warmen Alkohol in die Hand nahmen. Albus verlor wenige Sekunden vor Mitternacht noch ein paar Worte, die so herrlich albern gewesen waren, dass sich einen Moment später niemand mehr an den genauen Wortlaut erinnern konnte. Alle hatten sich wortlos, aber mit im Gesicht abgezeichneter Vorfreude erhoben und als die Turmuhr laut und deutlich ihre zwölf Schläge begann, da fiel man sich bereits um den Hals; Ginny und Harry als Erste. Severus war überrascht gewesen, dass niemand die letzten Sekunden mitgezählt hatte.
Jetzt beobachtete er, wie die Menschen um ihn herum als Erstes die Person an sich drückten, die ihnen am meisten bedeutete: die Blacks umarmten sich, Remus und Tonks, Albus und Minerva – die Pärchen eben. Irgendjemand riss ihn aus seiner Beobachtung heraus, denn er spürte einen Knuff an seinem Arm, so dass er sich umdrehte und Hermine in die Augen blickte.
„Ein glückliches neues Jahr“, hörte er sie sagen. Im Unklaren darüber, was sie von ihm erwarten würde, vergriff er sich an ihren eigenen Worten und gab sie ihr zurück. Sie lächelte zufrieden, doch ihm war ein wenig unwohl, weil sie sich nicht den anderen widmete, sondern ihn weiterhin ansah. Er atmete erleichtert aus, als sie ihm ihren Krug entgegenhielt und zum Anstoßen aufforderte. Gern kam er dieser Tradition nach, stieß mit seinem Hot Pint an den ihren, nahm einen Schluck und…
Hermine hustete, nachdem sie geschluckt hatte und Severus konnte es ihr bei dem starken Getränk nicht verübeln; klopfte ihr vorsichtig auf den Rücken, bis sie sich erholt hatte.
„Ja“, hörte man Albus über die Köpfte der anderen hinweg sagen, „der hat es in sich!“ Albus hob seinen eigenen Krug. „Ich habe den Elfen gesagt, sie müssten nicht zurückhalten, denn wir haben ja heute keine Minderjährigen hier.“
„Himmel“, sagte Hermine so leise, dass nur er es hören konnte. Sie holte tief Luft und die Mischung des Getränkes schmeckte sie noch immer kräftig nach.
Scherzhaft machte Severus den Vorschlag: „Wir können ja raten, zu wie vielen Anteilen Starkbier und Whisky hier drinnen enthalten sind?“
„Wir sollten lieber raten, wie viel Prozent der Whisky hat.“ Sie grinste verschmitzt und nahm vorsichtig einen weiteren Schluck.
„Severus“, hörte er Harry hinter sich sagen, so dass er sich umdrehte. „Ihnen auch ein glückliches neues Jahr!“ Den Krug hinhaltend stieß Severus auch mit ihm an und andere Krüge folgten unerwartet wie von selbst. Sogar Black hatte mit ihm angestoßen und Glückwünsche ausgesprochen, was Severus ein wenig irritierte, Black im Nachhinein aber noch viel mehr.
Alle hatten einmal mit ihrem Hot Pint angestoßen, bevor Harry, der sich eben rar gemacht hatte, plötzlich mit einem kindlich vorfreudigen Lächeln vor versammelter Mannschaft stand. Er hielt eine große Kiste in dem Armen, aus denen dicke Raketen ragten. Man konnte viereckige Schachteln mit Gefahrenaufkleber – direkt unter dem Logo von „Weasleys Zauberhafte Zauberscherze“ angebracht – erkennen und dazu noch unzählige runde Knallfrösche.
Vom Kind im Manne ebenfalls angesteckt stürmte Sirius auf ihn zu und forderte ihn mit enthusiastischem Druck an der Schulter dazu auf, mit ihm zu gehen, während er vergnügt vorschlug: „Komm, wir gehen raus und knallen ein bisschen!“
Ginny und Anne warfen sich kurz einen Blick zu, bevor sie über ihre Männer lachen mussten, dann aber erwartungsvoll hinterhergingen, denn das Feuerwerk der Zwillinge versprach immer einen Augenschmaus. Auch Remus und Tonks folgten, so dass Albus, Minerva und Poppy noch in der großen Halle blieben und sich erst in wenigen Minuten gemütlich aufmachen würden, um das Feuerwerk zu bestaunen.
Mit vielen leeren Stühlen zwischen ihm und den dreien setzte sich Severus erneut an den Tisch und nahm verlegen wirkend einen Schluck aus seinem Krug; Hermine nahm neben ihm Platz und schien nach Worten zu suchen. Severus hingegen grübelte darüber nach, warum sie nicht mit ihren Freunden hinausgegangen war und war für einen Moment verwirrt, als ihm die dumme Idee durch den Kopf schoss, dass er vielleicht der Grund sein könnte.
„Begleiten Sie mich?“, fragte sie unerwartet. „Ich würde mir gern mit Ihnen das Feuerwerk ansehen. Das Beste nehmen sie immer am Anfang.“
Ihre hoffnungsvolle Art zu fragen, allein schon der Blick, der ihn an sein bettelndes Haustier erinnerte – Severus konnte Harry nur schwer etwas abschlagen –, machte die in allen anderen Lebenslagen sonst so schnell gegebene verneinende Antwort, die ihm bereits auf der Zunge lag, zunichte. Stattdessen rang er nach Worten. Die Situation überfliegend revidierte er den Abend. Black, Harry und Lupin waren samt Frau oder Verlobter draußen, während er sich momentan bei den Menschen wohl fühlte, die sich noch hier im Raum aufhielten: Menschen, von denen er nichts zu befürchten hatte, nämlich Albus, Minerva und Poppy. Er blickte zu den dreien hinüber, dachte über eine mögliche Antwort seinerseits nach und kam zu der Ansicht, dass es kein großer Schritt wäre, Hermine den Gefallen zu erweisen. Er wollte eh nicht lange bleiben.
Seinen Krug von sich schiebend stand Severus auf. „Gehen wir nach draußen.“
Severus bereitete sich innerlich darauf vor, mit Black so gut wie gar nicht in Kontakt zu kommen, weil der mit Harry damit beschäftigt sein würde, das Feuerwerk zu zünden. Er stellte sich darauf ein, mit den anderen Zuschauern eventuell einen Smalltalk halten zu müssen, was er zu seinem eigenen Erstaunen sogar erträglich fand. Zur Not müsste er nur starr gen Himmel blicken, damit ihn niemand ansprechen würde.
Als er mit ihr durch die große Flügeltür ging, da wandte er sich im Gehen an sie, um etwas zu sagen, doch ihr fröhliches Gesicht ließ all seine Worte die Kehle hinunterpurzeln, bis sie schwer in seinem Magen lagen. Er blickte nach vorn und sammelte sich, bevor er erneut versuchte, das Wort an sie zu richten.
Den Kloß im Hals durch ein Räuspern gelockert sagte er: „Ich denke, ich habe herausgefunden, auf welche Weise man Miss Parkinson heilen könnte.“
Sie betraten gerade einen überdachten Gang im Freien und mussten weiter vorn nur noch den Rundbogen durchqueren, dann wären sie auch schon auf der mit Stein gepflasterten Terrasse, die – vom Schnee befreit – einen perfekten Ort zum Zünden von Feuerwerkskörpern darstellte.
„Sie haben es herausgefunden?“ Stolz zeichnete sich in ihrem Gesicht ab. „Was ist es?“
„Das Gift des Basilisken gehört nicht in ’Schlafes Bruder’. Ich denke, das ist die Zutat, die dafür verantwortlich ist, dass Miss Parkinson ab und an aufwacht. Ich verspreche mir eine Heilung mit Basiliskengift, nur die mögliche Dosis muss ich noch berechnen.“
„Oh, das ist interessant!“ Sie hatte die ganze Zeit über sehr aufmerksam zugehört.
„Ich hoffe nur, dass das Gift in den Drüsen des toten Basilisken nichts von seiner Wirkung verloren hat.“ Er seufzte. „Ich wünschte, mir stünde ein lebendiges Exemplar zur Verfügung.“ Er hörte sie sanft schnaufen und blickte sie daher neugierig an.
Sie klopfte ihm zweimal leicht auf den Oberarm, fast tätschelnd, bevor sie breit grinsend sagte: „Sie haben ja bald Geburtstag.“
Jetzt war er es, der amüsiert schnaufen musste, doch es blieb nicht dabei, denn er musste sogar auflachen. Erst viel zu spät hatte er es wieder unterdrücken können, denn Remus kam ihnen unerwartet am Ende des Rundbogens entgegen und blieb beim Anblick eines lachenden Tränkemeisters wie versteinert stehen.
Nicht sehr ernst fragte Severus: „Lupin, ist das Feuerwerk etwa schon vorbei?“
„Nein, ich wollte Bescheid geben, dass Harry und Sirius noch mit dem Drachen warten, bis alle da sind.“
Nach einem kurzen Sprint hatte sich Sirius neben Remus gestellt. „Harry sagt, du brauchst nicht Bescheid geben. Wir fangen mit den Knallfröschen an und in einer Viertelstunde kommt der Drache, egal ob Albus und die anderen da sind oder nicht.“
Im Hintergrund hörte man Harry vor Ungeduld bereits lauthals nach seinem Patenonkel rufen. Gleich darauf konnte man die ersten Raketen vernehmen, die aus Hogsmeade gestartet wurden.
„Ich werde gebraucht. Ginny ist auf die Idee gekommen, immer drei Knallfrösche auf einmal zu zünden und da müssen wir ein wenig basteln.“ Er machte eine verknüpfende Geste mit seinen Fingern, bevor er ohne auf eine Äußerung zu warten zurück zu Harry rannte, der bereits am Boden hockte und gerade den dritten Knallfrosch, den Ginny ihm gereicht hatte, nebeneinander aufreihte.
„Ich bin dann mal wieder...“ Remus zeigte in die Richtung, in welcher man in der Ferne auch Tonks und Anne miteinander reden sehen konnte, aber noch nicht hören.
Nachdem Hermine und Severus wieder allein waren, da fragte sie: „Gehen wir bis ganz nach vorn? Da sieht man am besten.“ Wortlos kam er ihrer Aufforderung nach.
Den Rundbogen durchquerend und die Terrasse betretend bemerkte Severus, dass Hermine keine bestimmte Richtung einschlug; nicht wie befürchtet, zu Remus und den anderen ging. Stattdessen blickte sie gen Himmel, an welchem die Raketen zu sehen waren, die von Hogsmeade aus abgeschossen wurden und riesige Figuren in die Dunkelheit zeichneten.
Laut krachend gingen auf einmal die miteinander verknüpften Knallfrösche in die Luft, die Harry, Sirius und Ginny gezündet hatten, weswegen Hermine wieder auf Terrasse schaute und das Feuerwerk ihrer Freunde bestaunte. Die vielen Funken glitzerten in allen Farben und – wie es sich für die Knallfrösche aus dem Hause Weasley gehörte – verloschen nicht sofort, sondern hüpften knallend und zischen auf dem Boden umher. Den sich bietenden Anblick konnte man mit einem Teppich aus funkelnden Diamanten vergleichen; der ganze Steinboden strahlte.
Wenige Minuten später, nachdem der letzte Funke wie ein sterbendes Glühwürmchen erloschen war, johlten und grölten Sirius und Harry wie Kinder, während sie sich gegenseitig für das Spektakel lobten – und natürlich Ginny, deren Idee es gewesen war, gleich drei zu zünden.
Neben sich hörte Severus ein leises Lachen und als er seinen Kopf unmerklich drehte, bemerkte er, wie Hermine zufrieden lächelte, während sie ihre Freunde betrachtete.
„Warum gehen Sie nicht zu ihnen hinüber?“, wollte er wissen.
Noch immer lächelnd blickte sie ihn an und sagte, ihr Blick derweil wieder zu Harry schweifend: „Ich würde sowieso nicht mitmachen, nur zusehen.“ Sie schaute ihm wieder in die Augen und fügte hinzu: „Zusehen kann ich auch von hier.“ Ihr Lächeln frischte ihm zuliebe einmal kurz auf, bevor sie zurück zu den anderen Freunden blickten. „Oh“, machte sie erwartungsvoll, „jetzt kommt eine von den Raketen aus dem neuen Sortiment.“
„Neues Sortiment?“, wiederholte Severus.
„Ja, das neue Sortiment von Fred und George – ein paar neue Ideen und zwar so neu, dass sie in diesem Jahr das erste Mal ihre Artikel in andere Länder exportieren konnten, so groß war die Anfrage!“
Ihrer begeisterten Art konnte er entnehmen, dass sie sich sehr für die Zwillinge freute und sie deren Erfolg bewunderte. Ganz ähnlich hatte sie vorhin auf dem Weg geklungen, nachdem er ihr von seinen Resultaten bezüglich Miss Parkinson berichtet hatte. Nur nebenbei hatte Severus registriert, dass nun auch Albus, Minerva und Poppy auf die Terrasse gekommen waren.
Was die eben gestartete Rakete für Wunder vollbrachte, das konnte er nicht sehen, denn er betrachtete Hermine, die einen halben Schritt nach vorn gegangen war, um das Spektakel am Himmel zu beäugen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und erst da bemerkte er, dass sie ein wenig zu frieren schien. Sich umschauend fiel sein Blick auf Albus, der Minerva gerade den Winterumhang anbot, den er noch über seinen normalen Umhang geworfen hatte.
„Ist Ihnen kalt?“, fragte er.
Es hatte ein wenig gedauert, bis sie ihren Blick von den in den Himmel gezeichneten Mustern lösen konnten, doch dann drehte sie sich um, kam ihm wieder näher und antwortete: „Ja, ein wenig schon.“
„Nun, mit meinem Umhang dürfen Sie nicht rechnen“, sagte er nüchtern. Sie zog vorgetäuscht beleidigt ein Gesicht, weswegen er sich erklären wollte. „Da ich nur den einen trage, würde ich mich selbst in eine unangenehme Lage bringen, sollte ich höflichen Umgangsformen nachkommen.“
Völlig unerwartet ging Severus ein wenig nach vorn zu einer Stelle, an der Ginny, Harry und Sirius ihre Umhänge abgelegt hatten, damit diese weder bei der momentanen Beschäftigung im Wege wären noch bei dem Feuerwerk Schaden erleiden würden. Severus griff blindlings nach einem der Umhänge, was allen anderen Zuschauern, selbst den drei Hobby-Pyrotechnikern, nicht entgangen war, doch niemand sprach ihn deswegen an. Stattdessen ließ man ihn, wenn auch mit einem fragenden Gesichtsausdruck oder – in Sirius’ Fall – mit einem skeptischen Blick gewähren.
Bei Hermine angelangt breitete er den fremden Umhang aus, schüttelte ihn einmal und bot an: „Vielleicht probieren wir es statt mit meinem Umhang einfach mit einem, der momentan sowieso keine Verwendung findet?“
Das auf dem Umhang befindliche, goldrote Wappen von Gryffindor blitzte im Licht der nächsten Rakete auf. „Oh“, machte Hermine, „das ist der von Ginny. Sie hat bestimmt nichts dagegen.“
Ihr den Umhang ihrer Freundin umlegend fragte er: „Was haben Sie morgen vor?“ Er dachte an das Projekt, um Miss Parkinson zu helfen.
„Morgen habe ich mich verabredet. Wir lesen ein Buch.“
Das Wort „wir“ veranlasste ihn dazu, grantig zu sagen: „Sagen Sie bloß nicht, Sie haben sich breitschlagen lassen und lesen das Knieselbuch vom lieben Professor Svelte!“
Von hinten ertönte plötzlich die überschwänglich fröhliche Stimme des eben genannten Kollegen. „Professor Snape, haben Sie eben mit mir gesprochen?“
Hermine und Severus blickten sich um. Valentinus war mit nur wenigen Schritten bei ihnen angelangt und versuchte, mit seinem strahlendweißen Lächeln Eindruck zu schinden.
„Nein, Professor Svelte, Sie irren“, begann Severus deutlich missgelaunt, „denn ich sprach lediglich ’über’ Sie und nicht ’mit’ Ihnen.“
Noch immer lächelte Valentinus, bis er den Satz mehrmals in Gedanken wiederholt hatte und erst mit leichter Verzögerung die verletzenden Worte begriffen hatte. Sein Lächeln wurde flatterig, doch er versuchte es zu halten, als er ein wenig verlegen sagte: „Dann entschuldigen Sie mich bitte. Ich werde mir ein wenig das Feuerwerk ansehen.“ Er zeigte ungenau in eine Richtung. „Von dort aus am besten.“ Er war er zwei Schritte gegangen, da wandte er sich um; sein Lächeln war längst verstorben. „Ach ja, ich wünsche Ihnen beiden ein glückliches und gesundes neues Jahr.“
Valentinus noch hinterherschauend sagte Hermine nicht maßregelnd, sondern nur, um ihre Meinung kundzutun: „Das war nicht richtig, Severus. Sie könnten die Menschen, die Sie nicht ausstehen können, doch auch einfach ignorieren.“
„Tut mir außerordentlich Leid“, begann er spöttisch, „wenn ich Ihrem guten Bekannten gegenüber einfach nur die Wahrheit gesagt habe.“
Das Thema wechselnd offenbarte sie ihm: „Ich treffe mich morgen mit Harry, er kommt zu mir.“ Severus konnte seine Überraschung kaum verbergen, doch Hermine setzte noch einen oben drauf. „Wir lesen ’Leib und Seele’ gemeinsam.“
Sein Kehlkopf lugte kurz unter dem hohen Kragen hervor, weil er kräftig schlucken musste.
„Das ist aber eine Überraschung“, sagte der Werwolf strahlend.
„Wo wollten Sie denn gerade hin?“, fragte Severus verdutzt.
„Dorthin“, begann Remus schmunzelnd, „wohin einen vier Gläser Punsch treiben.“
„Ah“, machte Severus.
An Remus vorbeischauend bemerkte er an einem runden Tisch die gemütliche Gruppe, die aus Minerva, Harry, Ginny, Sirius, Anne, Tonks und Poppy bestand. Sie saßen alle zusammen und hingen Albus den Lippen. Hermine war die Einzige, die Albus nicht anblickte, sondern mit dem Untersetzer ihres Glases spielte, doch sie hörte ihm wahrscheinlich ebenfalls zu.
„Das könnte dich interessieren“, sagte Remus, der seinem Blick gefolgt war. „Albus erzählt gerade, wie Mundungus neulich etwas über die Anhänger von diesem Hopkins erfahren hat. Er hat sie wohl wieder in diesem Pub belauscht.“
„Dann werde ich Sie nicht weiter aufhalten, Lupin. Ihre Blase könnte es mir übel nehmen“, sagte Severus trocken, bevor er sich dem Tisch näherte.
Als Harry eine Gestalt aus den Augenwinkeln bemerkte, da wunderte er sich, dass Remus so schnell wieder zurück war, doch als er aufblickte, legte sich ein zufriedenes Lächeln auf sein Gesicht.
„Severus!“, sagte Harry erfreut und alle anderen blickten aufgrund seiner Worte ebenfalls auf.
Albus hielt mit seiner Erzählung inne und ein lebendiges Funkeln in dessen Augen schien Severus inniger zu begrüßen als jedes Feuerwerk.
„Schön, dass Sie doch gekommen sind.“ Er hatte eine weibliche Stimme vernehmen können und ließ seinen Blick daher über die Anwesenden schweifen. Es war Anne gewesen, die das Wort an ihn gerichtet hatte und ihm nun ein wohlwollendes Lächeln schenkte.
Nur mit einem Kopfnicken grüßte Severus in die angenehm kleine Runde, auch wenn einzig Blacks Anwesenheit am heutigen Abend dafür verantwortlich sein würde, dass es seiner Meinung nach nicht gemütlich werden könnte. Harry wagte es, Severus am Oberarm zu ergreifen und ihm einen Platz neben sich zuzuweisen. Nachdem alle anderen ihn ebenfalls begrüßt hatten – manche nur mit einem Kopfnicken, Poppy jedoch zusätzlich mit einem freundlichen Lächeln – da begann Albus erneut zu berichten, was Mundungus ihm geschildert hatte.
Severus fand es außerordentlich befreiend, dass jeder dem Direktor lauschte; niemand ihm selbst Aufmerksamkeit schenkte. Plötzlich spürte er eine Hand an seinem Unterarm und er blickte sich um. Hermine hatte ihn berührt und jetzt, wo er sie anschaute, hob sie eine Flasche Wein, um ihn wortlos zu Fragen, ob er etwas trinken wollte. Um Albus’ bei seiner Ausführung nicht zu stören bejahte Severus mit einem kurzen Nicken, so dass sie ihm einschenkte.
Nachdem Albus seine Ausführungen beendet hatte, startete Tonks ein Gespräch, doch nicht jeder beteiligte sich an dem Thema Hopkins, denn alles, was Mundungus hatte in Erfahrung bringen können, war die Tatsache, dass die Anzahl der Anhänger des selbst ernannten Hexenjägers nicht nur schwindend gering war, sondern auch noch stetig zu sinken schien. Albus versicherte, dass Arthur und der andere Minister davon in Kenntnis gesetzt worden waren, wo der flüchtige Pablo Abello das letzte Mal gesehen worden war.
Harry blickte an Severus vorbei und sagte zu Hermine: „Ich bin froh, dass sich das Problem von allein zu lösen scheint.“
Dagegenhaltend sagte Severus: „Vielleicht ist das auch nur die Ruhe vor dem Sturm?“
„Wie meinen Sie das?“, wollte Harry wissen.
„Menschen wie Hopkins geben ihre Träume nur ungern auf. Wenn er davon Kenntnis erlangt, wie seine übrigen Anhänger von ihm denken, könnte es durchaus sein, dass er zum letzten verheerenden Schlag ausholen wollen wird. Man sollte solche Muggel nicht unterschätzen.“
„Ich hoffe, dass Sie sich irren, Severus“, murmelte Harry, bevor er zu seinem Glas griff.
Von seiner anderen Seite hörte er: „Ich freue mich, dass Sie doch noch gekommen sind.“
Hermine ansehend sagte er vorgetäuscht erstaunt: „Was denn, haben Sie das etwa nicht vorhergesehen? Sie lassen nach, Hermine.“
Sie musste grinsen. „Ich bin froh, dass ich auch mal danebenliege.“ Hermine ergriff ihr Glas und hielt es Severus entgegen, um mit ihm anzustoßen.
Nochmals die Anwesenden überblickend fragte Severus: „Wo sind Pomona und die beiden Schüler?“
Die Antwort kam von Poppy. „Sie hat die beiden mit nach Edinburgh zu ihrer Schwester genommen. Die Eltern von Mr. Foster“, fügte sie beruhigend an, weil Severus bereits fragen wollte, „haben ihre Zustimmung für den Ausflug gegeben. Sie werden nachts zurückkehren.“
Sich mit einem Teller dampfendem Etwas zurück zu den anderen gesellend blickte sein Gegenüber – Harry – mit verzogenem Gesicht auf das, was Remus gleich zu verspeisen gedachte.
„Ist das Haggis?“, fragte Hermine, die einen ähnlichen Gesichtsausdruck wie Harry innehatte.
„Ja!“ Über das ganze Gesicht strahlend nahm er Messer und Gabel in die Hand, um den Faden zu entfernen, mit dem der Schafsmagen an beiden Enden verschlossen worden war.
„Ach“, sagte Ginny abwägend, „so eine kleine Portion könnte ich auch vertragen.“ Schon war sie aufgestanden, um sich am Büffet zu bedienen.
„Was hast du, Harry?“, wollte Remus wissen, der bereits an den Inhalt des Schafsmagens gelangt war.
„Ich mag Haggis nicht“, war seine einzige Antwort.
Hermine anblickend fragte Severus: „Sie auch nicht, wie es scheint.“
Ihr Gesichtsausdruck sprach für sich selbst. „Ich kann mir Appetitlicheres vorstellen.“
Nachdem Ginny sich wieder neben Harry gesetzt hatte, dem der warme Duft der schottischen Köstlichkeit in die Nase stieg, da kräuselte er dieselbe.
„Jetzt zieh nicht so ein Gesicht, Harry. Du weiß, dass es bei meinen Eltern zu Silvester immer Haggis gegeben hat und ich liebe das!“ Von der breiigen Masse, die aus Leber, Herz und Lungen eines Schafes bestanden, schob sich Ginny etwas auf die Gabel; Remus gegenüber tat es ihr gleich. Beide stöhnten wonnig, als der Bissen auf der Zunge zerging.
Scherzend warnte Harry: „Glaub ja nicht, dass ich dich nachher auf den Mund küsse.“
Auf einmal erschien vor jedem ein Hot Pint, was ankündigte, dass Mitternacht nicht mehr weit war – um genau zu sein nur noch fünf Minuten. Ginny und Remus hatten den restlichen Inhalt des gefüllten Schafsmagens in Rekordgeschwindigkeit verputzt, bevor sie den Krug mit dem warmen Alkohol in die Hand nahmen. Albus verlor wenige Sekunden vor Mitternacht noch ein paar Worte, die so herrlich albern gewesen waren, dass sich einen Moment später niemand mehr an den genauen Wortlaut erinnern konnte. Alle hatten sich wortlos, aber mit im Gesicht abgezeichneter Vorfreude erhoben und als die Turmuhr laut und deutlich ihre zwölf Schläge begann, da fiel man sich bereits um den Hals; Ginny und Harry als Erste. Severus war überrascht gewesen, dass niemand die letzten Sekunden mitgezählt hatte.
Jetzt beobachtete er, wie die Menschen um ihn herum als Erstes die Person an sich drückten, die ihnen am meisten bedeutete: die Blacks umarmten sich, Remus und Tonks, Albus und Minerva – die Pärchen eben. Irgendjemand riss ihn aus seiner Beobachtung heraus, denn er spürte einen Knuff an seinem Arm, so dass er sich umdrehte und Hermine in die Augen blickte.
„Ein glückliches neues Jahr“, hörte er sie sagen. Im Unklaren darüber, was sie von ihm erwarten würde, vergriff er sich an ihren eigenen Worten und gab sie ihr zurück. Sie lächelte zufrieden, doch ihm war ein wenig unwohl, weil sie sich nicht den anderen widmete, sondern ihn weiterhin ansah. Er atmete erleichtert aus, als sie ihm ihren Krug entgegenhielt und zum Anstoßen aufforderte. Gern kam er dieser Tradition nach, stieß mit seinem Hot Pint an den ihren, nahm einen Schluck und…
Hermine hustete, nachdem sie geschluckt hatte und Severus konnte es ihr bei dem starken Getränk nicht verübeln; klopfte ihr vorsichtig auf den Rücken, bis sie sich erholt hatte.
„Ja“, hörte man Albus über die Köpfte der anderen hinweg sagen, „der hat es in sich!“ Albus hob seinen eigenen Krug. „Ich habe den Elfen gesagt, sie müssten nicht zurückhalten, denn wir haben ja heute keine Minderjährigen hier.“
„Himmel“, sagte Hermine so leise, dass nur er es hören konnte. Sie holte tief Luft und die Mischung des Getränkes schmeckte sie noch immer kräftig nach.
Scherzhaft machte Severus den Vorschlag: „Wir können ja raten, zu wie vielen Anteilen Starkbier und Whisky hier drinnen enthalten sind?“
„Wir sollten lieber raten, wie viel Prozent der Whisky hat.“ Sie grinste verschmitzt und nahm vorsichtig einen weiteren Schluck.
„Severus“, hörte er Harry hinter sich sagen, so dass er sich umdrehte. „Ihnen auch ein glückliches neues Jahr!“ Den Krug hinhaltend stieß Severus auch mit ihm an und andere Krüge folgten unerwartet wie von selbst. Sogar Black hatte mit ihm angestoßen und Glückwünsche ausgesprochen, was Severus ein wenig irritierte, Black im Nachhinein aber noch viel mehr.
Alle hatten einmal mit ihrem Hot Pint angestoßen, bevor Harry, der sich eben rar gemacht hatte, plötzlich mit einem kindlich vorfreudigen Lächeln vor versammelter Mannschaft stand. Er hielt eine große Kiste in dem Armen, aus denen dicke Raketen ragten. Man konnte viereckige Schachteln mit Gefahrenaufkleber – direkt unter dem Logo von „Weasleys Zauberhafte Zauberscherze“ angebracht – erkennen und dazu noch unzählige runde Knallfrösche.
Vom Kind im Manne ebenfalls angesteckt stürmte Sirius auf ihn zu und forderte ihn mit enthusiastischem Druck an der Schulter dazu auf, mit ihm zu gehen, während er vergnügt vorschlug: „Komm, wir gehen raus und knallen ein bisschen!“
Ginny und Anne warfen sich kurz einen Blick zu, bevor sie über ihre Männer lachen mussten, dann aber erwartungsvoll hinterhergingen, denn das Feuerwerk der Zwillinge versprach immer einen Augenschmaus. Auch Remus und Tonks folgten, so dass Albus, Minerva und Poppy noch in der großen Halle blieben und sich erst in wenigen Minuten gemütlich aufmachen würden, um das Feuerwerk zu bestaunen.
Mit vielen leeren Stühlen zwischen ihm und den dreien setzte sich Severus erneut an den Tisch und nahm verlegen wirkend einen Schluck aus seinem Krug; Hermine nahm neben ihm Platz und schien nach Worten zu suchen. Severus hingegen grübelte darüber nach, warum sie nicht mit ihren Freunden hinausgegangen war und war für einen Moment verwirrt, als ihm die dumme Idee durch den Kopf schoss, dass er vielleicht der Grund sein könnte.
„Begleiten Sie mich?“, fragte sie unerwartet. „Ich würde mir gern mit Ihnen das Feuerwerk ansehen. Das Beste nehmen sie immer am Anfang.“
Ihre hoffnungsvolle Art zu fragen, allein schon der Blick, der ihn an sein bettelndes Haustier erinnerte – Severus konnte Harry nur schwer etwas abschlagen –, machte die in allen anderen Lebenslagen sonst so schnell gegebene verneinende Antwort, die ihm bereits auf der Zunge lag, zunichte. Stattdessen rang er nach Worten. Die Situation überfliegend revidierte er den Abend. Black, Harry und Lupin waren samt Frau oder Verlobter draußen, während er sich momentan bei den Menschen wohl fühlte, die sich noch hier im Raum aufhielten: Menschen, von denen er nichts zu befürchten hatte, nämlich Albus, Minerva und Poppy. Er blickte zu den dreien hinüber, dachte über eine mögliche Antwort seinerseits nach und kam zu der Ansicht, dass es kein großer Schritt wäre, Hermine den Gefallen zu erweisen. Er wollte eh nicht lange bleiben.
Seinen Krug von sich schiebend stand Severus auf. „Gehen wir nach draußen.“
Severus bereitete sich innerlich darauf vor, mit Black so gut wie gar nicht in Kontakt zu kommen, weil der mit Harry damit beschäftigt sein würde, das Feuerwerk zu zünden. Er stellte sich darauf ein, mit den anderen Zuschauern eventuell einen Smalltalk halten zu müssen, was er zu seinem eigenen Erstaunen sogar erträglich fand. Zur Not müsste er nur starr gen Himmel blicken, damit ihn niemand ansprechen würde.
Als er mit ihr durch die große Flügeltür ging, da wandte er sich im Gehen an sie, um etwas zu sagen, doch ihr fröhliches Gesicht ließ all seine Worte die Kehle hinunterpurzeln, bis sie schwer in seinem Magen lagen. Er blickte nach vorn und sammelte sich, bevor er erneut versuchte, das Wort an sie zu richten.
Den Kloß im Hals durch ein Räuspern gelockert sagte er: „Ich denke, ich habe herausgefunden, auf welche Weise man Miss Parkinson heilen könnte.“
Sie betraten gerade einen überdachten Gang im Freien und mussten weiter vorn nur noch den Rundbogen durchqueren, dann wären sie auch schon auf der mit Stein gepflasterten Terrasse, die – vom Schnee befreit – einen perfekten Ort zum Zünden von Feuerwerkskörpern darstellte.
„Sie haben es herausgefunden?“ Stolz zeichnete sich in ihrem Gesicht ab. „Was ist es?“
„Das Gift des Basilisken gehört nicht in ’Schlafes Bruder’. Ich denke, das ist die Zutat, die dafür verantwortlich ist, dass Miss Parkinson ab und an aufwacht. Ich verspreche mir eine Heilung mit Basiliskengift, nur die mögliche Dosis muss ich noch berechnen.“
„Oh, das ist interessant!“ Sie hatte die ganze Zeit über sehr aufmerksam zugehört.
„Ich hoffe nur, dass das Gift in den Drüsen des toten Basilisken nichts von seiner Wirkung verloren hat.“ Er seufzte. „Ich wünschte, mir stünde ein lebendiges Exemplar zur Verfügung.“ Er hörte sie sanft schnaufen und blickte sie daher neugierig an.
Sie klopfte ihm zweimal leicht auf den Oberarm, fast tätschelnd, bevor sie breit grinsend sagte: „Sie haben ja bald Geburtstag.“
Jetzt war er es, der amüsiert schnaufen musste, doch es blieb nicht dabei, denn er musste sogar auflachen. Erst viel zu spät hatte er es wieder unterdrücken können, denn Remus kam ihnen unerwartet am Ende des Rundbogens entgegen und blieb beim Anblick eines lachenden Tränkemeisters wie versteinert stehen.
Nicht sehr ernst fragte Severus: „Lupin, ist das Feuerwerk etwa schon vorbei?“
„Nein, ich wollte Bescheid geben, dass Harry und Sirius noch mit dem Drachen warten, bis alle da sind.“
Nach einem kurzen Sprint hatte sich Sirius neben Remus gestellt. „Harry sagt, du brauchst nicht Bescheid geben. Wir fangen mit den Knallfröschen an und in einer Viertelstunde kommt der Drache, egal ob Albus und die anderen da sind oder nicht.“
Im Hintergrund hörte man Harry vor Ungeduld bereits lauthals nach seinem Patenonkel rufen. Gleich darauf konnte man die ersten Raketen vernehmen, die aus Hogsmeade gestartet wurden.
„Ich werde gebraucht. Ginny ist auf die Idee gekommen, immer drei Knallfrösche auf einmal zu zünden und da müssen wir ein wenig basteln.“ Er machte eine verknüpfende Geste mit seinen Fingern, bevor er ohne auf eine Äußerung zu warten zurück zu Harry rannte, der bereits am Boden hockte und gerade den dritten Knallfrosch, den Ginny ihm gereicht hatte, nebeneinander aufreihte.
„Ich bin dann mal wieder...“ Remus zeigte in die Richtung, in welcher man in der Ferne auch Tonks und Anne miteinander reden sehen konnte, aber noch nicht hören.
Nachdem Hermine und Severus wieder allein waren, da fragte sie: „Gehen wir bis ganz nach vorn? Da sieht man am besten.“ Wortlos kam er ihrer Aufforderung nach.
Den Rundbogen durchquerend und die Terrasse betretend bemerkte Severus, dass Hermine keine bestimmte Richtung einschlug; nicht wie befürchtet, zu Remus und den anderen ging. Stattdessen blickte sie gen Himmel, an welchem die Raketen zu sehen waren, die von Hogsmeade aus abgeschossen wurden und riesige Figuren in die Dunkelheit zeichneten.
Laut krachend gingen auf einmal die miteinander verknüpften Knallfrösche in die Luft, die Harry, Sirius und Ginny gezündet hatten, weswegen Hermine wieder auf Terrasse schaute und das Feuerwerk ihrer Freunde bestaunte. Die vielen Funken glitzerten in allen Farben und – wie es sich für die Knallfrösche aus dem Hause Weasley gehörte – verloschen nicht sofort, sondern hüpften knallend und zischen auf dem Boden umher. Den sich bietenden Anblick konnte man mit einem Teppich aus funkelnden Diamanten vergleichen; der ganze Steinboden strahlte.
Wenige Minuten später, nachdem der letzte Funke wie ein sterbendes Glühwürmchen erloschen war, johlten und grölten Sirius und Harry wie Kinder, während sie sich gegenseitig für das Spektakel lobten – und natürlich Ginny, deren Idee es gewesen war, gleich drei zu zünden.
Neben sich hörte Severus ein leises Lachen und als er seinen Kopf unmerklich drehte, bemerkte er, wie Hermine zufrieden lächelte, während sie ihre Freunde betrachtete.
„Warum gehen Sie nicht zu ihnen hinüber?“, wollte er wissen.
Noch immer lächelnd blickte sie ihn an und sagte, ihr Blick derweil wieder zu Harry schweifend: „Ich würde sowieso nicht mitmachen, nur zusehen.“ Sie schaute ihm wieder in die Augen und fügte hinzu: „Zusehen kann ich auch von hier.“ Ihr Lächeln frischte ihm zuliebe einmal kurz auf, bevor sie zurück zu den anderen Freunden blickten. „Oh“, machte sie erwartungsvoll, „jetzt kommt eine von den Raketen aus dem neuen Sortiment.“
„Neues Sortiment?“, wiederholte Severus.
„Ja, das neue Sortiment von Fred und George – ein paar neue Ideen und zwar so neu, dass sie in diesem Jahr das erste Mal ihre Artikel in andere Länder exportieren konnten, so groß war die Anfrage!“
Ihrer begeisterten Art konnte er entnehmen, dass sie sich sehr für die Zwillinge freute und sie deren Erfolg bewunderte. Ganz ähnlich hatte sie vorhin auf dem Weg geklungen, nachdem er ihr von seinen Resultaten bezüglich Miss Parkinson berichtet hatte. Nur nebenbei hatte Severus registriert, dass nun auch Albus, Minerva und Poppy auf die Terrasse gekommen waren.
Was die eben gestartete Rakete für Wunder vollbrachte, das konnte er nicht sehen, denn er betrachtete Hermine, die einen halben Schritt nach vorn gegangen war, um das Spektakel am Himmel zu beäugen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und erst da bemerkte er, dass sie ein wenig zu frieren schien. Sich umschauend fiel sein Blick auf Albus, der Minerva gerade den Winterumhang anbot, den er noch über seinen normalen Umhang geworfen hatte.
„Ist Ihnen kalt?“, fragte er.
Es hatte ein wenig gedauert, bis sie ihren Blick von den in den Himmel gezeichneten Mustern lösen konnten, doch dann drehte sie sich um, kam ihm wieder näher und antwortete: „Ja, ein wenig schon.“
„Nun, mit meinem Umhang dürfen Sie nicht rechnen“, sagte er nüchtern. Sie zog vorgetäuscht beleidigt ein Gesicht, weswegen er sich erklären wollte. „Da ich nur den einen trage, würde ich mich selbst in eine unangenehme Lage bringen, sollte ich höflichen Umgangsformen nachkommen.“
Völlig unerwartet ging Severus ein wenig nach vorn zu einer Stelle, an der Ginny, Harry und Sirius ihre Umhänge abgelegt hatten, damit diese weder bei der momentanen Beschäftigung im Wege wären noch bei dem Feuerwerk Schaden erleiden würden. Severus griff blindlings nach einem der Umhänge, was allen anderen Zuschauern, selbst den drei Hobby-Pyrotechnikern, nicht entgangen war, doch niemand sprach ihn deswegen an. Stattdessen ließ man ihn, wenn auch mit einem fragenden Gesichtsausdruck oder – in Sirius’ Fall – mit einem skeptischen Blick gewähren.
Bei Hermine angelangt breitete er den fremden Umhang aus, schüttelte ihn einmal und bot an: „Vielleicht probieren wir es statt mit meinem Umhang einfach mit einem, der momentan sowieso keine Verwendung findet?“
Das auf dem Umhang befindliche, goldrote Wappen von Gryffindor blitzte im Licht der nächsten Rakete auf. „Oh“, machte Hermine, „das ist der von Ginny. Sie hat bestimmt nichts dagegen.“
Ihr den Umhang ihrer Freundin umlegend fragte er: „Was haben Sie morgen vor?“ Er dachte an das Projekt, um Miss Parkinson zu helfen.
„Morgen habe ich mich verabredet. Wir lesen ein Buch.“
Das Wort „wir“ veranlasste ihn dazu, grantig zu sagen: „Sagen Sie bloß nicht, Sie haben sich breitschlagen lassen und lesen das Knieselbuch vom lieben Professor Svelte!“
Von hinten ertönte plötzlich die überschwänglich fröhliche Stimme des eben genannten Kollegen. „Professor Snape, haben Sie eben mit mir gesprochen?“
Hermine und Severus blickten sich um. Valentinus war mit nur wenigen Schritten bei ihnen angelangt und versuchte, mit seinem strahlendweißen Lächeln Eindruck zu schinden.
„Nein, Professor Svelte, Sie irren“, begann Severus deutlich missgelaunt, „denn ich sprach lediglich ’über’ Sie und nicht ’mit’ Ihnen.“
Noch immer lächelte Valentinus, bis er den Satz mehrmals in Gedanken wiederholt hatte und erst mit leichter Verzögerung die verletzenden Worte begriffen hatte. Sein Lächeln wurde flatterig, doch er versuchte es zu halten, als er ein wenig verlegen sagte: „Dann entschuldigen Sie mich bitte. Ich werde mir ein wenig das Feuerwerk ansehen.“ Er zeigte ungenau in eine Richtung. „Von dort aus am besten.“ Er war er zwei Schritte gegangen, da wandte er sich um; sein Lächeln war längst verstorben. „Ach ja, ich wünsche Ihnen beiden ein glückliches und gesundes neues Jahr.“
Valentinus noch hinterherschauend sagte Hermine nicht maßregelnd, sondern nur, um ihre Meinung kundzutun: „Das war nicht richtig, Severus. Sie könnten die Menschen, die Sie nicht ausstehen können, doch auch einfach ignorieren.“
„Tut mir außerordentlich Leid“, begann er spöttisch, „wenn ich Ihrem guten Bekannten gegenüber einfach nur die Wahrheit gesagt habe.“
Das Thema wechselnd offenbarte sie ihm: „Ich treffe mich morgen mit Harry, er kommt zu mir.“ Severus konnte seine Überraschung kaum verbergen, doch Hermine setzte noch einen oben drauf. „Wir lesen ’Leib und Seele’ gemeinsam.“
Sein Kehlkopf lugte kurz unter dem hohen Kragen hervor, weil er kräftig schlucken musste.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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160 Der Ewige See
Den Moment, in welchem ausnahmslos jeder die Augen nach oben gerichtet hatte, nutzte Severus, um sich unbemerkt von der Terrasse zu entfernen. Er hatte gerade den Rundbogen durchquert und den überdachten Gang betreten, da hörte er Albus’ Stimme hinter sich, der ihm gefolgt sein musste.
„Severus.“
Abrupt blieb Severus stehen, doch er drehte sich nicht um. Da es sich um Albus handelte, war es ihm nicht möglich, ihn einfach zu ignorieren. Die Zeit, in der er die langsam näher kommenden Schritte seines Mentors vernahm, nutzte Severus, um sich innerlich für ein Gespräch zu stärken, doch die Zeit war viel zu kurz. Albus konnte immer Argumente hervorbringen, die Severus kaum noch zu entkräften imstande war.
„Es freut mich“, Albus stellte sich direkt vor ihn, „dass du heute so lange geblieben bist.“ Einen Moment lang fragte sich Severus, ob sein alter Freund ihn auf den Arm nehmen wollte, doch der versicherte: „Du warst noch nie bis kurz vor eins mit deinen Kollegen draußen und hast das Feuerwerk bestaunt.“
„Ich habe gar nichts bestaunt“, feuerte Severus zurück, dem es missfiel, man könnte von ihm glauben, er hätte Spaß an bunten Raketen; in seinen Augen war es lächerlicher Kinderkram.
„Vielleicht lag es weniger an den Kollegen als an deinen Freunden, weswegen du länger geblieben bist?“
Severus war es gewohnt, dass Albus manchen seiner Äußerungen keinerlei Beachtung schenkte, wenn diese nicht in seine geplante Gesprächsführung passen würden.
„Du kannst dich sicherlich noch an unser erstes Gespräch nach dem Sieg über Voldemort erinnern?“, wollte Albus wissen.
„Natürlich.“ Es war eines seiner wichtigsten gewesen.
„Dann wird mir die Frage erlaubt sein“, Albus rückte seine Halbmondbrille gerade, „ob du bereits genügend Zeit und Muße gefunden hast, deinen künftigen Lebensweg zu ergründen?“
Für einen Moment aus der Bahn geworfen konnte Severus nichts anderes tun, als Albus mit offen stehendem Mund anzublicken, bevor er glaubte, die Bedeutung der Worte erfasst zu haben.
„Willst du mich hinauswerfen?“ Albus schüttelte sanft den Kopf und wollte etwas erwidern, da kam ihm Severus zuvor. Aufgebracht machte er von einer Redewendung Gebrauch: „’Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.’ Ist es das?“
„Nein Severus, ich habe dir gesagt, wenn es dir gefällt, dann kannst du solange bleiben wie du möchtest.“
„Was soll dann diese Frage?“ Severus war sichtlich erbost.
„Nun, ich habe den Eindruck – und das nicht erst seit kurzem –, dass dir die Arbeit hier nicht sonderlich zusagt.“
„Was habe ich getan, um diesen Eindruck zu erwecken? Als ich damals meine Bedenken geäußert hatte, für die Arbeit mit Kindern möglicherweise nicht sehr gut geeignet zu sein, da hast du dagegengehalten und behauptet, die Schüler müssten lernen mit jedem Schlag Mensch umzugehen. Ist das jetzt anders?“
Provozierend zog Severus beide Augenbrauen in die Höhe, doch Albus blickte ihn weiterhin freundlich an. Mit einem Mal kam ihm eine Idee. Seinen linken Oberarm hebend und mit den Fingern der rechten Hand zweimal auf die Stelle klopfend, unter der sich das dunkle Mal verbarg, fragte er gereizt: „Oder ist es deswegen?“
„Du weißt genauso gut wie ich, dass das kein Grund ist, Severus“, beschwichtigte der Direktor seinen Freund.
„Weswegen dann?“
„Wie ich während unseres Gesprächs damals schon gesagt habe, bist du noch jung genug, um Zukunftspläne zu schmieden. Ich habe nur gehofft, du hättest dir ein paar Gedanken gemacht, nichts für ungut.“ Der Direktor langte an Severus’ Schulter und drückte einmal in freundschaftlicher und gleichzeitig auch ermutigender Geste zu, bevor er sich verabschiedete und zurück zur Terrasse ging.
Das fehlte ihm jetzt noch, dachte Severus, als er nicht den Weg in die Kerker, sondern den Weg in den siebten Stock einschlug. Schon damals, gleich nach dem Gespräch mit Albus, hatte Severus angestrengt darüber nachgedacht, was er mit seinem Leben anfangen sollte; mit seiner Freiheit. Er selbst hatte keine eigenen Vorstellungen, keinen Antrieb, und er könnte sich höchstens an den Lebenszielen anderer Menschen orientieren. Als er in diesem Zusammenhang an Harry dachte, da beruhigte Severus sich wieder, denn der war hier ebenfalls Lehrer. Andererseits war Harry noch jung und könnte sich in einigen Jahren umorientieren. Sofern Severus davon unterrichtet war, hatte Albus damals alles vieren – Black, Draco, Harry und ihm – das gleiche Angebot unterbreitet und das war gewesen, so lange sie wollten in Hogwarts unterkommen zu dürfen, bis sie ihr Leben geordnet hätten. Black war der Erste gewesen, der nun außerhalb der Schulmauern lebte und das ärgerte Severus ein wenig. Draco hatte als Nächster diesen Schritt gewagt, doch er würde für den Rest des Schuljahres in Hogwarts bleiben.
Den siebten Stock endlich erreicht nahm Severus die Wendeltreppe nach oben, um von der Plattform aus die Gegend zu überblicken. Oben angelangt hörte er unerwartet Stimmen, so dass er sich ruhig verhielt.
„Das war ein schöner Tag gewesen“, erklang die verträumte Stimme der Schülerin Meredith Beerbaum.
Es erstaunte Severus nicht, denn es war ja kein anderer Schüler über die Ferien hier, dass er Gordian Fosters Stimme hörte, die lediglich schüchtern sagte: „Das finde ich auch.“
Nachdem Severus die Plattform des Astronomieturms betreten hatte dauerte es gar nicht lange, bis er die beiden ausgemacht hatte, denn die standen genau dort, wo er sich aufhalten wollte. Sich den beiden, die ihn noch nicht bemerkt hatten, langsam nähernd traute er seinen Augen kaum, als der junge Mann die Hand der Schülerin in die seine nahm, an seinen Mund führte und…
„Mr. Foster!“, tönte Severus’ Stimme, so dass beide Schüler erschrocken zusammenfuhren. Gordian warf die Hand, die er küssen wollte, von sich, als hätte man ihn beim Diebstahl erwischt.
„Profe..“ Gordian räusperte sich und begann erneut. „Professor Snape, ich wünsche Ihnen ein glückliches neues…“
„Was haben Sie hier oben verloren?“, unterbrach Severus.
Meredith erwiderte mutig: „Wir sehen uns das Feuerwerk an.“
„Tun Sie das?“, fragte er spöttisch zurück. „Es schien eher so, als würden Sie jeden Moment ein ganz eigenes Feuerwerk zünden wollen.“
Den Kopf senkend erwiderte Meredith nichts mehr, so dass er nun den Schüler seines Hauses anblickte, der kleinlaut zugab: „Es war meine Idee gewesen herzukommen, Professor. Wenn Sie jemanden bestrafen möchten, dann wäre ich derjenige, der es verdient hätte.“
„Oh, wie überaus ritterlich von Ihnen“, sagte Severus mit schmieriger Stimme, als er sich über den Schüler lustig machte. „Verschwinden Sie von hier, alle beide!“
Gordian und Meredith ließen es sich nicht zweimal sagen, doch als die beiden schon einige Schritte gegangen waren, da sagte Severus mit lauter Stimme: „Ach, Mr. Foster?“ Jetzt würde der Punkteabzug und die Auferlegung der Strafarbeit folgen, dachte Gordian, doch umso mehr überraschte es ihn, als sein Hauslehrer ihn vorwurfsvoll fragte: „Warum sind Sie noch nie auf die Idee gekommen, Miss Beerbaum in Ihren Gemeinschaftsraum einzuladen?“
Mehrmals blinzelnd verarbeitete Gordian diese Aussage, bevor er die Gegenfrage stellte: „Ist das denn möglich?“ Sein Hauslehrer blickte ihn mit starrer Miene an und erwiderte nichts, was für den Schüler Antwort genug war.
Nachdem die beiden gegangen waren stellte Severus sich an seinen Platz, an dem er schon zusammen mit Hermine gestanden hatte, als sie den Adlerauge-Trank ausprobiert hatten. Gedankenverloren blickte er zum Mond hinauf, der in wenigen Tagen rund sein würde. Einige Raketen aus Hogsmeade schossen in sein Blickfeld und zerplatzten am schwarzen Himmel. Severus hatte wieder einmal das Gefühl, fehl am Platze zu sein, denn allen anderen schien Silvester sehr viel zu bedeuten, während es für ihn lediglich ein weiteres Jahr einläutete, mit dem er nichts anzufangen wusste. Beizeiten würde er Harry fragen, wie der sich sein weiteres Leben vorstellte; ob er weiterhin Lehrer in Hogwarts bleiben wollte. Auch von Hermine wollte er demnächst in Erfahrung bringen, was sie zu tun gedachte, hätte sie erst einmal ihren Meister in der Tasche. Nach ein paar Minuten wurde es ihm zu kalt, so dass er den Heimweg antrat, während auf der Terrasse weiterhin das Feuerwerk gezündet wurde.
„Hermine“, rief Harry, als er auf sie zugelaufen kam. „Du willst doch nicht schon gehen?“
„Doch, mir wird langsam kalt, trotz Ginnys Umhang.“
Das hatte Ginny gehört, als sie bei den beiden angekommen war, so dass sie sagte: „Gut, dann kannst du ihn mir wiedergeben, mir wird nämlich auch kalt. McGonagall sagte eben, wir hätten jetzt Minus acht Grad.“ Ginny bedankte sich bei Hermine für den angewärmten Umhang, bevor sie sich wieder zu Sirius begab, denn die Kiste mit den Feuerwerkskörpern war bei weitem noch nicht leer.
Harry blickte ihr einen Moment lang hinterher, bevor er erneut Hermine ansah und fragte: „Wann soll ich morgen bei dir sein?“
„Nicht vorm Aufstehen, Harry“, antwortete sie auflachend. „Nach dem Mittagessen reicht völlig.“
„Wir sehen uns dann sicherlich in der großen Halle?“ Nachdem Hermine bestätigend genickt hatte, ging auch Harry zurück zu Sirius und Ginny.
Sich bei den Anwesenden verabschiedend wunderte sich Hermine nur kurz darüber, dass Albus nicht hier war, doch auf ihrem Weg traf sie ihn. Er stand im überdachten Gang und schien in Gedanken versunken zu sein, während er den dunklen Schulhof betrachtete.
„Albus?“ Er blickte auf und als er sie sah, da wurden seine Augen mit Warmherzigkeit geflutet. „Geht es Ihnen gut?“, fragte sie gleich im Anschluss, denn er schien ein wenig traurig zu sein.
„Alles bestens, danke der Nachfrage, meine Liebe.“ Sie zögerte einen Moment, wollte dann jedoch ihren Weg fortsetzen, da fragte Albus unverhofft: „Sagen Sie, Hermine...“ Sie blieb nicht nur stehen, sondern kam auf ihn zu, bevor er fragte: „Es würde mich interessieren zu erfahren, wie Sie Ihre Zukunft sehen.“
„Ähm“, machte sie im ersten Moment verdutzt, bevor sie die Gegenfrage stellte, „allgemein gesehen oder detailliert? Wenn ich nämlich ehrlich bin, dann habe ich noch keine festen Pläne, nur einige Ansätze.“ Er zog die Augenbrauen in die Höhe und wartete mit einem geduldigen Lächeln auf den Lippen, denn diese Ansätze wollte er hören. „Ich dachte mir, dass ich nach der Ausbildung bei Severus vielleicht im Mungos anfange und zwar am liebsten in der Abteilung für ’Vergiftungen durch Zaubertränke und magische Pflanzen’. Das würde mir liegen.“ Sie wäre prädestiniert dafür, denn sie hätte nicht nur eine Heilerausbildung mit Bestnoten, sondern später auch ihren Meister in Zaubertränken; voraussichtlich ebenfalls mit Bestnoten.
„Im Mungos…“, murmelte Albus und sofort kamen Zweifel in Hermine auf, ob ihre Entscheidung die richtige wäre, doch es war ihr Leben und sie müsste wissen, was ihr am meisten Spaß machen würde, auch wenn sie Träumereien aus Kriegszeiten nicht beachtete, an denen ihr Herz genauso hing und deswegen vergrub sie ihre Zweifel auch schnell wieder. „Sie sind sehr talentiert“, lobte Albus unerwartet, weswegen Hermine beschämt lächeln musste. „Es wäre ein Jammer, wenn man Ihre Fähigkeiten im Mungos ausbremsen würde.“
Die Zweifel waren so schnell wieder da, wie sie eben verschwunden waren.
„Wir sehen uns morgen sicherlich beim Frühstück, Hermine“, sagte Albus, bevor er ihr einmal zuzwinkerte und auf die Terrasse zusteuerte.
Mit der Frage beschäftigt, was sie nach ihrer Ausbildung bei Severus mit ihrem Leben anfangen wollte, ging sie in den vierten Stock und die gleiche Frage beschäftigte sie auch noch, als sie nach einer kleinen Abendlektüre ins Bett ging.
Auch Severus machte sich ganz ähnliche Gedanken, während er einzuschlafen hoffte. Schon nach seinem ersten Gespräch mit Albus hatte er über seine mögliche Zukunft nachgedacht, während er im Verbotenen Wald spazieren gegangen war. Es waren fünf Punkte gewesen, die seines Erachtens die meisten Menschen mit einem erfüllten Leben in Verbindung brachten und daher ersehnten: einen Lebenspartner finden, eine Familie gründen, eine Bombenkarriere hinlegen, viel Geld machen, glücklich sterben. Die ersten beiden Punkte wollte er für sich streichen, doch er fragte sich ernsthaft, ob der letzte Punkt noch erreichbar sein würde, wenn man sich einsam fühlte. Er erinnerte sich zudem daran, dass er damals kurz nach diesen Überlegungen seinen Hund gefunden hatte und in just diesem Moment sprang Harry auf sein Bett und legte sich neben seine kalten Füße. Endlich konnte er einschlafen.
Mit geschlossenen Augen erwachte Severus langsam und er spürte, was vielleicht an einen Traum liegen könnte, an den er sich jedoch nicht erinnerte, dass jemand bei ihm war und das war nicht sein Hund. Er fühlte etwas Warmes an seiner Wange, fast wie eine Liebkosung und sein Herz begann wie wild zu pochen, als er der festen Überzeugung war, es würde sich um Hermine handeln, die sich nicht nur unaufgefordert in seinem Schlafzimmer aufhielt, sondern auch noch die Dreistigkeit besaß ihn zu berühren. Geschwind öffnete er seine Augen und richtete sich auf, doch er war allein; er hörte nicht einmal eine Atmung, so dass er auch die Tarnung durch einen Unsichtbarkeitsmantel ausschließen konnte. Erleichtert legte er sich wieder hin und trotzdem er nun wach war, spürte er erneut die Wärme an seiner Wange. Der Grund war schnell gefunden, denn durch das winzige Oberlicht schien die Sonne in sein Schlafzimmer hinein und ein kleiner Strahl war auf sein Gesicht gefallen.
Wenn jetzt schon die Sonne aufgegangen war, dachte er, dann musste er lange geschlafen haben. Ein Blick auf seine Uhr bestätigte seine Vermutung, doch fürs Frühstück in der großen Halle war es noch nicht zu spät. Ein hohes Fiepen riss ihn aus seinen Gedanken. Harry hatte mit weit aufgerissenem Maul gegähnt, bevor er vom Bett sprang und sich streckte.
Am noch nicht sehr gut besuchten Frühstückstisch in der großen Halle streckte sich Harry, bevor er mit weit aufgerissenem Mund gähnte, was Hermine belustigt beobachtete.
„Wow Harry, ich konnte eben einen Blick auf sämtliche deiner inneren Organe werfen!“
„Tut mir Leid, Mine.“ Er legte eine Hand auf seinen Mund.
„Das ist jetzt ein bisschen zu spät“, schäkerte sie.
„Ich werde versuchen“, versicherte Harry mit einem Schmunzeln auf den Lippen, „noch während des Frühstücks meine Augen-Hand-Koordination wiederzuerlangen.“
„War es gestern denn so spät geworden?“, wollte sie wissen, während sie sich einen Tee einschenkte. Momentan waren sie die Einzigen am Tisch.
„Ginny war viel länger auf, ich habe sie deswegen noch schlafen lassen. Sirius und Ginny sind noch viel feuerwerksbegeisterter als ich“, erklärte er erstaunt. „Hätte ich gewusst, dass Albus so viel von den Zwillingen gekauft hat und er das auch noch alles zur Verfügung stellte, dann hätte ich gar nichts selbst besorgt.“
Hermine lächelte, denn sie konnte sich gut vorstellen, wie Ginny und Sirius solange wach geblieben waren, bis die letzte Rakete abgeschossen war.
„Severus war gestern recht früh gegangen“, sagte Harry nebenbei.
„Dafür, dass er eigentlich gar nicht kommen wollte, war es doch völlig in Ordnung“, verteidigte sie ihn in Abwesenheit. „Ach ja, ich hab ihm gesagt, dass wir beide und heute treffen und… na ja, was wir zusammen lesen wollen.“
Mit großen Augen blickte er seine beste Freundin an, bevor er wissen wollte: „Muss ich mir Gedanken um meine Gesundheit machen oder wie hat er das aufgefasst?“
„Gesagt hat er gar nichts, aber ich vermute, dass es ihm unangenehm ist.“
In diesem Moment hörten Hermine und Harry die Tür zur großen Halle, so dass beide zum Eingang schauten, um zu sehen, wer eintreten würde. Severus hatte kaum einen Schritt hineingetan, da blieb er wie angewurzelt stehen, nachdem er die beiden einzigen Anwesenden bemerkt hatte. Nach anfänglichem Zögern marschierte er auf den Tisch zu und setzte sich – weil alle Stühle frei waren – nicht direkt neben einen der beiden. Er grüßte nur knapp, bevor er zur Kaffeekanne griff. Harry blieb stumm, doch irgendwas wollte er sagen, damit es nicht so aussehen würde, als hätten sie gerade über ihn geredet.
Hermine hingegen machte ihm einen Strich durch die Rechnung, denn an Severus gewandt offenbarte sie mit ruhiger Stimme, als würde sie über das Wetter sprechen: „Ich habe Harry eben erzählt, dass Sie wissen, was wir heute zusammen lesen wollen.“
Sie hatte ihn kalt erwischt, denn als er die Kaffeekanne wuchtig auf dem Tisch abstellte, da achtete er nicht auf den Teelöffel, der nun wie durch ein Katapult abgefeuert in hohem Bogen auf Harry zugeflogen kam, der sich auf der Stelle erschrocken duckte. Das metallische Geräusch des auf den Boden aufgeschlagenen Teelöffels hallte noch einen Moment nach, bevor Harry es wagte sich aufzurichten und einen schüchternen Blick zu Severus zu riskieren, jedoch sofort wieder auf sein Frühstücksbrötchen starrte, um dem Todesblick zu entgehen.
Die Tür zur großen Halle öffnete sich erneut und Remus trat ein. Mit seinem milden Lächeln näherte er sich dem Tisch und nahm über Eck in Severus’ Nähe Platz, der daraufhin das Gesicht verzog. Hermine richtete sofort das Wort an Remus.
„Hast du heute etwas vor?“, fragte sie.
Harry bemerkte, dass Severus kurzfristig beim Umrühren seines Kaffees, für den er sich den Löffel von Remus’ Gedeck gemopst hatte, innehielt, dann jedoch gespannt zu lauschen schien, als Remus erwiderte: „Ja sicher, was hast du denn vor?“ Auch Harry war gespannt und er biss von seinem Brötchen ab, während er Hermines Antwort abwartete.
„Harry und ich starten heute einen kleinen Lesezirkel.“
Harry holte aufgeregt Luft, doch anstatt ihr sagen zu können, dass sie aufhören sollte, hier am Tisch darüber zu reden, hatte ein kleiner Krümel den Entschluss gefasst, nicht den Weg der Speiseröhre zu nehmen, sondern mal ganz spontan den anderen. Wild hustend bemerkte er aus den Augenwinkeln, dass Hermine ihren Stab gezogen hatte und etwas murmelte, bevor er das Kratzen in seinem Hals mit einem Male verschwunden war. Sofort spülte er mit Kürbissaft nach.
Durch diesen Vorfall etwas skeptisch geworden fragte Remus: „Was denn für einen Lesezirkel?“
„Harry und ich wollten…“ Sie stoppte und blickte Harry an, der ihr unterm Tisch eben einen Stoß ans Schienbein gegeben haben musste, was den anderen beiden nicht entgangen sein durfte.
Mit öliger Stimme sagte Severus so ruhig, dass man durchaus einen gereizten Unterton ausmachen konnte: „Ja Hermine, erzählen Sie doch bitte von diesem ’Lesezirkel’, das interessiert mich natürlich sehr!“
Severus beugte sich nach vorn, um dem Korb ein Brötchen zu entnehmen, da stoppte er sich selbst, setzte sich wieder aufrecht hin und führte eine Hand an seine Brust. Mit bedächtig provozierender Bewegung zog er seinen hellen Zauberstab aus Weißbirke aus der Innentasche, bevor er ihn auf den Tisch neben seinen Teller legte. Er drohte indirekt, ließ es aber so aussehen, als würde der Stab ihn momentan bei seinen Bewegungen einschränken. Die ganze Zeit über hatte er Hermine durch zusammengekniffene Lider anstarrt. Noch einen Moment lang warf er ihr diesen eindringlichen Blick zu, der ausreichen würde, um einen Erstklässler in ein Häufchen Elend zu verwandeln, bevor er zum zweiten Male ausholte und sich diesmal eines der Brötchen nahm. Es war Severus nicht entgangen, dass Remus ihn entgeistert anblickte, kurzzeitig den Stab auf dem Tisch betrachtete und Severus daraufhin erneut anschaute. Aus Severus’ Handeln wurde Remus nicht schlau, so dass er sich seinem eigenen Frühstück widmen wollte.
„Ist das Kaffee?“, fragte Remus, als er auf die Kanne deutete, die vor Severus stand. Ein Nicken bestätigte die Vermutung. „Oh wunderbar, reichst du sie mir bitte?“
Irritiert fragte Severus: „Sie trinken Kaffee?“
„Am Neujahrsmorgen schon, ich muss ja irgendwie wach werden“, erwiderte Remus mit einem heiteren Lächeln auf den Lippen. Die Kanne entgegennehmend und sich einschenkend fragte er Hermine: „Also, was war das mit dem Lesezirkel?“
„Wir wollten…“ Hermine hielt inne und warf Harry einen bösen Blick zu, wandte sich dann aber erneut Remus zu. „Das Buch, dass ich am Grimmauldplatz…“ Nochmals stoppte sie und sie schien Harry mit einem einzigen Blick verfluchen zu wollen. Nichtsdestotrotz versuchte sie es erneut. „Wir möchten… HARRY!“ Alle drei waren bei Hermines unerwarteter Lautstärke zusammengefahren. Um von diesem Vorfall abzulenken – Harrys ständigen Tritte unter dem Tisch hatten sie mürbe gemacht – fragte sie ihn hörbar aggressiv: „Reichst du mir bitte die Butter?“ Eingeschüchtert schob Harry ihr das Schälchen mit der irischen Butter hinüber und unterließ es ab jetzt, sie darauf aufmerksam machen zu wollen, dass er ihre angriffslustige Taktik nicht guthieß.
„Wo war ich?“, fragte sich Hermine selbst. „Ja, das Buch ’Leib und Seele’ wollen wir heute lesen. Wenn du Zeit und Lust hast, Remus?“
„Ähm“, machte Remus verlegen und mit einem Male verstand er auch, warum Harry sie daran hindern wollte, ihren Satz zu Ende zu bringen. „Ich…“ Sein Blick schweife zu Severus hinüber, der ihn eindringlich beäugte und auf eine Antwort wartete. „Ich muss mal sehen“, erwiderte er ungenau.
„Du hast doch aber gesagt, du hättest Zeit?“, fragte sie frech nach.
Unsicher lachte Remus auf, bevor er ehrlich zugab: „Ich habe Zeit, ich muss nur sehen, ob ich auch Lust dazu habe. Die Themen, die dort behandelt werden, sind…“ Nochmals blickte er auf, weil er den Blick von seinem Gegenüber bereits auf seiner Haut spüren konnte. „Die Themen sind sehr, ähm, eigen.“
„Ja, ich weiß“, sagte sie offenherzig klingend, während sie beim Buffet zulangte, als wäre dies eine vollkommen normale Situation. „Ich habe ja schon reingelesen. Das ist sehr harte Kost, aber ich denk, ich werde es schaffen. Ich würde mich ja gern mit jemandem darüber unterhalten, aber ich finde einfach niemanden, der ein offenes Ohr hat. Jeder in diesem Schloss scheint seine Zunge verschluckt zu haben, wenn es um dieses Thema geht und ehrlich gesagt“, sie blickte kurz in die Runde, „ist das sehr belastend. Ich möchte doch nur…“
Remus fiel ihr ins Wort und fragte amüsiert, weil es ihm Unbehagen bereitete, gerade dieses Thema so offen vor Severus zu bereden: „Sag mal, Hermine, hast du heute morgen Plappersaft getrunken?“
„Nein“, hörte man Severus plötzlich sehr ernst einwerfen. „Sie ist ein Naturtalent!“
Sie schaute ihn ein wütend an und warf ihm im Anschluss ein Lächeln zu, das soviel sagte wie ’Damit haben Sie mich nicht getroffen!’; er hingegen grinste halbseitig, denn er wusste ganz genau, er hatte damit einen ihrer wunden Punkte erwischt.
Die Stimme von Albus war plötzlich zu hören, der nicht durch die Flügeltür, sondern durch den Lehrereingang gekommen sein musste und er sagte beschwingt: „Was für eine fröhliche kleine Runde!“ Erst in diesem Moment wägte Hermine ab, ob sie aufhören sollte, weil auch Valentinus zum Frühstück gekommen war.
Innerlich aufgewühlt und daher angriffslustig fragte Severus, obwohl Valentinus nichts mit der vorherigen Unterhaltung zu tun hatte: „Was denn? Sie finden mal wieder Zeit zum Frühstück?“
„Ja“, erwiderte der Kollege, dem der bissige Tonfall entgangen sein musste, mit einem strahlenden Lächeln. „Mein Buch ist fertig! Ich habe es die ganzen Wochen überarbeitet und denke, dass ich es jetzt einem Verlag schicken kann. Trotzdem wäre es schön gewesen“, er blickte Hermine an, „wenn jemand ein Auge drauf geworfen hätte, der sich ebenfalls mit Knieseln auskennt.“
„Wissen Sie was, Valentinus? Ich werd’s tun!“, sagte Hermine zum Erstaunen aller Anwesenden; Harry fiel sogar die Wurst vom Brot. „Denn wenn jemand Hilfe benötigt, dann sollte man die Hilfe auch gewähren, sofern man dazu in der Lage ist, nicht wahr?“ Valentinus schien nicht ganz folgen zu können, doch er nickte zaghaft und stimmte ihr zu.
„Das wäre ganz wunderbar, Hermine“, sagte der Schönling und Severus verzog das Gesicht, als sein Kollege sie vertraut beim Vornamen nannte. „Ich werde mich mit einem köstlichen Essen außerhalb revanchieren.“
„Sie könnten mir möglicherweise im Gegenzug auf andere Weise einen Gefallen tun. Kennen Sie sich eventuell mit altmodischen Heilmethoden für Geisteskrankheiten aus?“
Hermine hatte den Bogen überspannt, weswegen Severus höchstpersönlich einschritt und die Behauptung aufstellte: „Sicherlich nicht, denn das sind sehr spezifische Gebiete, über die man extrem selten in Büchern stößt.“ Valentinus schaute Severus an und wollte soeben klarstellen, dass es durchaus im Bereich des Möglichen liegen könnte, ihr in dieser Sache behilflich sein zu können, da fügte Severus hinzu, während er seine Augen nicht von denen seines Kollegen nahm: „Diese Bücher bewegen sich im Bereich der dunklen Magie!“
„Oh“, machte Valentinus erschrocken, bevor er das Wort an Hermine richtete. „Dann werde ich Ihnen sicherlich nicht sehr hilfreich sein können, aber wie es aussieht, könnte Severus Ihnen bestimmt helfen.“
Frech lächelnd blickte sie Severus an und fragte scheinheilig: „Würden Sie mir auf diesem Gebiet ein wenig unter die Arme greifen? Ich benötige Hilfe, Severus.“
Der letzte Teil ihres Satzes klang sehr flehend, doch bevor er dazu kam zu antworten, ergriff Albus das Wort und sagte in strengem Tonfall: „Wenn die beiden Schüler eintreffen, dann wird es andere Gesprächsthemen am Tisch geben, habe ich mich verständlich ausgedrückt?“
Alle schauten ehrfürchtig zu Albus hinüber, der über seine Halbmondbrille hinweg jedem Einzelnen einen Blick schenkte. Bei Hermine angelangt musste sie kräftig schlucken, denn es schien so, als hätte diese Aufforderung ausschließlich ihr gegolten, weswegen sie ihm von den anderen ungesehen einmal beschämt zunickte.
Nach dem Frühstück, welches im weiteren Verlauf sehr ruhig gewesen war, verließ als Erster Severus den Tisch, doch der war nicht einmal aus der Tür raus, das stand Hermine von ihrem Stuhl auf.
„Hermine“, warnte Harry leise, „es ist genug!“
Sie blickte ihn fragend an, bevor sie um den Tisch herum ging und den Zauberstab in die Hand nahm, den Severus vergessen hatte. „Ich will ihm nur seinen Stab bringen.“
Gerade eben hatte Severus die Flügeltür der großen Halle hinter sich gelassen, da hörte er Schritte. Derjenige – oder eher diejenige, wie Severus vermutete – musste rennen, um mit ihm mithalten zu können. Innerlich seufzte er müde, doch nach außen hin hielt er seine steinerne Fassade aufrecht. Als die Schritte lauter wurden, da blieb er abrupt stehen und wandte sich um. Beinahe wäre Hermine in ihn hineingelaufen.
„Was laufen Sie mir nach? Sie haben doch für heute bereits einen Tagesplan ausgearbeitet, nicht wahr? Und dann auch noch so öffentlich!“ Seine Wut hatte er nicht unterdrücken wollen.
„Sie können auch kommen, Severus. So ab ein Uhr…“ Er schnaufte verächtlich und wandte sich ab, um ihr zu entfliehen. „Warten Sie!“, nörgelte sie. „Vermissen Sie denn gar nichts?“
Er vermisste die Zeit, als sie noch brav gekuscht hatte. „Ich vermisse meine Ruhe!“
„Ihr Zauberstab, Severus“, sagte sie freundlich klingend.
Mit einer Hand fasste er sich an die Brust und erst da bemerkte er seine Fahrlässigkeit. Sich umwendend sah er, wie sie ihm den Stab – mit dem Griff ihm zugewandt – entgegenhielt. Seine Hand schnappte wie das Maul eines Krokodils zu und entriss ihr den Zauberstab, doch bevor er etwas sagen konnte, hörte man Pomona von weitem, die ihn dazu aufforderte stehenzubleiben. Neugierig, wie Hermine war, blieb auch sie an Ort und Stelle.
Die pummelige Professorin für Kräuterkunde kam angsteinflössend schnell auf Severus zugestürmt. Ihre Wangen trugen einen rötlichen Schimmer und man konnte nicht mit Bestimmtheit festmachen, ob dies auf die herrschende Kälte oder ihre merkliche Wut zurückzuführen war.
„Severus“, sagte die rundliche Lehrerin in tadelndem Tonfall. „Ist es wahr“, sie zischte genauso wie er es sonst tat, „dass Sie Mr. Foster dazu aufgefordert haben, Miss Beerbaum in den Schlafsaal der Slytherins zu führen?“
Seine emotionslose Maske haltend, auch wenn es ihm dieses Mal wirklich schwerfiel, erwiderte er trocken: „Nein.“
Er entfernte sich bereits von den beiden Damen, da wetterte Pomona ihm hinterher: „Lügen Sie mich auch nicht an?“
Sich umdrehend und die Hände hinter dem Rücken verschränkend schlug er vor: „Begleiten Sie mich in die Kerker, Pomona. Ich werde einen Tropfen Veritaserum nehmen und Sie dürfen mir dieselbe Frage noch einmal stellen, aber ich versichere Ihnen, dass meine Antwort auch mit Veritaserum genauso ausfallen wird.“
Pomona wirkte aufgrund des von ihrem Kollegen gegebenen Angebots irritiert. „Ich…ähm… Nein, wenn Sie es sagen, dann wird es wohl so sein.“
Er nickte ihr höflich zu und verabschiedete sich. „Wenn Sie mich nun entschuldigen würden?“
Später, nach dem Mittagessen, von dem sich Severus ferngehalten hatte, fand sich Harry bei Hermine ein.
„Was macht denn Ginny heute?“, fragte Hermine natürlich, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte, weil Harry am Neujahrstag nicht mit ihr zusammen war.
„Schon seit Wochen hat sie für heute eine Verabredung mit Pomona, Gordian und Meredith.“ Weil er während des Frühstücks, nachdem Hermine bereits gegangen war, nicht alles erfahren hatte, fügte er hinzu: „Da ist wohl irgendwas vorgefallen, meinte Ginny.“
Harry nahm neben ihr Platz, während Hermine bereits schilderte, was sie wusste: „Gordian hat gestern Abend offensichtlich Meredith mit in den Slytherin-Schlafraum genommen und Pomona hatte – warum auch immer – geglaubt, dass Severus ihn dazu angestiftet hätte.“ Harry machte große Augen, denn das Szenario schien völlig unglaubwürdig. „Ich hoffe nur, es ist nichts… ähm… ’passiert’.“
„Nein, es gab nur einen Tadel von Pomona, nicht mal eine Strafarbeit.“
Sich das Buch „Leib und Seele“ greifend legte sie es zunächst auf ihren Schoß.
„Möchtest du was trinken, bevor wir anfangen?“, wollte sie wissen.
„Noch nicht, später vielleicht.“ Er blickte auf seine Uhr. „Es ist ein Uhr durch. Ich nehme mal an, dass Remus nicht kommen wird.“
„Severus wohl auch nicht.“
„Du hast ihn gefragt?“ Er schien heute aus dem Staunen gar nicht mehr herauszukommen, dabei hatten sie das Buch noch nicht einmal aufgeschlagen.
„Natürlich habe ich ihm gesagt, dass er auch kommen kann. Ich möchte MIT ihm arbeiten und nicht gegen…“ Sie beendete den Satz nicht, sondern seufzte stattdessen.
„Ich weiß nur nicht“, begann Harry verschüchtert, „ob ich noch dabei sein möchte, sollte er doch noch kommen.“
„Du hast gesagt, dass du wieder mit an Bord bist, Harry!“, hielt sie ihm vor Augen.
„Fangen wir einfach an. Du hast schon was gelesen?“
„Ja“, bestätigte sie. „Die ersten drei Kapitel, aber da geht es um körperliche Erkrankungen. Ich habe Kapitel acht und neun gelesen, die befassen sich schon mit der Seele.“
„Wie viele Kapitel hat das Buch?“
„Neunzehn und am Ende einen kleinen Anhang mit Erklärungen“, erwiderte sie, während sie das Buch aufschlug und die Inhaltsangabe überflog. „Lesen wir alles oder nur den Teil über die Seele?“
„Fangen wir mit der Seele an und wenn wir Zeit haben, können wir den Anfang auch noch lesen, falls es da einen Zusammenhang geben sollte.“
Es stellte sich sehr schnell hinaus, dass mit der im Buch behandelten „Seele“ nicht nur sämtliche Gefühlsregungen gemeint waren, sondern tatsächlich die Seele als nicht philosophisch gemeinter Bestandteil eines Körpers. Die Seele war nach Auffassung der damaligen Heiler als separates Element eines Menschen zu betrachten und Hermine konnte dem nur zustimmen, besonders wenn sie sich alles, was sie jemals über Dementoren und deren Küssen in Erfahrung hatte bringen können, ins Gedächtnis zurückrief.
Nach dem ersten Kapitel, das die Seele behandelte, wollte Harry doch etwas zu trinken haben, denn obwohl Hermine gelesen hatte, war sein Mund ganz trocken geworden, wofür er das Thema verantwortlich machte.
Er gab offen zu, dass er dem Stoff nicht immer folgen konnte, doch Hermine war nicht böse, wenn er zwischendurch sporadisch Fragen gestellt hatte, wie auch diese: „Heißt das, man hat früher bestimmte Krankheiten ausschließlich der Seele zugeschrieben und andere nur dem Körper?“
„Ja, macht man ja heute nicht anders. In der Muggelwelt gibt es jede Menge psychosomatische Erkrankungen, deren Ursachen nicht körperlich sind und auch in diesem Sinne ist man häufig ratlos, wie so eine Krankheit zu behandeln ist.“
„Aber die Muggel schnippeln einem nicht einfach an der Seele herum!“
„Wie sollten sie auch? Das ist offensichtlich nur mit Magie machbar und es ist gut, dass die Muggel keinerlei Möglichkeit haben, eine Seele auf diese Weise, wie sie hier beschrieben steht, zu ’behandeln’. Es reicht, dass es damals wie auch heute noch Medikamente gibt, die manchmal fragwürdige Resultate erzielen, aber sie wirken auf das Gehirn ein, nicht auf die Seele. Man ist bei solchen Medikamenten zum Glück sehr vorsichtig; heute entscheiden die Ärzte sehr überlegt, besonders was die Behandlung von Kindern betrifft.“
„Dann wissen Muggelärzte von der Seele?“
„Das ist ein schwieriges Thema, Harry. Man weiß ja in der Muggelwelt allgemein nicht sehr viel über die Seele; nicht mal alles über den Körper, sonst wäre man längst in der Lage, alle Krankheiten zu heilen oder wenigstens zu verstehen. Zumindest gibt es bei den Muggel harmlose, aber hilfreiche Therapieformen für Erkrankungen der Seele, zum Beispiel einfache Gespräche“, erklärte sie.
„Vielleicht sollte man bei Severus eine Muggeltherapie anwenden?“
Die Idee fand Hermine zwar nicht schlecht, aber auch für nicht durchführbar, denn sie hielt dagegen: „Was glaubst du, was ich bei Severus seit Monaten versuche? Ich versuche, ihn zum Reden zu bewegen. Wenn du möchtest“, sie grinste, „kannst du gern probieren, eine Gesprächstherapie mit ihm zu beginnen. Auf das Resultat freue ich mich jetzt schon.“
„Okay, ich hab’s verstanden“, sagte Harry ein wenig betrübt klingend. Vielleicht wären offene Gespräche die einfachste Methode, um Severus zu helfen, doch der würde nicht dazu zu überreden sein.
„Aber ich bin der Überzeugung, dass es bei Severus sowieso nicht helfen würde. Seine Seele ist ja nicht erkrankt, sie ist einfach“, ihre Stimme wurde leiser, „nicht mehr vollständig.“
„’Einfach’ ist gut“, sagte er seufzend. „Lesen wir weiter.“
Nach Kapitel elf musste Harry um eine längere Pause bitten, damit sein Verstand dem Inhalt des Buches noch folgen konnte. Gerade wollte Harry dazu ansetzen, ein wenig den Inhalt des Gelesenen mit eigenen Worten wiederzugeben, um zu sehen, ob er alles richtig verstanden hatte, da klopfte es. Beide blickten sich mit weit aufgerissenen Augen an, bevor Hermine sich zusammenriss und laut „Herein“ sagte. Es war nicht Severus gewesen, sondern Remus, der beim Anblick der beiden erleichtert ausatmete.
„Remus! Es ist schön, dass du doch gekommen bist“, sagte Hermine erfreut.
Mit einem halbseitigen Lächeln, denn ganz wohl fühlte er sich bei der Sache nicht, erwiderte er: „Ich habe dir gesagt, dass ich dir helfen werde, Hermine. Es ist nur…“
„Ich weiß, es geht mittlerweile an die Substanz“, warf sie ernst ein, woraufhin Remus zustimmend nickte.
Er hatte es sich neben Harry gemütlich gemacht, bevor er erklärte: „Es wäre leichter zu ertragen zu wissen, dass Severus einfach so ist wie er ist. Aber der Grund dafür…“ Remus atmete einmal tief durch. „Hermine“, er blickte sie an, „du hattest mir bereits ein paar Dinge erzählt, aber eines möchte ich wirklich wissen: Sind das nur Vermutungen, die du aufgestellt hast?“
„Ich befürchte nicht, Remus. Nicht nachdem, was Severus mir gesagt hatte."
Man konnte Remus ansehen, dass er nachdachte und beide wollten seine Gedankengänge nicht unterbrechen. Harry schenkte sich selbst noch etwas Kürbissaft ein, um Remus ein wenig Zeit zu geben und der hatte sich auch bald wieder gesammelt.
„Bisher weiß ich, wenn ich das mal kurz zusammenfassen darf, dass Severus’ Augenfarbe sich manchmal verändert, meist in eurer Nähe, einmal sogar in meiner Anwesenheit.“ Harry und Hermine nickten, so dass Remus weiter ausführte: „Und er hat Harry damals mit einem mysteriösen Hinweis auf etwas aufmerksam gemacht, das vor etwa zwanzig Jahren geschehen sein soll.“ Harry nickte erneut. „Gut“, sagte Remus, bevor er kurz in sich ging. „Albus weiß nach Hermines Aussage genau, was damals geschehen sein soll, aber er hält den Mund.“
„Korrekt“, warf sie bestätigend und verärgert ein.
„Und du hast mir erzählt, dass Severus zu allem Übel wahrscheinlich auch noch depressiv ist.“
Hermine nickte Remus zu und versicherte: „Das kriege ich schon in den Griff, keine Sorge.“
„Was ich dank Harrys Denkarium mit eigenen Augen sehen konnte, war seine gestörte Magie. Wenn ich ehrlich bin“, Remus blickte sie an, „dann konnte ich schon nichts mit diesen Informationen anfangen, als du mir davon erzählt hast und jetzt sieht es nicht anders aus. Du hast neulich gesagt, dass Severus sehr deutlich geworden wäre; dass er gesagt hätte, er hätte mit dem Unbekannten gespielt und du glaubst fest, dass es dieses Buch war, mit dem er sich befasst hatte?“
„Ja, eindeutig! Er muss innerhalb von sieben Wochen irgendetwas ausgebrütet haben, worum wir uns jetzt kümmern müssen“, sagte sie selbstsicher.
„Aber du sagtest“, warf Harry ein, „dass es keine Heilung gibt, wenn man diesen Trank“, er zeigte auf das Buch in ihrem Schoß, „eingenommen haben sollte.“
„Wenn dein Arm gebrochen wäre“, begann Hermine und er musste sofort an sein zweites Schuljahr denken, „und Skele-Wachs nicht helfen würde, dann versucht man es eben mit Gips!“ Weil er sie irritiert anschaute, erklärte sie: „Es gibt immer andere Möglichkeiten als nur eine einzige, auch wenn es länger dauern sollte.“
„Und was hast du vor?“, wollte Harry neugierig wissen.
„Das Problem ist“, machte sie klar, „dass ich zu wenig weiß. Man weiß allgemein viel zu wenig über die Seele an sich, aber ich habe auch keine Ahnung, ob Severus den Trank verändert hat oder was genau geschehen ist, als er ihn genommen hat.“
Remus hatte genau zugehört und fragte: „Du bist die hundertprozentig sicher, dass er diesen Trank hier gebraut und genommen hat?“
Sie zögerte, denn Beweise hatte sie nicht.
„Es muss so sein, denn es passt alles zusammen! Er sagte, er wäre mit Dingen in Berührung gekommen, die unwiderruflich Verderben bringen; Dinge, die auf seine Seele eingewirkt haben. Er selbst glaubt nicht an eine Heilung, aber er setzt auf mich, das weiß ich! Es kann nur das hier gemeint sein.“ Sie hob das Buch einmal an. „Ich bin mir sicher; nicht hundertprozentig, aber sicher genug, um damit weiterzumachen.“
„Was schwierig werden wird“, warf Remus ein.
„Wie meinst du das?“, wollte Harry wissen, als er zu seinem Kürbissaft griff.
„Wie ich das meine? Das ist ein unerforschtes Gebiet! Severus selbst scheint nicht gewusst zu haben, was er da überhaupt getan hat. Man kann nur spekulieren und Theorien aufstellen, denn Experimente in dieser Hinsicht sind wohl kaum möglich.“
Hermine stimmte ihm zu. „Das ist es auch, was ich tun werde! Ich werde alles theoretisch durchgehen und nach einer Lösung suchen. Bei dem Gegengift für ’Schlafes Bruder’ haben wir es ja nicht anders gemacht.“ Sie seufzte entmutigt. „Ich muss wissen, was er genau getan hat, wie er den Trank gebraut hat, wie viel er eingenommen hat. Ich habe gut Lust, ihm Veritaserum einzuflößen.“
„Ähm, Hermine“, sagte Harry kleinlaut, „du willst ihm doch helfen UND die Sache überleben oder?“
„Natürlich! Glaubst du allen Ernstes, ich würde ihm Wahrheitsserum untermischen?“
„Du hast auch versucht, ihm deinen Farbtrank ohne sein Wissen…“
„Warum muss eigentlich jeder auf diesem kleinen Fehler rumhacken?“, nörgelte sie gereizt. „Da habe ich Mist gebaut, das gebe ich zu, aber ich habe kurz darauf immerhin seinen Irrwicht in Erfahrung gebracht, den er mir sonst nie freiwillig gezeigt hätte, also war es doch für etwas gut.“
In diesem Moment erinnerte sich Harry daran, dass er Hermine dabei beobachtet hatte, wie sie einen bestimmten Gegenstand aus seiner Kiste mitgenommen hatte. Mit diesem Gegenstand hatte sie Severus ganz offensichtlich noch nicht konfrontiert, denn das hätte sie ihm erzählt – oder er hätte es gemerkt.
Sich an etwas Schokolade vergreifend, die in einem Schälchen auf dem Tisch lag, fragte Remus: „Warum meinst du, dass er auf deine Hilfe hofft? Es ist doch bereits in der Vergangenheit offensichtlich gewesen, dass er nicht sehr begeistert von deinen Nachforschungen ist.“
Zunächst nickte Hermine, bevor sie erklärte: „Er hat mir sogar gesagt, dass ich endlich aufhören soll, aber an Weihnachten, wo er geglaubt hatte, ich wüsste nun über alles Bescheid, da hat er voller Hoffnung gefragt, ob es eine Heilung geben würde.“
Es hatte Hermine im Herzen wehgetan, dass sie Severus am ersten Weihnachtsfeiertag nicht bereits die Lösung für sein Problem hatte präsentieren können, wo doch ersichtlich war, dass er so sehr hoffte; dass er von ihr erwartete, die Hindernisse zu überwinden, an denen er selbst gescheitert war.
Sich die Worte nochmals durch den Kopf gehen lassen sagte Remus im Anschluss: „Gut, wenn das so ist… Wir können gemeinsam lesen und uns Gedanken darüber machen, was mit Severus geschehen sein könnte und welche Wege man einschlagen müsste, um ihm wieder etwas Lebensqualität zurückzugeben. Trotzdem wirst du“, er schaute Hermine an, „in Erfahrung bringen müssen, was er getan hat, denn sonst wäre alles umsonst.“
„Ich werde ihn fragen“, gab sie knapp wider.
Harry stutzte, bevor er sagte: „Er wird aber nicht antworten.“
„Das ist mir egal. Er soll ruhig wissen, mit was ich mich beschäftige – mit was wir uns beschäftigen. Vielleicht rutscht ihm ja versehentlich irgendwas raus?“
Hermine lächelte verschmitzt, doch sie musste sich sehr anstrengen, das Lächeln zu halten. Die Chance, dass er versehentlich etwas ausplaudern könnte, war äußerst gering. Sie müsste ganz andere Saiten aufziehen.
„Ach, das meintest du damit, dass du ihn provozieren musst, damit du etwas herausbekommst“, sagte Harry. „Da pass bitte auf, Hermine. Ich möchte nicht, dass er den Spieß mal umdreht und du unter Beschuss gerätst.“
„Ich bin mir darüber im Klaren“, sagte Hermine, „dass ich nicht nur austeilen darf, sondern auch einstecken können muss.“
Sich einmal auf die Schenkel klopfend schlug Remus vor: „Dann lesen wir doch ein wenig. Wer gibt mir einen kurzen Überblick über das, was ich bisher verpasst habe?“
„Das kann Harry machen“, sagte Hermine.
„Warum ich?“
„Damit ich sehen kann, inwiefern du alles begriffen hast“, erklärte sie neckend, während sie ihm einmal zuzwinkerte.
Harry verzog das Gesicht. „Ich komme mir vor wie in der Schule.“
Darauf eingehend sagte Remus scherzend: „Und ich bin dein Lehrer und fordere eine Nacherzählung.“
Murmelnd gestand Harry: „Das habe ich früher immer am meisten gehasst.“
Einen Moment lang war Harry in sich gegangen, bevor er wiedergab: „Am Anfang wurde nur der Unterschied zwischen Leib und Seele beschrieben. Die Seele wird in dem Buch wirklich als eigenständiger Bestandteil eines Menschen bezeichnet, der auch separat ’behandelt’ werden kann. Bevor du gekommen bist, habe ich Hermine um eine Pause gebeten, weil mir einige Dinge nicht ganz klar waren.“ Er blickte Hermine an und sagte: „Was auch der Grund ist, warum du es besser wiederholen solltest, dann kann ich meine Fragen stellen, sofern sie mir wieder einfallen.“
„Na gut, es wurde kurz das Thema ’Psychostasie’ aus dem alten Ägypten angeschnitten; das Wiegen des Herzens eines Toten, dessen Gewicht auch gleichzeitig das der Seele darstellen soll. Mal davon abgesehen, dass modernere Experimente von Muggeln auf dem wissenschaftlichen Gebiet der Psychostasie wirklich verblüffende Resultate erzielt hatten, war den Heilern von damals allein die Idee einleuchtend, dass die Seele eigenständig existieren muss und sie nicht zwingend mit dem Körper verbunden ist, was unter anderem…“
„Hermine, holst du zwischendurch auch mal Luft?“, fragte Harry erstaunt, womit er sie völlig aus dem Konzept gebracht hatte.
Ein nicht ernst gemeinter, böser Blick sollte ihn strafen, bevor sie fortfuhr: „…was unter anderem dadurch untermauert werden kann, dass Menschen, deren Seele von einem Dementor ausgesaugt worden war, weiterhin in ihrer menschlichen Hülle leben können, jedoch nichts mehr empfinden.“
Remus nickte. „Deswegen – und auch weil Severus es dir gesagt hat – glaubst du, dass er noch einen Teil seiner Seele besitzt.“
„Richtig, denn er ist ja nicht gänzlich ohne Gefühle, sonst hätten ihn bestimmte Umstände nicht so sehr belastet, also hat er noch einen lebendigen Teil in sich und mit dem müssen wir arbeiten.“
„Schon korrekt, Hermine“, begann Harry nachdenklich, „aber wie stellst du dir das vor?“
„Wir werden erst einmal zusammen das Buch lesen, vielleicht bekommt einer von uns dabei irgendeine Idee. Dann werde ich dem Trank auf den Grund gehen – natürlich zunächst auf theoretischer Basis. Vielleicht braue ich ihn auch mal…“, sie hielt beschwichtigend eine Hand in die Höhe, weil Remus bereits unterbrechen wollte. „Ich werde ihn sogar sehr wahrscheinlich brauen, aber natürlich nicht anwenden! Ich muss jedoch wissen, wie die verwendeten Zutaten aufeinander reagieren. Es gibt Dinge, die kann man in der Theorie nicht sehr genau festmachen. Außerdem halte ich es für wichtig, alles – wirklich alles – über die Zutaten in Erfahrung zu bringen.“
Remus anblickend rief sie sich ins Gedächtnis, dass er ihr vorgeschlagen hatte, Recherche für sie zu betreiben.
Es fiel ihr nicht schwer ihm vorzuschlagen: „Du, Remus, könntest zum Beispiel nachforschen, für welche anderen Tränke diese verwendeten Pflanzen noch benutzt werden, damit ich deren Wirkung und vor allem Wechselwirkung besser bestimmen kann. Ich will nicht nur jede der Zutaten in ihre einzelnen Bestandteile zerpflücken, ich will alles über sie erfahren, angefangen von ihrem Wachstumsprozess bis hin zu der Information, wie viele Vegetationsperioden sie überleben! Ich will wissen, welche Öle in den Pflanzen enthalten sind und ich muss alles über die vorhandenen Pflanzenstoffe wissen; Alkaloide und so weiter.“
„Kein Problem“, stimmte Remus lediglich zu.
Harry schien überaus froh zu sein, dass Remus diese sehr umfangreich klingende Aufgabe auferlegt bekommen hatte, doch als er Hermine anblickte, die nun ihn eindringlich ansah, da machte er sich auf etwas gefasst.
„Du Harry“, er hörte aufmerksam zu, „wirst alles über jene Zutaten in Erfahrung bringen, die nicht von Pflanzen stammen – alles Tierische und die ganzen Mineralien. Der Trank ist ja nicht gerade einfach herzustellen.“ Leise murmelnd, weil sie daran dachte, in welcher Zeit Severus den Trank gebraut haben musste, fügte sie hinzu: „Für nur sieben Wochen nicht schlecht.“
„Herrje“, sagte Harry seufzend, „und ich dachte damals schon, der Vielsafttrank wäre kompliziert herzustellen.“
„Blödsinn, der Vielsafttrank ist im Vergleich zu diesem Seelentrank nun wirklich Kinderkram“, winkte Hermine ab.
„Wie heißt der Trank überhaupt?“, fragte Harry und auch Remus wartete gespannt auf die Antwort.
„Er heißt ’lacus aeterna’, aber frag mich nicht, warum man ihn ’Der Ewige See’ genannt hat.“
Den Moment, in welchem ausnahmslos jeder die Augen nach oben gerichtet hatte, nutzte Severus, um sich unbemerkt von der Terrasse zu entfernen. Er hatte gerade den Rundbogen durchquert und den überdachten Gang betreten, da hörte er Albus’ Stimme hinter sich, der ihm gefolgt sein musste.
„Severus.“
Abrupt blieb Severus stehen, doch er drehte sich nicht um. Da es sich um Albus handelte, war es ihm nicht möglich, ihn einfach zu ignorieren. Die Zeit, in der er die langsam näher kommenden Schritte seines Mentors vernahm, nutzte Severus, um sich innerlich für ein Gespräch zu stärken, doch die Zeit war viel zu kurz. Albus konnte immer Argumente hervorbringen, die Severus kaum noch zu entkräften imstande war.
„Es freut mich“, Albus stellte sich direkt vor ihn, „dass du heute so lange geblieben bist.“ Einen Moment lang fragte sich Severus, ob sein alter Freund ihn auf den Arm nehmen wollte, doch der versicherte: „Du warst noch nie bis kurz vor eins mit deinen Kollegen draußen und hast das Feuerwerk bestaunt.“
„Ich habe gar nichts bestaunt“, feuerte Severus zurück, dem es missfiel, man könnte von ihm glauben, er hätte Spaß an bunten Raketen; in seinen Augen war es lächerlicher Kinderkram.
„Vielleicht lag es weniger an den Kollegen als an deinen Freunden, weswegen du länger geblieben bist?“
Severus war es gewohnt, dass Albus manchen seiner Äußerungen keinerlei Beachtung schenkte, wenn diese nicht in seine geplante Gesprächsführung passen würden.
„Du kannst dich sicherlich noch an unser erstes Gespräch nach dem Sieg über Voldemort erinnern?“, wollte Albus wissen.
„Natürlich.“ Es war eines seiner wichtigsten gewesen.
„Dann wird mir die Frage erlaubt sein“, Albus rückte seine Halbmondbrille gerade, „ob du bereits genügend Zeit und Muße gefunden hast, deinen künftigen Lebensweg zu ergründen?“
Für einen Moment aus der Bahn geworfen konnte Severus nichts anderes tun, als Albus mit offen stehendem Mund anzublicken, bevor er glaubte, die Bedeutung der Worte erfasst zu haben.
„Willst du mich hinauswerfen?“ Albus schüttelte sanft den Kopf und wollte etwas erwidern, da kam ihm Severus zuvor. Aufgebracht machte er von einer Redewendung Gebrauch: „’Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.’ Ist es das?“
„Nein Severus, ich habe dir gesagt, wenn es dir gefällt, dann kannst du solange bleiben wie du möchtest.“
„Was soll dann diese Frage?“ Severus war sichtlich erbost.
„Nun, ich habe den Eindruck – und das nicht erst seit kurzem –, dass dir die Arbeit hier nicht sonderlich zusagt.“
„Was habe ich getan, um diesen Eindruck zu erwecken? Als ich damals meine Bedenken geäußert hatte, für die Arbeit mit Kindern möglicherweise nicht sehr gut geeignet zu sein, da hast du dagegengehalten und behauptet, die Schüler müssten lernen mit jedem Schlag Mensch umzugehen. Ist das jetzt anders?“
Provozierend zog Severus beide Augenbrauen in die Höhe, doch Albus blickte ihn weiterhin freundlich an. Mit einem Mal kam ihm eine Idee. Seinen linken Oberarm hebend und mit den Fingern der rechten Hand zweimal auf die Stelle klopfend, unter der sich das dunkle Mal verbarg, fragte er gereizt: „Oder ist es deswegen?“
„Du weißt genauso gut wie ich, dass das kein Grund ist, Severus“, beschwichtigte der Direktor seinen Freund.
„Weswegen dann?“
„Wie ich während unseres Gesprächs damals schon gesagt habe, bist du noch jung genug, um Zukunftspläne zu schmieden. Ich habe nur gehofft, du hättest dir ein paar Gedanken gemacht, nichts für ungut.“ Der Direktor langte an Severus’ Schulter und drückte einmal in freundschaftlicher und gleichzeitig auch ermutigender Geste zu, bevor er sich verabschiedete und zurück zur Terrasse ging.
Das fehlte ihm jetzt noch, dachte Severus, als er nicht den Weg in die Kerker, sondern den Weg in den siebten Stock einschlug. Schon damals, gleich nach dem Gespräch mit Albus, hatte Severus angestrengt darüber nachgedacht, was er mit seinem Leben anfangen sollte; mit seiner Freiheit. Er selbst hatte keine eigenen Vorstellungen, keinen Antrieb, und er könnte sich höchstens an den Lebenszielen anderer Menschen orientieren. Als er in diesem Zusammenhang an Harry dachte, da beruhigte Severus sich wieder, denn der war hier ebenfalls Lehrer. Andererseits war Harry noch jung und könnte sich in einigen Jahren umorientieren. Sofern Severus davon unterrichtet war, hatte Albus damals alles vieren – Black, Draco, Harry und ihm – das gleiche Angebot unterbreitet und das war gewesen, so lange sie wollten in Hogwarts unterkommen zu dürfen, bis sie ihr Leben geordnet hätten. Black war der Erste gewesen, der nun außerhalb der Schulmauern lebte und das ärgerte Severus ein wenig. Draco hatte als Nächster diesen Schritt gewagt, doch er würde für den Rest des Schuljahres in Hogwarts bleiben.
Den siebten Stock endlich erreicht nahm Severus die Wendeltreppe nach oben, um von der Plattform aus die Gegend zu überblicken. Oben angelangt hörte er unerwartet Stimmen, so dass er sich ruhig verhielt.
„Das war ein schöner Tag gewesen“, erklang die verträumte Stimme der Schülerin Meredith Beerbaum.
Es erstaunte Severus nicht, denn es war ja kein anderer Schüler über die Ferien hier, dass er Gordian Fosters Stimme hörte, die lediglich schüchtern sagte: „Das finde ich auch.“
Nachdem Severus die Plattform des Astronomieturms betreten hatte dauerte es gar nicht lange, bis er die beiden ausgemacht hatte, denn die standen genau dort, wo er sich aufhalten wollte. Sich den beiden, die ihn noch nicht bemerkt hatten, langsam nähernd traute er seinen Augen kaum, als der junge Mann die Hand der Schülerin in die seine nahm, an seinen Mund führte und…
„Mr. Foster!“, tönte Severus’ Stimme, so dass beide Schüler erschrocken zusammenfuhren. Gordian warf die Hand, die er küssen wollte, von sich, als hätte man ihn beim Diebstahl erwischt.
„Profe..“ Gordian räusperte sich und begann erneut. „Professor Snape, ich wünsche Ihnen ein glückliches neues…“
„Was haben Sie hier oben verloren?“, unterbrach Severus.
Meredith erwiderte mutig: „Wir sehen uns das Feuerwerk an.“
„Tun Sie das?“, fragte er spöttisch zurück. „Es schien eher so, als würden Sie jeden Moment ein ganz eigenes Feuerwerk zünden wollen.“
Den Kopf senkend erwiderte Meredith nichts mehr, so dass er nun den Schüler seines Hauses anblickte, der kleinlaut zugab: „Es war meine Idee gewesen herzukommen, Professor. Wenn Sie jemanden bestrafen möchten, dann wäre ich derjenige, der es verdient hätte.“
„Oh, wie überaus ritterlich von Ihnen“, sagte Severus mit schmieriger Stimme, als er sich über den Schüler lustig machte. „Verschwinden Sie von hier, alle beide!“
Gordian und Meredith ließen es sich nicht zweimal sagen, doch als die beiden schon einige Schritte gegangen waren, da sagte Severus mit lauter Stimme: „Ach, Mr. Foster?“ Jetzt würde der Punkteabzug und die Auferlegung der Strafarbeit folgen, dachte Gordian, doch umso mehr überraschte es ihn, als sein Hauslehrer ihn vorwurfsvoll fragte: „Warum sind Sie noch nie auf die Idee gekommen, Miss Beerbaum in Ihren Gemeinschaftsraum einzuladen?“
Mehrmals blinzelnd verarbeitete Gordian diese Aussage, bevor er die Gegenfrage stellte: „Ist das denn möglich?“ Sein Hauslehrer blickte ihn mit starrer Miene an und erwiderte nichts, was für den Schüler Antwort genug war.
Nachdem die beiden gegangen waren stellte Severus sich an seinen Platz, an dem er schon zusammen mit Hermine gestanden hatte, als sie den Adlerauge-Trank ausprobiert hatten. Gedankenverloren blickte er zum Mond hinauf, der in wenigen Tagen rund sein würde. Einige Raketen aus Hogsmeade schossen in sein Blickfeld und zerplatzten am schwarzen Himmel. Severus hatte wieder einmal das Gefühl, fehl am Platze zu sein, denn allen anderen schien Silvester sehr viel zu bedeuten, während es für ihn lediglich ein weiteres Jahr einläutete, mit dem er nichts anzufangen wusste. Beizeiten würde er Harry fragen, wie der sich sein weiteres Leben vorstellte; ob er weiterhin Lehrer in Hogwarts bleiben wollte. Auch von Hermine wollte er demnächst in Erfahrung bringen, was sie zu tun gedachte, hätte sie erst einmal ihren Meister in der Tasche. Nach ein paar Minuten wurde es ihm zu kalt, so dass er den Heimweg antrat, während auf der Terrasse weiterhin das Feuerwerk gezündet wurde.
„Hermine“, rief Harry, als er auf sie zugelaufen kam. „Du willst doch nicht schon gehen?“
„Doch, mir wird langsam kalt, trotz Ginnys Umhang.“
Das hatte Ginny gehört, als sie bei den beiden angekommen war, so dass sie sagte: „Gut, dann kannst du ihn mir wiedergeben, mir wird nämlich auch kalt. McGonagall sagte eben, wir hätten jetzt Minus acht Grad.“ Ginny bedankte sich bei Hermine für den angewärmten Umhang, bevor sie sich wieder zu Sirius begab, denn die Kiste mit den Feuerwerkskörpern war bei weitem noch nicht leer.
Harry blickte ihr einen Moment lang hinterher, bevor er erneut Hermine ansah und fragte: „Wann soll ich morgen bei dir sein?“
„Nicht vorm Aufstehen, Harry“, antwortete sie auflachend. „Nach dem Mittagessen reicht völlig.“
„Wir sehen uns dann sicherlich in der großen Halle?“ Nachdem Hermine bestätigend genickt hatte, ging auch Harry zurück zu Sirius und Ginny.
Sich bei den Anwesenden verabschiedend wunderte sich Hermine nur kurz darüber, dass Albus nicht hier war, doch auf ihrem Weg traf sie ihn. Er stand im überdachten Gang und schien in Gedanken versunken zu sein, während er den dunklen Schulhof betrachtete.
„Albus?“ Er blickte auf und als er sie sah, da wurden seine Augen mit Warmherzigkeit geflutet. „Geht es Ihnen gut?“, fragte sie gleich im Anschluss, denn er schien ein wenig traurig zu sein.
„Alles bestens, danke der Nachfrage, meine Liebe.“ Sie zögerte einen Moment, wollte dann jedoch ihren Weg fortsetzen, da fragte Albus unverhofft: „Sagen Sie, Hermine...“ Sie blieb nicht nur stehen, sondern kam auf ihn zu, bevor er fragte: „Es würde mich interessieren zu erfahren, wie Sie Ihre Zukunft sehen.“
„Ähm“, machte sie im ersten Moment verdutzt, bevor sie die Gegenfrage stellte, „allgemein gesehen oder detailliert? Wenn ich nämlich ehrlich bin, dann habe ich noch keine festen Pläne, nur einige Ansätze.“ Er zog die Augenbrauen in die Höhe und wartete mit einem geduldigen Lächeln auf den Lippen, denn diese Ansätze wollte er hören. „Ich dachte mir, dass ich nach der Ausbildung bei Severus vielleicht im Mungos anfange und zwar am liebsten in der Abteilung für ’Vergiftungen durch Zaubertränke und magische Pflanzen’. Das würde mir liegen.“ Sie wäre prädestiniert dafür, denn sie hätte nicht nur eine Heilerausbildung mit Bestnoten, sondern später auch ihren Meister in Zaubertränken; voraussichtlich ebenfalls mit Bestnoten.
„Im Mungos…“, murmelte Albus und sofort kamen Zweifel in Hermine auf, ob ihre Entscheidung die richtige wäre, doch es war ihr Leben und sie müsste wissen, was ihr am meisten Spaß machen würde, auch wenn sie Träumereien aus Kriegszeiten nicht beachtete, an denen ihr Herz genauso hing und deswegen vergrub sie ihre Zweifel auch schnell wieder. „Sie sind sehr talentiert“, lobte Albus unerwartet, weswegen Hermine beschämt lächeln musste. „Es wäre ein Jammer, wenn man Ihre Fähigkeiten im Mungos ausbremsen würde.“
Die Zweifel waren so schnell wieder da, wie sie eben verschwunden waren.
„Wir sehen uns morgen sicherlich beim Frühstück, Hermine“, sagte Albus, bevor er ihr einmal zuzwinkerte und auf die Terrasse zusteuerte.
Mit der Frage beschäftigt, was sie nach ihrer Ausbildung bei Severus mit ihrem Leben anfangen wollte, ging sie in den vierten Stock und die gleiche Frage beschäftigte sie auch noch, als sie nach einer kleinen Abendlektüre ins Bett ging.
Auch Severus machte sich ganz ähnliche Gedanken, während er einzuschlafen hoffte. Schon nach seinem ersten Gespräch mit Albus hatte er über seine mögliche Zukunft nachgedacht, während er im Verbotenen Wald spazieren gegangen war. Es waren fünf Punkte gewesen, die seines Erachtens die meisten Menschen mit einem erfüllten Leben in Verbindung brachten und daher ersehnten: einen Lebenspartner finden, eine Familie gründen, eine Bombenkarriere hinlegen, viel Geld machen, glücklich sterben. Die ersten beiden Punkte wollte er für sich streichen, doch er fragte sich ernsthaft, ob der letzte Punkt noch erreichbar sein würde, wenn man sich einsam fühlte. Er erinnerte sich zudem daran, dass er damals kurz nach diesen Überlegungen seinen Hund gefunden hatte und in just diesem Moment sprang Harry auf sein Bett und legte sich neben seine kalten Füße. Endlich konnte er einschlafen.
Mit geschlossenen Augen erwachte Severus langsam und er spürte, was vielleicht an einen Traum liegen könnte, an den er sich jedoch nicht erinnerte, dass jemand bei ihm war und das war nicht sein Hund. Er fühlte etwas Warmes an seiner Wange, fast wie eine Liebkosung und sein Herz begann wie wild zu pochen, als er der festen Überzeugung war, es würde sich um Hermine handeln, die sich nicht nur unaufgefordert in seinem Schlafzimmer aufhielt, sondern auch noch die Dreistigkeit besaß ihn zu berühren. Geschwind öffnete er seine Augen und richtete sich auf, doch er war allein; er hörte nicht einmal eine Atmung, so dass er auch die Tarnung durch einen Unsichtbarkeitsmantel ausschließen konnte. Erleichtert legte er sich wieder hin und trotzdem er nun wach war, spürte er erneut die Wärme an seiner Wange. Der Grund war schnell gefunden, denn durch das winzige Oberlicht schien die Sonne in sein Schlafzimmer hinein und ein kleiner Strahl war auf sein Gesicht gefallen.
Wenn jetzt schon die Sonne aufgegangen war, dachte er, dann musste er lange geschlafen haben. Ein Blick auf seine Uhr bestätigte seine Vermutung, doch fürs Frühstück in der großen Halle war es noch nicht zu spät. Ein hohes Fiepen riss ihn aus seinen Gedanken. Harry hatte mit weit aufgerissenem Maul gegähnt, bevor er vom Bett sprang und sich streckte.
Am noch nicht sehr gut besuchten Frühstückstisch in der großen Halle streckte sich Harry, bevor er mit weit aufgerissenem Mund gähnte, was Hermine belustigt beobachtete.
„Wow Harry, ich konnte eben einen Blick auf sämtliche deiner inneren Organe werfen!“
„Tut mir Leid, Mine.“ Er legte eine Hand auf seinen Mund.
„Das ist jetzt ein bisschen zu spät“, schäkerte sie.
„Ich werde versuchen“, versicherte Harry mit einem Schmunzeln auf den Lippen, „noch während des Frühstücks meine Augen-Hand-Koordination wiederzuerlangen.“
„War es gestern denn so spät geworden?“, wollte sie wissen, während sie sich einen Tee einschenkte. Momentan waren sie die Einzigen am Tisch.
„Ginny war viel länger auf, ich habe sie deswegen noch schlafen lassen. Sirius und Ginny sind noch viel feuerwerksbegeisterter als ich“, erklärte er erstaunt. „Hätte ich gewusst, dass Albus so viel von den Zwillingen gekauft hat und er das auch noch alles zur Verfügung stellte, dann hätte ich gar nichts selbst besorgt.“
Hermine lächelte, denn sie konnte sich gut vorstellen, wie Ginny und Sirius solange wach geblieben waren, bis die letzte Rakete abgeschossen war.
„Severus war gestern recht früh gegangen“, sagte Harry nebenbei.
„Dafür, dass er eigentlich gar nicht kommen wollte, war es doch völlig in Ordnung“, verteidigte sie ihn in Abwesenheit. „Ach ja, ich hab ihm gesagt, dass wir beide und heute treffen und… na ja, was wir zusammen lesen wollen.“
Mit großen Augen blickte er seine beste Freundin an, bevor er wissen wollte: „Muss ich mir Gedanken um meine Gesundheit machen oder wie hat er das aufgefasst?“
„Gesagt hat er gar nichts, aber ich vermute, dass es ihm unangenehm ist.“
In diesem Moment hörten Hermine und Harry die Tür zur großen Halle, so dass beide zum Eingang schauten, um zu sehen, wer eintreten würde. Severus hatte kaum einen Schritt hineingetan, da blieb er wie angewurzelt stehen, nachdem er die beiden einzigen Anwesenden bemerkt hatte. Nach anfänglichem Zögern marschierte er auf den Tisch zu und setzte sich – weil alle Stühle frei waren – nicht direkt neben einen der beiden. Er grüßte nur knapp, bevor er zur Kaffeekanne griff. Harry blieb stumm, doch irgendwas wollte er sagen, damit es nicht so aussehen würde, als hätten sie gerade über ihn geredet.
Hermine hingegen machte ihm einen Strich durch die Rechnung, denn an Severus gewandt offenbarte sie mit ruhiger Stimme, als würde sie über das Wetter sprechen: „Ich habe Harry eben erzählt, dass Sie wissen, was wir heute zusammen lesen wollen.“
Sie hatte ihn kalt erwischt, denn als er die Kaffeekanne wuchtig auf dem Tisch abstellte, da achtete er nicht auf den Teelöffel, der nun wie durch ein Katapult abgefeuert in hohem Bogen auf Harry zugeflogen kam, der sich auf der Stelle erschrocken duckte. Das metallische Geräusch des auf den Boden aufgeschlagenen Teelöffels hallte noch einen Moment nach, bevor Harry es wagte sich aufzurichten und einen schüchternen Blick zu Severus zu riskieren, jedoch sofort wieder auf sein Frühstücksbrötchen starrte, um dem Todesblick zu entgehen.
Die Tür zur großen Halle öffnete sich erneut und Remus trat ein. Mit seinem milden Lächeln näherte er sich dem Tisch und nahm über Eck in Severus’ Nähe Platz, der daraufhin das Gesicht verzog. Hermine richtete sofort das Wort an Remus.
„Hast du heute etwas vor?“, fragte sie.
Harry bemerkte, dass Severus kurzfristig beim Umrühren seines Kaffees, für den er sich den Löffel von Remus’ Gedeck gemopst hatte, innehielt, dann jedoch gespannt zu lauschen schien, als Remus erwiderte: „Ja sicher, was hast du denn vor?“ Auch Harry war gespannt und er biss von seinem Brötchen ab, während er Hermines Antwort abwartete.
„Harry und ich starten heute einen kleinen Lesezirkel.“
Harry holte aufgeregt Luft, doch anstatt ihr sagen zu können, dass sie aufhören sollte, hier am Tisch darüber zu reden, hatte ein kleiner Krümel den Entschluss gefasst, nicht den Weg der Speiseröhre zu nehmen, sondern mal ganz spontan den anderen. Wild hustend bemerkte er aus den Augenwinkeln, dass Hermine ihren Stab gezogen hatte und etwas murmelte, bevor er das Kratzen in seinem Hals mit einem Male verschwunden war. Sofort spülte er mit Kürbissaft nach.
Durch diesen Vorfall etwas skeptisch geworden fragte Remus: „Was denn für einen Lesezirkel?“
„Harry und ich wollten…“ Sie stoppte und blickte Harry an, der ihr unterm Tisch eben einen Stoß ans Schienbein gegeben haben musste, was den anderen beiden nicht entgangen sein durfte.
Mit öliger Stimme sagte Severus so ruhig, dass man durchaus einen gereizten Unterton ausmachen konnte: „Ja Hermine, erzählen Sie doch bitte von diesem ’Lesezirkel’, das interessiert mich natürlich sehr!“
Severus beugte sich nach vorn, um dem Korb ein Brötchen zu entnehmen, da stoppte er sich selbst, setzte sich wieder aufrecht hin und führte eine Hand an seine Brust. Mit bedächtig provozierender Bewegung zog er seinen hellen Zauberstab aus Weißbirke aus der Innentasche, bevor er ihn auf den Tisch neben seinen Teller legte. Er drohte indirekt, ließ es aber so aussehen, als würde der Stab ihn momentan bei seinen Bewegungen einschränken. Die ganze Zeit über hatte er Hermine durch zusammengekniffene Lider anstarrt. Noch einen Moment lang warf er ihr diesen eindringlichen Blick zu, der ausreichen würde, um einen Erstklässler in ein Häufchen Elend zu verwandeln, bevor er zum zweiten Male ausholte und sich diesmal eines der Brötchen nahm. Es war Severus nicht entgangen, dass Remus ihn entgeistert anblickte, kurzzeitig den Stab auf dem Tisch betrachtete und Severus daraufhin erneut anschaute. Aus Severus’ Handeln wurde Remus nicht schlau, so dass er sich seinem eigenen Frühstück widmen wollte.
„Ist das Kaffee?“, fragte Remus, als er auf die Kanne deutete, die vor Severus stand. Ein Nicken bestätigte die Vermutung. „Oh wunderbar, reichst du sie mir bitte?“
Irritiert fragte Severus: „Sie trinken Kaffee?“
„Am Neujahrsmorgen schon, ich muss ja irgendwie wach werden“, erwiderte Remus mit einem heiteren Lächeln auf den Lippen. Die Kanne entgegennehmend und sich einschenkend fragte er Hermine: „Also, was war das mit dem Lesezirkel?“
„Wir wollten…“ Hermine hielt inne und warf Harry einen bösen Blick zu, wandte sich dann aber erneut Remus zu. „Das Buch, dass ich am Grimmauldplatz…“ Nochmals stoppte sie und sie schien Harry mit einem einzigen Blick verfluchen zu wollen. Nichtsdestotrotz versuchte sie es erneut. „Wir möchten… HARRY!“ Alle drei waren bei Hermines unerwarteter Lautstärke zusammengefahren. Um von diesem Vorfall abzulenken – Harrys ständigen Tritte unter dem Tisch hatten sie mürbe gemacht – fragte sie ihn hörbar aggressiv: „Reichst du mir bitte die Butter?“ Eingeschüchtert schob Harry ihr das Schälchen mit der irischen Butter hinüber und unterließ es ab jetzt, sie darauf aufmerksam machen zu wollen, dass er ihre angriffslustige Taktik nicht guthieß.
„Wo war ich?“, fragte sich Hermine selbst. „Ja, das Buch ’Leib und Seele’ wollen wir heute lesen. Wenn du Zeit und Lust hast, Remus?“
„Ähm“, machte Remus verlegen und mit einem Male verstand er auch, warum Harry sie daran hindern wollte, ihren Satz zu Ende zu bringen. „Ich…“ Sein Blick schweife zu Severus hinüber, der ihn eindringlich beäugte und auf eine Antwort wartete. „Ich muss mal sehen“, erwiderte er ungenau.
„Du hast doch aber gesagt, du hättest Zeit?“, fragte sie frech nach.
Unsicher lachte Remus auf, bevor er ehrlich zugab: „Ich habe Zeit, ich muss nur sehen, ob ich auch Lust dazu habe. Die Themen, die dort behandelt werden, sind…“ Nochmals blickte er auf, weil er den Blick von seinem Gegenüber bereits auf seiner Haut spüren konnte. „Die Themen sind sehr, ähm, eigen.“
„Ja, ich weiß“, sagte sie offenherzig klingend, während sie beim Buffet zulangte, als wäre dies eine vollkommen normale Situation. „Ich habe ja schon reingelesen. Das ist sehr harte Kost, aber ich denk, ich werde es schaffen. Ich würde mich ja gern mit jemandem darüber unterhalten, aber ich finde einfach niemanden, der ein offenes Ohr hat. Jeder in diesem Schloss scheint seine Zunge verschluckt zu haben, wenn es um dieses Thema geht und ehrlich gesagt“, sie blickte kurz in die Runde, „ist das sehr belastend. Ich möchte doch nur…“
Remus fiel ihr ins Wort und fragte amüsiert, weil es ihm Unbehagen bereitete, gerade dieses Thema so offen vor Severus zu bereden: „Sag mal, Hermine, hast du heute morgen Plappersaft getrunken?“
„Nein“, hörte man Severus plötzlich sehr ernst einwerfen. „Sie ist ein Naturtalent!“
Sie schaute ihn ein wütend an und warf ihm im Anschluss ein Lächeln zu, das soviel sagte wie ’Damit haben Sie mich nicht getroffen!’; er hingegen grinste halbseitig, denn er wusste ganz genau, er hatte damit einen ihrer wunden Punkte erwischt.
Die Stimme von Albus war plötzlich zu hören, der nicht durch die Flügeltür, sondern durch den Lehrereingang gekommen sein musste und er sagte beschwingt: „Was für eine fröhliche kleine Runde!“ Erst in diesem Moment wägte Hermine ab, ob sie aufhören sollte, weil auch Valentinus zum Frühstück gekommen war.
Innerlich aufgewühlt und daher angriffslustig fragte Severus, obwohl Valentinus nichts mit der vorherigen Unterhaltung zu tun hatte: „Was denn? Sie finden mal wieder Zeit zum Frühstück?“
„Ja“, erwiderte der Kollege, dem der bissige Tonfall entgangen sein musste, mit einem strahlenden Lächeln. „Mein Buch ist fertig! Ich habe es die ganzen Wochen überarbeitet und denke, dass ich es jetzt einem Verlag schicken kann. Trotzdem wäre es schön gewesen“, er blickte Hermine an, „wenn jemand ein Auge drauf geworfen hätte, der sich ebenfalls mit Knieseln auskennt.“
„Wissen Sie was, Valentinus? Ich werd’s tun!“, sagte Hermine zum Erstaunen aller Anwesenden; Harry fiel sogar die Wurst vom Brot. „Denn wenn jemand Hilfe benötigt, dann sollte man die Hilfe auch gewähren, sofern man dazu in der Lage ist, nicht wahr?“ Valentinus schien nicht ganz folgen zu können, doch er nickte zaghaft und stimmte ihr zu.
„Das wäre ganz wunderbar, Hermine“, sagte der Schönling und Severus verzog das Gesicht, als sein Kollege sie vertraut beim Vornamen nannte. „Ich werde mich mit einem köstlichen Essen außerhalb revanchieren.“
„Sie könnten mir möglicherweise im Gegenzug auf andere Weise einen Gefallen tun. Kennen Sie sich eventuell mit altmodischen Heilmethoden für Geisteskrankheiten aus?“
Hermine hatte den Bogen überspannt, weswegen Severus höchstpersönlich einschritt und die Behauptung aufstellte: „Sicherlich nicht, denn das sind sehr spezifische Gebiete, über die man extrem selten in Büchern stößt.“ Valentinus schaute Severus an und wollte soeben klarstellen, dass es durchaus im Bereich des Möglichen liegen könnte, ihr in dieser Sache behilflich sein zu können, da fügte Severus hinzu, während er seine Augen nicht von denen seines Kollegen nahm: „Diese Bücher bewegen sich im Bereich der dunklen Magie!“
„Oh“, machte Valentinus erschrocken, bevor er das Wort an Hermine richtete. „Dann werde ich Ihnen sicherlich nicht sehr hilfreich sein können, aber wie es aussieht, könnte Severus Ihnen bestimmt helfen.“
Frech lächelnd blickte sie Severus an und fragte scheinheilig: „Würden Sie mir auf diesem Gebiet ein wenig unter die Arme greifen? Ich benötige Hilfe, Severus.“
Der letzte Teil ihres Satzes klang sehr flehend, doch bevor er dazu kam zu antworten, ergriff Albus das Wort und sagte in strengem Tonfall: „Wenn die beiden Schüler eintreffen, dann wird es andere Gesprächsthemen am Tisch geben, habe ich mich verständlich ausgedrückt?“
Alle schauten ehrfürchtig zu Albus hinüber, der über seine Halbmondbrille hinweg jedem Einzelnen einen Blick schenkte. Bei Hermine angelangt musste sie kräftig schlucken, denn es schien so, als hätte diese Aufforderung ausschließlich ihr gegolten, weswegen sie ihm von den anderen ungesehen einmal beschämt zunickte.
Nach dem Frühstück, welches im weiteren Verlauf sehr ruhig gewesen war, verließ als Erster Severus den Tisch, doch der war nicht einmal aus der Tür raus, das stand Hermine von ihrem Stuhl auf.
„Hermine“, warnte Harry leise, „es ist genug!“
Sie blickte ihn fragend an, bevor sie um den Tisch herum ging und den Zauberstab in die Hand nahm, den Severus vergessen hatte. „Ich will ihm nur seinen Stab bringen.“
Gerade eben hatte Severus die Flügeltür der großen Halle hinter sich gelassen, da hörte er Schritte. Derjenige – oder eher diejenige, wie Severus vermutete – musste rennen, um mit ihm mithalten zu können. Innerlich seufzte er müde, doch nach außen hin hielt er seine steinerne Fassade aufrecht. Als die Schritte lauter wurden, da blieb er abrupt stehen und wandte sich um. Beinahe wäre Hermine in ihn hineingelaufen.
„Was laufen Sie mir nach? Sie haben doch für heute bereits einen Tagesplan ausgearbeitet, nicht wahr? Und dann auch noch so öffentlich!“ Seine Wut hatte er nicht unterdrücken wollen.
„Sie können auch kommen, Severus. So ab ein Uhr…“ Er schnaufte verächtlich und wandte sich ab, um ihr zu entfliehen. „Warten Sie!“, nörgelte sie. „Vermissen Sie denn gar nichts?“
Er vermisste die Zeit, als sie noch brav gekuscht hatte. „Ich vermisse meine Ruhe!“
„Ihr Zauberstab, Severus“, sagte sie freundlich klingend.
Mit einer Hand fasste er sich an die Brust und erst da bemerkte er seine Fahrlässigkeit. Sich umwendend sah er, wie sie ihm den Stab – mit dem Griff ihm zugewandt – entgegenhielt. Seine Hand schnappte wie das Maul eines Krokodils zu und entriss ihr den Zauberstab, doch bevor er etwas sagen konnte, hörte man Pomona von weitem, die ihn dazu aufforderte stehenzubleiben. Neugierig, wie Hermine war, blieb auch sie an Ort und Stelle.
Die pummelige Professorin für Kräuterkunde kam angsteinflössend schnell auf Severus zugestürmt. Ihre Wangen trugen einen rötlichen Schimmer und man konnte nicht mit Bestimmtheit festmachen, ob dies auf die herrschende Kälte oder ihre merkliche Wut zurückzuführen war.
„Severus“, sagte die rundliche Lehrerin in tadelndem Tonfall. „Ist es wahr“, sie zischte genauso wie er es sonst tat, „dass Sie Mr. Foster dazu aufgefordert haben, Miss Beerbaum in den Schlafsaal der Slytherins zu führen?“
Seine emotionslose Maske haltend, auch wenn es ihm dieses Mal wirklich schwerfiel, erwiderte er trocken: „Nein.“
Er entfernte sich bereits von den beiden Damen, da wetterte Pomona ihm hinterher: „Lügen Sie mich auch nicht an?“
Sich umdrehend und die Hände hinter dem Rücken verschränkend schlug er vor: „Begleiten Sie mich in die Kerker, Pomona. Ich werde einen Tropfen Veritaserum nehmen und Sie dürfen mir dieselbe Frage noch einmal stellen, aber ich versichere Ihnen, dass meine Antwort auch mit Veritaserum genauso ausfallen wird.“
Pomona wirkte aufgrund des von ihrem Kollegen gegebenen Angebots irritiert. „Ich…ähm… Nein, wenn Sie es sagen, dann wird es wohl so sein.“
Er nickte ihr höflich zu und verabschiedete sich. „Wenn Sie mich nun entschuldigen würden?“
Später, nach dem Mittagessen, von dem sich Severus ferngehalten hatte, fand sich Harry bei Hermine ein.
„Was macht denn Ginny heute?“, fragte Hermine natürlich, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte, weil Harry am Neujahrstag nicht mit ihr zusammen war.
„Schon seit Wochen hat sie für heute eine Verabredung mit Pomona, Gordian und Meredith.“ Weil er während des Frühstücks, nachdem Hermine bereits gegangen war, nicht alles erfahren hatte, fügte er hinzu: „Da ist wohl irgendwas vorgefallen, meinte Ginny.“
Harry nahm neben ihr Platz, während Hermine bereits schilderte, was sie wusste: „Gordian hat gestern Abend offensichtlich Meredith mit in den Slytherin-Schlafraum genommen und Pomona hatte – warum auch immer – geglaubt, dass Severus ihn dazu angestiftet hätte.“ Harry machte große Augen, denn das Szenario schien völlig unglaubwürdig. „Ich hoffe nur, es ist nichts… ähm… ’passiert’.“
„Nein, es gab nur einen Tadel von Pomona, nicht mal eine Strafarbeit.“
Sich das Buch „Leib und Seele“ greifend legte sie es zunächst auf ihren Schoß.
„Möchtest du was trinken, bevor wir anfangen?“, wollte sie wissen.
„Noch nicht, später vielleicht.“ Er blickte auf seine Uhr. „Es ist ein Uhr durch. Ich nehme mal an, dass Remus nicht kommen wird.“
„Severus wohl auch nicht.“
„Du hast ihn gefragt?“ Er schien heute aus dem Staunen gar nicht mehr herauszukommen, dabei hatten sie das Buch noch nicht einmal aufgeschlagen.
„Natürlich habe ich ihm gesagt, dass er auch kommen kann. Ich möchte MIT ihm arbeiten und nicht gegen…“ Sie beendete den Satz nicht, sondern seufzte stattdessen.
„Ich weiß nur nicht“, begann Harry verschüchtert, „ob ich noch dabei sein möchte, sollte er doch noch kommen.“
„Du hast gesagt, dass du wieder mit an Bord bist, Harry!“, hielt sie ihm vor Augen.
„Fangen wir einfach an. Du hast schon was gelesen?“
„Ja“, bestätigte sie. „Die ersten drei Kapitel, aber da geht es um körperliche Erkrankungen. Ich habe Kapitel acht und neun gelesen, die befassen sich schon mit der Seele.“
„Wie viele Kapitel hat das Buch?“
„Neunzehn und am Ende einen kleinen Anhang mit Erklärungen“, erwiderte sie, während sie das Buch aufschlug und die Inhaltsangabe überflog. „Lesen wir alles oder nur den Teil über die Seele?“
„Fangen wir mit der Seele an und wenn wir Zeit haben, können wir den Anfang auch noch lesen, falls es da einen Zusammenhang geben sollte.“
Es stellte sich sehr schnell hinaus, dass mit der im Buch behandelten „Seele“ nicht nur sämtliche Gefühlsregungen gemeint waren, sondern tatsächlich die Seele als nicht philosophisch gemeinter Bestandteil eines Körpers. Die Seele war nach Auffassung der damaligen Heiler als separates Element eines Menschen zu betrachten und Hermine konnte dem nur zustimmen, besonders wenn sie sich alles, was sie jemals über Dementoren und deren Küssen in Erfahrung hatte bringen können, ins Gedächtnis zurückrief.
Nach dem ersten Kapitel, das die Seele behandelte, wollte Harry doch etwas zu trinken haben, denn obwohl Hermine gelesen hatte, war sein Mund ganz trocken geworden, wofür er das Thema verantwortlich machte.
Er gab offen zu, dass er dem Stoff nicht immer folgen konnte, doch Hermine war nicht böse, wenn er zwischendurch sporadisch Fragen gestellt hatte, wie auch diese: „Heißt das, man hat früher bestimmte Krankheiten ausschließlich der Seele zugeschrieben und andere nur dem Körper?“
„Ja, macht man ja heute nicht anders. In der Muggelwelt gibt es jede Menge psychosomatische Erkrankungen, deren Ursachen nicht körperlich sind und auch in diesem Sinne ist man häufig ratlos, wie so eine Krankheit zu behandeln ist.“
„Aber die Muggel schnippeln einem nicht einfach an der Seele herum!“
„Wie sollten sie auch? Das ist offensichtlich nur mit Magie machbar und es ist gut, dass die Muggel keinerlei Möglichkeit haben, eine Seele auf diese Weise, wie sie hier beschrieben steht, zu ’behandeln’. Es reicht, dass es damals wie auch heute noch Medikamente gibt, die manchmal fragwürdige Resultate erzielen, aber sie wirken auf das Gehirn ein, nicht auf die Seele. Man ist bei solchen Medikamenten zum Glück sehr vorsichtig; heute entscheiden die Ärzte sehr überlegt, besonders was die Behandlung von Kindern betrifft.“
„Dann wissen Muggelärzte von der Seele?“
„Das ist ein schwieriges Thema, Harry. Man weiß ja in der Muggelwelt allgemein nicht sehr viel über die Seele; nicht mal alles über den Körper, sonst wäre man längst in der Lage, alle Krankheiten zu heilen oder wenigstens zu verstehen. Zumindest gibt es bei den Muggel harmlose, aber hilfreiche Therapieformen für Erkrankungen der Seele, zum Beispiel einfache Gespräche“, erklärte sie.
„Vielleicht sollte man bei Severus eine Muggeltherapie anwenden?“
Die Idee fand Hermine zwar nicht schlecht, aber auch für nicht durchführbar, denn sie hielt dagegen: „Was glaubst du, was ich bei Severus seit Monaten versuche? Ich versuche, ihn zum Reden zu bewegen. Wenn du möchtest“, sie grinste, „kannst du gern probieren, eine Gesprächstherapie mit ihm zu beginnen. Auf das Resultat freue ich mich jetzt schon.“
„Okay, ich hab’s verstanden“, sagte Harry ein wenig betrübt klingend. Vielleicht wären offene Gespräche die einfachste Methode, um Severus zu helfen, doch der würde nicht dazu zu überreden sein.
„Aber ich bin der Überzeugung, dass es bei Severus sowieso nicht helfen würde. Seine Seele ist ja nicht erkrankt, sie ist einfach“, ihre Stimme wurde leiser, „nicht mehr vollständig.“
„’Einfach’ ist gut“, sagte er seufzend. „Lesen wir weiter.“
Nach Kapitel elf musste Harry um eine längere Pause bitten, damit sein Verstand dem Inhalt des Buches noch folgen konnte. Gerade wollte Harry dazu ansetzen, ein wenig den Inhalt des Gelesenen mit eigenen Worten wiederzugeben, um zu sehen, ob er alles richtig verstanden hatte, da klopfte es. Beide blickten sich mit weit aufgerissenen Augen an, bevor Hermine sich zusammenriss und laut „Herein“ sagte. Es war nicht Severus gewesen, sondern Remus, der beim Anblick der beiden erleichtert ausatmete.
„Remus! Es ist schön, dass du doch gekommen bist“, sagte Hermine erfreut.
Mit einem halbseitigen Lächeln, denn ganz wohl fühlte er sich bei der Sache nicht, erwiderte er: „Ich habe dir gesagt, dass ich dir helfen werde, Hermine. Es ist nur…“
„Ich weiß, es geht mittlerweile an die Substanz“, warf sie ernst ein, woraufhin Remus zustimmend nickte.
Er hatte es sich neben Harry gemütlich gemacht, bevor er erklärte: „Es wäre leichter zu ertragen zu wissen, dass Severus einfach so ist wie er ist. Aber der Grund dafür…“ Remus atmete einmal tief durch. „Hermine“, er blickte sie an, „du hattest mir bereits ein paar Dinge erzählt, aber eines möchte ich wirklich wissen: Sind das nur Vermutungen, die du aufgestellt hast?“
„Ich befürchte nicht, Remus. Nicht nachdem, was Severus mir gesagt hatte."
Man konnte Remus ansehen, dass er nachdachte und beide wollten seine Gedankengänge nicht unterbrechen. Harry schenkte sich selbst noch etwas Kürbissaft ein, um Remus ein wenig Zeit zu geben und der hatte sich auch bald wieder gesammelt.
„Bisher weiß ich, wenn ich das mal kurz zusammenfassen darf, dass Severus’ Augenfarbe sich manchmal verändert, meist in eurer Nähe, einmal sogar in meiner Anwesenheit.“ Harry und Hermine nickten, so dass Remus weiter ausführte: „Und er hat Harry damals mit einem mysteriösen Hinweis auf etwas aufmerksam gemacht, das vor etwa zwanzig Jahren geschehen sein soll.“ Harry nickte erneut. „Gut“, sagte Remus, bevor er kurz in sich ging. „Albus weiß nach Hermines Aussage genau, was damals geschehen sein soll, aber er hält den Mund.“
„Korrekt“, warf sie bestätigend und verärgert ein.
„Und du hast mir erzählt, dass Severus zu allem Übel wahrscheinlich auch noch depressiv ist.“
Hermine nickte Remus zu und versicherte: „Das kriege ich schon in den Griff, keine Sorge.“
„Was ich dank Harrys Denkarium mit eigenen Augen sehen konnte, war seine gestörte Magie. Wenn ich ehrlich bin“, Remus blickte sie an, „dann konnte ich schon nichts mit diesen Informationen anfangen, als du mir davon erzählt hast und jetzt sieht es nicht anders aus. Du hast neulich gesagt, dass Severus sehr deutlich geworden wäre; dass er gesagt hätte, er hätte mit dem Unbekannten gespielt und du glaubst fest, dass es dieses Buch war, mit dem er sich befasst hatte?“
„Ja, eindeutig! Er muss innerhalb von sieben Wochen irgendetwas ausgebrütet haben, worum wir uns jetzt kümmern müssen“, sagte sie selbstsicher.
„Aber du sagtest“, warf Harry ein, „dass es keine Heilung gibt, wenn man diesen Trank“, er zeigte auf das Buch in ihrem Schoß, „eingenommen haben sollte.“
„Wenn dein Arm gebrochen wäre“, begann Hermine und er musste sofort an sein zweites Schuljahr denken, „und Skele-Wachs nicht helfen würde, dann versucht man es eben mit Gips!“ Weil er sie irritiert anschaute, erklärte sie: „Es gibt immer andere Möglichkeiten als nur eine einzige, auch wenn es länger dauern sollte.“
„Und was hast du vor?“, wollte Harry neugierig wissen.
„Das Problem ist“, machte sie klar, „dass ich zu wenig weiß. Man weiß allgemein viel zu wenig über die Seele an sich, aber ich habe auch keine Ahnung, ob Severus den Trank verändert hat oder was genau geschehen ist, als er ihn genommen hat.“
Remus hatte genau zugehört und fragte: „Du bist die hundertprozentig sicher, dass er diesen Trank hier gebraut und genommen hat?“
Sie zögerte, denn Beweise hatte sie nicht.
„Es muss so sein, denn es passt alles zusammen! Er sagte, er wäre mit Dingen in Berührung gekommen, die unwiderruflich Verderben bringen; Dinge, die auf seine Seele eingewirkt haben. Er selbst glaubt nicht an eine Heilung, aber er setzt auf mich, das weiß ich! Es kann nur das hier gemeint sein.“ Sie hob das Buch einmal an. „Ich bin mir sicher; nicht hundertprozentig, aber sicher genug, um damit weiterzumachen.“
„Was schwierig werden wird“, warf Remus ein.
„Wie meinst du das?“, wollte Harry wissen, als er zu seinem Kürbissaft griff.
„Wie ich das meine? Das ist ein unerforschtes Gebiet! Severus selbst scheint nicht gewusst zu haben, was er da überhaupt getan hat. Man kann nur spekulieren und Theorien aufstellen, denn Experimente in dieser Hinsicht sind wohl kaum möglich.“
Hermine stimmte ihm zu. „Das ist es auch, was ich tun werde! Ich werde alles theoretisch durchgehen und nach einer Lösung suchen. Bei dem Gegengift für ’Schlafes Bruder’ haben wir es ja nicht anders gemacht.“ Sie seufzte entmutigt. „Ich muss wissen, was er genau getan hat, wie er den Trank gebraut hat, wie viel er eingenommen hat. Ich habe gut Lust, ihm Veritaserum einzuflößen.“
„Ähm, Hermine“, sagte Harry kleinlaut, „du willst ihm doch helfen UND die Sache überleben oder?“
„Natürlich! Glaubst du allen Ernstes, ich würde ihm Wahrheitsserum untermischen?“
„Du hast auch versucht, ihm deinen Farbtrank ohne sein Wissen…“
„Warum muss eigentlich jeder auf diesem kleinen Fehler rumhacken?“, nörgelte sie gereizt. „Da habe ich Mist gebaut, das gebe ich zu, aber ich habe kurz darauf immerhin seinen Irrwicht in Erfahrung gebracht, den er mir sonst nie freiwillig gezeigt hätte, also war es doch für etwas gut.“
In diesem Moment erinnerte sich Harry daran, dass er Hermine dabei beobachtet hatte, wie sie einen bestimmten Gegenstand aus seiner Kiste mitgenommen hatte. Mit diesem Gegenstand hatte sie Severus ganz offensichtlich noch nicht konfrontiert, denn das hätte sie ihm erzählt – oder er hätte es gemerkt.
Sich an etwas Schokolade vergreifend, die in einem Schälchen auf dem Tisch lag, fragte Remus: „Warum meinst du, dass er auf deine Hilfe hofft? Es ist doch bereits in der Vergangenheit offensichtlich gewesen, dass er nicht sehr begeistert von deinen Nachforschungen ist.“
Zunächst nickte Hermine, bevor sie erklärte: „Er hat mir sogar gesagt, dass ich endlich aufhören soll, aber an Weihnachten, wo er geglaubt hatte, ich wüsste nun über alles Bescheid, da hat er voller Hoffnung gefragt, ob es eine Heilung geben würde.“
Es hatte Hermine im Herzen wehgetan, dass sie Severus am ersten Weihnachtsfeiertag nicht bereits die Lösung für sein Problem hatte präsentieren können, wo doch ersichtlich war, dass er so sehr hoffte; dass er von ihr erwartete, die Hindernisse zu überwinden, an denen er selbst gescheitert war.
Sich die Worte nochmals durch den Kopf gehen lassen sagte Remus im Anschluss: „Gut, wenn das so ist… Wir können gemeinsam lesen und uns Gedanken darüber machen, was mit Severus geschehen sein könnte und welche Wege man einschlagen müsste, um ihm wieder etwas Lebensqualität zurückzugeben. Trotzdem wirst du“, er schaute Hermine an, „in Erfahrung bringen müssen, was er getan hat, denn sonst wäre alles umsonst.“
„Ich werde ihn fragen“, gab sie knapp wider.
Harry stutzte, bevor er sagte: „Er wird aber nicht antworten.“
„Das ist mir egal. Er soll ruhig wissen, mit was ich mich beschäftige – mit was wir uns beschäftigen. Vielleicht rutscht ihm ja versehentlich irgendwas raus?“
Hermine lächelte verschmitzt, doch sie musste sich sehr anstrengen, das Lächeln zu halten. Die Chance, dass er versehentlich etwas ausplaudern könnte, war äußerst gering. Sie müsste ganz andere Saiten aufziehen.
„Ach, das meintest du damit, dass du ihn provozieren musst, damit du etwas herausbekommst“, sagte Harry. „Da pass bitte auf, Hermine. Ich möchte nicht, dass er den Spieß mal umdreht und du unter Beschuss gerätst.“
„Ich bin mir darüber im Klaren“, sagte Hermine, „dass ich nicht nur austeilen darf, sondern auch einstecken können muss.“
Sich einmal auf die Schenkel klopfend schlug Remus vor: „Dann lesen wir doch ein wenig. Wer gibt mir einen kurzen Überblick über das, was ich bisher verpasst habe?“
„Das kann Harry machen“, sagte Hermine.
„Warum ich?“
„Damit ich sehen kann, inwiefern du alles begriffen hast“, erklärte sie neckend, während sie ihm einmal zuzwinkerte.
Harry verzog das Gesicht. „Ich komme mir vor wie in der Schule.“
Darauf eingehend sagte Remus scherzend: „Und ich bin dein Lehrer und fordere eine Nacherzählung.“
Murmelnd gestand Harry: „Das habe ich früher immer am meisten gehasst.“
Einen Moment lang war Harry in sich gegangen, bevor er wiedergab: „Am Anfang wurde nur der Unterschied zwischen Leib und Seele beschrieben. Die Seele wird in dem Buch wirklich als eigenständiger Bestandteil eines Menschen bezeichnet, der auch separat ’behandelt’ werden kann. Bevor du gekommen bist, habe ich Hermine um eine Pause gebeten, weil mir einige Dinge nicht ganz klar waren.“ Er blickte Hermine an und sagte: „Was auch der Grund ist, warum du es besser wiederholen solltest, dann kann ich meine Fragen stellen, sofern sie mir wieder einfallen.“
„Na gut, es wurde kurz das Thema ’Psychostasie’ aus dem alten Ägypten angeschnitten; das Wiegen des Herzens eines Toten, dessen Gewicht auch gleichzeitig das der Seele darstellen soll. Mal davon abgesehen, dass modernere Experimente von Muggeln auf dem wissenschaftlichen Gebiet der Psychostasie wirklich verblüffende Resultate erzielt hatten, war den Heilern von damals allein die Idee einleuchtend, dass die Seele eigenständig existieren muss und sie nicht zwingend mit dem Körper verbunden ist, was unter anderem…“
„Hermine, holst du zwischendurch auch mal Luft?“, fragte Harry erstaunt, womit er sie völlig aus dem Konzept gebracht hatte.
Ein nicht ernst gemeinter, böser Blick sollte ihn strafen, bevor sie fortfuhr: „…was unter anderem dadurch untermauert werden kann, dass Menschen, deren Seele von einem Dementor ausgesaugt worden war, weiterhin in ihrer menschlichen Hülle leben können, jedoch nichts mehr empfinden.“
Remus nickte. „Deswegen – und auch weil Severus es dir gesagt hat – glaubst du, dass er noch einen Teil seiner Seele besitzt.“
„Richtig, denn er ist ja nicht gänzlich ohne Gefühle, sonst hätten ihn bestimmte Umstände nicht so sehr belastet, also hat er noch einen lebendigen Teil in sich und mit dem müssen wir arbeiten.“
„Schon korrekt, Hermine“, begann Harry nachdenklich, „aber wie stellst du dir das vor?“
„Wir werden erst einmal zusammen das Buch lesen, vielleicht bekommt einer von uns dabei irgendeine Idee. Dann werde ich dem Trank auf den Grund gehen – natürlich zunächst auf theoretischer Basis. Vielleicht braue ich ihn auch mal…“, sie hielt beschwichtigend eine Hand in die Höhe, weil Remus bereits unterbrechen wollte. „Ich werde ihn sogar sehr wahrscheinlich brauen, aber natürlich nicht anwenden! Ich muss jedoch wissen, wie die verwendeten Zutaten aufeinander reagieren. Es gibt Dinge, die kann man in der Theorie nicht sehr genau festmachen. Außerdem halte ich es für wichtig, alles – wirklich alles – über die Zutaten in Erfahrung zu bringen.“
Remus anblickend rief sie sich ins Gedächtnis, dass er ihr vorgeschlagen hatte, Recherche für sie zu betreiben.
Es fiel ihr nicht schwer ihm vorzuschlagen: „Du, Remus, könntest zum Beispiel nachforschen, für welche anderen Tränke diese verwendeten Pflanzen noch benutzt werden, damit ich deren Wirkung und vor allem Wechselwirkung besser bestimmen kann. Ich will nicht nur jede der Zutaten in ihre einzelnen Bestandteile zerpflücken, ich will alles über sie erfahren, angefangen von ihrem Wachstumsprozess bis hin zu der Information, wie viele Vegetationsperioden sie überleben! Ich will wissen, welche Öle in den Pflanzen enthalten sind und ich muss alles über die vorhandenen Pflanzenstoffe wissen; Alkaloide und so weiter.“
„Kein Problem“, stimmte Remus lediglich zu.
Harry schien überaus froh zu sein, dass Remus diese sehr umfangreich klingende Aufgabe auferlegt bekommen hatte, doch als er Hermine anblickte, die nun ihn eindringlich ansah, da machte er sich auf etwas gefasst.
„Du Harry“, er hörte aufmerksam zu, „wirst alles über jene Zutaten in Erfahrung bringen, die nicht von Pflanzen stammen – alles Tierische und die ganzen Mineralien. Der Trank ist ja nicht gerade einfach herzustellen.“ Leise murmelnd, weil sie daran dachte, in welcher Zeit Severus den Trank gebraut haben musste, fügte sie hinzu: „Für nur sieben Wochen nicht schlecht.“
„Herrje“, sagte Harry seufzend, „und ich dachte damals schon, der Vielsafttrank wäre kompliziert herzustellen.“
„Blödsinn, der Vielsafttrank ist im Vergleich zu diesem Seelentrank nun wirklich Kinderkram“, winkte Hermine ab.
„Wie heißt der Trank überhaupt?“, fragte Harry und auch Remus wartete gespannt auf die Antwort.
„Er heißt ’lacus aeterna’, aber frag mich nicht, warum man ihn ’Der Ewige See’ genannt hat.“
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
~ Muggelchen.net ~
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Re: Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit (160)
Ui was du da geschrieben hast ist toll!!
Aber dafür hast du bestimmt sehr gebraucht.:-)
Ich finde den Inhalt super und dein schreibstil gefällt mir auch.



Aber dafür hast du bestimmt sehr gebraucht.:-)
Ich finde den Inhalt super und dein schreibstil gefällt mir auch.

Ich bin stolzer Slytherin
aber ich mag auch alle anderen Häuser sehr gerne.
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- Muggelchen
- Eule
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Hallo birdy,
ja, die Fanfiction ist "etwas" länger. Ich schreibe jetzt etwas über drei Jahre dran. So langsam bewege ich mich auf das Ende zu ;)
Danke für die Review. Ich habe in der Zeit, die ich mit dem Schreiben von FFs verbringe, eine ganze Menge hinzugelernt. Der Schreibstil sah anfangs noch etwas anders aus.
LG und viel Spaß beim Lesen,
Muggelchen
P.S.: Das Kapitel ist zu lang für einen Beitrag, daher muss ich es aufteilen.
161 Flora und Fauna der magischen Welt
Jeder hatte seine Aufgabe bekommen. Harry sollte sich um die tierischen und mineralischen Zaubertrankzutaten kümmern und alles über sie herausfinden, was die Bücher hergaben. Anfangs war er erschrocken, weil er glaubte, er hätte mehr zu tun als Remus, doch nachdem Hermine ihm die Liste gegeben hat, konnte er erleichtert durchatmen; es handelte sich nur um drei Zutaten. Der arme Remus, dachte Harry, war mit einundzwanzig pflanzlichen Zutaten offensichtlich sehr gut ausgelastet, doch der murrte nicht, nachdem er seine Liste überflogen hatte. Im Gegenteil, denn Remus sagte mit leuchtenden Augen, als er eine bestimmte Zutat entdeckt hatte: „Oh, das könnte interessant werden!“
Informationen über alles zu beschaffen, was mit der menschlichen Seele in Zusammenhang stand, machte sich Hermine zur Aufgabe. Sie hatte beim Minister, dem sie ganz offiziell ein Schreiben geschickt hatte, um Einblick in die Krankenakten von Verurteilten gebeten, die dem Kuss eines Dementors ausgesetzt gewesen waren – zu Forschungszwecken. Weil sie Heilerin war – oder weil sie Arthur sehr gut kannte –, verwehrte man ihr den Zugriff nicht, doch sie musste im Vorfeld viele Fragen beantworten. Besonders war Hermine an den Berichten von Ministeriumsmitarbeitern interessiert, die tatsächlich mal einem solchen Kuss zugesehen hatten; ob nun versehentlich oder absichtlich.
Mit vielen Auflagen, die über eine zeitlich sehr knappe Begrenzung des Studiums der Gefängnisakten, bis hin zu von ihr zu unterzeichnenden Anträgen, mit denen sie ihr absolutes Stillschweigen versichern sollte, hatte das Ministerium ihr die Unterlagen tatsächlich recht schnell zukommen lassen. Sie hatte drei Tage Zeit, um die Berge an Dokumenten zu studieren.
Ohne Zeit zu verlieren machte sich Hermine sofort an die Arbeit und vergaß derweil ihre Mahlzeiten einzunehmen. Wenn Wobbel nicht gewesen wäre, der ihr dann und wann unaufgefordert einen Happen zu essen brachte und zu entsprechender Zeit auch mal einen Tee oder Saft, dann wäre Hermine wahrscheinlich dehydriert.
Die gut zwanzig Kilo Pergament, die das Ministerium ihr zur Ansicht geschickt hatte, war Hermine in Windeseile durchgegangen, damit sie sich die wichtigen Schriftstücke herauspicken konnte, auf die sie sich konzentrieren wollte. Es waren nicht die vorher/nachher-Berichte über Gefangene, auf die sie es abgesehen hatte, sondern die wenigen Augenzeugenberichte, die vielleicht etwas über das Verhalten und Aussehen der Seele sagen konnten, wenn diese während des Vorgangs des Dementorkusses überhaupt zu sehen wäre.
In einer Zeitspanne von ungefähr vierzig Jahren waren sechs schriftliche Aussagen und Berichte von Zeugen zustande gekommen, die dem Kuss eines Dementors als Zuschauer beigewohnt hatten. Fünf von ihnen waren kurz darauf zu Patienten des Mungos geworden und sie waren es noch heute, sofern sie nicht bereits den Tod gefunden hatten. Der Sechste war der Einzige, der nach der Urteilsvollstreckung eines Häftlings noch imstande gewesen war, einen vollständigen und detaillierten Bericht über seine Beobachtungen zu verfassen. Die Aufzeichnungen umfassten mehrere Seiten und es wurde sehr genau geschildert, was während dieses Dementorkusses geschehen war.
Eine Gänsehaut lief Hermine den Rücken hinunter und sie verfluchte ihre Fantasie, weil sie sich das Gelesene bildlich sehr gut vorstellen konnte. Sie nahm einen Schluck Tee, bevor sie sich still der Aussage eines Zeugen widmete. Sie las in Gedanken:
’Der verurteilte Mörder wartete in entsprechender Zelle auf dem Boden zusammengekauert auf den Kuss. Als sich der angeforderte Dementor näherte, begann der Häftling aufgrund der gefühlten Minusgrade heftig zu zittern. Er kroch auf dem Boden herum, suchte schluchzend nach einem Ausweg und bemerkte mich, wie ich durch den Schlitz in der Tür hineinspähte. Das Flehen, ihn hinauszulassen, gefolgt von den Versprechungen, ein guter Mensch zu werden, war vorhersehbar und berührte weder mich noch den Dementor. Obwohl man ihn im Vorfeld darüber aufgeklärt hatte, dass er nicht um sein Leben fürchten muss, war seine Todesangst nicht zu übersehen. Es folgte erneut der verzweifelte Versuch des Gefangenen, alternative Vorschläge zu seiner Urteilsvollstreckung zu unterbreiten: Wiedergutmachung bei den Familien der Opfer, lebenslange freiwillige Dienste im sozialen Bereich, am Ende die Bereitschaft, uneingeschränkt alles tun zu wollen, was man von ihm verlangte, wenn man nur den Dementor aufhalten würde. Bis zuletzt hatte der Gefangene nicht nur mich, sondern auch den Dementor um Gnade gebeten, was ihn nicht vor der gerechten Strafe bewahrte.
Der Dementor schwebte auf den Mann zu und begann alsbald mit der Vollstreckung – mit dem Kuss. Entgegen der allgemeinen Vermutung, dass der Kuss nur wenige Sekunden andauern würde, wurde ich vom Gegenteil Zeuge. Anfangs verköstigte sich der Dementor an glücklichen Erinnerungen, sofern noch welche nach den neun Jahren, die der Mann bereits in Askaban absitzen musste, vorhanden waren. Während dieser Phase kroch der Gefangene zur Tür und richtete sich auf; sah mich an. Gut zu erkennen waren die noch tiefblauen Augen, mit denen er trübe und ziellos umherblickte. Noch immer bat er, die von ihm als Irrsinn bezeichnete Vollstreckungsmethode zu überdenken. Noch bevor alle glücklichen Momente genommen waren, zeichnete sich Melancholie im Gesicht des Gefangenen ab.
Ich darf vermuten, dass es Taktik eines Dementors ist, das Opfer zunächst jeglicher Lebensfreude zu berauben, damit es sich gegen den eigentlichen Kuss weniger zur Wehr setzt.
Mit bloßem Auge konnte ich nur wenig von der spärlich leuchtenden Energie erkennen, die aus dem Mund des Gefangenen gesaugt wurde. Mehr konnte ich jedoch mit meinem anderen Auge sehen. Die Seele möchte ich wie eine zähe, üppige Masse beschreiben, die kaum noch durchsichtig war, sondern strahlend weiß leuchtete. An einigen Stellen wies sie grobe Risse auf, was der Gefangene mit seinen Morden selbst zu verantworten hatte; der Dementor war nicht in der Lage gewesen, die partiell gespaltene Seele in einem Stück zu vertilgen. Immer wieder öffnete er seinen Mund und setzte neu an. Der Gestank des Dementors war für mich, weil das Szenario direkt vor meinen Augen stattfand, nur noch schwer zu ertragen, doch viel schlimmer waren die wimmernden Geräusche des Gefangenen, der abscheuliche Qualen erlitt, die vermutlich mit kaum einem vorstellbaren Schmerz zu vergleichen war.
Ich konnte auch den Grund dafür sehen, warum es für Menschen so schwer zu ertragen war, einem Kuss lediglich beizuwohnen, denn es war nicht nur der Geküsste, der so herzzerreißend um Hilfe flehte, sondern auch dessen Seele, die – kaum hatte sie den Körper durch den Mund verlassen – in alle Richtungen zu entweichen versuchte, um nicht dem Dementor zum Opfer zu fallen. Zweimal konnte ich einem dieser austretenden und langsam verblassenden Seelenteile aus dem Weg gehen, doch am Ende hatte mich ein kleiner Fetzen gestreift. Die Berührung einer Seele, die solche Qualen erleidet, weckt wahrscheinlich in jedem Menschen eine tiefe Erschütterung, denn der winzige Teil des Gefangenen, dem ich nicht ausweichen konnte, schien mit meiner Seele kommuniziert zu haben; hatte mein Innerstes um Hilfe angefleht. Verständlich ist daher, dass Menschen, die die entströmende Seele mit bloßem Auge nicht wahrnehmen und deswegen nicht zur Seite treten können – dem überwältigenden emotionalen Kontakt hilflos ausgeliefert sind –, der daraus resultierenden, psychischen Belastung nicht standhalten können. Selbst an mir, der nur von einem kleinsten, sichtbar vergehenden Hauch berührt worden war, ist diese ergreifende Verbindung nicht spurlos vorübergegangen.
Ich konnte beobachten, wie mit dem Entweichen der Seele auch die blauen Augen des Gefangenen von Mal zu Mal dunkler wurden. Vollständig schwarz wurden sie erst, nachdem der Dementor sich dem letzten Teil der Seele widmete. Es handelte sich um ein augenscheinlich sehr kleinen Teil, nur unwesentlich größer als ein Glühwürmchen, der das Herzstück der Seele darzustellen schien, denn an Intensität war es von den zuvor beobachteten Seelenstücken schon rein optisch nicht zu übertreffen. Erst nach Verlust dieses Herzstücks wies der Gefangene die üblichen Merkmale eines Geküssten auf: teilnahmsloser Blick, emotionslose Miene, eine schwarze Augenfarbe, Antriebslosigkeit. Der Mann konnte sofort nach der Urteilsvollstreckung mit seiner Arbeit in der Küche beginnen.
Die Behauptung, ein Dementorkuss würde schmerzlos vonstatten gehen, ist hiermit widerlegt. Ich empfehle dem Ministerium, die Dementoren zwar weiterhin als Wächter in Askaban einzusetzen, aber von einer Bestrafung durch den Kuss abzusehen. Auch die nicht öffentlich gemachte Überlegung, in der Mysteriumsabteilung aufbewahrte Gegenstände zur Bestrafung für Gefangene zu verwenden, ist aufgrund zu weniger Informationen über entsprechende Objekte nicht ratsam.’
Tief Luft holend schloss Hermine die Augen und da bemerkte sie, dass ihre Wimpern ein wenig zusammenklebten. Sich die Augen am Ärmel trocknend griff sie sich ihren Kniesel, der in eine Duldungsstarre verfiel und sich von seinem Frauchen, die das jetzt dringend brauchte, streicheln ließ. In Gedanken ging sie das Gelesene nochmals durch. Für den Gefangenen empfand sie großes Mitgefühl, auch wenn der Ministeriumsbericht sehr nüchtern verfasst worden war. Was er auch getan haben sollte, ein lebenslanger Aufenthalt in Askaban wäre ihrer Meinung nach Strafe genug gewesen. Nicht einmal ihrem ärgsten Feind würde sie einen Dementorkuss wünschen.
Als ihre Logik und ihr Forscherdrang wieder Oberhand gewann, wurde sie skeptisch und las nochmals einen bestimmten Abschnitt.
’Mit bloßem Auge konnte ich nur wenig von der spärlich leuchtenden Energie erkennen, die aus dem Mund des Gefangenen gesaugt wurde. Mehr konnte ich jedoch mit meinem anderen Auge sehen.’
Hermine blätterte zum Ende des Berichts und legte eine Hand auf ihre Brust, als sie die Unterschrift von Alastor Moody erblickte. Er war derjenige gewesen, der den Bericht verfasst hatte; der einem Kuss beigewohnt und nicht den Verstand verloren hatte, weil er mit seinem magischen Auge dazu imstande gewesen war, sich vor den Seelenteilen in Acht zu nehmen, die ihn ansonsten mit ihrer vollen, emotionalen Wucht getroffen hätten.
Das schriftlich festgehaltene Szenario durchdenkend zog Hermine eine vage Assoziation zu dem von Alastor als „Kernstück“ benannten Teil der Seele, der als Letzter den Körper verlassen hatte und dem von Severus als „kleines Überbleibsel“ bezeichneten Rest, der bei ihm ab und an noch aufzulodern vermochte.
Es klopfte.
Dunkle Augen, die sofort wie ein Chamäleon die Farben wechselte, nachdem sie ihren Gast herzlich gegrüßt hatte, blickten sie erst skeptisch an, bevor Severus vorwurfsvoll fragte: „Ist Ihnen heute vielleicht irgendetwas entgangen?“ Mit zusammengekniffenen Augen dachte Hermine angestrengt nach, doch ihr fiel nichts ein, so dass Severus ihr auf die Sprünge half: „Der Wolfsbanntrank rührt sich nicht von allein an.“
„Oh.“ Sie hatte ihn doch glatt vergessen. „Ich komme sofort!“
„Nicht mehr notwendig, er köchelt bereits auf kleiner Flamme. Es wäre nur nett zu erfahren, ob Sie sich morgen und übermorgen eventuell auch rar machen möchten.“
Er klang so missgestimmt, dass es ihr Leid tat, ihn in letzter Zeit vernachlässigt zu haben. „Severus, bitte nehmen Sie es mir nicht übel. Ich werde die anderen beiden Tränke für Remus brauen, versprochen!“
Während sie gesprochen hatte, war sein Blick in ihrem Zimmer umhergeschweift und verweilte am Ende auf den vielen aufgeschlagenen Akten auf ihrem Couchtisch, bevor er sie fragend anschaute.
Sie schaute kurz hinter sich, bevor sie sich Severus zuwandte. „Sie könnten mir helfen, wenn Sie Zeit haben?“
„Ich denke nicht“, erwiderte er nüchtern.
Einen letzten Blick auf die Unordnung auf ihrem Tisch werfend drehte er sich um, doch sie hielt ihn mit einer unerwarteten Frage vom Gehen ab, weil sie unverblümt fragte: „Haben Sie ’lacus aeterna’ verändert?“ Nur mit der Information, ob das Rezept des Trankes, der sich an der Seele zu schaffen gemacht hatte, von ihm verändert worden war, konnte sie zielstrebig weiterarbeiten.
Wie versteinert war Severus auf dem Gang im vierten Stock stehen geblieben, doch er drehte sich nicht zu ihr um. Sie ahnte, dass er den Trank modifiziert haben musste, denn ansonsten war dessen Auswirkung nicht lenkbar und Severus wäre dieses Risiko sicherlich nicht eingegangen.
Kaum zu vernehmen hörte sie ihn antworten. „Nein.“ Er klang ruhig, wenn auch sehr mutlos.
Zu einer Frage ansetzend entwich Hermine nur das erste Wort: „Aber…“
Schnelle Geistesblitze hinderten sie am Reden, denn in Gedanken ging sie zig verschiedene Möglichkeiten durch. Sie konnte und wollte nicht glauben, dass er so unvorbereitet einfach diesen Trank gebraut und eingenommen haben sollte, denn das hätte ihn auch seine gesamte Seele kosten können, wie es in dem Buch „Leib und Seele“ geschildert wurde. Es hatte nicht gerade wenige Fälle gegeben, bei denen die Patienten ähnlich wie nach einem Dementorkuss völlig antriebslos waren und schwarze, entseelte Augen bekommen hatten.
„Denken Sie einen Schritt weiter“, gab er als Hinweis, als hätte er ihre Gedankengänge genau vernommen. Auf der Stelle kam sie seinem Ratschlag nach und mit einem Male manifestierte sich eine mögliche Antwort vor ihrem inneren Auge. In dem Buch „Schützende Hände“ hatte sie von Tränken gelesen, die etwas bewahren würden. Tränke, die den Intellekt schützen und somit gegen Senilität immun machen konnten; Tränke, die die vorhandene Liebe zu einem Menschen immer aufrecht erhalten würden. Sie hatte auch von einem Schutztrank gelesen, der bestimmte Bereiche des Herzens und des Geistes behüten konnte. Es wäre nicht unmöglich, dachte Hermine, dass er auch einen Trank eingenommen hatte, der ihm einen Teil seiner Seele sicherte.
„Severus…“ Doch kaum hatte sie seinen Namen gesprochen, da setzte er sich wieder in Bewegung, um in den Kerkern den Trank für Remus brauen zu können.
Eben jener Remus kniete in dem Zimmer neben Hermines auf dem Boden direkt vor seinem kleinen Couchtisch, der unter der Last etlicher Bücher, die er aus der Bibliothek ausgeliehen hatte, zusammenzubrechen drohte. Schon die erste Zutat, wenn sie auch selten war und genauso selten Verwendung fand, hatte es in sich. Auf zwölf Seiten Pergament waren seine Gedanken bereits notiert. Er war in einem Buch über den Begriff „vegetatives Seelenvermögen“ gestoßen, was ihn hellhörig werden ließ. Als er diese Spur weiterverfolgt hatte, war er am Ende bei einer Schrift von Aristoteles gelandet, der so genannten „De anima“, einer antiken Abhandlung über die Seele. Das war eigentlich Hermines Thema, doch wenn er schon darüber stolperte, würde er sich auch gewissenhaft damit befassen.
Nach diesem historischen Ausflug war ihm ein weiteres Buch in die Hände gefallen, in welcher diese erste Pflanze, die Hermine ihm auf die Liste geschrieben hatte, detailliert behandelt wurde – der „Gespenstische Steinregen“. Im Gegensatz zu seinem tropischen Verwandten, der „Unheimlichen Gespensterpflanze“, die ohne große Lichteinwirkung schnell und hoch wachsen konnte, konnte man die magische Variante dieser Kletterpflanze mit ihren riesigen Blüten an Orten finden, an denen kein einziger Sonnenstrahl heranreichte. Die nicht vorhandene Sonnenbestrahlung machte den „Gespenstischen Steinregen“ zu einer Pflanze, die – wenn überhaupt – in fragwürdigen und auch schwarzmagischen Tränken Verwendung fand. Die großen Kapselfrüchte der Pflanze waren als Zutat besonders wirkungsvoll und waren Bestandteil des Trankes, den Severus vermutlich eingenommen hatte. Die Inhaltsstoffe des Fruchtfleischs der Pflanze konnten auf den Thymus einwirken.
Remus stutzte und notierte sich sofort, dass er nachschlagen musste, welches Organ im menschlichen Körper mit Thymus gemeint sein würde, doch dann hielt er inne und dachte nach. Gerade eben war er über etwas Ähnliches gestoßen und so nahm er nochmals die Abhandlung von Aristoteles in die Hand und las. Da war es, dachte er. Thymus war nichts anderes die latinisierte Form des griechischen Thymos und das war laut Homer die Bezeichnung für die Gemütslage eines Menschen.
„Wäre es möglich…?“ Remus fragte sich selbst, ob das genannte Organ womöglich der Sitz aller Empfindungen darstellen könnte, denn wenn eine Zutat in einem Trank verwendet wird, die auf den Thymus einwirken kann…
Ein Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken. Persönlich seinen Gast empfangend, weil er es für höflicher hielt als die Tür einfach nur per Stab zu öffnen, staunte er nicht schlecht, als Severus vor ihm stand – mit einem Kelch in der Hand, dessen Inhalt den unverkennbaren Gestank der ursprünglichen Form des Wolfsbanntrankes verströmte.
„Severus, komm doch rein“, bat Remus freundlich, doch der schüttelte ablehnend den Kopf.
„Nein danke, wenn Sie die Freundlichkeit besäßen und den Trank endlich einnehmen würden?“
Den Kelch entgegennehmend verzog Remus das Gesicht, denn er wünschte sich das angenehme Vanillearoma herbei, welches Hermine dem Trank immer beigemischt hatte. Er würde sich jedoch nicht bei Severus beschweren, denn er war froh, dass es überhaupt jemanden gab, der ihm den Trank zubereitete.
„So lange er noch heiß ist“, zischte Severus ungeduldig.
Es gab nur eine Möglichkeit und daher nahm Remus den Trank genauso ein wie früher: Luft anhalten und das Gebräu hinunterstürzen.
„Ich glaube“, begann Severus gereizt, „ich werde lieber Albus darüber unterrichten, dass Sie anscheinend die Zeit für Ihren Trank vergessen haben.“ Er kniff die Augen unmerklich zusammen und fügte mit öliger Stimme hinzu: „Wie schon einmal, das ist unverantwortlich!“
„Severus, ich…“
„Ihren Pass!“, forderte Severus.
„Was?“
Einmal die Augen rollend erwiderte Severus genervt: „Ihren Tränkepass!“
„Oh ja, Moment bitte.“
Remus stürzte zum Tisch hinüber, doch der Tränkepass vom Ministerium war irgendwo unter den ganzen Büchern vergraben. Ein Aufrufezauber würde sicherlich für Unordnung sorgen, so dass er die Bücher einzeln anhob, um unter ihnen nachzusehen. Severus wartete in der Zwischenzeit an der offen stehenden Tür und er machte keine Anstalten, seinen Missmut über die lange Wartezeit zum Ausdruck zu bringen, denn er seufzte laut.
Endlich hatte er den Tränkepass gefunden, auf dem Severus für heute seine Unterschrift gab. Remus gab ihm gleich darauf den Kelch zurück, doch bevor Severus mehr als zwei Schritte gehen konnte, fragte Remus ihn: „Sag mal, du bist ja sehr bewandert in…“ Der finstere Blick seines ehemaligen Mitschülers, der sich in Windeseile umgedreht hatte, ließ ihn stocken. „Ich meine, vielleicht kannst du mir helfen. Es geht um ein menschliches Organ.“ Da Severus stehen geblieben war und zuhörte, fragte Remus ganz deutlich: „Weiß du, was der Thymus ist und wo er liegt?“
Gleich einer Raubkatze bewegte sich Severus lautlos auf ihn zu, bis er dicht bei ihm stand und eine Hand hob. Remus wich aufgrund der unerwarteten Bewegung zurück, woraufhin Severus hämisch grinste.
„Der Thymus“, begann er, während er abermals die Hand hob, „ist ein zweilappiges Organ, welches sich beim Menschen“, die Hand wanderte zu Remus’ Brustkorb, „gleich oberhalb des Herzens befindet, genau…“ Er tippte mit einem langen Zeigefinger auf eine Stelle auf Remus’ Brust, die sich ungefähr in Achselhöhe befand. Die Hand wieder fallen lassend fügte Severus bösartig hinzu: „Eine Stelle, die von Werwölfen gern aufgebrochen wird, damit sie ans Herz ihres Opfers gelangen können.“
Die Lippen zusammenpressend und die Bemerkung hinunterschluckend versicherte Remus betroffen: „Ich habe nie irgendwas bei irgendjemandem ’aufgebrochen’, Severus.“
„Jedenfalls nicht, sofern Sie sich erinnern, nicht wahr?“, stichelte der Tränkemeister.
„Ich…“ Im Moment war Remus nicht sauer, sondern verletzt, was sich in seiner Stimme niederschlug. „Ich weiß, dass man immer Vorkehrungen getroffen hat. Ich kann mich daran erinnern, dass meine Eltern mich abends in den Keller gebracht haben, in einen Raum.“ Er blickte Severus an und fügte hinzu: „Und ich kann mich daran erinnern, dass sie mich am nächsten Morgen wieder genau dort herausgelassen haben. Ich bin nie umhergestreift und habe keine Menschen…“ Remus’ Kehle schnürte sich bei dem Gedanken zusammen, nur einmal beinahe einen Menschen umgebracht zu haben.
Als Tatsache hielt Severus ihm vor Augen: „Sie haben damals das Leben von vielen Kindern in Gefahr gebracht, nur weil sie Pettigrew in die Finger bekommen wollten und da halten Sie mir noch heute vor, dass ich dafür gesorgt habe, Sie von der Schule zu entfernen?“
Remus nickte verbissen. Nun war er wirklich sauer, denn er hatte den Wolfsbanntrank in Harrys drittem Schuljahr natürlich nicht absichtlich vergessen, doch noch wütender war er, weil Severus Recht hatte. Es hätte nicht passieren dürfen; es hätte ihn nicht so aus der Bahn werfen dürfen, Peter auf der Karte zu sehen und zusätzlich noch Sirius. Alles hatte plötzlich einen Sinn ergeben und einzig die Gelegenheit, den wahren Mörder von Lily und James seiner gerechten Strafe zuzuführen, war an diesem einen Abend noch wichtig gewesen.
Gerade wollte Remus sich zu der Situation äußern, da schüttelte Severus sanft den Kopf und sagte mit ruhiger Stimme: „Die Gründe kenne ich nur zu gut! Aber stellen Sie sich vor, was geschehen wäre, hätten Sie in dieser Nacht womöglich Harry, Hermine und Mr. Weasley getötet; mich vielleicht gleich noch mit – kein großer Verlust. Ich war zu dem Zeitpunkt sowieso bewusstlos.“ Selbst für einen Widerspruch hatte Remus keine Gelegenheit bekommen, denn Severus riet ihm eindringlich: „Vergessen Sie Ihren Trank niemals!“
„Werde ich nicht“, murmelte Remus schuldbewusst.
Ob es Angst gewesen war, die Severus dazu angetrieben hatte, ihm diesen als Ratschlag getarnten Befehl zu geben, konnte Remus nicht deuten. Viele Menschen durften sich in ihrem Leben Fehler erlauben, aber er selbst, das wusste er schon als Kind, musste besonders wegen seiner Infektion immer mit wachen Sinnen agieren.
Severus ließ ihn allein, ohne ein weiteres Wort zu verlieren und Remus seufzte, bevor er sich ein Kissen von der Couch nahm, um auf ihm auf dem Boden zu knien, damit er die nächste Pflanze auf der Liste unter die Lupe nehmen konnte.
Im Erdgeschoss hatte Harry es sich auf seiner Couch mit einem Buch gemütlich gemacht, als sich plötzlich die Tür öffnete und eine verdutzt dreinblickende Ginny ihn begaffte.
„Was ist? Hab ich was im Gesicht?“ Harry tastete vorsorglich seine Mundwinkel ab.
„Nein, es ist nur ein seltenes Bild, dich mal mit einem Buch auf dem Schoß zu sehen“, scherzte sie.
Nörgelnd versicherte er: „Ich kann lesen!“
„Ist ja gut“, sagte sie schmunzelnd, bevor sie ihren Stab nahm, um eine Windel für Nicholas herbeizurufen. „Ich geh gleich wieder zu Pomona. Du hast doch nichts dagegen? Neville ist auch da, Harry, vielleicht möchtest du mitkommen?“
„Nein, ich habe Hermine was versprochen und das möchte ich halten. Grüß Neville schön von mir, ja?“
„Mach ich“, sagte Ginny und war auch schon wieder verschwunden.
Früher wäre Harry sicherlich lieber mit Ginny mitgegangen, um sich mit ein paar guten Freunden die Zeit zu vertreiben, aber es war seiner Meinung momentan nicht nur wichtig, für Hermine Bücher zu wälzen, sondern er hielt es auch für richtig; außerdem – das konnte er selbst kaum fassen – machte es ihm Spaß. Er musste zwar nur drei Zutaten recherchieren, aber schon dieser Fisch war so spannend, dass die bisher gesammelten Informationen Harrys Interesse an Meerestieren geweckt hatten.
Der „Drachenfisch“ konnte von Muggeln nicht gesehen werden und wurde von ihnen höchstens mal als ein seltsames Licht im Wasser wahrgenommen, denn er besaß Leuchtorgane und gerade diese Leuchtorgane zählten zu den begehrten Zaubertrankzutaten. Einen Augenblick lang fragte er sich, ob der Trank „Der Ewige See“ heißen würde, weil viele Zutaten verwendet wurden, die einem Gewässer entsprangen. Anders als seine Verwandten liebte dieser magische Fisch auch das Süßwasser und verkroch sich gern in den unterirdischen, gefluteten Höhlen der schottischen Seen. Die Drachenfische waren nicht sehr selten, aber sie hatten für den Magier von heute kaum eine Funktion. Als Speisefisch taugten sie nicht. Zudem waren sie durch ihr hässliches Äußeres nicht als Zierfische geeignet und – das hatte in einem Buch von einem Alchimisten gestanden – sie waren ausgesprochen angriffslustig, wenn man ihnen zu nahe kam, auch wenn sie maximal nur vierzig Zentimeter lang werden konnten. Die grätigen Zähne, die Harry auf einer Zeichnung sehen konnte, waren mit Sicherheit messerscharf.
Er notierte sich alles über die Leuchtorgane: ihren Sitz im Fischkörper, ihre Funktion und bekannte Tränke, in denen sie Anwendung fanden. Er fand sogar eine Auflistung von Seen, in denen diese Fische gesehen worden waren.
Das zweite Tier, über dessen Schuppen Hermine etwas erfahren wollte, war ein Knucker. Die Stirn runzelnd überlegte Harry, ob er damals in der Schule jemals etwas über ein Tier mit so einer Bezeichnung gelernt hatte. Ein Lexikon wälzend, welches Hermine ihm vor Jahren mal geschenkt hatte, fand er die Antwort. Ein Knucker war ein maximal sechs Meter lang wachsender Wasserdrache aus der südenglischen Region, dem nachgesagt wird, nicht nur das Vieh umliegender Dörfer zu verspeisen, sondern die Einwohner gleich noch mit dazu. Diese Wesen gab es aber, sofern er dem Nachschlagewerk Glauben schenken durfte, schon seit vielen Jahrhunderten nicht mehr.
„Es muss sie geben!“, sagte Harry trotzig in den Raum hinein, womit er Hedwig ein „Schuhu“ als Kommentar entlockte, während Fawkes nur einmal seine Flügel spreizte, sein Gefieder schüttelte und gleich darauf den Kopf unter seine Schwinge steckte, um noch ein wenig zu dösen.
Es musste noch einige Knucker geben, denn sonst hätte Severus den Trank nicht brauen können, dachte sich Harry. Er machte sich Notizen, wo man Legenden nach das letzte Mal so einen Wasserdrachen gesehen haben wollte, bevor er nach anderen Zaubertränken suchte, in denen die Schuppen dieses Tieres Verwendung fanden, aber da wurde er nicht fündig, so dass er sich das Bild eines Knuckers per Zauber kopierte, es in seine Hosentasche steckte und gleich darauf zum letzten Punkt überging, der auf der Liste stand.
Gesucht wurde ein Mineral, welches sich als Nierenstein in einem Tier ansammeln konnte, das man Finterich nannte.
Zum zweiten Mal stutzte Harry, denn auch von diesem Wesen hatte er nie etwas gehört. Laut Lexikon war es ein Säugetier auf vier Beinen. Die Körpergröße schwankte zwischen der eines Kaninchens und der einer großen Hauskatze. Es handelte sich laut Enzyklopädieeintrag um ein scheues Fluchttier, das seine möglichen Feinde mit ausgeklügelten Täuschungsmanövern gern in die Irre führte, um leichter entfliehen zu können. Als Hermine von „Mineralien“ gesprochen hatte, wäre er nie im Leben drauf gekommen, dass damit die Nierensteine eines ihm unbekannten Tieres gemeint sein könnten.
Ein Fisch, ein Wasserdrache und ein Säugetier – alle drei Wesen und die Zutaten, die sie lieferten, hatte Harry gründlich recherchiert und er spielte mit dem Gedanken, Remus seine Hilfe anzubieten, damit der bei den einundzwanzig Pflanzen nicht zu viel Zeit benötigen würde.
Am nächsten Tag hatte Hermine ihr Versprechen eingehalten und war in Severus’ Labor erschienen, um den Wolfsbanntrank für Remus zu brauen. Er vermied es sie anzusehen. Sie hingegen war mit ihren Gedanken rund um den folgenschweren Trank, den er vor etwa zwanzig Jahren eingenommen haben musste, so sehr beschäftigt, dass sie ihren Mund nicht aufbekam.
„Warum heute so still?“, hörte sie ihn unerwartet fragen, denn sie hatte vermutet, er würde die Ruhe begrüßen.
Sie wandte sich um, rührte jedoch mit einer Hand weiter. „Sonst beschweren Sie sich doch immer darüber, dass ich so viel rede und jetzt?“
„Ich habe mich nie beschwert, sondern Sie lediglich darauf aufmerksam gemacht“, erwiderte er mit ruhiger Stimme, während er einige Phiolen nacheinander öffnete, daran roch und sich Notizen machte, was sie ein wenig verwunderte.
„Was machen Sie da?“, wollte sie – neugierig, wie sie war – natürlich wissen.
Einer seine Mundwinkel zog sich leicht nach oben, bevor er erklärte: „Ich prüfe die ersten Arbeiten der Schüler, denen Draco noch vor Ferienbeginn Nachhilfe gegeben hat.“
Sie musste lächeln. „Ich finde es gut, dass er das macht.“
Aufgrund ihrer einfachen Bekundung fragte er: „Haben Sie ihn dazu angeregt?“
„Oh nein, mit diesen Federn kann sich Harry schmücken.“
„Slytherin wird trotzdem keine Chance haben, den Hauspokal zu erringen.“
Er fügte nicht hinzu, dass Slytherin durch seinen Punkteabzug an Halloween auf dem letzten Platz gelandet war und Hermine, die das natürlich wusste, sprach es ebenfalls nicht an.
„Am Montag kommender Woche beginnt die Schule wieder“, warf er scheinbar zusammenhanglos in den Raum.
Stutzend versicherte sie: „Das weiß ich doch, Severus.“
„Ich dachte, ich sage es Ihnen lieber, damit Sie es auch nicht vergessen, denn Sie scheinen ja momentan andere Dinge im Kopf zu haben.“
Es hatte sehr nach einem Vorwurf geklungen, doch Hermine behielt die Ruhe und versprach: „Keine Sorge, ich werde am Montag pünktlich um 14 Uhr hier sein. Was werden wir denn zusammen machen?“
„Haben Sie einen Wunsch?“
Diese Großzügigkeit hatte ihr fast die Sprache verschlagen, aber nur fast.
„Na ja, da Sie ’lacus aeterna’ wohl weder mit mir brauen, noch ihn mit mir in der Theorie durchgehen würden…“ Sie hatte ihre Augen starr auf den Kessel gerichtet, denn sie wollte seinem durchdringenden Blick prophylaktisch ausweichen. „Wir könnten uns ’Schützende Hände’ vornehmen und dort…“
„Wählen Sie etwas“, unterbrach er herrisch, „das ich auch in dem Bericht über Ihre Arbeit für das Ministerium erwähnen kann!“
„Wir könnten irgendwas mit dem Basiliskengift machen oder an dem Gegenmittel für Pansy arbeiten“, schlug sie vor.
„Diese Arbeit habe ich mit meinen Berechnungen bereits ans Mungos abgegeben.“ Aufgrund ihres fragenden Blickes hielt er mit einer Erklärung nicht zurück. „Ich war so frei, ohne Ihr Zutun die Mischung für das Gegenmittel zu berechnen. Die hoffentlich fähigen Meister im Mungos werden den Trank brauen können, sofern sie bestimmte Aspekte in Erfahrung gebracht haben, wie zum Beispiel das Gewicht und die Größe der Patientin.“ Gerade wollte sie etwas sagen, da ergriff er erneut das Wort. „Und natürlich habe ich eine geringe Menge des Basiliskengiftes ans Mungos abgetreten, denn ich muss annehmen, dass es dem Krankenhaus an dieser Zutat mangelt.“
Beschämt auf das Gebräu in ihrem Kessel schauend sagte sie entschuldigend: „Tut mir Leid, dass ich das vernachlässigt habe, Severus.“
„Ohne Ihr Köpfchen“, begann er ungewohnt heiter, „würde man noch immer nichts von ’Schlafes Bruder’ wissen. Merken Sie sich eigentlich alles, sofern Sie in einem Buch mal darüber gestoßen sind?“
Sie lächelte, während sie dem Trank ein wenig Wolfswurz beimischte. „Ich will nicht von mir behaupten, ein fotografisches Gedächtnis zu haben. Ich habe einfach nur ein sehr gutes Erinnerungsvermögen, was Ron manchmal gar nicht gefallen hat.“
Er summte zustimmend, während er an einer der Phiolen der Schüler roch, die den Trank unter Dracos Aufsicht gebraut hatten.
„Warum haben Sie eigentlich damals keinen Nachhilfeunterricht für Ihre Mitschüler angeboten?“, wollte er wissen.
„Ich weiß nicht“, sie hob und senkte einmal die Schultern, „ich glaube, ich war nicht sehr beliebt. Außerdem liegt mir das Unterrichten nicht besonders.“
„Nicht? Dann würden Sie eine Stelle als Lehrerin ausschlagen, sollte man Ihnen eine unterbreiten?“
Sie war sich nicht ganz klar, auf was er hinaus wollte, doch sie war froh, dass sie normal miteinander reden konnten, auch wenn er genau wusste, mit was sie sich momentan in ihrer Freizeit beschäftigte.
„Nein, als Lehrerin wäre ich viel zu ungeduldig. Mir macht es keinen Spaß, mein Wissen an andere weiterzugeben.“ Sie lachte auf. „Es war manchmal schon anstrengend genug, mit Ron und Harry zusammen zu lernen.“ Wegen der Erinnerungen an die eigene Schulzeit seufzte sie einmal wonnig. „Ich möchte mich jetzt viel lieber mit dem auseinander setzen, das mir noch unbekannt ist.“
„Was streben Sie an?“
Erneut blickte sie über ihre Schulter und bemerkte, dass er sie ansah. Eine ähnliche Frage hatte Albus ihr an Neujahr gestellt.
„Ich…“ Sie schürzte die Lippen. „Ich denke, die Abteilung für Magische Unfälle und Katastrophen wäre etwas für mich.“
„Im Mungos?“ Er klang erbost.
„Warum nicht?“
„Weshalb, wenn ich fragen darf, machen Sie bei mir Ihren Meister in Zaubertränken, wenn Sie danach im Mungos anfangen möchten?“ Er war definitiv erbost und klang zudem verständnislos.
„Ähm…“
Er spottete. „Genauso dämlich wäre es, wenn Fred und George Weasley einen Laden eröffnen würden, um nur noch Feuerwerkskörper und Scherzartikel von anderen Herstellern anzubieten!“
„Ich bin nicht dämlich!“, zeterte sie aufgebracht.
„Nein, sind Sie nicht, denn noch arbeiten Sie ja nicht im Mungos!“ Er hatte den Namen des Krankenhauses mit angewidertem Unterton ausgesprochen.
Die jetzt auftretenden Zweifel in ihr würden nicht mehr so schnell zu vertreiben sein. Wenn nicht nur Albus, sondern auch noch Severus wenig begeistert von ihren beruflichen Vorstellungen war, dann blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Entscheidung einmal gründlich zu überdenken.
„Eben, ich arbeite dort noch nicht, also gibt es keinen Grund, mich so anzufahren!“
„Im Mungos…“, murmelte er fassungslos und sie rollte mit den Augen.
„Was sollte ich denn sonst tun?“
„Sie könnten der ’Körperschaft der Zaubertränkemeister’ in Genf beitreten und sich dort einen Namen machen“, schlug er ernst vor.
„Ich möchte aber nicht nach Genf ziehen!“
„Herrgott, wer spricht denn davon, dass Sie dort, wo Sie arbeiten, auch leben müssen?“
„Was machen die so? Und wer sind die?“ Es war ihr etwas peinlich, dass sie von dieser Körperschaft zwar schon gehört hatte, aber über deren Aufgabengebieten nicht sehr informiert war.
„Wer die sind?“, wiederholte Severus, bevor er plötzlich aufstand und in sein Büro ging.
Durch die offen stehende Tür hindurch konnte sie sehen, dass er etwas aus der Schublade seines Schreibtisches nahm, bevor er zurück kam und sich neben sie stellte.
„Das sind die“, er legte einige Papiere auf den Tisch, „bei denen Sie in zwei Monaten Ihren Farbtrank vorstellen werden.“ Vor Schreck ließ Hermine den großen Löffel los, der mit einem metallenen Geräusch am Rand des Kessels entlangscheuerte. „Rühren Sie weiter“, wies er nebenher klingend an.
„In zwei Monaten?“, wiederholte sie aufgebracht.
„Ja, in zwei Monaten tagt die Körperschaft in Schottland und Sie werden dort erscheinen!“
„Werde ich, ja?“ Sie machte keinen Hehl daraus, dass es ihr missfiel, von ihm vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. „Der Trank ist überhaupt noch nicht fertig!“
Er hatte seine Stirn in Falten gelegt und es schien ihr, als wäre ihr etwas Wichtiges entgangen.
„Sie haben tatsächlich keine Ahnung, was die Aufgaben dieses Vereins sind oder?“ Ein Vorwurf hätte anders geklungen, weswegen sie zaghaft den Kopf schüttelte. „Nun, die Zaubertränkemeister aus aller Welt teilen den anderen Mitgliedern ihre Forschungsergebnisse mit, demzufolge muss Ihr Trank nicht zwingend ’fertig’ sein. Ist ein Thema faszinierend genug oder deckt es sich mit den eigenen Interessen eines anwesenden Meisters, dann werden sich vereinzelt Menschen finden, die Sie unterstützen möchten.“
„Inwiefern unterstützen?“
„Sollte jemand von Ihrem Farbtrank angetan sein, wird derjenige an Sie herantreten und um die Erlaubnis bitten, mit Ihrer Idee arbeiten zu dürfen. Natürlich wird es einen Vertrag geben, der es Ihnen sichern wird, über alle Resultate der anderen Meister regelmäßig in Kenntnis gesetzt zu werden. Die Rechte an dem Trank werden weiterhin bei Ihnen liegen, dafür haben Sie ja das Patent beim Ministerium angemeldet“, erklärte er besonnen.
An das Patent hatte Severus gedacht, rief sie sich ins Gedächtnis zurück, bevor sie die von ihm genannten Informationen überdachte und knapp nachfragte: „Geteilte Forschung?“
Er nickte. „Allerdings muss Ihr Trank das Interesse der anderen wecken. Sie haben bisher einige Ergebnisse gesammelt, die womöglich – besonders in Bezug auf die wenigen Muggel, bei denen der Trank unerwartete Resultate hervorgebracht hat – schockieren könnten. Ich bin jedoch der Ansicht, dass sich unter den Forschern nicht nur welche befinden, die Ihnen daher von vornherein mit Ablehnung gegenübertreten werden, sondern auch einige, die von der Idee, dass Muggel Magie innehaben könnten, sehr angetan wären.“
„Und wenn es niemanden geben sollte, der sich für meinen Trank interessiert?“, fragte sie unsicher.
„Dann werden Sie Ihre Forschung weiterhin allein in die Hand nehmen, so wie Mr. Worple und ich es handhaben.“
„Warum interessiert sich niemand für Ihren Bluttrank?“, wollte sie wissen.
Er seufzte. „Ich denke schon, dass Interesse vorhanden wäre, aber wie Sie ja wissen, ist meine Forschung nicht ganz legal. Sollte ich mit diesem unvollendeten Trank an die Öffentlichkeit gehen, könnte ich auch gleich meine Koffer für Askaban packen.“
„Ich verstehe das nicht, Severus. Warum ist die Forschung an einem Trank, der den Blutdurst von Vampiren im Zaum halten kann, überhaupt verboten?“
„Weil man nicht mit Blut von Menschen herumexperimentiert, das ist Tabu. Einzig für den Blutzauber darf man es ungestraft verwenden, aber nicht, um einen Trank für Kreaturen zu erschaffen, die von der Gesellschaft allgemein verachtet werden.“
„Und wie war das mit dem Wolfsbanntrank?“ Sie deutete auf den Kessel vor sich. „Diese Menschen werden gesellschaftlich auch verachtet.“
Er zog beide Augenbrauen in die Höhe. „Das war eine interessante Angelegenheit, von der ich leider nur aus entsprechenden Fachzeitschriften erfahren habe. Damocles Belby konnte sich nur an die Öffentlichkeit wagen, weil er wusste, dass ein Vorstandsmitglied der Körperschaft einen Werwolf in der Familie hatte. Wie vorhergesehen hatte dieses Vorstandsmitglied öffentlich sein Interesse an dem Wolfsbanntrank bekundet und somit andere Tränkemeister mit seiner positiven Meinung beeinflusst. Und außerdem stellt ’Blut’ keine Zutat im Wolfsbanntrank dar.“ Er seufzte. „Es ist auf einer Seite bedauerlich, dass keines der angesehenen Mitglieder einen Vampir im näheren Umfeld kennt, denn sonst hätte auch ich längst diesen Schritt gewagt.“
Severus blieb neben ihr stehen, während sie den Wolfsbanntrank weiter zubereitete. Nicht nur Zweifel wegen ihrer späteren Berufswahl hatten sich in ihr gefestigt, sondern diesmal auch Zweifel bezüglich ihres Trankes.
„Ich weiß ja nicht einmal genau“, begann sie wenig selbstsicher, „was die Magiefarben wirklich bedeuten.“
„Das werden hoffentlich andere Meister für Sie herausfinden.“
Etwas befangen auf den Kessel starrend gab sie zu: „Wenn jemand bei der Präsentation fragen sollte, wofür der Trank gut sein würde… Ich hätte darauf keine Antwort, Severus.“
Sachte den Kopf schüttelnd sagte er: „Das müssen Sie auch nicht. Sie können Theorien aufstellen wie die, die Sie mir bereits genannt hatten.“ Er bemerkte, dass sie nicht zu wissen schien, auf was er anspielte, weswegen er deutlicher wurde. „Squibs! Sie könnten die Theorie aufstellen, dass die Magie mancher als Squibs abgestempelten Hexen und Zauberer nur blockiert sein könnte. Diese Theorie wird man nicht sofort verlachen, denn immerhin sind Sie eine Heilerin, die Bestnoten aus dem Mungos aufweisen kann. Da wäre nur noch eine Sache, Hermine…“
„Die da wäre?“
„Sie sollten Ihren Meister beim Ministerium absolvieren, bevor Sie sich der Körperschaft der Tränkemeister stellen.“
„Aber…“
„Kein ’Aber’! Wie sieht es denn aus, wenn ein Lehrling“, er verzog das Gesicht, „den Meistern etwas vormachen möchte?“
Sie schnaufte verbittert. „Werde ich Ihnen doch lästig, ja? Das hätte ich mir denken können, dass Sie mich nicht aus purer Nettigkeit bei der Körperschaft für eine Präsentation angemeldet haben.“
Wütend warf sie die letzte Zutat in den Kessel und rührte grober um als notwendig.
„Sie sehen das falsch, Hermine.“
„Oh nein, ich denke, ich sehe das genau richtig! Sie können es nicht ertragen, dass ich an Ihrem ’kleinen Problem’ weiterarbeite und es mir durch Ihre Zänkereien nicht vermiesen lasse. Das ist es oder?“
Erstaunlich gelassen schlug er vor: „Nach absolvierter Prüfung ihrerseits können wir weiterhin zusammen forschen. Es würde sich nichts ändern, bis auf die Tatsache, dass der Ausbildungsvertrag zwischen uns nicht mehr existiert.“
„Ja sicher, und alles, was ich darauf habe, ist Ihr Wort, nicht wahr?“
Schon etwas grantiger rechtfertigte sich Severus, indem er sagte: „Mein Wort ist mehr wert, als Sie es je vermuten würden! Ich habe einmal mein Wort gegeben, ein Kind mit meinem Leben zu schützen und...“
Dracos Hochzeitsrede fiel ihr ein, weswegen sie ihn entrüstet unterbrach: „Das war verdammt noch mal ein ’Unbrechbarer Schwur’ gewesen, natürlich haben Sie dieses Versprechen einhalten müssen.“
Zornig zischte er durch zusammengebissene Zähne: „Ich habe nicht dieses Kind gemeint!“
Die Unterlagen, mit denen die Körperschaft der Zaubertränkemeister die Präsentation von Hermines Farbtrank schriftlich bestätigt hatte, fegte er missgelaunt vom Tisch, bevor er sich wieder an seinen Platz begab, um mit seiner Arbeit fortzufahren.
„Wissen Sie“, begann sie gereizt, „warum ich in letzter Zeit so leicht aus der Haut fahre?“ Sie wartete keine Antwort ab, sondern fügte gleich die Erklärung hinzu: „Weil es äußerst frustrierend ist, bei Ihnen ständig auf Granit zu beißen.“
Gelassen fragte er: „Warum sind Sie dann so erpicht darauf, weiterhin mit mir zu arbeiten?“
Das Feuer unter dem Kessel ausmachend riss sie sich zusammen, bevor sie sich zu ihm umdrehte und zeterte: „Warum können Sie nicht einfach mit ein paar Tatsachen rausrücken? Das kann doch nicht so schwer sein oder?“
„Weil ich es nicht mit ansehen kann, wie Sie Ihre Zeit verschwenden! Ich habe damit längst aufgehört und mich meinem Schicksal ergeben und da kommen Sie und glauben, alles besser zu wissen!“
„Ich habe nie behauptet oder geglaubt, dass ich alles besser weiß! Sonst würde ich ja wohl nicht ständig versuchen, irgendetwas – wenn auch nur eine winzige Kleinigkeit – aus Ihnen herauszubekommen!“ Sie hatte sich in Rage geredet und atmete einmal tief durch, um sich zu beruhigen, bevor sie weniger ernst fragte: „Wie schaffen Sie es nur immer, mich zur Weißglut zu bringen?“
Eine Augenbraue hebend und sie anblickend schürzte er kurz die Lippen und antwortete einen Augenblick später: „Vielleicht bin ich darin ein Naturtalent? So wie Sie ein Naturtalent sind im…“ Er hob eine Hand und legte Daumen und Finger zusammen, bevor er mit schnellen Bewegungen einen schnatternden Entenschnabel imitierte.
Die Zähne zusammenbeißend und die Fäuste ballend sagte sie lieber nichts. Auf einer Seite wusste sie nicht, ob sie über seine Geste lachen sollte, denn so etwas hatte er noch nie getan. Es war witzig, auch wenn sie im Moment diejenige darstellte, die von ihm verspottet wurde.
Sie entschied sich dazu aufzulachen, bevor sie, noch immer lächelnd, ihm an den Kopf warf: „Sie sind unverbesserlich, nicht wahr?“
„Und Sie sind wieder in ’Redelaune’, wie ich bemerken muss“, spöttelte er besänftigt.
„Ähm“, machte jemand an der Tür zum Labor und als Hermine und Severus nachschauten, bemerkten sie einen verlegen wirkenden Remus.
„Der Trank ist fertig“, sprudelte es aus ihr heraus, um gar nicht erst in Versuchung zu kommen nachzufragen, wie viel er von der kleinen Auseinandersetzung zwischen ihr und Severus mitbekommen hatte.
„Oh gut“, sagte Remus, der das Labor betrat und sich durchaus darüber im Klaren war, von Severus skeptisch beäugt zu werden. Nachdem Hermine noch einen Tropfen Vanillearoma hinzugefügt und umgerührt hatte, füllte sie den Trank in einen Kelch, damit Remus ihn zu sich nehmen konnte.
Nachdem er ihr den leeren Kelch überreicht hatte und sich die Lippen wegen des angenehmen Geschmacks leckte, fragte Remus: „Können wir uns heute vielleicht mal treffen?“
„Ja sicher, geht es um die Recherche?“
Noch immer spürte Remus, dass Severus ihn beobachtete und ein Blick in die Richtung des Zaubertränkemeisters bestätigte ihm seinen Verdacht. „Ja, ich bin bis auf zwei Dinge fertig.“
„Gut, Harry meinte, er hätte gestern schon alles erledigt.“
Es war Remus ein Rätsel, wie sie vor Severus so offen darüber sprechen konnte. Vor wenigen Minuten erst – das hatte er deutlich durch die Tür vernommen – hatten sie sich in den Haaren gelegen. Er hatte hören können, wie sie Severus vorgeworfen hatte, all ihre Versuche, etwas von ihm in Erfahrung zu bringen, zu ihrem Unmut mit Leichtigkeit zu vereiteln.
Ihre Stimme riss Remus aus seinen Gedanken, als sie beleidigt klingend sagte: „Severus will, dass ich innerhalb der nächsten zwei Monate meinen Meister mache.“
„Ach ja?“ Er wagte einen Blick zu Severus hinüber, der offensichtlich darauf wartete, dass Hermine noch etwas anfügte und das tat sie auch.
„Ich denke, er hat die Nase voll von mir.“
Remus wollte gerade verneinen, da nahm Severus ihm die Arbeit ab und versicherte ihr, wenn auch diesmal deutlich genervt, jedoch nicht verärgert: „Wie ich Ihnen schon gesagt habe, Hermine, wird es lächerlich wirken, wenn Sie als mein Lehrling vor den ganzen alteingesessenen Meistern mit einem Trank aufwarten, der durchaus Potenzial dazu hat, für großen Aufruhr zu sorgen. Man würde Sie verlachen und Ihnen vorwerfen, keine Ahnung von dem zu haben, von dem Sie sprechen!“
„Und das meinen Sie auch wirklich so?“
„Ich gebe Ihnen mein Wort darauf… Ach nein, Sie haben mir ja unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass mein Wort Ihnen nichts…“
Sie unterbrach ein wenig bockig klingend: „Das habe ich gar nicht! Wenn Sie Ihr Wort drauf geben, dann vertraue ich Ihnen.“
„Auf einmal?“
Sie warf ihm ein überlegenes Lächeln zu, welches er mit gerümpfter Nase und einem schlappen Kopfschütteln kommentierte, was immer noch besser war, als ihr seine Hände um den Hals zu legen – nicht fest, nur als Drohgebärde –, denn manchmal konnten Unterhaltungen mit ihr ihn in gewisser Weise überbeanspruchen und im Moment hatte sie seinen Geduldsfaden bereits sehr strapaziert.
„Was hast du herausgefunden?“, fragte Hermine den verlegen wirkenden Remus.
„Ich, ähm…“ Die Sorge darüber, dass er bei Severus wieder einmal – oder nur noch mehr – in Ungnade fallen könnte, sollte er diese Belange so unverblümt vor ihm bereden, ließ seine Antwort auf dem Weg hinauf irgendwo zwischen Kehle und Zunge in Nichts auflösen.
„Lupin hat etwas über den Thymus entdeckt, nicht wahr?“, antwortete Severus an seiner statt.
Nicht ganz folgend könnend sagte Hermine lediglich „Aha“, bevor sie Remus ansah und fragte: „Wollen wir uns heute mit Harry zusammensetzen?“ Als wäre es ihr jetzt eben erst aufgefallen, fügte sie noch hinzu: „Wann gehst du eigentlich wieder zu Rosmerta?“
Stichelnd sagte Severus: „Wohl erst wieder, wenn man ihn in die Drei Besen einlädt, denn so ganz ohne Einkommen wird er sich dort keine Mahlzeit leisten können.“
Blinzelnd verarbeitete Hermine diese Information. Es war ihr ein Rätsel, wie ihr das entgangen sein konnte.
„Du arbeitest nicht mehr bei Rosmerta?“
„Nein.“ An dieser einzigen Silbe war Remus’ Stimme gebrochen.
„Aber warum nur?“ Hermine verstand die Welt nicht mehr.
„Sie hat ihre Gründe und ich kann ihr nicht böse sein. Man hat sie mit der Schließung des Dorfes um das Weihnachtsgeschäft gebracht und kann mich nicht mehr bezahlen, weil es vorher schon knapp bei ihr ausgesehen hatte“, erklärte Remus traurig, denn die Stelle als Koch war nach dem Job als Lehrer für Verteidigung die zweibeste gewesen, doch andererseits wusste er, dass Rosmerta ihm aus reinem Mitgefühl diese Stelle angeboten hatte.
Mit einem Male verstand sie. „Das meintest du neulich damit, dass du ja jetzt Zeit hättest! Remus, wenn ich das gewusst hätte…“
„Was hättest du dann gemacht?“, fragte er milde lächelnd, ohne eine Antwort zu erwarten. Hermine hätte kaum etwas ausrichten können wie schon die Jahre zuvor, in denen er auf die Hilfe von aufgeschlossenen Menschen angewiesen war, die sich nichts aus seinem Fluch machten.
Am Abend trafen sich Remus und Harry bei Hermine. Schon die ganze Zeit über hatte Harry die vielen Pergamente beäugt, die Remus mitgebracht hatte, doch als Hermine dazu aufforderte, die bisherigen Ergebnisse auf den Tisch zu legen, da kam er sich ganz schäbig vor. Während Remus nämlich seine fast dreißig Seiten ordentlich zusammengeheftet präsentierte, da zog Harry nur ein gefaltetes Stück Pergament aus seiner Hosentasche, das er – mit neidischem Blick auf Remus’ umfangreiches Werk – wie in Zeitlupe verlegen entfaltete. Hermine grinste.
„Harry, das ist in Ordnung, wenn bei dir nicht viel rausgekommen ist. Zeig mal, was du hast.“ Sie streckte ihm ihre Hand entgegen und er gab ihr sein einzelnes Blatt Pergament, für das er sich momentan in Grund und Boden schämte.
Harrys Unmut bemerkend sagte Remus, als er einmal auf seine Arbeit deutete: „Das ist nicht alles über die Pflanzen. Ich bin durch Zufall noch auf etwas Anderes gestoßen, das Hermine interessieren könnte. Deswegen ist es so viel.“
„Oh, gut“, sagte Harry nicht sehr überzeugend.
„Was heißt ’AB’?“, fragte Hermine, die weiterhin sein Pergament studierte.
„Ich hab in Klammern dahintergeschrieben, ob es sich um ’Augenzeugenberichte’ handelt oder um ’L’, damit meine ich Legenden aus südenglischen Region.“
„Sehr gut, damit können wir schon was anfangen. Ich hätte nicht gedacht, dass es tatsächlich Augenzeugenberichte über die Sichtungen von Knuckern gibt“, murmelte Hermine.
„Von was?“, fragte Remus.
Harry lächelte erleichtert. „Ich wusste auch nicht, was das für Dinger sein sollen.“
„Nein, ich hab’s akustisch nicht verstanden“, erklärte Remus. Hermine wiederholte das Wort, woraufhin Remus nickte. „Ach so, ’Knucker’, das sind doch diese Wasserdrachen?“ Harry zog einen Schmollmund, nickte jedoch zustimmend.
Nachdem sie Harrys Notizen studiert hatte, fragte Hermine: „Remus? Hast du schon alle Pflanzen durch?“
„Es fehlen nur noch zwei, aber zu denen habe ich erst gar nichts gesucht. Ich denke, über Flubberwürmer wissen wir alles wie auch über Florfliegen oder?“, antwortete Remus lächelnd.
Mit strahlenden Augen verkündete Hermine: „Dann sind wir ja fertig! Wir haben Informationen über alle Zutaten, die in dem Trank vorkommen, den Severus genommen hat. Dann müssen wir jetzt nur noch anfangen, die Zutaten zu sammeln!“
Harry machte große Augen. „Zu sammeln? Wir sprechen hier auch von Drachen, Hermine!“
„Ich dachte, den würdest du übernehmen. Du bist der Einzige, der darin Erfahrung hat“, schäkerte Hermine, doch Harry war nicht zu Scherzen aufgelegt.
„Ich habe kein Verlangen danach, mich mit einem kryptozoologischen Wasserdrachen anzulegen!“
„Wir brauchen ja nur ein paar Schuppen“, warf Hermine beschwichtigend ein.
„Die bekäme ich nicht einmal, selbst wenn ich höflich fragten sollte!“ Von Drachen hatte Harry genug.
Schlichtend griff Remus ein und empfahl belustigt: „Ruhig Blut! Ich würde sagen, wir fragen Charlie, denn wenn einer was über Knucker weiß, dann ja wohl der Fachmann.“
„Ja natürlich!“ Von der Idee war Harry natürlich begeistert. „Ich kann ich fragen, Hermine, noch heute Abend nach unserem Treffen, wenn du möchtest.“
Zustimmend nickte sie. „Gut, dann wäre das erledigt. Wie machen wir das mit dem Drachenfisch?“
Auch hier hatte Remus einen Vorschlag, denn er sagte: „Fragen wir doch erst in einigen Läden nach, ob die solche Zutaten führen. Wir sollten nur bei den Pflanzen vorsichtig sein, die ausschließlich Bestandteil von schwarzmagischen Tränken sind, denn wir wollen ja nirgends negativ auffallen.“
„Dann sollten wir das diese Woche noch erledigen, denn ab Montag müssen Harry und ich wieder ran, da sind die Ferien vorbei.“
Nickend sagte Remus: „Wir könnten morgen nach dem Frühstück erst eine Liste mit den Zutaten machen und dann gehen wir zusammen in die Winkelgasse!“
„Darf Ginny mitkommen?“, fragte Harry.
„Na, warum denn nicht?“
ja, die Fanfiction ist "etwas" länger. Ich schreibe jetzt etwas über drei Jahre dran. So langsam bewege ich mich auf das Ende zu ;)
Danke für die Review. Ich habe in der Zeit, die ich mit dem Schreiben von FFs verbringe, eine ganze Menge hinzugelernt. Der Schreibstil sah anfangs noch etwas anders aus.
LG und viel Spaß beim Lesen,
Muggelchen
P.S.: Das Kapitel ist zu lang für einen Beitrag, daher muss ich es aufteilen.
161 Flora und Fauna der magischen Welt
Jeder hatte seine Aufgabe bekommen. Harry sollte sich um die tierischen und mineralischen Zaubertrankzutaten kümmern und alles über sie herausfinden, was die Bücher hergaben. Anfangs war er erschrocken, weil er glaubte, er hätte mehr zu tun als Remus, doch nachdem Hermine ihm die Liste gegeben hat, konnte er erleichtert durchatmen; es handelte sich nur um drei Zutaten. Der arme Remus, dachte Harry, war mit einundzwanzig pflanzlichen Zutaten offensichtlich sehr gut ausgelastet, doch der murrte nicht, nachdem er seine Liste überflogen hatte. Im Gegenteil, denn Remus sagte mit leuchtenden Augen, als er eine bestimmte Zutat entdeckt hatte: „Oh, das könnte interessant werden!“
Informationen über alles zu beschaffen, was mit der menschlichen Seele in Zusammenhang stand, machte sich Hermine zur Aufgabe. Sie hatte beim Minister, dem sie ganz offiziell ein Schreiben geschickt hatte, um Einblick in die Krankenakten von Verurteilten gebeten, die dem Kuss eines Dementors ausgesetzt gewesen waren – zu Forschungszwecken. Weil sie Heilerin war – oder weil sie Arthur sehr gut kannte –, verwehrte man ihr den Zugriff nicht, doch sie musste im Vorfeld viele Fragen beantworten. Besonders war Hermine an den Berichten von Ministeriumsmitarbeitern interessiert, die tatsächlich mal einem solchen Kuss zugesehen hatten; ob nun versehentlich oder absichtlich.
Mit vielen Auflagen, die über eine zeitlich sehr knappe Begrenzung des Studiums der Gefängnisakten, bis hin zu von ihr zu unterzeichnenden Anträgen, mit denen sie ihr absolutes Stillschweigen versichern sollte, hatte das Ministerium ihr die Unterlagen tatsächlich recht schnell zukommen lassen. Sie hatte drei Tage Zeit, um die Berge an Dokumenten zu studieren.
Ohne Zeit zu verlieren machte sich Hermine sofort an die Arbeit und vergaß derweil ihre Mahlzeiten einzunehmen. Wenn Wobbel nicht gewesen wäre, der ihr dann und wann unaufgefordert einen Happen zu essen brachte und zu entsprechender Zeit auch mal einen Tee oder Saft, dann wäre Hermine wahrscheinlich dehydriert.
Die gut zwanzig Kilo Pergament, die das Ministerium ihr zur Ansicht geschickt hatte, war Hermine in Windeseile durchgegangen, damit sie sich die wichtigen Schriftstücke herauspicken konnte, auf die sie sich konzentrieren wollte. Es waren nicht die vorher/nachher-Berichte über Gefangene, auf die sie es abgesehen hatte, sondern die wenigen Augenzeugenberichte, die vielleicht etwas über das Verhalten und Aussehen der Seele sagen konnten, wenn diese während des Vorgangs des Dementorkusses überhaupt zu sehen wäre.
In einer Zeitspanne von ungefähr vierzig Jahren waren sechs schriftliche Aussagen und Berichte von Zeugen zustande gekommen, die dem Kuss eines Dementors als Zuschauer beigewohnt hatten. Fünf von ihnen waren kurz darauf zu Patienten des Mungos geworden und sie waren es noch heute, sofern sie nicht bereits den Tod gefunden hatten. Der Sechste war der Einzige, der nach der Urteilsvollstreckung eines Häftlings noch imstande gewesen war, einen vollständigen und detaillierten Bericht über seine Beobachtungen zu verfassen. Die Aufzeichnungen umfassten mehrere Seiten und es wurde sehr genau geschildert, was während dieses Dementorkusses geschehen war.
Eine Gänsehaut lief Hermine den Rücken hinunter und sie verfluchte ihre Fantasie, weil sie sich das Gelesene bildlich sehr gut vorstellen konnte. Sie nahm einen Schluck Tee, bevor sie sich still der Aussage eines Zeugen widmete. Sie las in Gedanken:
’Der verurteilte Mörder wartete in entsprechender Zelle auf dem Boden zusammengekauert auf den Kuss. Als sich der angeforderte Dementor näherte, begann der Häftling aufgrund der gefühlten Minusgrade heftig zu zittern. Er kroch auf dem Boden herum, suchte schluchzend nach einem Ausweg und bemerkte mich, wie ich durch den Schlitz in der Tür hineinspähte. Das Flehen, ihn hinauszulassen, gefolgt von den Versprechungen, ein guter Mensch zu werden, war vorhersehbar und berührte weder mich noch den Dementor. Obwohl man ihn im Vorfeld darüber aufgeklärt hatte, dass er nicht um sein Leben fürchten muss, war seine Todesangst nicht zu übersehen. Es folgte erneut der verzweifelte Versuch des Gefangenen, alternative Vorschläge zu seiner Urteilsvollstreckung zu unterbreiten: Wiedergutmachung bei den Familien der Opfer, lebenslange freiwillige Dienste im sozialen Bereich, am Ende die Bereitschaft, uneingeschränkt alles tun zu wollen, was man von ihm verlangte, wenn man nur den Dementor aufhalten würde. Bis zuletzt hatte der Gefangene nicht nur mich, sondern auch den Dementor um Gnade gebeten, was ihn nicht vor der gerechten Strafe bewahrte.
Der Dementor schwebte auf den Mann zu und begann alsbald mit der Vollstreckung – mit dem Kuss. Entgegen der allgemeinen Vermutung, dass der Kuss nur wenige Sekunden andauern würde, wurde ich vom Gegenteil Zeuge. Anfangs verköstigte sich der Dementor an glücklichen Erinnerungen, sofern noch welche nach den neun Jahren, die der Mann bereits in Askaban absitzen musste, vorhanden waren. Während dieser Phase kroch der Gefangene zur Tür und richtete sich auf; sah mich an. Gut zu erkennen waren die noch tiefblauen Augen, mit denen er trübe und ziellos umherblickte. Noch immer bat er, die von ihm als Irrsinn bezeichnete Vollstreckungsmethode zu überdenken. Noch bevor alle glücklichen Momente genommen waren, zeichnete sich Melancholie im Gesicht des Gefangenen ab.
Ich darf vermuten, dass es Taktik eines Dementors ist, das Opfer zunächst jeglicher Lebensfreude zu berauben, damit es sich gegen den eigentlichen Kuss weniger zur Wehr setzt.
Mit bloßem Auge konnte ich nur wenig von der spärlich leuchtenden Energie erkennen, die aus dem Mund des Gefangenen gesaugt wurde. Mehr konnte ich jedoch mit meinem anderen Auge sehen. Die Seele möchte ich wie eine zähe, üppige Masse beschreiben, die kaum noch durchsichtig war, sondern strahlend weiß leuchtete. An einigen Stellen wies sie grobe Risse auf, was der Gefangene mit seinen Morden selbst zu verantworten hatte; der Dementor war nicht in der Lage gewesen, die partiell gespaltene Seele in einem Stück zu vertilgen. Immer wieder öffnete er seinen Mund und setzte neu an. Der Gestank des Dementors war für mich, weil das Szenario direkt vor meinen Augen stattfand, nur noch schwer zu ertragen, doch viel schlimmer waren die wimmernden Geräusche des Gefangenen, der abscheuliche Qualen erlitt, die vermutlich mit kaum einem vorstellbaren Schmerz zu vergleichen war.
Ich konnte auch den Grund dafür sehen, warum es für Menschen so schwer zu ertragen war, einem Kuss lediglich beizuwohnen, denn es war nicht nur der Geküsste, der so herzzerreißend um Hilfe flehte, sondern auch dessen Seele, die – kaum hatte sie den Körper durch den Mund verlassen – in alle Richtungen zu entweichen versuchte, um nicht dem Dementor zum Opfer zu fallen. Zweimal konnte ich einem dieser austretenden und langsam verblassenden Seelenteile aus dem Weg gehen, doch am Ende hatte mich ein kleiner Fetzen gestreift. Die Berührung einer Seele, die solche Qualen erleidet, weckt wahrscheinlich in jedem Menschen eine tiefe Erschütterung, denn der winzige Teil des Gefangenen, dem ich nicht ausweichen konnte, schien mit meiner Seele kommuniziert zu haben; hatte mein Innerstes um Hilfe angefleht. Verständlich ist daher, dass Menschen, die die entströmende Seele mit bloßem Auge nicht wahrnehmen und deswegen nicht zur Seite treten können – dem überwältigenden emotionalen Kontakt hilflos ausgeliefert sind –, der daraus resultierenden, psychischen Belastung nicht standhalten können. Selbst an mir, der nur von einem kleinsten, sichtbar vergehenden Hauch berührt worden war, ist diese ergreifende Verbindung nicht spurlos vorübergegangen.
Ich konnte beobachten, wie mit dem Entweichen der Seele auch die blauen Augen des Gefangenen von Mal zu Mal dunkler wurden. Vollständig schwarz wurden sie erst, nachdem der Dementor sich dem letzten Teil der Seele widmete. Es handelte sich um ein augenscheinlich sehr kleinen Teil, nur unwesentlich größer als ein Glühwürmchen, der das Herzstück der Seele darzustellen schien, denn an Intensität war es von den zuvor beobachteten Seelenstücken schon rein optisch nicht zu übertreffen. Erst nach Verlust dieses Herzstücks wies der Gefangene die üblichen Merkmale eines Geküssten auf: teilnahmsloser Blick, emotionslose Miene, eine schwarze Augenfarbe, Antriebslosigkeit. Der Mann konnte sofort nach der Urteilsvollstreckung mit seiner Arbeit in der Küche beginnen.
Die Behauptung, ein Dementorkuss würde schmerzlos vonstatten gehen, ist hiermit widerlegt. Ich empfehle dem Ministerium, die Dementoren zwar weiterhin als Wächter in Askaban einzusetzen, aber von einer Bestrafung durch den Kuss abzusehen. Auch die nicht öffentlich gemachte Überlegung, in der Mysteriumsabteilung aufbewahrte Gegenstände zur Bestrafung für Gefangene zu verwenden, ist aufgrund zu weniger Informationen über entsprechende Objekte nicht ratsam.’
Tief Luft holend schloss Hermine die Augen und da bemerkte sie, dass ihre Wimpern ein wenig zusammenklebten. Sich die Augen am Ärmel trocknend griff sie sich ihren Kniesel, der in eine Duldungsstarre verfiel und sich von seinem Frauchen, die das jetzt dringend brauchte, streicheln ließ. In Gedanken ging sie das Gelesene nochmals durch. Für den Gefangenen empfand sie großes Mitgefühl, auch wenn der Ministeriumsbericht sehr nüchtern verfasst worden war. Was er auch getan haben sollte, ein lebenslanger Aufenthalt in Askaban wäre ihrer Meinung nach Strafe genug gewesen. Nicht einmal ihrem ärgsten Feind würde sie einen Dementorkuss wünschen.
Als ihre Logik und ihr Forscherdrang wieder Oberhand gewann, wurde sie skeptisch und las nochmals einen bestimmten Abschnitt.
’Mit bloßem Auge konnte ich nur wenig von der spärlich leuchtenden Energie erkennen, die aus dem Mund des Gefangenen gesaugt wurde. Mehr konnte ich jedoch mit meinem anderen Auge sehen.’
Hermine blätterte zum Ende des Berichts und legte eine Hand auf ihre Brust, als sie die Unterschrift von Alastor Moody erblickte. Er war derjenige gewesen, der den Bericht verfasst hatte; der einem Kuss beigewohnt und nicht den Verstand verloren hatte, weil er mit seinem magischen Auge dazu imstande gewesen war, sich vor den Seelenteilen in Acht zu nehmen, die ihn ansonsten mit ihrer vollen, emotionalen Wucht getroffen hätten.
Das schriftlich festgehaltene Szenario durchdenkend zog Hermine eine vage Assoziation zu dem von Alastor als „Kernstück“ benannten Teil der Seele, der als Letzter den Körper verlassen hatte und dem von Severus als „kleines Überbleibsel“ bezeichneten Rest, der bei ihm ab und an noch aufzulodern vermochte.
Es klopfte.
Dunkle Augen, die sofort wie ein Chamäleon die Farben wechselte, nachdem sie ihren Gast herzlich gegrüßt hatte, blickten sie erst skeptisch an, bevor Severus vorwurfsvoll fragte: „Ist Ihnen heute vielleicht irgendetwas entgangen?“ Mit zusammengekniffenen Augen dachte Hermine angestrengt nach, doch ihr fiel nichts ein, so dass Severus ihr auf die Sprünge half: „Der Wolfsbanntrank rührt sich nicht von allein an.“
„Oh.“ Sie hatte ihn doch glatt vergessen. „Ich komme sofort!“
„Nicht mehr notwendig, er köchelt bereits auf kleiner Flamme. Es wäre nur nett zu erfahren, ob Sie sich morgen und übermorgen eventuell auch rar machen möchten.“
Er klang so missgestimmt, dass es ihr Leid tat, ihn in letzter Zeit vernachlässigt zu haben. „Severus, bitte nehmen Sie es mir nicht übel. Ich werde die anderen beiden Tränke für Remus brauen, versprochen!“
Während sie gesprochen hatte, war sein Blick in ihrem Zimmer umhergeschweift und verweilte am Ende auf den vielen aufgeschlagenen Akten auf ihrem Couchtisch, bevor er sie fragend anschaute.
Sie schaute kurz hinter sich, bevor sie sich Severus zuwandte. „Sie könnten mir helfen, wenn Sie Zeit haben?“
„Ich denke nicht“, erwiderte er nüchtern.
Einen letzten Blick auf die Unordnung auf ihrem Tisch werfend drehte er sich um, doch sie hielt ihn mit einer unerwarteten Frage vom Gehen ab, weil sie unverblümt fragte: „Haben Sie ’lacus aeterna’ verändert?“ Nur mit der Information, ob das Rezept des Trankes, der sich an der Seele zu schaffen gemacht hatte, von ihm verändert worden war, konnte sie zielstrebig weiterarbeiten.
Wie versteinert war Severus auf dem Gang im vierten Stock stehen geblieben, doch er drehte sich nicht zu ihr um. Sie ahnte, dass er den Trank modifiziert haben musste, denn ansonsten war dessen Auswirkung nicht lenkbar und Severus wäre dieses Risiko sicherlich nicht eingegangen.
Kaum zu vernehmen hörte sie ihn antworten. „Nein.“ Er klang ruhig, wenn auch sehr mutlos.
Zu einer Frage ansetzend entwich Hermine nur das erste Wort: „Aber…“
Schnelle Geistesblitze hinderten sie am Reden, denn in Gedanken ging sie zig verschiedene Möglichkeiten durch. Sie konnte und wollte nicht glauben, dass er so unvorbereitet einfach diesen Trank gebraut und eingenommen haben sollte, denn das hätte ihn auch seine gesamte Seele kosten können, wie es in dem Buch „Leib und Seele“ geschildert wurde. Es hatte nicht gerade wenige Fälle gegeben, bei denen die Patienten ähnlich wie nach einem Dementorkuss völlig antriebslos waren und schwarze, entseelte Augen bekommen hatten.
„Denken Sie einen Schritt weiter“, gab er als Hinweis, als hätte er ihre Gedankengänge genau vernommen. Auf der Stelle kam sie seinem Ratschlag nach und mit einem Male manifestierte sich eine mögliche Antwort vor ihrem inneren Auge. In dem Buch „Schützende Hände“ hatte sie von Tränken gelesen, die etwas bewahren würden. Tränke, die den Intellekt schützen und somit gegen Senilität immun machen konnten; Tränke, die die vorhandene Liebe zu einem Menschen immer aufrecht erhalten würden. Sie hatte auch von einem Schutztrank gelesen, der bestimmte Bereiche des Herzens und des Geistes behüten konnte. Es wäre nicht unmöglich, dachte Hermine, dass er auch einen Trank eingenommen hatte, der ihm einen Teil seiner Seele sicherte.
„Severus…“ Doch kaum hatte sie seinen Namen gesprochen, da setzte er sich wieder in Bewegung, um in den Kerkern den Trank für Remus brauen zu können.
Eben jener Remus kniete in dem Zimmer neben Hermines auf dem Boden direkt vor seinem kleinen Couchtisch, der unter der Last etlicher Bücher, die er aus der Bibliothek ausgeliehen hatte, zusammenzubrechen drohte. Schon die erste Zutat, wenn sie auch selten war und genauso selten Verwendung fand, hatte es in sich. Auf zwölf Seiten Pergament waren seine Gedanken bereits notiert. Er war in einem Buch über den Begriff „vegetatives Seelenvermögen“ gestoßen, was ihn hellhörig werden ließ. Als er diese Spur weiterverfolgt hatte, war er am Ende bei einer Schrift von Aristoteles gelandet, der so genannten „De anima“, einer antiken Abhandlung über die Seele. Das war eigentlich Hermines Thema, doch wenn er schon darüber stolperte, würde er sich auch gewissenhaft damit befassen.
Nach diesem historischen Ausflug war ihm ein weiteres Buch in die Hände gefallen, in welcher diese erste Pflanze, die Hermine ihm auf die Liste geschrieben hatte, detailliert behandelt wurde – der „Gespenstische Steinregen“. Im Gegensatz zu seinem tropischen Verwandten, der „Unheimlichen Gespensterpflanze“, die ohne große Lichteinwirkung schnell und hoch wachsen konnte, konnte man die magische Variante dieser Kletterpflanze mit ihren riesigen Blüten an Orten finden, an denen kein einziger Sonnenstrahl heranreichte. Die nicht vorhandene Sonnenbestrahlung machte den „Gespenstischen Steinregen“ zu einer Pflanze, die – wenn überhaupt – in fragwürdigen und auch schwarzmagischen Tränken Verwendung fand. Die großen Kapselfrüchte der Pflanze waren als Zutat besonders wirkungsvoll und waren Bestandteil des Trankes, den Severus vermutlich eingenommen hatte. Die Inhaltsstoffe des Fruchtfleischs der Pflanze konnten auf den Thymus einwirken.
Remus stutzte und notierte sich sofort, dass er nachschlagen musste, welches Organ im menschlichen Körper mit Thymus gemeint sein würde, doch dann hielt er inne und dachte nach. Gerade eben war er über etwas Ähnliches gestoßen und so nahm er nochmals die Abhandlung von Aristoteles in die Hand und las. Da war es, dachte er. Thymus war nichts anderes die latinisierte Form des griechischen Thymos und das war laut Homer die Bezeichnung für die Gemütslage eines Menschen.
„Wäre es möglich…?“ Remus fragte sich selbst, ob das genannte Organ womöglich der Sitz aller Empfindungen darstellen könnte, denn wenn eine Zutat in einem Trank verwendet wird, die auf den Thymus einwirken kann…
Ein Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken. Persönlich seinen Gast empfangend, weil er es für höflicher hielt als die Tür einfach nur per Stab zu öffnen, staunte er nicht schlecht, als Severus vor ihm stand – mit einem Kelch in der Hand, dessen Inhalt den unverkennbaren Gestank der ursprünglichen Form des Wolfsbanntrankes verströmte.
„Severus, komm doch rein“, bat Remus freundlich, doch der schüttelte ablehnend den Kopf.
„Nein danke, wenn Sie die Freundlichkeit besäßen und den Trank endlich einnehmen würden?“
Den Kelch entgegennehmend verzog Remus das Gesicht, denn er wünschte sich das angenehme Vanillearoma herbei, welches Hermine dem Trank immer beigemischt hatte. Er würde sich jedoch nicht bei Severus beschweren, denn er war froh, dass es überhaupt jemanden gab, der ihm den Trank zubereitete.
„So lange er noch heiß ist“, zischte Severus ungeduldig.
Es gab nur eine Möglichkeit und daher nahm Remus den Trank genauso ein wie früher: Luft anhalten und das Gebräu hinunterstürzen.
„Ich glaube“, begann Severus gereizt, „ich werde lieber Albus darüber unterrichten, dass Sie anscheinend die Zeit für Ihren Trank vergessen haben.“ Er kniff die Augen unmerklich zusammen und fügte mit öliger Stimme hinzu: „Wie schon einmal, das ist unverantwortlich!“
„Severus, ich…“
„Ihren Pass!“, forderte Severus.
„Was?“
Einmal die Augen rollend erwiderte Severus genervt: „Ihren Tränkepass!“
„Oh ja, Moment bitte.“
Remus stürzte zum Tisch hinüber, doch der Tränkepass vom Ministerium war irgendwo unter den ganzen Büchern vergraben. Ein Aufrufezauber würde sicherlich für Unordnung sorgen, so dass er die Bücher einzeln anhob, um unter ihnen nachzusehen. Severus wartete in der Zwischenzeit an der offen stehenden Tür und er machte keine Anstalten, seinen Missmut über die lange Wartezeit zum Ausdruck zu bringen, denn er seufzte laut.
Endlich hatte er den Tränkepass gefunden, auf dem Severus für heute seine Unterschrift gab. Remus gab ihm gleich darauf den Kelch zurück, doch bevor Severus mehr als zwei Schritte gehen konnte, fragte Remus ihn: „Sag mal, du bist ja sehr bewandert in…“ Der finstere Blick seines ehemaligen Mitschülers, der sich in Windeseile umgedreht hatte, ließ ihn stocken. „Ich meine, vielleicht kannst du mir helfen. Es geht um ein menschliches Organ.“ Da Severus stehen geblieben war und zuhörte, fragte Remus ganz deutlich: „Weiß du, was der Thymus ist und wo er liegt?“
Gleich einer Raubkatze bewegte sich Severus lautlos auf ihn zu, bis er dicht bei ihm stand und eine Hand hob. Remus wich aufgrund der unerwarteten Bewegung zurück, woraufhin Severus hämisch grinste.
„Der Thymus“, begann er, während er abermals die Hand hob, „ist ein zweilappiges Organ, welches sich beim Menschen“, die Hand wanderte zu Remus’ Brustkorb, „gleich oberhalb des Herzens befindet, genau…“ Er tippte mit einem langen Zeigefinger auf eine Stelle auf Remus’ Brust, die sich ungefähr in Achselhöhe befand. Die Hand wieder fallen lassend fügte Severus bösartig hinzu: „Eine Stelle, die von Werwölfen gern aufgebrochen wird, damit sie ans Herz ihres Opfers gelangen können.“
Die Lippen zusammenpressend und die Bemerkung hinunterschluckend versicherte Remus betroffen: „Ich habe nie irgendwas bei irgendjemandem ’aufgebrochen’, Severus.“
„Jedenfalls nicht, sofern Sie sich erinnern, nicht wahr?“, stichelte der Tränkemeister.
„Ich…“ Im Moment war Remus nicht sauer, sondern verletzt, was sich in seiner Stimme niederschlug. „Ich weiß, dass man immer Vorkehrungen getroffen hat. Ich kann mich daran erinnern, dass meine Eltern mich abends in den Keller gebracht haben, in einen Raum.“ Er blickte Severus an und fügte hinzu: „Und ich kann mich daran erinnern, dass sie mich am nächsten Morgen wieder genau dort herausgelassen haben. Ich bin nie umhergestreift und habe keine Menschen…“ Remus’ Kehle schnürte sich bei dem Gedanken zusammen, nur einmal beinahe einen Menschen umgebracht zu haben.
Als Tatsache hielt Severus ihm vor Augen: „Sie haben damals das Leben von vielen Kindern in Gefahr gebracht, nur weil sie Pettigrew in die Finger bekommen wollten und da halten Sie mir noch heute vor, dass ich dafür gesorgt habe, Sie von der Schule zu entfernen?“
Remus nickte verbissen. Nun war er wirklich sauer, denn er hatte den Wolfsbanntrank in Harrys drittem Schuljahr natürlich nicht absichtlich vergessen, doch noch wütender war er, weil Severus Recht hatte. Es hätte nicht passieren dürfen; es hätte ihn nicht so aus der Bahn werfen dürfen, Peter auf der Karte zu sehen und zusätzlich noch Sirius. Alles hatte plötzlich einen Sinn ergeben und einzig die Gelegenheit, den wahren Mörder von Lily und James seiner gerechten Strafe zuzuführen, war an diesem einen Abend noch wichtig gewesen.
Gerade wollte Remus sich zu der Situation äußern, da schüttelte Severus sanft den Kopf und sagte mit ruhiger Stimme: „Die Gründe kenne ich nur zu gut! Aber stellen Sie sich vor, was geschehen wäre, hätten Sie in dieser Nacht womöglich Harry, Hermine und Mr. Weasley getötet; mich vielleicht gleich noch mit – kein großer Verlust. Ich war zu dem Zeitpunkt sowieso bewusstlos.“ Selbst für einen Widerspruch hatte Remus keine Gelegenheit bekommen, denn Severus riet ihm eindringlich: „Vergessen Sie Ihren Trank niemals!“
„Werde ich nicht“, murmelte Remus schuldbewusst.
Ob es Angst gewesen war, die Severus dazu angetrieben hatte, ihm diesen als Ratschlag getarnten Befehl zu geben, konnte Remus nicht deuten. Viele Menschen durften sich in ihrem Leben Fehler erlauben, aber er selbst, das wusste er schon als Kind, musste besonders wegen seiner Infektion immer mit wachen Sinnen agieren.
Severus ließ ihn allein, ohne ein weiteres Wort zu verlieren und Remus seufzte, bevor er sich ein Kissen von der Couch nahm, um auf ihm auf dem Boden zu knien, damit er die nächste Pflanze auf der Liste unter die Lupe nehmen konnte.
Im Erdgeschoss hatte Harry es sich auf seiner Couch mit einem Buch gemütlich gemacht, als sich plötzlich die Tür öffnete und eine verdutzt dreinblickende Ginny ihn begaffte.
„Was ist? Hab ich was im Gesicht?“ Harry tastete vorsorglich seine Mundwinkel ab.
„Nein, es ist nur ein seltenes Bild, dich mal mit einem Buch auf dem Schoß zu sehen“, scherzte sie.
Nörgelnd versicherte er: „Ich kann lesen!“
„Ist ja gut“, sagte sie schmunzelnd, bevor sie ihren Stab nahm, um eine Windel für Nicholas herbeizurufen. „Ich geh gleich wieder zu Pomona. Du hast doch nichts dagegen? Neville ist auch da, Harry, vielleicht möchtest du mitkommen?“
„Nein, ich habe Hermine was versprochen und das möchte ich halten. Grüß Neville schön von mir, ja?“
„Mach ich“, sagte Ginny und war auch schon wieder verschwunden.
Früher wäre Harry sicherlich lieber mit Ginny mitgegangen, um sich mit ein paar guten Freunden die Zeit zu vertreiben, aber es war seiner Meinung momentan nicht nur wichtig, für Hermine Bücher zu wälzen, sondern er hielt es auch für richtig; außerdem – das konnte er selbst kaum fassen – machte es ihm Spaß. Er musste zwar nur drei Zutaten recherchieren, aber schon dieser Fisch war so spannend, dass die bisher gesammelten Informationen Harrys Interesse an Meerestieren geweckt hatten.
Der „Drachenfisch“ konnte von Muggeln nicht gesehen werden und wurde von ihnen höchstens mal als ein seltsames Licht im Wasser wahrgenommen, denn er besaß Leuchtorgane und gerade diese Leuchtorgane zählten zu den begehrten Zaubertrankzutaten. Einen Augenblick lang fragte er sich, ob der Trank „Der Ewige See“ heißen würde, weil viele Zutaten verwendet wurden, die einem Gewässer entsprangen. Anders als seine Verwandten liebte dieser magische Fisch auch das Süßwasser und verkroch sich gern in den unterirdischen, gefluteten Höhlen der schottischen Seen. Die Drachenfische waren nicht sehr selten, aber sie hatten für den Magier von heute kaum eine Funktion. Als Speisefisch taugten sie nicht. Zudem waren sie durch ihr hässliches Äußeres nicht als Zierfische geeignet und – das hatte in einem Buch von einem Alchimisten gestanden – sie waren ausgesprochen angriffslustig, wenn man ihnen zu nahe kam, auch wenn sie maximal nur vierzig Zentimeter lang werden konnten. Die grätigen Zähne, die Harry auf einer Zeichnung sehen konnte, waren mit Sicherheit messerscharf.
Er notierte sich alles über die Leuchtorgane: ihren Sitz im Fischkörper, ihre Funktion und bekannte Tränke, in denen sie Anwendung fanden. Er fand sogar eine Auflistung von Seen, in denen diese Fische gesehen worden waren.
Das zweite Tier, über dessen Schuppen Hermine etwas erfahren wollte, war ein Knucker. Die Stirn runzelnd überlegte Harry, ob er damals in der Schule jemals etwas über ein Tier mit so einer Bezeichnung gelernt hatte. Ein Lexikon wälzend, welches Hermine ihm vor Jahren mal geschenkt hatte, fand er die Antwort. Ein Knucker war ein maximal sechs Meter lang wachsender Wasserdrache aus der südenglischen Region, dem nachgesagt wird, nicht nur das Vieh umliegender Dörfer zu verspeisen, sondern die Einwohner gleich noch mit dazu. Diese Wesen gab es aber, sofern er dem Nachschlagewerk Glauben schenken durfte, schon seit vielen Jahrhunderten nicht mehr.
„Es muss sie geben!“, sagte Harry trotzig in den Raum hinein, womit er Hedwig ein „Schuhu“ als Kommentar entlockte, während Fawkes nur einmal seine Flügel spreizte, sein Gefieder schüttelte und gleich darauf den Kopf unter seine Schwinge steckte, um noch ein wenig zu dösen.
Es musste noch einige Knucker geben, denn sonst hätte Severus den Trank nicht brauen können, dachte sich Harry. Er machte sich Notizen, wo man Legenden nach das letzte Mal so einen Wasserdrachen gesehen haben wollte, bevor er nach anderen Zaubertränken suchte, in denen die Schuppen dieses Tieres Verwendung fanden, aber da wurde er nicht fündig, so dass er sich das Bild eines Knuckers per Zauber kopierte, es in seine Hosentasche steckte und gleich darauf zum letzten Punkt überging, der auf der Liste stand.
Gesucht wurde ein Mineral, welches sich als Nierenstein in einem Tier ansammeln konnte, das man Finterich nannte.
Zum zweiten Mal stutzte Harry, denn auch von diesem Wesen hatte er nie etwas gehört. Laut Lexikon war es ein Säugetier auf vier Beinen. Die Körpergröße schwankte zwischen der eines Kaninchens und der einer großen Hauskatze. Es handelte sich laut Enzyklopädieeintrag um ein scheues Fluchttier, das seine möglichen Feinde mit ausgeklügelten Täuschungsmanövern gern in die Irre führte, um leichter entfliehen zu können. Als Hermine von „Mineralien“ gesprochen hatte, wäre er nie im Leben drauf gekommen, dass damit die Nierensteine eines ihm unbekannten Tieres gemeint sein könnten.
Ein Fisch, ein Wasserdrache und ein Säugetier – alle drei Wesen und die Zutaten, die sie lieferten, hatte Harry gründlich recherchiert und er spielte mit dem Gedanken, Remus seine Hilfe anzubieten, damit der bei den einundzwanzig Pflanzen nicht zu viel Zeit benötigen würde.
Am nächsten Tag hatte Hermine ihr Versprechen eingehalten und war in Severus’ Labor erschienen, um den Wolfsbanntrank für Remus zu brauen. Er vermied es sie anzusehen. Sie hingegen war mit ihren Gedanken rund um den folgenschweren Trank, den er vor etwa zwanzig Jahren eingenommen haben musste, so sehr beschäftigt, dass sie ihren Mund nicht aufbekam.
„Warum heute so still?“, hörte sie ihn unerwartet fragen, denn sie hatte vermutet, er würde die Ruhe begrüßen.
Sie wandte sich um, rührte jedoch mit einer Hand weiter. „Sonst beschweren Sie sich doch immer darüber, dass ich so viel rede und jetzt?“
„Ich habe mich nie beschwert, sondern Sie lediglich darauf aufmerksam gemacht“, erwiderte er mit ruhiger Stimme, während er einige Phiolen nacheinander öffnete, daran roch und sich Notizen machte, was sie ein wenig verwunderte.
„Was machen Sie da?“, wollte sie – neugierig, wie sie war – natürlich wissen.
Einer seine Mundwinkel zog sich leicht nach oben, bevor er erklärte: „Ich prüfe die ersten Arbeiten der Schüler, denen Draco noch vor Ferienbeginn Nachhilfe gegeben hat.“
Sie musste lächeln. „Ich finde es gut, dass er das macht.“
Aufgrund ihrer einfachen Bekundung fragte er: „Haben Sie ihn dazu angeregt?“
„Oh nein, mit diesen Federn kann sich Harry schmücken.“
„Slytherin wird trotzdem keine Chance haben, den Hauspokal zu erringen.“
Er fügte nicht hinzu, dass Slytherin durch seinen Punkteabzug an Halloween auf dem letzten Platz gelandet war und Hermine, die das natürlich wusste, sprach es ebenfalls nicht an.
„Am Montag kommender Woche beginnt die Schule wieder“, warf er scheinbar zusammenhanglos in den Raum.
Stutzend versicherte sie: „Das weiß ich doch, Severus.“
„Ich dachte, ich sage es Ihnen lieber, damit Sie es auch nicht vergessen, denn Sie scheinen ja momentan andere Dinge im Kopf zu haben.“
Es hatte sehr nach einem Vorwurf geklungen, doch Hermine behielt die Ruhe und versprach: „Keine Sorge, ich werde am Montag pünktlich um 14 Uhr hier sein. Was werden wir denn zusammen machen?“
„Haben Sie einen Wunsch?“
Diese Großzügigkeit hatte ihr fast die Sprache verschlagen, aber nur fast.
„Na ja, da Sie ’lacus aeterna’ wohl weder mit mir brauen, noch ihn mit mir in der Theorie durchgehen würden…“ Sie hatte ihre Augen starr auf den Kessel gerichtet, denn sie wollte seinem durchdringenden Blick prophylaktisch ausweichen. „Wir könnten uns ’Schützende Hände’ vornehmen und dort…“
„Wählen Sie etwas“, unterbrach er herrisch, „das ich auch in dem Bericht über Ihre Arbeit für das Ministerium erwähnen kann!“
„Wir könnten irgendwas mit dem Basiliskengift machen oder an dem Gegenmittel für Pansy arbeiten“, schlug sie vor.
„Diese Arbeit habe ich mit meinen Berechnungen bereits ans Mungos abgegeben.“ Aufgrund ihres fragenden Blickes hielt er mit einer Erklärung nicht zurück. „Ich war so frei, ohne Ihr Zutun die Mischung für das Gegenmittel zu berechnen. Die hoffentlich fähigen Meister im Mungos werden den Trank brauen können, sofern sie bestimmte Aspekte in Erfahrung gebracht haben, wie zum Beispiel das Gewicht und die Größe der Patientin.“ Gerade wollte sie etwas sagen, da ergriff er erneut das Wort. „Und natürlich habe ich eine geringe Menge des Basiliskengiftes ans Mungos abgetreten, denn ich muss annehmen, dass es dem Krankenhaus an dieser Zutat mangelt.“
Beschämt auf das Gebräu in ihrem Kessel schauend sagte sie entschuldigend: „Tut mir Leid, dass ich das vernachlässigt habe, Severus.“
„Ohne Ihr Köpfchen“, begann er ungewohnt heiter, „würde man noch immer nichts von ’Schlafes Bruder’ wissen. Merken Sie sich eigentlich alles, sofern Sie in einem Buch mal darüber gestoßen sind?“
Sie lächelte, während sie dem Trank ein wenig Wolfswurz beimischte. „Ich will nicht von mir behaupten, ein fotografisches Gedächtnis zu haben. Ich habe einfach nur ein sehr gutes Erinnerungsvermögen, was Ron manchmal gar nicht gefallen hat.“
Er summte zustimmend, während er an einer der Phiolen der Schüler roch, die den Trank unter Dracos Aufsicht gebraut hatten.
„Warum haben Sie eigentlich damals keinen Nachhilfeunterricht für Ihre Mitschüler angeboten?“, wollte er wissen.
„Ich weiß nicht“, sie hob und senkte einmal die Schultern, „ich glaube, ich war nicht sehr beliebt. Außerdem liegt mir das Unterrichten nicht besonders.“
„Nicht? Dann würden Sie eine Stelle als Lehrerin ausschlagen, sollte man Ihnen eine unterbreiten?“
Sie war sich nicht ganz klar, auf was er hinaus wollte, doch sie war froh, dass sie normal miteinander reden konnten, auch wenn er genau wusste, mit was sie sich momentan in ihrer Freizeit beschäftigte.
„Nein, als Lehrerin wäre ich viel zu ungeduldig. Mir macht es keinen Spaß, mein Wissen an andere weiterzugeben.“ Sie lachte auf. „Es war manchmal schon anstrengend genug, mit Ron und Harry zusammen zu lernen.“ Wegen der Erinnerungen an die eigene Schulzeit seufzte sie einmal wonnig. „Ich möchte mich jetzt viel lieber mit dem auseinander setzen, das mir noch unbekannt ist.“
„Was streben Sie an?“
Erneut blickte sie über ihre Schulter und bemerkte, dass er sie ansah. Eine ähnliche Frage hatte Albus ihr an Neujahr gestellt.
„Ich…“ Sie schürzte die Lippen. „Ich denke, die Abteilung für Magische Unfälle und Katastrophen wäre etwas für mich.“
„Im Mungos?“ Er klang erbost.
„Warum nicht?“
„Weshalb, wenn ich fragen darf, machen Sie bei mir Ihren Meister in Zaubertränken, wenn Sie danach im Mungos anfangen möchten?“ Er war definitiv erbost und klang zudem verständnislos.
„Ähm…“
Er spottete. „Genauso dämlich wäre es, wenn Fred und George Weasley einen Laden eröffnen würden, um nur noch Feuerwerkskörper und Scherzartikel von anderen Herstellern anzubieten!“
„Ich bin nicht dämlich!“, zeterte sie aufgebracht.
„Nein, sind Sie nicht, denn noch arbeiten Sie ja nicht im Mungos!“ Er hatte den Namen des Krankenhauses mit angewidertem Unterton ausgesprochen.
Die jetzt auftretenden Zweifel in ihr würden nicht mehr so schnell zu vertreiben sein. Wenn nicht nur Albus, sondern auch noch Severus wenig begeistert von ihren beruflichen Vorstellungen war, dann blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Entscheidung einmal gründlich zu überdenken.
„Eben, ich arbeite dort noch nicht, also gibt es keinen Grund, mich so anzufahren!“
„Im Mungos…“, murmelte er fassungslos und sie rollte mit den Augen.
„Was sollte ich denn sonst tun?“
„Sie könnten der ’Körperschaft der Zaubertränkemeister’ in Genf beitreten und sich dort einen Namen machen“, schlug er ernst vor.
„Ich möchte aber nicht nach Genf ziehen!“
„Herrgott, wer spricht denn davon, dass Sie dort, wo Sie arbeiten, auch leben müssen?“
„Was machen die so? Und wer sind die?“ Es war ihr etwas peinlich, dass sie von dieser Körperschaft zwar schon gehört hatte, aber über deren Aufgabengebieten nicht sehr informiert war.
„Wer die sind?“, wiederholte Severus, bevor er plötzlich aufstand und in sein Büro ging.
Durch die offen stehende Tür hindurch konnte sie sehen, dass er etwas aus der Schublade seines Schreibtisches nahm, bevor er zurück kam und sich neben sie stellte.
„Das sind die“, er legte einige Papiere auf den Tisch, „bei denen Sie in zwei Monaten Ihren Farbtrank vorstellen werden.“ Vor Schreck ließ Hermine den großen Löffel los, der mit einem metallenen Geräusch am Rand des Kessels entlangscheuerte. „Rühren Sie weiter“, wies er nebenher klingend an.
„In zwei Monaten?“, wiederholte sie aufgebracht.
„Ja, in zwei Monaten tagt die Körperschaft in Schottland und Sie werden dort erscheinen!“
„Werde ich, ja?“ Sie machte keinen Hehl daraus, dass es ihr missfiel, von ihm vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. „Der Trank ist überhaupt noch nicht fertig!“
Er hatte seine Stirn in Falten gelegt und es schien ihr, als wäre ihr etwas Wichtiges entgangen.
„Sie haben tatsächlich keine Ahnung, was die Aufgaben dieses Vereins sind oder?“ Ein Vorwurf hätte anders geklungen, weswegen sie zaghaft den Kopf schüttelte. „Nun, die Zaubertränkemeister aus aller Welt teilen den anderen Mitgliedern ihre Forschungsergebnisse mit, demzufolge muss Ihr Trank nicht zwingend ’fertig’ sein. Ist ein Thema faszinierend genug oder deckt es sich mit den eigenen Interessen eines anwesenden Meisters, dann werden sich vereinzelt Menschen finden, die Sie unterstützen möchten.“
„Inwiefern unterstützen?“
„Sollte jemand von Ihrem Farbtrank angetan sein, wird derjenige an Sie herantreten und um die Erlaubnis bitten, mit Ihrer Idee arbeiten zu dürfen. Natürlich wird es einen Vertrag geben, der es Ihnen sichern wird, über alle Resultate der anderen Meister regelmäßig in Kenntnis gesetzt zu werden. Die Rechte an dem Trank werden weiterhin bei Ihnen liegen, dafür haben Sie ja das Patent beim Ministerium angemeldet“, erklärte er besonnen.
An das Patent hatte Severus gedacht, rief sie sich ins Gedächtnis zurück, bevor sie die von ihm genannten Informationen überdachte und knapp nachfragte: „Geteilte Forschung?“
Er nickte. „Allerdings muss Ihr Trank das Interesse der anderen wecken. Sie haben bisher einige Ergebnisse gesammelt, die womöglich – besonders in Bezug auf die wenigen Muggel, bei denen der Trank unerwartete Resultate hervorgebracht hat – schockieren könnten. Ich bin jedoch der Ansicht, dass sich unter den Forschern nicht nur welche befinden, die Ihnen daher von vornherein mit Ablehnung gegenübertreten werden, sondern auch einige, die von der Idee, dass Muggel Magie innehaben könnten, sehr angetan wären.“
„Und wenn es niemanden geben sollte, der sich für meinen Trank interessiert?“, fragte sie unsicher.
„Dann werden Sie Ihre Forschung weiterhin allein in die Hand nehmen, so wie Mr. Worple und ich es handhaben.“
„Warum interessiert sich niemand für Ihren Bluttrank?“, wollte sie wissen.
Er seufzte. „Ich denke schon, dass Interesse vorhanden wäre, aber wie Sie ja wissen, ist meine Forschung nicht ganz legal. Sollte ich mit diesem unvollendeten Trank an die Öffentlichkeit gehen, könnte ich auch gleich meine Koffer für Askaban packen.“
„Ich verstehe das nicht, Severus. Warum ist die Forschung an einem Trank, der den Blutdurst von Vampiren im Zaum halten kann, überhaupt verboten?“
„Weil man nicht mit Blut von Menschen herumexperimentiert, das ist Tabu. Einzig für den Blutzauber darf man es ungestraft verwenden, aber nicht, um einen Trank für Kreaturen zu erschaffen, die von der Gesellschaft allgemein verachtet werden.“
„Und wie war das mit dem Wolfsbanntrank?“ Sie deutete auf den Kessel vor sich. „Diese Menschen werden gesellschaftlich auch verachtet.“
Er zog beide Augenbrauen in die Höhe. „Das war eine interessante Angelegenheit, von der ich leider nur aus entsprechenden Fachzeitschriften erfahren habe. Damocles Belby konnte sich nur an die Öffentlichkeit wagen, weil er wusste, dass ein Vorstandsmitglied der Körperschaft einen Werwolf in der Familie hatte. Wie vorhergesehen hatte dieses Vorstandsmitglied öffentlich sein Interesse an dem Wolfsbanntrank bekundet und somit andere Tränkemeister mit seiner positiven Meinung beeinflusst. Und außerdem stellt ’Blut’ keine Zutat im Wolfsbanntrank dar.“ Er seufzte. „Es ist auf einer Seite bedauerlich, dass keines der angesehenen Mitglieder einen Vampir im näheren Umfeld kennt, denn sonst hätte auch ich längst diesen Schritt gewagt.“
Severus blieb neben ihr stehen, während sie den Wolfsbanntrank weiter zubereitete. Nicht nur Zweifel wegen ihrer späteren Berufswahl hatten sich in ihr gefestigt, sondern diesmal auch Zweifel bezüglich ihres Trankes.
„Ich weiß ja nicht einmal genau“, begann sie wenig selbstsicher, „was die Magiefarben wirklich bedeuten.“
„Das werden hoffentlich andere Meister für Sie herausfinden.“
Etwas befangen auf den Kessel starrend gab sie zu: „Wenn jemand bei der Präsentation fragen sollte, wofür der Trank gut sein würde… Ich hätte darauf keine Antwort, Severus.“
Sachte den Kopf schüttelnd sagte er: „Das müssen Sie auch nicht. Sie können Theorien aufstellen wie die, die Sie mir bereits genannt hatten.“ Er bemerkte, dass sie nicht zu wissen schien, auf was er anspielte, weswegen er deutlicher wurde. „Squibs! Sie könnten die Theorie aufstellen, dass die Magie mancher als Squibs abgestempelten Hexen und Zauberer nur blockiert sein könnte. Diese Theorie wird man nicht sofort verlachen, denn immerhin sind Sie eine Heilerin, die Bestnoten aus dem Mungos aufweisen kann. Da wäre nur noch eine Sache, Hermine…“
„Die da wäre?“
„Sie sollten Ihren Meister beim Ministerium absolvieren, bevor Sie sich der Körperschaft der Tränkemeister stellen.“
„Aber…“
„Kein ’Aber’! Wie sieht es denn aus, wenn ein Lehrling“, er verzog das Gesicht, „den Meistern etwas vormachen möchte?“
Sie schnaufte verbittert. „Werde ich Ihnen doch lästig, ja? Das hätte ich mir denken können, dass Sie mich nicht aus purer Nettigkeit bei der Körperschaft für eine Präsentation angemeldet haben.“
Wütend warf sie die letzte Zutat in den Kessel und rührte grober um als notwendig.
„Sie sehen das falsch, Hermine.“
„Oh nein, ich denke, ich sehe das genau richtig! Sie können es nicht ertragen, dass ich an Ihrem ’kleinen Problem’ weiterarbeite und es mir durch Ihre Zänkereien nicht vermiesen lasse. Das ist es oder?“
Erstaunlich gelassen schlug er vor: „Nach absolvierter Prüfung ihrerseits können wir weiterhin zusammen forschen. Es würde sich nichts ändern, bis auf die Tatsache, dass der Ausbildungsvertrag zwischen uns nicht mehr existiert.“
„Ja sicher, und alles, was ich darauf habe, ist Ihr Wort, nicht wahr?“
Schon etwas grantiger rechtfertigte sich Severus, indem er sagte: „Mein Wort ist mehr wert, als Sie es je vermuten würden! Ich habe einmal mein Wort gegeben, ein Kind mit meinem Leben zu schützen und...“
Dracos Hochzeitsrede fiel ihr ein, weswegen sie ihn entrüstet unterbrach: „Das war verdammt noch mal ein ’Unbrechbarer Schwur’ gewesen, natürlich haben Sie dieses Versprechen einhalten müssen.“
Zornig zischte er durch zusammengebissene Zähne: „Ich habe nicht dieses Kind gemeint!“
Die Unterlagen, mit denen die Körperschaft der Zaubertränkemeister die Präsentation von Hermines Farbtrank schriftlich bestätigt hatte, fegte er missgelaunt vom Tisch, bevor er sich wieder an seinen Platz begab, um mit seiner Arbeit fortzufahren.
„Wissen Sie“, begann sie gereizt, „warum ich in letzter Zeit so leicht aus der Haut fahre?“ Sie wartete keine Antwort ab, sondern fügte gleich die Erklärung hinzu: „Weil es äußerst frustrierend ist, bei Ihnen ständig auf Granit zu beißen.“
Gelassen fragte er: „Warum sind Sie dann so erpicht darauf, weiterhin mit mir zu arbeiten?“
Das Feuer unter dem Kessel ausmachend riss sie sich zusammen, bevor sie sich zu ihm umdrehte und zeterte: „Warum können Sie nicht einfach mit ein paar Tatsachen rausrücken? Das kann doch nicht so schwer sein oder?“
„Weil ich es nicht mit ansehen kann, wie Sie Ihre Zeit verschwenden! Ich habe damit längst aufgehört und mich meinem Schicksal ergeben und da kommen Sie und glauben, alles besser zu wissen!“
„Ich habe nie behauptet oder geglaubt, dass ich alles besser weiß! Sonst würde ich ja wohl nicht ständig versuchen, irgendetwas – wenn auch nur eine winzige Kleinigkeit – aus Ihnen herauszubekommen!“ Sie hatte sich in Rage geredet und atmete einmal tief durch, um sich zu beruhigen, bevor sie weniger ernst fragte: „Wie schaffen Sie es nur immer, mich zur Weißglut zu bringen?“
Eine Augenbraue hebend und sie anblickend schürzte er kurz die Lippen und antwortete einen Augenblick später: „Vielleicht bin ich darin ein Naturtalent? So wie Sie ein Naturtalent sind im…“ Er hob eine Hand und legte Daumen und Finger zusammen, bevor er mit schnellen Bewegungen einen schnatternden Entenschnabel imitierte.
Die Zähne zusammenbeißend und die Fäuste ballend sagte sie lieber nichts. Auf einer Seite wusste sie nicht, ob sie über seine Geste lachen sollte, denn so etwas hatte er noch nie getan. Es war witzig, auch wenn sie im Moment diejenige darstellte, die von ihm verspottet wurde.
Sie entschied sich dazu aufzulachen, bevor sie, noch immer lächelnd, ihm an den Kopf warf: „Sie sind unverbesserlich, nicht wahr?“
„Und Sie sind wieder in ’Redelaune’, wie ich bemerken muss“, spöttelte er besänftigt.
„Ähm“, machte jemand an der Tür zum Labor und als Hermine und Severus nachschauten, bemerkten sie einen verlegen wirkenden Remus.
„Der Trank ist fertig“, sprudelte es aus ihr heraus, um gar nicht erst in Versuchung zu kommen nachzufragen, wie viel er von der kleinen Auseinandersetzung zwischen ihr und Severus mitbekommen hatte.
„Oh gut“, sagte Remus, der das Labor betrat und sich durchaus darüber im Klaren war, von Severus skeptisch beäugt zu werden. Nachdem Hermine noch einen Tropfen Vanillearoma hinzugefügt und umgerührt hatte, füllte sie den Trank in einen Kelch, damit Remus ihn zu sich nehmen konnte.
Nachdem er ihr den leeren Kelch überreicht hatte und sich die Lippen wegen des angenehmen Geschmacks leckte, fragte Remus: „Können wir uns heute vielleicht mal treffen?“
„Ja sicher, geht es um die Recherche?“
Noch immer spürte Remus, dass Severus ihn beobachtete und ein Blick in die Richtung des Zaubertränkemeisters bestätigte ihm seinen Verdacht. „Ja, ich bin bis auf zwei Dinge fertig.“
„Gut, Harry meinte, er hätte gestern schon alles erledigt.“
Es war Remus ein Rätsel, wie sie vor Severus so offen darüber sprechen konnte. Vor wenigen Minuten erst – das hatte er deutlich durch die Tür vernommen – hatten sie sich in den Haaren gelegen. Er hatte hören können, wie sie Severus vorgeworfen hatte, all ihre Versuche, etwas von ihm in Erfahrung zu bringen, zu ihrem Unmut mit Leichtigkeit zu vereiteln.
Ihre Stimme riss Remus aus seinen Gedanken, als sie beleidigt klingend sagte: „Severus will, dass ich innerhalb der nächsten zwei Monate meinen Meister mache.“
„Ach ja?“ Er wagte einen Blick zu Severus hinüber, der offensichtlich darauf wartete, dass Hermine noch etwas anfügte und das tat sie auch.
„Ich denke, er hat die Nase voll von mir.“
Remus wollte gerade verneinen, da nahm Severus ihm die Arbeit ab und versicherte ihr, wenn auch diesmal deutlich genervt, jedoch nicht verärgert: „Wie ich Ihnen schon gesagt habe, Hermine, wird es lächerlich wirken, wenn Sie als mein Lehrling vor den ganzen alteingesessenen Meistern mit einem Trank aufwarten, der durchaus Potenzial dazu hat, für großen Aufruhr zu sorgen. Man würde Sie verlachen und Ihnen vorwerfen, keine Ahnung von dem zu haben, von dem Sie sprechen!“
„Und das meinen Sie auch wirklich so?“
„Ich gebe Ihnen mein Wort darauf… Ach nein, Sie haben mir ja unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass mein Wort Ihnen nichts…“
Sie unterbrach ein wenig bockig klingend: „Das habe ich gar nicht! Wenn Sie Ihr Wort drauf geben, dann vertraue ich Ihnen.“
„Auf einmal?“
Sie warf ihm ein überlegenes Lächeln zu, welches er mit gerümpfter Nase und einem schlappen Kopfschütteln kommentierte, was immer noch besser war, als ihr seine Hände um den Hals zu legen – nicht fest, nur als Drohgebärde –, denn manchmal konnten Unterhaltungen mit ihr ihn in gewisser Weise überbeanspruchen und im Moment hatte sie seinen Geduldsfaden bereits sehr strapaziert.
„Was hast du herausgefunden?“, fragte Hermine den verlegen wirkenden Remus.
„Ich, ähm…“ Die Sorge darüber, dass er bei Severus wieder einmal – oder nur noch mehr – in Ungnade fallen könnte, sollte er diese Belange so unverblümt vor ihm bereden, ließ seine Antwort auf dem Weg hinauf irgendwo zwischen Kehle und Zunge in Nichts auflösen.
„Lupin hat etwas über den Thymus entdeckt, nicht wahr?“, antwortete Severus an seiner statt.
Nicht ganz folgend könnend sagte Hermine lediglich „Aha“, bevor sie Remus ansah und fragte: „Wollen wir uns heute mit Harry zusammensetzen?“ Als wäre es ihr jetzt eben erst aufgefallen, fügte sie noch hinzu: „Wann gehst du eigentlich wieder zu Rosmerta?“
Stichelnd sagte Severus: „Wohl erst wieder, wenn man ihn in die Drei Besen einlädt, denn so ganz ohne Einkommen wird er sich dort keine Mahlzeit leisten können.“
Blinzelnd verarbeitete Hermine diese Information. Es war ihr ein Rätsel, wie ihr das entgangen sein konnte.
„Du arbeitest nicht mehr bei Rosmerta?“
„Nein.“ An dieser einzigen Silbe war Remus’ Stimme gebrochen.
„Aber warum nur?“ Hermine verstand die Welt nicht mehr.
„Sie hat ihre Gründe und ich kann ihr nicht böse sein. Man hat sie mit der Schließung des Dorfes um das Weihnachtsgeschäft gebracht und kann mich nicht mehr bezahlen, weil es vorher schon knapp bei ihr ausgesehen hatte“, erklärte Remus traurig, denn die Stelle als Koch war nach dem Job als Lehrer für Verteidigung die zweibeste gewesen, doch andererseits wusste er, dass Rosmerta ihm aus reinem Mitgefühl diese Stelle angeboten hatte.
Mit einem Male verstand sie. „Das meintest du neulich damit, dass du ja jetzt Zeit hättest! Remus, wenn ich das gewusst hätte…“
„Was hättest du dann gemacht?“, fragte er milde lächelnd, ohne eine Antwort zu erwarten. Hermine hätte kaum etwas ausrichten können wie schon die Jahre zuvor, in denen er auf die Hilfe von aufgeschlossenen Menschen angewiesen war, die sich nichts aus seinem Fluch machten.
Am Abend trafen sich Remus und Harry bei Hermine. Schon die ganze Zeit über hatte Harry die vielen Pergamente beäugt, die Remus mitgebracht hatte, doch als Hermine dazu aufforderte, die bisherigen Ergebnisse auf den Tisch zu legen, da kam er sich ganz schäbig vor. Während Remus nämlich seine fast dreißig Seiten ordentlich zusammengeheftet präsentierte, da zog Harry nur ein gefaltetes Stück Pergament aus seiner Hosentasche, das er – mit neidischem Blick auf Remus’ umfangreiches Werk – wie in Zeitlupe verlegen entfaltete. Hermine grinste.
„Harry, das ist in Ordnung, wenn bei dir nicht viel rausgekommen ist. Zeig mal, was du hast.“ Sie streckte ihm ihre Hand entgegen und er gab ihr sein einzelnes Blatt Pergament, für das er sich momentan in Grund und Boden schämte.
Harrys Unmut bemerkend sagte Remus, als er einmal auf seine Arbeit deutete: „Das ist nicht alles über die Pflanzen. Ich bin durch Zufall noch auf etwas Anderes gestoßen, das Hermine interessieren könnte. Deswegen ist es so viel.“
„Oh, gut“, sagte Harry nicht sehr überzeugend.
„Was heißt ’AB’?“, fragte Hermine, die weiterhin sein Pergament studierte.
„Ich hab in Klammern dahintergeschrieben, ob es sich um ’Augenzeugenberichte’ handelt oder um ’L’, damit meine ich Legenden aus südenglischen Region.“
„Sehr gut, damit können wir schon was anfangen. Ich hätte nicht gedacht, dass es tatsächlich Augenzeugenberichte über die Sichtungen von Knuckern gibt“, murmelte Hermine.
„Von was?“, fragte Remus.
Harry lächelte erleichtert. „Ich wusste auch nicht, was das für Dinger sein sollen.“
„Nein, ich hab’s akustisch nicht verstanden“, erklärte Remus. Hermine wiederholte das Wort, woraufhin Remus nickte. „Ach so, ’Knucker’, das sind doch diese Wasserdrachen?“ Harry zog einen Schmollmund, nickte jedoch zustimmend.
Nachdem sie Harrys Notizen studiert hatte, fragte Hermine: „Remus? Hast du schon alle Pflanzen durch?“
„Es fehlen nur noch zwei, aber zu denen habe ich erst gar nichts gesucht. Ich denke, über Flubberwürmer wissen wir alles wie auch über Florfliegen oder?“, antwortete Remus lächelnd.
Mit strahlenden Augen verkündete Hermine: „Dann sind wir ja fertig! Wir haben Informationen über alle Zutaten, die in dem Trank vorkommen, den Severus genommen hat. Dann müssen wir jetzt nur noch anfangen, die Zutaten zu sammeln!“
Harry machte große Augen. „Zu sammeln? Wir sprechen hier auch von Drachen, Hermine!“
„Ich dachte, den würdest du übernehmen. Du bist der Einzige, der darin Erfahrung hat“, schäkerte Hermine, doch Harry war nicht zu Scherzen aufgelegt.
„Ich habe kein Verlangen danach, mich mit einem kryptozoologischen Wasserdrachen anzulegen!“
„Wir brauchen ja nur ein paar Schuppen“, warf Hermine beschwichtigend ein.
„Die bekäme ich nicht einmal, selbst wenn ich höflich fragten sollte!“ Von Drachen hatte Harry genug.
Schlichtend griff Remus ein und empfahl belustigt: „Ruhig Blut! Ich würde sagen, wir fragen Charlie, denn wenn einer was über Knucker weiß, dann ja wohl der Fachmann.“
„Ja natürlich!“ Von der Idee war Harry natürlich begeistert. „Ich kann ich fragen, Hermine, noch heute Abend nach unserem Treffen, wenn du möchtest.“
Zustimmend nickte sie. „Gut, dann wäre das erledigt. Wie machen wir das mit dem Drachenfisch?“
Auch hier hatte Remus einen Vorschlag, denn er sagte: „Fragen wir doch erst in einigen Läden nach, ob die solche Zutaten führen. Wir sollten nur bei den Pflanzen vorsichtig sein, die ausschließlich Bestandteil von schwarzmagischen Tränken sind, denn wir wollen ja nirgends negativ auffallen.“
„Dann sollten wir das diese Woche noch erledigen, denn ab Montag müssen Harry und ich wieder ran, da sind die Ferien vorbei.“
Nickend sagte Remus: „Wir könnten morgen nach dem Frühstück erst eine Liste mit den Zutaten machen und dann gehen wir zusammen in die Winkelgasse!“
„Darf Ginny mitkommen?“, fragte Harry.
„Na, warum denn nicht?“
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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