Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - BEENDET
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125 Postdormitium
Am nächsten Morgen war Hermine im Lehrerzimmer mit Neville in ein Gespräch vertieft, an welchem sich auch Harry angeregt beteiligte.
„Luna hat endlich mal einen Probeartikel zum Tagespropheten geschickt und wisst ihr was?“, fragte Neville mit breitem Lächeln.
Zappelig und mit Freude in der Stimme vermutete Hermine laut: „Sie haben sie genommen?“
Nevilles Augen funkelten und man konnte ihm den Stolz ansehen, als er bejahte: „Ihr erster Artikel soll in den nächsten Tagen gedruckt werden! Das Thema hat sie sich selbst ausgesucht.“
„Über was will sie schreiben?“, fragte Harry fröhlich. Er stutzte einen Augenblick und fragte dann mit runzliger Stirn: „Doch nicht über mich oder?“
„Nein“, winkte Neville ab, „über Rita Kimmkorn!“
„Das gibt’s nicht!“, warf Hermine überwältigt ein. „Das hat die auch verdient, dass Luna über sie schreibt!“
Nach und nach kamen die Lehrer herein und setzten sich, um auf Albus zu warten, damit die Lehrerversammlung beginnen konnte. Minerva trat als Vorletzte in das Zimmer, Albus folgte ihr. Seinen Platz einnehmend erlangte er sofort die Aufmerksamkeit aller Anwesenden und jedem fiel auf, dass er ohne jegliches Zwinkern in den Augen auf den leeren Stuhl zwischen Hermine und Pomona starrte. Erst jetzt bemerkte Harry, dass Severus gar nicht hier war und das sorgte für ein abrupt aufkommendes Unwohlsein, denn Severus hatte sich nie verspätet, hatte nie unentschuldigt gefehlt. Zu Hermine blickend hob und senkte sie nur einmal die Schultern, denn sie hatte keine Erklärung parat.
Über die Störung des gewohnten Alltags schien Albus sehr besorgt zu sein, denn er überreichte Minerva seine Pergamente und bat sie eindringlich: „Wenn du so nett wärst und schon beginnen würdest?“
Sie nahm die Pergamente mit den notierten Tagespunkten entgegen und begann bereits, zu den Kollegen zu sprechen, während Albus noch sehr eilig den Raum verließ. Harry und Hermine schauten ihm beunruhigt nach und Neville tat es seinen Freunden gleich.
Mit wallendem Umhang eilte Albus hinunter in die Kerker und er ignorierte auf seinem Weg den netten Morgengruß von Sir Nicholas und einigen Gemälden, denn in Gedanken war er bei seinem jungen Freund und er hoffte inständig, dass Severus’ Verzweiflung nicht größer gewesen war als er es geahnt hatte.
An den privaten Räumen hielt Salazar ihn auf und sagte grüßend, wenn auch aufgrund der durchschimmernden Aufgelöstheit von Albus leicht verunsichert: „Werter Direktor, ich hoffe, es ist nichts geschehen.“
„Bitte öffne mir, damit ich mich selbst davon überzeugen kann“, bat Albus und Salazar öffnete.
Drinnen traf Albus auf den weißen Hund, der aufgeregt zu hoffen schien, dass sein Auslauf nun beginnen würde, doch der Direktor ging schnurstracks zum Schlafzimmer hinüber und er klopfte nur einmal an die leicht angelehnte Tür, bevor er sie öffnete. Bis auf wenige Strahlen der aufgehenden Sonne, die durch das kleine Oberlicht drangen, war es auch hier sehr dunkel, doch den scheinbar bewegungslosen Körper auf der Matratze konnte er erkennen. Leise schritt er bis ans Bett heran und betrachtete den ruhig atmenden Schlafenden, der auf der Seite lag. Nachdem sich Albus’ Augen an den abgedunkelten Raum gewöhnt hatten, starrte er wie paralysiert auf das Gesicht von Severus, denn die Augen unter den Lidern bewegten sich und manchmal regte sich ein Muskel an den Mundwinkeln. Mit großem Erstaunen stellte Albus fest, dass Severus träumen musste und diese Feststellung ließ ihn erleichtert lächeln.
Eine Weile stand Albus mit leicht schräg gelegtem Kopf an dem Bett, um sich an diesem Fortschritt zu ergötzen, bis er eine kleine Veränderung im Gesicht seines Freundes ausmachte. Severus schien nun einen unerfreulichen Traum zu haben, denn manchmal kniff er die Augen zusammen und seine Augenbrauen wanderten ein wenig in Richtung Nasenwurzel, so dass kleine Sorgenfalten zwischen ihnen entstanden.
Als dem Schlafenden ein fast unhörbarer Schluchzer entwicht, entschloss sich Albus dazu, in das Geschehen einzugreifen, indem er wispernd und mit verständnisvoller Stimme erklärte: „Es sind selten die erfreulichen Träume, die auch Gutes verheißen, Severus. Wachstum kann Leid erzeugen und Schmerz ist oftmals ein vertrauter Gefährte der Genesung.“
Seine Worte wurden anscheinend unterbewusst von Severus verarbeitet, denn es wirkte so, als würde der Träumende sich seiner Welt furchtlos stellen.
Den Hund noch einmal am Kopf tätschelnd verließ Albus die Räume seines Freundes, um an der Lehrerversammlung teilzunehmen.
„Ah“, machte Minerva erleichtert, als sie den Direktor erneut begrüßen durfte. „Du kommst gerade richtig, denn es gibt einige Diskussionspunkte.“
Noch bevor Albus sich setzen konnte, sprach sich Pomona gegen eine der von Minerva vorgelesenen Regeln aus und wetterte: „Du kannst vor Weihnachten kein Hogsmeade-Verbot aussprechen, Albus! Wo sollen die Kinder ihre Geschenke kaufen? Es werden wieder ein paar Schüler in Hogwarts bleiben und es würde trostlos für sie werden.“
„Der Ort ist momentan zu gefährlich, Pomona. Es war das letzte Mal schon brenzlig geworden, denn offensichtlich halten sich dort Muggel auf, die diesen Ort auskundschaften“, antwortete Albus ehrlich und damit brachte er alle Lehrer und Lehrerinnen zum Staunen, denn nur wenige wussten von der Problematik, die Hermine und Harry bereits kannten.
Die Stille unterbrach Valentinus nach einer ganzen Weile, der von seiner eigenen Idee ganz begeistert mit einem selbstgefälligen Singsang in seiner Stimme vorschlug: „Dann sollten wir das Ausflugsziel ändern! Nehmen wir die Winkelgasse, die ist magisch verborgen und nicht für umherlaufende Muggel zu sehen, was man von Hogsmeade leider nicht sagen kann. Außerdem sind die Geschäfte dort von einem ganz anderen Schlag; sie haben ein höheres Prestige.“
Die meisten Lehrer waren ganz perplex und selbst Harry stand der Mund offen, denn Svelte konnte seinen Verstand offensichtlich auch mal klug gebrauchen, zumindest wenn es um Einkaufsfragen ging.
Von dem Vorschlag waren alle ganz angetan, doch Filius gab zu bedenken: „Wir müssen dann aber mehr Aufsichtspersonal einplanen. Die Winkelgasse allein ist schon größer als Hogsmeade! Gerade vor Weihnachten wird die Einkaufsstraße voller Menschen sein und wenn wir dann noch mit den Schülern dort aufschlagen…“
„Es muss gesittet vonstatten gehen“, warf Minerva ein. „Wir müssen den Schülern verständlich machen, dass wir sofort wieder umkehren, sollten sie sich nicht diszipliniert verhalten.“
Harry stimmte Minerva zu, erklärte jedoch: „Wenn wir es den Schülern als Besonderheit verkaufen, dann werden sie sich hüten sich danebenzubenehmen. Ich denke, aber auch wie Filius“, er blickte Albus an, „dass vier Lehrer als Aufsicht nicht reichen werden.“
„Harry und Filius haben Recht“, bestätigte Pomona. „Mindestens sechs Lehrer sollten mitgehen, ich persönlich plädiere sogar für acht und ich melde mich freiwillig, weil Weihnachten vor der Tür steht.“
Nur noch einen Monat und drei Tage.
Albus nahm alle Vorschläge an und erklärte am Ende, dass er etwas ausarbeiten wollte, bevor er sich eine Tasse Tee einschenkte und zum nächsten Punkt überging.
„Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine bestimmte Angelegenheit hat sich meiner Aufmerksamkeit entzogen“, gab Albus mit einem verlegenen Lächeln bekannt. „Es ist mir entfallen, dass unser werter Severus heute einen Urlaubstag genommen hatte. Ich habe es leider versäumt, die Vertretung zu planen.“
Harry blickte sich um. Bis auf Minerva, die Albus einen sehr skeptischen Blick zuwarf und bis auf Hermine, die ihre Stirn in Falten legte, schien sich niemand an der Tatsache zu stören, dass der Direktor etwas „vergessen“ haben könnte.
Die freie Stunde, die Harry heute eigentlich nach dem Mittagessen haben sollte, ging flöten, weil er die Fünftklässler für Severus vertreten sollte. Minerva übernahm freiwillig die siebten Klassen, Filius die zweite und sechste, während man Valentinus die Erstklässler anvertrauen wollte.
Nachdem die Lehrerversammlung beendet wurde, erhoben sich die Kollegen und liefen im Zimmer durcheinander oder bereits zur Tür hinaus, so dass Hermine zwischen den ganzen Menschen Albus erst ausmachen musste, bevor sie an ihn herantrat und fragte: „Sir? Sagen Sie, hat Severus etwas wegen heute gesagt? Ich meine, ob mein Unterricht mit ihm auch ausfällt?“
Während er seine Notizen verstaute, lauschte Harry interessiert, als Albus antwortete: „Nein, hat er nicht, Hermine. Ich nehme also an, dass sich an Ihrer Tätigkeit nichts ändern wird. Womöglich startet sie heute sogar früher?“ Albus lächelte, bevor er noch hinzufügte: „Das können Sie ja selbst erfragen, denn wie es mir vorhin schien, will das liebe Tier nicht mehr länger auf seine Morgentoilette verzichten.“
„Oh“, machte sie erschrocken, denn normalerweise ging sie vor dem Frühstück mit dem Hund raus oder wenn – wie heute – eine Lehrerversammlung stattfand, dann auch vor dieser.
Im Flur fragte Harry seine beste Freundin: „Gehst du jetzt zu ihm?“
„Ja, natürlich! Ich muss doch wissen, ob ich heute auch ’frei’ habe. Ich frage mich sowieso, warum er mir nicht gesagt hat, dass er heute einen ’Urlaubstag’ genommen hat“, antwortete Hermine mit einer Betonung, die deutlich heraushören ließ, dass sie sich veralbert vorkam.
„Du glaubst auch, dass es nur eine Notlüge von Albus gewesen war“, stellte Harry als Tatsache fest, während sie ihren Weg gemeinsam fortsetzten.
Sie blickte ihn an und sagte erleichtert: „Zumindest scheint nichts Schlimmes passiert zu sein. Ich frage mich nur, warum Albus der Meinung ist, Severus würde heute Ruhe benötigen und ihm deswegen auf einen Freitag einfach frei gibt. Ob es damit zu tun hat, dass er gestern wieder so niedergeschlagen war?“
„Vielleicht braucht er einfach nur mal eine Mütze voll Schlaf“, sagte Harry.
Erstaunt fragte Hermine: „Wieso? Bekommt er die sonst nicht?“
Sie befürchtete, dass Severus sich womöglich mit der Aufgabe, sie als Schülerin zu beschäftigen, übernommen haben könnte.
„Ich würde sagen nicht. Er hat mir irgendwann mal nebenbei erzählt, dass er drei oder vier Stunden Schlaf braucht und dann wäre er wieder fit.“ Harry schüttelte den Kopf und erklärte: „Wenn ich jede Nacht nur drei oder vier Stunden schlafen würde, dann würde ich aussehen wie ein Zombie. Ich brauche mindestens sieben Stunden und am Wochenende schon mal acht oder neun.“
Neugierig fragte sie: „Wann hat er das gesagt? Dass er so wenig schläft, meine ich?“
„Ach, das ist schon ewig her und ich bin auch gar nicht drauf eingegangen. Habe es halt nur zur Kenntnis genommen“, erwiderte er ehrlich, denn es war mindestens eineinhalb Jahre her, wenn nicht sogar noch länger.
Nachdenklich blieb Hermine mitten auf dem Gang stehen.
„Kannst du bitte später in deine Grübelstarre verfallen? Geh lieber erst mit dem Hund raus, Mine, sonst gibt’s einen Unfall auf dem Teppich“, empfahl Harry lächelnd, bevor er sich auf zum Frühstück in die große Halle machte.
„Aber verstehst du denn nicht?“, fragte Hermine. Sie wollte gerade ausholen, da kamen bereits die ersten Schüler, die sich wie Harry in die große Halle begeben wollte, so dass sie ihm ihre Überlegungen nicht mehr unter vier Augen mitteilen konnte. „Ich erkläre es dir später.“ Sie winkte ihm verabschiedend zu, bevor sie in die Kerker ging.
Auf ihrem Weg fielen ihr viele Situationen ein, in denen aus Gesprächen klar und deutlich herauszuhören gewesen war, dass Severus wenig schlafen würde; viel zu wenig. Auf dem Ordenstreffen, welches sie mit ihm und Harry besucht hatte, hatte sie selbst sogar eine Anspielung darauf gemacht, indem sie gesagt hatte, um die Zeit zu haben, die Gesetzesänderungen von Kingsley durchzugehen, würde sie es wie er machen: Sie würde einfach weniger schlafen. Sie glaubte sich sogar daran erinnern zu können, wie Severus einmal gesagt hatte, er würde Schlaf für Zeitverschwendung halten. Gedankenverloren setzte sie ihren Weg fort.
„Oh, guten Morgen“, hörte Hermine plötzlich dicht vor sich eine Frauenstimme sagen, weswegen sie zusammenzuckte. Sie blickte auf und sah Mrs. Malfoy, die sie nett anlächelte, bevor diese sagte: „Verzeihen Sie bitte, aber ich wollte Sie wirklich nicht erschrecken.“
„Schon gut, das war meine Schuld“, sagte Hermine ehrlich.
Mrs. Malfoy legte ihren Kopf schräg und fragte gleich darauf: „Miss Granger, nicht wahr? Seine Schülerin.“
„Ja, genau die.“
Einen Augenblick lang, in welchem peinliche Stille herrschte, standen die beiden vor Severus’ Tür und Hermine bemerkte erst jetzt, dass sie ihr Ziel schon längst erreicht hätte.
„Oh“, machte sie erstaunt. „Ich wollte gerade mit dem Hund rausgehen. Wollten Sie Severus besuchen?“, fragte Hermine die Frau, die sie persönlich nicht kannte.
„Ja, das wollte ich, aber Mr. Slytherin hier lässt mich nicht passieren“, erklärte Mrs. Malfoy pikiert.
Perplex fragte Hermine, obwohl die Antwort auf der Hand lag: „Sie haben keine Berechtigung ein- und auszugehen?“ Mrs. Malfoy schüttelte den Kopf. „Na, dann…“ Sie blickte Salazar an, der mit den Augen rollte und die Tür öffnete. „Ich denke nicht“, sagte Hermine, während sie bereits eintrat, „dass er etwas dagegen haben würde, wenn Sie auch eintreten, Mrs. Malfoy.“ Ihre Aufforderung wurde verstanden und Mrs. Malfoy folgte ihr.
Das Wohnzimmer schien verwaist. Der Hundekorb war leer und niemand saß auf der Couch. Nur eine schwarze Weste lag über der Rückenlehne. Doch dann hörte man es rascheln, dann klimpern, bevor ein aufgeregt mit dem Schwanz wedelnder Hund aus dem Schlafzimmer gestürmt kam. In seinem Maul führte er die Leine mit sich, mit der er ein klares Zeichen setzen wollte.
„Es geht gleich raus, Harry“, sagte Hermine mit ruhiger Stimme, bevor sie gleich darauf mit einem leise gesprochenen Befehl unterbinden musste, dass er sie ansprang. Sie blickte zur Schlafzimmertür hinüber, die der Hund ein wenig weiter geöffnet hatte. Dann blickte sie zu Mrs. Malfoy hinüber und erklärte verlegen: „Ich glaube, Severus schläft noch.“
Mrs. Malfoy blickte ebenfalls zur Schlafzimmertür, bevor sie Hermine ansah und fragte: „Ich nehme an, Sie sind so vertraut miteinander, dass Sie ihn vielleicht wecken könnten? Ist er nicht eh schon zu spät dran? Der Unterricht beginnt doch in fünf Minuten.“
„Der Direktor meinte, er hätte heute Urlaub“, erklärte Hermine, die sich noch immer eine Antwort auf die Frage überlegte, wie vertraut sie mit Severus sein würde.
„Würden Sie ihn trotzdem wecken? Ich möchte Hogwarts nicht verlassen, ohne ihm Bescheid zu geben“, bat Mrs. Malfoy.
„Ähm, so vertraut sind wir nicht miteinander. Sollte ich es wagen ihn zu wecken, würde er mich sicherlich dorthin zaubern, wo der Pfeffer wächst“, sagte Hermine unsicher lächelnd.
Mit zwei kleinen roten Flecken auf dem hellen Teint sagte Mrs. Malfoy zu Boden blickend: „Ich bin untröstlich, Miss Granger. Verzeihen Sie bitte, wenn ich fälschlicherweise auf etwas angespielt haben sollte.“ Sie blickte Hermine an und erklärte: „Wissen Sie, ich werde Hogwarts heute verlassen und Malfoy Manor aufsuchen. Ich wollte mich verabschieden, aber es ist ja kein Abschied für immer. Es lag mir nur fern, herzlos zu erscheinen, indem ich einfach wortlos verschwinde.“
Nickend stimmte Hermine zu und sagte: „Das ist nett von Ihnen. Ich werde es ihm gern ausrichten.“
„Vielen Dank, Miss Granger, das wäre zu gütig. Dann möchte ich mich ganz herzlich von Ihnen verabschieden, aber ich bin mir sicher, dass sich unsere Wege hier nicht für immer trennen werden.“
Den Hund hatte sie schon angeleint, bevor sie mit Mrs. Malfoy wieder nach draußen ging. Vor der Tür hielt Mrs. Malfoy ihr die Hand entgegen und die beiden Frauen verabschiedeten sich voneinander.
Nach dem zwanzig Minuten langen Spaziergang hatte sich bei Severus noch immer nichts getan. Der Hund rannte zurück ins Schlafzimmer und stieß die Tür dabei noch weiter auf. Hermine konnte es sich nicht verkneifen, einen Blick hineinzuwerfen. Severus lag auf der Seite, mit dem Rücken zu ihr. Der Hund war auf das Bett gesprungen und mache es sich bereits am Fußende gemütlich, wie er es vorhin schon getan haben musste. Sie haderte mit sich, denn einerseits wollte sie Severus wecken, um zu sehen, ob alles in Ordnung war, aber andererseits befürchtete sie seinen Zorn.
Sie entschloss sich dazu, eine Notiz zu schreiben und diese gut sichtbar auf dem Wohnzimmertisch zu platzieren. Ron hatte sich damals einige Male darüber beschwert, dass Hermine das Prinzip der Kurznachrichten nicht verstanden hätte, denn „Bin einkaufen“ reichte seiner Meinung nach als Nachricht völlig aus, während Hermine immer haarklein notiert hatte, zu welcher Uhrzeit sie in welchem Laden sein würde. Von einem Schrank nahm sie Feder, Tintenfass und Pergament, bevor sie sich auf die Couch setzte und gut durchdacht schrieb:
„Guten Morgen, Severus,
Albus sagte, Sie hätten heute einen freien Tag und deswegen möchte ich Sie nicht stören. Mit Harry war ich schon draußen.
Mrs. Malfoy war kurz hier und wollte sich von Ihnen persönlich verabschieden.
Bitte sagen Sie mir Bescheid, ob wir trotzdem wie üblich mit der Arbeit beginnen, denn ich habe für heute einen Squib eingeladen.
Hermine“
Sie las die Notiz, die sie am liebsten mit viel mehr Worten gespickt hätte, um sie präziser zu machen, noch einmal durch und setzte ganz unten ein P.S., indem sie schrieb:
„Ich hoffe, es geht Ihnen gut.“
Nachdem sie gegangen war, wartete ihre Notiz darauf, gelesen zu werden. Der Empfänger war momentan jedoch mit anderen Dingen beschäftigt, denn er fand sich in allen nur erdenklichen Situationen wieder. Was einst nur Erinnerungen dargestellt hatten, mutierte im Schlaf trotz skurriler Erzählweise und surrealen Erscheinungsbildern zu einem realistischen Erlebnis.
Er sah Pettigrew fies grinsen, gleich darauf wiegte Lucius ein blondes Baby im Arm. Immer wieder flackerte grünes Licht auf.
Voldemorts Stimme war zu hören, die zischend sagte: „Ich weiß, dass du es bist.“
Ein schwaches „Nein“ war Severus’ Antwort; Voldemort konnte gar nicht wissen, dass er der Verräter war.
Nur Harry, am Fußende liegend und selbst schon dem Traumland nahe, bewegte seine Ohren und vernahm die wimmernden Geräusche, die sein Herrchen im Schlaf von sich gab.
Lucius deutete auf einen Kessel, in der eine grüne Flüssigkeit brodelte und er sagte mit angewiderter Stimme: „Nimm es doch selbst! Dann verwest du wenigstens nicht, wo du doch längst tot bist.“
Auf das Gebräu blickend, welches er als das erkannte, welches er im Auftrag von Voldemort hatte herstellen sollen, damit die Inferi langsamer verwesen würde, erwiderte Severus: „Ich habe niemals ernsthaft daran geforscht.“
Bei schönstem Sonnenschein fand sich Severus auf einem Schulhof in Hogwarts wieder. Die Gestalt eines Mädchens mit im Wind wehendem Rock und einer weißen Schleife in ihrem roten Haar kam freudestrahlend auf ihn zu gerannt und verkündete mit einem klimpernden Sack in der Hand: „Wir können wieder ’Murmeln’ spielen!“
„Lily?“, fragte Severus hoffnungsvoll, doch das Bild verblasste und er blickte auf ein Mal Albus in die blauen Augen.
Sein alter Freund sagte: "Was du suchst, mein lieber Freund, findest du nicht in der Vergangenheit."
Hinter sich hörte Severus plötzlich ein Klappern und als er sich umdrehte, befand er sich in einem Zimmer, das ihm noch gut in Erinnerung geblieben war. Er hatte es für sich und Draco damals an einem kalten Winterabend billig gemietet. Es war so kostengünstig gewesen, weil die Heizung nicht funktionierte. Magie hatten sie nicht anwenden dürfen, denn sie hatten sich in einem Muggeldorf aufgehalten; jede Verwendung eines Zauberspruches wäre dem Ministerium aufgefallen.
Die Ursache des Klapperns konnte Severus schnell ausmachen: Es waren Dracos Zähne. Auf einem alten Bett mit angezogenen Beinen sitzend und dazu dick in Decken eingemummelt befand sich sein Patensohn, dessen Atem aufgrund der Kälte mit jedem Zug sichtbar war. Severus erinnerte sich, dass er damals genauso gefroren hatte, doch diesmal fühlte er nichts.
Auf einem Stuhl lag eine weitere Decke, die er sich einst selbst umgeworfen hatte, doch jetzt legte er sie Draco um die Schultern mit den Worten: „Nimm die auch noch.“
„Mir ist kalt“, sagte der Sechzehnjährige bibbernd.
„Nur diese eine Nacht, Draco“, versicherte er dem Jungen.
„Wir werden erfrieren.“ Dracos Stimme war erschreckend schwach.
Den Kopf schüttelnd verneinte Severus: „Werden wir nicht.“
„Ich werde innerlich völlig erkalten.“ Etwas leiser fügte der Junge nach einer kleinen Pause hinzu: „So wie du.“
Hinter sich hörte er eine weibliche Stimme sagen: „Ich vertraue dir!“
Blitzschnell drehte sich Severus um und erkannte Narzissa. Als er sich umschaute, bemerkte er, dass er sich in seinem alten Zuhause aufhielt, in Spinner’s End.
Sie wiederholte milde lächelnd: „Ich vertraue dir!“
Auf einmal hatte Severus das Gefühl zu fallen und als er auf einer Rasenfläche landete, war sein Mund gefüllt mit rosafarbenen Seifenblasen, die zerplatzten und deren Schaum schleimig auf das grüne Gras tropfte. Severus würgte. Ihm war schlecht. Unverhofft hallte Gelächter zu ihm hinüber und als er über seine Schulter blickte, sah er Sirius und James mit ein paar anderen Schülern, die sich die Bäuche vor Lachen halten mussten. Severus wandte sich wieder ab und spuckte den ekelhaften Schaum auf die Erde.
„Feigling!“, hörte er eine ihm bekannte Stimme aufgebracht sagen und sein Magen zog sich vor Wut zusammen. Severus drehte sich erneut um und erblickte Harry, einen erwachsenen Harry, der älter als sein Vater war und der ihn einen Moment lang mit entschuldigender Miene anblickte. Harry wandte sich seinem Vater zu und sagte nochmals, diesmal ganz offensichtlich an James gerichtet: „Feigling! Das macht je zwanzig Punkte Abzug für Mr. Potter und Mr. Black und weitere fünf für jeden, der gelacht hat!“
Ohne darauf vorbereitet zu sein, flog Severus plötzlich gen Himmel und tauchte aus seinem Denkarium auf. Er benötigte einen Moment, um sich zu vergewissern, dass er in seinem privaten Büro gelandet war. Vor ihm stand das Denkarium und – was ihn sehr erschreckte – Hermine, die noch immer ihre Nase in die Flüssigkeit getaucht hatte.
Einen Augenblick später richtete sie sich auf, blickte ihn an und sagte überheblich klingend: „Oh, jetzt weiß ich Bescheid!“
„Sie wissen gar nichts!“, belferte er zurück.
„Ich weiß mehr als Ihnen lieb ist!“
Die Tür zu seinem Büro öffnete sich und er erschrak noch viel mehr, als ein Werwolf hineinkam. Severus wich zurück, stieß jedoch mit dem Rücken an die Wand, während dieses gefährliche Biest weiterhin auf ihn zugeschlendert kam.
Man konnte sehr deutlich hören, dass es sich um Remus’ Stimme handelte, die sagte: „Es ist nicht meine Schuld gewesen.“ Der Wolf klang reumütig und er wusste auch sofort, auf was er angesprochen hatte: Auf den Vorfall, bei welchem Severus sein Leben hätte verlieren können. „Soll ich jede Einzelheit aufzählen und jeweils sagen, wie Leid es mir tut?“, wollte der Werwolf wissen. Starr vor Angst verweilte Severus mit dem Rücken an die Wand gepresst und er fragte sich, wie lange es noch dauern würde, bis die Bestie ihn zerfleischen würde, doch die seufzte nur und winselte: „Ich vermisse sie auch, Severus! Vielleicht können wir irgendwann einmal darüber reden?"
Vor dem Werwolf hatte Severus solche Furcht, dass er gar nicht antworten konnte und so schüttelte er einfach den Kopf, woraufhin die Bestie erneut winselte, bevor sie sein Büro wieder verließ. Schockiert über diese Begegnung wankte er benommen in sein privates Labor hinüber und er erstarrte, als er das Chaos auf dem Tisch erblickte. Viele aufgeschlagene Bücher lagen herum und mittendrin saß Hermine, die ihn nicht zu bemerken schien. Er musste viermal ihren Namen sagen, bis sie endlich aufblickte.
„Sie hätten mich warnen können“, sagte sie vorwurfsvoll.
„Wovor warnen?“, wollte er wissen.
Sie tippte auf das Buch, welches sie las und er erkannte es als eines der Schwarzmagischen.
„Es ist Ihre Schuld!“, sagte sie giftiger und ihre Gesichtszüge verzerrten sich dabei, so dass sie für einen Augenblick eine große Ähnlichkeit mit Bellatrix aufwies.
„Es tut mir so Leid“, sagte er reumütig. „Es war nicht meine Absicht!“
„Es ist eh zu spät, Severus. Jetzt habe ich Blut geleckt!“
Ohne Übergang fand sich Severus in seinem Klassenzimmer wieder, in welchem die Siebentklässler auf den Unterricht warteten, doch völlig unverhofft stand einer nach dem anderen auf und sie bildeten eine Schlange vor ihm. Der erste Schüler legte wortlos eine Spielkarte auf sein Pult und erwartete offensichtlich, dass er sie unterschreiben sollte. Nach und nach betrachtete er die anstehenden Schüler und jeder hielt eine dieser Spielkarten in der Hand. Nur ein Schüler hatte sich nicht in die Schlange eingereiht. Draco saß noch immer auf seinem Platz. Er war in warme Decken eingehüllt und trotzdem fror er bitterlich. Von allen Anwesenden zeichnete sich ausschließlich sein Atem in der Luft ab. Die anderen Schüler nicht beachtend erhob sich Severus, um zu seinem Patensohn zu gehen, der sehr kränklich wirkte.
Schwach und elend sagte Draco flüsternd, während er sich in die Decken kuschelte: „Es wird niemals weggehen. Es wird immer da bleiben, Severus.“
Ein Zupfen an seinem Umhang hinderte ihn daran, mit Draco zu reden. Severus blickte neben sich auf die naseweise neunmalkluge Miss Clavick, die weiterhin an seinem schwarzen Umhang zerrte und mit hoher Stimme fragte: „Wann beginnt der Unterricht, Sir?“
„Was?“, fragte er irritiert.
„Wann beginnt der Unterricht, Sir?“, wiederholte sie monoton.
Sie fragte wieder und wieder und er vernahm ihre Stimme noch immer, während er langsam erwachte und die Augen aufschlug. Ein Traum. Severus schloss die Augen und seufzte. Wie aus heiterem Himmel durchfuhr ihn die Erkenntnis, verschlafen zu haben. Mit einem Male saß er kerzengerade im Bett, so dass der Hund es ihm gleichtat. Er zog seinen Wecker zu Rate, der wie üblich um sechs hätte klingeln müssen. Severus konnte sich nur vage daran erinnern, ihn nach dem Klingeln einfach ausgestellt und weitergeschlafen zu haben.
Sein Herz schlug wie wild, als er die Uhrzeit vom Ziffernblatt ablas. Es war kurz nach elf Uhr und er lag noch im Bett, während die Schüler seit acht Uhr auf ihn warteten. In Windeseile stürzte er aus dem Bett ins Badezimmer, welches er zehn Minuten später noch immer hektisch wieder verließ, bevor er sich schleunigst ankleidete. Während er noch die Knöpfe seines Hemdes mit zittrigen Fingern schloss, eilte er ins Wohnzimmer, wo er gestern Abend seine Weste über der Rückenlehne der Couch abgelegt hatte. Als er zur Weste griff, fiel sein Blick auf ein Stück Pergament, welches auf seinem Couchtisch lag. Hastig ging er um die Couch herum, um die Nachricht vom Tisch zu nehmen.
Nachdem er sie einmal gelesen hatte, setzte er sich entkräftet auf die Couch und schloss erneut seine Augen, während er einmal tief ein- und ausatmete. Er las die Nachricht ein weiteres Mal und dann nochmals und er fragte sich, ob es ihre Handschrift war, die ihn beruhigte oder das, was sie ihm mitgeteilt hatte. Er hätte heute frei, hatte sie geschrieben. Niemand erwartete von ihm, dass er heute unterrichten würde, dachte er aufatmend. Trotzdem war er völlig aufgewühlt. Er hatte nicht nur heftig geträumt, sondern auch noch verschlafen.
Eine zittrige Hand fand ihren Weg zu seinen Augen und er bedeckte sie mit ihr. Severus fühlte sich ausgelaugt, abgezehrt. Auch ohne Traumdeutung wusste er, dass sich Vergangenheit und Zukunft in seinem Traum verarbeitet sehen wollten.
Der schönste Moment war der gewesen, dachte Severus, als Lily ihn zum Spielen aufgefordert hatte. Er schluckte kräftig, um den Kloß im Hals hinunterzuspülen, doch gleich darauf fühlte es sich so an, als wäre sein Herz verknotet.
Es wird immer da bleiben.
Am nächsten Morgen war Hermine im Lehrerzimmer mit Neville in ein Gespräch vertieft, an welchem sich auch Harry angeregt beteiligte.
„Luna hat endlich mal einen Probeartikel zum Tagespropheten geschickt und wisst ihr was?“, fragte Neville mit breitem Lächeln.
Zappelig und mit Freude in der Stimme vermutete Hermine laut: „Sie haben sie genommen?“
Nevilles Augen funkelten und man konnte ihm den Stolz ansehen, als er bejahte: „Ihr erster Artikel soll in den nächsten Tagen gedruckt werden! Das Thema hat sie sich selbst ausgesucht.“
„Über was will sie schreiben?“, fragte Harry fröhlich. Er stutzte einen Augenblick und fragte dann mit runzliger Stirn: „Doch nicht über mich oder?“
„Nein“, winkte Neville ab, „über Rita Kimmkorn!“
„Das gibt’s nicht!“, warf Hermine überwältigt ein. „Das hat die auch verdient, dass Luna über sie schreibt!“
Nach und nach kamen die Lehrer herein und setzten sich, um auf Albus zu warten, damit die Lehrerversammlung beginnen konnte. Minerva trat als Vorletzte in das Zimmer, Albus folgte ihr. Seinen Platz einnehmend erlangte er sofort die Aufmerksamkeit aller Anwesenden und jedem fiel auf, dass er ohne jegliches Zwinkern in den Augen auf den leeren Stuhl zwischen Hermine und Pomona starrte. Erst jetzt bemerkte Harry, dass Severus gar nicht hier war und das sorgte für ein abrupt aufkommendes Unwohlsein, denn Severus hatte sich nie verspätet, hatte nie unentschuldigt gefehlt. Zu Hermine blickend hob und senkte sie nur einmal die Schultern, denn sie hatte keine Erklärung parat.
Über die Störung des gewohnten Alltags schien Albus sehr besorgt zu sein, denn er überreichte Minerva seine Pergamente und bat sie eindringlich: „Wenn du so nett wärst und schon beginnen würdest?“
Sie nahm die Pergamente mit den notierten Tagespunkten entgegen und begann bereits, zu den Kollegen zu sprechen, während Albus noch sehr eilig den Raum verließ. Harry und Hermine schauten ihm beunruhigt nach und Neville tat es seinen Freunden gleich.
Mit wallendem Umhang eilte Albus hinunter in die Kerker und er ignorierte auf seinem Weg den netten Morgengruß von Sir Nicholas und einigen Gemälden, denn in Gedanken war er bei seinem jungen Freund und er hoffte inständig, dass Severus’ Verzweiflung nicht größer gewesen war als er es geahnt hatte.
An den privaten Räumen hielt Salazar ihn auf und sagte grüßend, wenn auch aufgrund der durchschimmernden Aufgelöstheit von Albus leicht verunsichert: „Werter Direktor, ich hoffe, es ist nichts geschehen.“
„Bitte öffne mir, damit ich mich selbst davon überzeugen kann“, bat Albus und Salazar öffnete.
Drinnen traf Albus auf den weißen Hund, der aufgeregt zu hoffen schien, dass sein Auslauf nun beginnen würde, doch der Direktor ging schnurstracks zum Schlafzimmer hinüber und er klopfte nur einmal an die leicht angelehnte Tür, bevor er sie öffnete. Bis auf wenige Strahlen der aufgehenden Sonne, die durch das kleine Oberlicht drangen, war es auch hier sehr dunkel, doch den scheinbar bewegungslosen Körper auf der Matratze konnte er erkennen. Leise schritt er bis ans Bett heran und betrachtete den ruhig atmenden Schlafenden, der auf der Seite lag. Nachdem sich Albus’ Augen an den abgedunkelten Raum gewöhnt hatten, starrte er wie paralysiert auf das Gesicht von Severus, denn die Augen unter den Lidern bewegten sich und manchmal regte sich ein Muskel an den Mundwinkeln. Mit großem Erstaunen stellte Albus fest, dass Severus träumen musste und diese Feststellung ließ ihn erleichtert lächeln.
Eine Weile stand Albus mit leicht schräg gelegtem Kopf an dem Bett, um sich an diesem Fortschritt zu ergötzen, bis er eine kleine Veränderung im Gesicht seines Freundes ausmachte. Severus schien nun einen unerfreulichen Traum zu haben, denn manchmal kniff er die Augen zusammen und seine Augenbrauen wanderten ein wenig in Richtung Nasenwurzel, so dass kleine Sorgenfalten zwischen ihnen entstanden.
Als dem Schlafenden ein fast unhörbarer Schluchzer entwicht, entschloss sich Albus dazu, in das Geschehen einzugreifen, indem er wispernd und mit verständnisvoller Stimme erklärte: „Es sind selten die erfreulichen Träume, die auch Gutes verheißen, Severus. Wachstum kann Leid erzeugen und Schmerz ist oftmals ein vertrauter Gefährte der Genesung.“
Seine Worte wurden anscheinend unterbewusst von Severus verarbeitet, denn es wirkte so, als würde der Träumende sich seiner Welt furchtlos stellen.
Den Hund noch einmal am Kopf tätschelnd verließ Albus die Räume seines Freundes, um an der Lehrerversammlung teilzunehmen.
„Ah“, machte Minerva erleichtert, als sie den Direktor erneut begrüßen durfte. „Du kommst gerade richtig, denn es gibt einige Diskussionspunkte.“
Noch bevor Albus sich setzen konnte, sprach sich Pomona gegen eine der von Minerva vorgelesenen Regeln aus und wetterte: „Du kannst vor Weihnachten kein Hogsmeade-Verbot aussprechen, Albus! Wo sollen die Kinder ihre Geschenke kaufen? Es werden wieder ein paar Schüler in Hogwarts bleiben und es würde trostlos für sie werden.“
„Der Ort ist momentan zu gefährlich, Pomona. Es war das letzte Mal schon brenzlig geworden, denn offensichtlich halten sich dort Muggel auf, die diesen Ort auskundschaften“, antwortete Albus ehrlich und damit brachte er alle Lehrer und Lehrerinnen zum Staunen, denn nur wenige wussten von der Problematik, die Hermine und Harry bereits kannten.
Die Stille unterbrach Valentinus nach einer ganzen Weile, der von seiner eigenen Idee ganz begeistert mit einem selbstgefälligen Singsang in seiner Stimme vorschlug: „Dann sollten wir das Ausflugsziel ändern! Nehmen wir die Winkelgasse, die ist magisch verborgen und nicht für umherlaufende Muggel zu sehen, was man von Hogsmeade leider nicht sagen kann. Außerdem sind die Geschäfte dort von einem ganz anderen Schlag; sie haben ein höheres Prestige.“
Die meisten Lehrer waren ganz perplex und selbst Harry stand der Mund offen, denn Svelte konnte seinen Verstand offensichtlich auch mal klug gebrauchen, zumindest wenn es um Einkaufsfragen ging.
Von dem Vorschlag waren alle ganz angetan, doch Filius gab zu bedenken: „Wir müssen dann aber mehr Aufsichtspersonal einplanen. Die Winkelgasse allein ist schon größer als Hogsmeade! Gerade vor Weihnachten wird die Einkaufsstraße voller Menschen sein und wenn wir dann noch mit den Schülern dort aufschlagen…“
„Es muss gesittet vonstatten gehen“, warf Minerva ein. „Wir müssen den Schülern verständlich machen, dass wir sofort wieder umkehren, sollten sie sich nicht diszipliniert verhalten.“
Harry stimmte Minerva zu, erklärte jedoch: „Wenn wir es den Schülern als Besonderheit verkaufen, dann werden sie sich hüten sich danebenzubenehmen. Ich denke, aber auch wie Filius“, er blickte Albus an, „dass vier Lehrer als Aufsicht nicht reichen werden.“
„Harry und Filius haben Recht“, bestätigte Pomona. „Mindestens sechs Lehrer sollten mitgehen, ich persönlich plädiere sogar für acht und ich melde mich freiwillig, weil Weihnachten vor der Tür steht.“
Nur noch einen Monat und drei Tage.
Albus nahm alle Vorschläge an und erklärte am Ende, dass er etwas ausarbeiten wollte, bevor er sich eine Tasse Tee einschenkte und zum nächsten Punkt überging.
„Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine bestimmte Angelegenheit hat sich meiner Aufmerksamkeit entzogen“, gab Albus mit einem verlegenen Lächeln bekannt. „Es ist mir entfallen, dass unser werter Severus heute einen Urlaubstag genommen hatte. Ich habe es leider versäumt, die Vertretung zu planen.“
Harry blickte sich um. Bis auf Minerva, die Albus einen sehr skeptischen Blick zuwarf und bis auf Hermine, die ihre Stirn in Falten legte, schien sich niemand an der Tatsache zu stören, dass der Direktor etwas „vergessen“ haben könnte.
Die freie Stunde, die Harry heute eigentlich nach dem Mittagessen haben sollte, ging flöten, weil er die Fünftklässler für Severus vertreten sollte. Minerva übernahm freiwillig die siebten Klassen, Filius die zweite und sechste, während man Valentinus die Erstklässler anvertrauen wollte.
Nachdem die Lehrerversammlung beendet wurde, erhoben sich die Kollegen und liefen im Zimmer durcheinander oder bereits zur Tür hinaus, so dass Hermine zwischen den ganzen Menschen Albus erst ausmachen musste, bevor sie an ihn herantrat und fragte: „Sir? Sagen Sie, hat Severus etwas wegen heute gesagt? Ich meine, ob mein Unterricht mit ihm auch ausfällt?“
Während er seine Notizen verstaute, lauschte Harry interessiert, als Albus antwortete: „Nein, hat er nicht, Hermine. Ich nehme also an, dass sich an Ihrer Tätigkeit nichts ändern wird. Womöglich startet sie heute sogar früher?“ Albus lächelte, bevor er noch hinzufügte: „Das können Sie ja selbst erfragen, denn wie es mir vorhin schien, will das liebe Tier nicht mehr länger auf seine Morgentoilette verzichten.“
„Oh“, machte sie erschrocken, denn normalerweise ging sie vor dem Frühstück mit dem Hund raus oder wenn – wie heute – eine Lehrerversammlung stattfand, dann auch vor dieser.
Im Flur fragte Harry seine beste Freundin: „Gehst du jetzt zu ihm?“
„Ja, natürlich! Ich muss doch wissen, ob ich heute auch ’frei’ habe. Ich frage mich sowieso, warum er mir nicht gesagt hat, dass er heute einen ’Urlaubstag’ genommen hat“, antwortete Hermine mit einer Betonung, die deutlich heraushören ließ, dass sie sich veralbert vorkam.
„Du glaubst auch, dass es nur eine Notlüge von Albus gewesen war“, stellte Harry als Tatsache fest, während sie ihren Weg gemeinsam fortsetzten.
Sie blickte ihn an und sagte erleichtert: „Zumindest scheint nichts Schlimmes passiert zu sein. Ich frage mich nur, warum Albus der Meinung ist, Severus würde heute Ruhe benötigen und ihm deswegen auf einen Freitag einfach frei gibt. Ob es damit zu tun hat, dass er gestern wieder so niedergeschlagen war?“
„Vielleicht braucht er einfach nur mal eine Mütze voll Schlaf“, sagte Harry.
Erstaunt fragte Hermine: „Wieso? Bekommt er die sonst nicht?“
Sie befürchtete, dass Severus sich womöglich mit der Aufgabe, sie als Schülerin zu beschäftigen, übernommen haben könnte.
„Ich würde sagen nicht. Er hat mir irgendwann mal nebenbei erzählt, dass er drei oder vier Stunden Schlaf braucht und dann wäre er wieder fit.“ Harry schüttelte den Kopf und erklärte: „Wenn ich jede Nacht nur drei oder vier Stunden schlafen würde, dann würde ich aussehen wie ein Zombie. Ich brauche mindestens sieben Stunden und am Wochenende schon mal acht oder neun.“
Neugierig fragte sie: „Wann hat er das gesagt? Dass er so wenig schläft, meine ich?“
„Ach, das ist schon ewig her und ich bin auch gar nicht drauf eingegangen. Habe es halt nur zur Kenntnis genommen“, erwiderte er ehrlich, denn es war mindestens eineinhalb Jahre her, wenn nicht sogar noch länger.
Nachdenklich blieb Hermine mitten auf dem Gang stehen.
„Kannst du bitte später in deine Grübelstarre verfallen? Geh lieber erst mit dem Hund raus, Mine, sonst gibt’s einen Unfall auf dem Teppich“, empfahl Harry lächelnd, bevor er sich auf zum Frühstück in die große Halle machte.
„Aber verstehst du denn nicht?“, fragte Hermine. Sie wollte gerade ausholen, da kamen bereits die ersten Schüler, die sich wie Harry in die große Halle begeben wollte, so dass sie ihm ihre Überlegungen nicht mehr unter vier Augen mitteilen konnte. „Ich erkläre es dir später.“ Sie winkte ihm verabschiedend zu, bevor sie in die Kerker ging.
Auf ihrem Weg fielen ihr viele Situationen ein, in denen aus Gesprächen klar und deutlich herauszuhören gewesen war, dass Severus wenig schlafen würde; viel zu wenig. Auf dem Ordenstreffen, welches sie mit ihm und Harry besucht hatte, hatte sie selbst sogar eine Anspielung darauf gemacht, indem sie gesagt hatte, um die Zeit zu haben, die Gesetzesänderungen von Kingsley durchzugehen, würde sie es wie er machen: Sie würde einfach weniger schlafen. Sie glaubte sich sogar daran erinnern zu können, wie Severus einmal gesagt hatte, er würde Schlaf für Zeitverschwendung halten. Gedankenverloren setzte sie ihren Weg fort.
„Oh, guten Morgen“, hörte Hermine plötzlich dicht vor sich eine Frauenstimme sagen, weswegen sie zusammenzuckte. Sie blickte auf und sah Mrs. Malfoy, die sie nett anlächelte, bevor diese sagte: „Verzeihen Sie bitte, aber ich wollte Sie wirklich nicht erschrecken.“
„Schon gut, das war meine Schuld“, sagte Hermine ehrlich.
Mrs. Malfoy legte ihren Kopf schräg und fragte gleich darauf: „Miss Granger, nicht wahr? Seine Schülerin.“
„Ja, genau die.“
Einen Augenblick lang, in welchem peinliche Stille herrschte, standen die beiden vor Severus’ Tür und Hermine bemerkte erst jetzt, dass sie ihr Ziel schon längst erreicht hätte.
„Oh“, machte sie erstaunt. „Ich wollte gerade mit dem Hund rausgehen. Wollten Sie Severus besuchen?“, fragte Hermine die Frau, die sie persönlich nicht kannte.
„Ja, das wollte ich, aber Mr. Slytherin hier lässt mich nicht passieren“, erklärte Mrs. Malfoy pikiert.
Perplex fragte Hermine, obwohl die Antwort auf der Hand lag: „Sie haben keine Berechtigung ein- und auszugehen?“ Mrs. Malfoy schüttelte den Kopf. „Na, dann…“ Sie blickte Salazar an, der mit den Augen rollte und die Tür öffnete. „Ich denke nicht“, sagte Hermine, während sie bereits eintrat, „dass er etwas dagegen haben würde, wenn Sie auch eintreten, Mrs. Malfoy.“ Ihre Aufforderung wurde verstanden und Mrs. Malfoy folgte ihr.
Das Wohnzimmer schien verwaist. Der Hundekorb war leer und niemand saß auf der Couch. Nur eine schwarze Weste lag über der Rückenlehne. Doch dann hörte man es rascheln, dann klimpern, bevor ein aufgeregt mit dem Schwanz wedelnder Hund aus dem Schlafzimmer gestürmt kam. In seinem Maul führte er die Leine mit sich, mit der er ein klares Zeichen setzen wollte.
„Es geht gleich raus, Harry“, sagte Hermine mit ruhiger Stimme, bevor sie gleich darauf mit einem leise gesprochenen Befehl unterbinden musste, dass er sie ansprang. Sie blickte zur Schlafzimmertür hinüber, die der Hund ein wenig weiter geöffnet hatte. Dann blickte sie zu Mrs. Malfoy hinüber und erklärte verlegen: „Ich glaube, Severus schläft noch.“
Mrs. Malfoy blickte ebenfalls zur Schlafzimmertür, bevor sie Hermine ansah und fragte: „Ich nehme an, Sie sind so vertraut miteinander, dass Sie ihn vielleicht wecken könnten? Ist er nicht eh schon zu spät dran? Der Unterricht beginnt doch in fünf Minuten.“
„Der Direktor meinte, er hätte heute Urlaub“, erklärte Hermine, die sich noch immer eine Antwort auf die Frage überlegte, wie vertraut sie mit Severus sein würde.
„Würden Sie ihn trotzdem wecken? Ich möchte Hogwarts nicht verlassen, ohne ihm Bescheid zu geben“, bat Mrs. Malfoy.
„Ähm, so vertraut sind wir nicht miteinander. Sollte ich es wagen ihn zu wecken, würde er mich sicherlich dorthin zaubern, wo der Pfeffer wächst“, sagte Hermine unsicher lächelnd.
Mit zwei kleinen roten Flecken auf dem hellen Teint sagte Mrs. Malfoy zu Boden blickend: „Ich bin untröstlich, Miss Granger. Verzeihen Sie bitte, wenn ich fälschlicherweise auf etwas angespielt haben sollte.“ Sie blickte Hermine an und erklärte: „Wissen Sie, ich werde Hogwarts heute verlassen und Malfoy Manor aufsuchen. Ich wollte mich verabschieden, aber es ist ja kein Abschied für immer. Es lag mir nur fern, herzlos zu erscheinen, indem ich einfach wortlos verschwinde.“
Nickend stimmte Hermine zu und sagte: „Das ist nett von Ihnen. Ich werde es ihm gern ausrichten.“
„Vielen Dank, Miss Granger, das wäre zu gütig. Dann möchte ich mich ganz herzlich von Ihnen verabschieden, aber ich bin mir sicher, dass sich unsere Wege hier nicht für immer trennen werden.“
Den Hund hatte sie schon angeleint, bevor sie mit Mrs. Malfoy wieder nach draußen ging. Vor der Tür hielt Mrs. Malfoy ihr die Hand entgegen und die beiden Frauen verabschiedeten sich voneinander.
Nach dem zwanzig Minuten langen Spaziergang hatte sich bei Severus noch immer nichts getan. Der Hund rannte zurück ins Schlafzimmer und stieß die Tür dabei noch weiter auf. Hermine konnte es sich nicht verkneifen, einen Blick hineinzuwerfen. Severus lag auf der Seite, mit dem Rücken zu ihr. Der Hund war auf das Bett gesprungen und mache es sich bereits am Fußende gemütlich, wie er es vorhin schon getan haben musste. Sie haderte mit sich, denn einerseits wollte sie Severus wecken, um zu sehen, ob alles in Ordnung war, aber andererseits befürchtete sie seinen Zorn.
Sie entschloss sich dazu, eine Notiz zu schreiben und diese gut sichtbar auf dem Wohnzimmertisch zu platzieren. Ron hatte sich damals einige Male darüber beschwert, dass Hermine das Prinzip der Kurznachrichten nicht verstanden hätte, denn „Bin einkaufen“ reichte seiner Meinung nach als Nachricht völlig aus, während Hermine immer haarklein notiert hatte, zu welcher Uhrzeit sie in welchem Laden sein würde. Von einem Schrank nahm sie Feder, Tintenfass und Pergament, bevor sie sich auf die Couch setzte und gut durchdacht schrieb:
„Guten Morgen, Severus,
Albus sagte, Sie hätten heute einen freien Tag und deswegen möchte ich Sie nicht stören. Mit Harry war ich schon draußen.
Mrs. Malfoy war kurz hier und wollte sich von Ihnen persönlich verabschieden.
Bitte sagen Sie mir Bescheid, ob wir trotzdem wie üblich mit der Arbeit beginnen, denn ich habe für heute einen Squib eingeladen.
Hermine“
Sie las die Notiz, die sie am liebsten mit viel mehr Worten gespickt hätte, um sie präziser zu machen, noch einmal durch und setzte ganz unten ein P.S., indem sie schrieb:
„Ich hoffe, es geht Ihnen gut.“
Nachdem sie gegangen war, wartete ihre Notiz darauf, gelesen zu werden. Der Empfänger war momentan jedoch mit anderen Dingen beschäftigt, denn er fand sich in allen nur erdenklichen Situationen wieder. Was einst nur Erinnerungen dargestellt hatten, mutierte im Schlaf trotz skurriler Erzählweise und surrealen Erscheinungsbildern zu einem realistischen Erlebnis.
Er sah Pettigrew fies grinsen, gleich darauf wiegte Lucius ein blondes Baby im Arm. Immer wieder flackerte grünes Licht auf.
Voldemorts Stimme war zu hören, die zischend sagte: „Ich weiß, dass du es bist.“
Ein schwaches „Nein“ war Severus’ Antwort; Voldemort konnte gar nicht wissen, dass er der Verräter war.
Nur Harry, am Fußende liegend und selbst schon dem Traumland nahe, bewegte seine Ohren und vernahm die wimmernden Geräusche, die sein Herrchen im Schlaf von sich gab.
Lucius deutete auf einen Kessel, in der eine grüne Flüssigkeit brodelte und er sagte mit angewiderter Stimme: „Nimm es doch selbst! Dann verwest du wenigstens nicht, wo du doch längst tot bist.“
Auf das Gebräu blickend, welches er als das erkannte, welches er im Auftrag von Voldemort hatte herstellen sollen, damit die Inferi langsamer verwesen würde, erwiderte Severus: „Ich habe niemals ernsthaft daran geforscht.“
Bei schönstem Sonnenschein fand sich Severus auf einem Schulhof in Hogwarts wieder. Die Gestalt eines Mädchens mit im Wind wehendem Rock und einer weißen Schleife in ihrem roten Haar kam freudestrahlend auf ihn zu gerannt und verkündete mit einem klimpernden Sack in der Hand: „Wir können wieder ’Murmeln’ spielen!“
„Lily?“, fragte Severus hoffnungsvoll, doch das Bild verblasste und er blickte auf ein Mal Albus in die blauen Augen.
Sein alter Freund sagte: "Was du suchst, mein lieber Freund, findest du nicht in der Vergangenheit."
Hinter sich hörte Severus plötzlich ein Klappern und als er sich umdrehte, befand er sich in einem Zimmer, das ihm noch gut in Erinnerung geblieben war. Er hatte es für sich und Draco damals an einem kalten Winterabend billig gemietet. Es war so kostengünstig gewesen, weil die Heizung nicht funktionierte. Magie hatten sie nicht anwenden dürfen, denn sie hatten sich in einem Muggeldorf aufgehalten; jede Verwendung eines Zauberspruches wäre dem Ministerium aufgefallen.
Die Ursache des Klapperns konnte Severus schnell ausmachen: Es waren Dracos Zähne. Auf einem alten Bett mit angezogenen Beinen sitzend und dazu dick in Decken eingemummelt befand sich sein Patensohn, dessen Atem aufgrund der Kälte mit jedem Zug sichtbar war. Severus erinnerte sich, dass er damals genauso gefroren hatte, doch diesmal fühlte er nichts.
Auf einem Stuhl lag eine weitere Decke, die er sich einst selbst umgeworfen hatte, doch jetzt legte er sie Draco um die Schultern mit den Worten: „Nimm die auch noch.“
„Mir ist kalt“, sagte der Sechzehnjährige bibbernd.
„Nur diese eine Nacht, Draco“, versicherte er dem Jungen.
„Wir werden erfrieren.“ Dracos Stimme war erschreckend schwach.
Den Kopf schüttelnd verneinte Severus: „Werden wir nicht.“
„Ich werde innerlich völlig erkalten.“ Etwas leiser fügte der Junge nach einer kleinen Pause hinzu: „So wie du.“
Hinter sich hörte er eine weibliche Stimme sagen: „Ich vertraue dir!“
Blitzschnell drehte sich Severus um und erkannte Narzissa. Als er sich umschaute, bemerkte er, dass er sich in seinem alten Zuhause aufhielt, in Spinner’s End.
Sie wiederholte milde lächelnd: „Ich vertraue dir!“
Auf einmal hatte Severus das Gefühl zu fallen und als er auf einer Rasenfläche landete, war sein Mund gefüllt mit rosafarbenen Seifenblasen, die zerplatzten und deren Schaum schleimig auf das grüne Gras tropfte. Severus würgte. Ihm war schlecht. Unverhofft hallte Gelächter zu ihm hinüber und als er über seine Schulter blickte, sah er Sirius und James mit ein paar anderen Schülern, die sich die Bäuche vor Lachen halten mussten. Severus wandte sich wieder ab und spuckte den ekelhaften Schaum auf die Erde.
„Feigling!“, hörte er eine ihm bekannte Stimme aufgebracht sagen und sein Magen zog sich vor Wut zusammen. Severus drehte sich erneut um und erblickte Harry, einen erwachsenen Harry, der älter als sein Vater war und der ihn einen Moment lang mit entschuldigender Miene anblickte. Harry wandte sich seinem Vater zu und sagte nochmals, diesmal ganz offensichtlich an James gerichtet: „Feigling! Das macht je zwanzig Punkte Abzug für Mr. Potter und Mr. Black und weitere fünf für jeden, der gelacht hat!“
Ohne darauf vorbereitet zu sein, flog Severus plötzlich gen Himmel und tauchte aus seinem Denkarium auf. Er benötigte einen Moment, um sich zu vergewissern, dass er in seinem privaten Büro gelandet war. Vor ihm stand das Denkarium und – was ihn sehr erschreckte – Hermine, die noch immer ihre Nase in die Flüssigkeit getaucht hatte.
Einen Augenblick später richtete sie sich auf, blickte ihn an und sagte überheblich klingend: „Oh, jetzt weiß ich Bescheid!“
„Sie wissen gar nichts!“, belferte er zurück.
„Ich weiß mehr als Ihnen lieb ist!“
Die Tür zu seinem Büro öffnete sich und er erschrak noch viel mehr, als ein Werwolf hineinkam. Severus wich zurück, stieß jedoch mit dem Rücken an die Wand, während dieses gefährliche Biest weiterhin auf ihn zugeschlendert kam.
Man konnte sehr deutlich hören, dass es sich um Remus’ Stimme handelte, die sagte: „Es ist nicht meine Schuld gewesen.“ Der Wolf klang reumütig und er wusste auch sofort, auf was er angesprochen hatte: Auf den Vorfall, bei welchem Severus sein Leben hätte verlieren können. „Soll ich jede Einzelheit aufzählen und jeweils sagen, wie Leid es mir tut?“, wollte der Werwolf wissen. Starr vor Angst verweilte Severus mit dem Rücken an die Wand gepresst und er fragte sich, wie lange es noch dauern würde, bis die Bestie ihn zerfleischen würde, doch die seufzte nur und winselte: „Ich vermisse sie auch, Severus! Vielleicht können wir irgendwann einmal darüber reden?"
Vor dem Werwolf hatte Severus solche Furcht, dass er gar nicht antworten konnte und so schüttelte er einfach den Kopf, woraufhin die Bestie erneut winselte, bevor sie sein Büro wieder verließ. Schockiert über diese Begegnung wankte er benommen in sein privates Labor hinüber und er erstarrte, als er das Chaos auf dem Tisch erblickte. Viele aufgeschlagene Bücher lagen herum und mittendrin saß Hermine, die ihn nicht zu bemerken schien. Er musste viermal ihren Namen sagen, bis sie endlich aufblickte.
„Sie hätten mich warnen können“, sagte sie vorwurfsvoll.
„Wovor warnen?“, wollte er wissen.
Sie tippte auf das Buch, welches sie las und er erkannte es als eines der Schwarzmagischen.
„Es ist Ihre Schuld!“, sagte sie giftiger und ihre Gesichtszüge verzerrten sich dabei, so dass sie für einen Augenblick eine große Ähnlichkeit mit Bellatrix aufwies.
„Es tut mir so Leid“, sagte er reumütig. „Es war nicht meine Absicht!“
„Es ist eh zu spät, Severus. Jetzt habe ich Blut geleckt!“
Ohne Übergang fand sich Severus in seinem Klassenzimmer wieder, in welchem die Siebentklässler auf den Unterricht warteten, doch völlig unverhofft stand einer nach dem anderen auf und sie bildeten eine Schlange vor ihm. Der erste Schüler legte wortlos eine Spielkarte auf sein Pult und erwartete offensichtlich, dass er sie unterschreiben sollte. Nach und nach betrachtete er die anstehenden Schüler und jeder hielt eine dieser Spielkarten in der Hand. Nur ein Schüler hatte sich nicht in die Schlange eingereiht. Draco saß noch immer auf seinem Platz. Er war in warme Decken eingehüllt und trotzdem fror er bitterlich. Von allen Anwesenden zeichnete sich ausschließlich sein Atem in der Luft ab. Die anderen Schüler nicht beachtend erhob sich Severus, um zu seinem Patensohn zu gehen, der sehr kränklich wirkte.
Schwach und elend sagte Draco flüsternd, während er sich in die Decken kuschelte: „Es wird niemals weggehen. Es wird immer da bleiben, Severus.“
Ein Zupfen an seinem Umhang hinderte ihn daran, mit Draco zu reden. Severus blickte neben sich auf die naseweise neunmalkluge Miss Clavick, die weiterhin an seinem schwarzen Umhang zerrte und mit hoher Stimme fragte: „Wann beginnt der Unterricht, Sir?“
„Was?“, fragte er irritiert.
„Wann beginnt der Unterricht, Sir?“, wiederholte sie monoton.
Sie fragte wieder und wieder und er vernahm ihre Stimme noch immer, während er langsam erwachte und die Augen aufschlug. Ein Traum. Severus schloss die Augen und seufzte. Wie aus heiterem Himmel durchfuhr ihn die Erkenntnis, verschlafen zu haben. Mit einem Male saß er kerzengerade im Bett, so dass der Hund es ihm gleichtat. Er zog seinen Wecker zu Rate, der wie üblich um sechs hätte klingeln müssen. Severus konnte sich nur vage daran erinnern, ihn nach dem Klingeln einfach ausgestellt und weitergeschlafen zu haben.
Sein Herz schlug wie wild, als er die Uhrzeit vom Ziffernblatt ablas. Es war kurz nach elf Uhr und er lag noch im Bett, während die Schüler seit acht Uhr auf ihn warteten. In Windeseile stürzte er aus dem Bett ins Badezimmer, welches er zehn Minuten später noch immer hektisch wieder verließ, bevor er sich schleunigst ankleidete. Während er noch die Knöpfe seines Hemdes mit zittrigen Fingern schloss, eilte er ins Wohnzimmer, wo er gestern Abend seine Weste über der Rückenlehne der Couch abgelegt hatte. Als er zur Weste griff, fiel sein Blick auf ein Stück Pergament, welches auf seinem Couchtisch lag. Hastig ging er um die Couch herum, um die Nachricht vom Tisch zu nehmen.
Nachdem er sie einmal gelesen hatte, setzte er sich entkräftet auf die Couch und schloss erneut seine Augen, während er einmal tief ein- und ausatmete. Er las die Nachricht ein weiteres Mal und dann nochmals und er fragte sich, ob es ihre Handschrift war, die ihn beruhigte oder das, was sie ihm mitgeteilt hatte. Er hätte heute frei, hatte sie geschrieben. Niemand erwartete von ihm, dass er heute unterrichten würde, dachte er aufatmend. Trotzdem war er völlig aufgewühlt. Er hatte nicht nur heftig geträumt, sondern auch noch verschlafen.
Eine zittrige Hand fand ihren Weg zu seinen Augen und er bedeckte sie mit ihr. Severus fühlte sich ausgelaugt, abgezehrt. Auch ohne Traumdeutung wusste er, dass sich Vergangenheit und Zukunft in seinem Traum verarbeitet sehen wollten.
Der schönste Moment war der gewesen, dachte Severus, als Lily ihn zum Spielen aufgefordert hatte. Er schluckte kräftig, um den Kloß im Hals hinunterzuspülen, doch gleich darauf fühlte es sich so an, als wäre sein Herz verknotet.
Es wird immer da bleiben.
Zuletzt geändert von Muggelchen am 02.02.2011 00:33, insgesamt 3-mal geändert.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
~ Muggelchen.net ~
~ Muggelchen.net ~
Hallo Muggelchen,
wieder mal ein wirklich großartiges Kapitel! Diese wirre Traumdarstellung ist etwas, was du offensichtlich genauso gut beherrschst wie alles Andere auch.
Und dann das Ende- "Es wird immer da bleiben"- hm... Alles sehr spannend, ich bin nach wie vor total begeistert von dieser FF und habe immer noch keine gefunden, die sich meiner Meinung nach wirklich mit ihr messen könnte.
Ich schätze, ich werd dann gleich mal die Homepage wechseln und weiterlesen
Gratuliere übrigens noch herzlich zu deinen Preisen! Hast du dir natürlich beide mehr als verdient.
Liebe Grüße
Jupiter
wieder mal ein wirklich großartiges Kapitel! Diese wirre Traumdarstellung ist etwas, was du offensichtlich genauso gut beherrschst wie alles Andere auch.

Ich schätze, ich werd dann gleich mal die Homepage wechseln und weiterlesen

Gratuliere übrigens noch herzlich zu deinen Preisen! Hast du dir natürlich beide mehr als verdient.
Liebe Grüße
Jupiter
- Muggelchen
- Eule
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- Registriert: 07.06.2008 22:29
- Wohnort: Gemälde im 1. Stock
Hallo Jupiter,
die Traumdarstellung ging mir leicht von der Hand, weil ich über vier Jahre lang persönliche Traumbücher geführt habe. :) Das mit dem "Es wird immer bleiben" hat später noch eine Bedeutung, aber das wirst du später lesen können. Vielen Dank für das Lob. Ich freue mich wirklich, wenn es so viel Spaß macht, die FF zu lesen. So so, dann wechselst du jetzt die Seiten? Kannst es wohl nicht abwarten.
Vielen Dank auch für die Glückwünsche. Ein Leserpreis bedeutet mir weit mehr, als wenn der Preis von anderen Autoren gekommen wäre.
Lieben Gruß,
Muggelchen
126 Malfoy Manor
Ein zweites Mal an diesem Freitag kam Hermine bei Severus vorbei, um den Hund abzuholen. Es war diesmal keine schwarze Weste, die auf der Couch lag, sondern er selbst. Sie reckte den Hals, um erkennen zu können, ob er schlief, aber da er eine Armbeuge über die Augen geworfen hat, sah sie leider gar nichts, so dass sie einfach den Hund anleinte und beim Hinausgehen extra viel Lärm machte, damit er nachher hoffentlich wach sein würde.
Das Geräusch einer knallenden Tür weckte Severus. Sein Hund, der ansonsten immer seine Nähe suchte, war nicht da, weswegen er davon ausgehen musste, dass Harry oder Hermine ihn dösend auf der Couch vorgefunden hatte. Obwohl er bereits so viel geschlafen hatte, war Severus noch immer müde. Zum Aufstehen fehlte ihm die Lust. Er war völlig antriebslos und wurde zudem von einer inneren Unruhe geplagt. Das Gefühl, viel erledigen zu müssen, hatte sich in ihm ausgebreitet, doch wenn er begann, über mögliche Arbeiten nachzudenken, dann verschwand die Motivation, auch nur einen Finger krumm machen zu wollen.
Auf ihrem Weg traf Hermine auf Draco, der ihr unerwartet während des Spazierganges Gesellschaft leistete. Natürlich durchschaute sie ihn. Er wollte etwas, denn sonst würde er sich nicht an ihren Fersen heften und so dauerte es nicht lange, bis er fragte: „Eine Ahnung, was mit Severus ist? McGonagall hat ihn heute vertreten, aber aus ihr war nichts herauszukriegen.“
Während sie durch den Schnee stapften und der Hund hier und da sein Territorium markierte, antwortete sie kurz und knapp: „Er schläft.“
Weil er mit so einer Antwort überhaupt nicht gerechnet hatte, wiederholte Draco entgeistert: „Er schläft?“
„Ja, er schläft. Albus schien heute früh sehr besorgt, als er nicht bei der Lehrerversammlung war. Er ist nach unten gegangen und kam eine Viertelstunde später zurück; erzählte uns allen dann, er hätte ja ganz vergessen, dass Severus einen Urlaubstag genommen hätte.“ Draco schnaufte ungläubig, so dass Hermine bestätigte: „Harry und ich glaube es auch nicht. Ach ja, ich habe deine Mutter vorhin bei ihm getroffen. Ich wollte mit dem Hund raus und sie wollte sich von Severus verabschieden.“
„Ja, heute ist der 21. November. Malfoy Manor ist freigegeben worden und meine Mutter kann es kaum noch erwarten.“ Etwas wehmütig fügte er ehrlich hinzu: „Ich denke, es wird ihr nicht gefallen. Unser Haus ist sehr düster.“ Bevor er noch von Gefühlen ergriffen erzählen würde, wie viele schlechte Erinnerungen er mit Malfoy Manor in Zusammenhang brachte, wechselte er wieder das Thema und fragte: „Hast du Severus heute schon gesehen?“
„Er lag eben auf der Couch und hat geschlafen“, sagte sie ehrlich.
„Das ist nicht er“, beteuerte Draco skeptisch. „Severus ist ein Frühaufsteher!“ Weil sie ihn fragend anblickte, erzählte er: „Er hat sich immer nach mir zu Bett begeben und er war immer vor mir wach. Manchmal hatte ich das Gefühl, er würde überhaupt nicht schlafen.“
Hermines Gedanken überschlugen sich, denn wenn ihre Theorie richtig sein würde, dann würde es mit Severus eventuell gerade bergauf gehen. Schlaf war ein wichtiger Prozess im Leben, ein lebensnotwendiger noch hinzu. Wenn Severus seit zwanzig Jahren immer viel zu wenig geschlafen haben sollte, weil er aufgrund seines Zustands einfach nicht mehr Erholung benötigte, dann würde sein urplötzliches Schlafbedürfnis bedeuten, dass er sich langsam seinem eigentlichen Normalzustand näherte.
„Tüftelst du wieder was aus?“, fragte Draco gelassen, weil er fest davon ausging.
Beide blieben kurz stehen, weil der Hund sein Geschäft verrichten wollte und derweil gab sie offen zu: „Ich komme einfach nicht voran. Was du gestern gesagt hast, kann ich auch nicht einordnen.“
„Was meinst du? Dass Voldemort nichts bei Severus hatte fühlen können wie bei allen anderen? Vergiss nicht, dass er sehr gut in Okklumentik ist. Ich habe ja nie gewusst, dass Severus ein Spion für Dumbledore war, denn das hat er auch vor mir gut verbergen können. Es ist ja nichts Neues, wenn ich behaupte, dass er seine Gefühle völlig im Griff hat.“
„Ich glaube viel mehr, dass Severus seine Gefühle nur so gut im Griff hat, weil kaum noch welche vorhanden sind“, gab sie preis.
„Hast du mal seinen Patronus gesehen? Diesen riesigen Vogel?“, verteidigte Draco seinen Patenonkel.
„Das waren lediglich Erinnerungen an glückliche Momente.“
Draco wollte nicht auf Severus sitzen lassen, dass dieser kaum Gefühle haben sollte, so dass er erzählte: „Aber die Gefühle, die diese Erinnerungen in einem wachrufen, sind doch der Kern für einen Patronus! Du brauchst nicht denken, dass er keine Gefühle hat, nur weil er sie gerade dir nicht zeigen will!“ Draco hatte bemerkt, dass er sich ein wenig im Ton vergriffen hatte und fuhr daher mit ruhigere Stimme fort: „Er kann mit Worten Hoffnung gegeben, aber er hat mich nur einmal umarmt, als ich…“
Dass er seine Mutter und seinen Vater vermisst hatte, wollte er vor ihr nicht zugeben. Verzweifelt suchte Draco nach Synonymen, um seine Erfahrungen weniger persönlich klingen zu lassen. Es lag ihm nicht, mit Hermine so persönlich über sich zu reden.
„Als ich geglaubt habe, meine Eltern niemals wieder sehen zu können. Er hat mich außerdem einmal geohrfeigt, als er sauer auf mich war.“
Nach dieser Ohrfeige hatte Draco nie wieder das Wort „Schlammblut“ in den Mund genommen.
„Erzähl mir also nicht, er hätte kaum Gefühle“, sagte er wieder grantiger, als wollte er ihr vorwerfen, seinen Patenonkel als Monster dargestellt zu haben. „Er hat sie, aber er zeigt sie selten; hatte ja auch einen guten Grund dazu! Das zusammen mit seinen Fähigkeiten in Okklumentik und schon war Voldemort geblockt.“
„Hör mal, ich will Severus doch nicht herabsetzen, wenn ich so etwas laut vermute“, sagte sie beschwichtigend, denn ihr war nicht entgangen, dass Draco es einfach nicht wahrhaben wollte.
Langsam schlugen sie wieder den Rückweg ein, als Hermine fragte: „Weißt du eigentlich, wann Severus sich Voldemort angeschlossen hatte?“
Schnippisch entgegnete er: „Nein, und ich denke nicht, es wäre ihm recht, wenn du solche privaten Dinge in Erfahrung bringst.“
Sie seufzte, bevor sie desillusioniert sagte: „Ich dachte, die Zeiten wären vorbei, in denen wir so miteinander umspringen.“
Nur ein wenig reumütig erklärte Draco: „Er hat so viel geopfert…“
Draco erinnerte sich daran, dass Severus sehr viele Leben gerettet hatte, seines inklusive. Manchmal war es ihm so vorgekommen, als würde Severus wenig Wert auf das eigene Leben legen.
Leise fügte Draco hinzu: „Ich bin ihm so viel schuldig. Ich will doch nur, dass es ihm gut geht.“
„Das will ich doch auch“, versicherte Hermine und musste sich nicht einmal dabei ein Lächeln erzwingen, denn es zauberte sich ganz von allein auf ihre Lippen.
Wegen der Kälte verschränkte Draco die Arme vor seiner schmalen Brust, bevor er sagte: „Er hat viele Facetten. Ich kenne ihn kaltherzig und auch niedergeschlagen. Was, wenn er bestimmten Menschen wohl überlegt seine Gesichter zeigt, weil er nichts anderes von sich preisgeben möchte?“ Der ganzen Situation absichtlich nur wenig Bedeutung beimessend sagte er hochnäsig: „Er zeigt sich so, wie er gesehen werden will. Ich finde, man sollte da nicht zu viel hineininterpretieren.“
Ungläubig stieß Hermine Luft durch die Nase aus, bevor sie sehr aufgebracht konterte und sich derweil nicht von ihm unterbrechen ließ: „Du willst dir also einfach einreden, dass gar nichts mit ihm ist? Dabei hast du neulich noch ganz anders geklungen, Draco! Schon vergessen, wie er auf das reagiert hat, was du gesagt hattest? Ich werde jedenfalls nicht einfach die Augen verschließen und mir weismachen, dass schon alles irgendwie in Ordnung kommen wird. Er ist ja nicht erst seit Voldemorts Tod so. Du hast ja erzählt, dass du seinen Zustand in den fünf Jahren zeitweise durchaus als niedergeschlagen bezeichnen würdest. Ich weiß jedenfalls, wohin so ein über mehrere Jahre anhaltendes, seelisches Tief führen kann und dazu werde ich es wirklich nicht kommen lassen!“
Ein Stich im Herzen rüttelte Draco wach, denn die Erinnerungen daran, wie sich Severus und er während ihrer Flucht stets gegenseitig aus ihrer Melancholie herausgeholfen hatten, wurden wiedererweckt. Nicht nur Severus, sondern vornehmlich er selbst war so am Boden zerstört gewesen, dass er innig gehofft hatte, an dem Tag der Schlacht vor Hogwarts nicht mit dem Leben davonzukommen. Draco schluckte den Kloß hinunter, der sich in seinem Hals gebildet hatte und es war ihm unangenehm, als er bemerkte, dass es gut hörbar gewesen war, doch Hermine zog ihn deswegen nicht auf, sondern blickte verständnisvoll zu ihm hinüber.
Mit einem Moment der Stille wollte er ihr verdeutlichen, dass er seine Meinung darüber geändert hatte und er ihr zustimmte.
Mit ruhiger Stimme wollte er wissen: „Darf ich dich fragen, warum du dich so kümmerst?“
Stutzend wiederholte Hermine die Frage in Gedanken und sie versuchte, eine Antwort auf sie zu finden. Warum kümmerte sie sich so? Es hatte nur als kleines „Abenteuer“ begonnen. Harry hatte sie auf Severus’ seltsames Verhalten aufmerksam gemacht; man hat miteinander über den ehemaligen Lehrer geredet und Vermutungen angestellt. Ein wenig später war sie selbst mit Severus’ Anderssein konfrontiert worden und es war ein unwirkliches, aber willkommenes Moment gewesen, diesen Mann von einer ganz anderen Seite kennen zu lernen.
„Schon gut, du musst nicht antworten“, sagte er. Bevor sie sich rechtfertigen konnte, hatte Draco bereits die Turmuhr gesehen und sagte sehr gelassen: „Hoppla, da bin ich doch tatsächlich schon zehn Minuten zu spät zum Unterricht.“
Wie Hermine an der Uhrzeit erkannte, war sie durch ihre Begleitung viel länger mit dem Hund unterwegs gewesen als sonst.
„Bei wem hast du jetzt?“, wollte sie wissen.
„Bei Harry. Ich denke, er wird mir fünf Punkte abziehen.“ Draco seufzte. „Das macht den Kohl auch nicht mehr fett. Nachdem Severus mir 170 Punkte abgezogen hat, hinkt Slytherin sowieso hinterher. Wir sind so wenige, dass wir ewig brauchen würden, um allein meinen Punkteverlust wieder ausgleichen zu können.“ Er hob und senkte gleichgültig die Schultern, bevor er noch anfügte: „Wir können nicht einmal ein Quidditch-Team aufstellen.“
„Um Punkte zu bekommen, könnt ihr anderen helfen. Ginny gibt zum Beispiel einigen Ravenclaws und Hufflepuffs Nachhilfe in Zauberkunst und bekommt dafür regelmäßig ein paar Punkte für ihr Haus“, gab Hermine als Ratschlag.
Er blickte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue an und sagte: „Ich denke nicht, dass irgendein Schüler bei mir Nachhilfe in Zaubertränken nehmen möchte.“
„War ja nur eine Idee“, winkte sie ab. „Du solltest gehen, damit Harry dir nicht noch mehr Punkte abzieht.“
„Würde er nicht. Er hat nie einem Schüler mehr als fünf Punkte fürs Zu-spät-Kommen abgezogen. Aber du hast Recht: Ich werde seine Geduld lieber nicht strapazieren.“ Bevor Draco losrannte, sagte er noch ein wenig verlegen: „Wäre nett, wenn du mich trotzdem auf dem Laufenden halten würdest. Oder wenn du Fragen hast…“ Er wurde sich in diesem Moment darüber bewusst, dass er vorhin ihre Frage unbeantwortete gelassen, sie deswegen so angeranzt hatte, weswegen er erklärte: „Ich weiß nicht, wann er zu den Todessern gestoßen ist. Meine Mutter könnte es wissen.“
Hermine nickte und verabschiedete sich, bevor sie ihren Weg in die Kerker einschlug.
Einerseits war es Severus ganz recht, dass er „Urlaub“ hatte, doch andererseits stelle er sich natürlich die Frage, wie bestimmte Menschen darauf reagieren würden, denn Urlaub nahmen die Lehrer in den Ferien und nicht einfach zwischendurch. Weil man so ein Verhalten von ihm nicht kannte, würde es sicherlich Fragen geben, besonders von seiner neugierigen Schülerin und kaum hatte er an sie gedacht, öffnete sich auch schon die Tür, jedoch so schnell, dass sie laut knallend an einen Schrank stieß.
„Müssen Sie sich so tollpatschig verhalten?“, herrschte er sie mürrisch an.
Sie blickte zu ihm hinüber und bemerkte, dass er noch immer nicht komplett angezogen war. Er trug keine Socken, nur seine schwarze Hose und ein weißes Hemd, dessen letzten beiden Knöpfe noch nicht geschlossen waren.
Seinen rüden Tonfall nicht beachtend, leinte Hermine gelassen den Hund ab, bevor sie erwiderte: „Ich habe mich taktisch gut überlegt verhalten, damit Sie vielleicht ’zufällig’ mal wach werden.“ Sie hing die Leine neben die Tür und blickte ihn eindringlich an, bevor sie sagte: „Sie werden mir sowieso nicht ausreichend antworten, aber trotzdem möchte ich mich erkundigen, ob es Ihnen gut geht.“
Er brummte genervt, was sie nicht zu stören schien, denn sie kam auf ihn zu und setzte sich einfach neben ihn.
„Sie haben noch gar nichts gegessen oder? Das Mittagessen in der Großen Halle ist schon vorüber. Essen wir doch einfach hier etwas“, schlug sie vor und bevor er seine Einwände kundtun konnte, weil er keinen Appetit verspürte, hatte sie auch schon eine Hauselfe gerufen und eine Bestellung aufgegeben.
Seufzend schloss er die Augen, die er gleich wieder öffnete, weil er eine Hand auf seinem linken Unterarm verspürte. Sie hatte ihn schon wenige Male berührt. Er hätte es bereits damals unterbinden müssen, damit sie es nie wieder tun würde, doch jetzt schien es dafür zu spät.
Erneut schloss er seine Augen und dachte darüber nach, wie er sie loswerden könnte, denn er wollte heute seine Ruhe haben, da bemerkte er, wie ihre Hand weiter nach unten glitt, fast unmerklich, und als er ihre Finger an seinem nackten Handgelenk spürte, da zeterte er: „Was zum Teufel machen Sie da?“
„Ich fühle Ihren Puls“, erwiderte sie mit Engelsgesicht.
Er riss seinen Arm weg und schimpfte: „Sie sind nicht meine Heilerin!“
„Nein, aber ich bin EINE Heilerin und da Sie ja weder zu Poppy noch ins Mungos…“
„Mir fehlt doch überhaupt nichts!“, wollte er ihr weismachen.
Sie zog lediglich eine Augenbraue in die Höhe, während ihre Mimik wie aus Stein gemeißelt wirkte; wie der Gesichtsausdruck eines Heilers, der dem Patienten kein Wort glaubte.
„Lassen Sie mich in Ruhe!“
„Nachdem wir Mittag gegessen haben“, erwiderte sie nüchtern. „Ich habe solchen Hunger... Wissen Sie, Severus, vielleicht sollten Sie in Zukunft wenigstens vor dem Frühstück selbst mit dem Hund rausgehen. Die frische Luft könnte Ihnen gut tun; regt den Appetit an“, empfahl sie.
Daraufhin erwiderte er nichts und sie seufzte laut, damit ihm ihr Missfallen über seine ausbleibende Antwort nicht entgehen würde.
Das Mittagessen bestand aus einer kleinen Auswahl: Gulasch, Zwiebelbraten oder Gemüseauflauf. Ohne zu fragen füllte sie einen tiefen Teller mit einer Kelle Gulasch und überreichte ihm diesen, zusammen mit einem Löffel.
Diesmal stöhnte er laut, damit sie genauso erkennen würde, wie sehr ihm ihre Fürsorge auf die Nerven ging.
„Achtung, das ist extra scharf“, sagte sie, nachdem er bereits den ersten Löffel in den Mund genommen hatte. Die Schärfe kitzelte erst seine Zunge und nachdem er geschluckt hatte, passierte einen Moment lang nichts, bis das Brennen im Rachen begann. Nichtsdestotrotz schmeckte es, doch er verspürte keine Lust auf einen kratzenden Hals und stellte daher den Teller zurück auf den Tisch.
Sie beäugte den abgestellten Teller aus den Augenwinkeln und notierte sich in Gedanken, dass er an Appetitlosigkeit zu leiden schien.
„Der Gemüseauflauf ist gut, auch kein bisschen scharf“, versicherte sie ihm.
Severus platzte der Kragen und er sagte: „Ich habe keinen Hunger und ich werde erst wieder etwas essen, wenn mir danach ist und nicht, weil Sie mich mästen wollen!“
„Einen einzigen Happen kann man ja wohl kaum als ’mästen’ bezeichnen“, stellte sie ruhig klar, auch wenn sie sich verkneifen musste zu sagen, dass sie ihn ungewöhnlich hager fand.
Mit angespannt säuselnder Stimme bat er: „Wenn Sie die Güte hätten, mich nun allein zu lassen?“
Ihr Löffel stoppte auf halben Weg zum Mund, bevor sie ein wenig empört fragte: „Sie werfen mich raus, noch während ich beim Essen bin?“
Durch zusammengebissene Zähne sagte er: „Sie haben sich selbst eingeladen! Mir ist nicht nach Gesellschaft und ich verspüre keinen Drang, Mittagessen zu mir zu nehmen.“
Hermine stellte ihren Teller auf dem Tisch ab und er hoffte bereits, dass sie seiner Bitte ohne weitere Widerworte nachkommen würde, da sagte sie: „Mrs. Malfoy wollte sich heute morgen persönlich von Ihnen verabschieden. Sie hatte befürchtet, es würde einen schlechten Eindruck hinterlassen, würde sie ohne ein Wort einfach gehen.“
Er hatte sich wieder beruhigt. Severus schien gedankenverloren und sogar etwas traurig über das, was Hermine gesagt hatte.
Sich einen Ruck gebend fragte sie mit warmer Stimme: „Draco bleibt hier wohnen oder? Er ist doch Schüler.“
Mit müden Augen blickte er sie an, bevor er antwortete: „Mrs. Malfoy hatte mich darüber unterrichtet, dass er hier bleiben würde und zwar aus jenem Grund, den Sie gerade genannt haben.“
„Sind Sie deswegen so übel gelaunt? Weil Mrs. Malfoy nicht mehr hier sein wird?“, fragte Hermine mutig. Er seufzte erneut, antwortete jedoch nicht, so dass Hermine gleich noch erklärte: „Ich wäre traurig, wenn Harry hier aufhören würde und er nicht mehr da wäre. Ihnen geht es bestimmt ähnlich. Sie sind ja sehr vertraut mit Mrs. Malfoy.“
Wiederholt überlegte er, was er tun könnte, damit Hermine einfach nur gehen würde, doch ihm fiel nichts ein, was nicht mit dem Verlust von Körperteilen in Zusammenhang gebracht werden konnte.
„Wissen Sie“, begann Hermine, während sie sich und ihm einen Tee einschenkte, „Mrs. Malfoy können Sie doch jederzeit besuchen. Und es ist ja nicht so, als hätten Sie hier niemanden mehr. Albus und Draco sind noch da und Harry, na ja, und ich.“
„Mrs. Malfoy hat sich wenigstens niemals so aufdringlich verhalten wie Sie“, giftete er zurück.
Auch diesen Vorwurf steckte sie einfach weg und erklärte daraufhin: „Ich mache mir halt Sorgen und Sie reden ja mit niemandem.“ Schüchtern reichte sie ihm seine Tasse und sagte derweil: „Ich bin nicht die Einzige, der es komisch vorkam, dass Sie heute früh gefehlt haben. Minerva und Harry fanden es auch ungewöhnlich, dass Sie nicht auf der Lehrerversammlung waren und als Albus von Ihnen zurückgekommen war…“
Er unterbrach verdutzt: „Albus war hier?“
Sie nickte. „Ich dachte, er hätte mit Ihnen gesprochen?“
Er verneinte wortlos und nahm einen Schluck Tee, während er daran dachte, dass Albus ihn aufgesucht haben sollte. Sein alter Freund wäre sicherlich zu ihm ins Schlafzimmer gegangen. Zu schade, dachte Severus, dass er nicht wusste, ob er im Schlaf sprechen würde.
„Ich glaube“, sagte Hermine peinlich berührt, „Mrs. Malfoy hatte einen falschen Eindruck von uns.“
Er runzelte die Stirn und fragte: „Inwiefern?“
„Ähm, sie dachte wohl, unsere Freundschaft wäre etwas inniger“, sagte sie, während ihre Wangen zu glühen begangen. Sie schob es auf den heißen Tee, der sie innerlich aufheizte und trank gleich aus Verlegenheit einen großen Schluck.
Narzissa war vor über vier Stunden in Malfoy Manor angekommen. Schon am großen, eisernen Tor hatte sie Halt machen müssen, um die Schutzzauber ihrer Familie zu durchbrechen. Der leicht bewaldete Weg zum Herrenhaus hatte romantische Erinnerungen an eine gute Zeit in ihr aufkommen lassen, auch wenn die Bäume jetzt im Winter kein Laubkleid trugen. Ernüchternd war jedoch der Anblick der Fläche um das Herrenhaus herum gewesen, denn die vielen Erdhügel und –löcher ließen erahnen, dass der Boden mit Gnomen verseucht sein musste.
Es war nicht leicht gewesen, sich Zutritt zum Herrenhaus zu verschaffen, denn neben den Schutzzaubern, die das Ministerium gelegt hatte und die sich mit dem heutigen Tage verflüchtigt hatten, war das Haus auch noch durch die eigenen Magiewälle geschützt, die Lucius und sie damals selbst erdacht und angewandt hatten. Nur wenigen Vertrauten war es damals möglich gewesen, ohne einen Schaden diese Schutzzauber passieren zu dürfen. Es hatte sie zwei Stunden gekostet, sich an alle Zauber erinnern zu können, um endlich den Weg nach drinnen nicht nur zu ermöglichen, sondern den viel zu starken Schutzmechanismus völlig außer Kraft zu setzen. Ein einzelner Zauber zum Schutze des Heimes sollte genügen; zwanzig waren in einer Zeit des Friedens definitiv nicht mehr notwendig.
Sie streifte mittlerweile in Erinnerungen schwelgend durch die Räume und stellte mit Abscheu fest, dass es hier drinnen düster und wenig heimelig war, obwohl ihr nichts fremd vorkam. Die Einrichtung war in dunklen Farben gehalten: die Wände, der Boden, die schweren Gardinen und die Möbel. Damit Sonnenlicht hereinscheinen konnte, hatte Narzissa die dunkelroten Samtvorhänge aufgezogen, was zur Folge hatte, dass ein paar tote Doxys aus den Falten des schweren Stoffes zu Boden gefallen waren. Das eindringende Sonnenlicht wurde sogleich von den schwarzen Wänden verschluckt, so dass der Raum noch immer unbeleuchtet wirkte. Staub hatte sich überall fingerdick angesammelt und die Fensterrahmen waren angelaufen. Narzissa ekelte sich vor dem vielen Schmutz.
Im „grünen Salon“ – den Raum hatten ihr Mann und sie so getauft, weil es hier kaum eine andere Farbe zu sehen gab – stachen sofort die einst hellgrünen und jetzt welken Pflanzen ins Auge. Die aufgewühlte Erde der Blumentöpfe wies kleine schwarze Eierschalen auf und so wusste Narzissa, dass dieses Haus mit Doxys verseucht sein musste. Andererseits könnte es schon sehr lange her sein, als die letzten Schädlinge geschlüpft waren, denn sicherlich würde das hartnäckigste Ungeziefer nach etlichen Jahren keine Nahrung mehr finden.
Seufzend entschloss sich Narzissa dazu, nicht das gesamte Haus zu inspizieren, denn weil es zu dieser Jahreszeit bereits am späten Nachmittag dunkel werden würde, sollte mindestens ein Badezimmer und das eheliche Schlafzimmer in einem guten Zustand sein, so dass sie diese Räume nutzen konnte. So krempelte sie die Ärmel ihres Kleides bis zum Ellenbogen hinauf und machte sich daran, mit ihrem Zauberstab und zig notwendigen Sprüchen das Badezimmer auf Vordermann zu bringen.
In den Kerkern saß Hermine noch immer bei Severus und sie hatte ihre erste Portion Gulasch einfach still aufgegessen. Mit einem Stück Weißbrot erhaschte sie den letzten Rest vom Teller, während er nur wortlos auf der Couch saß und sich fragte, warum sie einfach nicht zu vertreiben war.
„Sind Sie jetzt satt?“, fragte er spöttisch. Nur um ihn zu ärgern griff sie nach einem Schälchen mit Dessert, so dass er mit den Augen rollte. „Gut, während Sie sich Ihrer Süßspeise ergeben, möchte ich Ihnen ein kleines Geheimnis anvertrauen.“ Sie blickte ihn erwartungsvoll an und war ganz Ohr, doch er sagte lediglich: „Albus hat sein Leben und auch das von Black mit dem ’Elixier des Lebens’ erhalten.“
Hermine blinzelte, bevor sie fragte: „Ich dachte, Flamel hätte den letzten Rest von dem Elixier.“
„Hat er auch, aber Albus hat sich das Elixier neu beschafft“, eröffnete er ihr.
Mit gerunzelter Stirn kombinierte sie: „Das würde doch dann aber bedeuten, dass Albus den ’Stein der Weisen’ besitzt, aus dem er das Elixier gewinnen kann.“
„Gratulation! Hat bei Ihnen gar nicht mal so lange gedauert wie ich gedacht habe.“
Sie schmollte einen Moment, doch dann fragte sie: „Woher wissen Sie das?“
„Er hat es mir anvertraut.“
„Wann?“, fragte sie sofort nach.
„Gestern Abend und im Übrigen hat er mir noch verraten, dass gestern Abend auch das letzte Treffen des Phönixorden stattgefunden haben soll.“ Bevor sie wieder fragen konnte, erzählte er von sich aus: „Sie wollten den Orden auflösen, weil sich meine Befürchtungen bezüglich der ausgebremsten Handlungsfähigkeit des Ordens bestätigt zeigten.“
„Erstaunlich!“, sagte Hermine ein wenig baff.
Wieder zum vorigen Thema wankend fragte sie: „Und wo bewahrt er den Stein auf? Ich meine, hatte er keine Angst, dass Voldemort davon erfährt?“
„Ich habe keine Ahnung, wo er ihn versteckt hält. Um Voldemort hat er sich jedenfalls nicht gesorgt.“
„Na, bei den Neuigkeiten hat es sich doch gelohnt, heute bei Ihnen vorbeizuschauen.“ Sie lächelte breit, doch er schnaufte nur abfällig. „Sagen Sie, Severus, machen wir heute was oder wollen Sie den Tag lieber für sich haben?“
Ohne sie anzublicken sagte er: „Eigentlich hatte ich für heute ein Treffen wegen meines Experimentes arrangiert. Sie schrieben, dass Sie für heute einen Squib eingeladen haben?“ Hermine nickte, so dass er noch anfügte: „Ich hoffe, wir bekommen es zeitlich unter einen Hut. Sanguini und Worple werden heute am frühen Abend zu uns stoßen.“
„Bella kommt…“ Hermine hielt inne, weil Severus sie mit Entsetzen in den Augen anblickte. Sie verbesserte: „Arabella kommt in einer Stunde, beziehungsweise hole ich sie ab und appariere mit ihr vor die Tore.“
„Haben Sie auch andere Squibs im Auge?“, wollte er wissen.
„Ich kenne ehrlich gesagt keine anderen, bis auf Mr. Filch, aber ich denke nicht, dass ich ihn fragen möchte“, erwiderte sie ehrlich.
Er brauchte nicht lange nachzudenken, sondern schlug vor: „Fragen Sie Ihre alten Klassenkameraden. Ich bin mir sicher, irgendjemand kennt noch einen, der sich bestimmt für dieses Experiment zur Verfügung stellen möchte. Wie sieht es mit Muggeln aus?“
„Ich habe natürlich zuerst an meine Eltern gedacht, aber da beide ja mit mir in die Winkelgasse gehen konnten, muss ich davon ausgehen, dass meine Magie sie möglicherweise schon irgendwie beeinflusst hat. Bei Anne sieht das genauso aus. Ich müsste einen Muggel finden, der noch nie mit der Zaubererwelt in Berührung gekommen ist.“
„Das, Hermine, wird wohl kaum möglich sein, denn das würde gegen das Gesetz zum Schutz der Muggel und gleichzeitig auch gegen jenes zum Schutz der Zaubererwelt verstoßen. Wir müssen schon mit Ihren Eltern und mit Miss Adair Vorlieb nehmen. Das wären dann drei für Ihre Abschlussarbeit über den Trank“, sagte er gewissenhaft.
„Seit wann kümmern Sie sich um Gesetze?“, fragte sie nörgelnd und er blickte sie daraufhin nur finster an.
Trotz seiner miserablen Stimmung zwang sich Severus dazu, dem Experiment mit Arabella beizuwohnen. Gern wäre er allein geblieben, um den ganzen Tag, nein, besser das ganze Wochenende im Bett oder auf der Couch zu verbringen. Heute Abend wieder während seines Rundganges auf den Dachboden gehen zu müssen ließ ihn erschaudern. Sich ständig mit der Möglichkeit konfrontiert zu sehen, seinen größten Wunsch erspähen zu können, erweckte eine solche Schwermut in ihm, die er nicht mehr zu überspielen imstande war. Selbst seine Schülerin hatte sehen können, dass es er nicht wohlauf war und das durfte nicht sein. Nur deshalb riss sich Severus zusammen und bereitete das Experiment vor, während Hermine ihre alte Freundin Arabella Figg aus der Muggelwelt abholte.
Mit seinen Gedanken war Severus nicht hier in seinem Labor, sondern oben auf dem Dachboden. Die quälende Frage beschäftigte ihn, ob er das sehen würde, was er sich erhoffte, doch gleichzeitig fürchtete er den Schmerz, den der Anblick der Spiegelung in Nerhegeb in ihm auslösen würde.
„Severus?“, fragte Hermine unwirsch. Er blickte sie mit betrübten Augen an, so dass sie ihre harschen Worte bereute. Mit weitaus milderer Stimme sagte sie: „Ich hatte gefragt, ob Sie bereit wären. Arabella würde den Trank jetzt nehmen.“
Blinzelnd schaute er vor sich und erblickte die nette alte Dame, die ihn anlächelte. Die Ankunft der beiden hatte er gar nicht wahrgenommen.
„Ich bin bereit. Arabella, wenn Sie den Trank einnehmen würden?“, fragte Severus angestrengt höflich. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er, wie Hermine ihn skeptisch betrachtete.
Arabella Figg, seit Geburt eine Squib, nahm den Trank und Hermine stoppte wie üblich die Zeit.
Nach zehn Minuten sagte Hermine enttäuscht: „Da passiert überhaupt nichts.“
„Tut mir Leid, dass ich eine Enttäuschung bin“, sagte Arabella entschuldigend.
„Ach nein, so war das doch gar nicht gemeint“, winkte Hermine lächelnd ab. „Es ist nur… Ich habe fest damit gerechnet, dass irgendwas geschehen würde.“ Sie seufzte und blickte zu Severus hinüber, der geistesabwesend auf sein leeres Blatt Pergament starrte und fragte ihn: „Irgendeinen Vorschlag, Severus?“ Er regte sich nicht. „Severus?“, wiederholte sie mehrmals wie schon vorhin. Vor Arabella war es ihr unangenehm, dass er sich so distanziert und uninteressiert zeigte. „SEVERUS“, sagte sie laut und er schreckte hoch. „Sie hören mir überhaupt nicht zu! Ich habe gefragt, ob Sie eine Idee haben. Bei Arabella scheint der Trank nicht zu wirken.“
„Geben Sie ihr doch einfach Ihren Zauberstab“, sagte er mit matter Stimme.
Sein Vorschlag hielt ihr vor Augen, dass auch sie heute nicht ganz bei der Sache war, denn darauf hätte sie auch selbst kommen können. Sie ging hinüber, um Arabella ihren Zauberstab zu geben und dann…
„Ich fasse es nicht. Severus, sehen Sie das?“, fragte Hermine verdutzt.
Von dem beigefarbenen Ton des leeren Pergamentes aufblickend betrachtete Severus das Schauspiel vor sich. Arabellas Körper war noch immer frei von Farbe, bis auf ihren rechten Arm, der einen ganz leichten, kaum wahrnehmbaren Schimmer Orange aufwies. Orange war auch eine der kräftigsten Farben bei Hermine gewesen.
„Ob der Stab…? Es kann nur so sein, dass der Stab ihr meine Farben gibt oder was meinen Sie?“, fragte sie aufgeregt.
„Das können wir leicht überprüfen“, sagte er mit etwas mehr Elan als zuvor.
Er griff in seine Innentasche und zog seinen Stab aus Weiß-Birke heraus. Hermine nahm ihm den Stab ab, ging zu Arabella hinüber und tauschte die Stäbe aus, doch die Farbe am Arm blieb mit Severus’ Stab ebenfalls Orange.
„Heißt das, es ist ein wenig Magie in Arabella vorhanden, die erst durch einen magischen Gegenstand, in diesem Fall einem Zauberstab, aktiviert wird?“, stellte Hermine als These in den Raum.
„Möglich wäre es, aber wir müssen das natürlich noch an anderen Personen testen“, erwiderte Severus
Arabella betrachtete den hellen Stab in ihrer Hand und die Farbe, die er zum Vorschein bringen konnte, bevor sie freundlich lächelnd sagte: „Der Stab gefällt mir. Ist sehr hübsch und liegt gut in der Hand.“
Ohne von seinem Pergament aufzublicken, auf welchem er endlich Notizen machte, sagte Severus wenig schmeichelnd: „Machen Sie sich keine große Hoffnung, Sie werden nie einen bekommen.“
Über diesen Kommentar war Hermine völlig empört, doch sie sagte nichts. Arabella hingegen schien sich gar nicht daran zu stören. Nach dreißig Minuten war das Experiment vorbei und Hermine brachte Arabella vor die Tore Hogwarts, um mit ihr nachhause zu apparieren.
Es war schon dunkel, als sie in hinteren Garten von Arabellas Haus angekommen waren, da sagte Hermine reumütig: „Es tut mir so Leid, was Severus gesagt hat. Bitte entschuldigen Sie…“
Arabella lachte, bevor sie erklärte: „Wenn er denkt, er könnte mich damit verletzen, dann liegt er falsch. Ich bin schon eine alte Frau, Hermine. Ich habe mich vor vielen Jahrzehnten damit abgefunden, nicht wie meine Eltern und Geschwister zaubern zu können.“
„Seine Bemerkung war trotzdem fehl am Platz“, sagte Hermine entschuldigend, während sie mit Arabella zur Tür ging.
„Ich bin froh, wenn ich ein wenig helfen konnte, meine Gute. Halten Sie mich bitte auf dem Laufenden, falls ich nicht sowieso bald etwas über Sie im Tagespropheten lesen werde“, bat Arabella lächelnd, bevor sie sich nochmals für den abwechslungsreichen Tag bedankte und sich verabschiedete.
Wenige Minuten später war Hermine bereits wieder auf dem Weg in die Kerker. Die Wut darüber, dass Severus ihre gute Bekannte so böse diskriminiert hatte, kochte in ihrem Bauch und wartete nur darauf, sich bei Severus entladen zu können. Stürmisch öffnete sie die Tür zu seinem Labor und stutzte, als sie dort niemanden antraf. Es war gerade mal halb zwei durch. Worple und Sanguini würden zu 18 Uhr kommen, doch wo war Severus jetzt? Sie warf einen Blick in sein privates Büro, doch auch hier traf sie ihn nicht an.
Auf dem Flur ging sie eine Tür weiter und Salazar öffnete ihr. Harry wedelte mit dem Schwanz, als er sie erkannte, doch von Severus war im Wohnzimmer keine Spur. Mutig ging sie zur leicht geöffneten Schlafzimmertür hinüber und dort sah sie ihn liegen. So, wie sie ihn heute Morgen schon angetroffen hatte, lag er auch jetzt nur mit Hose und weißem Hemd auf seinem Bett, den Rücken ihr zugewandt. Ob er schlief, konnte sie nicht ausmachen.
Eine Weile stand sie im Türrahmen und überlegte, ob sie ihn ansprechen durfte. Er hatte sich den ganzen Tag schon seltsam verhalten und da sie Harrys und Rons Aussage für bare Münze nahm, konnte sie davon ausgehen, dass er gestern Abend schon so gelaunt war.
„Severus?“, fragte sie leise ins Schlafzimmer hinein. Er regte sich nicht, so dass sie das Zimmer mit einem Gefühl der Sorge verließ.
die Traumdarstellung ging mir leicht von der Hand, weil ich über vier Jahre lang persönliche Traumbücher geführt habe. :) Das mit dem "Es wird immer bleiben" hat später noch eine Bedeutung, aber das wirst du später lesen können. Vielen Dank für das Lob. Ich freue mich wirklich, wenn es so viel Spaß macht, die FF zu lesen. So so, dann wechselst du jetzt die Seiten? Kannst es wohl nicht abwarten.

Lieben Gruß,
Muggelchen
126 Malfoy Manor
Ein zweites Mal an diesem Freitag kam Hermine bei Severus vorbei, um den Hund abzuholen. Es war diesmal keine schwarze Weste, die auf der Couch lag, sondern er selbst. Sie reckte den Hals, um erkennen zu können, ob er schlief, aber da er eine Armbeuge über die Augen geworfen hat, sah sie leider gar nichts, so dass sie einfach den Hund anleinte und beim Hinausgehen extra viel Lärm machte, damit er nachher hoffentlich wach sein würde.
Das Geräusch einer knallenden Tür weckte Severus. Sein Hund, der ansonsten immer seine Nähe suchte, war nicht da, weswegen er davon ausgehen musste, dass Harry oder Hermine ihn dösend auf der Couch vorgefunden hatte. Obwohl er bereits so viel geschlafen hatte, war Severus noch immer müde. Zum Aufstehen fehlte ihm die Lust. Er war völlig antriebslos und wurde zudem von einer inneren Unruhe geplagt. Das Gefühl, viel erledigen zu müssen, hatte sich in ihm ausgebreitet, doch wenn er begann, über mögliche Arbeiten nachzudenken, dann verschwand die Motivation, auch nur einen Finger krumm machen zu wollen.
Auf ihrem Weg traf Hermine auf Draco, der ihr unerwartet während des Spazierganges Gesellschaft leistete. Natürlich durchschaute sie ihn. Er wollte etwas, denn sonst würde er sich nicht an ihren Fersen heften und so dauerte es nicht lange, bis er fragte: „Eine Ahnung, was mit Severus ist? McGonagall hat ihn heute vertreten, aber aus ihr war nichts herauszukriegen.“
Während sie durch den Schnee stapften und der Hund hier und da sein Territorium markierte, antwortete sie kurz und knapp: „Er schläft.“
Weil er mit so einer Antwort überhaupt nicht gerechnet hatte, wiederholte Draco entgeistert: „Er schläft?“
„Ja, er schläft. Albus schien heute früh sehr besorgt, als er nicht bei der Lehrerversammlung war. Er ist nach unten gegangen und kam eine Viertelstunde später zurück; erzählte uns allen dann, er hätte ja ganz vergessen, dass Severus einen Urlaubstag genommen hätte.“ Draco schnaufte ungläubig, so dass Hermine bestätigte: „Harry und ich glaube es auch nicht. Ach ja, ich habe deine Mutter vorhin bei ihm getroffen. Ich wollte mit dem Hund raus und sie wollte sich von Severus verabschieden.“
„Ja, heute ist der 21. November. Malfoy Manor ist freigegeben worden und meine Mutter kann es kaum noch erwarten.“ Etwas wehmütig fügte er ehrlich hinzu: „Ich denke, es wird ihr nicht gefallen. Unser Haus ist sehr düster.“ Bevor er noch von Gefühlen ergriffen erzählen würde, wie viele schlechte Erinnerungen er mit Malfoy Manor in Zusammenhang brachte, wechselte er wieder das Thema und fragte: „Hast du Severus heute schon gesehen?“
„Er lag eben auf der Couch und hat geschlafen“, sagte sie ehrlich.
„Das ist nicht er“, beteuerte Draco skeptisch. „Severus ist ein Frühaufsteher!“ Weil sie ihn fragend anblickte, erzählte er: „Er hat sich immer nach mir zu Bett begeben und er war immer vor mir wach. Manchmal hatte ich das Gefühl, er würde überhaupt nicht schlafen.“
Hermines Gedanken überschlugen sich, denn wenn ihre Theorie richtig sein würde, dann würde es mit Severus eventuell gerade bergauf gehen. Schlaf war ein wichtiger Prozess im Leben, ein lebensnotwendiger noch hinzu. Wenn Severus seit zwanzig Jahren immer viel zu wenig geschlafen haben sollte, weil er aufgrund seines Zustands einfach nicht mehr Erholung benötigte, dann würde sein urplötzliches Schlafbedürfnis bedeuten, dass er sich langsam seinem eigentlichen Normalzustand näherte.
„Tüftelst du wieder was aus?“, fragte Draco gelassen, weil er fest davon ausging.
Beide blieben kurz stehen, weil der Hund sein Geschäft verrichten wollte und derweil gab sie offen zu: „Ich komme einfach nicht voran. Was du gestern gesagt hast, kann ich auch nicht einordnen.“
„Was meinst du? Dass Voldemort nichts bei Severus hatte fühlen können wie bei allen anderen? Vergiss nicht, dass er sehr gut in Okklumentik ist. Ich habe ja nie gewusst, dass Severus ein Spion für Dumbledore war, denn das hat er auch vor mir gut verbergen können. Es ist ja nichts Neues, wenn ich behaupte, dass er seine Gefühle völlig im Griff hat.“
„Ich glaube viel mehr, dass Severus seine Gefühle nur so gut im Griff hat, weil kaum noch welche vorhanden sind“, gab sie preis.
„Hast du mal seinen Patronus gesehen? Diesen riesigen Vogel?“, verteidigte Draco seinen Patenonkel.
„Das waren lediglich Erinnerungen an glückliche Momente.“
Draco wollte nicht auf Severus sitzen lassen, dass dieser kaum Gefühle haben sollte, so dass er erzählte: „Aber die Gefühle, die diese Erinnerungen in einem wachrufen, sind doch der Kern für einen Patronus! Du brauchst nicht denken, dass er keine Gefühle hat, nur weil er sie gerade dir nicht zeigen will!“ Draco hatte bemerkt, dass er sich ein wenig im Ton vergriffen hatte und fuhr daher mit ruhigere Stimme fort: „Er kann mit Worten Hoffnung gegeben, aber er hat mich nur einmal umarmt, als ich…“
Dass er seine Mutter und seinen Vater vermisst hatte, wollte er vor ihr nicht zugeben. Verzweifelt suchte Draco nach Synonymen, um seine Erfahrungen weniger persönlich klingen zu lassen. Es lag ihm nicht, mit Hermine so persönlich über sich zu reden.
„Als ich geglaubt habe, meine Eltern niemals wieder sehen zu können. Er hat mich außerdem einmal geohrfeigt, als er sauer auf mich war.“
Nach dieser Ohrfeige hatte Draco nie wieder das Wort „Schlammblut“ in den Mund genommen.
„Erzähl mir also nicht, er hätte kaum Gefühle“, sagte er wieder grantiger, als wollte er ihr vorwerfen, seinen Patenonkel als Monster dargestellt zu haben. „Er hat sie, aber er zeigt sie selten; hatte ja auch einen guten Grund dazu! Das zusammen mit seinen Fähigkeiten in Okklumentik und schon war Voldemort geblockt.“
„Hör mal, ich will Severus doch nicht herabsetzen, wenn ich so etwas laut vermute“, sagte sie beschwichtigend, denn ihr war nicht entgangen, dass Draco es einfach nicht wahrhaben wollte.
Langsam schlugen sie wieder den Rückweg ein, als Hermine fragte: „Weißt du eigentlich, wann Severus sich Voldemort angeschlossen hatte?“
Schnippisch entgegnete er: „Nein, und ich denke nicht, es wäre ihm recht, wenn du solche privaten Dinge in Erfahrung bringst.“
Sie seufzte, bevor sie desillusioniert sagte: „Ich dachte, die Zeiten wären vorbei, in denen wir so miteinander umspringen.“
Nur ein wenig reumütig erklärte Draco: „Er hat so viel geopfert…“
Draco erinnerte sich daran, dass Severus sehr viele Leben gerettet hatte, seines inklusive. Manchmal war es ihm so vorgekommen, als würde Severus wenig Wert auf das eigene Leben legen.
Leise fügte Draco hinzu: „Ich bin ihm so viel schuldig. Ich will doch nur, dass es ihm gut geht.“
„Das will ich doch auch“, versicherte Hermine und musste sich nicht einmal dabei ein Lächeln erzwingen, denn es zauberte sich ganz von allein auf ihre Lippen.
Wegen der Kälte verschränkte Draco die Arme vor seiner schmalen Brust, bevor er sagte: „Er hat viele Facetten. Ich kenne ihn kaltherzig und auch niedergeschlagen. Was, wenn er bestimmten Menschen wohl überlegt seine Gesichter zeigt, weil er nichts anderes von sich preisgeben möchte?“ Der ganzen Situation absichtlich nur wenig Bedeutung beimessend sagte er hochnäsig: „Er zeigt sich so, wie er gesehen werden will. Ich finde, man sollte da nicht zu viel hineininterpretieren.“
Ungläubig stieß Hermine Luft durch die Nase aus, bevor sie sehr aufgebracht konterte und sich derweil nicht von ihm unterbrechen ließ: „Du willst dir also einfach einreden, dass gar nichts mit ihm ist? Dabei hast du neulich noch ganz anders geklungen, Draco! Schon vergessen, wie er auf das reagiert hat, was du gesagt hattest? Ich werde jedenfalls nicht einfach die Augen verschließen und mir weismachen, dass schon alles irgendwie in Ordnung kommen wird. Er ist ja nicht erst seit Voldemorts Tod so. Du hast ja erzählt, dass du seinen Zustand in den fünf Jahren zeitweise durchaus als niedergeschlagen bezeichnen würdest. Ich weiß jedenfalls, wohin so ein über mehrere Jahre anhaltendes, seelisches Tief führen kann und dazu werde ich es wirklich nicht kommen lassen!“
Ein Stich im Herzen rüttelte Draco wach, denn die Erinnerungen daran, wie sich Severus und er während ihrer Flucht stets gegenseitig aus ihrer Melancholie herausgeholfen hatten, wurden wiedererweckt. Nicht nur Severus, sondern vornehmlich er selbst war so am Boden zerstört gewesen, dass er innig gehofft hatte, an dem Tag der Schlacht vor Hogwarts nicht mit dem Leben davonzukommen. Draco schluckte den Kloß hinunter, der sich in seinem Hals gebildet hatte und es war ihm unangenehm, als er bemerkte, dass es gut hörbar gewesen war, doch Hermine zog ihn deswegen nicht auf, sondern blickte verständnisvoll zu ihm hinüber.
Mit einem Moment der Stille wollte er ihr verdeutlichen, dass er seine Meinung darüber geändert hatte und er ihr zustimmte.
Mit ruhiger Stimme wollte er wissen: „Darf ich dich fragen, warum du dich so kümmerst?“
Stutzend wiederholte Hermine die Frage in Gedanken und sie versuchte, eine Antwort auf sie zu finden. Warum kümmerte sie sich so? Es hatte nur als kleines „Abenteuer“ begonnen. Harry hatte sie auf Severus’ seltsames Verhalten aufmerksam gemacht; man hat miteinander über den ehemaligen Lehrer geredet und Vermutungen angestellt. Ein wenig später war sie selbst mit Severus’ Anderssein konfrontiert worden und es war ein unwirkliches, aber willkommenes Moment gewesen, diesen Mann von einer ganz anderen Seite kennen zu lernen.
„Schon gut, du musst nicht antworten“, sagte er. Bevor sie sich rechtfertigen konnte, hatte Draco bereits die Turmuhr gesehen und sagte sehr gelassen: „Hoppla, da bin ich doch tatsächlich schon zehn Minuten zu spät zum Unterricht.“
Wie Hermine an der Uhrzeit erkannte, war sie durch ihre Begleitung viel länger mit dem Hund unterwegs gewesen als sonst.
„Bei wem hast du jetzt?“, wollte sie wissen.
„Bei Harry. Ich denke, er wird mir fünf Punkte abziehen.“ Draco seufzte. „Das macht den Kohl auch nicht mehr fett. Nachdem Severus mir 170 Punkte abgezogen hat, hinkt Slytherin sowieso hinterher. Wir sind so wenige, dass wir ewig brauchen würden, um allein meinen Punkteverlust wieder ausgleichen zu können.“ Er hob und senkte gleichgültig die Schultern, bevor er noch anfügte: „Wir können nicht einmal ein Quidditch-Team aufstellen.“
„Um Punkte zu bekommen, könnt ihr anderen helfen. Ginny gibt zum Beispiel einigen Ravenclaws und Hufflepuffs Nachhilfe in Zauberkunst und bekommt dafür regelmäßig ein paar Punkte für ihr Haus“, gab Hermine als Ratschlag.
Er blickte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue an und sagte: „Ich denke nicht, dass irgendein Schüler bei mir Nachhilfe in Zaubertränken nehmen möchte.“
„War ja nur eine Idee“, winkte sie ab. „Du solltest gehen, damit Harry dir nicht noch mehr Punkte abzieht.“
„Würde er nicht. Er hat nie einem Schüler mehr als fünf Punkte fürs Zu-spät-Kommen abgezogen. Aber du hast Recht: Ich werde seine Geduld lieber nicht strapazieren.“ Bevor Draco losrannte, sagte er noch ein wenig verlegen: „Wäre nett, wenn du mich trotzdem auf dem Laufenden halten würdest. Oder wenn du Fragen hast…“ Er wurde sich in diesem Moment darüber bewusst, dass er vorhin ihre Frage unbeantwortete gelassen, sie deswegen so angeranzt hatte, weswegen er erklärte: „Ich weiß nicht, wann er zu den Todessern gestoßen ist. Meine Mutter könnte es wissen.“
Hermine nickte und verabschiedete sich, bevor sie ihren Weg in die Kerker einschlug.
Einerseits war es Severus ganz recht, dass er „Urlaub“ hatte, doch andererseits stelle er sich natürlich die Frage, wie bestimmte Menschen darauf reagieren würden, denn Urlaub nahmen die Lehrer in den Ferien und nicht einfach zwischendurch. Weil man so ein Verhalten von ihm nicht kannte, würde es sicherlich Fragen geben, besonders von seiner neugierigen Schülerin und kaum hatte er an sie gedacht, öffnete sich auch schon die Tür, jedoch so schnell, dass sie laut knallend an einen Schrank stieß.
„Müssen Sie sich so tollpatschig verhalten?“, herrschte er sie mürrisch an.
Sie blickte zu ihm hinüber und bemerkte, dass er noch immer nicht komplett angezogen war. Er trug keine Socken, nur seine schwarze Hose und ein weißes Hemd, dessen letzten beiden Knöpfe noch nicht geschlossen waren.
Seinen rüden Tonfall nicht beachtend, leinte Hermine gelassen den Hund ab, bevor sie erwiderte: „Ich habe mich taktisch gut überlegt verhalten, damit Sie vielleicht ’zufällig’ mal wach werden.“ Sie hing die Leine neben die Tür und blickte ihn eindringlich an, bevor sie sagte: „Sie werden mir sowieso nicht ausreichend antworten, aber trotzdem möchte ich mich erkundigen, ob es Ihnen gut geht.“
Er brummte genervt, was sie nicht zu stören schien, denn sie kam auf ihn zu und setzte sich einfach neben ihn.
„Sie haben noch gar nichts gegessen oder? Das Mittagessen in der Großen Halle ist schon vorüber. Essen wir doch einfach hier etwas“, schlug sie vor und bevor er seine Einwände kundtun konnte, weil er keinen Appetit verspürte, hatte sie auch schon eine Hauselfe gerufen und eine Bestellung aufgegeben.
Seufzend schloss er die Augen, die er gleich wieder öffnete, weil er eine Hand auf seinem linken Unterarm verspürte. Sie hatte ihn schon wenige Male berührt. Er hätte es bereits damals unterbinden müssen, damit sie es nie wieder tun würde, doch jetzt schien es dafür zu spät.
Erneut schloss er seine Augen und dachte darüber nach, wie er sie loswerden könnte, denn er wollte heute seine Ruhe haben, da bemerkte er, wie ihre Hand weiter nach unten glitt, fast unmerklich, und als er ihre Finger an seinem nackten Handgelenk spürte, da zeterte er: „Was zum Teufel machen Sie da?“
„Ich fühle Ihren Puls“, erwiderte sie mit Engelsgesicht.
Er riss seinen Arm weg und schimpfte: „Sie sind nicht meine Heilerin!“
„Nein, aber ich bin EINE Heilerin und da Sie ja weder zu Poppy noch ins Mungos…“
„Mir fehlt doch überhaupt nichts!“, wollte er ihr weismachen.
Sie zog lediglich eine Augenbraue in die Höhe, während ihre Mimik wie aus Stein gemeißelt wirkte; wie der Gesichtsausdruck eines Heilers, der dem Patienten kein Wort glaubte.
„Lassen Sie mich in Ruhe!“
„Nachdem wir Mittag gegessen haben“, erwiderte sie nüchtern. „Ich habe solchen Hunger... Wissen Sie, Severus, vielleicht sollten Sie in Zukunft wenigstens vor dem Frühstück selbst mit dem Hund rausgehen. Die frische Luft könnte Ihnen gut tun; regt den Appetit an“, empfahl sie.
Daraufhin erwiderte er nichts und sie seufzte laut, damit ihm ihr Missfallen über seine ausbleibende Antwort nicht entgehen würde.
Das Mittagessen bestand aus einer kleinen Auswahl: Gulasch, Zwiebelbraten oder Gemüseauflauf. Ohne zu fragen füllte sie einen tiefen Teller mit einer Kelle Gulasch und überreichte ihm diesen, zusammen mit einem Löffel.
Diesmal stöhnte er laut, damit sie genauso erkennen würde, wie sehr ihm ihre Fürsorge auf die Nerven ging.
„Achtung, das ist extra scharf“, sagte sie, nachdem er bereits den ersten Löffel in den Mund genommen hatte. Die Schärfe kitzelte erst seine Zunge und nachdem er geschluckt hatte, passierte einen Moment lang nichts, bis das Brennen im Rachen begann. Nichtsdestotrotz schmeckte es, doch er verspürte keine Lust auf einen kratzenden Hals und stellte daher den Teller zurück auf den Tisch.
Sie beäugte den abgestellten Teller aus den Augenwinkeln und notierte sich in Gedanken, dass er an Appetitlosigkeit zu leiden schien.
„Der Gemüseauflauf ist gut, auch kein bisschen scharf“, versicherte sie ihm.
Severus platzte der Kragen und er sagte: „Ich habe keinen Hunger und ich werde erst wieder etwas essen, wenn mir danach ist und nicht, weil Sie mich mästen wollen!“
„Einen einzigen Happen kann man ja wohl kaum als ’mästen’ bezeichnen“, stellte sie ruhig klar, auch wenn sie sich verkneifen musste zu sagen, dass sie ihn ungewöhnlich hager fand.
Mit angespannt säuselnder Stimme bat er: „Wenn Sie die Güte hätten, mich nun allein zu lassen?“
Ihr Löffel stoppte auf halben Weg zum Mund, bevor sie ein wenig empört fragte: „Sie werfen mich raus, noch während ich beim Essen bin?“
Durch zusammengebissene Zähne sagte er: „Sie haben sich selbst eingeladen! Mir ist nicht nach Gesellschaft und ich verspüre keinen Drang, Mittagessen zu mir zu nehmen.“
Hermine stellte ihren Teller auf dem Tisch ab und er hoffte bereits, dass sie seiner Bitte ohne weitere Widerworte nachkommen würde, da sagte sie: „Mrs. Malfoy wollte sich heute morgen persönlich von Ihnen verabschieden. Sie hatte befürchtet, es würde einen schlechten Eindruck hinterlassen, würde sie ohne ein Wort einfach gehen.“
Er hatte sich wieder beruhigt. Severus schien gedankenverloren und sogar etwas traurig über das, was Hermine gesagt hatte.
Sich einen Ruck gebend fragte sie mit warmer Stimme: „Draco bleibt hier wohnen oder? Er ist doch Schüler.“
Mit müden Augen blickte er sie an, bevor er antwortete: „Mrs. Malfoy hatte mich darüber unterrichtet, dass er hier bleiben würde und zwar aus jenem Grund, den Sie gerade genannt haben.“
„Sind Sie deswegen so übel gelaunt? Weil Mrs. Malfoy nicht mehr hier sein wird?“, fragte Hermine mutig. Er seufzte erneut, antwortete jedoch nicht, so dass Hermine gleich noch erklärte: „Ich wäre traurig, wenn Harry hier aufhören würde und er nicht mehr da wäre. Ihnen geht es bestimmt ähnlich. Sie sind ja sehr vertraut mit Mrs. Malfoy.“
Wiederholt überlegte er, was er tun könnte, damit Hermine einfach nur gehen würde, doch ihm fiel nichts ein, was nicht mit dem Verlust von Körperteilen in Zusammenhang gebracht werden konnte.
„Wissen Sie“, begann Hermine, während sie sich und ihm einen Tee einschenkte, „Mrs. Malfoy können Sie doch jederzeit besuchen. Und es ist ja nicht so, als hätten Sie hier niemanden mehr. Albus und Draco sind noch da und Harry, na ja, und ich.“
„Mrs. Malfoy hat sich wenigstens niemals so aufdringlich verhalten wie Sie“, giftete er zurück.
Auch diesen Vorwurf steckte sie einfach weg und erklärte daraufhin: „Ich mache mir halt Sorgen und Sie reden ja mit niemandem.“ Schüchtern reichte sie ihm seine Tasse und sagte derweil: „Ich bin nicht die Einzige, der es komisch vorkam, dass Sie heute früh gefehlt haben. Minerva und Harry fanden es auch ungewöhnlich, dass Sie nicht auf der Lehrerversammlung waren und als Albus von Ihnen zurückgekommen war…“
Er unterbrach verdutzt: „Albus war hier?“
Sie nickte. „Ich dachte, er hätte mit Ihnen gesprochen?“
Er verneinte wortlos und nahm einen Schluck Tee, während er daran dachte, dass Albus ihn aufgesucht haben sollte. Sein alter Freund wäre sicherlich zu ihm ins Schlafzimmer gegangen. Zu schade, dachte Severus, dass er nicht wusste, ob er im Schlaf sprechen würde.
„Ich glaube“, sagte Hermine peinlich berührt, „Mrs. Malfoy hatte einen falschen Eindruck von uns.“
Er runzelte die Stirn und fragte: „Inwiefern?“
„Ähm, sie dachte wohl, unsere Freundschaft wäre etwas inniger“, sagte sie, während ihre Wangen zu glühen begangen. Sie schob es auf den heißen Tee, der sie innerlich aufheizte und trank gleich aus Verlegenheit einen großen Schluck.
Narzissa war vor über vier Stunden in Malfoy Manor angekommen. Schon am großen, eisernen Tor hatte sie Halt machen müssen, um die Schutzzauber ihrer Familie zu durchbrechen. Der leicht bewaldete Weg zum Herrenhaus hatte romantische Erinnerungen an eine gute Zeit in ihr aufkommen lassen, auch wenn die Bäume jetzt im Winter kein Laubkleid trugen. Ernüchternd war jedoch der Anblick der Fläche um das Herrenhaus herum gewesen, denn die vielen Erdhügel und –löcher ließen erahnen, dass der Boden mit Gnomen verseucht sein musste.
Es war nicht leicht gewesen, sich Zutritt zum Herrenhaus zu verschaffen, denn neben den Schutzzaubern, die das Ministerium gelegt hatte und die sich mit dem heutigen Tage verflüchtigt hatten, war das Haus auch noch durch die eigenen Magiewälle geschützt, die Lucius und sie damals selbst erdacht und angewandt hatten. Nur wenigen Vertrauten war es damals möglich gewesen, ohne einen Schaden diese Schutzzauber passieren zu dürfen. Es hatte sie zwei Stunden gekostet, sich an alle Zauber erinnern zu können, um endlich den Weg nach drinnen nicht nur zu ermöglichen, sondern den viel zu starken Schutzmechanismus völlig außer Kraft zu setzen. Ein einzelner Zauber zum Schutze des Heimes sollte genügen; zwanzig waren in einer Zeit des Friedens definitiv nicht mehr notwendig.
Sie streifte mittlerweile in Erinnerungen schwelgend durch die Räume und stellte mit Abscheu fest, dass es hier drinnen düster und wenig heimelig war, obwohl ihr nichts fremd vorkam. Die Einrichtung war in dunklen Farben gehalten: die Wände, der Boden, die schweren Gardinen und die Möbel. Damit Sonnenlicht hereinscheinen konnte, hatte Narzissa die dunkelroten Samtvorhänge aufgezogen, was zur Folge hatte, dass ein paar tote Doxys aus den Falten des schweren Stoffes zu Boden gefallen waren. Das eindringende Sonnenlicht wurde sogleich von den schwarzen Wänden verschluckt, so dass der Raum noch immer unbeleuchtet wirkte. Staub hatte sich überall fingerdick angesammelt und die Fensterrahmen waren angelaufen. Narzissa ekelte sich vor dem vielen Schmutz.
Im „grünen Salon“ – den Raum hatten ihr Mann und sie so getauft, weil es hier kaum eine andere Farbe zu sehen gab – stachen sofort die einst hellgrünen und jetzt welken Pflanzen ins Auge. Die aufgewühlte Erde der Blumentöpfe wies kleine schwarze Eierschalen auf und so wusste Narzissa, dass dieses Haus mit Doxys verseucht sein musste. Andererseits könnte es schon sehr lange her sein, als die letzten Schädlinge geschlüpft waren, denn sicherlich würde das hartnäckigste Ungeziefer nach etlichen Jahren keine Nahrung mehr finden.
Seufzend entschloss sich Narzissa dazu, nicht das gesamte Haus zu inspizieren, denn weil es zu dieser Jahreszeit bereits am späten Nachmittag dunkel werden würde, sollte mindestens ein Badezimmer und das eheliche Schlafzimmer in einem guten Zustand sein, so dass sie diese Räume nutzen konnte. So krempelte sie die Ärmel ihres Kleides bis zum Ellenbogen hinauf und machte sich daran, mit ihrem Zauberstab und zig notwendigen Sprüchen das Badezimmer auf Vordermann zu bringen.
In den Kerkern saß Hermine noch immer bei Severus und sie hatte ihre erste Portion Gulasch einfach still aufgegessen. Mit einem Stück Weißbrot erhaschte sie den letzten Rest vom Teller, während er nur wortlos auf der Couch saß und sich fragte, warum sie einfach nicht zu vertreiben war.
„Sind Sie jetzt satt?“, fragte er spöttisch. Nur um ihn zu ärgern griff sie nach einem Schälchen mit Dessert, so dass er mit den Augen rollte. „Gut, während Sie sich Ihrer Süßspeise ergeben, möchte ich Ihnen ein kleines Geheimnis anvertrauen.“ Sie blickte ihn erwartungsvoll an und war ganz Ohr, doch er sagte lediglich: „Albus hat sein Leben und auch das von Black mit dem ’Elixier des Lebens’ erhalten.“
Hermine blinzelte, bevor sie fragte: „Ich dachte, Flamel hätte den letzten Rest von dem Elixier.“
„Hat er auch, aber Albus hat sich das Elixier neu beschafft“, eröffnete er ihr.
Mit gerunzelter Stirn kombinierte sie: „Das würde doch dann aber bedeuten, dass Albus den ’Stein der Weisen’ besitzt, aus dem er das Elixier gewinnen kann.“
„Gratulation! Hat bei Ihnen gar nicht mal so lange gedauert wie ich gedacht habe.“
Sie schmollte einen Moment, doch dann fragte sie: „Woher wissen Sie das?“
„Er hat es mir anvertraut.“
„Wann?“, fragte sie sofort nach.
„Gestern Abend und im Übrigen hat er mir noch verraten, dass gestern Abend auch das letzte Treffen des Phönixorden stattgefunden haben soll.“ Bevor sie wieder fragen konnte, erzählte er von sich aus: „Sie wollten den Orden auflösen, weil sich meine Befürchtungen bezüglich der ausgebremsten Handlungsfähigkeit des Ordens bestätigt zeigten.“
„Erstaunlich!“, sagte Hermine ein wenig baff.
Wieder zum vorigen Thema wankend fragte sie: „Und wo bewahrt er den Stein auf? Ich meine, hatte er keine Angst, dass Voldemort davon erfährt?“
„Ich habe keine Ahnung, wo er ihn versteckt hält. Um Voldemort hat er sich jedenfalls nicht gesorgt.“
„Na, bei den Neuigkeiten hat es sich doch gelohnt, heute bei Ihnen vorbeizuschauen.“ Sie lächelte breit, doch er schnaufte nur abfällig. „Sagen Sie, Severus, machen wir heute was oder wollen Sie den Tag lieber für sich haben?“
Ohne sie anzublicken sagte er: „Eigentlich hatte ich für heute ein Treffen wegen meines Experimentes arrangiert. Sie schrieben, dass Sie für heute einen Squib eingeladen haben?“ Hermine nickte, so dass er noch anfügte: „Ich hoffe, wir bekommen es zeitlich unter einen Hut. Sanguini und Worple werden heute am frühen Abend zu uns stoßen.“
„Bella kommt…“ Hermine hielt inne, weil Severus sie mit Entsetzen in den Augen anblickte. Sie verbesserte: „Arabella kommt in einer Stunde, beziehungsweise hole ich sie ab und appariere mit ihr vor die Tore.“
„Haben Sie auch andere Squibs im Auge?“, wollte er wissen.
„Ich kenne ehrlich gesagt keine anderen, bis auf Mr. Filch, aber ich denke nicht, dass ich ihn fragen möchte“, erwiderte sie ehrlich.
Er brauchte nicht lange nachzudenken, sondern schlug vor: „Fragen Sie Ihre alten Klassenkameraden. Ich bin mir sicher, irgendjemand kennt noch einen, der sich bestimmt für dieses Experiment zur Verfügung stellen möchte. Wie sieht es mit Muggeln aus?“
„Ich habe natürlich zuerst an meine Eltern gedacht, aber da beide ja mit mir in die Winkelgasse gehen konnten, muss ich davon ausgehen, dass meine Magie sie möglicherweise schon irgendwie beeinflusst hat. Bei Anne sieht das genauso aus. Ich müsste einen Muggel finden, der noch nie mit der Zaubererwelt in Berührung gekommen ist.“
„Das, Hermine, wird wohl kaum möglich sein, denn das würde gegen das Gesetz zum Schutz der Muggel und gleichzeitig auch gegen jenes zum Schutz der Zaubererwelt verstoßen. Wir müssen schon mit Ihren Eltern und mit Miss Adair Vorlieb nehmen. Das wären dann drei für Ihre Abschlussarbeit über den Trank“, sagte er gewissenhaft.
„Seit wann kümmern Sie sich um Gesetze?“, fragte sie nörgelnd und er blickte sie daraufhin nur finster an.
Trotz seiner miserablen Stimmung zwang sich Severus dazu, dem Experiment mit Arabella beizuwohnen. Gern wäre er allein geblieben, um den ganzen Tag, nein, besser das ganze Wochenende im Bett oder auf der Couch zu verbringen. Heute Abend wieder während seines Rundganges auf den Dachboden gehen zu müssen ließ ihn erschaudern. Sich ständig mit der Möglichkeit konfrontiert zu sehen, seinen größten Wunsch erspähen zu können, erweckte eine solche Schwermut in ihm, die er nicht mehr zu überspielen imstande war. Selbst seine Schülerin hatte sehen können, dass es er nicht wohlauf war und das durfte nicht sein. Nur deshalb riss sich Severus zusammen und bereitete das Experiment vor, während Hermine ihre alte Freundin Arabella Figg aus der Muggelwelt abholte.
Mit seinen Gedanken war Severus nicht hier in seinem Labor, sondern oben auf dem Dachboden. Die quälende Frage beschäftigte ihn, ob er das sehen würde, was er sich erhoffte, doch gleichzeitig fürchtete er den Schmerz, den der Anblick der Spiegelung in Nerhegeb in ihm auslösen würde.
„Severus?“, fragte Hermine unwirsch. Er blickte sie mit betrübten Augen an, so dass sie ihre harschen Worte bereute. Mit weitaus milderer Stimme sagte sie: „Ich hatte gefragt, ob Sie bereit wären. Arabella würde den Trank jetzt nehmen.“
Blinzelnd schaute er vor sich und erblickte die nette alte Dame, die ihn anlächelte. Die Ankunft der beiden hatte er gar nicht wahrgenommen.
„Ich bin bereit. Arabella, wenn Sie den Trank einnehmen würden?“, fragte Severus angestrengt höflich. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er, wie Hermine ihn skeptisch betrachtete.
Arabella Figg, seit Geburt eine Squib, nahm den Trank und Hermine stoppte wie üblich die Zeit.
Nach zehn Minuten sagte Hermine enttäuscht: „Da passiert überhaupt nichts.“
„Tut mir Leid, dass ich eine Enttäuschung bin“, sagte Arabella entschuldigend.
„Ach nein, so war das doch gar nicht gemeint“, winkte Hermine lächelnd ab. „Es ist nur… Ich habe fest damit gerechnet, dass irgendwas geschehen würde.“ Sie seufzte und blickte zu Severus hinüber, der geistesabwesend auf sein leeres Blatt Pergament starrte und fragte ihn: „Irgendeinen Vorschlag, Severus?“ Er regte sich nicht. „Severus?“, wiederholte sie mehrmals wie schon vorhin. Vor Arabella war es ihr unangenehm, dass er sich so distanziert und uninteressiert zeigte. „SEVERUS“, sagte sie laut und er schreckte hoch. „Sie hören mir überhaupt nicht zu! Ich habe gefragt, ob Sie eine Idee haben. Bei Arabella scheint der Trank nicht zu wirken.“
„Geben Sie ihr doch einfach Ihren Zauberstab“, sagte er mit matter Stimme.
Sein Vorschlag hielt ihr vor Augen, dass auch sie heute nicht ganz bei der Sache war, denn darauf hätte sie auch selbst kommen können. Sie ging hinüber, um Arabella ihren Zauberstab zu geben und dann…
„Ich fasse es nicht. Severus, sehen Sie das?“, fragte Hermine verdutzt.
Von dem beigefarbenen Ton des leeren Pergamentes aufblickend betrachtete Severus das Schauspiel vor sich. Arabellas Körper war noch immer frei von Farbe, bis auf ihren rechten Arm, der einen ganz leichten, kaum wahrnehmbaren Schimmer Orange aufwies. Orange war auch eine der kräftigsten Farben bei Hermine gewesen.
„Ob der Stab…? Es kann nur so sein, dass der Stab ihr meine Farben gibt oder was meinen Sie?“, fragte sie aufgeregt.
„Das können wir leicht überprüfen“, sagte er mit etwas mehr Elan als zuvor.
Er griff in seine Innentasche und zog seinen Stab aus Weiß-Birke heraus. Hermine nahm ihm den Stab ab, ging zu Arabella hinüber und tauschte die Stäbe aus, doch die Farbe am Arm blieb mit Severus’ Stab ebenfalls Orange.
„Heißt das, es ist ein wenig Magie in Arabella vorhanden, die erst durch einen magischen Gegenstand, in diesem Fall einem Zauberstab, aktiviert wird?“, stellte Hermine als These in den Raum.
„Möglich wäre es, aber wir müssen das natürlich noch an anderen Personen testen“, erwiderte Severus
Arabella betrachtete den hellen Stab in ihrer Hand und die Farbe, die er zum Vorschein bringen konnte, bevor sie freundlich lächelnd sagte: „Der Stab gefällt mir. Ist sehr hübsch und liegt gut in der Hand.“
Ohne von seinem Pergament aufzublicken, auf welchem er endlich Notizen machte, sagte Severus wenig schmeichelnd: „Machen Sie sich keine große Hoffnung, Sie werden nie einen bekommen.“
Über diesen Kommentar war Hermine völlig empört, doch sie sagte nichts. Arabella hingegen schien sich gar nicht daran zu stören. Nach dreißig Minuten war das Experiment vorbei und Hermine brachte Arabella vor die Tore Hogwarts, um mit ihr nachhause zu apparieren.
Es war schon dunkel, als sie in hinteren Garten von Arabellas Haus angekommen waren, da sagte Hermine reumütig: „Es tut mir so Leid, was Severus gesagt hat. Bitte entschuldigen Sie…“
Arabella lachte, bevor sie erklärte: „Wenn er denkt, er könnte mich damit verletzen, dann liegt er falsch. Ich bin schon eine alte Frau, Hermine. Ich habe mich vor vielen Jahrzehnten damit abgefunden, nicht wie meine Eltern und Geschwister zaubern zu können.“
„Seine Bemerkung war trotzdem fehl am Platz“, sagte Hermine entschuldigend, während sie mit Arabella zur Tür ging.
„Ich bin froh, wenn ich ein wenig helfen konnte, meine Gute. Halten Sie mich bitte auf dem Laufenden, falls ich nicht sowieso bald etwas über Sie im Tagespropheten lesen werde“, bat Arabella lächelnd, bevor sie sich nochmals für den abwechslungsreichen Tag bedankte und sich verabschiedete.
Wenige Minuten später war Hermine bereits wieder auf dem Weg in die Kerker. Die Wut darüber, dass Severus ihre gute Bekannte so böse diskriminiert hatte, kochte in ihrem Bauch und wartete nur darauf, sich bei Severus entladen zu können. Stürmisch öffnete sie die Tür zu seinem Labor und stutzte, als sie dort niemanden antraf. Es war gerade mal halb zwei durch. Worple und Sanguini würden zu 18 Uhr kommen, doch wo war Severus jetzt? Sie warf einen Blick in sein privates Büro, doch auch hier traf sie ihn nicht an.
Auf dem Flur ging sie eine Tür weiter und Salazar öffnete ihr. Harry wedelte mit dem Schwanz, als er sie erkannte, doch von Severus war im Wohnzimmer keine Spur. Mutig ging sie zur leicht geöffneten Schlafzimmertür hinüber und dort sah sie ihn liegen. So, wie sie ihn heute Morgen schon angetroffen hatte, lag er auch jetzt nur mit Hose und weißem Hemd auf seinem Bett, den Rücken ihr zugewandt. Ob er schlief, konnte sie nicht ausmachen.
Eine Weile stand sie im Türrahmen und überlegte, ob sie ihn ansprechen durfte. Er hatte sich den ganzen Tag schon seltsam verhalten und da sie Harrys und Rons Aussage für bare Münze nahm, konnte sie davon ausgehen, dass er gestern Abend schon so gelaunt war.
„Severus?“, fragte sie leise ins Schlafzimmer hinein. Er regte sich nicht, so dass sie das Zimmer mit einem Gefühl der Sorge verließ.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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127 Eile mit Weile
Am Abend hatte Severus immer noch in seinem Bett gelegen, als Hermine den Hund ausführte. Das Abendessen nahm sie allein in seinem Wohnzimmer ein in der Hoffnung, der Duft des Essens würde ihn wecken, aber er leistete ihr keine Gesellschaft. Sie versuchte noch zweimal ihn zu wecken, indem sie seinen Namen sagte, doch entweder schlief er fest oder er ignorierte sie, so dass sie seufzend in sein Labor ging.
Als sie Notizen für ihr Projekt machte, fiel ihr plötzlich ein, dass Worple und Sanguini heute noch kommen würden. Sie musste Severus unbedingt wecken und war schon auf dem Weg zur Tür, da klopfte es. Da Severus sicherlich nie an seine eigene Tür klopfen würde, rechnete sie fest mit den beiden Gästen und als sie öffnete, bestätigte sich ihre Vermutung.
„Oh, guten Abend, Miss Granger“, sagte Mr. Worple höflich. Sanguini nickte ihr lediglich zu und nach der kleinen Demonstration von Severus hielt sie das Verhalten des Vampirs auch nicht mehr für unhöflich.
„Oh, guten Tag, Mr. Worple, Mr. Sanguini. Kommen Sie doch bitte herein“, bat sie und überlegte jetzt bereits, was sie tun könnte.
Sich im Labor umsehend fragte Mr. Worple: „Professor Snape ist nicht hier?“
„Der ist momentan leider unpässlich“, erwiderte sie ehrlich.
„Ich hoffe doch“, sagte Worple, während er seine Tasche öffnete, „dass Professor Snape nicht ernsthaft erkrankt ist.“
„Nein, ich denke, er braucht nur Ruhe.“ Sie druckste einen Moment herum, bevor sie peinlich gerührt gestand: „Ich muss zugeben, dass ich nicht sonderlich über sein Projekt informiert bin, Mr. Worple. Ich weiß nicht, was Professor Snape heute vorhatte.“
„Zunächst“, Worple zog die kleine Kiste mit den nun leeren Ampullen aus der Tasche, „möchten wir Ihnen das hier zurückgeben. Des Weiteren“, er fischte eine Mappe heraus, „möchten wir Ihnen die Aufzeichnungen überreichen. Sie sind, wie Professor Snape es gewünscht hatte, sehr ausführlich.“ Die Mappe war daumendick, wie Hermine feststellte. „Es gab einige Komplikationen, aber das ist alles notiert.“
Mr. Worple seufzte und blickte sich einen Moment um.
„Da Professor Snape ja leider unpässlich ist, werden Sie uns sicherlich in seinem Namen die anderen Ampullen übergeben?“, fragte Worple.
Innerlich geriet Hermine in Panik. ’Andere Ampullen?’, fragte sie sich selbst.
„Ich…“ Hermine blinzelte und schaue sich im Labor um, doch nichts ähnelte den Ampullen, welche Severus den beiden beim letzten Mal mitgegeben hatte.
Worple war ein netter Mensch, der beruhigend vorschlug: „Möglicherweise könnten Sie Professor Snape eben fragen? Er war es, der erklärt hatte, dass dieser Test nicht unterbrochen werden dürfte. Es wäre sicherlich weder in seinem noch in unserem Interesse, wenn wir heute ohne den Trank gehen würden.“
Sie nickte und erklärte: „Wenn Sie bitte einen Moment warten würden?“
„Aber sicher“, sagte Worple, der sich bereits einen Stuhl vom Tisch zog und gemütlich Platz nahm.
Ihre Hände zitterten, als sie über den Flur zu Severus’ Räumen ging. Es war ihr sehr unangenehm, den beiden Gästen gegenüber so ahnungslos gewirkt zu haben, aber es war Severus’ Schuld, denn er hatte ihr nur beiläufig etwas über den Trank berichtet. Sie wusste nicht einmal genau, was sich überhaupt für Zutaten darin befinden würden. An seinen Trank hatte er ganz offensichtlich nur gearbeitet, wenn sie nicht bei ihm war; vielleicht sogar die Nächte durch.
Salazar hatte ihr geöffnet und ohne nachzudenken marschierte sie in sein Schlafzimmer, damit das Gefühl der Furcht gar nicht erst in ihr aufkeimen konnte, von ihm angeschrieen zu werden. Er lag diesmal auf dem Rücken und schlief fest. Nur der Hund am Fußende des Bettes war hellwach, bewegte jedoch lediglich die Augen, um Hermine zu beobachten.
„Severus?“, fragte sie erst leise.
Der Gedanke an die beiden Wartenden ließ sie jegliche Vorsicht vergessen, als sie seinen Namen lauter sagte. Sie musste ihn an der Schulter packen und rütteln, so dass er endlich erwachte. Es folgte die zu erwartende Schimpftirade, nachdem er sie in seinem Zimmer erspäht hatte.
„Was zum Henker suchen Sie hier? Sie haben keine Erlaubnis…“
Sie unterbrach ihn unwirsch und sagte mit bebender Stimme, weil die Gesamtsituation für sie schwer zu ertragen war: „Seien Sie still, verdammt!“
„Was fällt Ihnen…“
Erneut fuhr sie ihm über den Mund, als sie angespannt und wütend sagte: „Worple und Sanguini sind hier. Sagen Sie mir einfach, wo die blöden Ampullen sind.“
Erstaunt blickte er auf den Wecker auf seinem Nachttisch. Es war schon zehn nach sechs und er fragte sich, wie er so lange hatte schlafen können, ohne auch nur einmal zu erwachen. Es war ihm nicht entfallen, dass sie ihre Fäuste ballte. So wütend hatte er sie noch nie erlebt.
Müde kroch er aus dem Bett und zog sich Schuhe über, während er sagte: „Ich werde mitgehen.“
„Oh nein, das ist nicht nötig“, sagte Hermine voller Rage. „Die beiden halten mich eh schon für die dumme Schülerin, die von nichts eine Ahnung hat; nicht weiß, wo was zu finden ist. Mr. Worple war so nett mich darauf hinzuweisen, doch besser ’den Professor’ zu fragen.“
„Sie sind nicht dumm“, murmelte er. „Außerdem muss ich den beiden die Entlohnung geben.“
Mit einer stillen, dennoch sehr aufgebrachten Hermine im Schlepptau betrat er das Labor und grüßte die beiden Gäste mit seiner üblich distanzierten Art.
„Es tut mir Leid, dass Sie warten mussten“, sagte er in einem Tonfall, der den Gästen verinnerlichte, dass er momentan übel gelaunt war.
Mr. Worple erhob sich und erklärte: „Nein, keine Sorge. Ihre Assistentin hat uns…“
„Meine Schülerin“, verbesserte Severus.
Nickend nahm Worple diese Aussage zur Kenntnis. „Sie hat uns gesagt, es ginge Ihnen nicht gut.“
Severus hatte eine Schublade geöffnet und war längst dabei, das leere Kästchen mit frischen Ampullen zu füllen. Ganz offensichtlich war ihm nicht nach Konversation, was Worple auf eine möglicherweise angeschlagene Gesundheit zurückführen könnte.
„Ich wäre untröstlich gewesen“, begann Worple, „wenn das Experiment heute nicht hätte fortgeführt werden können.“
„Und ich bin untröstlich“, sagte Severus, ohne sich zu seinen Gästen umzudrehen, „dass ich meiner Schülerin so wenig über mein Projekt berichtet habe.“
Er setzte die eine Ampulle in das letzte, leere Fach und schloss die Kiste, bevor er noch ein Säckchen auf ihr ablegte. „Denn dann hätte ich sie heute nicht in eine so unangenehme Lage gebracht.“ Er drehte sich um und näherte sich Mr. Worple. Während er ihm die Kiste und das darauf befindliche Säckchen mit Galleonen überreichte, erklärte er entschuldigend, aber dennoch sehr trocken: „Wir konzentrieren uns mehr auf ihr Projekt.“ Er blickte zu Hermine hinüber, bevor er wieder Worple anschaute und hinzufügte: „Denn das scheint vielversprechendere Ergebnisse zu liefern als das meine.“
„Oh, das würde ich nicht sagen“, widersprach Mr. Worple aufmunternd. „Miss Granger hat unsere Notizen entgegengenommen. Ich denke, Sie werden viel damit anfangen können, Professor Snape.“
Severus nickte, bevor er noch sagte: „Eine Anleitung, die für diese Tränke wichtig sind, finden Sie wieder in der Kiste. Wenn Sie mich jetzt…“
„Aber sicher, Professor Snape.“ Worple verabschiedete sich von Severus und schaute gleich darauf zu Hermine hinüber: „Miss Granger, einen schönen Abend noch.“
„Auf Wiedersehen“, brachte Hermine leise heraus.
Obwohl er sich gern wieder zurückziehen würde, blieb er noch im Labor, doch er stand nur herum und schien unentschlossen.
Mit leiser Stimme forderte Hermine eine Antwort: „Was ist mit Ihnen los?“
„Das geht Sie nichts an“, erwiderte er wesentlich matter, als er es vorgesehen hatte.
Verzweifelt schüttelte sie den Kopf, bevor sie aggressiver sagte: „Tun Sie nicht so als wäre nichts.“
„Halten Sie sich da raus!“, befahl er diesmal schon grimmiger.
„Ja, das hätten Sie wohl gern“, verspottete sie ihn. Selbst sein böser Blick brachte sie nicht davon ab zu sagen: „Sie brauchen gar nicht zu denken, dass ich Ihren äußerst besorgniserregenden Zustand einfach so hinnehmen werde. Ich werde…“
„Sie, Miss Granger, werden in Bezug auf meine Person überhaupt nichts mehr unternehmen! Unterlassen Sie es, Ihre Nase überall hineinzustecken, sonst werde ich doch noch Gebrauch vom Rohrstock machen“, kündigte er an.
„Ich kann auch mit dem Säbel rasseln, Severus“, sagte sie gelassen, um ihm zu zeigen, dass sie seine Drohung keinesfalls ernst nahm. Entgegen seines Verhaltens blieb sie auch bei der persönlichen Anrede.
„Gehen Sie“, verlangte er.
„Warum? Damit Sie was genau machen können? Schlafen? Ein sehr ungewöhnliches Verhalten für Sie, finden Sie nicht?“, reizte sie ihn mit zuckersüßer Stimme.
„Was ich in meiner Freizeit anstelle hat Sie nicht im Geringsten zu interessieren!“
„Aber wissen Sie was? Heute war Freitag – kein freier Tag für Sie! Von wegen ’Freizeit’…“ Sie schnaufte hämisch. „Sie haben verschlafen! Wann ist das das letzte Mal passiert?“ Sie tat so, als müsste sie angestrengt nachdenken und machte dabei „Mmmh“. „Richtig, noch nie! Jedenfalls nicht in den Jahren, die ich hier als Schülerin verbracht habe. Das war auch der Grund, warum ich aus Albus’ Mimik ablesen konnte, dass er das Schlimmste befürchtet hat, als sie heute früh nicht anwesend waren! Sie bereiten nicht nur mir Sorgen, Severus.“
Ohne auf das einzugehen, was sie eben gesagt hatte, forderte er viel lauter: „Gehen Sie endlich!“
„Sie glauben wirklich, dass Sie mich loswerden können oder?“, sagte sie provokant.
Er grinste fies und sagte mit schmieriger Stimme: „Oh, ich könnte Sie ganz schnell loswerden. Wie wäre es, wenn ich Ihnen die schriftliche Befugnis erteile, Ihren Meister beim Ministerium abzulegen. Dann bin ich Sie endlich los!“
„Und Sie glauben wirklich, dass Sie mich so auch aus Ihrem Leben stoßen können?“, fragte sie baff. Weil er nur die Stirn in Falten legte, erklärte sie: „Ich würde Harry sicherlich sehr häufig besuchen und ich würde Ihnen ganz gewiss über den Weg laufen.“
„Und mich weiterhin mit Ihrer nervtötenden Art belästigen“, stellte er als Tatsache fest.
„Ach, jetzt bin ich auf einmal wieder ’nervtötend’. Als Sie eben mit Mr. Worple über mich gesprochen haben, da schien es doch für einen Moment tatsächlich so, als würden Sie mich und meine Arbeit schätzen.“
Sie hielt ihm vor Augen, dass seine beleidigenden Aussagen von ihr als bloßer Schutzmechanismus durchschaut worden waren, was ihn rasend machte. Er fand einfach keine Möglichkeit, sie zum Gehen zu bewegen. Er wollte seine Ruhe; er wollte nur noch seine Ruhe haben.
„Was hat es denn diesmal ausgelöst?“, fragte sie herausfordernd. „Es war ja schon seit gestern Abend so. Ich habe es gemerkt…“ Sie nahm ihre Finger zu Hilfe und zählte damit die Personen auf, die gestern Abend seine Veränderung miterlebt haben: „Harry, Ron, ich…“ Er erwiderte nichts, weswegen sie ihn mit der Tatsache konfrontierte: „Sie brauchen auch nicht zu glauben, dass ich die Einzige bin, die von Ihrer ’Andersartigkeit’ weiß. Nein, nein… Da ist noch Albus, für den es offensichtlich kein Geheimnis ist, was Ihnen vor zwanzig Jahren widerfahren ist. Das hat er nämlich schon zugegeben.“ Severus Augen weiteten sich vor Entsetzen, während sie aufgesetzt heiter erklärte: „Und Draco natürlich. Mit ihm war ich vorhin übrigens ein wenig mit dem Hund spazieren und wir haben uns ganz prächtig unterhalten. Nicht zu fassen, dass Sie, Severus, sogar ehemalige Feinde zusammenführen können.“ Ihr Sarkasmus tat weh, doch er konnte nichts erwidern und so hörte er einfach zu, als sie sagte: „Das hatte ich ja beinahe vergessen: Sir Nicholas hatte damals sogar bemerkt, dass Ihre Augenfarbe von braun auf schwarz gewechselt war. Ich muss ihn direkt noch einmal ansprechen, ob er endlich in Erfahrung gebracht hat, wann genau das gewesen war.“ Sie legte ihren Kopf schräg und fragte keck: „Es war so etwa um diese Zeit, nicht wahr? So um Halloween oder etwas später. Warten Sie, was kann da nur zu Halloween geschehen sein…?“
Severus hatte genug und stürzte sich auf Hermine, um sie an den Oberarmen zu packen, damit er sie aus seinem Labor schmeißen konnte. Dass sie sich wehren würde, damit hatte er gerechnet, aber dass sie so eine Körperkraft und Geschicklichkeit an den Tag legen könnte, machte ihn glatt sprachlos. Sie hatte sich mit Leichtigkeit aus seinem Griff herausgewunden, ihm zudem auch noch – beabsichtigt oder nicht – mit dem Ellenbogen einen Schlag in die Rippen versetzt.
Mit einem Zeigefinger auf ihn deutend zischte sie gereizt wie eine Königskobra: „Sie werden sich vorsehen mir noch einmal zu nahe zu kommen!“
„Ah, jetzt folgen wohl Ihre leeren Drohungen“, sagte er spottend und da sie seine vorherigen Drohungen nicht ernst genommen hatte, nahm er sich vor, die ihren ebenfalls gelassen abzuwinken.
Mit einem einseitigen Lächeln erklärte sie: „Als leer würde ich sie nicht bezeichnen. Was sagen Sie zu drei Jahren Askaban für das unerlaubte Eindringen in die Gedanken eines Menschen per Legilimentik?“
Severus war völlig geplättet.
Im Gegensatz zu ihm hatte sie damit tatsächlich ein Druckmittel gegen ihn in der Hand, doch sie hielt sich daran nicht länger auf, sondern sagte: „Ich hätte längst herausgefunden, was mit Ihnen los ist, wenn Sie es sich nicht zum Steckenpferd gemacht hätten, uns immer nur kleine Happen vor die Füße zu werfen, die wir in einem riesigen Puzzle unterzubringen versuchen. Ihre Hinweise verstehe ich durchaus, Severus, aber mit denen was anfangen zu können ist äußerst schwierig. Spucken Sie es doch einfach mal aus: Was ist an Kapitel zehn von ’Schützende Hände’ so wichtig?“
Er atmete schnaufend, sein Herz raste. Sie brachte ihn zur Weißglut. Eine Antwort blieb er ihr jedoch schuldig.
„Oh ja, jetzt verschließen Sie sich wieder und sagen lieber gar nichts mehr, bevor Ihnen noch ein wichtiger Hinweis über die Lippen kommt wie damals bei Harry! Sie sind wirklich berechenbar, Severus“, sagte sie absichtlich, weil sie wusste, dass er nicht als ’berechenbar’ bezeichnet werden wollte.
Sie hatte ihn beinahe, glaubte sie jedenfalls. Weder er noch sie hatten ihren Zauberstab gezogen. Die kleine Handgreiflichkeit seinerseits hatten beide längst vergessen und er würde es sicherlich nicht wagen, nach ihrer Drohung noch einmal grob zu werden.
„Was ist gestern passiert?“, fragte sie erneut, doch dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, denn nach dem Hogsmeade-Ausflug war Severus nicht sofort nach Hogwarts zurückgekehrt. „Ja richtig! Sie waren gestern noch mit Remus unterwegs.“ Sie grinste ihn überlegen an und verabschiedete sich mit den Worten: „Dann guten Abend noch, Severus. Ich werde jetzt mal Remus besuchen.“
Sie war bereits durch die Tür hinaus auf den Flur gegangen und hatte auch tatsächlich die Absicht, Remus aufzusuchen, um ihn über dessen Gespräch mit Severus auszufragen, da spürte sie, wie jemand sie rabiat am Umhang packte. Sie wurde hart herumgerissen und gegen eine Wand geschleudert. Als sie endlich ihre Orientierung wiedergefunden hatte, blickte sie leicht schielend auf die Spitze eines Zauberstabes aus Weiß-Buche, die auf ihre Nase zeigte. Ihre Augen fokussierten schnell die Person hinter dem Zauberstab und das war selbstverständlich Severus, der wild schnaufte, die schiefen Zähne gereizt fletschte und dessen Gesicht vor Wut zu einer furchteinflössenden Fratze entstellt war.
Durch die Zähne zischend sagte er bedrohlich leise: „Lieber drei Jahre Askaban als drei Jahre mit Ihnen!“
Hermines Herz trommelte bereits in ihrem Hals, aber sie wusste, dass Severus es nicht wagen würde, ihr etwas anzutun – nicht wegen ihrer Drohung, ihn beim Ministerium anzuzeigen, sondern wegen Albus; wegen Harry. Diese Menschen würde Severus nicht enttäuschen wollen.
Im Hintergrund erkannte sie, dass Salazar die Situation einen Moment beobachtet hatte, bevor er sein Gemälde verließ, um sicherlich den Direktor über die brenzlige Situation zu unterrichten.
„Darf ich daran erinnern“, Hermine schluckte hörbar, „dass Sie mich wollten? Sie haben mir den Vertrag angeboten!“
„Sie werden sich aus meinem Leben heraushalten!“, forderte er mit zittriger Stimme, die ihr sehr deutlich zeigte, wie erregt er war.
„Zu spät, Severus. Ich bin schon viel zu tief darin versunken“, erklärte sie mit ruhiger Stimme in der Hoffnung, ihn milde zu stimmen und ihm gleichzeitig aber auch die Wahrheit zu sagen.
Seine Gesichtszüge wurden wieder weicher, wodurch Severus verletzlich wirkte. Seine Hand, mit welcher er noch immer seinen Zauberstab auf sie richtete, zitterte so sehr, dass er ihr plötzlich Leid tat. Mitleid wollte sie nie mit ihm haben, aber andererseits war an Mitleid doch nichts verwerflich. Wenn ihren Freunden etwas Schlimmes widerfahren war, hatte sie stets mit ihnen gelitten – Mitleid empfunden. Jetzt fühlte sie mit ihm.
„Wenn ich nur wüsste, wovor Sie solche Angst haben“, flüsterte sie traurig, denn in ihren Augen hatte er keinen Grund sich so zu fürchten. „Vor sich selbst“, fügte sie hauchend hinzu, denn das war es, wovor er sich fürchtete, auch wenn ihr noch immer nicht hundertprozentig klar war, warum.
Er rührte sich keinen Millimeter. Schon nachdem Salazar aus seinem Gemälde verschwunden war, hatte sich für Hermine die Situation entschärft. Sie war völlig angstfrei und hatte keine Bedenken, dass er ihr Leid zufügen könnte.
„Was ist auf dem Dachboden?“, wollte sie wissen. Seine Hand zuckte, ebenso wie sein rechtes Augenlid, doch eine Erklärung gab er wie erwartet nicht. „Ich werde es wohl allein herausfinden müssen wie alles andere auch“, gestand sie ihm wehmütig.
„Sie haben da oben nichts zu suchen“, sagte er kraftlos.
„Sie können mich nicht daran hindern!“
Blitzschnell bohrte sich die Spitze seines Stabes in ihren Hals und sein Gesicht verzerrte sich erneut zu einer Fratze. Er wollte sie auf jeden Fall daran hindern, auf Entdeckungstour zu gehen und Hermine fiel nur eine einzige Sache ein, die ihr jetzt vielleicht helfen könnte.
„Ich denke“, sagte sie mit Unbehagen, „ich ergreife diese Gelegenheit…“ Er bohrte den Stab noch tiefer in ihren Hals, so dass es wirklich wehtat. Nichtsdestotrotz rückte sie mit der Sprache raus, auch wenn sie sich viel kürzer hielt als sie eigentlich wollte: „Mein Haar ist in Ihrem Zauberstab!“
Seine Augen weiteten sich mit einem Ausdruck der entsetzten Überraschung, bevor er einen Schritt zurückwich. Sie griff sich gleich darauf an den Hals, um schmerzlindern die Stelle zu reiben, an welcher sich sein Zauberstab hineingedrückt hatte.
„Was denn, Sie sind ja wirklich überrascht“, sagte Hermine flüsternd. Im Hintergrund hatte sie gesehen, dass Salazar wieder in seinem Gemälde verweilte. Severus wich einen weiteren Schritt zurück, was sie nicht daran hindern konnte zu sagen: „Sie waren ja auch nicht mehr im Laden, als Ollivander mir durchs Haar gefahren ist. Es kam mir im ersten Moment nur als die kauzige Eigenart eines alten Mannes vor, aber man sollte Mr. Ollivander wirklich nicht unterschätzen. Der Mann weiß, was er tut, auch wenn wir nicht verstehen, warum er es tut.“
Seinen Stab hatte Severus gesenkt. Er hörte ihrer Stimme zu, die nicht mehr garstig war, sondern wohlklingend. Sie hatte ihn die ganze Zeit über gekonnt provoziert; nicht zu wenig und nicht zu stark. Er hasste sich dafür, seine Besonnenheit verloren zu wissen. Am besten wäre es, dachte er, wenn er sich zurückziehen würde. Nicht nur jetzt und nicht nur von ihr, sondern für immer von allen: Lupin, Albus, Draco, Harry und natürlich von Hermine; besonders vor ihr. Wenn all diese Menschen keine Rollen mehr in seinem Leben spielen würden, dann wäre er auch nicht mehr dazu gezwungen, sich an früher erinnern zu müssen.
„Ich werde jetzt zu Remus gehen“, sagte sie mit gebrochener Stimme und es schien, als hätte sie sich selbst dazu überreden müssen, ihn über ihr Vorhaben zu unterrichten. Sie hätte es nicht sagen müssen, aber er sollte es wissen. Er sollte wissen, dass sie mit anderen Menschen über ihn sprach, weil sie sich anders nicht zu helfen wusste.
„Es sei denn“, begann sie mit dünner Stimme, „Sie möchten mit mir reden?“
Sie flehte ihn nicht nur an, sich ihr endlich anzuvertrauen, sondern sie ließ ihm eine Wahl, eine Wahl zwischen zwei Übeln. Er schüttelte nur einmal ruckartig den Kopf. Seine Entscheidung war gefallen. Sollte sie ruhig versuchen, über jemand anderen, der genauso wenig wusste wie sie selbst, etwas über ihn in Erfahrung zu bringen. In seinen Augen war es erträglicher als der Gedanke daran, sich mit ihr und ihrem Verstand, ihrer ständigen Fragerei und Hinterfragung auseinander setzen zu müssen.
„Dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht, Severus“, sagte sie noch immer beschwörend, denn noch konnte er sie davon abhalten, seinen alten Schulkamerad aufzusuchen.
Sie wandte sich von ihm ab und ging langsamen Schrittes den Gang hinunter. Ein wenig rechnete sie im Hinterkopf damit, dass er sie erneut anfallen könnte, doch sie hörte keine Schritte. Bevor sie die Stufen am Ende des Ganges erklomm, drehte sie sich um und da sah sie ihn stehen. Er blickte ihr hinterher; stand noch immer an der gleichen Stelle, wo sie ihn zurückgelassen hatte. Dieser eine Moment gehörte noch ihm. Sollte er sich ihr nähern, hätte er die letzte Möglichkeit am Schopfe gepackt, doch er verweilte starr wie eine der vielen Statuen im Schloss.
Am Abend hatte Severus immer noch in seinem Bett gelegen, als Hermine den Hund ausführte. Das Abendessen nahm sie allein in seinem Wohnzimmer ein in der Hoffnung, der Duft des Essens würde ihn wecken, aber er leistete ihr keine Gesellschaft. Sie versuchte noch zweimal ihn zu wecken, indem sie seinen Namen sagte, doch entweder schlief er fest oder er ignorierte sie, so dass sie seufzend in sein Labor ging.
Als sie Notizen für ihr Projekt machte, fiel ihr plötzlich ein, dass Worple und Sanguini heute noch kommen würden. Sie musste Severus unbedingt wecken und war schon auf dem Weg zur Tür, da klopfte es. Da Severus sicherlich nie an seine eigene Tür klopfen würde, rechnete sie fest mit den beiden Gästen und als sie öffnete, bestätigte sich ihre Vermutung.
„Oh, guten Abend, Miss Granger“, sagte Mr. Worple höflich. Sanguini nickte ihr lediglich zu und nach der kleinen Demonstration von Severus hielt sie das Verhalten des Vampirs auch nicht mehr für unhöflich.
„Oh, guten Tag, Mr. Worple, Mr. Sanguini. Kommen Sie doch bitte herein“, bat sie und überlegte jetzt bereits, was sie tun könnte.
Sich im Labor umsehend fragte Mr. Worple: „Professor Snape ist nicht hier?“
„Der ist momentan leider unpässlich“, erwiderte sie ehrlich.
„Ich hoffe doch“, sagte Worple, während er seine Tasche öffnete, „dass Professor Snape nicht ernsthaft erkrankt ist.“
„Nein, ich denke, er braucht nur Ruhe.“ Sie druckste einen Moment herum, bevor sie peinlich gerührt gestand: „Ich muss zugeben, dass ich nicht sonderlich über sein Projekt informiert bin, Mr. Worple. Ich weiß nicht, was Professor Snape heute vorhatte.“
„Zunächst“, Worple zog die kleine Kiste mit den nun leeren Ampullen aus der Tasche, „möchten wir Ihnen das hier zurückgeben. Des Weiteren“, er fischte eine Mappe heraus, „möchten wir Ihnen die Aufzeichnungen überreichen. Sie sind, wie Professor Snape es gewünscht hatte, sehr ausführlich.“ Die Mappe war daumendick, wie Hermine feststellte. „Es gab einige Komplikationen, aber das ist alles notiert.“
Mr. Worple seufzte und blickte sich einen Moment um.
„Da Professor Snape ja leider unpässlich ist, werden Sie uns sicherlich in seinem Namen die anderen Ampullen übergeben?“, fragte Worple.
Innerlich geriet Hermine in Panik. ’Andere Ampullen?’, fragte sie sich selbst.
„Ich…“ Hermine blinzelte und schaue sich im Labor um, doch nichts ähnelte den Ampullen, welche Severus den beiden beim letzten Mal mitgegeben hatte.
Worple war ein netter Mensch, der beruhigend vorschlug: „Möglicherweise könnten Sie Professor Snape eben fragen? Er war es, der erklärt hatte, dass dieser Test nicht unterbrochen werden dürfte. Es wäre sicherlich weder in seinem noch in unserem Interesse, wenn wir heute ohne den Trank gehen würden.“
Sie nickte und erklärte: „Wenn Sie bitte einen Moment warten würden?“
„Aber sicher“, sagte Worple, der sich bereits einen Stuhl vom Tisch zog und gemütlich Platz nahm.
Ihre Hände zitterten, als sie über den Flur zu Severus’ Räumen ging. Es war ihr sehr unangenehm, den beiden Gästen gegenüber so ahnungslos gewirkt zu haben, aber es war Severus’ Schuld, denn er hatte ihr nur beiläufig etwas über den Trank berichtet. Sie wusste nicht einmal genau, was sich überhaupt für Zutaten darin befinden würden. An seinen Trank hatte er ganz offensichtlich nur gearbeitet, wenn sie nicht bei ihm war; vielleicht sogar die Nächte durch.
Salazar hatte ihr geöffnet und ohne nachzudenken marschierte sie in sein Schlafzimmer, damit das Gefühl der Furcht gar nicht erst in ihr aufkeimen konnte, von ihm angeschrieen zu werden. Er lag diesmal auf dem Rücken und schlief fest. Nur der Hund am Fußende des Bettes war hellwach, bewegte jedoch lediglich die Augen, um Hermine zu beobachten.
„Severus?“, fragte sie erst leise.
Der Gedanke an die beiden Wartenden ließ sie jegliche Vorsicht vergessen, als sie seinen Namen lauter sagte. Sie musste ihn an der Schulter packen und rütteln, so dass er endlich erwachte. Es folgte die zu erwartende Schimpftirade, nachdem er sie in seinem Zimmer erspäht hatte.
„Was zum Henker suchen Sie hier? Sie haben keine Erlaubnis…“
Sie unterbrach ihn unwirsch und sagte mit bebender Stimme, weil die Gesamtsituation für sie schwer zu ertragen war: „Seien Sie still, verdammt!“
„Was fällt Ihnen…“
Erneut fuhr sie ihm über den Mund, als sie angespannt und wütend sagte: „Worple und Sanguini sind hier. Sagen Sie mir einfach, wo die blöden Ampullen sind.“
Erstaunt blickte er auf den Wecker auf seinem Nachttisch. Es war schon zehn nach sechs und er fragte sich, wie er so lange hatte schlafen können, ohne auch nur einmal zu erwachen. Es war ihm nicht entfallen, dass sie ihre Fäuste ballte. So wütend hatte er sie noch nie erlebt.
Müde kroch er aus dem Bett und zog sich Schuhe über, während er sagte: „Ich werde mitgehen.“
„Oh nein, das ist nicht nötig“, sagte Hermine voller Rage. „Die beiden halten mich eh schon für die dumme Schülerin, die von nichts eine Ahnung hat; nicht weiß, wo was zu finden ist. Mr. Worple war so nett mich darauf hinzuweisen, doch besser ’den Professor’ zu fragen.“
„Sie sind nicht dumm“, murmelte er. „Außerdem muss ich den beiden die Entlohnung geben.“
Mit einer stillen, dennoch sehr aufgebrachten Hermine im Schlepptau betrat er das Labor und grüßte die beiden Gäste mit seiner üblich distanzierten Art.
„Es tut mir Leid, dass Sie warten mussten“, sagte er in einem Tonfall, der den Gästen verinnerlichte, dass er momentan übel gelaunt war.
Mr. Worple erhob sich und erklärte: „Nein, keine Sorge. Ihre Assistentin hat uns…“
„Meine Schülerin“, verbesserte Severus.
Nickend nahm Worple diese Aussage zur Kenntnis. „Sie hat uns gesagt, es ginge Ihnen nicht gut.“
Severus hatte eine Schublade geöffnet und war längst dabei, das leere Kästchen mit frischen Ampullen zu füllen. Ganz offensichtlich war ihm nicht nach Konversation, was Worple auf eine möglicherweise angeschlagene Gesundheit zurückführen könnte.
„Ich wäre untröstlich gewesen“, begann Worple, „wenn das Experiment heute nicht hätte fortgeführt werden können.“
„Und ich bin untröstlich“, sagte Severus, ohne sich zu seinen Gästen umzudrehen, „dass ich meiner Schülerin so wenig über mein Projekt berichtet habe.“
Er setzte die eine Ampulle in das letzte, leere Fach und schloss die Kiste, bevor er noch ein Säckchen auf ihr ablegte. „Denn dann hätte ich sie heute nicht in eine so unangenehme Lage gebracht.“ Er drehte sich um und näherte sich Mr. Worple. Während er ihm die Kiste und das darauf befindliche Säckchen mit Galleonen überreichte, erklärte er entschuldigend, aber dennoch sehr trocken: „Wir konzentrieren uns mehr auf ihr Projekt.“ Er blickte zu Hermine hinüber, bevor er wieder Worple anschaute und hinzufügte: „Denn das scheint vielversprechendere Ergebnisse zu liefern als das meine.“
„Oh, das würde ich nicht sagen“, widersprach Mr. Worple aufmunternd. „Miss Granger hat unsere Notizen entgegengenommen. Ich denke, Sie werden viel damit anfangen können, Professor Snape.“
Severus nickte, bevor er noch sagte: „Eine Anleitung, die für diese Tränke wichtig sind, finden Sie wieder in der Kiste. Wenn Sie mich jetzt…“
„Aber sicher, Professor Snape.“ Worple verabschiedete sich von Severus und schaute gleich darauf zu Hermine hinüber: „Miss Granger, einen schönen Abend noch.“
„Auf Wiedersehen“, brachte Hermine leise heraus.
Obwohl er sich gern wieder zurückziehen würde, blieb er noch im Labor, doch er stand nur herum und schien unentschlossen.
Mit leiser Stimme forderte Hermine eine Antwort: „Was ist mit Ihnen los?“
„Das geht Sie nichts an“, erwiderte er wesentlich matter, als er es vorgesehen hatte.
Verzweifelt schüttelte sie den Kopf, bevor sie aggressiver sagte: „Tun Sie nicht so als wäre nichts.“
„Halten Sie sich da raus!“, befahl er diesmal schon grimmiger.
„Ja, das hätten Sie wohl gern“, verspottete sie ihn. Selbst sein böser Blick brachte sie nicht davon ab zu sagen: „Sie brauchen gar nicht zu denken, dass ich Ihren äußerst besorgniserregenden Zustand einfach so hinnehmen werde. Ich werde…“
„Sie, Miss Granger, werden in Bezug auf meine Person überhaupt nichts mehr unternehmen! Unterlassen Sie es, Ihre Nase überall hineinzustecken, sonst werde ich doch noch Gebrauch vom Rohrstock machen“, kündigte er an.
„Ich kann auch mit dem Säbel rasseln, Severus“, sagte sie gelassen, um ihm zu zeigen, dass sie seine Drohung keinesfalls ernst nahm. Entgegen seines Verhaltens blieb sie auch bei der persönlichen Anrede.
„Gehen Sie“, verlangte er.
„Warum? Damit Sie was genau machen können? Schlafen? Ein sehr ungewöhnliches Verhalten für Sie, finden Sie nicht?“, reizte sie ihn mit zuckersüßer Stimme.
„Was ich in meiner Freizeit anstelle hat Sie nicht im Geringsten zu interessieren!“
„Aber wissen Sie was? Heute war Freitag – kein freier Tag für Sie! Von wegen ’Freizeit’…“ Sie schnaufte hämisch. „Sie haben verschlafen! Wann ist das das letzte Mal passiert?“ Sie tat so, als müsste sie angestrengt nachdenken und machte dabei „Mmmh“. „Richtig, noch nie! Jedenfalls nicht in den Jahren, die ich hier als Schülerin verbracht habe. Das war auch der Grund, warum ich aus Albus’ Mimik ablesen konnte, dass er das Schlimmste befürchtet hat, als sie heute früh nicht anwesend waren! Sie bereiten nicht nur mir Sorgen, Severus.“
Ohne auf das einzugehen, was sie eben gesagt hatte, forderte er viel lauter: „Gehen Sie endlich!“
„Sie glauben wirklich, dass Sie mich loswerden können oder?“, sagte sie provokant.
Er grinste fies und sagte mit schmieriger Stimme: „Oh, ich könnte Sie ganz schnell loswerden. Wie wäre es, wenn ich Ihnen die schriftliche Befugnis erteile, Ihren Meister beim Ministerium abzulegen. Dann bin ich Sie endlich los!“
„Und Sie glauben wirklich, dass Sie mich so auch aus Ihrem Leben stoßen können?“, fragte sie baff. Weil er nur die Stirn in Falten legte, erklärte sie: „Ich würde Harry sicherlich sehr häufig besuchen und ich würde Ihnen ganz gewiss über den Weg laufen.“
„Und mich weiterhin mit Ihrer nervtötenden Art belästigen“, stellte er als Tatsache fest.
„Ach, jetzt bin ich auf einmal wieder ’nervtötend’. Als Sie eben mit Mr. Worple über mich gesprochen haben, da schien es doch für einen Moment tatsächlich so, als würden Sie mich und meine Arbeit schätzen.“
Sie hielt ihm vor Augen, dass seine beleidigenden Aussagen von ihr als bloßer Schutzmechanismus durchschaut worden waren, was ihn rasend machte. Er fand einfach keine Möglichkeit, sie zum Gehen zu bewegen. Er wollte seine Ruhe; er wollte nur noch seine Ruhe haben.
„Was hat es denn diesmal ausgelöst?“, fragte sie herausfordernd. „Es war ja schon seit gestern Abend so. Ich habe es gemerkt…“ Sie nahm ihre Finger zu Hilfe und zählte damit die Personen auf, die gestern Abend seine Veränderung miterlebt haben: „Harry, Ron, ich…“ Er erwiderte nichts, weswegen sie ihn mit der Tatsache konfrontierte: „Sie brauchen auch nicht zu glauben, dass ich die Einzige bin, die von Ihrer ’Andersartigkeit’ weiß. Nein, nein… Da ist noch Albus, für den es offensichtlich kein Geheimnis ist, was Ihnen vor zwanzig Jahren widerfahren ist. Das hat er nämlich schon zugegeben.“ Severus Augen weiteten sich vor Entsetzen, während sie aufgesetzt heiter erklärte: „Und Draco natürlich. Mit ihm war ich vorhin übrigens ein wenig mit dem Hund spazieren und wir haben uns ganz prächtig unterhalten. Nicht zu fassen, dass Sie, Severus, sogar ehemalige Feinde zusammenführen können.“ Ihr Sarkasmus tat weh, doch er konnte nichts erwidern und so hörte er einfach zu, als sie sagte: „Das hatte ich ja beinahe vergessen: Sir Nicholas hatte damals sogar bemerkt, dass Ihre Augenfarbe von braun auf schwarz gewechselt war. Ich muss ihn direkt noch einmal ansprechen, ob er endlich in Erfahrung gebracht hat, wann genau das gewesen war.“ Sie legte ihren Kopf schräg und fragte keck: „Es war so etwa um diese Zeit, nicht wahr? So um Halloween oder etwas später. Warten Sie, was kann da nur zu Halloween geschehen sein…?“
Severus hatte genug und stürzte sich auf Hermine, um sie an den Oberarmen zu packen, damit er sie aus seinem Labor schmeißen konnte. Dass sie sich wehren würde, damit hatte er gerechnet, aber dass sie so eine Körperkraft und Geschicklichkeit an den Tag legen könnte, machte ihn glatt sprachlos. Sie hatte sich mit Leichtigkeit aus seinem Griff herausgewunden, ihm zudem auch noch – beabsichtigt oder nicht – mit dem Ellenbogen einen Schlag in die Rippen versetzt.
Mit einem Zeigefinger auf ihn deutend zischte sie gereizt wie eine Königskobra: „Sie werden sich vorsehen mir noch einmal zu nahe zu kommen!“
„Ah, jetzt folgen wohl Ihre leeren Drohungen“, sagte er spottend und da sie seine vorherigen Drohungen nicht ernst genommen hatte, nahm er sich vor, die ihren ebenfalls gelassen abzuwinken.
Mit einem einseitigen Lächeln erklärte sie: „Als leer würde ich sie nicht bezeichnen. Was sagen Sie zu drei Jahren Askaban für das unerlaubte Eindringen in die Gedanken eines Menschen per Legilimentik?“
Severus war völlig geplättet.
Im Gegensatz zu ihm hatte sie damit tatsächlich ein Druckmittel gegen ihn in der Hand, doch sie hielt sich daran nicht länger auf, sondern sagte: „Ich hätte längst herausgefunden, was mit Ihnen los ist, wenn Sie es sich nicht zum Steckenpferd gemacht hätten, uns immer nur kleine Happen vor die Füße zu werfen, die wir in einem riesigen Puzzle unterzubringen versuchen. Ihre Hinweise verstehe ich durchaus, Severus, aber mit denen was anfangen zu können ist äußerst schwierig. Spucken Sie es doch einfach mal aus: Was ist an Kapitel zehn von ’Schützende Hände’ so wichtig?“
Er atmete schnaufend, sein Herz raste. Sie brachte ihn zur Weißglut. Eine Antwort blieb er ihr jedoch schuldig.
„Oh ja, jetzt verschließen Sie sich wieder und sagen lieber gar nichts mehr, bevor Ihnen noch ein wichtiger Hinweis über die Lippen kommt wie damals bei Harry! Sie sind wirklich berechenbar, Severus“, sagte sie absichtlich, weil sie wusste, dass er nicht als ’berechenbar’ bezeichnet werden wollte.
Sie hatte ihn beinahe, glaubte sie jedenfalls. Weder er noch sie hatten ihren Zauberstab gezogen. Die kleine Handgreiflichkeit seinerseits hatten beide längst vergessen und er würde es sicherlich nicht wagen, nach ihrer Drohung noch einmal grob zu werden.
„Was ist gestern passiert?“, fragte sie erneut, doch dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, denn nach dem Hogsmeade-Ausflug war Severus nicht sofort nach Hogwarts zurückgekehrt. „Ja richtig! Sie waren gestern noch mit Remus unterwegs.“ Sie grinste ihn überlegen an und verabschiedete sich mit den Worten: „Dann guten Abend noch, Severus. Ich werde jetzt mal Remus besuchen.“
Sie war bereits durch die Tür hinaus auf den Flur gegangen und hatte auch tatsächlich die Absicht, Remus aufzusuchen, um ihn über dessen Gespräch mit Severus auszufragen, da spürte sie, wie jemand sie rabiat am Umhang packte. Sie wurde hart herumgerissen und gegen eine Wand geschleudert. Als sie endlich ihre Orientierung wiedergefunden hatte, blickte sie leicht schielend auf die Spitze eines Zauberstabes aus Weiß-Buche, die auf ihre Nase zeigte. Ihre Augen fokussierten schnell die Person hinter dem Zauberstab und das war selbstverständlich Severus, der wild schnaufte, die schiefen Zähne gereizt fletschte und dessen Gesicht vor Wut zu einer furchteinflössenden Fratze entstellt war.
Durch die Zähne zischend sagte er bedrohlich leise: „Lieber drei Jahre Askaban als drei Jahre mit Ihnen!“
Hermines Herz trommelte bereits in ihrem Hals, aber sie wusste, dass Severus es nicht wagen würde, ihr etwas anzutun – nicht wegen ihrer Drohung, ihn beim Ministerium anzuzeigen, sondern wegen Albus; wegen Harry. Diese Menschen würde Severus nicht enttäuschen wollen.
Im Hintergrund erkannte sie, dass Salazar die Situation einen Moment beobachtet hatte, bevor er sein Gemälde verließ, um sicherlich den Direktor über die brenzlige Situation zu unterrichten.
„Darf ich daran erinnern“, Hermine schluckte hörbar, „dass Sie mich wollten? Sie haben mir den Vertrag angeboten!“
„Sie werden sich aus meinem Leben heraushalten!“, forderte er mit zittriger Stimme, die ihr sehr deutlich zeigte, wie erregt er war.
„Zu spät, Severus. Ich bin schon viel zu tief darin versunken“, erklärte sie mit ruhiger Stimme in der Hoffnung, ihn milde zu stimmen und ihm gleichzeitig aber auch die Wahrheit zu sagen.
Seine Gesichtszüge wurden wieder weicher, wodurch Severus verletzlich wirkte. Seine Hand, mit welcher er noch immer seinen Zauberstab auf sie richtete, zitterte so sehr, dass er ihr plötzlich Leid tat. Mitleid wollte sie nie mit ihm haben, aber andererseits war an Mitleid doch nichts verwerflich. Wenn ihren Freunden etwas Schlimmes widerfahren war, hatte sie stets mit ihnen gelitten – Mitleid empfunden. Jetzt fühlte sie mit ihm.
„Wenn ich nur wüsste, wovor Sie solche Angst haben“, flüsterte sie traurig, denn in ihren Augen hatte er keinen Grund sich so zu fürchten. „Vor sich selbst“, fügte sie hauchend hinzu, denn das war es, wovor er sich fürchtete, auch wenn ihr noch immer nicht hundertprozentig klar war, warum.
Er rührte sich keinen Millimeter. Schon nachdem Salazar aus seinem Gemälde verschwunden war, hatte sich für Hermine die Situation entschärft. Sie war völlig angstfrei und hatte keine Bedenken, dass er ihr Leid zufügen könnte.
„Was ist auf dem Dachboden?“, wollte sie wissen. Seine Hand zuckte, ebenso wie sein rechtes Augenlid, doch eine Erklärung gab er wie erwartet nicht. „Ich werde es wohl allein herausfinden müssen wie alles andere auch“, gestand sie ihm wehmütig.
„Sie haben da oben nichts zu suchen“, sagte er kraftlos.
„Sie können mich nicht daran hindern!“
Blitzschnell bohrte sich die Spitze seines Stabes in ihren Hals und sein Gesicht verzerrte sich erneut zu einer Fratze. Er wollte sie auf jeden Fall daran hindern, auf Entdeckungstour zu gehen und Hermine fiel nur eine einzige Sache ein, die ihr jetzt vielleicht helfen könnte.
„Ich denke“, sagte sie mit Unbehagen, „ich ergreife diese Gelegenheit…“ Er bohrte den Stab noch tiefer in ihren Hals, so dass es wirklich wehtat. Nichtsdestotrotz rückte sie mit der Sprache raus, auch wenn sie sich viel kürzer hielt als sie eigentlich wollte: „Mein Haar ist in Ihrem Zauberstab!“
Seine Augen weiteten sich mit einem Ausdruck der entsetzten Überraschung, bevor er einen Schritt zurückwich. Sie griff sich gleich darauf an den Hals, um schmerzlindern die Stelle zu reiben, an welcher sich sein Zauberstab hineingedrückt hatte.
„Was denn, Sie sind ja wirklich überrascht“, sagte Hermine flüsternd. Im Hintergrund hatte sie gesehen, dass Salazar wieder in seinem Gemälde verweilte. Severus wich einen weiteren Schritt zurück, was sie nicht daran hindern konnte zu sagen: „Sie waren ja auch nicht mehr im Laden, als Ollivander mir durchs Haar gefahren ist. Es kam mir im ersten Moment nur als die kauzige Eigenart eines alten Mannes vor, aber man sollte Mr. Ollivander wirklich nicht unterschätzen. Der Mann weiß, was er tut, auch wenn wir nicht verstehen, warum er es tut.“
Seinen Stab hatte Severus gesenkt. Er hörte ihrer Stimme zu, die nicht mehr garstig war, sondern wohlklingend. Sie hatte ihn die ganze Zeit über gekonnt provoziert; nicht zu wenig und nicht zu stark. Er hasste sich dafür, seine Besonnenheit verloren zu wissen. Am besten wäre es, dachte er, wenn er sich zurückziehen würde. Nicht nur jetzt und nicht nur von ihr, sondern für immer von allen: Lupin, Albus, Draco, Harry und natürlich von Hermine; besonders vor ihr. Wenn all diese Menschen keine Rollen mehr in seinem Leben spielen würden, dann wäre er auch nicht mehr dazu gezwungen, sich an früher erinnern zu müssen.
„Ich werde jetzt zu Remus gehen“, sagte sie mit gebrochener Stimme und es schien, als hätte sie sich selbst dazu überreden müssen, ihn über ihr Vorhaben zu unterrichten. Sie hätte es nicht sagen müssen, aber er sollte es wissen. Er sollte wissen, dass sie mit anderen Menschen über ihn sprach, weil sie sich anders nicht zu helfen wusste.
„Es sei denn“, begann sie mit dünner Stimme, „Sie möchten mit mir reden?“
Sie flehte ihn nicht nur an, sich ihr endlich anzuvertrauen, sondern sie ließ ihm eine Wahl, eine Wahl zwischen zwei Übeln. Er schüttelte nur einmal ruckartig den Kopf. Seine Entscheidung war gefallen. Sollte sie ruhig versuchen, über jemand anderen, der genauso wenig wusste wie sie selbst, etwas über ihn in Erfahrung zu bringen. In seinen Augen war es erträglicher als der Gedanke daran, sich mit ihr und ihrem Verstand, ihrer ständigen Fragerei und Hinterfragung auseinander setzen zu müssen.
„Dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht, Severus“, sagte sie noch immer beschwörend, denn noch konnte er sie davon abhalten, seinen alten Schulkamerad aufzusuchen.
Sie wandte sich von ihm ab und ging langsamen Schrittes den Gang hinunter. Ein wenig rechnete sie im Hinterkopf damit, dass er sie erneut anfallen könnte, doch sie hörte keine Schritte. Bevor sie die Stufen am Ende des Ganges erklomm, drehte sie sich um und da sah sie ihn stehen. Er blickte ihr hinterher; stand noch immer an der gleichen Stelle, wo sie ihn zurückgelassen hatte. Dieser eine Moment gehörte noch ihm. Sollte er sich ihr nähern, hätte er die letzte Möglichkeit am Schopfe gepackt, doch er verweilte starr wie eine der vielen Statuen im Schloss.
Zuletzt geändert von Muggelchen am 02.02.2011 00:34, insgesamt 1-mal geändert.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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Hallo Muggelchen,
also ich finde ja, du sollst dich mal mit Frau Rowling in Verbindung setzen und deine Geschichte als Buch auf den Markt bringen^^ Ich weiss, dass ist schwierig, aber es wäre schön, wenn diese Geschichte mal verfilmt werden würde.
Ich habe deine Geschichte schon auf einer anderen Seite gelesen und kann nur sagen^^wow
super!!!Mach weiter so...und wenn ich es schon nicht als Film auf DVD kaufen kann, dann freue ich mich darüber, dass du vieleicht noch andere schöne Sachen über Hogwarts schreibst^^
Liebe grüsse Sentara
also ich finde ja, du sollst dich mal mit Frau Rowling in Verbindung setzen und deine Geschichte als Buch auf den Markt bringen^^ Ich weiss, dass ist schwierig, aber es wäre schön, wenn diese Geschichte mal verfilmt werden würde.
Ich habe deine Geschichte schon auf einer anderen Seite gelesen und kann nur sagen^^wow


Liebe grüsse Sentara

- Muggelchen
- Eule
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Hi Fabi,
vielen Dank für das Lob. Was die Spannung betrifft, da kann ich getrost versprechen, dass es später noch viel spannender wird. Es gibt mit Sicherheit welche unter den weiteren Kapitel, die dieses noch toppen können
Hallo Sentara,
wenn es so wie bei Paramount wäre, dass unabhängige Autoren Bücher über Star Trek schreiben und nach Absprache veröffentlichen dürfen (Fanfiction in Buchform), das wäre natürlich was. Ich befürchte aber, dass ein Lektor mind. ein Drittel aus der FF wegstreichen würde, sprich: die ganzen schönen Details. Dann lieber Fanfiction. Aber hast Recht, als Film würde ich das auch gern mal sehen, aber nur mit der Originalbesetzung
Liebe Grüße,
Muggelchen
128 Flüchtige Feinde
Die Sonnenstrahlen schafften es nicht, durch die schmutzigen Fenster bis zu Narzissa durchzudringen, doch sie erwachte aufgrund des Gesanges der wenigen Vögel, die zu dieser kalten Jahreszeit dem Land treu geblieben waren. Sie reckte sich in dem für eine Person viel zu großen Bett und verspürte die Sehnsucht sich umzudrehen und ihren Mann zu küssen, doch sie wusste, dass dieser Wunsch unbefriedigt bleiben würde. Lucius war nicht hier, Draco auch nicht. Nicht einmal ein Elf konnte ihr Gesellschaft leisten.
Schwunglos stand Narzissa auf. Das Schlafzimmer hatte sie gestern nach dem Badezimmer zumindest schon einmal in einen Zustand versetzen können, so dass ihr allein beim Anblick nicht übel wurde. Die dicken Pfosten des Bettes von den Holzwürmern zu befreien und die von ihnen hinterlassenen Löcher zu stopfen hatte am meisten Zeit beansprucht, denn Narzissa hatte hierfür erst in der Bibliothek das Buch „Gilderoy Lockharts Ratgeber für Schädlinge in Haus und Hof“ wälzen müssen, um einen wirkungsvollen Spruch zu finden. Währenddessen hatte sie den Entschluss gefasst, sich die Bibliothek am nächsten Tag vorzunehmen, denn hier hatte sie früher immer gern und oft gesessen, um zu lesen.
In der Zeit, in welcher sie Regale von Staub befreite, die Fenster putzte, die losen Tapeten wieder an die Wand heftete und die Verstopfung des Kaminabzugs in der Bibliothek beseitigte, dachte sie an die Nacht zurück. Durch die viele Arbeit, denn einiges hatte sie auch per Hand erledigen müssen, war sie müde ins Bett gefallen, doch mitten in der Nacht war sie erwacht.
Das Haus hatte im Dunkeln sehr bedrohlich auf sie gewirkt. Überall hatte es geknarrt und ein Rumpeln war zu hören gewesen, was sie auf die lange nicht genutzten Wasserleitungen schieben wollte. Doch trotzdem sie glaubte, alle Geräusche einer Ursache zusprechen zu können, hatte sie noch lange wach gelegen und den befremdlichen Lauten gelauscht.
Immer wieder hatten sich ihre Gedanken um ihren Mann und ihren Sohn gedreht und die Vorfreude, beide eines Tages wieder in diesem Haus begrüßen zu dürfen, hatte sie wieder einschlafen lassen.
Jetzt, am Tage und mit geputzten Fenstern, war das Bedrohliche verschwunden. Es machte Narzissa sogar Freude, das Haus auf Vordermann zu bringen, denn hier und da fand sie Erinnerungsstücken, die ihr halfen, ihr Gedächtnis ein wenig aufzufrischen. Nicht alles hatte mit angenehmen Erinnerungen zu tun, wie zum Beispiel die blau-goldene Spieldose, die Bellatrix extra hatte anfertigen lassen, um sie ihr zum Geburtstag zu schenken. Der Verlust ihrer Schwester schmerzte sehr, auch wenn sie wusste, dass es um sie nicht mehr gut bestellt war, nachdem sie Riddle in die Hände gefallen war; ihm verfallen war wie schon den unheilvollen Büchern, die sie so geliebt hatte. In der Vitrine befanden sich noch immer die beiden prunkvollen Fabergé-Eier, welche Orion und Walpurga ihnen zum Geschenk gemacht hatten. Erst nachdem Narzissa die Vitrine gründlich mit einem Zauberspruch gereinigt hatte, konnte man sich auch wieder an deren Anblick erfreuen. Das Hochzeitsgeschenk ihrer Eltern, der riesige Wandteppich, war schon schwieriger zu säubern, doch auch der war bald nicht mehr trostlos grau, sondern wieder strahlend rot.
Gegen Mittag war der gröbste Dreck aus der Bibliothek beseitigt und Narzissa machte sich daran, die anderen Räume zu besichtigen. Bevor sie die große Küche, in welcher sie in Gedanken Dobby arbeiten sah, aufräumen wollte, flohte sie zunächst über den Kamin ein Geschäft an, bei welchem sie eine große Bestellung aufgab. Bis zum Nachmittag, wenn der Lieferant kommen sollte, wollte sie die Küche vorzeigbar hergerichtet haben.
In Hogwarts wachte Hermine sehr spät auf. Sie hatte gestern noch Remus aufgesucht und ihn genötigt, ihre Fragen zu beantworten, wogegen er sich zunächst gesträubt hatte.
„Meinst du nicht, dass du ihn das alles selbst fragen solltest?“, hatte er gestern mit unschuldiger Miene vorgeschlagen.
„Wenn das möglich wäre, Remus, dann wäre ich jetzt nicht hier! Ich habe genug von den Spielchen. Er weiß, dass ich bei dir bin. Er hätte mich aufhalten können, hat es aber nicht getan und du, mein Freund, wirst mir jetzt ein paar Antworten geben!“, war es ihr viel aggressiver über die Lippen gekommen als sie es eigentlich vorgehabt hatte. Der über ihr Verhalten sehr erstaunte Remus hatte sich ihrer Aufforderung gebeugt.
Das Frühstück in der Großen Halle hatte sie verpasst und so hielt sie sich gar nicht erst damit auf, sich etwas zu Essen bringen zu lassen. Sie wollte gleich ein Wörtchen mit Harry reden und zwar über alles, über die Gesamtsituation.
Im ersten Stock knisterte bei Harry und Ginny der Kamin und nach wenigen Sekunden war Hermine bereits eingeladen. Harrys Vorfreude auf ein paar gemeinsame Stunden mit Hermine verflogen etwas, als er ihren grimmigen Gesichtsausdruck bemerkte.
Weil Ginny gleich nach der Begrüßung erfahren hatte, dass Hermines Magen noch leer war, ließ sie von einer Hauselfe etwas aus der Küche bringen, während Hermine sich bereits auf die Couch setzte und Harry betrachtete, der einen dösenden Nicholas im Arm wiegte. Die ungehaltene Miene seiner Freundin verschwand beim Anblick des Babys, doch noch immer schien sie sehr aufgewühlt.
„Willst du ihn halten?“, fragte Harry lächelnd.
„Nein“, kam als schroffe Antwort.
Stutzend blinzelte Harry einige Male, bevor er nicht sehr ernst vorwarf: „Du willst deinen Patensohn nicht halten?“
Sie kniff kurz die Lippen zusammen, hielt dann aber ihre Arme ausgestreckt, um den Jungen in den Arm zu nehmen.
„Ron kommt so gegen Mittag, Hermine“, sagte Harry voller Vorfreude. „Wir dachten, wir vier könnten heute zusammen außerhalb essen gehen, vielleicht in den Drei Besen, der guten alten Zeiten wegen.“
„Nun tu mal nicht so, als wären wir schon über hundert Jahre alt“, nörgelte Hermine.
Natürlich war es lange her, dass sie dort zusammen eine schöne Zeit gehabt hatten, denn die heimlichen Treffen mit Spionen, die etwas über jene Menschen ausgeplaudert hatten, die Voldemort zwar nicht offiziell gefolgt waren, aber ihn und seine Taten finanziell unterstützten, zählten nicht zu den heimeligen Zusammenkünften.
„Von mir aus“, sagte Hermine gleichgültig.
Skeptisch blickte Harry seine Freundin an und sagte gleich darauf bitterböse: „Oh, dein überschwänglicher Enthusiasmus haut mich noch von den Socken, Mine.“ Etwas milder, weil sie ihn vorwurfsvoll anblickte, sagte er: „Ich dachte, du würdest dich freuen, wenn wir mit Ron mal wieder etwas zusammen unternehmen. Wir können auch was anderes machen, wenn du einen Vorschlag hast.“
„Nein, essen bei Rosmerta hört sich gut an“, versicherte sie ihm halbherzig.
Eine Tasse Tee zu Hermine auf den Tisch stellend fragte Ginny: „Was ist dir denn nur über die Leber gelaufen? Gibt es wieder Stress mit dem Kerkerfrosch?“
„Nennt man ihn jetzt so?“, fragte Hermine, der noch sehr gut die verschiedensten Bezeichnungen in Erinnerung waren, mit denen die Schüler Severus damals betitelt hatten.
„Unter anderem, ja“, antwortete Ginny offen. Noch einmal fragte sie: „Stress?“
Hermine seufzte und drückte den Jungen an sich, bevor sie bedrückend und nörgelnd preisgab: „Warum lastet das alles auf mir?“
Nicht verstehend fragte Harry nach: „Was meinst du?“
„Das mit Severus? Es war deine Idee, Harry. Du warst es, dem er Hinweise gegeben hat. Zuerst haben wir uns zusammen drum gekümmert, selbst mit Ron, aber jetzt…“ Sie seufzte. „Die ganze Arbeit bleibt komplett an mir hängen.“
„Du siehst ihn jetzt doch auch viel öfter als ich, Mine“, erklärte Harry.
Sie lachte kurz auf, um Harrys Aussage ins Lächerliche zu ziehen, bevor sie sagte: „Du hast ja auch das mit dem Hund enden lassen. Das bleibt jetzt ebenfalls an mir hängen, sonst würdest du ihn auch noch jeden Tag mehrmals sehen.“ Hermine blickte auf den Jungen in ihrem Arm, der mit einer ihrer Haarsträhnen spielte. Wehmütig und ein wenig neidisch sagte sie: „Aber ich verstehe schon; du hast jetzt eine Familie und kannst dich nicht mehr kümmern.“
Sie klang so bedrückt, dass Harry ihr erklären wollte, warum er Zeit mit Ginny haben wollte. Während Hermine damals ihren Ron gehabt hatte, hatte Harry auf Ginny verzichten müssen. Nachdem sie jahrelang nur Freunde gewesen waren, die sich gegenseitig stillschweigend Herzschmerzen bereiteten, wenn sie sich auch nur kurz auf dem Flur im Grimmauldplatz über den Weg gelaufen waren, hatte Harry nun endlich die Möglichkeit das nachzuholen, was er damals hatte aufgeben müssen, doch erklärende Worte wollten seinen Mund einfach nicht verlassen.
„Soll ich wieder mit dem Hund rausgehen? Ich mach es!“, sagte er zusichernd und er blickte kurz in der Hoffnung zu Ginny hinüber, dass sie das Nachsehen mit ihm haben würde.
„Es geht doch gar nicht um den Hund, Harry. Es geht um das, was Severus betrifft.“
Einen Moment lang schwieg Harry, bis er leise fragte: „Was soll ich tun? Gib mir eine Aufgabe und ich mache wieder aktiv mit.“
Sie seufzte und schilderte im Anschluss: „Er hat gestern verschlafen; er hatte keinen Urlaub. Er isst kaum was, ist launisch und abweisend.“
„Hört sich an wie immer“, wollte Harry aufmuntern, doch Hermines Blick versicherte ihm, dass die Situation nicht witzig war.
„Er hat gestern ganz deutlich gesagt, dass es das nicht mehr will. Ich soll ihn in Ruhe lassen und meine Nase aus seinen Angelegenheiten raushalten.“
Ginny hörte den beiden still zu. Sie hatte von Harry zwar einiges erfahren, doch sie war nicht sehr vertraut mit dem, was es mit ihrem Zaubertränkelehrer auf sich hatte.
„Willst du aufhören?“, fragte Harry besorgt, denn er selbst wollte es nicht, auch wenn er sich in dieser Sache ein wenig zurückgezogen hatte.
Traurig verzog Hermine ihr Gesicht, bevor sie tief Luft holte und langsam ausatmete. „Ich glaube, ich bin viel zu neugierig, um jetzt aufhören zu können. Das Problem, das ich sehe, ist, dass es ihm mit der Zeit immer schlechter zu gehen scheint. Ich denke, das ist der Grund, warum er unsere Hilfe nicht mehr möchte.“
„Inwiefern ’schlechter’?“, wollte diesmal Ginny wissen, die sich bisher zurückgehalten hatte.
Hermine hob und senkte einmal ihre Schultern, wodurch Nicholas kurz an ihre Brust gedrückt wurde, bevor sie antwortete: „Er hatte doch nach dem Hogsmeade-Ausflug noch mit Remus gesprochen und da, sagte Remus jedenfalls, schien Severus sich plötzlich nicht sehr wohl zu fühlen. Vielleicht war es gestern auch nur ein sehr extremer Tag für Severus gewesen, aber wenn sein Zustand so bleiben sollte, dann denke ich, brütete er eine böse Depression aus. Er war ja die ganze Zeit über nicht gerade der Glücklichste hier. Ich hatte gestern auch mit Draco gesprochen. Der meinte zuerst auch, dass man Severus vielleicht in Ruhe lassen sollte.“
„Über was haben Remus und Severus gesprochen?“, fragte Harry.
„Na ja“, begann Hermine, „über deine Eltern, speziell deine Mutter. Severus hat Remus gegenüber deutlich gemacht, dass er sich für ihren Tod verantwortlich fühlt.“
Es war deutlich zu hören, dass Harry schlucken musste.
„Es war Voldemort gewesen“, warf Ginny ein. „Das weiß doch jedes Kind und es stand in allen Zeitungen.“
Harry fügte an: „Aber Severus hat Voldemort die halbe Prophezeiung übermittelt und denkt offensichtlich, das ganz allein hat zum Tod meiner Eltern geführt.“
Harry musste wieder den Kloß hinunterschlucken, der sich in seinem Hals geformt hatte. Er wollte das Thema gern wieder wechseln.
Mit dem Kopf schüttelnd gab Ginny das Beispiel: „Dann kann man genauso gut Mr. Ollivander für den Tod von deinen Eltern verantwortlich machen, weil der Voldemort den Zauberstab verkauft hatte, mit dem er den Avada gesprochen hat. Tut mir Leid, dass ich mir so ein Szenario ausdenke, aber wenn man so denkt, dann gibt es eine Menge Leute, die sich die Schuld für so einiges geben müssten. Dabei ist es doch immer das Ende dieser Kette von Ereignissen, das ausschlaggebend ist: Derjenige, der den Todesfluch ausgesprochen hat, ist der alleinige Mörder.“
„Ja, Ginny“, stimmte Hermine ihr zu, „aber trotzdem sind bei manchen Menschen Schuldgefühle vorhanden, die man sich nicht auf deine Art einfach wegerklären kann, um sein Gewissen zu erleichtern.“
Mit einem Male musste Harry an Cedric denken. Hätte er ihn damals nicht dazu überredet, dass beide den Pokal gleichzeitig ergreifen sollten, dann wäre er noch am…
„Harry, hörst du überhaupt zu?“, fragte Hermine nachdenklich.
„Was?“
„Ich habe gesagt, dass er jetzt weiß, dass es eines von meinen Haaren ist, das Ollivander als Stabkern verwendet hat“, erklärte Hermine ruhig.
Zunächst noch unbeeindruckt wollte Harry wissen: „Und was hat Severus gesagt?“
„Nichts, ich würde sagen, er war schockiert. Richtig schockiert. Er hat danach kein Wort mehr fallen lassen“, schilderte sie, während sie sich an gestern Abend erinnerte.
Sie wollte Harry nicht erzählen, dass Severus sie mit seinem Zauberstab bedroht hatte, denn sie hatte sich nicht bedroht gefühlt. Außerdem war sie sich sicher, dass Albus von dieser Auseinandersetzung in Kenntnis gesetzt worden war.
„Hast du ihn heute überhaupt schon gesehen?“, fragte Harry neugierig.
„Nein, ich war auch weder heute morgen noch vorm Mittagessen mit dem Hund draußen“, erklärte sie.
„Soll ich gehen?“, fragte er und hoffte auf eine positive Antwort, denn er wollte kein Gesprächsthema mehr führen, das Schuldgefühle in ihm aufkommen lassen würde.
„Wenn du möchtest. Aber pass auf, er könnt etwas… ähm“, Hermine suchte nach einem passenden Wort.
„Was könnte er? Grantig sein? Oder mürrisch, fies, wütend? Ich kenne ihn von allen Seiten, auch von der ruhigeren“, sagte er abwinkend. „Ich bin gleich wieder da.“
Salazar ließ Harry sofort passieren. Kaum hatte er das Wohnzimmer betreten, wurde er von zwei Dingen begrüßt. Erstens sprang ihn der Hund freudig aufgeregt an und zweitens kroch ein ekelhafter Geruch in seine Nase, der sehr an Exkremente erinnerte.
„Hast du etwa…?“, fragte Harry den Hund. Gleich neben der Tür, wie Harry bemerkte, hatte der Hund sein Geschäft erledigt: zweimal. Er blickte den Kuvasz vorwurfsvoll an, woraufhin der seinen Kopf beschämt senkte und dabei winselte. „Na ja, du kannst ja nichts dafür“, sprach Harry mit warmer Stimme.
Ein Zauber, mit dem er den Teppich gründlich reinigen könnte, fiel ihm nicht ein. Er hatte es ja nicht einmal geschafft, einen Kakaofleck aus einem Pyjama zu entfernen.
„Wobbel?“, fragte Harry leise, doch sein Elf, egal wo der sich aufhielt, kam immer, wenn er mit Namen gerufen wurde.
„Mr. Potter“, grüßte der Elf. „Wie kann ich Ihnen behilflich…“ Wobbel hielt inne und seine Nasenflügel bebten, als er den Gestank wahrgenommen hatte. Seine großen Kulleraugen erhaschten die Sauerei neben der Tür und er schnippte nur einmal kurz mit den Fingern und schon war von den Hinterlassenschaften des Hundes nichts mehr zu sehen oder zu riechen.
Aufmerksam schaute Wobbel seinen Meister an und fragte nochmals: „Wie kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?“
„Ähm… hat sich schon erledigt, Wobbel. Danke!“
Mit einem Plop verschwand der Elf wieder. Harry betrachtete kurz die gereinigte Stelle an Wand und Teppich. Man konnte gar nichts mehr erkennen. Gleich darauf fiel sein Blick auf die angelehnte Tür, hinter der sich das Schlafzimmer verbergen musste, welches Harry noch nie betreten hatte. Es war offensichtlich, dass Severus den Hund vernachlässigt hatte und womöglich vernachlässigte er auch sich selbst.
Mutig trat er an die Tür heran und spähte durch den Spalt hindurch. Severus lag bekleidet auf seinem Bett, wenn auch nicht in seiner gesamten Garderobe. Auf dem Nachttisch stand ein leeres Fläschchen, was Harry mit Besorgnis zur Kenntnis nahm. Da Severus sich nicht regte und Harry auch nicht sehen konnte, ob sein Kollege überhaupt atmete, ging er hinüber bis zum Bett und wagte es, einen Blick auf den Schlafenden zu werfen. Erleichtert stellte Harry fest, dass Severus atmete und zwar sehr ruhig. Er musste fest schlafen.
Gerade als Harry den Raum wieder leise verlassen wollte, sprang der Hund achtlos auf das Bett. Severus regte sich und wandte sich murrend der Störquelle zu. Abrupt drehte er seinen Kopf, als er Harry aus den Augenwinkeln bemerkt hatte.
Schlecht gelaunt keifte Severus: „Was machen Sie hier?“
„Ich dachte, Sie wären tot“, erklärte Harry plump, denn der Schrecken war ihm in die Glieder gefahren, weil Severus ihn entdeckt hatte und womöglich sonst was dachte.
Fies durch die Zähne zischend fragte Severus: „Sind Sie jetzt enttäuscht?“
Mehrmals blinzelnd, weil die Frage ihn sehr verwunderte, wollte Harry wissen: „Warum denken Sie, ich wäre enttäuscht?“ Severus wandte seinen Blick von ihm ab und weil er nicht antwortete, sagte Harry ehrlich: „Ich bin erleichtert.“ Auf das leere Fläschchen blickend, was Severus nicht entgangen war, sagte Harry leise: „Ich hatte schon befürchtet…“ Er hatte den Satz nicht beendet.
Severus ärgerte sich über Harrys Aufdringlichkeit, so dass er sich dazu gezwungen fühlte zu erklären: „’Traumloser Schlaf’.“
Nickend nahm Harry diese Information zur Kenntnis. Er selbst hatte diesen Trank damals von Poppy bekommen, nachdem er Albus über die Rückkehr des Dunklen Lords berichtet hatte.
„Der Hund hat den Teppich verschmutzt“, sagte Harry.
Dies als Vorwurf sehend sagte Severus wütend: „Es ist nicht meine Aufgabe, mit ihm rauszugehen.“
„Es ist aber Ihr Hund!“, stellte Harry klar.
„Und wenn ich Sie daran erinnern darf“, fauchte Severus, „haben Sie sich geradezu damit angebiedert, diese Aufgabe zu übernehmen.“
„Ja schon, aber unter einer Bedingung“, sagte Harry ehrlich.
Natürlich konnte Severus sich an die Bedingung, die Harry vor über einem Jahr gestellt hatte, noch sehr gut erinnern. Harry hatte gefordert, dass er „nett“ sein sollte.
Bevor Severus etwas sagen konnte, wechselte Harry das Thema und fragte: „Wir wollen heute Mittag in den Drei Besen essen, möchten Sie vielleicht mitkommen?“
Es war ihm klar, dass er höchstens von Ron eine Kopfnuss und den Satz „Warum hast du den Schleimbeutel auch noch eingeladen?“ erhalten würde.
Severus kniff die Augen zusammen und es schien so, als würde er Harry nicht trauen, doch eine Lüge konnte er im Gesicht seines jungen Kollegen nicht ausmachen.
Nichtsdestotrotz verlangte Severus: „Verschwinden Sie!“ Er legte sich wieder ins Bett und drehte Harry den Rücken zu.
„Ich bin dann mal mit dem Hund draußen.“
Keine Antwort, nicht mal ein verachtendes Schnaufen kam von Severus.
Gegen Mittag flohten Hermine, Harry und Ginny ohne Nicholas, denn der wurde von Wobbel betreut, in die Drei Besen, wo Ron bereits auf seine Freunde wartete.
Zur gleichen Zeit nahm Narzissa in der Küche noch minimale Säuberungszauber vor. Sie war schon fast mit ihrer Arbeit zufrieden, da klopfte es bereits an der Eingangstür.
Nachdem sie geöffnet hatte, grüßte sie einen älteren Mann, der verlegen zurückgrüßte, bevor er entschuldigend sagte: „Am Dienstboteneingang wurde mir nicht geöffnet, M'am.“
„Oh“, machte Narzissa. „Dann treten Sie doch bitte ein.“
Der Mann machte zunächst ganz große Augen, trat jedoch ehrfürchtig durch den Haupteingang ein und folgte mit hinter sich herschwebenden Körben Narzissa bis in die Küche, wo er die Bestellung auf den großen Tisch in der Mitte ablegte.
Aus einem Geldbeutel fischte Narzissa bereits die Galleonen heraus, da stoppte der ältere Herr sie und sagte: „Oh, wir würden anschreiben M'am, wie üblich.“
„Wie üblich?“, wiederholte Narzissa nachdenklich und in diesem Augenblick erinnerte sie sich daran, dass sie bei diesem Geschäft immer vierteljährlich ihre Verbindlichkeiten eingelöst hatten. „Oh ja, natürlich.“ Sie blickte den Herrn an, der sich bereits verbeugte und sich allein zur Tür begeben wollte, da fragte sie zaghaft: „Kennen wir uns?“
Der Mann mit den weißen Haaren hielt abrupt inne und blickte sie verwirrt an, bevor er unsicher klingend erklärte: „Aber ja, Mrs. Malfoy. Ich bin schon früher immer gekommen und habe Ihre Bestellung gebracht.“
„Und Ihr Name?“, fragte sie höflich. Gleich darauf verspürte sie das Bedürfnis ihn aufzuklären, so dass sie sagte: „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Ihnen fremd vorkommen sollte. Im Krieg…“ Sie stoppte sich selbst und ging erst einige Schritte auf ihn zu. „Ich weiß nur noch wenig von früher, aber langsam kommen die Erinnerungen wieder. Ich habe das Gefühl, Sie schon einmal gesehen zu haben und doch fällt mir kein einziger Moment ein, Mr…?“
„Petersen, M'am. Wir haben in all den Jahren nur zweimal miteinander gesprochen. Ich habe sonst nur mit Ihrem Hauself geredet. Er hat die Lieferungen angenommen“, erklärte der Mann.
Narzissa nickte gedankenverloren und bemerkte fast zu spät, dass der Lieferant durch die Hintertür hinausgehen wollte, so dass sie ihn aufhielt und sagte: „Sie können ruhig vorn hinausgehen. Kommen Sie, ich begleite Sie zur Tür.“ Sie lächelte, doch trotzdem folgte der Herr ihrer Aufforderung nur zögerlich und ein wenig verunsichert.
„Auf Wiedersehen, Mr. Petersen“, sagte sie an der Tür verabschiedend.
Mr. Petersen schien ein wenig verwirrt über die Behandlung, doch ein Lächeln machte sich in seinem Gesicht breit, bevor auch er sich verabschiedete und ihr noch einen schönen Tag wünschte.
Noch eine ganze Weile blickte Narzissa dem Mann hinterher, der sich auf einem Besen, an welchem hinten und vorn eine Art große Satteltasche befestigt war, wieder auf den Weg machte. Es wurde ihr langsam zu kühl und so schloss die die schwere hölzerne Tür und ging zurück in die Küche. Kaum fiel ihr Blick auf die Lieferung, blieb sie wie angewurzelt stehen. Eine der Kekspackungen war geöffnet. Erstaunt ging sie zum Tisch hinüber und nahm die Packung in die Hand. Ihre andere Hand legte sie federleicht auf ihren Mund, denn sie fragte sich, ob sie es gewesen war, die noch vor dem Fünfuhrtee genascht hatte. Narzissa war sich nicht sicher, ob ihr Erinnerungsvermögen ihr womöglich einen Streich spielte. Sich einreden wollend, dass sie es als Naschkatze nicht gemerkt haben könnte, sich bereits an den Keksen vergangen zu haben, verteilte sie die Einkäufe in die Schränke, damit diese sich langsam wieder füllen würden. Ein seltsames Gefühl blieb jedoch zurück.
In den Drei Besen trafen Hermine, Ginny und Harry auf Ron, der einen gemütlichen Tisch in der Ecke freigehalten hatte und den Kopf bereits in der Menükarte versinken ließ. Er hatte es sich nicht verkneifen können, sich schon ein warmes Butterbier zu Gemüte zu führen.
„Wartest du schon lange?“, fragte Harry.
Ron hob den Kopf, schaute gleich darauf an die Wand, an welcher eine Kuckucksuhr hing und antwortete: „Fünf Minuten oder so…“
Scherzend fragte Ginny: „Und da hast du schon ein halbes Butterbier runtergekippt?“
„Ich hatte Durst!“, verteidigte sich Ron, rutschte aber sofort auf der Bank weiter nach hinten, damit seine Schwester Platz nehmen könnte. Neben Ginny ließ sich Harry nieder und Hermine setzte sich auf die andere Seite direkt neben Ron.
Die gemütliche Runde in dem Gasthaus wurde allen noch verschönert, als Remus sich um sie kümmerte. Man ging sehr vertraut miteinander um, auch wenn er für alle anderen Gäste im Lokal nur der Kellner war. Man lachte, machte Scherze und bestellte etwas zu essen.
Hermine konnte sich nicht entscheiden und da empfahl Remus: „Die Forellen sind ganz frisch, Hermine. Ich würde sie dir braten, mit meiner speziellen Kräutermischung. Dazu Salzkartoffeln und einen schönen Salat.“ Dankbar lächelnd nahm Hermine den Vorschlag an. Sie hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass das Essen sie an Severus erinnern würde, denn sie hatten beide hier schon einmal eine Forelle zu sich genommen. Gedankenverloren stocherte Hermine an den Gräten herum und sie fragte sich, wie es nächste Woche zwischen ihr und Severus aussehen würde. Wäre dann wieder alles in Ordnung oder würde er ihr wirklich das Schreiben in die Hand drücken, damit sie ihre Prüfung ablegen konnte?
„Entschuldigt mich kurz“, sagte Harry und riss Hermine somit aus ihren Gedanken.
An Rons Gesichtsausdruck konnte man genau erkennen, dass er Harrys Toilettenpause kaum abwarten konnte. Als Harry nicht mehr zu sehen war, packte Ron aus: „Hört mal: Ich habe mir eine Überraschung für Harry ausgedacht, aber ihr dürft kein Sterbenswörtchen darüber verlieren.“ Hermine und Ginny nickte, so dass er sich verschwörerisch am Tisch nach vorn lehnte und etwas leiser sagte: „Ich habe schon mit Oliver und den meisten aus dem Team gesprochen und sie wären dabei. Was ich angeleiert habe wird Harry umhauen!“
„Nun spuck es endlich aus, Ron, bevor Harry zurückkommt!“, meckerte Ginny.
„Ist ja gut… Also, wir wollen Harry ein Spiel schenken und zwar auf dem Quidditch-Feld der Schule! Wir dachten an eine Auswahl von ehemaligen Hogwarts-Schülern gegen Eintracht Pfützensee“, erklärte Ron. „Würde also heißen, dass Oliver, Angelina und ich nicht für Pfützensee spielen, sondern für Hogwarts und dann wollten wir noch Harry haben und dich, Ginny! Es fehlen noch zwei und da wissen wir nicht, ob wir Fred und George fragen sollen oder vielleicht sogar Schüler, aber wir wollen unbedingt, dass sich die Stärke der beiden Mannschaften ungefähr die Waage hält. Wir wollen nicht zurückhalten müssen, nur weil unerfahrene Schüler mitspielen.“
„Wenn ihr drei bei Pfützensee fehlt, wer…“
Hermine brauchte gar nicht ausreden, den Ron erklärte sofort: „Wir haben doch jede Menge Ersatzspieler, Mine. Die werden für uns einspringen.“
Ginny war völlig begeistert und schwärmte: „Das ist eine tolle Idee, Ron! Harry wird sich sicher sehr darüber freuen!“
„Aber nicht, dass du ihm etwas verrätst, Ginny. Sonst setzt es Prügel“, sagte er nicht sehr ernst, denn er musste dabei grinsen.
„Wann soll das stattfinden?“, fragte Hermine.
Ron hatte von seinem Butterbier getrunken und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum von der Oberlippe, bevor er verriet: „Noch bevor wie wieder mit dem Training anfangen. Ich würde sagen, wenn der Schnee geschmolzen ist und es nicht mehr so kalt ist. Anfang, Mitte März vielleicht.“ Er wandte sich an seine Schwester und fragte: „Du bist also mit dabei, Schwesterherz?“
„Aber natürlich!“, bestätigte sie breit lächelnd.
Neugierig wollte Hermine noch wissen: „Habt ihr Dumbledore schon…“
„Pssst“, machte Ron und unterbrach Hermine, weil Harry bereits wieder in Hörweite war. Das Geräusch, mit dem Ron ihr den Mund verboten hatte, hatte Harry noch vernommen, so dass er schmunzelte und die Augen zusammenkniff, während er sich setzte.
„Was heckt ihr wieder aus?“, fragte er schelmisch.
Ron winkte ab. „Ach gar nichts. Wir haben uns nur eben über dich das Maul zerrissen und wollten nicht, dass du davon etwas mitbekommst“, sagte Ron bierernst, doch natürlich machte er nur Spaß. Remus lenkte auch gleich wieder ab, indem er den vieren einen Nachtisch schmackhaft machen wollte. Harry wurde allerdings das Gefühl nicht los, dass seine drei Freunde etwas vor ihm verheimlichen würden.
Ein paar Minuten später brachte Remus die Desserts und da sagte Hermine: „Remus? Das hatte ich gestern Abend ganz vergessen zu fragen: Ist es wahr, was Severus mir erzählt hatte? Dass sich der Phönixorden vorgestern zum letzten Mal getroffen hat?“
Hier stutzten die anderen drei, denn die wussten davon noch gar nichts.
„Das hat er dir erzählt?“, fragte er erstaunt und Hermine nickte einfach wortlos. „Ja, es stimmt. Albus und Arthur haben den Orden aufgelöst. Niemand hat mehr eine Notwendigkeit gesehen ihn weiterzuführen“, sagte Remus etwas wehmütig, denn natürlich hingen am Phönixorden sehr viele Erinnerungen – gute wie auch schlechte.
„Und was ist mit deiner Aufgabe hier?“, wollte Harry wissen, denn Albus hatte ihm ja im Auftrag des Ordens die Aufgabe auferlegt, sich um die Sicherheit von Hogwarts zu kümmern.
„Ich mache weiter, was sonst?“, antwortete Remus gelassen. „Ich würde es auch tun, wenn ich nicht mehr müsste. Die ganze Sache ist mir zu unheimlich.“ Remus setzte sich zu seinen jungen Freunden an den Tisch und erzählte: „Arthur hat uns gestern mitgeteilt, dass der Muggelminister diesem Hopkins eine Steuerprüfung nach der anderen auf den Hals hetzt und ihm das Leben schwer macht, wo es nur geht, aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass ein Besessener sich von solchen Lappalien aufhalten lässt.“
„Aber“, begann Harry verdutzt. „Arthur hat doch gesagt, dass diese seltsamen Todesfälle aufgehört haben. Das Letzte war der Anschlag auf die Beerbaums und auf Meredith.“
Diesmal lehnte sich Remus mit den Ellenbogen auf den Tisch und näherte sich den anderen, um leise sagen zu können: „Diese beiden Männer, die du hier in Hogsmeade gesehen hattest, Harry, die waren einfach auf und davon! Wie schon vorher haben Severus und ich die Fußspuren am Fluss verloren und ich glaube mittlerweile, dass sie Boote haben könnten. Muggel haben ja sehr schnelle Boote, richtig?“
Hermine bestätigte: „Motorboote, klar. Aber das würde doch auffallen, wenn man die Motorengeräusche hier hört. Die sind nicht gerade leise.“
„Richtig!“, sagte Remus. „Und da habe ich mir überlegt, wer diese Männer noch sein könnten und die Antwort darauf gefällt mir genauso wenig.“
Mit offen stehenden Mund gaffte Ron einen Moment in die Runde, bevor er kopfschüttelnd sagte: „Todesser? Oh mein Gott!“
„Es ist nur eine Vermutung – meine Vermutung. Tonks sagt, sie kann sich nicht vorstellen, dass die Restlichen, die noch gesucht werden, so dämlich wären, in der Nähe von Harry aufzukreuzen“, erklärte Remus.
„Na ja“, warf Ron konternd ein, „einige von denen haben wir ja gut kennen lernen können und ich muss schon sagen, dass es wirklich ein paar sehr dämliche Todesser gegeben hat! Nicht alle, aber der alte Goyle war zum Beispiel nicht sehr helle, im Gegensatz zum alten Crabbe, wo ich mich wirklich gefragt habe, wie so ein intelligenter Mann so einen Idioten von Sohn haben konnte.“
Remus wollte, da der Phönixorden nun nicht mehr existierte, seine Informationen weitergeben, denn er ahnte, dass Harry und seine Freunde möglicherweise nicht einfach aufgeben würden und so gab er preis: „Tonks hat mir erzählt, dass sie von der ersten Generation von Anhängern noch Nott senior und Rookwood suchen. Die anderen sind in der Schlacht getötet oder festgenommen worden beziehungsweise konnten wir sie bei dem Anschlag auf die Versammlung von Halbwesen dingfest machen. Aus der zweiten Generation sind Pettigrew und Greyback noch immer auf freiem Fuß genau wie Rodolphus und Rabastan Lestrange. Die anderen dieser Generation sitzen in Askaban oder sind tot, aber ehrlich gesagt sind die, die noch frei herumlaufen, in meinen Augen die Gefährlichsten! Das Schlimmste ist aber, dass es wahrscheinlich noch eine neue Generation von Todessern gegeben hat, von denen wir niemanden kennen. Vielleicht tragen sie nicht einmal das dunkle Mal.“ Remus atmete tief durch und rieb sich die Schläfen. „Es gab ja einige Menschen, die Voldemort auch so unterstützt hatten.“
Beruhigend wollte Ginny erklären: „Ich denke nicht, dass die beiden Männer hier in Hogsmeade Todesser waren. Die haben sich viel zu unbeholfen verhalten, haben sich aufmerksam umgeschaut. Und dann noch diese Getränkebüchse, von der du erzählt hast, Remus. Außerdem wären Todesser von hier nach da appariert und nicht zu Fuß durch den Schnee zum Fluss gelaufen.“
„Ich denke auch nicht, dass es Todesser waren“, bestätigte Harry. „Warum sollten die Hogsmeade auskundschaften wollen? Das Dorf kennen die doch.“
Nachdem Ron ein Schluck Butterbier genommen hatte, fragte er: „Und man weiß nicht, wo die anderen sich noch aufhalten könnten?“
Remus schüttelte den Kopf und offenbarte: „Malfoy hat einige Verstecke genannt, aber dort gibt es keine Häuser.“
„Fidelius?“, nannte Ginny als Idee.
„Vermutlich, aber die Auroren haben dort nicht einmal eine magische Signatur gefunden, die auf einen Fidelius hindeuten könnte. Wenn es an diesen Orten Gebäude geben sollte, die unter dem Fidelius stehen, dann haben die Auroren keine Chance“, erklärte Remus niedergeschlagen. Sehr betroffen sagte er nach einem Moment: „Dass besonders noch dieser Greyback frei herumläuft, ist einfach…“
Remus verstummte. Zu schlimm war der Gedanke, etwas mit diesem Monster gemeinsam zu haben; den Fluch teilen zu müssen, bei Vollmond zu einem Werwolf zu werden.
Hermine warf Harry einen eindringlichen Blick hinüber, den er lange hielt. Er wusste genau, was sie dachte, nämlich dass Harrys Gabe bereits versteckte Dinge für ihn sichtbar gemacht hatte. Er war der einzige Mensch, der ein Haus, das mit dem Fidelius-Zauber geschützt worden war, aufgrund einer Laune der Magie schon einmal hatte aufspüren können.
vielen Dank für das Lob. Was die Spannung betrifft, da kann ich getrost versprechen, dass es später noch viel spannender wird. Es gibt mit Sicherheit welche unter den weiteren Kapitel, die dieses noch toppen können

Hallo Sentara,
wenn es so wie bei Paramount wäre, dass unabhängige Autoren Bücher über Star Trek schreiben und nach Absprache veröffentlichen dürfen (Fanfiction in Buchform), das wäre natürlich was. Ich befürchte aber, dass ein Lektor mind. ein Drittel aus der FF wegstreichen würde, sprich: die ganzen schönen Details. Dann lieber Fanfiction. Aber hast Recht, als Film würde ich das auch gern mal sehen, aber nur mit der Originalbesetzung

Liebe Grüße,
Muggelchen
128 Flüchtige Feinde
Die Sonnenstrahlen schafften es nicht, durch die schmutzigen Fenster bis zu Narzissa durchzudringen, doch sie erwachte aufgrund des Gesanges der wenigen Vögel, die zu dieser kalten Jahreszeit dem Land treu geblieben waren. Sie reckte sich in dem für eine Person viel zu großen Bett und verspürte die Sehnsucht sich umzudrehen und ihren Mann zu küssen, doch sie wusste, dass dieser Wunsch unbefriedigt bleiben würde. Lucius war nicht hier, Draco auch nicht. Nicht einmal ein Elf konnte ihr Gesellschaft leisten.
Schwunglos stand Narzissa auf. Das Schlafzimmer hatte sie gestern nach dem Badezimmer zumindest schon einmal in einen Zustand versetzen können, so dass ihr allein beim Anblick nicht übel wurde. Die dicken Pfosten des Bettes von den Holzwürmern zu befreien und die von ihnen hinterlassenen Löcher zu stopfen hatte am meisten Zeit beansprucht, denn Narzissa hatte hierfür erst in der Bibliothek das Buch „Gilderoy Lockharts Ratgeber für Schädlinge in Haus und Hof“ wälzen müssen, um einen wirkungsvollen Spruch zu finden. Währenddessen hatte sie den Entschluss gefasst, sich die Bibliothek am nächsten Tag vorzunehmen, denn hier hatte sie früher immer gern und oft gesessen, um zu lesen.
In der Zeit, in welcher sie Regale von Staub befreite, die Fenster putzte, die losen Tapeten wieder an die Wand heftete und die Verstopfung des Kaminabzugs in der Bibliothek beseitigte, dachte sie an die Nacht zurück. Durch die viele Arbeit, denn einiges hatte sie auch per Hand erledigen müssen, war sie müde ins Bett gefallen, doch mitten in der Nacht war sie erwacht.
Das Haus hatte im Dunkeln sehr bedrohlich auf sie gewirkt. Überall hatte es geknarrt und ein Rumpeln war zu hören gewesen, was sie auf die lange nicht genutzten Wasserleitungen schieben wollte. Doch trotzdem sie glaubte, alle Geräusche einer Ursache zusprechen zu können, hatte sie noch lange wach gelegen und den befremdlichen Lauten gelauscht.
Immer wieder hatten sich ihre Gedanken um ihren Mann und ihren Sohn gedreht und die Vorfreude, beide eines Tages wieder in diesem Haus begrüßen zu dürfen, hatte sie wieder einschlafen lassen.
Jetzt, am Tage und mit geputzten Fenstern, war das Bedrohliche verschwunden. Es machte Narzissa sogar Freude, das Haus auf Vordermann zu bringen, denn hier und da fand sie Erinnerungsstücken, die ihr halfen, ihr Gedächtnis ein wenig aufzufrischen. Nicht alles hatte mit angenehmen Erinnerungen zu tun, wie zum Beispiel die blau-goldene Spieldose, die Bellatrix extra hatte anfertigen lassen, um sie ihr zum Geburtstag zu schenken. Der Verlust ihrer Schwester schmerzte sehr, auch wenn sie wusste, dass es um sie nicht mehr gut bestellt war, nachdem sie Riddle in die Hände gefallen war; ihm verfallen war wie schon den unheilvollen Büchern, die sie so geliebt hatte. In der Vitrine befanden sich noch immer die beiden prunkvollen Fabergé-Eier, welche Orion und Walpurga ihnen zum Geschenk gemacht hatten. Erst nachdem Narzissa die Vitrine gründlich mit einem Zauberspruch gereinigt hatte, konnte man sich auch wieder an deren Anblick erfreuen. Das Hochzeitsgeschenk ihrer Eltern, der riesige Wandteppich, war schon schwieriger zu säubern, doch auch der war bald nicht mehr trostlos grau, sondern wieder strahlend rot.
Gegen Mittag war der gröbste Dreck aus der Bibliothek beseitigt und Narzissa machte sich daran, die anderen Räume zu besichtigen. Bevor sie die große Küche, in welcher sie in Gedanken Dobby arbeiten sah, aufräumen wollte, flohte sie zunächst über den Kamin ein Geschäft an, bei welchem sie eine große Bestellung aufgab. Bis zum Nachmittag, wenn der Lieferant kommen sollte, wollte sie die Küche vorzeigbar hergerichtet haben.
In Hogwarts wachte Hermine sehr spät auf. Sie hatte gestern noch Remus aufgesucht und ihn genötigt, ihre Fragen zu beantworten, wogegen er sich zunächst gesträubt hatte.
„Meinst du nicht, dass du ihn das alles selbst fragen solltest?“, hatte er gestern mit unschuldiger Miene vorgeschlagen.
„Wenn das möglich wäre, Remus, dann wäre ich jetzt nicht hier! Ich habe genug von den Spielchen. Er weiß, dass ich bei dir bin. Er hätte mich aufhalten können, hat es aber nicht getan und du, mein Freund, wirst mir jetzt ein paar Antworten geben!“, war es ihr viel aggressiver über die Lippen gekommen als sie es eigentlich vorgehabt hatte. Der über ihr Verhalten sehr erstaunte Remus hatte sich ihrer Aufforderung gebeugt.
Das Frühstück in der Großen Halle hatte sie verpasst und so hielt sie sich gar nicht erst damit auf, sich etwas zu Essen bringen zu lassen. Sie wollte gleich ein Wörtchen mit Harry reden und zwar über alles, über die Gesamtsituation.
Im ersten Stock knisterte bei Harry und Ginny der Kamin und nach wenigen Sekunden war Hermine bereits eingeladen. Harrys Vorfreude auf ein paar gemeinsame Stunden mit Hermine verflogen etwas, als er ihren grimmigen Gesichtsausdruck bemerkte.
Weil Ginny gleich nach der Begrüßung erfahren hatte, dass Hermines Magen noch leer war, ließ sie von einer Hauselfe etwas aus der Küche bringen, während Hermine sich bereits auf die Couch setzte und Harry betrachtete, der einen dösenden Nicholas im Arm wiegte. Die ungehaltene Miene seiner Freundin verschwand beim Anblick des Babys, doch noch immer schien sie sehr aufgewühlt.
„Willst du ihn halten?“, fragte Harry lächelnd.
„Nein“, kam als schroffe Antwort.
Stutzend blinzelte Harry einige Male, bevor er nicht sehr ernst vorwarf: „Du willst deinen Patensohn nicht halten?“
Sie kniff kurz die Lippen zusammen, hielt dann aber ihre Arme ausgestreckt, um den Jungen in den Arm zu nehmen.
„Ron kommt so gegen Mittag, Hermine“, sagte Harry voller Vorfreude. „Wir dachten, wir vier könnten heute zusammen außerhalb essen gehen, vielleicht in den Drei Besen, der guten alten Zeiten wegen.“
„Nun tu mal nicht so, als wären wir schon über hundert Jahre alt“, nörgelte Hermine.
Natürlich war es lange her, dass sie dort zusammen eine schöne Zeit gehabt hatten, denn die heimlichen Treffen mit Spionen, die etwas über jene Menschen ausgeplaudert hatten, die Voldemort zwar nicht offiziell gefolgt waren, aber ihn und seine Taten finanziell unterstützten, zählten nicht zu den heimeligen Zusammenkünften.
„Von mir aus“, sagte Hermine gleichgültig.
Skeptisch blickte Harry seine Freundin an und sagte gleich darauf bitterböse: „Oh, dein überschwänglicher Enthusiasmus haut mich noch von den Socken, Mine.“ Etwas milder, weil sie ihn vorwurfsvoll anblickte, sagte er: „Ich dachte, du würdest dich freuen, wenn wir mit Ron mal wieder etwas zusammen unternehmen. Wir können auch was anderes machen, wenn du einen Vorschlag hast.“
„Nein, essen bei Rosmerta hört sich gut an“, versicherte sie ihm halbherzig.
Eine Tasse Tee zu Hermine auf den Tisch stellend fragte Ginny: „Was ist dir denn nur über die Leber gelaufen? Gibt es wieder Stress mit dem Kerkerfrosch?“
„Nennt man ihn jetzt so?“, fragte Hermine, der noch sehr gut die verschiedensten Bezeichnungen in Erinnerung waren, mit denen die Schüler Severus damals betitelt hatten.
„Unter anderem, ja“, antwortete Ginny offen. Noch einmal fragte sie: „Stress?“
Hermine seufzte und drückte den Jungen an sich, bevor sie bedrückend und nörgelnd preisgab: „Warum lastet das alles auf mir?“
Nicht verstehend fragte Harry nach: „Was meinst du?“
„Das mit Severus? Es war deine Idee, Harry. Du warst es, dem er Hinweise gegeben hat. Zuerst haben wir uns zusammen drum gekümmert, selbst mit Ron, aber jetzt…“ Sie seufzte. „Die ganze Arbeit bleibt komplett an mir hängen.“
„Du siehst ihn jetzt doch auch viel öfter als ich, Mine“, erklärte Harry.
Sie lachte kurz auf, um Harrys Aussage ins Lächerliche zu ziehen, bevor sie sagte: „Du hast ja auch das mit dem Hund enden lassen. Das bleibt jetzt ebenfalls an mir hängen, sonst würdest du ihn auch noch jeden Tag mehrmals sehen.“ Hermine blickte auf den Jungen in ihrem Arm, der mit einer ihrer Haarsträhnen spielte. Wehmütig und ein wenig neidisch sagte sie: „Aber ich verstehe schon; du hast jetzt eine Familie und kannst dich nicht mehr kümmern.“
Sie klang so bedrückt, dass Harry ihr erklären wollte, warum er Zeit mit Ginny haben wollte. Während Hermine damals ihren Ron gehabt hatte, hatte Harry auf Ginny verzichten müssen. Nachdem sie jahrelang nur Freunde gewesen waren, die sich gegenseitig stillschweigend Herzschmerzen bereiteten, wenn sie sich auch nur kurz auf dem Flur im Grimmauldplatz über den Weg gelaufen waren, hatte Harry nun endlich die Möglichkeit das nachzuholen, was er damals hatte aufgeben müssen, doch erklärende Worte wollten seinen Mund einfach nicht verlassen.
„Soll ich wieder mit dem Hund rausgehen? Ich mach es!“, sagte er zusichernd und er blickte kurz in der Hoffnung zu Ginny hinüber, dass sie das Nachsehen mit ihm haben würde.
„Es geht doch gar nicht um den Hund, Harry. Es geht um das, was Severus betrifft.“
Einen Moment lang schwieg Harry, bis er leise fragte: „Was soll ich tun? Gib mir eine Aufgabe und ich mache wieder aktiv mit.“
Sie seufzte und schilderte im Anschluss: „Er hat gestern verschlafen; er hatte keinen Urlaub. Er isst kaum was, ist launisch und abweisend.“
„Hört sich an wie immer“, wollte Harry aufmuntern, doch Hermines Blick versicherte ihm, dass die Situation nicht witzig war.
„Er hat gestern ganz deutlich gesagt, dass es das nicht mehr will. Ich soll ihn in Ruhe lassen und meine Nase aus seinen Angelegenheiten raushalten.“
Ginny hörte den beiden still zu. Sie hatte von Harry zwar einiges erfahren, doch sie war nicht sehr vertraut mit dem, was es mit ihrem Zaubertränkelehrer auf sich hatte.
„Willst du aufhören?“, fragte Harry besorgt, denn er selbst wollte es nicht, auch wenn er sich in dieser Sache ein wenig zurückgezogen hatte.
Traurig verzog Hermine ihr Gesicht, bevor sie tief Luft holte und langsam ausatmete. „Ich glaube, ich bin viel zu neugierig, um jetzt aufhören zu können. Das Problem, das ich sehe, ist, dass es ihm mit der Zeit immer schlechter zu gehen scheint. Ich denke, das ist der Grund, warum er unsere Hilfe nicht mehr möchte.“
„Inwiefern ’schlechter’?“, wollte diesmal Ginny wissen, die sich bisher zurückgehalten hatte.
Hermine hob und senkte einmal ihre Schultern, wodurch Nicholas kurz an ihre Brust gedrückt wurde, bevor sie antwortete: „Er hatte doch nach dem Hogsmeade-Ausflug noch mit Remus gesprochen und da, sagte Remus jedenfalls, schien Severus sich plötzlich nicht sehr wohl zu fühlen. Vielleicht war es gestern auch nur ein sehr extremer Tag für Severus gewesen, aber wenn sein Zustand so bleiben sollte, dann denke ich, brütete er eine böse Depression aus. Er war ja die ganze Zeit über nicht gerade der Glücklichste hier. Ich hatte gestern auch mit Draco gesprochen. Der meinte zuerst auch, dass man Severus vielleicht in Ruhe lassen sollte.“
„Über was haben Remus und Severus gesprochen?“, fragte Harry.
„Na ja“, begann Hermine, „über deine Eltern, speziell deine Mutter. Severus hat Remus gegenüber deutlich gemacht, dass er sich für ihren Tod verantwortlich fühlt.“
Es war deutlich zu hören, dass Harry schlucken musste.
„Es war Voldemort gewesen“, warf Ginny ein. „Das weiß doch jedes Kind und es stand in allen Zeitungen.“
Harry fügte an: „Aber Severus hat Voldemort die halbe Prophezeiung übermittelt und denkt offensichtlich, das ganz allein hat zum Tod meiner Eltern geführt.“
Harry musste wieder den Kloß hinunterschlucken, der sich in seinem Hals geformt hatte. Er wollte das Thema gern wieder wechseln.
Mit dem Kopf schüttelnd gab Ginny das Beispiel: „Dann kann man genauso gut Mr. Ollivander für den Tod von deinen Eltern verantwortlich machen, weil der Voldemort den Zauberstab verkauft hatte, mit dem er den Avada gesprochen hat. Tut mir Leid, dass ich mir so ein Szenario ausdenke, aber wenn man so denkt, dann gibt es eine Menge Leute, die sich die Schuld für so einiges geben müssten. Dabei ist es doch immer das Ende dieser Kette von Ereignissen, das ausschlaggebend ist: Derjenige, der den Todesfluch ausgesprochen hat, ist der alleinige Mörder.“
„Ja, Ginny“, stimmte Hermine ihr zu, „aber trotzdem sind bei manchen Menschen Schuldgefühle vorhanden, die man sich nicht auf deine Art einfach wegerklären kann, um sein Gewissen zu erleichtern.“
Mit einem Male musste Harry an Cedric denken. Hätte er ihn damals nicht dazu überredet, dass beide den Pokal gleichzeitig ergreifen sollten, dann wäre er noch am…
„Harry, hörst du überhaupt zu?“, fragte Hermine nachdenklich.
„Was?“
„Ich habe gesagt, dass er jetzt weiß, dass es eines von meinen Haaren ist, das Ollivander als Stabkern verwendet hat“, erklärte Hermine ruhig.
Zunächst noch unbeeindruckt wollte Harry wissen: „Und was hat Severus gesagt?“
„Nichts, ich würde sagen, er war schockiert. Richtig schockiert. Er hat danach kein Wort mehr fallen lassen“, schilderte sie, während sie sich an gestern Abend erinnerte.
Sie wollte Harry nicht erzählen, dass Severus sie mit seinem Zauberstab bedroht hatte, denn sie hatte sich nicht bedroht gefühlt. Außerdem war sie sich sicher, dass Albus von dieser Auseinandersetzung in Kenntnis gesetzt worden war.
„Hast du ihn heute überhaupt schon gesehen?“, fragte Harry neugierig.
„Nein, ich war auch weder heute morgen noch vorm Mittagessen mit dem Hund draußen“, erklärte sie.
„Soll ich gehen?“, fragte er und hoffte auf eine positive Antwort, denn er wollte kein Gesprächsthema mehr führen, das Schuldgefühle in ihm aufkommen lassen würde.
„Wenn du möchtest. Aber pass auf, er könnt etwas… ähm“, Hermine suchte nach einem passenden Wort.
„Was könnte er? Grantig sein? Oder mürrisch, fies, wütend? Ich kenne ihn von allen Seiten, auch von der ruhigeren“, sagte er abwinkend. „Ich bin gleich wieder da.“
Salazar ließ Harry sofort passieren. Kaum hatte er das Wohnzimmer betreten, wurde er von zwei Dingen begrüßt. Erstens sprang ihn der Hund freudig aufgeregt an und zweitens kroch ein ekelhafter Geruch in seine Nase, der sehr an Exkremente erinnerte.
„Hast du etwa…?“, fragte Harry den Hund. Gleich neben der Tür, wie Harry bemerkte, hatte der Hund sein Geschäft erledigt: zweimal. Er blickte den Kuvasz vorwurfsvoll an, woraufhin der seinen Kopf beschämt senkte und dabei winselte. „Na ja, du kannst ja nichts dafür“, sprach Harry mit warmer Stimme.
Ein Zauber, mit dem er den Teppich gründlich reinigen könnte, fiel ihm nicht ein. Er hatte es ja nicht einmal geschafft, einen Kakaofleck aus einem Pyjama zu entfernen.
„Wobbel?“, fragte Harry leise, doch sein Elf, egal wo der sich aufhielt, kam immer, wenn er mit Namen gerufen wurde.
„Mr. Potter“, grüßte der Elf. „Wie kann ich Ihnen behilflich…“ Wobbel hielt inne und seine Nasenflügel bebten, als er den Gestank wahrgenommen hatte. Seine großen Kulleraugen erhaschten die Sauerei neben der Tür und er schnippte nur einmal kurz mit den Fingern und schon war von den Hinterlassenschaften des Hundes nichts mehr zu sehen oder zu riechen.
Aufmerksam schaute Wobbel seinen Meister an und fragte nochmals: „Wie kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?“
„Ähm… hat sich schon erledigt, Wobbel. Danke!“
Mit einem Plop verschwand der Elf wieder. Harry betrachtete kurz die gereinigte Stelle an Wand und Teppich. Man konnte gar nichts mehr erkennen. Gleich darauf fiel sein Blick auf die angelehnte Tür, hinter der sich das Schlafzimmer verbergen musste, welches Harry noch nie betreten hatte. Es war offensichtlich, dass Severus den Hund vernachlässigt hatte und womöglich vernachlässigte er auch sich selbst.
Mutig trat er an die Tür heran und spähte durch den Spalt hindurch. Severus lag bekleidet auf seinem Bett, wenn auch nicht in seiner gesamten Garderobe. Auf dem Nachttisch stand ein leeres Fläschchen, was Harry mit Besorgnis zur Kenntnis nahm. Da Severus sich nicht regte und Harry auch nicht sehen konnte, ob sein Kollege überhaupt atmete, ging er hinüber bis zum Bett und wagte es, einen Blick auf den Schlafenden zu werfen. Erleichtert stellte Harry fest, dass Severus atmete und zwar sehr ruhig. Er musste fest schlafen.
Gerade als Harry den Raum wieder leise verlassen wollte, sprang der Hund achtlos auf das Bett. Severus regte sich und wandte sich murrend der Störquelle zu. Abrupt drehte er seinen Kopf, als er Harry aus den Augenwinkeln bemerkt hatte.
Schlecht gelaunt keifte Severus: „Was machen Sie hier?“
„Ich dachte, Sie wären tot“, erklärte Harry plump, denn der Schrecken war ihm in die Glieder gefahren, weil Severus ihn entdeckt hatte und womöglich sonst was dachte.
Fies durch die Zähne zischend fragte Severus: „Sind Sie jetzt enttäuscht?“
Mehrmals blinzelnd, weil die Frage ihn sehr verwunderte, wollte Harry wissen: „Warum denken Sie, ich wäre enttäuscht?“ Severus wandte seinen Blick von ihm ab und weil er nicht antwortete, sagte Harry ehrlich: „Ich bin erleichtert.“ Auf das leere Fläschchen blickend, was Severus nicht entgangen war, sagte Harry leise: „Ich hatte schon befürchtet…“ Er hatte den Satz nicht beendet.
Severus ärgerte sich über Harrys Aufdringlichkeit, so dass er sich dazu gezwungen fühlte zu erklären: „’Traumloser Schlaf’.“
Nickend nahm Harry diese Information zur Kenntnis. Er selbst hatte diesen Trank damals von Poppy bekommen, nachdem er Albus über die Rückkehr des Dunklen Lords berichtet hatte.
„Der Hund hat den Teppich verschmutzt“, sagte Harry.
Dies als Vorwurf sehend sagte Severus wütend: „Es ist nicht meine Aufgabe, mit ihm rauszugehen.“
„Es ist aber Ihr Hund!“, stellte Harry klar.
„Und wenn ich Sie daran erinnern darf“, fauchte Severus, „haben Sie sich geradezu damit angebiedert, diese Aufgabe zu übernehmen.“
„Ja schon, aber unter einer Bedingung“, sagte Harry ehrlich.
Natürlich konnte Severus sich an die Bedingung, die Harry vor über einem Jahr gestellt hatte, noch sehr gut erinnern. Harry hatte gefordert, dass er „nett“ sein sollte.
Bevor Severus etwas sagen konnte, wechselte Harry das Thema und fragte: „Wir wollen heute Mittag in den Drei Besen essen, möchten Sie vielleicht mitkommen?“
Es war ihm klar, dass er höchstens von Ron eine Kopfnuss und den Satz „Warum hast du den Schleimbeutel auch noch eingeladen?“ erhalten würde.
Severus kniff die Augen zusammen und es schien so, als würde er Harry nicht trauen, doch eine Lüge konnte er im Gesicht seines jungen Kollegen nicht ausmachen.
Nichtsdestotrotz verlangte Severus: „Verschwinden Sie!“ Er legte sich wieder ins Bett und drehte Harry den Rücken zu.
„Ich bin dann mal mit dem Hund draußen.“
Keine Antwort, nicht mal ein verachtendes Schnaufen kam von Severus.
Gegen Mittag flohten Hermine, Harry und Ginny ohne Nicholas, denn der wurde von Wobbel betreut, in die Drei Besen, wo Ron bereits auf seine Freunde wartete.
Zur gleichen Zeit nahm Narzissa in der Küche noch minimale Säuberungszauber vor. Sie war schon fast mit ihrer Arbeit zufrieden, da klopfte es bereits an der Eingangstür.
Nachdem sie geöffnet hatte, grüßte sie einen älteren Mann, der verlegen zurückgrüßte, bevor er entschuldigend sagte: „Am Dienstboteneingang wurde mir nicht geöffnet, M'am.“
„Oh“, machte Narzissa. „Dann treten Sie doch bitte ein.“
Der Mann machte zunächst ganz große Augen, trat jedoch ehrfürchtig durch den Haupteingang ein und folgte mit hinter sich herschwebenden Körben Narzissa bis in die Küche, wo er die Bestellung auf den großen Tisch in der Mitte ablegte.
Aus einem Geldbeutel fischte Narzissa bereits die Galleonen heraus, da stoppte der ältere Herr sie und sagte: „Oh, wir würden anschreiben M'am, wie üblich.“
„Wie üblich?“, wiederholte Narzissa nachdenklich und in diesem Augenblick erinnerte sie sich daran, dass sie bei diesem Geschäft immer vierteljährlich ihre Verbindlichkeiten eingelöst hatten. „Oh ja, natürlich.“ Sie blickte den Herrn an, der sich bereits verbeugte und sich allein zur Tür begeben wollte, da fragte sie zaghaft: „Kennen wir uns?“
Der Mann mit den weißen Haaren hielt abrupt inne und blickte sie verwirrt an, bevor er unsicher klingend erklärte: „Aber ja, Mrs. Malfoy. Ich bin schon früher immer gekommen und habe Ihre Bestellung gebracht.“
„Und Ihr Name?“, fragte sie höflich. Gleich darauf verspürte sie das Bedürfnis ihn aufzuklären, so dass sie sagte: „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Ihnen fremd vorkommen sollte. Im Krieg…“ Sie stoppte sich selbst und ging erst einige Schritte auf ihn zu. „Ich weiß nur noch wenig von früher, aber langsam kommen die Erinnerungen wieder. Ich habe das Gefühl, Sie schon einmal gesehen zu haben und doch fällt mir kein einziger Moment ein, Mr…?“
„Petersen, M'am. Wir haben in all den Jahren nur zweimal miteinander gesprochen. Ich habe sonst nur mit Ihrem Hauself geredet. Er hat die Lieferungen angenommen“, erklärte der Mann.
Narzissa nickte gedankenverloren und bemerkte fast zu spät, dass der Lieferant durch die Hintertür hinausgehen wollte, so dass sie ihn aufhielt und sagte: „Sie können ruhig vorn hinausgehen. Kommen Sie, ich begleite Sie zur Tür.“ Sie lächelte, doch trotzdem folgte der Herr ihrer Aufforderung nur zögerlich und ein wenig verunsichert.
„Auf Wiedersehen, Mr. Petersen“, sagte sie an der Tür verabschiedend.
Mr. Petersen schien ein wenig verwirrt über die Behandlung, doch ein Lächeln machte sich in seinem Gesicht breit, bevor auch er sich verabschiedete und ihr noch einen schönen Tag wünschte.
Noch eine ganze Weile blickte Narzissa dem Mann hinterher, der sich auf einem Besen, an welchem hinten und vorn eine Art große Satteltasche befestigt war, wieder auf den Weg machte. Es wurde ihr langsam zu kühl und so schloss die die schwere hölzerne Tür und ging zurück in die Küche. Kaum fiel ihr Blick auf die Lieferung, blieb sie wie angewurzelt stehen. Eine der Kekspackungen war geöffnet. Erstaunt ging sie zum Tisch hinüber und nahm die Packung in die Hand. Ihre andere Hand legte sie federleicht auf ihren Mund, denn sie fragte sich, ob sie es gewesen war, die noch vor dem Fünfuhrtee genascht hatte. Narzissa war sich nicht sicher, ob ihr Erinnerungsvermögen ihr womöglich einen Streich spielte. Sich einreden wollend, dass sie es als Naschkatze nicht gemerkt haben könnte, sich bereits an den Keksen vergangen zu haben, verteilte sie die Einkäufe in die Schränke, damit diese sich langsam wieder füllen würden. Ein seltsames Gefühl blieb jedoch zurück.
In den Drei Besen trafen Hermine, Ginny und Harry auf Ron, der einen gemütlichen Tisch in der Ecke freigehalten hatte und den Kopf bereits in der Menükarte versinken ließ. Er hatte es sich nicht verkneifen können, sich schon ein warmes Butterbier zu Gemüte zu führen.
„Wartest du schon lange?“, fragte Harry.
Ron hob den Kopf, schaute gleich darauf an die Wand, an welcher eine Kuckucksuhr hing und antwortete: „Fünf Minuten oder so…“
Scherzend fragte Ginny: „Und da hast du schon ein halbes Butterbier runtergekippt?“
„Ich hatte Durst!“, verteidigte sich Ron, rutschte aber sofort auf der Bank weiter nach hinten, damit seine Schwester Platz nehmen könnte. Neben Ginny ließ sich Harry nieder und Hermine setzte sich auf die andere Seite direkt neben Ron.
Die gemütliche Runde in dem Gasthaus wurde allen noch verschönert, als Remus sich um sie kümmerte. Man ging sehr vertraut miteinander um, auch wenn er für alle anderen Gäste im Lokal nur der Kellner war. Man lachte, machte Scherze und bestellte etwas zu essen.
Hermine konnte sich nicht entscheiden und da empfahl Remus: „Die Forellen sind ganz frisch, Hermine. Ich würde sie dir braten, mit meiner speziellen Kräutermischung. Dazu Salzkartoffeln und einen schönen Salat.“ Dankbar lächelnd nahm Hermine den Vorschlag an. Sie hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass das Essen sie an Severus erinnern würde, denn sie hatten beide hier schon einmal eine Forelle zu sich genommen. Gedankenverloren stocherte Hermine an den Gräten herum und sie fragte sich, wie es nächste Woche zwischen ihr und Severus aussehen würde. Wäre dann wieder alles in Ordnung oder würde er ihr wirklich das Schreiben in die Hand drücken, damit sie ihre Prüfung ablegen konnte?
„Entschuldigt mich kurz“, sagte Harry und riss Hermine somit aus ihren Gedanken.
An Rons Gesichtsausdruck konnte man genau erkennen, dass er Harrys Toilettenpause kaum abwarten konnte. Als Harry nicht mehr zu sehen war, packte Ron aus: „Hört mal: Ich habe mir eine Überraschung für Harry ausgedacht, aber ihr dürft kein Sterbenswörtchen darüber verlieren.“ Hermine und Ginny nickte, so dass er sich verschwörerisch am Tisch nach vorn lehnte und etwas leiser sagte: „Ich habe schon mit Oliver und den meisten aus dem Team gesprochen und sie wären dabei. Was ich angeleiert habe wird Harry umhauen!“
„Nun spuck es endlich aus, Ron, bevor Harry zurückkommt!“, meckerte Ginny.
„Ist ja gut… Also, wir wollen Harry ein Spiel schenken und zwar auf dem Quidditch-Feld der Schule! Wir dachten an eine Auswahl von ehemaligen Hogwarts-Schülern gegen Eintracht Pfützensee“, erklärte Ron. „Würde also heißen, dass Oliver, Angelina und ich nicht für Pfützensee spielen, sondern für Hogwarts und dann wollten wir noch Harry haben und dich, Ginny! Es fehlen noch zwei und da wissen wir nicht, ob wir Fred und George fragen sollen oder vielleicht sogar Schüler, aber wir wollen unbedingt, dass sich die Stärke der beiden Mannschaften ungefähr die Waage hält. Wir wollen nicht zurückhalten müssen, nur weil unerfahrene Schüler mitspielen.“
„Wenn ihr drei bei Pfützensee fehlt, wer…“
Hermine brauchte gar nicht ausreden, den Ron erklärte sofort: „Wir haben doch jede Menge Ersatzspieler, Mine. Die werden für uns einspringen.“
Ginny war völlig begeistert und schwärmte: „Das ist eine tolle Idee, Ron! Harry wird sich sicher sehr darüber freuen!“
„Aber nicht, dass du ihm etwas verrätst, Ginny. Sonst setzt es Prügel“, sagte er nicht sehr ernst, denn er musste dabei grinsen.
„Wann soll das stattfinden?“, fragte Hermine.
Ron hatte von seinem Butterbier getrunken und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum von der Oberlippe, bevor er verriet: „Noch bevor wie wieder mit dem Training anfangen. Ich würde sagen, wenn der Schnee geschmolzen ist und es nicht mehr so kalt ist. Anfang, Mitte März vielleicht.“ Er wandte sich an seine Schwester und fragte: „Du bist also mit dabei, Schwesterherz?“
„Aber natürlich!“, bestätigte sie breit lächelnd.
Neugierig wollte Hermine noch wissen: „Habt ihr Dumbledore schon…“
„Pssst“, machte Ron und unterbrach Hermine, weil Harry bereits wieder in Hörweite war. Das Geräusch, mit dem Ron ihr den Mund verboten hatte, hatte Harry noch vernommen, so dass er schmunzelte und die Augen zusammenkniff, während er sich setzte.
„Was heckt ihr wieder aus?“, fragte er schelmisch.
Ron winkte ab. „Ach gar nichts. Wir haben uns nur eben über dich das Maul zerrissen und wollten nicht, dass du davon etwas mitbekommst“, sagte Ron bierernst, doch natürlich machte er nur Spaß. Remus lenkte auch gleich wieder ab, indem er den vieren einen Nachtisch schmackhaft machen wollte. Harry wurde allerdings das Gefühl nicht los, dass seine drei Freunde etwas vor ihm verheimlichen würden.
Ein paar Minuten später brachte Remus die Desserts und da sagte Hermine: „Remus? Das hatte ich gestern Abend ganz vergessen zu fragen: Ist es wahr, was Severus mir erzählt hatte? Dass sich der Phönixorden vorgestern zum letzten Mal getroffen hat?“
Hier stutzten die anderen drei, denn die wussten davon noch gar nichts.
„Das hat er dir erzählt?“, fragte er erstaunt und Hermine nickte einfach wortlos. „Ja, es stimmt. Albus und Arthur haben den Orden aufgelöst. Niemand hat mehr eine Notwendigkeit gesehen ihn weiterzuführen“, sagte Remus etwas wehmütig, denn natürlich hingen am Phönixorden sehr viele Erinnerungen – gute wie auch schlechte.
„Und was ist mit deiner Aufgabe hier?“, wollte Harry wissen, denn Albus hatte ihm ja im Auftrag des Ordens die Aufgabe auferlegt, sich um die Sicherheit von Hogwarts zu kümmern.
„Ich mache weiter, was sonst?“, antwortete Remus gelassen. „Ich würde es auch tun, wenn ich nicht mehr müsste. Die ganze Sache ist mir zu unheimlich.“ Remus setzte sich zu seinen jungen Freunden an den Tisch und erzählte: „Arthur hat uns gestern mitgeteilt, dass der Muggelminister diesem Hopkins eine Steuerprüfung nach der anderen auf den Hals hetzt und ihm das Leben schwer macht, wo es nur geht, aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass ein Besessener sich von solchen Lappalien aufhalten lässt.“
„Aber“, begann Harry verdutzt. „Arthur hat doch gesagt, dass diese seltsamen Todesfälle aufgehört haben. Das Letzte war der Anschlag auf die Beerbaums und auf Meredith.“
Diesmal lehnte sich Remus mit den Ellenbogen auf den Tisch und näherte sich den anderen, um leise sagen zu können: „Diese beiden Männer, die du hier in Hogsmeade gesehen hattest, Harry, die waren einfach auf und davon! Wie schon vorher haben Severus und ich die Fußspuren am Fluss verloren und ich glaube mittlerweile, dass sie Boote haben könnten. Muggel haben ja sehr schnelle Boote, richtig?“
Hermine bestätigte: „Motorboote, klar. Aber das würde doch auffallen, wenn man die Motorengeräusche hier hört. Die sind nicht gerade leise.“
„Richtig!“, sagte Remus. „Und da habe ich mir überlegt, wer diese Männer noch sein könnten und die Antwort darauf gefällt mir genauso wenig.“
Mit offen stehenden Mund gaffte Ron einen Moment in die Runde, bevor er kopfschüttelnd sagte: „Todesser? Oh mein Gott!“
„Es ist nur eine Vermutung – meine Vermutung. Tonks sagt, sie kann sich nicht vorstellen, dass die Restlichen, die noch gesucht werden, so dämlich wären, in der Nähe von Harry aufzukreuzen“, erklärte Remus.
„Na ja“, warf Ron konternd ein, „einige von denen haben wir ja gut kennen lernen können und ich muss schon sagen, dass es wirklich ein paar sehr dämliche Todesser gegeben hat! Nicht alle, aber der alte Goyle war zum Beispiel nicht sehr helle, im Gegensatz zum alten Crabbe, wo ich mich wirklich gefragt habe, wie so ein intelligenter Mann so einen Idioten von Sohn haben konnte.“
Remus wollte, da der Phönixorden nun nicht mehr existierte, seine Informationen weitergeben, denn er ahnte, dass Harry und seine Freunde möglicherweise nicht einfach aufgeben würden und so gab er preis: „Tonks hat mir erzählt, dass sie von der ersten Generation von Anhängern noch Nott senior und Rookwood suchen. Die anderen sind in der Schlacht getötet oder festgenommen worden beziehungsweise konnten wir sie bei dem Anschlag auf die Versammlung von Halbwesen dingfest machen. Aus der zweiten Generation sind Pettigrew und Greyback noch immer auf freiem Fuß genau wie Rodolphus und Rabastan Lestrange. Die anderen dieser Generation sitzen in Askaban oder sind tot, aber ehrlich gesagt sind die, die noch frei herumlaufen, in meinen Augen die Gefährlichsten! Das Schlimmste ist aber, dass es wahrscheinlich noch eine neue Generation von Todessern gegeben hat, von denen wir niemanden kennen. Vielleicht tragen sie nicht einmal das dunkle Mal.“ Remus atmete tief durch und rieb sich die Schläfen. „Es gab ja einige Menschen, die Voldemort auch so unterstützt hatten.“
Beruhigend wollte Ginny erklären: „Ich denke nicht, dass die beiden Männer hier in Hogsmeade Todesser waren. Die haben sich viel zu unbeholfen verhalten, haben sich aufmerksam umgeschaut. Und dann noch diese Getränkebüchse, von der du erzählt hast, Remus. Außerdem wären Todesser von hier nach da appariert und nicht zu Fuß durch den Schnee zum Fluss gelaufen.“
„Ich denke auch nicht, dass es Todesser waren“, bestätigte Harry. „Warum sollten die Hogsmeade auskundschaften wollen? Das Dorf kennen die doch.“
Nachdem Ron ein Schluck Butterbier genommen hatte, fragte er: „Und man weiß nicht, wo die anderen sich noch aufhalten könnten?“
Remus schüttelte den Kopf und offenbarte: „Malfoy hat einige Verstecke genannt, aber dort gibt es keine Häuser.“
„Fidelius?“, nannte Ginny als Idee.
„Vermutlich, aber die Auroren haben dort nicht einmal eine magische Signatur gefunden, die auf einen Fidelius hindeuten könnte. Wenn es an diesen Orten Gebäude geben sollte, die unter dem Fidelius stehen, dann haben die Auroren keine Chance“, erklärte Remus niedergeschlagen. Sehr betroffen sagte er nach einem Moment: „Dass besonders noch dieser Greyback frei herumläuft, ist einfach…“
Remus verstummte. Zu schlimm war der Gedanke, etwas mit diesem Monster gemeinsam zu haben; den Fluch teilen zu müssen, bei Vollmond zu einem Werwolf zu werden.
Hermine warf Harry einen eindringlichen Blick hinüber, den er lange hielt. Er wusste genau, was sie dachte, nämlich dass Harrys Gabe bereits versteckte Dinge für ihn sichtbar gemacht hatte. Er war der einzige Mensch, der ein Haus, das mit dem Fidelius-Zauber geschützt worden war, aufgrund einer Laune der Magie schon einmal hatte aufspüren können.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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129 Die Magie der Muggel
Mit einer Tasse Kaffee hatte Lucius es sich an seinem Fensterplatz gemütlich gemacht, um den Tagespropheten in Ruhe lesen zu können. Schwester Marie hatte er heute noch nicht gesehen, doch er hatte sich schon längst ihren Dienstplan eingeprägt. Vor dem Mittag müsste sie auftauchen.
Endlich konnte er selbst wieder Zeitungen lesen und etwas über politische Ereignisse sowie dem Klatsch und Tratsch der Prominentenwelt erfahren. Erleichtert atmete er auf, bevor er einen Blick aus dem Fenster warf. Es schneite. Die Werbetafel von „Bertie Botts Bohnen jeder Geschmacksrichtung“ war so stark eingeschneit, dass man von dem Wort „Bohnen“ nur noch „ohne“ lesen konnte. Sein Blick fiel nach einem Schluck Kaffee auf seinen stummen, regungslosen Zimmergenossen. Gregory Goyle tat ihm Leid, selbst wenn er das nie nach außen hin zeigen oder gar sagen würde. Der junge Mann hatte zur gleichen Zeit das dunkle Mal erhalten wie sein eigener Sohn, rief sich Lucius mit Bedauern ins Gedächtnis zurück.
Schon war es geschehen, denn Lucius musste unentwegt an Draco denken. Die letzten Momente mit seinem Sohn spielten sich wieder und wieder in seinem Kopf ab. Dracos Geständnis, eine Frau kennen gelernt zu haben, die ihn um seinetwillen vergöttern würde und nicht, weil sein Name bekannt war oder die Familienkonten gut gefüllt waren. „Es ist Miss Bones!“ hatte sein Sohn ihm offenbart. Lucius seufzte, nachdem er sich daran erinnerte, Draco gleich darauf einen Blutsverräter geschimpft zu haben.
Die Freude darüber, seine Narzissa wohlauf zu wissen und die Herzenswärme, die mit ihren Briefen den Weg ins Krankenhaus fand, ließ ihn die ersten Male darüber hinwegsehen, dass seine Teuerste mit der unreinen Beziehung des gemeinsamen Sprosses keine Unannehmlichkeiten zu verbinden schien. Im Gegenteil, denn Narzissa hatte einige Male geschrieben, wie nett sie Dracos Verlobte finden würde. Als noch kein Name gefallen war, hatte Lucius erst gedacht, Draco hätte sich von Miss Bones getrennt und sich anderweitig umgesehen, um es seinem Vater recht zu machen. Es dauerte gar nicht lang, da hatte Narzissa in ihren Schreiben die Verlobte beim Namen genannt: Miss Bones. In folgenden Briefen wurde die Halbblüterin sogar nur noch als „Susan“ betitelt, als würde sie längst zur Familie gehören. Lucius war skeptisch geworden und er hatte sich gefragt, ob Narzissa noch „seine“ Narzissa wäre, doch die Liebe seiner Frau, die aus jeder Zeile herauszulesen war, war dieselbe gewesen wie früher, wenngleich sie aufgrund der langen Zeit der Trennung mit viel mehr Sehnsucht zum Ausdruck gebracht worden war. Lucius verzehrte sich nach ihr, doch er gab ihrem Wunsch, ihn besuchen zu wollen, nie nach. Es gehörte sich seiner Meinung nach nicht für eine anständige Frau, den Gatten aufzusuchen, der momentan in einer höchst unerfreulichen Lage anzutreffen war. Um ihre eigene gesellschaftliche Stellung zu wahren wäre es angemessen, sich momentan von ihm fernzuhalten.
In Erinnerungen schwelgend widmete er sich wieder dem Tagespropheten und er las einen höchst amüsant formulierten Artikel über die seit einiger Zeit zurückgezogen lebende Journalistin Rita Kimmkorn, als es unerwartet klopfte und die Tür sich gleich darauf öffnete.
„Guten Tag, Mr. Malfoy“, sagte Marie strahlend.
„Ihnen auch einen guten Tag, Marie“, grüßte er erfreut zurück.
Sie betrachtete einen Moment lang die Lage und machte lächelnd die Bemerkung: „Ein schöner Tag: Es schneit und die Sonne scheint.“
Lucius blickte einmal aus dem Fenster, bevor er wieder Marie anschaute und galant erklärte: „Die Sonne geht in diesem Krankenzimmer erst dann auf, wenn Sie es betreten.“
Schwester Marie konnte nichts gegen das schüchterne Lächeln unternehmen, welches sich auf ihrem Gesicht ausbreitete.
’Ja’, dachte Lucius unbescheiden, ’ich kann es noch immer.’
Während Schwester Marie bereits das Bett von Gregory machte, sagte sie: „Ach, Mr. Malfoy, Mr. Shacklebolt hat sich eben über den Kamin angekündigt. Er wird Sie heute besuchen.“
„Auf einen Samstag? Der gute Mann übernimmt sich noch“, scherzte Lucius abwertend, der genau wusste, dass die Ministeriumsangestellten nur an den Wochenenden arbeiten mussten, wenn die Luft brannte.
Vielleicht, so hoffte er, wollte Arthur noch etwas über die Muggelbande oder die Todesserverstecke herausfinden, bevor die Verhandlung am 12. Januar stattfinden würde und womöglich hätte Lucius erneut die Aussicht auf ein wenig Hafterlass. Von den sieben Jahren, die er maximal absitzen müsste, wollte er auf jeden Fall noch einige verlieren.
„Möchten Sie, dass ich nachher, wenn Mr. Shacklebolt hier ist, bei Ihnen bleibe?“, wollte Marie wissen.
„Ja, das wäre nett. Ich hoffe, Mr. Shacklebolt erinnert sich daran, dass er dem zugestimmt hatte.“
Lucius las den Artikel im Tagespropheten zu Ende und grinste hämisch, bevor er die nächste Seite mit den Kurzartikeln aufschlug und er deren Überschriften überflog. Erschrocken holte er Luft, als er „Malfoy Manor“ las.
„Was haben Sie, Mr. Malfoy?“, fragte Marie besorgt.
Er blickte sie an, doch anstatt ihr sein Verhalten zu erklären, wandte er sich wieder der Zeitung zu und las laut vor: „Gestern, am 21. November, hat das Ministerium das gesamte Malfoy-Anwesen nach jahrelanger Beschlagnahme an die Verwandten freigegeben. Es ist zu erwarten, dass Narzissa Malfoy, die Gattin des zurzeit inhaftierten Todessers Lucius Malfoy, Malfoy Manor beziehen wird. Über die anstehende Verhandlung von Lucius Malfoy wird der Tagesprophet zur gegebenen Zeit ausführlich berichten.“
Lucius blickte auf. Marie schien um Worte verlegen, doch ihm ging es nicht anders, so dass er sich stumm wieder den Kurzartikeln zuwandte. Den Besuch von Shacklebolt konnte Lucius kaum noch erwarten. Sicherlich würde er ihm verständlich machen können, dass seine Frau in Gefahr war, denn sicherlich werden auch andere diesen Artikel gelesen haben.
In den Drei Besen hatten die vier Freunde trotz des ernsthaften Gesprächs mit Remus noch ihren Spaß gehabt und sie kehrten erst am späten Nachmittag zurück nach Hogwarts. Hermine wollte heute noch ein Experiment mit Muggeln durchführen und dafür hatten sich glücklicherweise ihre Eltern bereit erklärt. Aus Severus’ Labor besorgte sie sich zwei Ampullen von ihrem Trank, als ihr Blick beim Gehen auf die Mappe fiel, die Mr. Worple ihr gestern überreicht hatte. Sie lag noch genau dort, wo sie sie abgelegt hatte. Die Mappe mitnehmend machte sie sich auf den Weg zu Severus, um höflichkeitshalber zu fragen, ob er dem Experiment beiwohnen wollte, auch wenn sie ahnte, dass er ablehnen würde.
Kommentarlos ließ Salazar sie ein. Auf den Hund konnte man sich verlassen, denn der grüßte sie wenigstens und hieß sie willkommen, während Severus sehr wahrscheinlich wieder oder noch immer in seinem Schlafzimmer verweilte. Hermine blickte durch den Türspalt. Severus lag halb bekleidet auf dem Rücken und schlief. Neben ihm auf dem Nachttisch standen zwei leeren Fläschchen. Mutig ging sie hinein, doch sie weckte ihn nicht und nahm stattdessen eines der Fläschchen und roch daran. Der Geruch des Trankes für einen traumlosen Schlaf war ihr geläufig, denn der wurde in Krankenhäusern meist den Patienten verabreicht, die schwerste Verletzungen, eine Schock oder ein Trauma erlitten hatten. Sie stellte es zurück auf den Nachttisch und legte die Mappe mit Worples Beobachtungen in der Hoffnung daneben, dass Severus es sich wenigstens als Abendlektüre vornehmen würde, wenn er denn vor dem Morgengrauen noch einmal aufwachen sollte.
Mit einer dicken Jacke bekleidet marschierte Hermine durch den Schnee vor die Tore von Hogwarts, um direkt in die Küche ihrer Eltern zu apparieren.
Obwohl sie ihre Tochter erwartete, erschrak ihre Mutter bei dem lauten Plop.
„Herrgott“, sagte ihre Mutter und fasste sich ans Herz. „Ich werde mich wohl nie dran gewöhnen.“
Lachend fiel sie ihrer Mutter in die Arme und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Ihr Vater musste sie gehört haben, denn er kam gerade vom Wohnzimmer hinein in die Küche.
„Hermine“, sagte er freudestrahlend und er streckte ihr seine Arme genauso herzlich entgegen, als würde er sie gerade zu Beginn der Schulferien am King's Cross empfangen. Sie lief auch zu ihm und umarmte ihn ebenso innig wie schon ihre Mutter.
Im Wohnzimmer machten sie es sich gemütlich. Das Radio im Hintergrund berieselte mit angenehmer Musik und Hermines Mutter hatte eine Platte mit kleinen Häppchen auf den Couchtisch gestellt, falls Hermine noch nichts zu Abend gegessen hätte. Sie unterhielten sich über alles Mögliche. Ihr Vater berichtete von einer neuen und viel größeren Praxis, die er mieten wollte und gleich im Anschluss wollte er wissen, wie es um die Ausbildung seiner Tochter stand.
„Mein Professor hat gesagt“, begann Hermine, „dass ich möglicherweise schon viel früher meine Prüfung ablegen könnte.“
Ihr Vater lächelte stolz und sagte: „Das ist wunderbar, meine Kleine, ganz wunderbar! Dann bist du Heilerin und Zaubertränkemeisterin!“
Ihre Mutter wollte wissen: „Wenn du fertig bist, was schwebt dir so vor, Spatz. Was möchtest du danach gern machen?“
„Ich weiß nicht…“, begann Hermine, doch ihr Vater unterbrach sie gleich.
„Komm schon, du hattest doch schon mit etwas geliebäugelt, als du die Ausbildung im Krankenhaus gemacht hattest.“
„Damals war Krieg, Dad. Ich wusste doch nicht einmal, ob ich…“ Sie beendete den Satz nicht.
„Aber jetzt ist der Krieg vorbei“, konterte ihr Vater. „Was ist aus der einstigen Idee geworden, eine Apotheke zu eröffnen?“
„Ich habe mir keine Gedanken mehr darüber gemacht“, antwortete Hermine ernst.
Ihr Vater gab als Rat: „Du kannst wenigstens mal die Augen offen halten. Wenn du freistehende Geschäfte siehst, dann frag doch einfach mal nach, was sie kosten würden. Weißt du denn, wie die Immobilienpreise in der Zaubererwelt so aussehen?“
Es hörte sich an, als würde ihr Vater von einem anderen Land sprechen und eigentlich war es das ja auch. Die Zauberergemeinschaft lebte in ihrer eigenen kleinen Welt.
Ihre Mutter schenkte ihr etwas zu trinken ein und fragte währenddessen: „Mit deinem Professor bist du also zufrieden?“ Hermine nickte.
Verachtend warf ihr Vater ein: „Schlimmer als dieser Lehrer, der ihr damals das Leben schwer gemacht hat, kann er ja gar nicht sein. Wie hieß der noch…?“
Verschämt lächelnd und auf die Platte mit den Häppchen starrend antwortete Hermine: „Das war Professor Snape, Dad.“
Sie hatte ihren Eltern nie gesagt, wie ihr jetziger Zaubertränkemeister mit Nachnamen hieß, denn besonders ihr Vater hatte damals mehrmals während ihrer Schulzeit verlauten lassen, dass er mit diesem Snape gern mal ein Wörtchen wechseln würde, um ihm vor Augen zu halten, dass er in pädagogischer Hinsicht ein völliger Versager wäre. Zum Glück waren ihre Eltern nicht lange auf ihrer Geburtstagsfeier geblieben und waren längst gegangen, bevor Severus auf der Bildfläche erschien.
„Wie geht es Ron, Ginny und Harry?“, erkundigte sich ihre Mutter, die sich noch gut an eine Zeit erinnern konnte, als ihre Tochter mit den dreien zusammen Unterschlupf im Keller gesucht hatte, um in Ruhe einen magischen Gegenstand zu vernichten, nach dem sie monatelang gesucht hatten.
„Bestens, wir haben heute zusammen zu Mittag gegessen. Das war richtig schön!“, erzählte Hermine schwärmend.
Nach dem Smalltalk folgte Hermines Experiment. Sie erklärte ihren Eltern, was der Trank bewirken würde und schilderte, wie sie selbst ausgesehen hatte. Auch von der Wirkung auf einen Squib hatte sie berichtet. Ihre Eltern – und das mochte sie so an ihnen – hörten sehr aufmerksam zu und fragten viele Dinge nach, so dass sie am Ende der erklärenden Worte sogar genau verstanden hatten, um was es ging, auch wenn sie in Zaubertränken keineswegs bewandert waren. Ihre Eltern waren sehr klug.
Erstaunt sagte ihr Vater: „Das hört sich wie eine wirklich große Sache an, Minchen. Ich könnte wetten, dass du dir damit bestimmt einen Namen machst!“
Während sie ihren Eltern die kleinen Ampullen reichte, lächelte sie und sagte: „Das sagt mein Prof auch.“ An ihren Vater gerichtet: „Nimm du ihn zuerst. Ich werde die Zeit nehmen und alles notieren.“
Ihre Mutter setzte sich neben Hermine, damit sie einen guten Blick auf ihren Ehemann haben würde, falls tatsächlich etwas geschehen sollte.
„Jetzt, Dad“, sagte Hermine und ihr Vater setzte an und trank alles in einem Zug aus. Wie schon bei Arabella geschah zunächst nichts, doch dann setzte ein ganz schwaches, kaum wahrzunehmendes Glimmen ein. Fast unmerklich hatte sich ein blauer Schein rund ums Herz abgezeichnet. Vor lauter Staunen stand Hermine der Mund offen.
„Das gibt es doch nicht… Dabei hast du nicht einmal meinen Zauberstab in der Hand. Wo wir gerade beim Thema sind…“, sagte Hermine und reichte ihrem Vater den Zauberstab, den er mit der rechten Hand entgegennahm. Bei Arabella war erst etwas zu sehen gewesen, als sie Hermines Stab gehalten hatte. Kaum hielt ihr Vater den Stab, flimmerte es an seinem Arm etwas grünlich, aber nicht sehr kräftig. Weder die Farbe am Arm noch die am Herzen bewegte sich wabernd über seinen Körper wie bei Harry, Ron, Severus oder ihr selbst. Die Farbe war einfach nur da.
„Fantastisch“, murmelte Hermine, während sie auf ihrem Block Notizen machte.
„Muss ich irgendwas machen?“, wollte ihr Vater wissen.
„Nein nein, bleib nur so sitzen und… Obwohl… warte mal.“ Sie reichte ihrer Mutter die andere Ampulle und sagte: „Nimm es auch und setzt dich rüber zu Dad, ja.“
Ihre Mutter nickte zustimmend. Auch sie nahm den Trank ein und einige Minuten später wurde eine schwache Farbe über dem Brustkorb sichtbar: Braun. Genau wie bei Hermine.
Wie wild brachte Hermine ihre Beobachtungen zu Papier und sie wünschte sich im Moment nichts sehnlicher als Severus an ihrer Seite, damit der das sehen könnte, denn er war der Meinung gewesen, es wäre reine Geldverschwendung, den Trank an Muggeln zu testen.
„Gib Mama mal meinen Zauberstab“, sagte Hermine zu ihrem Vater. Kaum hatten sich die Hände der beiden berührt, bewegte sich seine blaue Farbe träge und wie in Zeitlupe in Richtung seiner Frau, doch die Farbe ging nicht durch den Zauberstab hindurch. Es erinnerte ein wenig an die kleinen Tentakel, die von Draco ausgegangen waren, doch bei ihren Eltern waren sie wenig agil. Sie wirkten verkümmert und geradezu schwunglos. Kaum hatte ihre Mutter den Stab in der Hand, wurde ein violetter Schimmer um ihren Arm herum sichtbar.
„Das sieht ganz zauberhaft aus, aber was hat das zu bedeuten?“, wollte ihre Mutter wissen.
Hermine blickte von ihrem Notizblock auf und sagte ehrlich: „Wenn ich das wissen würde, dann würde ich wirklich berühmt werden!“ Sie lächelte und erklärte anfangs noch ernst: „Ich vermute, es ist Magie bei euch vorhanden, aber sie ist einfach nicht aktiv. Trotzdem wirken eure Farben minimal aufeinander ein – reagieren aufeinander. Ich vermute, dass ich die volle Ladung aus eurer Verbindung abbekommen habe.“ Sie seufzte, bevor sie noch anfügte: „Ich weiß nur nicht, ob jeder Muggel irgendwelche blassen, unbeweglichen Farben zeigen würde und ich kann auch nicht mit Sicherheit sagen, ob sie bei euch erst nach meiner Geburt aufgetaucht sind oder vorher schon da waren.“
Das Experiment brach Hermine etwas früher ab. Die Farben ihrer Eltern glimmten zwar noch ein wenig, aber sie taten einfach nichts, bewegten sich kein bisschen.
„Ich hole mal dann den kleinen Nachtisch, den dein Vater extra für dich gemacht hat“, sagte ihre Mutter und erhob sich von der Couch.
„Oh Dad, du hast deinen berühmten Schokokuchen gemacht? Extra für mich?“, schwärmte Hermine.
Ihre Mutter stand bereits auf und gab ihrem Mann einen flüchtigen Kuss auf den Mund, wie sie es ständig tat, und da beobachtete Hermine etwas ganz Eigenartiges. Die Farben der beiden gewannen an Kraft und begannen zu viel heller zu glühen.
Bevor ihre Mutter gehen konnte, forderte Hermine: „Küsst euch nochmal!“
„Wie bitte?“, fragte ihre Mutter verdutzt, während Hermines Vater der Aufforderung seiner Tochter schnell und willig nachkommen wollte, denn er zog seine Frau bereits zu sich auf die Couch hinunter.
Der zweite Kuss brachte keine Farbveränderung, so dass Hermine schon glaubte, sie hätte sich geirrt, doch dann sagte sie eher nebenbei: „Es ist jetzt gestellt, deswegen wiederholt es sich nicht.“
„Junge Dame, ich muss doch sehr bitten!“, sagte Hermines Vater vorgetäuscht erbost. „In diesem Haus ist nichts gestellt!“
Seine Frau anlächelnd legte er eine Hand an ihren Nacken und gefügig ließ sie sich von ihm lenken, bis sich ihre Lippen trafen und ein Kuss geboren wurde, der an den eines frisch verliebten Paares erinnerte. Jetzt wurden die Farben auch wieder kräftiger.
Hermine erinnerte sich daran, dass sie und Severus vermutet hatten, Magie wäre von der inneren Einstellung abhängig. Beim Anblick ihrer sich mittlerweile sehr leidenschaftlich küssenden Eltern war die Theorie nicht mehr von der Hand zu weisen, dass auch starke Gefühle die Farben beeinflussen konnten, selbst wenn die Magie wie bei ihren Eltern oder bei Squibs kaum vorhanden und in der Regel inaktiv war.
Ihre Gedankengänge schrieb sie in Windeseile auf ihren Notizblock und als sie endlich fertig war und aufblickte, da küssten sie sich immer noch. Räuspernd machte sie auf sich aufmerksam und erst da ließen die beiden voneinander ab. Es war ihnen anzusehen, dass sie ihre Tochter völlig vergessen hatten. Mit gut durchbluteten Wangen entschuldigte sich ihre Mutter, um in der Küche den Schokoladenkuchen aufzuschneiden. Nach wenigen Sekunden sagte Hermines Vater: „Ich… ähm… werde ihr mal in der Küche helfen.“
Ein Lächeln unterdrückend sagte Hermine daraufhin: „Ja, mach das, Dad.“
Den gesamten Sonntag darauf verbrachte Hermine damit, die Resultate des Experiments an ihren Eltern durchzugehen und Theorien aufzustellen. Nebenbei hatte sie mit Harry ausgemacht, dass sich heute beide abwechselnd um den Hund von Severus kümmern würden.
Am Montagmorgen während des Frühstücks am Lehrertisch klaffte eine Lücke zwischen Hermine und Harry. Beide schauten bekümmert auf den leeren Stuhl zwischen sich, bevor sie sich anblickten. Jeder schien mit den Augen zu fragen, ob der jeweils andere nicht mal bei Severus nach dem Rechten sehen wollte.
„Ich werde bei Severus mal nach dem Rechten sehen“, sagte plötzlich Albus zu Minerva, die direkt neben Harry saß. Diese Aufgabe hatte ihnen jemand abgenommen, aber wie würde es für den Rest des Tages aussehen?
„Ich mache mir Sorgen um meine Ausbildung“, sagte Hermine leise zu Harry. „Es ist nichts dagegen zu sagen, mal eine gewisse Urlaubszeit einzulegen, aber unter diesen Umständen…“
Die Umstände musste Hermine ihm nicht erklären. Harry selbst war in seinem Leben schon häufig genug in Melancholie versunken: nach Cedrics Tod, nach dem von Sirius’ Tod, nach Albus’ Tod und einige Male während des Krieges nach seinem Schulabschluss. Immer hatte er Freunde um sich herum gehabt, die ihm in dieser schweren Zeit geholfen hatten; Severus hingegen stieß alle Menschen von sich, die sich ihm nähern wollten, aber Albus könnte er nicht so leicht verbieten, ihn zu besuchen.
„Heute früh war ich mit dem Hund aus“, erzählte Harry. „Seine Näpfe im Wohnzimmer waren leer. Nicht einmal mehr Wasser war drin. Ich musste ihn füttern. Severus hat sich nicht drum gekümmert.“ Daraufhin machte sich eine nachdenkliche Miene in ihrem Gesicht breit.
Die Posteulen lenkten ab, denn sie kamen gerade durch die paar Löcher im Dach geflogen und brachten den Schülern und Lehren Briefe und Pakete. Harry staunte, als eine Eule nicht nur vor Hermine, sondern auch sichtlich abgekämpft vor ihm landete.
„Ich dachte, deine Post wird von den Elfen abgefangen?“, fragte sie erstaunt.
Harry hob und senkte einmal langsam die Schultern und versuchte zu erklären: „Scheint nichts Gefährliches zu sein.“
In der Tat handelte es sich nämlich um etwas sehr Erfreuliches: eine Postkarte aus Hawaii. Mit seiner schönen Handschrift hatte Sirius in wenigen Sätzen bildhaft geschildert, wie schön seine Flitterwochen mit Anne wären und dass sie am Montagabend zurückkehren würde. Hermine las ihre Postkarte und lächelte da bei selig.
„Auch von Anne und Sirius?“, wollte Harry wissen.
Sie nickte. „Ist wie in der Muggelwelt: Man schreibt eine Postkarte aus dem Urlaub und kann von Glück sagen, wenn sie noch beim Empfänger ankommt, bevor man längst wieder im Lande ist. Sirius und Anne kommen doch heute Abend zurück oder hast du das schon vergessen?“
Harry betrachtete die braue Eule mit den schwarzen Tupfen, die noch immer schwer atmend auf dem Tisch hockte.
„Du armes Ding“, sagte er übertrieben mitleidig zu dem Tier. „Den ganzen Weg bist du aber nicht durchgeflogen oder?“ Er reichte ihr ein wenig Toastbrot und empfahl im Anschluss: „Flieg ruhig zur Eulerei. Da kannst du fressen, trinken und etwas schlafen.“
Die Eule blinzelte ihm mit nur einem Auge zu, was Harry zum Lächeln brachte, bevor sie sich auf den Weg machte, um sich etwas auszuruhen.
Während Harry nun seinen Unterricht führte, verbrachte Hermine den Vormittag auf ihrem Zimmer mit Lesen. Kapitel zehn von „Helfende Hände“ kannte sie schon fast auswendig, aber ihr wollte einfach kein Licht aufgehen, so dass sie versuchte, sich an die Stellen zu erinnern, die Severus aus den vielen Büchern herausgeschrieben hatte. Wenn Severus etwas suchen würde, das er reparieren wollte und weil Kapitel zehn von den Möglichkeiten handelte, unter anderem Gefühle bewahren zu können, dann musste es so sein, dachte Hermine, dass Severus nur noch einen Teil suchte. Den fehlenden Rest von dem, was er sich bewahrt hatte, seit zwanzig Jahren jedoch unvollständig war. Das wäre zumindest eine mögliche Erklärung dafür, dass er zwar meist gefühlsarm, aber nicht völlig seelenlos war.
In ihrem Kopf begann sie wie wild zu spekulieren, doch Ernüchterung machte sich sehr schnell wieder in ihr breit, denn wie bei allen anderen Theorien baute auch diese nur auf Vermutungen auf. Sie hatte keinen einzigen Anhaltspunkt, der nicht ihrem eigenen Geist entsprungen war.
Seufzend legte sie das auf ihrem Schoß ruhende Buch auf den Tisch und griff sich ihren Kniesel, um ihn zu kraulen, ob er wollte oder nicht. Sie hatte Harry nach dem Frühstück nicht mehr gesehen und wusste auch nicht, ob Severus unterrichten würde, doch sie ging davon aus. Vor dem Mittagessen würde sie noch mit dem Hund rausgehen und Harry hatte versprochen, er würde sich abends nochmal um das Tier kümmern.
Um halb zwölf machte sich Hermine auf in die Kerker; Fellini begleitete sie. Es war nicht ungewöhnlich, dass Salazar sie verachtend anblickte, ihr jedoch trotzdem öffnete. Damit, dass sie Severus in Hemd und Hose auf der Couch liegend erblicken würde, hatte sie nicht gerechnet.
„Severus?“, fragte sie, ohne ihre Stimme zu drosseln. Er musste geschlafen oder zumindest gedöst haben, denn er schreckte kurz auf und als er sie erblickte, legte er sich ohne ein Wort wieder den Arm über die Augen.
„Oh, Ihnen auch einen guten Tag“, sagte sie spottend in den Raum hinein, doch er rührte sich nicht. „Mein Wochenende war sehr schön, danke der Nachfrage.“
Sie konnte es sich nicht verkneifen, eine einseitige Unterhaltung zu führen und damit jene Gespräche zu parodieren, die sie sonst täglich mit ihm geführt hatte. Wahrscheinlich nur höflichkeitshalber hatte er an einem Montag sehr häufig gefragt, wie sie ihr Wochenende verlebt hätte, wenn sie es mal nicht zusammen verbracht hatten. Ohne dass er seine Frage stellen musste, antwortete sie bereits.
„Ich war mit Ginny, Ron und Harry in den Drei Besen essen“, informierte sie ihn, während sie den Hund tätschelte. „Wir haben uns mit Remus über die beiden Männer unterhalten, die Harry in Hogsmeade sehen konnte. Wir denken nicht, dass es Todesser waren, sondern eher Leute von Hopkins“, erzählte sie und leinte derweil den Hund an.
Sie blieb noch einen Moment in seinem Wohnzimmer stehen und betrachtete ihn, bevor sie schilderte: „Ich war abends noch bei meinen Eltern und habe ihnen den Farbtrank gegeben. Die Resultate waren umwerfend; das hätten Sie sehen müssen!“
Sein Desinteresse ärgerte sie, denn er war früher genauso angetan von ihrem Farbtrank wie sie selbst.
„Bei Arabella ist ja erst etwas geschehen, als sie meinen Stab gehalten hatte, aber bei meinen Eltern konnte man schon ohne etwas Farbe sehen!“, schilderte sie enthusiastisch, doch auch von dieser Kunde ließ er sich nicht dazu bewegen, etwas zum Thema zu sagen. „Als sie meinen Stab gehalten haben, da konnte man Farben viel deutlicher erkennen! Bei meinem Vater war es die Farbe Blau und bei meiner Mutter Braun. Es glimmte direkt über ihren Herzen, aber es hat sich nur sehr träge bewegt.“
Mit einem Male machte sich ein ungutes Gefühl in Hermine breit, denn seine Teilnahmslosigkeit bereitete ihr große Sorge. Er verhielt sich ganz und gar nicht normal. Was während des Kusses ihrer Eltern geschehen war, erzählte sie nicht, denn das fand sie momentan unangemessen. Als sie das eine Mal absichtlich gedroht hatte, ihn ins Mungos einzuweisen, da war er von einer Sekunde zur anderen wieder der alte gewesen. Vielleicht sollte sie ihn ärgern, um sein gleichgültiges Ich wachzurütteln, überlegte sie.
Noch immer hatte Severus sich nicht mit einem einzigen Laut geäußert, so dass Hermine betrübt zum Hund hinuterschaute, der schon erwartungsvoll in Richtung Tür blickte und da sagte sie: „Wissen Sie, Severus, vielleicht sollte ich besser Sie anleinen und nach draußen zerren.“ Auch darauf erhielt sie keine Reaktion, so dass sie enttäuscht die Lippen zusammenkniff und bereits zur Tür ging.
Die ganze Zeit über hatte Severus auf der Couch gelegen und Hermines Worten gelauscht. Ihre Stimme wirkte auf ihn wie Baldrian, doch er wollte sich nicht mit ihr unterhalten. Es reichte ihm völlig, ihre Schilderungen zu hören, doch als sie sagte, sie wollte ihn anleinen, da kämpfte er mit sich und überlegte, ob er ihr sie für diese Unverschämtheit tadeln sollte. In dem Moment, als er sich dazu entschlossen hatte sich aufzurichten und sie auf ihr ungehöriges Benehmen hin anzusprechen, da sah er nur noch, wie seine Tür von außen geschlossen wurde.
Der Hund zerrte sie in die Nähe der Gewächshäuser und Hermine nutzte die Gelegenheit, in Gewächshaus Nummer vier zu blicken, während Fellini einen anderen Weg einschlug. Hermine wollte nachsehen, wie gut die Orchideen gewachsen waren, die Pomona auf Anfrage von Severus angepflanzt hatte. Kaum hatte sie den warmen Raum betreten, wurde sie nicht nur vom Anblick der Pflanzen überwältigt, sondern auch von dem süßen Duft, den sie verströmten. Überall sprossen Gänseblümchen, Veilchen und viele wunderbar riechende Orchideen aus der Erde.
„Hallo Hermine“, sagte unerwartet eine Stimme, weswegen sie erschrak.
Sie drehte sich um und sah Neville, der sich mit seiner grünen Schürze farblich kaum von den vielen Pflanzen hier drinnen abhob. Er rührte gerade etwas in einem Topf an.
Ihn zu sehen freute sie und so grüßte sie zurück: „Hallo Neville!“ Es verwunderte sie, ihn hier anzutreffen, weswegen sie wissen wollte: „Du arbeitest allein?“
„Ja sicher! Pomona stößt immer erst nach dem Unterricht hinzu. Ansonsten habe ich meine Aufgaben und Projekte, um die ich mich kümmere“, antwortete er, bevor er den Holzlöffel beiseite legte und die angerührte Flüssigkeit mit Hilfe einer Tasse entnahm und auf den Boden goss, aus welchem die Orchideen sprossen.
„Was ist das?“, fragte Hermine neugierig.
Stolz lächelnd erklärte er: „Ein Düngemittel für Orchideen, das ich selbst entwickelt habe. Es erhöht das Wachstum enorm, aber in der Pflanze sammeln sich keine Rückstände davon an wie bei üblichen Düngemitteln.“ Nachdem er mit seiner Arbeit fertig war, fragte er: „Bist du wegen der Orchideen hier? Du kannst Snape sagen, dass sie noch vor Weihnachten herangewachsen sein werden.“
Nickend nahm Hermine diese Information zur Kenntnis.
„Ist das Snapes Hund?“, wollte Neville wissen, während er das weiße Tier betrachtete. Weil Hermine wieder nur nickte, sagte Neville: „Ich habe gehört, er hätte den Hund im Verbotenen Wald gefunden. Erstaunt mich ehrlich gesagt, dass er ihn mitgenommen hat.“
„Er hatte wohl vor, ihn Draco zu schenken, aber der wollte ihn nicht haben“, erklärte Hermine.
Mit seiner Arbeit fuhr Neville jetzt nebenbei fort, während Hermine die Pflanzen betrachtete.
„Dein Kniesel kommt manchmal her“, sagte Neville lächelnd. Weil Hermine so einen erstaunten Gesichtsausdruck machte, musste er herzlich lachen. „Ja wirklich! Ich lass ihn immer rein. Er legt sich meistens da drüben auf den Tisch.“
Neville zeigte hinüber zu einem kleinen Tisch, auf welchem allerhand Utensilien herumstanden: kleine Schaufeln, Blumentöpfe in jeder Größe und kleine Tütchen, die Samen von Pflanzen beinhalteten. Mittendrin lag eine zusammengelegte Decke, auf welcher viele schwarze Haare zu sehen waren.
„Ihr habt ihm eine Decke hingelegt“, sagte sie verblüfft.
„Er kommt ja fast jeden Tag. Ich denke, wir sind fester Bestandteil seines Rundganges“, scherzte Neville. Gleich darauf wollte er wissen: „Snape hat ihn dir geschenkt, richtig?“ Mit summenden M-Lauten bestätigte sie seine Vermutung. Nun mit einem Sack Erde hantierend fragte Neville: „Und die Orchideen haben dir gefallen?“
Stutzend fragte sie nach: „Welche Orchideen?“
„Na die, die Snape dir einmal überreicht hat“, stellte Neville klar.
„Woher…?“
„Ich habe sie ihm geschnitten. Das war die falsche Lieferung von dem Händler… du erinnerst dich?“
„Oh ja, sicher“, erwiderte sie, doch sie hatte nicht damit gerechnet, dass Severus keinen Hehl daraus gemacht hatte, ihr Blumen zu schenken. Mit wenigen Worten schilderte Hermine, wie sie sich mit Severus ein wenig in den Haaren gehabt hatte und dass sie ihn mit Seegras beworfen hatte.
„Mit Seegras? Du bist mutiger als ich dachte“, sagte Neville lachend.
„Gryffindor! In dem Haus waren wir beide nicht umsonst“, erwiderte sie amüsiert. Ein Geistesblitz ließ Hermine auf einmal schüchtern fragen: „Sag mal, wenn ich dir Samen und Erde gebe, würdest du etwas für mich ziehen? Nicht viel, nur…“
„Erde haben wir genug, Hermine. Was soll es denn sein? Ich frage nur, weil sich nicht alle Pflanzen untereinander verstehen. Die Alraunen haben zum Beispiel etwas gegen Kreischbeißer und umgekehrt“, erklärte Neville.
„Ich…“, druckste Hermine herum. „Ich werde mich noch ein wenig schlau machen und dann kann ich es dir genau sagen, okay?“
„Du bist jederzeit willkommen, Hermine.“
Am Nachmittag wartete Hermine im Labor auf Severus und sie vertrieb sich die Zeit mit den Notizen ihrer vergangenen Experimente und schrieb auch einen Brief an Anne, in welchem sie ihr Anliegen erklärte, um Sirius’ Frau für einen Test zu gewinnen. Severus hatte sich noch immer nicht blicken lassen, doch Hermine war so beschäftigt, dass es ihr erst auffiel, als ihr Magen knurrte und sie sich deshalb auf den Weg in die große Halle machte, um das Abendessen einzunehmen.
„Hi Harry“, grüßte Hermine.
Nachdem Hermine sich gesetzt hatte, beugte er sich zu ihr und fragte leise: „Hast du ihn schon gesehen?“ Sie verneinte, denn nach dem Spaziergang mit dem Hund war sie ihm nicht mehr über den Weg gelaufen. „Wann fangt ihr sonst immer mit eurer Arbeit an?“, wollte Harry wissen.
„Gleich nach dem Unterricht, aber heute… Er war bis eben nicht im Labor“, sagte sie besorgt.
Abends saß Hermine mit einem dicken Buch auf ihrer Couch, doch sie konnte sich nicht auf den Text konzentrieren. Severus hatte sie heute im Labor warten lassen und gegen 22 Uhr war sie sich sicher gewesen, dass er nicht mehr kommen würde. Nicht einmal eine Nachricht hatte er ihr zukommen lassen.
Sie seufzte und griff sich Fellini, dessen Ohren sie liebevoll knetete, bevor sie zu dem Tier sagte: „Kannst du nicht nachschauen, ob es ihm gut geht?“
Der Kniesel schien sie verstanden zu haben, denn er sprang von ihrem Schoß hinunter und rannte zur Tür, wo er stehen blieb und sie auffordernd anblickte. Hermine erhob sich und öffnete ihre Zimmertür, so dass er ins Freie laufen konnte.
Das schwarze Tier ließ sich auf seinem Weg nicht von der kleinen Maus ablenken, die schnell Schutz in einer der Ritterrüstungen suchte. Lautlos huschte der Kater wie ein schwarzer Schatten die Treppen Stockwerk für Stockwerk hinauf, bis er ganz oben angelangt war. Durch die verwaisten Gänge laufend erspähte er eine offen stehende Tür, durch die er hindurchging. Am Ende des mit Fackeln beleuchteten Raumes stand eine weitere Tür offen und auch diese passierte das Tier ohne Mühe.
Fellini fand den Mann, der ihn gekauft hatte und der stand direkt vor einem Spiegel.
Mit einer Tasse Kaffee hatte Lucius es sich an seinem Fensterplatz gemütlich gemacht, um den Tagespropheten in Ruhe lesen zu können. Schwester Marie hatte er heute noch nicht gesehen, doch er hatte sich schon längst ihren Dienstplan eingeprägt. Vor dem Mittag müsste sie auftauchen.
Endlich konnte er selbst wieder Zeitungen lesen und etwas über politische Ereignisse sowie dem Klatsch und Tratsch der Prominentenwelt erfahren. Erleichtert atmete er auf, bevor er einen Blick aus dem Fenster warf. Es schneite. Die Werbetafel von „Bertie Botts Bohnen jeder Geschmacksrichtung“ war so stark eingeschneit, dass man von dem Wort „Bohnen“ nur noch „ohne“ lesen konnte. Sein Blick fiel nach einem Schluck Kaffee auf seinen stummen, regungslosen Zimmergenossen. Gregory Goyle tat ihm Leid, selbst wenn er das nie nach außen hin zeigen oder gar sagen würde. Der junge Mann hatte zur gleichen Zeit das dunkle Mal erhalten wie sein eigener Sohn, rief sich Lucius mit Bedauern ins Gedächtnis zurück.
Schon war es geschehen, denn Lucius musste unentwegt an Draco denken. Die letzten Momente mit seinem Sohn spielten sich wieder und wieder in seinem Kopf ab. Dracos Geständnis, eine Frau kennen gelernt zu haben, die ihn um seinetwillen vergöttern würde und nicht, weil sein Name bekannt war oder die Familienkonten gut gefüllt waren. „Es ist Miss Bones!“ hatte sein Sohn ihm offenbart. Lucius seufzte, nachdem er sich daran erinnerte, Draco gleich darauf einen Blutsverräter geschimpft zu haben.
Die Freude darüber, seine Narzissa wohlauf zu wissen und die Herzenswärme, die mit ihren Briefen den Weg ins Krankenhaus fand, ließ ihn die ersten Male darüber hinwegsehen, dass seine Teuerste mit der unreinen Beziehung des gemeinsamen Sprosses keine Unannehmlichkeiten zu verbinden schien. Im Gegenteil, denn Narzissa hatte einige Male geschrieben, wie nett sie Dracos Verlobte finden würde. Als noch kein Name gefallen war, hatte Lucius erst gedacht, Draco hätte sich von Miss Bones getrennt und sich anderweitig umgesehen, um es seinem Vater recht zu machen. Es dauerte gar nicht lang, da hatte Narzissa in ihren Schreiben die Verlobte beim Namen genannt: Miss Bones. In folgenden Briefen wurde die Halbblüterin sogar nur noch als „Susan“ betitelt, als würde sie längst zur Familie gehören. Lucius war skeptisch geworden und er hatte sich gefragt, ob Narzissa noch „seine“ Narzissa wäre, doch die Liebe seiner Frau, die aus jeder Zeile herauszulesen war, war dieselbe gewesen wie früher, wenngleich sie aufgrund der langen Zeit der Trennung mit viel mehr Sehnsucht zum Ausdruck gebracht worden war. Lucius verzehrte sich nach ihr, doch er gab ihrem Wunsch, ihn besuchen zu wollen, nie nach. Es gehörte sich seiner Meinung nach nicht für eine anständige Frau, den Gatten aufzusuchen, der momentan in einer höchst unerfreulichen Lage anzutreffen war. Um ihre eigene gesellschaftliche Stellung zu wahren wäre es angemessen, sich momentan von ihm fernzuhalten.
In Erinnerungen schwelgend widmete er sich wieder dem Tagespropheten und er las einen höchst amüsant formulierten Artikel über die seit einiger Zeit zurückgezogen lebende Journalistin Rita Kimmkorn, als es unerwartet klopfte und die Tür sich gleich darauf öffnete.
„Guten Tag, Mr. Malfoy“, sagte Marie strahlend.
„Ihnen auch einen guten Tag, Marie“, grüßte er erfreut zurück.
Sie betrachtete einen Moment lang die Lage und machte lächelnd die Bemerkung: „Ein schöner Tag: Es schneit und die Sonne scheint.“
Lucius blickte einmal aus dem Fenster, bevor er wieder Marie anschaute und galant erklärte: „Die Sonne geht in diesem Krankenzimmer erst dann auf, wenn Sie es betreten.“
Schwester Marie konnte nichts gegen das schüchterne Lächeln unternehmen, welches sich auf ihrem Gesicht ausbreitete.
’Ja’, dachte Lucius unbescheiden, ’ich kann es noch immer.’
Während Schwester Marie bereits das Bett von Gregory machte, sagte sie: „Ach, Mr. Malfoy, Mr. Shacklebolt hat sich eben über den Kamin angekündigt. Er wird Sie heute besuchen.“
„Auf einen Samstag? Der gute Mann übernimmt sich noch“, scherzte Lucius abwertend, der genau wusste, dass die Ministeriumsangestellten nur an den Wochenenden arbeiten mussten, wenn die Luft brannte.
Vielleicht, so hoffte er, wollte Arthur noch etwas über die Muggelbande oder die Todesserverstecke herausfinden, bevor die Verhandlung am 12. Januar stattfinden würde und womöglich hätte Lucius erneut die Aussicht auf ein wenig Hafterlass. Von den sieben Jahren, die er maximal absitzen müsste, wollte er auf jeden Fall noch einige verlieren.
„Möchten Sie, dass ich nachher, wenn Mr. Shacklebolt hier ist, bei Ihnen bleibe?“, wollte Marie wissen.
„Ja, das wäre nett. Ich hoffe, Mr. Shacklebolt erinnert sich daran, dass er dem zugestimmt hatte.“
Lucius las den Artikel im Tagespropheten zu Ende und grinste hämisch, bevor er die nächste Seite mit den Kurzartikeln aufschlug und er deren Überschriften überflog. Erschrocken holte er Luft, als er „Malfoy Manor“ las.
„Was haben Sie, Mr. Malfoy?“, fragte Marie besorgt.
Er blickte sie an, doch anstatt ihr sein Verhalten zu erklären, wandte er sich wieder der Zeitung zu und las laut vor: „Gestern, am 21. November, hat das Ministerium das gesamte Malfoy-Anwesen nach jahrelanger Beschlagnahme an die Verwandten freigegeben. Es ist zu erwarten, dass Narzissa Malfoy, die Gattin des zurzeit inhaftierten Todessers Lucius Malfoy, Malfoy Manor beziehen wird. Über die anstehende Verhandlung von Lucius Malfoy wird der Tagesprophet zur gegebenen Zeit ausführlich berichten.“
Lucius blickte auf. Marie schien um Worte verlegen, doch ihm ging es nicht anders, so dass er sich stumm wieder den Kurzartikeln zuwandte. Den Besuch von Shacklebolt konnte Lucius kaum noch erwarten. Sicherlich würde er ihm verständlich machen können, dass seine Frau in Gefahr war, denn sicherlich werden auch andere diesen Artikel gelesen haben.
In den Drei Besen hatten die vier Freunde trotz des ernsthaften Gesprächs mit Remus noch ihren Spaß gehabt und sie kehrten erst am späten Nachmittag zurück nach Hogwarts. Hermine wollte heute noch ein Experiment mit Muggeln durchführen und dafür hatten sich glücklicherweise ihre Eltern bereit erklärt. Aus Severus’ Labor besorgte sie sich zwei Ampullen von ihrem Trank, als ihr Blick beim Gehen auf die Mappe fiel, die Mr. Worple ihr gestern überreicht hatte. Sie lag noch genau dort, wo sie sie abgelegt hatte. Die Mappe mitnehmend machte sie sich auf den Weg zu Severus, um höflichkeitshalber zu fragen, ob er dem Experiment beiwohnen wollte, auch wenn sie ahnte, dass er ablehnen würde.
Kommentarlos ließ Salazar sie ein. Auf den Hund konnte man sich verlassen, denn der grüßte sie wenigstens und hieß sie willkommen, während Severus sehr wahrscheinlich wieder oder noch immer in seinem Schlafzimmer verweilte. Hermine blickte durch den Türspalt. Severus lag halb bekleidet auf dem Rücken und schlief. Neben ihm auf dem Nachttisch standen zwei leeren Fläschchen. Mutig ging sie hinein, doch sie weckte ihn nicht und nahm stattdessen eines der Fläschchen und roch daran. Der Geruch des Trankes für einen traumlosen Schlaf war ihr geläufig, denn der wurde in Krankenhäusern meist den Patienten verabreicht, die schwerste Verletzungen, eine Schock oder ein Trauma erlitten hatten. Sie stellte es zurück auf den Nachttisch und legte die Mappe mit Worples Beobachtungen in der Hoffnung daneben, dass Severus es sich wenigstens als Abendlektüre vornehmen würde, wenn er denn vor dem Morgengrauen noch einmal aufwachen sollte.
Mit einer dicken Jacke bekleidet marschierte Hermine durch den Schnee vor die Tore von Hogwarts, um direkt in die Küche ihrer Eltern zu apparieren.
Obwohl sie ihre Tochter erwartete, erschrak ihre Mutter bei dem lauten Plop.
„Herrgott“, sagte ihre Mutter und fasste sich ans Herz. „Ich werde mich wohl nie dran gewöhnen.“
Lachend fiel sie ihrer Mutter in die Arme und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Ihr Vater musste sie gehört haben, denn er kam gerade vom Wohnzimmer hinein in die Küche.
„Hermine“, sagte er freudestrahlend und er streckte ihr seine Arme genauso herzlich entgegen, als würde er sie gerade zu Beginn der Schulferien am King's Cross empfangen. Sie lief auch zu ihm und umarmte ihn ebenso innig wie schon ihre Mutter.
Im Wohnzimmer machten sie es sich gemütlich. Das Radio im Hintergrund berieselte mit angenehmer Musik und Hermines Mutter hatte eine Platte mit kleinen Häppchen auf den Couchtisch gestellt, falls Hermine noch nichts zu Abend gegessen hätte. Sie unterhielten sich über alles Mögliche. Ihr Vater berichtete von einer neuen und viel größeren Praxis, die er mieten wollte und gleich im Anschluss wollte er wissen, wie es um die Ausbildung seiner Tochter stand.
„Mein Professor hat gesagt“, begann Hermine, „dass ich möglicherweise schon viel früher meine Prüfung ablegen könnte.“
Ihr Vater lächelte stolz und sagte: „Das ist wunderbar, meine Kleine, ganz wunderbar! Dann bist du Heilerin und Zaubertränkemeisterin!“
Ihre Mutter wollte wissen: „Wenn du fertig bist, was schwebt dir so vor, Spatz. Was möchtest du danach gern machen?“
„Ich weiß nicht…“, begann Hermine, doch ihr Vater unterbrach sie gleich.
„Komm schon, du hattest doch schon mit etwas geliebäugelt, als du die Ausbildung im Krankenhaus gemacht hattest.“
„Damals war Krieg, Dad. Ich wusste doch nicht einmal, ob ich…“ Sie beendete den Satz nicht.
„Aber jetzt ist der Krieg vorbei“, konterte ihr Vater. „Was ist aus der einstigen Idee geworden, eine Apotheke zu eröffnen?“
„Ich habe mir keine Gedanken mehr darüber gemacht“, antwortete Hermine ernst.
Ihr Vater gab als Rat: „Du kannst wenigstens mal die Augen offen halten. Wenn du freistehende Geschäfte siehst, dann frag doch einfach mal nach, was sie kosten würden. Weißt du denn, wie die Immobilienpreise in der Zaubererwelt so aussehen?“
Es hörte sich an, als würde ihr Vater von einem anderen Land sprechen und eigentlich war es das ja auch. Die Zauberergemeinschaft lebte in ihrer eigenen kleinen Welt.
Ihre Mutter schenkte ihr etwas zu trinken ein und fragte währenddessen: „Mit deinem Professor bist du also zufrieden?“ Hermine nickte.
Verachtend warf ihr Vater ein: „Schlimmer als dieser Lehrer, der ihr damals das Leben schwer gemacht hat, kann er ja gar nicht sein. Wie hieß der noch…?“
Verschämt lächelnd und auf die Platte mit den Häppchen starrend antwortete Hermine: „Das war Professor Snape, Dad.“
Sie hatte ihren Eltern nie gesagt, wie ihr jetziger Zaubertränkemeister mit Nachnamen hieß, denn besonders ihr Vater hatte damals mehrmals während ihrer Schulzeit verlauten lassen, dass er mit diesem Snape gern mal ein Wörtchen wechseln würde, um ihm vor Augen zu halten, dass er in pädagogischer Hinsicht ein völliger Versager wäre. Zum Glück waren ihre Eltern nicht lange auf ihrer Geburtstagsfeier geblieben und waren längst gegangen, bevor Severus auf der Bildfläche erschien.
„Wie geht es Ron, Ginny und Harry?“, erkundigte sich ihre Mutter, die sich noch gut an eine Zeit erinnern konnte, als ihre Tochter mit den dreien zusammen Unterschlupf im Keller gesucht hatte, um in Ruhe einen magischen Gegenstand zu vernichten, nach dem sie monatelang gesucht hatten.
„Bestens, wir haben heute zusammen zu Mittag gegessen. Das war richtig schön!“, erzählte Hermine schwärmend.
Nach dem Smalltalk folgte Hermines Experiment. Sie erklärte ihren Eltern, was der Trank bewirken würde und schilderte, wie sie selbst ausgesehen hatte. Auch von der Wirkung auf einen Squib hatte sie berichtet. Ihre Eltern – und das mochte sie so an ihnen – hörten sehr aufmerksam zu und fragten viele Dinge nach, so dass sie am Ende der erklärenden Worte sogar genau verstanden hatten, um was es ging, auch wenn sie in Zaubertränken keineswegs bewandert waren. Ihre Eltern waren sehr klug.
Erstaunt sagte ihr Vater: „Das hört sich wie eine wirklich große Sache an, Minchen. Ich könnte wetten, dass du dir damit bestimmt einen Namen machst!“
Während sie ihren Eltern die kleinen Ampullen reichte, lächelte sie und sagte: „Das sagt mein Prof auch.“ An ihren Vater gerichtet: „Nimm du ihn zuerst. Ich werde die Zeit nehmen und alles notieren.“
Ihre Mutter setzte sich neben Hermine, damit sie einen guten Blick auf ihren Ehemann haben würde, falls tatsächlich etwas geschehen sollte.
„Jetzt, Dad“, sagte Hermine und ihr Vater setzte an und trank alles in einem Zug aus. Wie schon bei Arabella geschah zunächst nichts, doch dann setzte ein ganz schwaches, kaum wahrzunehmendes Glimmen ein. Fast unmerklich hatte sich ein blauer Schein rund ums Herz abgezeichnet. Vor lauter Staunen stand Hermine der Mund offen.
„Das gibt es doch nicht… Dabei hast du nicht einmal meinen Zauberstab in der Hand. Wo wir gerade beim Thema sind…“, sagte Hermine und reichte ihrem Vater den Zauberstab, den er mit der rechten Hand entgegennahm. Bei Arabella war erst etwas zu sehen gewesen, als sie Hermines Stab gehalten hatte. Kaum hielt ihr Vater den Stab, flimmerte es an seinem Arm etwas grünlich, aber nicht sehr kräftig. Weder die Farbe am Arm noch die am Herzen bewegte sich wabernd über seinen Körper wie bei Harry, Ron, Severus oder ihr selbst. Die Farbe war einfach nur da.
„Fantastisch“, murmelte Hermine, während sie auf ihrem Block Notizen machte.
„Muss ich irgendwas machen?“, wollte ihr Vater wissen.
„Nein nein, bleib nur so sitzen und… Obwohl… warte mal.“ Sie reichte ihrer Mutter die andere Ampulle und sagte: „Nimm es auch und setzt dich rüber zu Dad, ja.“
Ihre Mutter nickte zustimmend. Auch sie nahm den Trank ein und einige Minuten später wurde eine schwache Farbe über dem Brustkorb sichtbar: Braun. Genau wie bei Hermine.
Wie wild brachte Hermine ihre Beobachtungen zu Papier und sie wünschte sich im Moment nichts sehnlicher als Severus an ihrer Seite, damit der das sehen könnte, denn er war der Meinung gewesen, es wäre reine Geldverschwendung, den Trank an Muggeln zu testen.
„Gib Mama mal meinen Zauberstab“, sagte Hermine zu ihrem Vater. Kaum hatten sich die Hände der beiden berührt, bewegte sich seine blaue Farbe träge und wie in Zeitlupe in Richtung seiner Frau, doch die Farbe ging nicht durch den Zauberstab hindurch. Es erinnerte ein wenig an die kleinen Tentakel, die von Draco ausgegangen waren, doch bei ihren Eltern waren sie wenig agil. Sie wirkten verkümmert und geradezu schwunglos. Kaum hatte ihre Mutter den Stab in der Hand, wurde ein violetter Schimmer um ihren Arm herum sichtbar.
„Das sieht ganz zauberhaft aus, aber was hat das zu bedeuten?“, wollte ihre Mutter wissen.
Hermine blickte von ihrem Notizblock auf und sagte ehrlich: „Wenn ich das wissen würde, dann würde ich wirklich berühmt werden!“ Sie lächelte und erklärte anfangs noch ernst: „Ich vermute, es ist Magie bei euch vorhanden, aber sie ist einfach nicht aktiv. Trotzdem wirken eure Farben minimal aufeinander ein – reagieren aufeinander. Ich vermute, dass ich die volle Ladung aus eurer Verbindung abbekommen habe.“ Sie seufzte, bevor sie noch anfügte: „Ich weiß nur nicht, ob jeder Muggel irgendwelche blassen, unbeweglichen Farben zeigen würde und ich kann auch nicht mit Sicherheit sagen, ob sie bei euch erst nach meiner Geburt aufgetaucht sind oder vorher schon da waren.“
Das Experiment brach Hermine etwas früher ab. Die Farben ihrer Eltern glimmten zwar noch ein wenig, aber sie taten einfach nichts, bewegten sich kein bisschen.
„Ich hole mal dann den kleinen Nachtisch, den dein Vater extra für dich gemacht hat“, sagte ihre Mutter und erhob sich von der Couch.
„Oh Dad, du hast deinen berühmten Schokokuchen gemacht? Extra für mich?“, schwärmte Hermine.
Ihre Mutter stand bereits auf und gab ihrem Mann einen flüchtigen Kuss auf den Mund, wie sie es ständig tat, und da beobachtete Hermine etwas ganz Eigenartiges. Die Farben der beiden gewannen an Kraft und begannen zu viel heller zu glühen.
Bevor ihre Mutter gehen konnte, forderte Hermine: „Küsst euch nochmal!“
„Wie bitte?“, fragte ihre Mutter verdutzt, während Hermines Vater der Aufforderung seiner Tochter schnell und willig nachkommen wollte, denn er zog seine Frau bereits zu sich auf die Couch hinunter.
Der zweite Kuss brachte keine Farbveränderung, so dass Hermine schon glaubte, sie hätte sich geirrt, doch dann sagte sie eher nebenbei: „Es ist jetzt gestellt, deswegen wiederholt es sich nicht.“
„Junge Dame, ich muss doch sehr bitten!“, sagte Hermines Vater vorgetäuscht erbost. „In diesem Haus ist nichts gestellt!“
Seine Frau anlächelnd legte er eine Hand an ihren Nacken und gefügig ließ sie sich von ihm lenken, bis sich ihre Lippen trafen und ein Kuss geboren wurde, der an den eines frisch verliebten Paares erinnerte. Jetzt wurden die Farben auch wieder kräftiger.
Hermine erinnerte sich daran, dass sie und Severus vermutet hatten, Magie wäre von der inneren Einstellung abhängig. Beim Anblick ihrer sich mittlerweile sehr leidenschaftlich küssenden Eltern war die Theorie nicht mehr von der Hand zu weisen, dass auch starke Gefühle die Farben beeinflussen konnten, selbst wenn die Magie wie bei ihren Eltern oder bei Squibs kaum vorhanden und in der Regel inaktiv war.
Ihre Gedankengänge schrieb sie in Windeseile auf ihren Notizblock und als sie endlich fertig war und aufblickte, da küssten sie sich immer noch. Räuspernd machte sie auf sich aufmerksam und erst da ließen die beiden voneinander ab. Es war ihnen anzusehen, dass sie ihre Tochter völlig vergessen hatten. Mit gut durchbluteten Wangen entschuldigte sich ihre Mutter, um in der Küche den Schokoladenkuchen aufzuschneiden. Nach wenigen Sekunden sagte Hermines Vater: „Ich… ähm… werde ihr mal in der Küche helfen.“
Ein Lächeln unterdrückend sagte Hermine daraufhin: „Ja, mach das, Dad.“
Den gesamten Sonntag darauf verbrachte Hermine damit, die Resultate des Experiments an ihren Eltern durchzugehen und Theorien aufzustellen. Nebenbei hatte sie mit Harry ausgemacht, dass sich heute beide abwechselnd um den Hund von Severus kümmern würden.
Am Montagmorgen während des Frühstücks am Lehrertisch klaffte eine Lücke zwischen Hermine und Harry. Beide schauten bekümmert auf den leeren Stuhl zwischen sich, bevor sie sich anblickten. Jeder schien mit den Augen zu fragen, ob der jeweils andere nicht mal bei Severus nach dem Rechten sehen wollte.
„Ich werde bei Severus mal nach dem Rechten sehen“, sagte plötzlich Albus zu Minerva, die direkt neben Harry saß. Diese Aufgabe hatte ihnen jemand abgenommen, aber wie würde es für den Rest des Tages aussehen?
„Ich mache mir Sorgen um meine Ausbildung“, sagte Hermine leise zu Harry. „Es ist nichts dagegen zu sagen, mal eine gewisse Urlaubszeit einzulegen, aber unter diesen Umständen…“
Die Umstände musste Hermine ihm nicht erklären. Harry selbst war in seinem Leben schon häufig genug in Melancholie versunken: nach Cedrics Tod, nach dem von Sirius’ Tod, nach Albus’ Tod und einige Male während des Krieges nach seinem Schulabschluss. Immer hatte er Freunde um sich herum gehabt, die ihm in dieser schweren Zeit geholfen hatten; Severus hingegen stieß alle Menschen von sich, die sich ihm nähern wollten, aber Albus könnte er nicht so leicht verbieten, ihn zu besuchen.
„Heute früh war ich mit dem Hund aus“, erzählte Harry. „Seine Näpfe im Wohnzimmer waren leer. Nicht einmal mehr Wasser war drin. Ich musste ihn füttern. Severus hat sich nicht drum gekümmert.“ Daraufhin machte sich eine nachdenkliche Miene in ihrem Gesicht breit.
Die Posteulen lenkten ab, denn sie kamen gerade durch die paar Löcher im Dach geflogen und brachten den Schülern und Lehren Briefe und Pakete. Harry staunte, als eine Eule nicht nur vor Hermine, sondern auch sichtlich abgekämpft vor ihm landete.
„Ich dachte, deine Post wird von den Elfen abgefangen?“, fragte sie erstaunt.
Harry hob und senkte einmal langsam die Schultern und versuchte zu erklären: „Scheint nichts Gefährliches zu sein.“
In der Tat handelte es sich nämlich um etwas sehr Erfreuliches: eine Postkarte aus Hawaii. Mit seiner schönen Handschrift hatte Sirius in wenigen Sätzen bildhaft geschildert, wie schön seine Flitterwochen mit Anne wären und dass sie am Montagabend zurückkehren würde. Hermine las ihre Postkarte und lächelte da bei selig.
„Auch von Anne und Sirius?“, wollte Harry wissen.
Sie nickte. „Ist wie in der Muggelwelt: Man schreibt eine Postkarte aus dem Urlaub und kann von Glück sagen, wenn sie noch beim Empfänger ankommt, bevor man längst wieder im Lande ist. Sirius und Anne kommen doch heute Abend zurück oder hast du das schon vergessen?“
Harry betrachtete die braue Eule mit den schwarzen Tupfen, die noch immer schwer atmend auf dem Tisch hockte.
„Du armes Ding“, sagte er übertrieben mitleidig zu dem Tier. „Den ganzen Weg bist du aber nicht durchgeflogen oder?“ Er reichte ihr ein wenig Toastbrot und empfahl im Anschluss: „Flieg ruhig zur Eulerei. Da kannst du fressen, trinken und etwas schlafen.“
Die Eule blinzelte ihm mit nur einem Auge zu, was Harry zum Lächeln brachte, bevor sie sich auf den Weg machte, um sich etwas auszuruhen.
Während Harry nun seinen Unterricht führte, verbrachte Hermine den Vormittag auf ihrem Zimmer mit Lesen. Kapitel zehn von „Helfende Hände“ kannte sie schon fast auswendig, aber ihr wollte einfach kein Licht aufgehen, so dass sie versuchte, sich an die Stellen zu erinnern, die Severus aus den vielen Büchern herausgeschrieben hatte. Wenn Severus etwas suchen würde, das er reparieren wollte und weil Kapitel zehn von den Möglichkeiten handelte, unter anderem Gefühle bewahren zu können, dann musste es so sein, dachte Hermine, dass Severus nur noch einen Teil suchte. Den fehlenden Rest von dem, was er sich bewahrt hatte, seit zwanzig Jahren jedoch unvollständig war. Das wäre zumindest eine mögliche Erklärung dafür, dass er zwar meist gefühlsarm, aber nicht völlig seelenlos war.
In ihrem Kopf begann sie wie wild zu spekulieren, doch Ernüchterung machte sich sehr schnell wieder in ihr breit, denn wie bei allen anderen Theorien baute auch diese nur auf Vermutungen auf. Sie hatte keinen einzigen Anhaltspunkt, der nicht ihrem eigenen Geist entsprungen war.
Seufzend legte sie das auf ihrem Schoß ruhende Buch auf den Tisch und griff sich ihren Kniesel, um ihn zu kraulen, ob er wollte oder nicht. Sie hatte Harry nach dem Frühstück nicht mehr gesehen und wusste auch nicht, ob Severus unterrichten würde, doch sie ging davon aus. Vor dem Mittagessen würde sie noch mit dem Hund rausgehen und Harry hatte versprochen, er würde sich abends nochmal um das Tier kümmern.
Um halb zwölf machte sich Hermine auf in die Kerker; Fellini begleitete sie. Es war nicht ungewöhnlich, dass Salazar sie verachtend anblickte, ihr jedoch trotzdem öffnete. Damit, dass sie Severus in Hemd und Hose auf der Couch liegend erblicken würde, hatte sie nicht gerechnet.
„Severus?“, fragte sie, ohne ihre Stimme zu drosseln. Er musste geschlafen oder zumindest gedöst haben, denn er schreckte kurz auf und als er sie erblickte, legte er sich ohne ein Wort wieder den Arm über die Augen.
„Oh, Ihnen auch einen guten Tag“, sagte sie spottend in den Raum hinein, doch er rührte sich nicht. „Mein Wochenende war sehr schön, danke der Nachfrage.“
Sie konnte es sich nicht verkneifen, eine einseitige Unterhaltung zu führen und damit jene Gespräche zu parodieren, die sie sonst täglich mit ihm geführt hatte. Wahrscheinlich nur höflichkeitshalber hatte er an einem Montag sehr häufig gefragt, wie sie ihr Wochenende verlebt hätte, wenn sie es mal nicht zusammen verbracht hatten. Ohne dass er seine Frage stellen musste, antwortete sie bereits.
„Ich war mit Ginny, Ron und Harry in den Drei Besen essen“, informierte sie ihn, während sie den Hund tätschelte. „Wir haben uns mit Remus über die beiden Männer unterhalten, die Harry in Hogsmeade sehen konnte. Wir denken nicht, dass es Todesser waren, sondern eher Leute von Hopkins“, erzählte sie und leinte derweil den Hund an.
Sie blieb noch einen Moment in seinem Wohnzimmer stehen und betrachtete ihn, bevor sie schilderte: „Ich war abends noch bei meinen Eltern und habe ihnen den Farbtrank gegeben. Die Resultate waren umwerfend; das hätten Sie sehen müssen!“
Sein Desinteresse ärgerte sie, denn er war früher genauso angetan von ihrem Farbtrank wie sie selbst.
„Bei Arabella ist ja erst etwas geschehen, als sie meinen Stab gehalten hatte, aber bei meinen Eltern konnte man schon ohne etwas Farbe sehen!“, schilderte sie enthusiastisch, doch auch von dieser Kunde ließ er sich nicht dazu bewegen, etwas zum Thema zu sagen. „Als sie meinen Stab gehalten haben, da konnte man Farben viel deutlicher erkennen! Bei meinem Vater war es die Farbe Blau und bei meiner Mutter Braun. Es glimmte direkt über ihren Herzen, aber es hat sich nur sehr träge bewegt.“
Mit einem Male machte sich ein ungutes Gefühl in Hermine breit, denn seine Teilnahmslosigkeit bereitete ihr große Sorge. Er verhielt sich ganz und gar nicht normal. Was während des Kusses ihrer Eltern geschehen war, erzählte sie nicht, denn das fand sie momentan unangemessen. Als sie das eine Mal absichtlich gedroht hatte, ihn ins Mungos einzuweisen, da war er von einer Sekunde zur anderen wieder der alte gewesen. Vielleicht sollte sie ihn ärgern, um sein gleichgültiges Ich wachzurütteln, überlegte sie.
Noch immer hatte Severus sich nicht mit einem einzigen Laut geäußert, so dass Hermine betrübt zum Hund hinuterschaute, der schon erwartungsvoll in Richtung Tür blickte und da sagte sie: „Wissen Sie, Severus, vielleicht sollte ich besser Sie anleinen und nach draußen zerren.“ Auch darauf erhielt sie keine Reaktion, so dass sie enttäuscht die Lippen zusammenkniff und bereits zur Tür ging.
Die ganze Zeit über hatte Severus auf der Couch gelegen und Hermines Worten gelauscht. Ihre Stimme wirkte auf ihn wie Baldrian, doch er wollte sich nicht mit ihr unterhalten. Es reichte ihm völlig, ihre Schilderungen zu hören, doch als sie sagte, sie wollte ihn anleinen, da kämpfte er mit sich und überlegte, ob er ihr sie für diese Unverschämtheit tadeln sollte. In dem Moment, als er sich dazu entschlossen hatte sich aufzurichten und sie auf ihr ungehöriges Benehmen hin anzusprechen, da sah er nur noch, wie seine Tür von außen geschlossen wurde.
Der Hund zerrte sie in die Nähe der Gewächshäuser und Hermine nutzte die Gelegenheit, in Gewächshaus Nummer vier zu blicken, während Fellini einen anderen Weg einschlug. Hermine wollte nachsehen, wie gut die Orchideen gewachsen waren, die Pomona auf Anfrage von Severus angepflanzt hatte. Kaum hatte sie den warmen Raum betreten, wurde sie nicht nur vom Anblick der Pflanzen überwältigt, sondern auch von dem süßen Duft, den sie verströmten. Überall sprossen Gänseblümchen, Veilchen und viele wunderbar riechende Orchideen aus der Erde.
„Hallo Hermine“, sagte unerwartet eine Stimme, weswegen sie erschrak.
Sie drehte sich um und sah Neville, der sich mit seiner grünen Schürze farblich kaum von den vielen Pflanzen hier drinnen abhob. Er rührte gerade etwas in einem Topf an.
Ihn zu sehen freute sie und so grüßte sie zurück: „Hallo Neville!“ Es verwunderte sie, ihn hier anzutreffen, weswegen sie wissen wollte: „Du arbeitest allein?“
„Ja sicher! Pomona stößt immer erst nach dem Unterricht hinzu. Ansonsten habe ich meine Aufgaben und Projekte, um die ich mich kümmere“, antwortete er, bevor er den Holzlöffel beiseite legte und die angerührte Flüssigkeit mit Hilfe einer Tasse entnahm und auf den Boden goss, aus welchem die Orchideen sprossen.
„Was ist das?“, fragte Hermine neugierig.
Stolz lächelnd erklärte er: „Ein Düngemittel für Orchideen, das ich selbst entwickelt habe. Es erhöht das Wachstum enorm, aber in der Pflanze sammeln sich keine Rückstände davon an wie bei üblichen Düngemitteln.“ Nachdem er mit seiner Arbeit fertig war, fragte er: „Bist du wegen der Orchideen hier? Du kannst Snape sagen, dass sie noch vor Weihnachten herangewachsen sein werden.“
Nickend nahm Hermine diese Information zur Kenntnis.
„Ist das Snapes Hund?“, wollte Neville wissen, während er das weiße Tier betrachtete. Weil Hermine wieder nur nickte, sagte Neville: „Ich habe gehört, er hätte den Hund im Verbotenen Wald gefunden. Erstaunt mich ehrlich gesagt, dass er ihn mitgenommen hat.“
„Er hatte wohl vor, ihn Draco zu schenken, aber der wollte ihn nicht haben“, erklärte Hermine.
Mit seiner Arbeit fuhr Neville jetzt nebenbei fort, während Hermine die Pflanzen betrachtete.
„Dein Kniesel kommt manchmal her“, sagte Neville lächelnd. Weil Hermine so einen erstaunten Gesichtsausdruck machte, musste er herzlich lachen. „Ja wirklich! Ich lass ihn immer rein. Er legt sich meistens da drüben auf den Tisch.“
Neville zeigte hinüber zu einem kleinen Tisch, auf welchem allerhand Utensilien herumstanden: kleine Schaufeln, Blumentöpfe in jeder Größe und kleine Tütchen, die Samen von Pflanzen beinhalteten. Mittendrin lag eine zusammengelegte Decke, auf welcher viele schwarze Haare zu sehen waren.
„Ihr habt ihm eine Decke hingelegt“, sagte sie verblüfft.
„Er kommt ja fast jeden Tag. Ich denke, wir sind fester Bestandteil seines Rundganges“, scherzte Neville. Gleich darauf wollte er wissen: „Snape hat ihn dir geschenkt, richtig?“ Mit summenden M-Lauten bestätigte sie seine Vermutung. Nun mit einem Sack Erde hantierend fragte Neville: „Und die Orchideen haben dir gefallen?“
Stutzend fragte sie nach: „Welche Orchideen?“
„Na die, die Snape dir einmal überreicht hat“, stellte Neville klar.
„Woher…?“
„Ich habe sie ihm geschnitten. Das war die falsche Lieferung von dem Händler… du erinnerst dich?“
„Oh ja, sicher“, erwiderte sie, doch sie hatte nicht damit gerechnet, dass Severus keinen Hehl daraus gemacht hatte, ihr Blumen zu schenken. Mit wenigen Worten schilderte Hermine, wie sie sich mit Severus ein wenig in den Haaren gehabt hatte und dass sie ihn mit Seegras beworfen hatte.
„Mit Seegras? Du bist mutiger als ich dachte“, sagte Neville lachend.
„Gryffindor! In dem Haus waren wir beide nicht umsonst“, erwiderte sie amüsiert. Ein Geistesblitz ließ Hermine auf einmal schüchtern fragen: „Sag mal, wenn ich dir Samen und Erde gebe, würdest du etwas für mich ziehen? Nicht viel, nur…“
„Erde haben wir genug, Hermine. Was soll es denn sein? Ich frage nur, weil sich nicht alle Pflanzen untereinander verstehen. Die Alraunen haben zum Beispiel etwas gegen Kreischbeißer und umgekehrt“, erklärte Neville.
„Ich…“, druckste Hermine herum. „Ich werde mich noch ein wenig schlau machen und dann kann ich es dir genau sagen, okay?“
„Du bist jederzeit willkommen, Hermine.“
Am Nachmittag wartete Hermine im Labor auf Severus und sie vertrieb sich die Zeit mit den Notizen ihrer vergangenen Experimente und schrieb auch einen Brief an Anne, in welchem sie ihr Anliegen erklärte, um Sirius’ Frau für einen Test zu gewinnen. Severus hatte sich noch immer nicht blicken lassen, doch Hermine war so beschäftigt, dass es ihr erst auffiel, als ihr Magen knurrte und sie sich deshalb auf den Weg in die große Halle machte, um das Abendessen einzunehmen.
„Hi Harry“, grüßte Hermine.
Nachdem Hermine sich gesetzt hatte, beugte er sich zu ihr und fragte leise: „Hast du ihn schon gesehen?“ Sie verneinte, denn nach dem Spaziergang mit dem Hund war sie ihm nicht mehr über den Weg gelaufen. „Wann fangt ihr sonst immer mit eurer Arbeit an?“, wollte Harry wissen.
„Gleich nach dem Unterricht, aber heute… Er war bis eben nicht im Labor“, sagte sie besorgt.
Abends saß Hermine mit einem dicken Buch auf ihrer Couch, doch sie konnte sich nicht auf den Text konzentrieren. Severus hatte sie heute im Labor warten lassen und gegen 22 Uhr war sie sich sicher gewesen, dass er nicht mehr kommen würde. Nicht einmal eine Nachricht hatte er ihr zukommen lassen.
Sie seufzte und griff sich Fellini, dessen Ohren sie liebevoll knetete, bevor sie zu dem Tier sagte: „Kannst du nicht nachschauen, ob es ihm gut geht?“
Der Kniesel schien sie verstanden zu haben, denn er sprang von ihrem Schoß hinunter und rannte zur Tür, wo er stehen blieb und sie auffordernd anblickte. Hermine erhob sich und öffnete ihre Zimmertür, so dass er ins Freie laufen konnte.
Das schwarze Tier ließ sich auf seinem Weg nicht von der kleinen Maus ablenken, die schnell Schutz in einer der Ritterrüstungen suchte. Lautlos huschte der Kater wie ein schwarzer Schatten die Treppen Stockwerk für Stockwerk hinauf, bis er ganz oben angelangt war. Durch die verwaisten Gänge laufend erspähte er eine offen stehende Tür, durch die er hindurchging. Am Ende des mit Fackeln beleuchteten Raumes stand eine weitere Tür offen und auch diese passierte das Tier ohne Mühe.
Fellini fand den Mann, der ihn gekauft hatte und der stand direkt vor einem Spiegel.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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130 Von der großen Sehnsucht
Es war eine Mischung aus Neugier und Sehnsucht gewesen, die Severus dazu angetrieben hatte, den schweren Stoff zu entfernen und sich vor den Spiegel zu stellen. Während er auf die glatte Fläche starrte, hatte sich seine Neugier in Furcht gewandelt, doch die Sehnsucht war geblieben und nur sie hinderte ihn daran, sein Vorhaben abzubrechen. Er ahnte, hoffte, wusste, was sich ihm zeigen würde, doch ihr Anblick traf ihn dessen ungeachtet mit solch einer Wucht, die ihn glauben ließ, sein Herz, das er für so lange Zeit nicht mehr verspürt hatte, würde zerspringen.
So viel hatte er ihr zu sagen, doch sie würde kein einziges Wort hören können. Am schwersten konnte er es ertragen, dass sie ihn freundlich anlächelte, denn damit erhöhte sich der kontinuierlich steigende Druck auf seiner Brust schlagartig ums Vielfache. Ihr wunderschönes Lächeln und das fröhlich kecke Glitzern in ihren Augen zerrissen den letzten Rest Selbstbeherrschung und eine aufkommende Wut über den Spiegel nahm er als willkommenen Anlass, sich auf dieses schlechte Gefühl konzentrieren zu wollen, um dem anderen zu entkommen.
Durch die Zähne zischend beschimpfte Severus den magischen Gegenstand zornig: „Du verdammter Spiegel! Du verdammter…“ Er musste innehalten und eine Hand auf sein Herz legen, denn egal, wie sehr er sich auf seinen Zorn einlassen wollte, so war dieser doch viel zu kraftlos im Vergleich zu dem Gefühl, das Lilys Anblick in ihm ausgelöst hatte.
Er konnte so viel schlucken wie er wollte; sein Mund blieb trocken und ausgedörrt wie seine Seele es seit zwanzig Jahren war, doch Lily hatte in seinen Augen schon immer Wunder vollbringen können und so auch dieses Mal. Allein ihr Spiegelbild schien die schwarze Erde seines Selbst trotz jahrelanger Dürrezeit zu befeuchten, so dass Welkes wieder erblühte. Severus bemerkte nicht, dass sich Tränen aus seinen braunen Augen einen Weg über seine eingefallenen Wangen bahnten, um ihn am Kinn zu kitzeln und nur für einen Moment schloss er die Augen und stellte sich vor, wie sie ihn genau dort federleicht berührte.
Das Beben in seiner Stimme vernahm er selbst nicht, als er zur Reflexion seines größten Wunsches leise, aber mit unverkennbaren Ernst sagte: „Ich habe die ganze Zeit ein Auge auf ihn geworfen, weißt du?“
Sie lächelte milde und nickte, was ihn erstaunte und er fragte sich, ob sie tatsächlich hören und verstehen konnte.
Nachdem er zittrig Luft geholt hatte, verriet er ihr trübsinnig: „Er wird bald heiraten.“ Lily legte den Kopf schräg und er sah sich dazu aufgefordert zu schildern: „Sie würde dir gefallen. Sie ist ein wenig wie du.“ Sich selbst dazu durchringend verbesserte er wehmütig: „Wie du warst.“
Mutlos blickte er zu Boden, bevor er seine Augen erneut schloss und er sich einige Erinnerungen von früher ins Gedächtnis zurückrief; an Momente dachte, die sie beide zusammen hatten verbringen dürfen, ohne von anderen gestört zu werden. Er vermisste die erleichternden Gespräche mit ihr, die immer so gut getan hatten und er trauerte ihren aufmunternden Worten nach, die er besonders notwendig gehabt hatte, wenn er nach den Ferien zurück nach Hogwarts gekommen war und ihr von seiner schlimmen Zeit Zuhause berichtet hatte. Die Erinnerung an ihre Finger an seinem Kinn, begleitet von den Worten „Kopf hoch! Das wird schon wieder.“, lösten ein starkes Verlangen in ihm aus, so etwas noch einmal erleben zu dürfen, doch all diese Momente waren für immer verloschen.
Die Sehnsucht, die er verspürte, galt nun nicht mehr ihr allein und während er ihr in die grünen Augen blickte, bekannte er flehend: „Ich möchte bei dir sein.“ Severus wollte dort sein, wo sie war.
Stetig lächelnd schüttelte Lily sanft den Kopf und er wusste, dass sie ihn nicht bei sich haben wollte, weswegen sein Gesicht sich vor Schmerz verzerrte und er neue Tränen vergoss, ohne sich dessen bewusst zu sein. Es würde ihn nicht viel Kraft kosten zu resignieren und alles hinter sich zu lassen, gerade weil sein kümmerliches Dasein so lückenhaft und ohne Reiz war. Lily jedoch war immer ein sehr lebensfroher Mensch gewesen und er war sich sicher, dass sie seinen Wunsch, den letzten Seufzer zu tun, nicht gutheißen würde. In seinen Gedanken hörte er ihren lebensbejahenden Ratschlag und den wollte er beherzigen.
Von ihr Reaktionen zu erhalten faszinierte ihn und deshalb konnte er sich nicht von dem Spiegel losreißen, weswegen er erzählte: „Er hat Voldemort besiegt, Lily! Du kannst so stolz auf ihn sein.“ Jetzt war es die Rothaarige, die vor Freude weinen musste und ihn damit ansteckte. Severus zog die Nase hoch und sagte leise: „Ich war so dankbar und hätte es ihm zeigen müssen, doch was mache ich?“ Er schluckte, bevor er sich selbst ins Lächerliche zog: „Ich benenne meinen Hund nach ihm.“
Er sah, wie Lily geräuschlos auflachte, doch er musste es nicht hören, denn er konnte sich an den glockenklaren Klang erinnern, der ab und an zu hören gewesen war, wenn sie ihrer Freude Ausdruck verliehen hatte. Damals mit ihr zusammen hatte sogar er mit seinem sonst so ernsten Gemüt lachen können und auch jetzt schaffte sie es, dass sich ein echtes Lächeln auf seinen Lippen formte.
Mit Lily hatte er jederzeit offen reden können, ohne befürchten zu müssen, dass sie ihn auf den Arm nehmen würde. So eine Vertrautheit konnte er nie wieder mit irgendeinem anderen Menschen entwickeln. Selbst Linda hatte er sich nie vollständig öffnen können.
„Ich habe einen Merlin bekommen, erster Klasse“, sagte er mit betrübter Miene, denn er hatte es bedauert, dass sie diesem Moment nicht hatte erleben dürfen. Lily machte ganz große Augen und allein durch ihre Mimik konnte er erkennen, wie stolz sie auf ihn war. „Aber nicht nur ich. Albus und Harry haben auch einen erhalten. Wir drei haben Voldemort… Na ja, Harry hat die meiste Kraft aufgebracht. Ich weiß bis heute nicht, wie er das vollbracht hat.“
Die einseitige Unterhaltung mit ihr überschwemmte sein Innerstes mit dem Verlangen, ihre Stimme hören zu wollen und da wurde er sich mit einem Schlag wieder bewusst, dass sie nicht echt war; dass Lily nur sein stummer Wunsch war, der nie das Wort an ihn richten würde. Sie war eine Phantasmagorie, geboren aus fieberhaften Träumen, die an der Vergangenheit festhielten und ihn bis heute nicht ruhen lassen wollten. Die Freundin von Einst war nur noch ein Phantom, das er in den Tiefen des Schattens bewahrt hatte, das man nicht mehr Seele nennen konnte.
Erneut flammte Wut in ihm auf, denn zu wissen, dass sein größter Wunsch bis in alle Ewigkeit eine unerfüllte Sehnsucht bleiben würde, konnte er nicht ertragen. Mit Zornesröte zischelte Severus aufgebracht: „Verdammter Spiegel! Wie kannst du es wagen, mir so etwas zu zeigen?“
Der Holzrahmen knarrte, fast als würde Nerhegeb seufzen, was ihn nur noch rasender machte. Der Spiegel verwährte ihm weiterhin jeglichen Hoffnungsschimmer, denn er änderte sein Trugbild nicht.
„Du bringst Unheil!“, warf er dem magischen Gegenstand vor, bevor er seinen Zauberstab zückte und ihn auf die glatte Fläche richtete, die noch immer Lily zeigte. „Verfluchter Spiegel“, murmelte er verzweifelt, bevor er in Gedanken einen Zauber sprach.
Kurz darauf schoss ein hellgelber Lichtkegel aus seinem Stab und der traf auf die spiegelglatte Oberfläche, doch der Fluch verlor an Stärke und wurde zurückgeworfen, so dass er Severus traf. Der Schmerz, von dem sein Körper ergriffen wurde, war jedoch leichter zu ertragen als die Qual, die seit Jahren auf ihm lastete. Severus ging zu Boden und krümmte sich. Der Fluch hätte jeden Gegenstand in tausend Stücke zerbersten lassen und er hätte einem Menschen das Fleisch von den Knochen gerissen, doch abgeschwächt wirkte er nur wie eine Druckwelle, die kurzzeitig auf sämtliche Organe und Blutgefäße einwirkte. Auf dem Boden liegend und darauf wartend, dass die Muskelkrämpfe nachlassen würden, wurde Severus sich darüber klar, dass Albus sein Hab und Gut äußerst wirkungsvoll vor Vandalismus geschützt hatte.
Schwer atmend und etwas zittrig von der Strapaze richtete sich Severus langsam auf, doch er blieb auf dem Boden sitzen und wagte noch einmal, einen Blick in den Spiegel zu werfen. Lily hielt sich erschrocken beide Hände vor den Mund und als sie sich kurz angesehen hatten, da hielt sie ihm eine Hand entgegen als wollte sie ihm aufhelfen. Ihre Hilfsbereitschaft trieb ihm abermals Tränen in die Augen, denn ihre Geste hatte einen weiteren Wunsch in ihm geweckt und zwar den, nur noch einmal ihre Hand halten zu wollen.
Eine ganze Weile blieb er noch auf dem hölzernen Boden sitzen und er ergötzte sich an dem Anblick seiner einstigen großen Liebe, bis er plötzlich etwas an seinem Arm spürte. Severus blickte hinunter und sah den Kniesel, der sich an seinem Arm rieb und dabei wohlig schnurrte.
Ohne nachzudenken murmelte er: „Was suchst du denn hier?“
Gleich darauf nahm er das Tier auf seinen Schoß und kraulte es, wodurch es nur noch lauter schnurrte. Severus musste an sein eigenes Haustier denken und stellte erschrocken fest, dass er sich nicht einmal mehr daran erinnern konnte, wann er den Hund das letzte Mal gefüttert hatte. Ohne ein weiteres Mal in den Spiegel zu schauen, was ihn eine ungeheure Kraft kostete, bedeckte er ihn mit dem Tuch, nahm den Kniesel auf den Arm und verließ den Dachboden.
Im vierten Stock setzte er Fellini auf dem Steinboden ab, damit der Kniesel weiterstreunen konnte, doch er folgte dem Tränkemeister bis nach unten in den Kerker und so ließ Severus das schwarze Tier in sein Wohnzimmer. Harry bewegte erst seine Ohren, öffnete dann die Augen und sprang, als er den Kater entdeckt hatte, freudig erregt aus seinem Korb. Die Wiedersehensfreude von Harry und Fellini war groß.
Während die beiden Tiere sich beschnupperten und auf eine Art und Weise miteinander kommunizierten, die Severus ein Rätsel blieb, ging er hinüber zum Fressnapf in der Absicht, ihn zu füllen. Erstaunt betrachtete er die noch halbvolle Schale und wenige Sekunden später machte sich Erleichterung in ihm breit. Harry oder Hermine waren nicht nur mit dem Hund draußen gewesen, sondern hatten sich auch anderweitig um ihn gekümmert. Er würde es ihnen danken müssen.
Antriebslos und immer wieder das verdrängend, was Nerhegeb ihm gezeigt hatte, entkleidete sich Severus. Weste und Hemd ließ unordentlich auf der Rückenlehne der Couch zurück, bevor er ins Schlafzimmer ging und sich aufs Bett setzte. Gerade noch die Schuhe konnte er noch ausziehen, bevor sein Körper komplett erstarrte, denn wie jeden Abend der letzten Tage dachte über sich und sein Leben nach und er versuchte verzweifelt etwas zu finden, an dem er festhalten konnte.
Er hasste seinen Beruf als Lehrer und er ärgerte sich darüber, dass ihm so wenig Zeit für seine eigenen Experimente zur Verfügung stand, weil er Dummköpfen etwas beibringen sollte, die ganz offensichtlich nicht bereit waren, etwas lernen zu wollen. Im Gegenzug mochte er es, mit seiner Schülerin Zeit zu verbringen, denn dumm war sie nicht und die Arbeit mit ihr stillte zusätzlich seinen Forscherdrang, auch wenn sie sich momentan überwiegend um ihr Projekt kümmerten. Ihr Verhalten ging ihm allerdings sehr gegen den Strich. Er verabscheute es, dass ihm jeder helfen wollte, nur weil er damals in einem Anflug von Schwäche seinen Mund gegenüber Harry nicht hatte halten können. Immer tiefer gruben die beiden in seiner Vergangenheit herum, anstatt wie Albus viel raffinierter vorzugehen, so dass man es nicht sofort merken würde. Hermines offene Art war neu für ihn. Während Albus lediglich Andeutungen machte oder völlig in Rätseln sprach, machte sie keinen Hehl aus dem, was sie unternehmen wollte. Einerseits war es erleichternd zu wissen, worin ihr nächstes Vorhaben bestehen würde, doch andererseits war es ihm ein Bedürfnis, dass niemand etwas über ihn erfahren sollte, was er nicht aus eigenen Stücken zu offenbaren bereit war. Sie sollte aufhören, immerzu nachzubohren, denn eines Tages könnte sie auf eine Ader treffen, die unzähmbar wie ein schwarzer Quell aus ihm hervorsprudeln würde und er bezweifelte, dass sie dazu imstande wäre, dieser Wucht standzuhalten.
Nach über einer Stunde musste er feststellen, dass er auch an diesem Abend keinen triftigen Grund fand, der sein Fortbestehen notwendig machte. Kraftlos ließ er sich rücklings aufs Bett fallen; nicht einmal seine Hose hatte er ausgezogen.
Wenn er heute wieder träumen sollte, dann wünschte er sich, von Lily zu träumen und ihre Hand zu halten, denn er hatte genug von wirren Träumen, die er dann und wann zu unterdrücken versuchte.
Die folgenden Tage und Nächte verliefen alle ähnlich. Severus führte seinen Unterricht mit monotoner Stimme, aber nur, wenn es unausweichlich war, ein paar Worte an die Schüler zu richten. Meist schrieb er Anweisungen an die Tafel, denen die Kinder gehorsam folgten. Keinem Einzigen von ihnen schaute er in die Augen und man hörte ihm an, dass seine Begeisterung und sein Respekt für Zaubertränke während der Unterrichtsstunden vergessen schienen. Draco war einer der wenigen Schüler, denen die befremdliche Art des Lehrers nicht entgangen war, während die meisten sich einfach darüber freuten, dass der Zaubertränkemeister keine Punkte mehr abzog. Gerade das ließ bei Draco die Alarmglocken schrillen, doch spätestens, als einem Mitschüler ein Malheur passierte – dessen Zaubertrank war übergekocht und hüllte den Raum in stinkende Wolken – da wusste Draco, dass mit Severus etwas nicht stimmte, denn der hatte lediglich mit gelangweilter Miene „Evanesco“ gesagt und damit den Topf gereinigt, bevor er den Schüler aufgefordert hatte, von vorn zu beginnen. Keine Bestrafung, kein Punkteabzug, keine Standpauke. Draco machte sich ernsthaft Sorgen.
Die Zeit nach dem Unterricht verbrachte Severus endlich wieder mit seiner privaten Schülerin, wo er sich ähnlich desinteressiert verhielt. Sie sprachen nur noch wenig miteinander, obwohl sie mehrmals versuchte, eine unverfängliche Unterhaltung zu führen. Hermine hatte sich sehr zurückgehalten und ihn in Ruhe gelassen, wie er es sich still erhofft hatte. Er war sich nicht sicher, ob sie lediglich einer Auseinandersetzung aus dem Weg gehen wollte und sich deshalb so ruhig verhielt. Einige Male glaubte er, sie würde genau wissen, wie es in ihm aussah und daher gönnte sie ihm eine Auszeit.
Manchmal trafen sich ihre Blicke und er wusste, dass ihr zig Fragen auf der Zunge brennen mussten, sie diese jedoch für sich behielt. Manchmal entschuldigte er sich ein oder zwei Stunden früher und verabschiedete sich mit den Worten, dass sie ihn nicht mehr brauchen würde und sie das Projekt allein beenden könnte. Nur zweimal hatte sie widersprochen und beteuert, dass sie ihn noch brauchen würde und diese beiden Male war er bei ihr geblieben.
Am sechsten Dezember kam Remus vorbei und er wunderte sich darüber, nur Hermine im Labor anzutreffen, die gewissenhaft den Wolfsbanntrank braute.
„Wo ist denn Severus?“, wollte er wissen, nachdem er sie gegrüßt hatte.
Für einen Moment erkannte er Kummer in ihren Augen, doch gleich darauf erwiderte sie ehrlich: „Dem geht es nicht sonderlich gut. Er hat sich hingelegt.“
„Was fehlt ihm?“, fragte er knapp.
Sie hob und senkte einmal die Schultern entkräftet und antwortete: „So genau weiß ich es nicht. Er ist irgendwie anders. Er spricht wenig, isst kaum was und schläft viel.“
Den Trank füllte Hermine in einen Becher und überreichte diesen Remus, der das Gebräu so heiß wie möglich zu sich nahm.
Remus stellte den leeren Becher zurück auf den Labortisch und fischte aus seiner Innentasche den Tränkeausweis, während er sagte: „Mir ging es auch schon oft wie ihm.“ Er seufzte und spielte mit dem Pass in seinen Händen.
Mit gerunzelter Stirn fragte Hermine: „Wieso? Wann ging es dir denn mal so?“
Er blickte auf den Tränkepass, wackelte kurz mit ihm und sagte: „Zum Beispiel, nachdem ich gebissen worden war.“ Den Pass legte er auf den Tisch, bevor er noch hinzufügte: „Und als die Sache mit Alice und Frank passiert ist. Am schlimmsten war es nach dem Tod von James und Lily und auch, als wir alle geglaubt haben, Sirius wäre nicht mehr am Leben.“
„Meinst du, er hat eine Depression?“, fragte sie neugierig, um Remus’ Meinung dazu zu hören, denn sie selbst war davon längst überzeugt.
Der lächelte jedoch nur und winkte ab. „Du bist hier die Heilerin, Hermine.“
Einen Moment später tippte er auf den Pass und sie verstand. Remus benötigte die Unterschrift von Severus als Bestätigung, den Trank eingenommen zu haben.
„Ich hoffe, er rastet nicht aus, wenn ich ihn wecke“, murmelte Hermine, während sie bereits zur Tür hinausging, um Severus’ Räume aufzusuchen.
Wie erwartet befand er sich in seinem Bett wie schon die letzten Tage. Ein leichter beißender Geruch war im ganzen Zimmer wahrzunehmen, doch sie hielt sich nicht lang damit auf, sondern betrachtete ihn. Nur mit einer Hose bekleidet lag Severus auf dem Rücken und schlief. Er hatte sich schon lange nicht mehr die Mühe gemacht sich zuzudecken, denn durch das Kaminfeuer war es hier drinnen angenehm warm.
Sie sagte mehrmals seinen Namen, denn sie wollte ihn nicht an der nackten Schulter packen, um ihn zu wecken. Es war ihr unangenehm, seine Privatsphäre zu stören, aber nur, weil sie wusste, dass er es nicht gutheißen würde, wenn er erst einmal erwacht wäre. Andererseits kannte er die Prozedur und wusste, dass er als Meister den Pass unterzeichnen musste.
Aus dem Wohnzimmer kam der Hund hineingelaufen, der es sich gleich am Fußende bequem machte. Sie knetete seine weißen Ohren und auch wenn sie gar nicht drauf achten wollte, so fielen ihr doch die wenigen Narben auf Severus’ nacktem Oberkörper auf. Die Schussverletzung an seinem Oberarm war gut verheilt, dachte Hermine, denn es war nur noch ein kleiner weißer Streifen zu sehen. Die Narbe am linken Unterarm kannte sie schon seit dem Tag, an welchem er ihr das dunkle Mal aus nächster Nähe gezeigt hatte. Was sie noch nie hatte sehen können war die kleine Narbe unter den Rippen, die auf eine alte Stichwunde hindeutete und die ebenfalls alte, nur leicht gerötete Brandwunde an seinem Bauch. Vor lauter Neugierde beugte sie sich nach vorn, denn als Heilerin kannte sie Möglichkeiten, Überbleibsel von alten Wunden zu verkleinern oder sogar verschwinden zu lassen und als sie etwas näher gekommen war, bemerkte sie, dass der beißende Geruch von Severus herrührte.
Sie riss sich zusammen und berührte ihn zaghaft an der Schulter, um eine wenig Druck auszuüben. Er erwachte sehr schnell und blickte sie entgeistert an, sagte jedoch keinen Ton.
Ihm den Pass zeigend erklärte sie mit leiser Stimme: „Die Unterschrift, Severus.“
Er richtete sich langsam auf, griff nach einer Feder, die er immer auf seinem Nachttisch zu stehen hatte, weil er häufig im Bett sitzend arbeitete und unterschrieb den Tränkepass kommentarlos.
Er legte sich bereits wieder auf den Rücken und forderte sie mit einem Blick auf, ihn allein zu lassen, da sagte sie plötzlich etwas verlegen, ohne ihn anzusehen: „Tun Sie mir einen Gefallen Severus?“
Severus erwiderte nichts, so dass sie sich einen Ruck gab und ihn anblickte. Die Gleichgültigkeit, die seine Miene widerspiegelte, zeugte von seiner niedergeschlagenen Stimmung. Sie würde so gern etwas tun, um ihn aufzuheitern, doch momentan wollte er sich nicht helfen lassen, so dass sie diesen Moment nutzte, um ihn mutig auf eine wichtige Sache hinzuweisen, denn sie legte ihm fast flüsternd nahe: „Tun Sie mir den Gefallen und nehmen Sie ein Bad.“
Die beiden rötlichen Flecken, die sich auf seinen Wangen gebildet hatten, bestätigten ihr, dass er sehr wohl verstanden hatte, was sie ihm damit sagen wollte.
Hermine nahm den Pass, schenkte ihm noch ein besorgtes Lächeln und ließ ihren Tränkemeister allein.
„Hier, Remus“, sagte Hermine und reichte ihm den Tränkepass, denn er sofort wieder in seinem Mantel verstaute.
„Ach ja“, begann Remus, „bevor ich es vergesse…“
Er zog zwei Gegenstände aus seiner Innentasche heraus, die als Geschenk in durchsichtiger Plastikfolie eingewickelt waren und eine Verpackungsdekoration aus Immergrün aufwiesen. In der Folie konnte man einen Schokoladenweihnachtsmann und einige Pralinen erkennen.
„Für dich und Severus“, sagte er lächelnd.
„Aber wieso…?“
„Heute ist doch Nikolaus, schon vergessen? Ist ja nur eine Kleinigkeit“, erwiderte er abwinkend.
Hermine lächelte und betrachtete die beiden Tütchen, die Remus offensichtlich selbst zusammengestellt hatte, bevor sie fragte: „Ich nehme an, die dunkle Schokolade ist für Severus?“
„Natürlich! Ich weiß ja, dass du keine Bitterschokolade magst.“ Er wandte sich bereits ab und kündigte derweil an: „Ich bin noch eben bei Harry und Ginny. Für die beiden habe ich auch je eines.“
„In Ordnung, wir sehen uns morgen Abend, Remus.“
„Bis morgen.“
Am nächsten Tag, an welchem Remus sich den Wolfsbanntrank abholte, war Severus erstaunlicherweise anwesend und er duftete zu Hermines Erleichterung nach Orange, weshalb sie vermutete, dass Albus auch ihm einmal die gleiche Seife geschenkt haben musste wie ihr.
Bis auf einen halbherzigen Gruß hatte Severus nichts von sich gegeben und nachdem er den Tränkepass unterzeichnet hatte, verabschiedete er sich. Hermine sah ihm besorgt hinterher und Remus tat es ihr gleich.
„Vielleicht brütet er nur eine Erkältung aus?“, vermutete Remus laut. „Ich bin dann auch meistens müde und mir fällt alles viel schwerer.“
An Hermines Blick erkannte er, dass sie dasselbe hoffte, doch mit etwas ganz anderem rechnete.
Am folgenden und letzten Tag, an welchem Remus für Dezember den Wolfsbanntrank einnehmen musste, spielte sich das Gleiche wie am Vortag ab und diesmal glaubte selbst Remus nicht mehr daran, dass sein alter Schulkamerad womöglich nur unter einer Erkältung leiden würde, doch er hielt mit Vermutungen zurück.
Eine weitere Woche verging, die Hermine Tag für Tag erst zusammen mit Severus und abends allein im Labor verbrachte. Anne hatte sich bei ihr gemeldet und zugestimmt, das Experiment über sich ergehen zu lassen, aber Sirius wollte natürlich zusehen, was Hermine nicht abschlagen konnte. Als sie Severus davon erzählt hatte, stellte er klar, dass er diesem Test nicht beiwohnen wollte, was Hermines Meinung nach an Sirius’ Anwesenheit liegen musste. Sie bekam trotzdem Unterstützung, denn Harry, Ginny und Ron hatten sich angeboten, ihr im Labor zur Hand zu gehen.
„Ron, fass ja nichts an!“
Ron zog seine nach einem Glas mit krauchenden Würmern ausgestreckte Hand schnell wieder zurück.
Harry unterhielt sich derweil mit Sirius und fragte frech grinsend: „Wie waren die Flitterwochen?“
Ein verschmitztes Lächeln formte sich auf Sirius’ Mund, bevor er zugab: „Ganz wunderbar!“ Gleich darauf blickte er zu Anne hinüber, die eine gesunde Gesichtsfarbe aufwies.
Von ihren Notizen aufblickend fragte Hermine: „Was habt ihr euch so angesehen? Wart ihr im ’Volcanoes Nationalpark’ oder im ’Haleakala Nationalpark’ auf Maui?“
Sirius und Anne schüttelten gleichzeitig den Kopf, bevor Sirius zugab: „Nein, dafür hatten wir keine Zeit.“
„Oh“, machte Hermine. „Ihr habt euch wohl eher den ’Iolani Palace’ in Honolulu angesehen. Den würde ich gern mal besuchen!“
„Nein, den auch nicht, aber wir werden vielleicht noch einmal hinfahren“, versicherte Sirius.
Hermine stutzte und fragte neugierig: „Wo genau wart ihr eigentlich auf Hawaii?“
Anne anblickend fragte Sirius: „Wie hieß das?“
„Das war Kauai, wo wir waren.“
„Ah, richtig“, sagte Sirius, bevor er zu Hermine schaute.
Die wollte gleich wissen: „Dann habt ihr aber bestimmt den botanischen Garten besucht. Wie hieß er noch? Na ‘Āina Kai. Das muss umwerfend gewesen sein!“
Sich anblickend mussten Harry und Ron amüsiert grinsen, nachdem sie Sirius’ ahnungslose Miene bemerkt hatten, an welcher man erkennen konnte, dass er keine Ahnung von dem hatte, was Hermine eben erwähnt hatte.
Die Situation aufklärend sagte Ginny schmunzelnd: „Hermine, das waren ’Flitterwochen’ gewesen!“
Ein wenig beleidigt antwortete sie: „Man kann sich doch trotzdem ein wenig im Land umsehen…“
Sie reichte Anne eine kleine Ampulle und bat sie, diese auszutrinken. Im Vorfeld hatte sie erklärt, was bei Arabella und ihren Eltern geschehen war. Umso erstaunter waren alle Anwesenden, als Anne nicht einmal einen Zauberstab in die Hand nehmen musste, um ein farbliches Ergebnis zu liefern. An einer Stelle an ihrem Kopf leuchtete ein sehr kräftiges Blau, kräftiger als das Blau bei Hermine oder ihrem Vater. Die Farbe war jedoch genauso träge wie bei ihren Eltern und rührte sich kaum.
„Was heißt das?“, wollte Sirius wissen, der Hermine mit großen Augen anblickte.
„Was heißt was?“, fragte Anne verwirrt. „Ist etwas passiert?“ Sie betrachtete ihre Arme, sah jedoch nichts.
Harry erklärte: „An deinem Kopf ist eine Stelle, die ganz blau leuchtet!“
Erschrocken und mit weit aufgerissenen Augen griff sie sich an die Stirn.
„Habt ihr einen Spiegel?“, fragte Anne, die vor Neugierde fasst platzte.
Mit einem Wink seines Zauberstabes formte Harry aus einer langen Schranktür einen Spiegel, vor den sich Anne in Windeseile gestellt hatte. Wie verzaubert betrachtete sie ihr Spiegelbild und erneut fasste sie sich an den Kopf, nur diesmal genau an jene Stelle über der linken Schläfe, die blau leuchtete. Gleich darauf fasste sie sich ans Herz, doch dort, wie es laut Schilderung bei Hermines Eltern bereits ohne Zauberstab geglimmt hatte, war keine Farbe zu sehen.
„Warum am Kopf?“, fragte Anne verdattert.
„Ja, eine gute Frage“, erwiderte Hermine, die keine Antwort darauf geben konnte.
Sirius warf etwas ein, das tatsächlich Sinn machte, denn er stellte die Theorie auf: „Man hat Anne als Kind doch mit einem Gedächtniszauber belegt. Vielleicht sind das Rückstände?“
Bestätigend fügte Ginny an: „Ein Gedächtniszauber ist einer der stärksten Zauber, die auf den menschlichen Körper einwirken können. Möglich wäre es.“
Verdattert fasste Ron zusammen: „Aber dann würde ja jeder Muggel ein wenig Magie zurückbehalten, wenn er mal verzaubert worden war.“
Sich an der aufgestellten Theorie beteiligend sagte Harry: „Das könnte man doch testen, indem wir Anne mit einem Spruch belegen oder?“
„Oh nein“, sagte Anne, „davon war in Hermines Brief nicht die Rede gewesen.“
Beschwichtigend sagte Hermine: „Keine Sorge, wir machen ja nichts ohne dein Einverständnis.“ Sie blickte Sirius an und bat ihn: „Gib Anne mal bitte deinen Zauberstab.“
Im Nu hatte er seiner Frau den Stab überreicht und in diesem Moment wurde die blaue Farbe am Kopf etwas kräftiger, jedoch nicht sehr viel.
„Das ist komisch“, murmelte Hermine laut denkend. Für alle fügte sie erklärend hinzu: „Bei meinen Eltern hatte man auch Farbe am Arm gesehen, besonders aber am Herzen und letzteres auch schon ohne Stab. Auch bei Arabella hat sich Farbe am Arm gezeigt, aber erst, als sie meinen Stab gehalten hatte, aber bei dir… Da ist nur das bisschen am Kopf.“
„Arabella ist ja auch nachweislich ein Squib“, sagte Ginny. „Sie stammt definitiv von Eltern ab, die zaubern konnten. Bei ihr muss Magie im geringen Maße vererbt worden sein.“
Harry bestätigte: „Da kann ich nur zustimmen. Arabella hat ja auch vereinzelte Fähigkeiten; konnte zum Beispiel die Dementoren zwar nicht sehen, aber fühlen. Dafür kann sie Hauselfen sehen! Sie kann nur nicht zaubern, ist aber empfänglich für die magische Welt und ihre Eigenarten.“
„Anne konnte Hogwarts aber auch sehen“, warf Sirius als Überlegung ein.
„Ja“, bestätige Hermine, „aber vielleicht nur, weil man ihr als Kind die Erinnerung genommen hatte und durch diesen sehr kräftigen Zauber ein Hauch Magie an ihr haften geblieben ist. Außerdem hatte sie einen Zauberstab bei sich getragen, der das verstärkt haben konnte. Wahrscheinlich hätte jeder magische Gegenstand die Farbe und somit die Fähigkeit verstärkt, magisch verborgene Orte sehen zu können.“
„Vergesst nicht“, erinnerte Anne, „dass man mir vor Kurzem auch die Erinnerung nehmen wollte und ich nochmal mit diesem Vergissmich-Zauber in Berührung gekommen war.“
„Vielleicht hat der die leicht verblasste Magie-Signatur von damals wieder aufgefrischt?“, warf Ginny in den Raum hinein.
Seufzend nörgelte Hermine: „Gott, das wird viele Jahre dauern, bis ich herausbekommen habe, ob und wie lange ein Zauber eine Spur an einem Muggel zurücklässt.“
„Och“, begann Anne frech lächelnd, „ich habe Zeit.“
Jeder betrachtete Annes Kopf, was ihr ein wenig unangenehm zu sein schien. Hermine fragte sie mit netter Stimme: „Anne, ich würde gern einen Zauber an dir anwenden und überprüfen, ob von ihm etwas an dir zurückbleibt.“
„Kommt drauf an, was für einen“, konterte sie skeptisch.
„Was Harmloses“, versicherte Hermine. Sie überlegte einen Moment und fragte dann: „Ich könnte dir die Nägel lackieren!“
„Hast du mich jemals mit Kosmetik gesehen?“, fragte Anne. „Ich schminke mich nicht und mag auch keinen Nagellack.“
„Es ist ja kein Lack“, beschwichtigte Hermine. „Es würden sich direkt deine Nägel färben.“
„Kannst du die Haarfarbe ändern?“, fragte Anne plötzlich sehr interessiert.
„Ja schon, aber nur einfarbig. Alles andere traue ich mir nicht zu“, erklärte Hermine, die in Kosmetik-Zaubern nie sehr gut gewesen war, weil die für sie wenig Sinn machten.
„Okay, dann mittelbraun bitte“, sagte Anne lächelnd. „Dann werde ich endlich die grauen Haare los.“
Hermine nickte und zog ihren Stab, den sie auf Anne richtete. Im Nu waren Annes Haare von den wenigen grauen Haaren befreit, denn ihre eigene Haarfarbe war bereits mittelbraun. Gleich darauf erkannte jeder, auch Anne in ihrem Spiegelbild, dass ihre Haare von einem blauen Schimmer umrandet waren.
„Es ist also wahr!“, freute sich Hermine. „Ein Zauber an einem Muggel lässt Magiespuren zurück.“ Abrupt entglitten ihr die Gesichtszüge und sie dachte laut: „Um Himmels Willen! Dann geben die Vergissmich ja jedem Muggel, den sie eigentlich von ihren Erinnerungen befreien wollen, die ungeahnte Fähigkeit, für Magie nur noch viel empfänglicher zu sein. Das muss ich Kingsley mitteilen!“
Sie setzte sich an ihren Tisch und notierte sich alles Wichtige, während die anderen fünf noch das Ergebnis bestaunten.
„Kannst du in einer Woche nochmal kommen? Ich würde gern sehen, ob der blaue Schimmer an deinen Haaren nach einiger Zeit noch immer so stark ist oder vielleicht sogar sichtlich verblasst ist. Der Zauber verfliegt nämlich nach ungefähr drei Tagen“, sagte Hermine.
„Schon nach drei Tagen? Schade, jede Tönung aus unserer Welt hält einige Wochen an“, sagte Anne enttäuscht.
Nachdem der Farbtrank seine Wirkung verloren hatte, unterhielten sich die sechs noch ein wenig über die erhaltenen Resultate. Selbst Ron machte es Spaß, einige Theorien aufzustellen und er war sehr erfreut, dass Hermine sich dazu sogar Notizen machte, was bedeutete, dass seine Überlegungen keine dummen gewesen sein konnten. Er wünschte sich sehr, dass sie Erfolg mit diesem Trank haben würde. Sie war schon früher immer sehr unsicher gewesen, was ihre Leistungen betraf und niemand hatte ihr diese Angst nehmen können, nicht einmal die vielen guten Noten, die sie überwiegend erhalten hatte. Ron gönnte ihr einen großen Erfolg und er sah sie jetzt schon ganz vorn in der Riege der bekannten Zaubertränkemeister und –meisterinnen. Er selbst hatte sich bereits einen Namen im Quidditch gemacht. Der Name „Ron Weasley“ stand mittlerweile häufiger in den Zeitungen als „Harry Potter“, wogegen besonders Harry nichts einzuwenden hatte.
Ron ließ seinen Blick schweifen und der fiel auf seine Schwester. Es machte ihn glücklich, sie so ausgeglichen und fröhlich zu sehen, denn in den Jahren, in denen Harry ihr aus dem Weg gegangen war, hatte sie sich nach ihm verzehrt und Ron hatte es bedauert, dass sie ihrem Glück entsagen musste. Ihr nun stetiges Lächeln und die verliebten Blicke, die sie Harry zuwarf, erwärmten regelrecht sein Herz.
Gleich darauf betrachtete er die frisch Vermählten. Sirius und Anne berührten sich immer wieder, während sie sich mit den anderen unterhielten. Sie fassten sich gegenseitig an den Arm, streichelten sich für wenige Sekunden über den Handrücken oder sahen sich liebevoll in die Augen. Diese Momente waren bei ihm mit Angelina viel zu schnell vorübergegangen, denn sie verbrachten den ganzen Tag miteinander: beim Frühstück, beim Training, danach Zuhause und nachts im Bett.
Wehmütig blickte er zu Hermine hinüber, die momentan sehr herzhaft über eine Bemerkung von Ginny lachen musste, doch ihm war nicht entgangen, dass das fröhliche Funkeln in ihren Augen fehlte. Nur für einen Moment überlegte er, ob eine Zeit der Trennung vielleicht Wunder bewirken könnte. Womöglich könnte er eines Tages doch mit ihr sein Glück finden, doch er wusste tief in seinem Herzen, dass es mit ihr an seiner Seite nie funktionieren würde.
In dem Moment, als er Hermine gedankenverloren beobachtete, schaute sie für einen Augenblick zu ihm hinüber und ihre warmen Augen spiegelten den unerfüllbaren Wunsch wider, vielleicht in ferner Zukunft doch zueinander finden zu können. Wenn da nur ein kleines bisschen mehr zwischen ihnen wäre, dann würde ihnen nichts mehr im Wege stehen, aber „es“ fehlte.
„Gut, ich komme dann mit Sirius in einer Woche nochmal vorbei“, sagte Anne verabschiedend. Die sechs gingen zusammen auf den sonst so kalten und trostlos wirkenden Flur hinaus, der mit einem Male durch das Lachen und die netten Worte, die noch ausgetauscht wurden, an Leben gewann.
Mit Harry und Ginny wollten Sirius und Anne noch einen Moment ihrer Zeit verbringen, bevor sie nachhause flohen würden und die vier schlenderten bereits gemächlich den Gang hinunter, um die Treppe nach oben nehmen zu können. Ron ließ die vier ziehen und blieb noch einen Moment bei Hermine.
Er lächelte zaghaft, bevor er sie anblickte. Er strich ihr mit einem Finger über die Wange und sagte: „Du hast wieder etwas Farbe im Gesicht bekommen. Vorher hast du wirklich schlimm ausgesehen.“
„Na ja, es ist zwar Winter, aber Sonne ist Sonne und im vierten Stock bekomme ich reichlich davon“, erklärte sie mit einem sanften Lächeln auf den rosigen Lippen, die Ron für einen Moment fixiert hatte. Er fragte sich, ob es kribbeln würde, sollte er sie küssen.
„Ich denke, Mine, dass du mit deinem Trank wirklich einen großen Erfolg haben wirst, wenn du erst einmal ein paar Tests gemacht hast“, sagte er stolz.
„Das ist lieb von dir, Ron.“
„Ich meine das wirklich ernst!“, versicherte er ihr, weil er dachte, sie würde davon ausgehen, er wollte ihr nur schmeicheln.
Sie hob ihren Hand und strich ihm sanft über den Oberarm, bevor sie sagte: „Ich weiß, Ron und ich bin dankbar dafür, dass du an mich glaubst.“ Sie ließ ihre Hand fallen und fragte: „Bist du morgen auch wieder hier?“
„Ja, aber nur um Mittag herum, weil ich mit Angelina ihre Eltern besuchen wollte“, erklärte er. „Wir können ja mal zusammen mit den Schokofroschkarten spielen“, schlug er vor.
„Das können wir machen“, sagte sie nickend. Ganz kurz musste sie an Severus denken, mit dem sie schon einmal in einem Team gespielt hatte.
„Dann bis morgen, Mine“, sagte Ron und beugte sich vor.
Sie begrüßten und verabschiedeten sich immer mit einem vertrauten Kuss auf den Mund und diesmal wollte er während dieser eingebürgerten Geste unbedingt etwas fühlen. Er hoffte auf das Kribbeln, das den beiden fehlte.
Ihre Lippen berührten sich und Ron verweilte einen Moment länger als sonst, doch so sehr er es sich auch gewünscht hatte, das Kribbeln war ausgeblieben.
„Bis morgen“, sagte Ron etwas enttäuscht klingend, bevor er sich umdrehte und den anderen nach oben folgte.
Hermine blickte ihm nach, denn sie wusste genau – immerhin kannte sie ihn bestens – was er sich eben erhofft hatte. Auch sie hatte nichts anderes verspürt als Freundschaft und Vertrautheit.
Am anderen Ende des Ganges, im Schatten einer Nische, verbarg sich Severus, der gerade eben vom Dachboden zurückgekehrt war. Er hatte das Intermezzo der beiden durch Zufall beobachtet und ihm war nicht entgangen, dass diese Verabschiedung dieses Mal viel länger gedauert hatte als üblich. Es könnte ihm egal sein, redete er sich ein, aber er fragte sich, warum sich ein Gefühl in ihm ausgebreitet hatte, das er seit über zwei Jahrzehnten nicht mehr gespürt hatte.
Es war eine Mischung aus Neugier und Sehnsucht gewesen, die Severus dazu angetrieben hatte, den schweren Stoff zu entfernen und sich vor den Spiegel zu stellen. Während er auf die glatte Fläche starrte, hatte sich seine Neugier in Furcht gewandelt, doch die Sehnsucht war geblieben und nur sie hinderte ihn daran, sein Vorhaben abzubrechen. Er ahnte, hoffte, wusste, was sich ihm zeigen würde, doch ihr Anblick traf ihn dessen ungeachtet mit solch einer Wucht, die ihn glauben ließ, sein Herz, das er für so lange Zeit nicht mehr verspürt hatte, würde zerspringen.
So viel hatte er ihr zu sagen, doch sie würde kein einziges Wort hören können. Am schwersten konnte er es ertragen, dass sie ihn freundlich anlächelte, denn damit erhöhte sich der kontinuierlich steigende Druck auf seiner Brust schlagartig ums Vielfache. Ihr wunderschönes Lächeln und das fröhlich kecke Glitzern in ihren Augen zerrissen den letzten Rest Selbstbeherrschung und eine aufkommende Wut über den Spiegel nahm er als willkommenen Anlass, sich auf dieses schlechte Gefühl konzentrieren zu wollen, um dem anderen zu entkommen.
Durch die Zähne zischend beschimpfte Severus den magischen Gegenstand zornig: „Du verdammter Spiegel! Du verdammter…“ Er musste innehalten und eine Hand auf sein Herz legen, denn egal, wie sehr er sich auf seinen Zorn einlassen wollte, so war dieser doch viel zu kraftlos im Vergleich zu dem Gefühl, das Lilys Anblick in ihm ausgelöst hatte.
Er konnte so viel schlucken wie er wollte; sein Mund blieb trocken und ausgedörrt wie seine Seele es seit zwanzig Jahren war, doch Lily hatte in seinen Augen schon immer Wunder vollbringen können und so auch dieses Mal. Allein ihr Spiegelbild schien die schwarze Erde seines Selbst trotz jahrelanger Dürrezeit zu befeuchten, so dass Welkes wieder erblühte. Severus bemerkte nicht, dass sich Tränen aus seinen braunen Augen einen Weg über seine eingefallenen Wangen bahnten, um ihn am Kinn zu kitzeln und nur für einen Moment schloss er die Augen und stellte sich vor, wie sie ihn genau dort federleicht berührte.
Das Beben in seiner Stimme vernahm er selbst nicht, als er zur Reflexion seines größten Wunsches leise, aber mit unverkennbaren Ernst sagte: „Ich habe die ganze Zeit ein Auge auf ihn geworfen, weißt du?“
Sie lächelte milde und nickte, was ihn erstaunte und er fragte sich, ob sie tatsächlich hören und verstehen konnte.
Nachdem er zittrig Luft geholt hatte, verriet er ihr trübsinnig: „Er wird bald heiraten.“ Lily legte den Kopf schräg und er sah sich dazu aufgefordert zu schildern: „Sie würde dir gefallen. Sie ist ein wenig wie du.“ Sich selbst dazu durchringend verbesserte er wehmütig: „Wie du warst.“
Mutlos blickte er zu Boden, bevor er seine Augen erneut schloss und er sich einige Erinnerungen von früher ins Gedächtnis zurückrief; an Momente dachte, die sie beide zusammen hatten verbringen dürfen, ohne von anderen gestört zu werden. Er vermisste die erleichternden Gespräche mit ihr, die immer so gut getan hatten und er trauerte ihren aufmunternden Worten nach, die er besonders notwendig gehabt hatte, wenn er nach den Ferien zurück nach Hogwarts gekommen war und ihr von seiner schlimmen Zeit Zuhause berichtet hatte. Die Erinnerung an ihre Finger an seinem Kinn, begleitet von den Worten „Kopf hoch! Das wird schon wieder.“, lösten ein starkes Verlangen in ihm aus, so etwas noch einmal erleben zu dürfen, doch all diese Momente waren für immer verloschen.
Die Sehnsucht, die er verspürte, galt nun nicht mehr ihr allein und während er ihr in die grünen Augen blickte, bekannte er flehend: „Ich möchte bei dir sein.“ Severus wollte dort sein, wo sie war.
Stetig lächelnd schüttelte Lily sanft den Kopf und er wusste, dass sie ihn nicht bei sich haben wollte, weswegen sein Gesicht sich vor Schmerz verzerrte und er neue Tränen vergoss, ohne sich dessen bewusst zu sein. Es würde ihn nicht viel Kraft kosten zu resignieren und alles hinter sich zu lassen, gerade weil sein kümmerliches Dasein so lückenhaft und ohne Reiz war. Lily jedoch war immer ein sehr lebensfroher Mensch gewesen und er war sich sicher, dass sie seinen Wunsch, den letzten Seufzer zu tun, nicht gutheißen würde. In seinen Gedanken hörte er ihren lebensbejahenden Ratschlag und den wollte er beherzigen.
Von ihr Reaktionen zu erhalten faszinierte ihn und deshalb konnte er sich nicht von dem Spiegel losreißen, weswegen er erzählte: „Er hat Voldemort besiegt, Lily! Du kannst so stolz auf ihn sein.“ Jetzt war es die Rothaarige, die vor Freude weinen musste und ihn damit ansteckte. Severus zog die Nase hoch und sagte leise: „Ich war so dankbar und hätte es ihm zeigen müssen, doch was mache ich?“ Er schluckte, bevor er sich selbst ins Lächerliche zog: „Ich benenne meinen Hund nach ihm.“
Er sah, wie Lily geräuschlos auflachte, doch er musste es nicht hören, denn er konnte sich an den glockenklaren Klang erinnern, der ab und an zu hören gewesen war, wenn sie ihrer Freude Ausdruck verliehen hatte. Damals mit ihr zusammen hatte sogar er mit seinem sonst so ernsten Gemüt lachen können und auch jetzt schaffte sie es, dass sich ein echtes Lächeln auf seinen Lippen formte.
Mit Lily hatte er jederzeit offen reden können, ohne befürchten zu müssen, dass sie ihn auf den Arm nehmen würde. So eine Vertrautheit konnte er nie wieder mit irgendeinem anderen Menschen entwickeln. Selbst Linda hatte er sich nie vollständig öffnen können.
„Ich habe einen Merlin bekommen, erster Klasse“, sagte er mit betrübter Miene, denn er hatte es bedauert, dass sie diesem Moment nicht hatte erleben dürfen. Lily machte ganz große Augen und allein durch ihre Mimik konnte er erkennen, wie stolz sie auf ihn war. „Aber nicht nur ich. Albus und Harry haben auch einen erhalten. Wir drei haben Voldemort… Na ja, Harry hat die meiste Kraft aufgebracht. Ich weiß bis heute nicht, wie er das vollbracht hat.“
Die einseitige Unterhaltung mit ihr überschwemmte sein Innerstes mit dem Verlangen, ihre Stimme hören zu wollen und da wurde er sich mit einem Schlag wieder bewusst, dass sie nicht echt war; dass Lily nur sein stummer Wunsch war, der nie das Wort an ihn richten würde. Sie war eine Phantasmagorie, geboren aus fieberhaften Träumen, die an der Vergangenheit festhielten und ihn bis heute nicht ruhen lassen wollten. Die Freundin von Einst war nur noch ein Phantom, das er in den Tiefen des Schattens bewahrt hatte, das man nicht mehr Seele nennen konnte.
Erneut flammte Wut in ihm auf, denn zu wissen, dass sein größter Wunsch bis in alle Ewigkeit eine unerfüllte Sehnsucht bleiben würde, konnte er nicht ertragen. Mit Zornesröte zischelte Severus aufgebracht: „Verdammter Spiegel! Wie kannst du es wagen, mir so etwas zu zeigen?“
Der Holzrahmen knarrte, fast als würde Nerhegeb seufzen, was ihn nur noch rasender machte. Der Spiegel verwährte ihm weiterhin jeglichen Hoffnungsschimmer, denn er änderte sein Trugbild nicht.
„Du bringst Unheil!“, warf er dem magischen Gegenstand vor, bevor er seinen Zauberstab zückte und ihn auf die glatte Fläche richtete, die noch immer Lily zeigte. „Verfluchter Spiegel“, murmelte er verzweifelt, bevor er in Gedanken einen Zauber sprach.
Kurz darauf schoss ein hellgelber Lichtkegel aus seinem Stab und der traf auf die spiegelglatte Oberfläche, doch der Fluch verlor an Stärke und wurde zurückgeworfen, so dass er Severus traf. Der Schmerz, von dem sein Körper ergriffen wurde, war jedoch leichter zu ertragen als die Qual, die seit Jahren auf ihm lastete. Severus ging zu Boden und krümmte sich. Der Fluch hätte jeden Gegenstand in tausend Stücke zerbersten lassen und er hätte einem Menschen das Fleisch von den Knochen gerissen, doch abgeschwächt wirkte er nur wie eine Druckwelle, die kurzzeitig auf sämtliche Organe und Blutgefäße einwirkte. Auf dem Boden liegend und darauf wartend, dass die Muskelkrämpfe nachlassen würden, wurde Severus sich darüber klar, dass Albus sein Hab und Gut äußerst wirkungsvoll vor Vandalismus geschützt hatte.
Schwer atmend und etwas zittrig von der Strapaze richtete sich Severus langsam auf, doch er blieb auf dem Boden sitzen und wagte noch einmal, einen Blick in den Spiegel zu werfen. Lily hielt sich erschrocken beide Hände vor den Mund und als sie sich kurz angesehen hatten, da hielt sie ihm eine Hand entgegen als wollte sie ihm aufhelfen. Ihre Hilfsbereitschaft trieb ihm abermals Tränen in die Augen, denn ihre Geste hatte einen weiteren Wunsch in ihm geweckt und zwar den, nur noch einmal ihre Hand halten zu wollen.
Eine ganze Weile blieb er noch auf dem hölzernen Boden sitzen und er ergötzte sich an dem Anblick seiner einstigen großen Liebe, bis er plötzlich etwas an seinem Arm spürte. Severus blickte hinunter und sah den Kniesel, der sich an seinem Arm rieb und dabei wohlig schnurrte.
Ohne nachzudenken murmelte er: „Was suchst du denn hier?“
Gleich darauf nahm er das Tier auf seinen Schoß und kraulte es, wodurch es nur noch lauter schnurrte. Severus musste an sein eigenes Haustier denken und stellte erschrocken fest, dass er sich nicht einmal mehr daran erinnern konnte, wann er den Hund das letzte Mal gefüttert hatte. Ohne ein weiteres Mal in den Spiegel zu schauen, was ihn eine ungeheure Kraft kostete, bedeckte er ihn mit dem Tuch, nahm den Kniesel auf den Arm und verließ den Dachboden.
Im vierten Stock setzte er Fellini auf dem Steinboden ab, damit der Kniesel weiterstreunen konnte, doch er folgte dem Tränkemeister bis nach unten in den Kerker und so ließ Severus das schwarze Tier in sein Wohnzimmer. Harry bewegte erst seine Ohren, öffnete dann die Augen und sprang, als er den Kater entdeckt hatte, freudig erregt aus seinem Korb. Die Wiedersehensfreude von Harry und Fellini war groß.
Während die beiden Tiere sich beschnupperten und auf eine Art und Weise miteinander kommunizierten, die Severus ein Rätsel blieb, ging er hinüber zum Fressnapf in der Absicht, ihn zu füllen. Erstaunt betrachtete er die noch halbvolle Schale und wenige Sekunden später machte sich Erleichterung in ihm breit. Harry oder Hermine waren nicht nur mit dem Hund draußen gewesen, sondern hatten sich auch anderweitig um ihn gekümmert. Er würde es ihnen danken müssen.
Antriebslos und immer wieder das verdrängend, was Nerhegeb ihm gezeigt hatte, entkleidete sich Severus. Weste und Hemd ließ unordentlich auf der Rückenlehne der Couch zurück, bevor er ins Schlafzimmer ging und sich aufs Bett setzte. Gerade noch die Schuhe konnte er noch ausziehen, bevor sein Körper komplett erstarrte, denn wie jeden Abend der letzten Tage dachte über sich und sein Leben nach und er versuchte verzweifelt etwas zu finden, an dem er festhalten konnte.
Er hasste seinen Beruf als Lehrer und er ärgerte sich darüber, dass ihm so wenig Zeit für seine eigenen Experimente zur Verfügung stand, weil er Dummköpfen etwas beibringen sollte, die ganz offensichtlich nicht bereit waren, etwas lernen zu wollen. Im Gegenzug mochte er es, mit seiner Schülerin Zeit zu verbringen, denn dumm war sie nicht und die Arbeit mit ihr stillte zusätzlich seinen Forscherdrang, auch wenn sie sich momentan überwiegend um ihr Projekt kümmerten. Ihr Verhalten ging ihm allerdings sehr gegen den Strich. Er verabscheute es, dass ihm jeder helfen wollte, nur weil er damals in einem Anflug von Schwäche seinen Mund gegenüber Harry nicht hatte halten können. Immer tiefer gruben die beiden in seiner Vergangenheit herum, anstatt wie Albus viel raffinierter vorzugehen, so dass man es nicht sofort merken würde. Hermines offene Art war neu für ihn. Während Albus lediglich Andeutungen machte oder völlig in Rätseln sprach, machte sie keinen Hehl aus dem, was sie unternehmen wollte. Einerseits war es erleichternd zu wissen, worin ihr nächstes Vorhaben bestehen würde, doch andererseits war es ihm ein Bedürfnis, dass niemand etwas über ihn erfahren sollte, was er nicht aus eigenen Stücken zu offenbaren bereit war. Sie sollte aufhören, immerzu nachzubohren, denn eines Tages könnte sie auf eine Ader treffen, die unzähmbar wie ein schwarzer Quell aus ihm hervorsprudeln würde und er bezweifelte, dass sie dazu imstande wäre, dieser Wucht standzuhalten.
Nach über einer Stunde musste er feststellen, dass er auch an diesem Abend keinen triftigen Grund fand, der sein Fortbestehen notwendig machte. Kraftlos ließ er sich rücklings aufs Bett fallen; nicht einmal seine Hose hatte er ausgezogen.
Wenn er heute wieder träumen sollte, dann wünschte er sich, von Lily zu träumen und ihre Hand zu halten, denn er hatte genug von wirren Träumen, die er dann und wann zu unterdrücken versuchte.
Die folgenden Tage und Nächte verliefen alle ähnlich. Severus führte seinen Unterricht mit monotoner Stimme, aber nur, wenn es unausweichlich war, ein paar Worte an die Schüler zu richten. Meist schrieb er Anweisungen an die Tafel, denen die Kinder gehorsam folgten. Keinem Einzigen von ihnen schaute er in die Augen und man hörte ihm an, dass seine Begeisterung und sein Respekt für Zaubertränke während der Unterrichtsstunden vergessen schienen. Draco war einer der wenigen Schüler, denen die befremdliche Art des Lehrers nicht entgangen war, während die meisten sich einfach darüber freuten, dass der Zaubertränkemeister keine Punkte mehr abzog. Gerade das ließ bei Draco die Alarmglocken schrillen, doch spätestens, als einem Mitschüler ein Malheur passierte – dessen Zaubertrank war übergekocht und hüllte den Raum in stinkende Wolken – da wusste Draco, dass mit Severus etwas nicht stimmte, denn der hatte lediglich mit gelangweilter Miene „Evanesco“ gesagt und damit den Topf gereinigt, bevor er den Schüler aufgefordert hatte, von vorn zu beginnen. Keine Bestrafung, kein Punkteabzug, keine Standpauke. Draco machte sich ernsthaft Sorgen.
Die Zeit nach dem Unterricht verbrachte Severus endlich wieder mit seiner privaten Schülerin, wo er sich ähnlich desinteressiert verhielt. Sie sprachen nur noch wenig miteinander, obwohl sie mehrmals versuchte, eine unverfängliche Unterhaltung zu führen. Hermine hatte sich sehr zurückgehalten und ihn in Ruhe gelassen, wie er es sich still erhofft hatte. Er war sich nicht sicher, ob sie lediglich einer Auseinandersetzung aus dem Weg gehen wollte und sich deshalb so ruhig verhielt. Einige Male glaubte er, sie würde genau wissen, wie es in ihm aussah und daher gönnte sie ihm eine Auszeit.
Manchmal trafen sich ihre Blicke und er wusste, dass ihr zig Fragen auf der Zunge brennen mussten, sie diese jedoch für sich behielt. Manchmal entschuldigte er sich ein oder zwei Stunden früher und verabschiedete sich mit den Worten, dass sie ihn nicht mehr brauchen würde und sie das Projekt allein beenden könnte. Nur zweimal hatte sie widersprochen und beteuert, dass sie ihn noch brauchen würde und diese beiden Male war er bei ihr geblieben.
Am sechsten Dezember kam Remus vorbei und er wunderte sich darüber, nur Hermine im Labor anzutreffen, die gewissenhaft den Wolfsbanntrank braute.
„Wo ist denn Severus?“, wollte er wissen, nachdem er sie gegrüßt hatte.
Für einen Moment erkannte er Kummer in ihren Augen, doch gleich darauf erwiderte sie ehrlich: „Dem geht es nicht sonderlich gut. Er hat sich hingelegt.“
„Was fehlt ihm?“, fragte er knapp.
Sie hob und senkte einmal die Schultern entkräftet und antwortete: „So genau weiß ich es nicht. Er ist irgendwie anders. Er spricht wenig, isst kaum was und schläft viel.“
Den Trank füllte Hermine in einen Becher und überreichte diesen Remus, der das Gebräu so heiß wie möglich zu sich nahm.
Remus stellte den leeren Becher zurück auf den Labortisch und fischte aus seiner Innentasche den Tränkeausweis, während er sagte: „Mir ging es auch schon oft wie ihm.“ Er seufzte und spielte mit dem Pass in seinen Händen.
Mit gerunzelter Stirn fragte Hermine: „Wieso? Wann ging es dir denn mal so?“
Er blickte auf den Tränkepass, wackelte kurz mit ihm und sagte: „Zum Beispiel, nachdem ich gebissen worden war.“ Den Pass legte er auf den Tisch, bevor er noch hinzufügte: „Und als die Sache mit Alice und Frank passiert ist. Am schlimmsten war es nach dem Tod von James und Lily und auch, als wir alle geglaubt haben, Sirius wäre nicht mehr am Leben.“
„Meinst du, er hat eine Depression?“, fragte sie neugierig, um Remus’ Meinung dazu zu hören, denn sie selbst war davon längst überzeugt.
Der lächelte jedoch nur und winkte ab. „Du bist hier die Heilerin, Hermine.“
Einen Moment später tippte er auf den Pass und sie verstand. Remus benötigte die Unterschrift von Severus als Bestätigung, den Trank eingenommen zu haben.
„Ich hoffe, er rastet nicht aus, wenn ich ihn wecke“, murmelte Hermine, während sie bereits zur Tür hinausging, um Severus’ Räume aufzusuchen.
Wie erwartet befand er sich in seinem Bett wie schon die letzten Tage. Ein leichter beißender Geruch war im ganzen Zimmer wahrzunehmen, doch sie hielt sich nicht lang damit auf, sondern betrachtete ihn. Nur mit einer Hose bekleidet lag Severus auf dem Rücken und schlief. Er hatte sich schon lange nicht mehr die Mühe gemacht sich zuzudecken, denn durch das Kaminfeuer war es hier drinnen angenehm warm.
Sie sagte mehrmals seinen Namen, denn sie wollte ihn nicht an der nackten Schulter packen, um ihn zu wecken. Es war ihr unangenehm, seine Privatsphäre zu stören, aber nur, weil sie wusste, dass er es nicht gutheißen würde, wenn er erst einmal erwacht wäre. Andererseits kannte er die Prozedur und wusste, dass er als Meister den Pass unterzeichnen musste.
Aus dem Wohnzimmer kam der Hund hineingelaufen, der es sich gleich am Fußende bequem machte. Sie knetete seine weißen Ohren und auch wenn sie gar nicht drauf achten wollte, so fielen ihr doch die wenigen Narben auf Severus’ nacktem Oberkörper auf. Die Schussverletzung an seinem Oberarm war gut verheilt, dachte Hermine, denn es war nur noch ein kleiner weißer Streifen zu sehen. Die Narbe am linken Unterarm kannte sie schon seit dem Tag, an welchem er ihr das dunkle Mal aus nächster Nähe gezeigt hatte. Was sie noch nie hatte sehen können war die kleine Narbe unter den Rippen, die auf eine alte Stichwunde hindeutete und die ebenfalls alte, nur leicht gerötete Brandwunde an seinem Bauch. Vor lauter Neugierde beugte sie sich nach vorn, denn als Heilerin kannte sie Möglichkeiten, Überbleibsel von alten Wunden zu verkleinern oder sogar verschwinden zu lassen und als sie etwas näher gekommen war, bemerkte sie, dass der beißende Geruch von Severus herrührte.
Sie riss sich zusammen und berührte ihn zaghaft an der Schulter, um eine wenig Druck auszuüben. Er erwachte sehr schnell und blickte sie entgeistert an, sagte jedoch keinen Ton.
Ihm den Pass zeigend erklärte sie mit leiser Stimme: „Die Unterschrift, Severus.“
Er richtete sich langsam auf, griff nach einer Feder, die er immer auf seinem Nachttisch zu stehen hatte, weil er häufig im Bett sitzend arbeitete und unterschrieb den Tränkepass kommentarlos.
Er legte sich bereits wieder auf den Rücken und forderte sie mit einem Blick auf, ihn allein zu lassen, da sagte sie plötzlich etwas verlegen, ohne ihn anzusehen: „Tun Sie mir einen Gefallen Severus?“
Severus erwiderte nichts, so dass sie sich einen Ruck gab und ihn anblickte. Die Gleichgültigkeit, die seine Miene widerspiegelte, zeugte von seiner niedergeschlagenen Stimmung. Sie würde so gern etwas tun, um ihn aufzuheitern, doch momentan wollte er sich nicht helfen lassen, so dass sie diesen Moment nutzte, um ihn mutig auf eine wichtige Sache hinzuweisen, denn sie legte ihm fast flüsternd nahe: „Tun Sie mir den Gefallen und nehmen Sie ein Bad.“
Die beiden rötlichen Flecken, die sich auf seinen Wangen gebildet hatten, bestätigten ihr, dass er sehr wohl verstanden hatte, was sie ihm damit sagen wollte.
Hermine nahm den Pass, schenkte ihm noch ein besorgtes Lächeln und ließ ihren Tränkemeister allein.
„Hier, Remus“, sagte Hermine und reichte ihm den Tränkepass, denn er sofort wieder in seinem Mantel verstaute.
„Ach ja“, begann Remus, „bevor ich es vergesse…“
Er zog zwei Gegenstände aus seiner Innentasche heraus, die als Geschenk in durchsichtiger Plastikfolie eingewickelt waren und eine Verpackungsdekoration aus Immergrün aufwiesen. In der Folie konnte man einen Schokoladenweihnachtsmann und einige Pralinen erkennen.
„Für dich und Severus“, sagte er lächelnd.
„Aber wieso…?“
„Heute ist doch Nikolaus, schon vergessen? Ist ja nur eine Kleinigkeit“, erwiderte er abwinkend.
Hermine lächelte und betrachtete die beiden Tütchen, die Remus offensichtlich selbst zusammengestellt hatte, bevor sie fragte: „Ich nehme an, die dunkle Schokolade ist für Severus?“
„Natürlich! Ich weiß ja, dass du keine Bitterschokolade magst.“ Er wandte sich bereits ab und kündigte derweil an: „Ich bin noch eben bei Harry und Ginny. Für die beiden habe ich auch je eines.“
„In Ordnung, wir sehen uns morgen Abend, Remus.“
„Bis morgen.“
Am nächsten Tag, an welchem Remus sich den Wolfsbanntrank abholte, war Severus erstaunlicherweise anwesend und er duftete zu Hermines Erleichterung nach Orange, weshalb sie vermutete, dass Albus auch ihm einmal die gleiche Seife geschenkt haben musste wie ihr.
Bis auf einen halbherzigen Gruß hatte Severus nichts von sich gegeben und nachdem er den Tränkepass unterzeichnet hatte, verabschiedete er sich. Hermine sah ihm besorgt hinterher und Remus tat es ihr gleich.
„Vielleicht brütet er nur eine Erkältung aus?“, vermutete Remus laut. „Ich bin dann auch meistens müde und mir fällt alles viel schwerer.“
An Hermines Blick erkannte er, dass sie dasselbe hoffte, doch mit etwas ganz anderem rechnete.
Am folgenden und letzten Tag, an welchem Remus für Dezember den Wolfsbanntrank einnehmen musste, spielte sich das Gleiche wie am Vortag ab und diesmal glaubte selbst Remus nicht mehr daran, dass sein alter Schulkamerad womöglich nur unter einer Erkältung leiden würde, doch er hielt mit Vermutungen zurück.
Eine weitere Woche verging, die Hermine Tag für Tag erst zusammen mit Severus und abends allein im Labor verbrachte. Anne hatte sich bei ihr gemeldet und zugestimmt, das Experiment über sich ergehen zu lassen, aber Sirius wollte natürlich zusehen, was Hermine nicht abschlagen konnte. Als sie Severus davon erzählt hatte, stellte er klar, dass er diesem Test nicht beiwohnen wollte, was Hermines Meinung nach an Sirius’ Anwesenheit liegen musste. Sie bekam trotzdem Unterstützung, denn Harry, Ginny und Ron hatten sich angeboten, ihr im Labor zur Hand zu gehen.
„Ron, fass ja nichts an!“
Ron zog seine nach einem Glas mit krauchenden Würmern ausgestreckte Hand schnell wieder zurück.
Harry unterhielt sich derweil mit Sirius und fragte frech grinsend: „Wie waren die Flitterwochen?“
Ein verschmitztes Lächeln formte sich auf Sirius’ Mund, bevor er zugab: „Ganz wunderbar!“ Gleich darauf blickte er zu Anne hinüber, die eine gesunde Gesichtsfarbe aufwies.
Von ihren Notizen aufblickend fragte Hermine: „Was habt ihr euch so angesehen? Wart ihr im ’Volcanoes Nationalpark’ oder im ’Haleakala Nationalpark’ auf Maui?“
Sirius und Anne schüttelten gleichzeitig den Kopf, bevor Sirius zugab: „Nein, dafür hatten wir keine Zeit.“
„Oh“, machte Hermine. „Ihr habt euch wohl eher den ’Iolani Palace’ in Honolulu angesehen. Den würde ich gern mal besuchen!“
„Nein, den auch nicht, aber wir werden vielleicht noch einmal hinfahren“, versicherte Sirius.
Hermine stutzte und fragte neugierig: „Wo genau wart ihr eigentlich auf Hawaii?“
Anne anblickend fragte Sirius: „Wie hieß das?“
„Das war Kauai, wo wir waren.“
„Ah, richtig“, sagte Sirius, bevor er zu Hermine schaute.
Die wollte gleich wissen: „Dann habt ihr aber bestimmt den botanischen Garten besucht. Wie hieß er noch? Na ‘Āina Kai. Das muss umwerfend gewesen sein!“
Sich anblickend mussten Harry und Ron amüsiert grinsen, nachdem sie Sirius’ ahnungslose Miene bemerkt hatten, an welcher man erkennen konnte, dass er keine Ahnung von dem hatte, was Hermine eben erwähnt hatte.
Die Situation aufklärend sagte Ginny schmunzelnd: „Hermine, das waren ’Flitterwochen’ gewesen!“
Ein wenig beleidigt antwortete sie: „Man kann sich doch trotzdem ein wenig im Land umsehen…“
Sie reichte Anne eine kleine Ampulle und bat sie, diese auszutrinken. Im Vorfeld hatte sie erklärt, was bei Arabella und ihren Eltern geschehen war. Umso erstaunter waren alle Anwesenden, als Anne nicht einmal einen Zauberstab in die Hand nehmen musste, um ein farbliches Ergebnis zu liefern. An einer Stelle an ihrem Kopf leuchtete ein sehr kräftiges Blau, kräftiger als das Blau bei Hermine oder ihrem Vater. Die Farbe war jedoch genauso träge wie bei ihren Eltern und rührte sich kaum.
„Was heißt das?“, wollte Sirius wissen, der Hermine mit großen Augen anblickte.
„Was heißt was?“, fragte Anne verwirrt. „Ist etwas passiert?“ Sie betrachtete ihre Arme, sah jedoch nichts.
Harry erklärte: „An deinem Kopf ist eine Stelle, die ganz blau leuchtet!“
Erschrocken und mit weit aufgerissenen Augen griff sie sich an die Stirn.
„Habt ihr einen Spiegel?“, fragte Anne, die vor Neugierde fasst platzte.
Mit einem Wink seines Zauberstabes formte Harry aus einer langen Schranktür einen Spiegel, vor den sich Anne in Windeseile gestellt hatte. Wie verzaubert betrachtete sie ihr Spiegelbild und erneut fasste sie sich an den Kopf, nur diesmal genau an jene Stelle über der linken Schläfe, die blau leuchtete. Gleich darauf fasste sie sich ans Herz, doch dort, wie es laut Schilderung bei Hermines Eltern bereits ohne Zauberstab geglimmt hatte, war keine Farbe zu sehen.
„Warum am Kopf?“, fragte Anne verdattert.
„Ja, eine gute Frage“, erwiderte Hermine, die keine Antwort darauf geben konnte.
Sirius warf etwas ein, das tatsächlich Sinn machte, denn er stellte die Theorie auf: „Man hat Anne als Kind doch mit einem Gedächtniszauber belegt. Vielleicht sind das Rückstände?“
Bestätigend fügte Ginny an: „Ein Gedächtniszauber ist einer der stärksten Zauber, die auf den menschlichen Körper einwirken können. Möglich wäre es.“
Verdattert fasste Ron zusammen: „Aber dann würde ja jeder Muggel ein wenig Magie zurückbehalten, wenn er mal verzaubert worden war.“
Sich an der aufgestellten Theorie beteiligend sagte Harry: „Das könnte man doch testen, indem wir Anne mit einem Spruch belegen oder?“
„Oh nein“, sagte Anne, „davon war in Hermines Brief nicht die Rede gewesen.“
Beschwichtigend sagte Hermine: „Keine Sorge, wir machen ja nichts ohne dein Einverständnis.“ Sie blickte Sirius an und bat ihn: „Gib Anne mal bitte deinen Zauberstab.“
Im Nu hatte er seiner Frau den Stab überreicht und in diesem Moment wurde die blaue Farbe am Kopf etwas kräftiger, jedoch nicht sehr viel.
„Das ist komisch“, murmelte Hermine laut denkend. Für alle fügte sie erklärend hinzu: „Bei meinen Eltern hatte man auch Farbe am Arm gesehen, besonders aber am Herzen und letzteres auch schon ohne Stab. Auch bei Arabella hat sich Farbe am Arm gezeigt, aber erst, als sie meinen Stab gehalten hatte, aber bei dir… Da ist nur das bisschen am Kopf.“
„Arabella ist ja auch nachweislich ein Squib“, sagte Ginny. „Sie stammt definitiv von Eltern ab, die zaubern konnten. Bei ihr muss Magie im geringen Maße vererbt worden sein.“
Harry bestätigte: „Da kann ich nur zustimmen. Arabella hat ja auch vereinzelte Fähigkeiten; konnte zum Beispiel die Dementoren zwar nicht sehen, aber fühlen. Dafür kann sie Hauselfen sehen! Sie kann nur nicht zaubern, ist aber empfänglich für die magische Welt und ihre Eigenarten.“
„Anne konnte Hogwarts aber auch sehen“, warf Sirius als Überlegung ein.
„Ja“, bestätige Hermine, „aber vielleicht nur, weil man ihr als Kind die Erinnerung genommen hatte und durch diesen sehr kräftigen Zauber ein Hauch Magie an ihr haften geblieben ist. Außerdem hatte sie einen Zauberstab bei sich getragen, der das verstärkt haben konnte. Wahrscheinlich hätte jeder magische Gegenstand die Farbe und somit die Fähigkeit verstärkt, magisch verborgene Orte sehen zu können.“
„Vergesst nicht“, erinnerte Anne, „dass man mir vor Kurzem auch die Erinnerung nehmen wollte und ich nochmal mit diesem Vergissmich-Zauber in Berührung gekommen war.“
„Vielleicht hat der die leicht verblasste Magie-Signatur von damals wieder aufgefrischt?“, warf Ginny in den Raum hinein.
Seufzend nörgelte Hermine: „Gott, das wird viele Jahre dauern, bis ich herausbekommen habe, ob und wie lange ein Zauber eine Spur an einem Muggel zurücklässt.“
„Och“, begann Anne frech lächelnd, „ich habe Zeit.“
Jeder betrachtete Annes Kopf, was ihr ein wenig unangenehm zu sein schien. Hermine fragte sie mit netter Stimme: „Anne, ich würde gern einen Zauber an dir anwenden und überprüfen, ob von ihm etwas an dir zurückbleibt.“
„Kommt drauf an, was für einen“, konterte sie skeptisch.
„Was Harmloses“, versicherte Hermine. Sie überlegte einen Moment und fragte dann: „Ich könnte dir die Nägel lackieren!“
„Hast du mich jemals mit Kosmetik gesehen?“, fragte Anne. „Ich schminke mich nicht und mag auch keinen Nagellack.“
„Es ist ja kein Lack“, beschwichtigte Hermine. „Es würden sich direkt deine Nägel färben.“
„Kannst du die Haarfarbe ändern?“, fragte Anne plötzlich sehr interessiert.
„Ja schon, aber nur einfarbig. Alles andere traue ich mir nicht zu“, erklärte Hermine, die in Kosmetik-Zaubern nie sehr gut gewesen war, weil die für sie wenig Sinn machten.
„Okay, dann mittelbraun bitte“, sagte Anne lächelnd. „Dann werde ich endlich die grauen Haare los.“
Hermine nickte und zog ihren Stab, den sie auf Anne richtete. Im Nu waren Annes Haare von den wenigen grauen Haaren befreit, denn ihre eigene Haarfarbe war bereits mittelbraun. Gleich darauf erkannte jeder, auch Anne in ihrem Spiegelbild, dass ihre Haare von einem blauen Schimmer umrandet waren.
„Es ist also wahr!“, freute sich Hermine. „Ein Zauber an einem Muggel lässt Magiespuren zurück.“ Abrupt entglitten ihr die Gesichtszüge und sie dachte laut: „Um Himmels Willen! Dann geben die Vergissmich ja jedem Muggel, den sie eigentlich von ihren Erinnerungen befreien wollen, die ungeahnte Fähigkeit, für Magie nur noch viel empfänglicher zu sein. Das muss ich Kingsley mitteilen!“
Sie setzte sich an ihren Tisch und notierte sich alles Wichtige, während die anderen fünf noch das Ergebnis bestaunten.
„Kannst du in einer Woche nochmal kommen? Ich würde gern sehen, ob der blaue Schimmer an deinen Haaren nach einiger Zeit noch immer so stark ist oder vielleicht sogar sichtlich verblasst ist. Der Zauber verfliegt nämlich nach ungefähr drei Tagen“, sagte Hermine.
„Schon nach drei Tagen? Schade, jede Tönung aus unserer Welt hält einige Wochen an“, sagte Anne enttäuscht.
Nachdem der Farbtrank seine Wirkung verloren hatte, unterhielten sich die sechs noch ein wenig über die erhaltenen Resultate. Selbst Ron machte es Spaß, einige Theorien aufzustellen und er war sehr erfreut, dass Hermine sich dazu sogar Notizen machte, was bedeutete, dass seine Überlegungen keine dummen gewesen sein konnten. Er wünschte sich sehr, dass sie Erfolg mit diesem Trank haben würde. Sie war schon früher immer sehr unsicher gewesen, was ihre Leistungen betraf und niemand hatte ihr diese Angst nehmen können, nicht einmal die vielen guten Noten, die sie überwiegend erhalten hatte. Ron gönnte ihr einen großen Erfolg und er sah sie jetzt schon ganz vorn in der Riege der bekannten Zaubertränkemeister und –meisterinnen. Er selbst hatte sich bereits einen Namen im Quidditch gemacht. Der Name „Ron Weasley“ stand mittlerweile häufiger in den Zeitungen als „Harry Potter“, wogegen besonders Harry nichts einzuwenden hatte.
Ron ließ seinen Blick schweifen und der fiel auf seine Schwester. Es machte ihn glücklich, sie so ausgeglichen und fröhlich zu sehen, denn in den Jahren, in denen Harry ihr aus dem Weg gegangen war, hatte sie sich nach ihm verzehrt und Ron hatte es bedauert, dass sie ihrem Glück entsagen musste. Ihr nun stetiges Lächeln und die verliebten Blicke, die sie Harry zuwarf, erwärmten regelrecht sein Herz.
Gleich darauf betrachtete er die frisch Vermählten. Sirius und Anne berührten sich immer wieder, während sie sich mit den anderen unterhielten. Sie fassten sich gegenseitig an den Arm, streichelten sich für wenige Sekunden über den Handrücken oder sahen sich liebevoll in die Augen. Diese Momente waren bei ihm mit Angelina viel zu schnell vorübergegangen, denn sie verbrachten den ganzen Tag miteinander: beim Frühstück, beim Training, danach Zuhause und nachts im Bett.
Wehmütig blickte er zu Hermine hinüber, die momentan sehr herzhaft über eine Bemerkung von Ginny lachen musste, doch ihm war nicht entgangen, dass das fröhliche Funkeln in ihren Augen fehlte. Nur für einen Moment überlegte er, ob eine Zeit der Trennung vielleicht Wunder bewirken könnte. Womöglich könnte er eines Tages doch mit ihr sein Glück finden, doch er wusste tief in seinem Herzen, dass es mit ihr an seiner Seite nie funktionieren würde.
In dem Moment, als er Hermine gedankenverloren beobachtete, schaute sie für einen Augenblick zu ihm hinüber und ihre warmen Augen spiegelten den unerfüllbaren Wunsch wider, vielleicht in ferner Zukunft doch zueinander finden zu können. Wenn da nur ein kleines bisschen mehr zwischen ihnen wäre, dann würde ihnen nichts mehr im Wege stehen, aber „es“ fehlte.
„Gut, ich komme dann mit Sirius in einer Woche nochmal vorbei“, sagte Anne verabschiedend. Die sechs gingen zusammen auf den sonst so kalten und trostlos wirkenden Flur hinaus, der mit einem Male durch das Lachen und die netten Worte, die noch ausgetauscht wurden, an Leben gewann.
Mit Harry und Ginny wollten Sirius und Anne noch einen Moment ihrer Zeit verbringen, bevor sie nachhause flohen würden und die vier schlenderten bereits gemächlich den Gang hinunter, um die Treppe nach oben nehmen zu können. Ron ließ die vier ziehen und blieb noch einen Moment bei Hermine.
Er lächelte zaghaft, bevor er sie anblickte. Er strich ihr mit einem Finger über die Wange und sagte: „Du hast wieder etwas Farbe im Gesicht bekommen. Vorher hast du wirklich schlimm ausgesehen.“
„Na ja, es ist zwar Winter, aber Sonne ist Sonne und im vierten Stock bekomme ich reichlich davon“, erklärte sie mit einem sanften Lächeln auf den rosigen Lippen, die Ron für einen Moment fixiert hatte. Er fragte sich, ob es kribbeln würde, sollte er sie küssen.
„Ich denke, Mine, dass du mit deinem Trank wirklich einen großen Erfolg haben wirst, wenn du erst einmal ein paar Tests gemacht hast“, sagte er stolz.
„Das ist lieb von dir, Ron.“
„Ich meine das wirklich ernst!“, versicherte er ihr, weil er dachte, sie würde davon ausgehen, er wollte ihr nur schmeicheln.
Sie hob ihren Hand und strich ihm sanft über den Oberarm, bevor sie sagte: „Ich weiß, Ron und ich bin dankbar dafür, dass du an mich glaubst.“ Sie ließ ihre Hand fallen und fragte: „Bist du morgen auch wieder hier?“
„Ja, aber nur um Mittag herum, weil ich mit Angelina ihre Eltern besuchen wollte“, erklärte er. „Wir können ja mal zusammen mit den Schokofroschkarten spielen“, schlug er vor.
„Das können wir machen“, sagte sie nickend. Ganz kurz musste sie an Severus denken, mit dem sie schon einmal in einem Team gespielt hatte.
„Dann bis morgen, Mine“, sagte Ron und beugte sich vor.
Sie begrüßten und verabschiedeten sich immer mit einem vertrauten Kuss auf den Mund und diesmal wollte er während dieser eingebürgerten Geste unbedingt etwas fühlen. Er hoffte auf das Kribbeln, das den beiden fehlte.
Ihre Lippen berührten sich und Ron verweilte einen Moment länger als sonst, doch so sehr er es sich auch gewünscht hatte, das Kribbeln war ausgeblieben.
„Bis morgen“, sagte Ron etwas enttäuscht klingend, bevor er sich umdrehte und den anderen nach oben folgte.
Hermine blickte ihm nach, denn sie wusste genau – immerhin kannte sie ihn bestens – was er sich eben erhofft hatte. Auch sie hatte nichts anderes verspürt als Freundschaft und Vertrautheit.
Am anderen Ende des Ganges, im Schatten einer Nische, verbarg sich Severus, der gerade eben vom Dachboden zurückgekehrt war. Er hatte das Intermezzo der beiden durch Zufall beobachtet und ihm war nicht entgangen, dass diese Verabschiedung dieses Mal viel länger gedauert hatte als üblich. Es könnte ihm egal sein, redete er sich ein, aber er fragte sich, warum sich ein Gefühl in ihm ausgebreitet hatte, das er seit über zwei Jahrzehnten nicht mehr gespürt hatte.
Zuletzt geändert von Muggelchen am 02.02.2011 10:09, insgesamt 1-mal geändert.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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