Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - BEENDET

Hier könnt ihr eure Fanfictions und Gedichte zu Harry und seiner Welt vorstellen.

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Muggelchen
EuleEule
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Beitrag von Muggelchen »

Hi Ginny,
so viele positiv dargestellte Muggel gibt es in den Büchern nicht - mir fällt jetzt auch nur "der andere Minister" ein. Deswegen freut es mich, dass dir die Idee mit der Muggelfrau gefällt, die ja nicht auf den Kopf gefallen ist, aber die Sache trotzdem sehr skeptisch betrachtet.
LG, Eve


015 Wolken und Fronten




Mit nur einem Zwischenstopp hatte Anne nach etlichen Stunden eine Gegend erreicht, die man als wild bezeichnen könnte. Es gab nicht einmal mehr eine Straße, geschweige denn einen Weg. Mit schlechtem Gewissen fuhr Anne auf der mit dunkelgrünem Gras bewachsenen Fläche weiter.

Die Wolken hingen seit der letzten Stunde schon sehr tief. Ein Grollen in der Ferne kündigte ein Gewitter an. Nachdem es zu regnen begonnen hatte, schnitten die Autoreifen tiefe Furchen in den nassen Erdboden. Ihr Wagen setzte auf einem Stein auf und ein Fortkommen war nicht mehr möglich. Anne verfluchte ihre Neugierde. Wäre der junge Mann nicht gewesen, der von einem Zauberstab und einer Ruine gefaselt hätte, dann wäre sie jetzt nicht hier. Mit sich selbst schimpfend stieg sie aus dem Wagen. Sie griff sich ihre Tasche und marschierte los. Sehr weit dürfte die Ruine nicht mehr sein.

Mehrmals bemerkte Anne einige Vögel, die sie als Eulen erkannte. Sie flogen bei diesem Wetter sehr dicht über dem Boden. Einige von ihnen schienen etwas im Schnabel zu halten. Nach einer Dreiviertelstunde Fußmarsch erreichte Anne ein Dorf. Erleichtert atmete sie auf, denn endlich könnte sie jemanden nach dem Weg fragen. Sie war pitschnass und mit Schlamm bedeckt. Zudem hatte die lange Reise und die anstrengende Wanderung im Regen sie sehr müde gemacht. Auf den Straßen hielt sich bei diesem Sauwetter niemand auf.

Sie ging an einigen Läden vorbei, deren Namen sie stutzig machten. „Zonkos“ war noch der harmloseste Name, aber ein Kleiderladen namens „Besenknechts Sonntagsstaat“ war ihr reichlich suspekt. Anne bemerkte, dass an einem der Gebäude viele Eulen landeten oder sich gerade erhoben. Wenn sie nicht wüsste, dass es nicht möglich wäre, würde Anne vermuten, die Vögel würden Briefe und Päckchen mit sich führen. Selbst bei prasselndem Regen ließ Anne es sich nicht nehmen, das Schaufenster eines Geschäfts namens „Honigtopf“ zu bewundern. Beim Betrachten der üppig ausgelegten Süßigkeiten lief ihr das Wasser im Mund zusammen.

„Die drei Besen“ hörte sich nicht nur vom Namen her nach einem Lokal an. Durch die Fenster hindurch erkannte Anne eine Theke, hinter der eine gut aussehende Frau Bier einschenkte. Das Lokal war nicht gut besucht, was am Wetter liegen mochte. Anne blickte an sich herab. Sie machte einen schmuddeligen Eindruck mit ihren dreckigen Hosenbeinen und der durchnässten Kleidung. Nichtsdestotrotz öffnete sie die Tür und trat hinein.

„Ach du liebe Güte!“, sagte die Frau, die ihre Theke verließ und auf Anne zustürmte. „Ich hätte nicht gedacht, dass sich jemand bei diesem Wetter freiwillig draußen aufhält.“, sagte die Wirtin lächelnd, womit sie Anne ansteckte. Anne erstarrte vor Schreck, als die Wirtin einen Stab zog und im Handumdrehen ihre Kleidung säuberte und trocknete. Sprachlos ließ sie sich von der netten Frau an einen Tisch führen. „Kommen Sie, kommen Sie! Setzen Sie sich! Ich bringe Ihnen ein heißes Butterbier, das wird Sie aufwärmen!“, sagte die Frau und verschwand hinter der Theke.

Skeptisch befühlte Anne ihre Hosenbeine. Sie waren tatsächlich trocken. Das konnte nur Zauberei sein, aber so etwas gab es doch gar nicht. Die Wirtin hatte sich als Madame Rosmerta vorgestellt, nachdem sie Anne einen Krug mit dampfender Flüssigkeit vor die Nase stellte. Es roch etwas süßlich und war daher ganz nach ihrem Geschmack.

Auf einer Toilette des Ministeriums musste Severus seinen Patensohn zunächst beruhigen, bevor sie sich zurück auf den Weg nach Hogwarts machen konnten. Severus fragte nicht, wie das Gespräch mit seinem Vater verlaufen war und Draco machte keine Anstalten, von sich aus zu reden.

Als sie Hogwarts erreichten, sprach Severus einen Zauber, der beide auf der Stelle trocknete, denn auch sie waren dem Gewitter kurze Zeit ausgesetzt. Wortlos verschwand Draco in seinem Zimmer. Severus seufzte. Sein Patensohn schien erneut in Melancholie zu versinken. Er bezweifelte, Draco dieses Mal helfen zu können, denn ihm selbst ging es zurzeit nicht anders. Wie konnten zwei niedergeschlagene Menschen sich gegenseitig davon abbringen, sich ihrem Lebensüberdruss zu ergeben?

Von einem Bellen in den Gängen des Kerkers wurde Severus dazu angetrieben, seinen Weg schneller fortzusetzen. Er befürchtete, der Hund hätte allein einen Weg nach draußen gefunden. Nicht einmal Severus kannte alle Geheimgänge in Hogwarts. Vor der Tür zu seinen Räumen lungerte Harry herum und er hielt den Hund an der Leine. Mit weit wehendem Umhang kam Severus auf Harry zugestürmt. Ohne Umschweife belferte Severus: „Was zum Teufel machen Sie hier, Potter? Wie können Sie es wagen, in meiner Abwesenheit meine Räumlichkeiten zu betreten?“
Harry starrte ihn verdutzt an und erklärte: „Ich war gar nicht in Ihren…“
„LÜG mich nicht an! Wie sonst konntest du an den Köter kommen? Denn der war IN meinen Räumen!“, wütete Severus wie in alten Zeiten.
Plötzlich sagte eine weitere Stimme: „Komm schon, Severus. Der junge Mann war tatsächlich nicht bei dir drin. Ich habe nur auf gemacht, damit der Hund raus kann, weil der schon an der Tür gekratzt hat. Das ist ein Unterschied! Meinst du nicht auch?“
Severus blickte mit böse blitzenden Augen auf Salazar Slytherin, der in Form eines Gemäldes seine Räume bewachte und konterte: „Ich erwäge ernsthaft, dich gegen Sir Cadogan zu tauschen! Der kann zumindest Aufgaben erfüllen, die man ihm aufträgt!“
Salazar schnaufte höhnisch, bevor er antwortete: „Ich habe die mir aufgetragenen Aufgaben erfüllt, Severus, denn ich habe niemals jemanden IN deine Räume hineingelassen! Andere Befehle habe ich nie erhalten…“ Salazar grinste überlegen, denn er wusste, dass er Recht hatte. Severus hatte ihm niemals ausdrücklich verboten, die Türen in seiner Abwesenheit zu öffnen.

Drinnen war Severus nicht besser gelaunt. Dracos Trübsinn hatte seine eigene Niedergeschlagenheit, die er mit Aggression zu überspielen hoffte, noch verstärkt. Harry war ihm wortlos und unaufgefordert gefolgt, um den Hund im Wohnzimmer von der Leine zu lassen. Als Severus sich umdrehte und überraschenderweise Harry erblickte, sagte er aufgeregt: „Verschwinden Sie, Potter!“
Rebellisch entgegnete Harry: „Hören Sie auf damit! Lassen Sie Ihre Launen nicht an mir aus! Ich habe nichts Unrechtes getan…“
„Ich sagte…“, aber Snape kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden.
Energisch konterte Harry ohne Sprechpausen, die Snape für sich hätte nutzen können: „Nein, jetzt hören Sie mir mal zu! Ich glaube, es ist an der Zeit, meine Gegenleistung einzufordern. Ich habe versprochen, dass es nichts sein wird, was Sie nicht erfüllen können. Jetzt sag ich Ihnen, was ich will: Sie sollen nett sein! Sie sollen aufhören, mich anzuschreien, wann immer es Ihnen passt. Und ich will nicht, dass Sie sich ständig mit Sirius streiten, wenn sie sich über den Weg laufen und ich will, dass Sie mir mindestens den Respekt schenken, den Sie allen anderen Kollegen ebenfalls entgegenbringen!“

Völlig verblüfft starrte Severus auf den jungen Mann, der einst sein verhasster Schüler war. Potter, der die Welt von Voldemort gesäubert hatte. Harry, der genauso viel Mut und Stärke bewiesen hatte, wie er selbst. Severus hatte ihm viel zu verdanken; zum Beispiel seine Freiheit. Und was war es, das Harry einforderte? Dass Severus „nett“ sein sollte…

Severus bereute es tatsächlich, seine schlechte Laune an Harry ausgelassen zu haben. Zurückhaltend antwortete er seinem ehemaligen Dorn im Auge: „Mr. Potter, hätten Sie mir auferlegt, Ihnen die Köpfe von den flüchtigen Todessern Crabbe, Goyle und Macnair bis morgen früh um sieben auf einem silbernen Tablett zu liefern, wäre ich weitaus weniger überrascht gewesen. Zudem fiele mir diese Aufgabe auch wesentlich leichter als das, was Sie von mir verlangen.“
Verdutzt fragte Harry: „Wieso sollte es leichter sein…?“
Severus unterbrach ihn und führte ihm vor Augen: „Sie verlangen von mir, Mr. Potter, dass ich mein Wesen ändern soll! Nicht einmal für einen Lebenspartner sollte man so einer Bedingung Folge leisten und schon gar nicht werde ich das tun, nur weil Sie meinen Hund drei Mal täglich ausführen.“ Harry antwortete nicht. Er fühlte sich plötzlich ganz klein mit Hut. Nach einem Augenblick sagte Severus ruhig: „Ich werde mich mit einem angemessenen Gegenwert erkenntlich zeigen, wenn Sie sich darüber im Klaren sind, was ich mit angemessen meinen könnte!“ Severus hatte es fertig gebracht, dass Harry sich wieder wie ein Schuljunge fühlte, der zurechtgewiesen worden war.

Nachdem er einmal geschluckt hatte, sagte Harry mit verhaltener Stimme: „Dann möchte ich, dass Sie es zumindest versuchen. Wenn es nicht klappt, dann eben nicht, aber Sie sollen es versuchen…“
Severus gab dem Verlangen nicht nach, Harry mit einem Tritt in den Hintern aus seinen Räumen zu werfen und ihm noch hinterher zu rufen „Tut mir leid, Potter. Ich hab’s wirklich versucht!“ Stattdessen antwortete er: „Das ist eine Sache, die Sie nicht einmal überprüfen können. Ich könnte nur so tun…“
Harry unterbrach und versicherte: „Nein, ich vertrau Ihnen. Ich vertraue darauf, dass Sie es zumindest versuchen werden!“
Severus schenkte Harry seine berühmte, hochgezogene Augenbraue. Er fügte sich und sagte letztendlich: „Wenn Sie so nett wären und mich nun allein lassen würden?“

Madame Rosmerta beäugte Anne skeptisch, als diese mit Muggelgeld bezahlen wollte. Vorsichtig fragte sie ihren Gast: „Sie haben es wohl nicht mehr zur Bank geschafft? Ach was soll’s, nehme ich eben Muggelgeld.“ Gedanklich notierte Anne das Wort „Muggel“. Ohne auf Madame Rosmertas Frage einzugehen, holte sie die Schottlandkarte aus ihrer Tasche und zeigte auf die Ruine.
„Wissen Sie, wie ich am besten da hinkomme?“
Madame Rosmerta wurde stutzig, als es sich bei der Landkarte ebenfalls um eine der Muggel handelte. Sie blickte auf das Symbol der Ruine und fragte verdutzt: „Hogwarts? Was wollen Sie gerade da? Sie sehen mir nicht wie eine Lehrerin aus…“

An Madame Rosmerta vorbeischauend bemerkte Anne zwei Gäste, die sich mit einem Levitationszauber eine Schale Erdnüsse von einem der leeren Tische mopsten. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als ihr klar wurde, dass sie es hier tatsächlich mit Zauberern zu tun hatte, doch bisher hatte ihr weder Draco noch Madame Rosmerta etwas Schlimmes angetan. Nach außen hin ruhig bleibend erwiderte sie: „Ich möchte einem Bekannten seinen Zauberstab wiederbringen. Er hat ihn bei mir vergessen und da dachte ich, besuch ich ihn auch gleich!“ Sie hoffte, ihre Erklärung würde reichen.

Zum dritten Mal an diesem Tag besuchte Harry seinen zukünftigen Kollegen, um mit dessen Hund am Abend nach draußen zu gehen. Mittlerweile hatte Snape dem Gemälde zu seinen Räumen die Erlaubnis gegeben, Harry jederzeit Einlass zu gewähren – natürlich nur des Hundes wegen. Als Harry das Wohnzimmer betrat, wurde er stürmig von dem jungen Kuvasz begrüßt. Dieses Mal ließ Harry sich nicht von dem Tier ablenken. Sein Blick ruhte auf Snape, der regungslos auf der Couch lag und eine Armbeuge über die Augen geworfen hatte. In der Annahme, Severus würde schlafen, sagte er leise zu dem Vierbeiner: „Still, sonst wecken wir ihn noch!“

Snape hingegen schlief nicht. Er hatte nachgedacht: über Draco, über seinen Beruf, über sein Leben. Schon früher war Severus zu dem Resultat gekommen, er hätte kein eigenes Leben. Schlimmer war, dass er jetzt noch immer so dachte. Er lauschte seinem Gast, bevor er sagte: „Ich schlafe nicht, Potter.“ Nachdem er sich aufgesetzt hatte, fragte er höflich: „Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?“
Schweren Herzens lehnte Harry mit den Worten ab: „Nein Professor, vielleicht wenn ich zurückkomme, aber erst muss Harry nach draußen. Sie möchten doch nicht, dass es hier einen“, er stockte und fügte leise an, „kleinen Unfall gibt.“

Severus war aufgefallen, dass der Hund nicht mehr auf den Teppich gemacht hatte, seitdem Harry ihn regelmäßig ausführte. Er nickte daraufhin lediglich und starrte auf die Teekanne, die ihm ein Hauself vor wenigen Minuten gebracht hatte. Professor McGonagall hatte heute früh erwähnt, sie wollte die anderen Hauselfen, die sie in Sicherheit gebracht hatte, bald zurückholen.

Nachdem er den Hund an die Leine genommen hatte, blickte Harry zu Snape hinüber. Ihm fiel auf, dass er bedrückt wirkte. Die sonst so kontrollierte und daher emotionslose Miene war aus dem Gesicht verbannt. Zurück blieben eine in Falten gelegte Stirn, zusammengepresste Lippen und Augen, die viel zu viel Kummer widerspiegelten. Mitfühlend fragte Harry: „Geht es Ihnen gut, Sir?“
Ein sorgenlastiger Blick wurde ihm zugeworfen, bevor die Antwort folgte: „Ja, danke der Nachfrage, Potter.“ Es war offensichtlich, dass Severus gelogen hatte.
Nachdem Harry einmal leise geseufzt hatte, schlug er vor: „Vielleicht möchten Sie einmal mitkommen?“
Erstaunt zog Severus eine Augenbraue in die Höhe. Er wollte verneinen, antwortete jedoch geschlagen: „Warum nicht…?“

„Wo führen Sie ihn in der Regel ’Gassi’?“, fragte Snape, während sie einen der unüberdachten und durch das Gewitter mit großen Pfützen angereicherten Höfe von Hogwarts überquerten.
Ab und an langsamer gehend oder stehen bleibend, damit der Hund überall schnuppern konnte, antwortete Harry: „Na ja, erst einmal geh ich runter vom Gelände. Eine Schule voller Häufchen wäre kein schöner Anblick. Und dann überlasse ich es meist Harry, wo wir hingehen.“ Kaum hatten sie die Brücke hinter sich gelassen, zog der Hund aufgeregt in eine Richtung. Die Männer unterhielten sich wenig. Meist war es Harry, der hin und wieder etwas sagte, auch wenn er nur eine liebenswerte Eigenart des Hundes beschrieb.

Während des Spaziergangs ging die Sonne unter und flutete den Himmel und mit roter Farbe. Severus blieb einen Augenblick stehen und betrachtete das Naturereignis. Dann schloss er die Augen und ein Seufzer entwich ihm. Einen Augenblick später fühlte Severus eine Hand auf seiner Schulter. Sie packte kurz zu, um ihm Halt und Stärkung zu versichern. Die Wärme der Hand bahnte sich ihren Weg durch seine Kleidung und drang hindurch bis zur Haut. Das Gefühl war angenehm, denn es vermittelte Zuspruch, Trost und… Als Severus sich ins Gedächtnis zurückrief, wer ihn da an der Schulter packte, öffnete er entsetzt die Augen und drehte sich blitzschnell um. Harry erschreckte und machte einen Satz nach hinten. Über die Leine stolpernd landete er mit dem Gesäß auf dem Boden.

Keiner von beiden kommentierte den Vorfall. Sie unterhielten sich über das Wetter. Innerlich schüttelte Harry ständig den Kopf. Er fand nichts dabei, einem Kollegen auf die Schulter zu klopfen. Trotzdem hatte er Bedenken. Was, wenn Snape ihn deswegen wieder hassen würde? Er war nie jemand, der mit körperlichem Kontakt großzügig umging. Ein kräftiger Händedruck war das einzige, was man von dem griesgrämigen Mann erhoffen konnte.

Mittlerweile konnte Harry mit dem mürrischen Mann besser umgehen. Sarkastische Spitzen überhörte er einfach, wenn ihm keine passende Antwort dazu einfiel. Es lag Harry am Herzen, dass Snape sich wohl fühlte. Jeder andere fühlte sich doch auch wohl, jetzt nachdem Voldemort nicht mehr war, aber sein zukünftiger Kollege… der war nicht nur sarkastisch und zynisch wie immer, sondern jetzt auch noch niedergeschlagen, was Harry durchaus bemerkt hatte. Er selbst war oft genug depressiv gewesen und glaubte, diese Stimmung bei anderen erkennen zu können.

Wenn Harry sich schlecht fühlte, half es am meisten, wenn er mit Ron oder Hermine sprechen konnte. Reden half immer, aber Harry wusste, dass Snape kein Mann der vielen Worte war. Als er ihn vorhin so traurig vorgefunden hatte, machte es ihn ebenfalls traurig. Zumindest war es aber schon ein Anfang, dass sie beide miteinander reden konnten. Vielleicht kamen sie jetzt besser miteinander aus, weil Harry nicht mehr ständig befürchten musste, Hauspunkte zu verlieren.

Während ihres Spaziergangs plapperte Harry drauf los und erklärte, mit dem Zeigefinger gen Himmel zeigend: „Die Wolke da hinten: das ist eine Cumulonimbuswolke. Trifft sie auf eine Front, würde ein weiteres Gewitter ausbrechen, wie vorhin, aber ohne Front wird sie sich einfach auflösen.“

Severus blickte zu der Wolke, die wie ein riesiger, dunkler Pfifferling gen Himmel ragte. Für einen Moment zog der einen abstrusen Vergleich. Würde er sich auch auflösen, wenn es keine Fronten mehr gäbe, die ihn daran hindern würden?

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Muggelchen
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016 Spiegel der Seele




Nachdem das Gewitter abgeklungen war, bedankte sich Anne bei Madame Rosmerta für die Wegbeschreibung zum Schloss. Die nette Eigentümerin der Gaststätte „Die drei Besen“ hatte die Ruine ständig „Hogwarts“ genannt und von diesem Ort gesprochen, als wäre es eine Schule.

Jeder ihrer Schritte erzeugte ein schmatzendes Geräusch unter den Füßen, als sie über den durchnässten Sandweg lief. Neben einer dunklen, pilzähnlichen Wolke erkannte Anne in der Ferne die gesuchte Ruine. Kurz danach versicherte ihr ein hölzerner Wegweiser, dass sie sich nicht verlaufen hatte: Hogsmeade stand auf dem Schild, das in die Richtung zeigte, aus der sie kam und so machte sie sich auf nach Hogwarts.

Als sie den Überresten des einst imposanten Schlosses näher kam, schienen kleine Lichtblitze an den porösen Wänden entlangzugleiten. Verwundert blieb Anne stehen. Die Lichtblitze breiteten sich immer mehr aus. Sie krochen an den Wänden der Ruine empor, glitten durch die Ritzen der Steine, umkreisten die Bögen ehemaliger Fenster und schlängelten sich spiralförmig an den Türmen hinauf. Langsam ging Anne einige Schritte näher. Bald musste sie sich die Augen bedecken, denn das Licht wurde unerträglich hell.

Nach wenigen Minuten blinzelte sie unter ihrem Arm hervor. Vor lauter Staunen riss sie ihre Augen weit auf. Sie blickte nun nicht mehr auf die Überreste eines Schlosses, denn das Lichtermeer hatte aus der Ruine ein märchenhaftes Gebäude gezaubert. Durch die Schönheit der Verzierungen paralysiert führte Anne langsamen Schrittes ihren Weg durch einen gestelzten Rundbogen fort.

Harry und Severus waren gerade wieder zurück von ihrem Spaziergang, da meldete sich Professor Dumbledore per Flohnetz bei Severus. Ein Eindringling wäre in Hogwarts, erklärte er mit gelassener, fast schon amüsierter Stimme. Harry hatte das Gespräch stillschweigend verfolgt. Er bemerkte, wie Severus mit einem Male wie ausgewechselt schien. Aufgeweckt fragte er Dumbledore, wo der Eindringling wäre und wie man ihn dingfest machen wollte. Harry grinste bei dem Gedanken, eben Zeuge dessen gewesen zu sein, wie Severus in seinen Spion-Modus gewechselt hatte. Der ältere Herr versicherte, dass es keinen Grund zur Sorge gäbe, aber dass man den Eindringling empfangen sollte, damit dieser sich nicht im Schloss verlaufen würde.

Nach einer kurzen Anweisung zog Severus seinen Stab und sagte forsch: „Kommen Sie, Potter!“ Er hatte arge Probleme, mit Severus Schritt zu halten. Nachdem sie einige Gänge und Kurven hinter sich gelassen hatten, bemerkten sie eine junge Frau in der Eingangshalle, die sich sorglos die Decke anzusehen schien, während sie sich wie in Zeitlupe drehte. Harry wollte Severus gerade mitteilen, dass er die Frau für harmlos hielt, da stürmte der bereits mit erhobenem Zauberstab auf sie zu. Mit knurrender Stimme sagte er so beängstigend laut, dass ein Echo in der Halle zurückgeworfen wurde: „Stehenbleiben und keine Bewegung! Wer sind Sie und was machen Sie hier?“

Die hohe Decke und die endlosen Verzierungen an den Wänden hatten Anne den Atem geraubt. Als sie eine laute Stimme hörte, zuckte sie zusammen. Sie ließ ihre Reisetasche fallen und wich einen Schritt zurück. Nochmals wurde ihr zugerufen: „STEHENBLEIBEN!“ Anne erstarrte zur Salzsäule.

Ein großer, in schwarz gekleideter Mann mit eindrucksvoll wehendem Umhang stürmte auf sie zu und presste ihr einen Stab an die Kehle. Um Schlimmeres zu verhindern, folgte Harry ihm. Er betrachtete ihre Tasche und erkannte darauf das Logo einer Markenfirma aus der Muggelwelt. Dadurch war er nur noch mehr davon überzeugt, dass von ihr keine Gefahr ausging. Mutig sagte er mit ruhiger Stimme: „Ähm… Professor Snape. Ich denke, das ist nicht notwendig, die Frau zu bedrohen. Professor Dumbledore sagte, wir sollten sie ’empfangen’!“

Mit zittriger Stimme schilderte Anne: „Also, ich bin in meinem Leben durchaus schon mal in eine Situation geraten, in der man mich bedroht hat und ich hatte auch schon einmal ein Messer an der Kehle. Aber nie – wirklich noch niemals – hat mich jemand mit einem Holzstab bedroht!“
Severus stutzte und überlegte, wer zu einem Zauberstab so plump Holzstab sagen würde, da fiel sein Blick auf ihre Kleidung. „Ein Muggel?!“, sagte Severus entgeistert zu sich selbst.
Die junge Frau antwortete: „Das Wort hab ich heute schon einmal gehört! Wenn Sie mir erklären, was genau ein Muggel ist, dann kann ich Ihnen auch sagen, ob ich einer bin.“
Langsam ließ Severus seinen Zauberstab sinken. Harry schaltete sich ein und fragte mit freundlicher Stimme: „Können Sie zaubern?“
Sie schüttelte den Kopf und antwortete: „Nein, ich hab ein paar Kartentricks drauf, aber das zählt wohl nicht.“
Lächelnd klärte Harry auf: „Dann sind Sie ein Muggel. Muggel sind Menschen, die nicht zaubern können.“ Bevor er ausholen konnte, gesellten sich Sirius und Dumbledore zu den dreien.

Mit einem Glitzern in den Augen stellte Professor Dumbledore sich namentlich vor und begrüßte seinen Gast mit den Worten: „Willkommen in Hogwarts, Miss…?“
„Adair, Anne Adair.“ Nach kurzer Bekanntmachung erklärte Anne: „Ich habe einen Zauberstab dabei. Er gehört einem jungen Mann namens Draco und er meinte, er würde hier wohnen.“
Erstaunt dreinblickend fragte Severus: „Sie haben seinen… Wie sind Sie in den Besitz des Zauberstabes gelangt?“ Sie erklärte nur kurz, wie sie Draco kennen gelernt hatte und ließ absichtlich die Details bezüglich seiner Trunkenheit aus, die ihn in ein schlechtes Licht rücken könnten. Sie hätte einen Tag später seinen Zauberstab gefunden, den sie jetzt zurückbringen wollte, sagte die junge Frau. Severus war ein wenig enttäuscht, dass Draco ihm davon nichts erzählt hatte. Nach einer Weile bot Dumbledore ihr für die Nacht ein Zimmer im Schloss an. Er beauftragte Sirius damit, dem Gast die Unterkunft zu zeigen und sie mit den beiden Hauselfen vertraut zu machen. In Harrys Augen schien Sirius von dem Gast sehr angetan.

Kurz nach dem Vorfall mit Anne schlug Severus genervt den Weg in die Kerker ein. „Warum folgen Sie mir? Der Hund war heute schon dreimal draußen!“, fragte Severus, als Harry vor dem Gemälde von Salazar Slytherin stand.
„Ähm…“, Harry war um eine Antwort verlegen. Er hatte den ganzen Weg über von der jungen Frau gesprochen, weil er es seltsam fand, dass ein Muggel Hogwarts sehen konnte. „Na ja, ich dachte, ich bekomme einen Tee. Sie haben mir vorhin einen angeboten und…“
Harry wurde unterbrochen, als Snape schnippisch erwiderte: „Das war vor über zwei Stunden, Potter!“
Achselzuckend konterte Harry: „Na und? Wir müssen morgen ja nicht früh raus oder? Was spricht gegen eine Tasse Tee am Abend?“
Seufzend ließ Severus Harry in sein Wohnzimmer, bevor er entgegnete: „Normalerweise genehmige ich mir einen Feuerwhisky oder einen Schluck Elfenwein um diese Uhrzeit und keinen Tee!“
„Oh, dann nehme ich einen Feuerwhisky! Danke!“, sagte Harry lächelnd, weil er den Zaubertränkelehrer somit nötigte, ihm ein Gastgeber zu sein. Severus rollte seine Augen, schenkte jedoch zwei Gläser Whisky ein.

Nach dem ersten Feuerwhisky, der ihm in der Kehle brannte, fragte Harry bereits leicht angetrunken, weil er Alkohol überhaupt nicht gewohnt war: „Wäre Miss Adair nicht jemand für Sie?“
Die Augenbrauen zusammenziehend fragte Severus: „Was meinen Sie?“
Ungefragt schenkte Harry sich nach und erklärte nebensächlich klingend: „Na ja, ich meine, wäre sie als Frau nicht jemand für Sie? Sie könnten sich doch näher mit ihr bekannt machen.“
Grantig erwiderte Severus: „Und warum sollte ich das bitte wollen?“ Severus ahnte, auf welche Art Gespräch Harry aus war und das gefiel ihm ganz und gar nicht.
„Ach, Sie wissen doch, was ich meine!“, sagte Harry gespielt vorwurfsvoll.

So oft wie an diesem Abend hatte Severus noch nie mit den Augen gerollt. Das zweite Glas zur Hälfte getrunken erklärte Harry etwas lallend: „Ich hab mich neulich mit Sirius über Sie unterhalten und ich denke, dass eine Frau Ihnen gut…“
Severus war abrupt aufgestanden und blickte Harry durch vor Zorn verengte Augenlider an, als er bedrohlich leise befahl: „Verlassen Sie mein auf der Stelle meine Räumlichkeiten!“

Es war der Fakt, dass Harry sich über ihn mit Black unterhalten hatte, was ihn zur Weißglut brachte. Wenn Black über ihn sprach, dann fiel mit Sicherheit kein einziges nettes Wort. Der Gedanke daran, dass Harry, den Severus von Tag zu Tag besser leiden konnte, sich zusammen mit dessen Patenonkel über ihn das Maul zerriss, verletzte ihn.

„Haben Sie nicht gehört, Potter!“, zischelte Severus. Harry blickte ihn entsetzt an, bevor er auf den Boden starrte und die Schultern hängen ließ. Etwas irritiert über Harrys ruhige Reaktion wollte er gerade seine Aufforderung wiederholen, da sagte Harry kleinlaut und hörbar alkoholisiert: „Ich überlege gerade, mit was ich Sie so verärgert habe. Das wollte ich bestimmt nicht, Professor Snape. Es war doch bisher ein netter Abend. Es tut mir Leid!“

Harry seufzte. Er leerte sein Glas in einem Zug, bevor er aufstand und sich torkelnd zur Tür begab. Er hatte schon ewig nichts Alkoholisches mehr getrunken und war von den beiden Gläsern des kräftigen Whiskys ordentlich beschwipst. Severus folgte ihm und öffnete die Tür kommentarlos. Als Harry über die Schwelle getreten war, drehte er sich um und fragte hoffnungsvollen Blickes: „Wir sehen uns morgen, ja? Wie immer?“ Der Ärger schien verflogen, als Severus in die großen, grünen Augen hinter der runden Brille blickte, die erwartungsvoll auf ihn gerichtet waren. Severus brachte plötzlich kein Wort heraus. Er schluckte mehrmals, aber auch das half nicht. So konnte er Harry nur mit einem Nicken deuten, dass sie sich morgen vor dem Frühstück sehen würden. Harry lächelte erleichtert, bevor er eine gute Nacht wünschte.

Sich noch einen Whisky einschenkend fragte Severus sich, warum es ihn sprachlos gemacht hatte, in Harrys Augen zu blicken. Er hatte so viel in ihnen erkannt. Die Angst war zu sehen, nicht mehr täglich vorbeikommen zu dürfen oder das Bedauern darüber, Severus unbeabsichtigt gekränkt zu haben. Als Severus sich darüber klar geworden war, dass es Gefühle waren, die sich in Harrys Augen offenbart hatten, befürchtete er, man könne das gleiche womöglich auch in seinen eigenen Augen sehen.

Auf der Treppe, die in den ersten Stock führte, traf ein schwankender Harry auf Draco. Schmunzelnd beobachtete Draco, wie Harry sich am Geländer nach oben zog. Harry bemerkte ihn erst, als er ihn versehentlich angestoßen hatte. Belustigt fragte Draco: „Na, wie viele Gläschen haben dazu geführt, dass du nicht mehr aufrecht gehen kannst, Potter?“ Auf die undeutliche Antwort hin, es wären nur zwei Gläser Feuerwhisky gewesen, lachte Draco herzhaft auf und murmelte: „Weichei…“ Kurz darauf brabbelte Harry etwas vor sich hin.
Draco beugte sich vor und lauschte, als Harry sagte: „Er ist sauer auf mich.“
„Wer? Snape?“, fragte Draco amüsiert. Harry nickte heftig und erzählte, wie er Severus den heutigen Gast schmackhaft machen wollte. Draco stutzte, bevor er nachhakte: „Was für einen Gast?“ Um die Unterhaltung nicht zu unterbrechen, packte Draco den Betrunkenen grob am Arm, um ihn nach oben zu begleiten. Harry erzählte von der Frau und wie er versucht hatte, Interesse für sie bei Severus zu wecken. Kichernd kommentierte Draco: „Vielleicht solltest du es einfach unterlassen, Snape verkuppeln zu wollen!“
Zum Schluss erklärte Harry: „Sie sagte übrigens, sie hätte deinen Zauberstab!“

Mit brummendem Schädel erwachte Harry auf seinem Bett liegend. Er war noch angekleidet, aber die Schuhe und seinen Umhang hatte ihm jemand ausgezogen. Angestrengt überlegte Harry, was gestern geschehen war. Er wusste noch, dass er bei Severus einen Whisky getrunken hatte. Er rief sich ins Gedächtnis zurück, dass es insgesamt sogar zwei waren. Er hätte das Abendessen doch nicht ausfallen lassen sollen, denn dann hätte der Whisky ihn nicht so umgehauen. Ganz neblig konnte er sich an einen Zwischenfall erinnern, aber nicht an den Auslöser. Er entsann sich zweier dunkler Augen, in denen er erst Wut und Enttäuschung, dann Verwirrung erkannt hatte. Harry schnellte hoch, als ihm bewusst geworden war, dass er irgendetwas gesagt haben musste, was Severus verletzt hatte. Gerade jetzt, wo er die Rivalität ihrer Vergangenheit gemeinsam zu bewältigen hoffte, war er mal wieder mal irgendetwas in einen Fettnapf getreten. Zudem fragte er sich, wem die Stimme gehört hatte, die ihm davon abgeraten hatte, Snape verkuppeln zu wollen? Harry grübelte und kam schließlich darauf, dass es Draco gewesen sein musste.

Nachdem Harry geduscht hatte, durchsuchte er seine Schränke. Irgendwo hatte er eine Flasche Nesselwein, die er kurz nach dem Zwischenfall mit Snapes Denkarium gekauft hatte, um sich bei seinem Zaubertränkelehrer zu entschuldigen. Er hatte jedoch nie den Mut gehabt, ihm das Geschenk zu überreichen. Snape hatte es ihm nach diesem Vorfall auch nicht gerade erleichtert, sich ihm aus freien Stücken nähern zu wollen.

Zur gleichen Zeit in Severus’ Gemächern grübelte der Ex-Todesser über seinen „Traum“ nach. Er hatte vor dem Einschlafen immer wieder diese grünen Augen vor sich gehabt. Verärgert darüber, von den Augen eines ehemaligen Schülers „geträumt“ zu haben, bereitete er sich selig darauf vor, Harry vor dem Frühstück anzutreffen. Er wollte es unbedingt vermeiden, dem jungen Mann in die Augen zu sehen, nachdem ihm gestern Abend klar geworden war, dass man über sie tatsächlich Gefühle vermitteln konnte. Aber würde man überhaupt etwas in seinen Augen sehen können? Das sollte nachdem, was vor rund zwanzig Jahren geschehen war, eigentlich ausgeschlossen sein und doch war sich Severus selbst nicht mehr sicher.

Mit eingewickelter Flasche betrat Harry das Wohnzimmer seines künftigen Kollegen und grüßte zuerst Severus, danach den Hund, der bereits freudig mit dem Schwanz wedelte. „Professor Snape, ich…“, Harry hielt inne, denn er hatte plötzlich Schwierigkeiten, seine heute früh vorgefertigte Entschuldigung auszusprechen. Er begann erneut, aber stockend: „Ich… Ich wollte…“

Von seinem ständigen Augenrollen schien er bereits Kopfschmerzen zu bekommen, weswegen Severus genervt befahl: „Bei Merlin, spucken Sie es endlich aus!“ Völlig aus der Bahn geworfen und unfähig, etwas sagen zu können, reichte Harry ihm die in Geschenkpapier eingewickelte Flasche. Verdutzt nahm Severus sie entgegen, bevor er fragte: „Was ist das?“
Gequält lächelnd antwortete Harry: „Das ist ein Geschenk… als Entschuldigung! Für was auch immer ich gesagt…“
„Nehmen Sie es zurück! Das ist nicht notwendig!“, sagte Severus verschmähend, aber sein Gast machte keine Anstalten, nach dem Präsent zu greifen. Demonstrativ hielt Harry seine Hände hinter dem Rücken.
Stattdessen entgegnete er: „Nein, die Flasche war schon seit Jahren für Sie bestimmt!“
Eine Augenbraue wanderte in die Höhe, bevor Severus skeptisch nachfragte: „Seit Jahren?“
Zustimmend nickend erklärte Harry: „Ja, in meinem fünften Schuljahr, wo ich… Professor Snape, ich möchte wirklich keine alten Geschichten aufwärmen. Nehmen Sie es einfach an, bitte!“
Severus spürte, dass er am längeren Hebel saß und sagte übermütig: „Ich werde kein Geschenk unter falschen Voraussetzungen annehmen. Wenn Sie mir diese Aufmerksamkeit einst zu einem völlig anderen Anlass überreichen wollten, dann möchte ich erfahren, zu welchem!“

Resignierend ließ Harry sich auf der Couch nieder und sammelte sich, bevor er erklärte: „Damals, als ich in Ihr Denkarium… Sie wollten, dass ich das erzähle, also hören Sie auf, mich mit Ihrem Todesblick zu bombardieren!“ Severus wandte den Blick von Harry ab und setzte sich ihm gegenüber, als Harry fortfuhr: „Ich hatte in ihr Denkarium gesehen und es tat mir Leid. Es tut mir immer noch Leid, dass ich Ihre Privatsphäre verletzt habe. Ich habe deswegen damals das Geschenk besorgt, na ja, eher von Fred und George besorgen lassen, weil man es mir nicht verkaufen wollte, aber ich hab’s entdeckt! Nur hatte ich nie“, Harry spielte nervös mit seinem Ärmel, „die Gelegenheit, es Ihnen zu überreichen.“
Ungläubig schnaufte Severus, bevor er spöttisch entgegnete: „Sie haben nie die Gelegenheit gehabt? Sie hatten fast ein Jahr Zeit, mir eine Entschuldigung entgegenzubringen und jetzt sagen Sie einfach, Sie hätten keine Gelegenheit gefunden? Wie überaus bedauerlich, Potter!“
Die Fäuste ballend sagte Harry bestimmend: „Okay, ich hatte Angst! Ich hatte Angst, dass Sie mir den Kopf abreißen, wenn ich mich außerhalb des Unterrichts auch nur in die Nähe der Kerker wagen würde!“

Severus blieb ruhig. Er wägte die Situation einen Moment lang ab und entschloss sich dazu, die überfällige Entschuldigung anzunehmen. Wortlos entfernte er sehr zu Harrys Erstaunen das Geschenkpapier und blickte auf das Etikett der Flasche Nesselwein. Nach einem kurzen Augenblick sagte Severus gedämpft: „Ich kann das nicht annehmen, Mr. Potter!“
Erbost über die abgelehnte Entschuldigung fuhr in Harry an: „Warum sind Sie so? Warum können Sie nicht ein einziges Mal in Ihrem Leben jemandem verzeihen? Was muss ich denn tun, um das wiedergutmachen zu können?“
Harry wollte nochmals loslegen, als Severus ruhig entgegnete: „Die Flasche ist viel zu kostbar, worüber Sie sich offenbar nicht im Klaren sind. Sie stammt aus einem Jahr, in welchem einige Nesselzüchter ihre Ländereien mit Einhornmist gedüngt haben. Diese Flasche Wein stammt aus einer Sonderabfüllung, die auf nur 300 Stück limitierte ist.“
Verblüfft riss Harry die Augen auf. Ihm entwich lediglich ein gehauchtes: „Echt?“
Über Harrys mangelhafte Konversation etwas ungehalten antwortete Severus: „Warum sonst, Mr. Potter, ist auf dem Etikett wohl ein Einhornkopf abgebildet? Und warum steht darunter ’182 von 300’?“

Es klopfte. Nachdem Severus die Tür geöffnet hatte, platzte die junge Frau von gestern Abend herein, die in Hogwarts nächtigen durfte. Sie fragte begeistert: „Hab ich eben was von Einhörnern gehört? Gibt es die tatsächlich?“ Harry nickte lächelnd. Bevor Severus zu Wort kam, sagte Anne: „Und ich dachte, er hätte nur geflunkert. Oh, ich würde so gern mal eines sehen! Er hat mir erzählt, dass es welche in eurem Wald gibt? Ich würde da so gern mal hin und erleben, wie es dort aussieht oder wie es dort riecht…“ Severus war kurz vorm Explodieren. Erst waren ihm gestern Abend zu seinem Entsetzen Harrys Augen nicht aus dem Kopf gegangen, dann wurde heute früh der peinliche Vorfall mit dem Denkarium angesprochen und nun musste er auch noch das euphorische Geschwätz einer fremden Frau ertragen, die ungebeten in sein Wohnzimmer getreten war.
Wütend höhnte Severus: „Wie soll es da schon aussehen? Überall liegt Einhornmist herum und es riecht auch danach!“

Abrupt verblasste Annes Begeisterung. Sie wandte sich mit ernster Miene an Harry und sagte wegen des zänkischen Kommentars des in Schwarz gekleideten Mannes betrübt: „Sirius meinte, du würdest uns vielleicht mit auf einen Spaziergang zum Wald mitnehmen?“
Harry nickte zustimmend und wollte gerade antworten, als Severus vor Wut geladen belferte: „Ach, sind Sie bereits per du mit Black? Er schickt Sie wohl, weil er sich selbst nicht zu mir traut? Sieht ihm ähnlich… Hat er Sie denn auch schon mit seinem Urteil über mich vergiftet? Ihnen vielleicht erzählt, was für ein schrecklicher Mensch ich sei, vor dem man sich in Acht…“
Gereizt fiel Anne ihm ins Wort, als sie konterte: „Er hat mir nicht erzählt, was für ein schrecklicher Mensch Sie wären. Keine Sorge, das braucht er auch nicht. Ich finde, Sie haben das ganz gut selbst im Griff!“ An Harry gewandt sagte sie: „Wir warten am Brunnen!“
„Oh nein, Sie brauchen nicht auf Potter zu warten. Er wollte gerade gehen, nicht wahr?“ Severus drückte ihm die Leine und den Nesselwein in die Hand und schob ihn zur Tür hinaus.
Das Verhalten des zornigen Mannes missbilligend sagte Anne: „Ihnen noch einen guten Morgen!“
Durch den Gang hallend zeterte Severus hinterher: „Wenn es diesem Tag an einer Sache mangelt, dann ist das ein guter Morgen!“ Dann hörte man die Tür zuschlagen.

Zitternd ließ Severus sich auf seiner Couch nieder. Was war nur mit ihm los? Er konnte sich seine Ausbrüche nicht erklären. Früher war er immer ein Experte darin gewesen, sich zu beherrschen und es war völlig egal, wie aufreibend eine Situation gewesen war. Warum brach sein Zorn jetzt immer häufiger ungebremst hervor? Warum regten ihn solche lächerlichen Kleinigkeiten überhaupt auf? Severus verstand die Welt nicht mehr. Irgendetwas ging in ihm vor. Er musste sich darauf konzentrieren, wieder der disziplinierte, unerschütterliche Snape zu werden, der er früher mal war.

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017 Aus den Augen, aus dem Sinn?




„Er ist ein wenig reizbar, nicht wahr?“, fragte Anne schmunzelnd. Harry seufzte, als er mit Anne und dem Hund an der Leine zum Brunnen ging. Mit der anderen Hand hielt er die Flasche Nesselwein umklammerte, die ihn immer wieder an Severus’ Wutausbruch erinnerte. Den Morgen hatte er sich anders vorgestellt. Er hätte Severus die Flasche geschenkt, um Entschuldigung gebeten und wäre vielleicht sogar mit ihm zusammen spazieren gegangen. Stattdessen hatte Severus gezetert, das Geschenk zurückgegeben und ihn hinausgeworfen – und das alles in Harrys Augen völlig grundlos.

Zusammen mit Sirius und Anne ging er am Rande des verbotenen Waldes entlang. Harry bemerkte, wie anders sich Sirius in ihrer Anwesenheit verhielt. Er versuchte, erwachsen zu wirken, was an sich schon komisch genug war und Harry zum Grinsen brachte. Anne hatte von dem Vorfall mit Snape berichtet, was sein Pate als Anlass nahm, über den Mann zu lästern und etwas aus dem Nähkästchen zu plaudern. Vor Anne wollte Harry seinen Paten nicht zurechtweisen, weshalb er einfach etwas Abstand zwischen die beiden und sich selbst brachte, um sich nicht über das zu ärgern, was Sirius über Severus sagte. Trotzdem hörte Harry immer wieder die Lästereien seines Paten. Harry versuchte wegzuhören, aber es misslang.

Um die Unterhaltung auf ein anderes Thema zu lenken, fragte Harry laut: „Sagt mal, hat Professor Dumbledore eine Erklärung dafür, warum ein Muggel Hogwarts sehen kann? Ich meine, können jetzt alle Muggel die Schule sehen?“
Sirius verneinte und antwortete: „Albus meinte, dass das Schloss sich dazu entschieden hat, sich ihr zu offenbaren. Entweder, weil Anne einen Zauberstab dabei hatte oder aus Gründen, die niemand aufdecken können wird. Wie üblich wird es wohl ein Geheimnis bleiben, aber ich bin froh, dass es so gekommen ist!“

Sein Patenonkel schaute erst zu Harry nach hinten und deutete dann mit Kopf auf Anne, bevor er seine Augenbrauen nach oben und unten tanzen ließ, was Harry zum Lachen brachte. Und gleich darauf begann Sirius erneut, über Severus zu herzuziehen. Er wünschte sich so sehr, dass sein Patenonkel endlich damit aufhören würde, zumindest in seiner Nähe. Stattdessen stimmte Anne auch noch in die Verunglimpfung des Zaubertränkemeisters mit ein. Aufgrund ihrer ersten beiden Begegnungen mit Snape hatte sie einen entsprechend schlechten Eindruck von ihm erhalten. Harry nahm die Flasche Nesselwein unter den Arm, blickte zu Boden und schloss die Augen.

Plötzlich war es still. Als Harry aufblickte, sah er niemanden mehr vor sich. Er fragte sich, ob die beiden vielleicht in den Wald hineingegangen waren, weil Anne doch so gern ein Einhorn sehen wollte. Auch wenn der Krieg vorüber war, stellte der verbotene Wald noch immer eine Gefahr dar. Die Zentauren waren nicht vollends den Menschen gegenüber wohlgesinnt. Und erst die Spinnen! Harry stöhnte genervt und verließ die Wiese, um einige Schritte in den Wald hineinzugehen. Er blickte sich einige Minuten lang um, aber niemand war zu sehen. Als er wieder am Waldrand angelangt war, machte er sich langsam Sorgen um die beiden. Von ihnen gab es keine Spur und er bekam es mit der Angst zu tun. Als auf sein Rufen niemand antwortete, rannte er zusammen mit dem Hund zurück ins Schloss.

Sein Weg führte ihn in die Kerker. Bei Severus angelangt rang er nach Atem, bevor er aufgeregt erklärte, dass seine beiden Begleiter vor seinen Augen verschwunden wären. Severus erhob sich von seinem Sessel und blickte Harry verdutzt an. Harry flehte: „Bitte, kommen Sie mit. Wir müssen sie suchen!“

Bestürzt und verwundert blickte Severus zur Tür, an welcher Black völlig außer Atem lehnte und immer wieder den Namen seines Patensohnes sagte, doch Harry reagierte nicht. Stattdessen flehte er: „Hören Sie nicht, Professor Snape? Sie müssen mir helfen!“
„Harry, ich bin doch hier! Warum bist du weggelaufen?“, sagte Black und betrat unaufgefordert Snapes Wohnzimmer.
„Wenn das ein Scherz sein soll, Mr. Potter, dann schlage ich vor, dass Sie ihn auf der Stelle beenden!“, zischelte Severus, der sich über Blacks Anwesenheit in seinem Wohnzimmer ärgerte.
„Komm Harry, wir gehen!“, schlug Sirius missgelaunt vor.
Fast zeitgleich sagte Harry sehr aufgebracht und den Tränen nahe: „Glauben Sie mir doch! Das ist kein Scherz! Sie sind verschwunden. Was, wenn ihnen etwas passiert ist? Was, wenn Todesser in der Nähe sind und man Sirius mit einem Portschlüssel entführt hat?“

Severus konnte sich nicht erklären, was vor sich ging. Der kurze Moment, in dem er geglaubt hatte, man würde ihn auf den Arm nehmen, war längst vorüber. Harry würde das nicht tun. Erst, als Sirius nach Harrys Oberarm griff und dessen Patensohn wegen dieser Berührung erschrocken schrie und zurückwich, wurde ihm klar, dass die Situation ernst war.

Harry war völlig verstört, nachdem er einen Druck auf seinem Oberarm gefühlt hatte, der schnell wieder verschwunden war. Wie ein in die Enge getriebenes Tier blickte er scheu um sich, während er hastig atmete und eine Hand auf seinen Oberarm presste.

„Mr. Potter!“, sagte Severus ruhig, bis er dessen Aufmerksamkeit erhalten hatte. Dann fuhr er mit bedachter Stimme fort: „Sagen Sie mir, wie viele Leute sich in diesem Raum befinden!“
Ungläubig lachte Harry auf, bevor er wütend entgegnete: „Was? Was soll der Blödsinn?“ Severus blieb ruhig, genau wie Sirius, der mittlerweile kreidebleich im Gesicht war und die Situation zu begreifen versuchte. „Mr. Potter, ich habe eine leicht zu beantwortende Frage gestellt. Wenn ich bitten dürfte?“
„Was…?“, begann Harry, aber Severus unterbrach mit seiner Lehrerstimme und forderte unmissverständlich die Antwort. Harry gab verstört nach und antwortete leise: „Wir beide. Zwei Personen! Aber warum…?“

„Setzen Sie sich!“, sagte Severus bestimmend. Sträubend gehorchte Harry, denn eigentlich wollte er zurückgehen, um Sirius und Anne zu suchen. „Mr. Potter, hören Sie mir gut zu! Wenn ich Ihnen versichern würde, dass Ihr werter Pate sich in diesem Augenblick in diesem Zimmer befindet, würden Sie mir glauben?“ Harry blinzelte ungläubig, bevor er erst zu Boden starrte und dann wieder aufblickte. Er war sich sicher, dass Severus ihn nicht anlügen würde. Genauso sicher war er sich jedoch auch, dass Sirius sich nicht im Zimmer befand. Was sollte er nun antworten?

„Würden Sie mir glauben?“, wiederholte Severus mit Nachdruck.
Harry schluckte einmal, bevor er mit zittriger Stimme antwortete: „Ich möchte Ihnen glauben, aber ich sehe ihn hier nicht. Er ist nicht hier!“
Severus erklärte mit emotionsloser Stimme, auch wenn er innerlich sehr besorgt war: „Vorhin, als Sie geschrieen hatten, da haben Sie eine Berührung am Oberarm gefühlt, nicht wahr? Das war die Stelle, an der Black Sie berührt hatte.“ Geistesabwesend führte er erneut eine Hand an seinen Oberarm.
Mit feuchten Augen fragte Harry, dessen Furcht sich unmissverständlich in seiner Stimme niederschlug: „Aber wenn er hier ist, warum kann ich ihn dann nicht sehen?“
Severus antwortete knapp: „Genau das gilt es herauszufinden, Mr. Potter!“

Unruhig und daher stetig seine Sitzposition ändernd, als säße er auf glühenden Kohlen, lauschte Harry seinem künftigen Kollegen.
„Ich möchte Ihnen einige Frage stellen!“, sagte Severus mit beruhigender Stimme.
Sirius warf ein: „Ich hole Albus!“
Severus nickte zustimmend und antwortete knapp: „Ja, holen Sie ihn!“
„Wen soll ich holen?“, fragte Harry verwirrt.
Sirius hatte den Raum bereits verlassen, da erklärte Severus: „Black informiert Professor Dumbledore.“ Harry zitterte nun wie Espenlaub. Für ihn war undenkbar, dass Severus irgendein fieses Psycho-Spiel mit ihm trieb. Es musste so sein, wie Severus es sagte: Sirius war im Raum, aber Harry konnte ihn nicht sehen.

Die Atmung des jungen Mannes war noch immer schnell und mittlerweile auch schnaufend, so dass Severus befürchtete, Harry würde womöglich hyperventilieren, wenn er sich nicht endlich beruhigen würde. Einem Schrank entnahm Severus ein kleines Fläschchen. Zehn Tropfen daraus fügte er in ein Glas, welches er mit Wasser auffüllte. Er reichte es Harry und befahl: „Trinken Sie!“
Ohne Bedenken leerte Harry das Glas und fragte erst danach: „Was war das?“
„Verdünnter ’Trunk des Friedens’. Er wird Sie beruhigen, aber Sie werden einen klaren Kopf behalten“, antwortete er bedächtig, während er zeitgleich eine Tasse Tee von seinem unberührten Frühstückstablett einschenkte und sie Harry reichte.

„Wenn Sie die Güte hätten, mir einige Fragen zu beantworten?“, fragte Severus. Nachdem Harry zugestimmt hatte, zauberte Severus sich Feder, Tintenfass und Pergament herbei und begann: „Ist Ihnen vor dem heutigen Vorfall schon einmal aufgefallen, dass Sie bestimmte Leute manchmal nicht wahrnehmen können?“
Sarkastisch entgegnete Harry: „Wie soll mir das auffallen, wenn ich sie gar nicht sehen kann?“
Severus holte einmal tief Luft, um keinen garstigen Kommentar zu entgegnen und erklärte dann: „Leute verschwinden nicht einfach, Mr. Potter. Ist es Ihnen schon einmal passiert, dass Menschen um Sie herum plötzlich nicht mehr da waren?“
Kopfschüttelnd erklärte Harry: „Nein, nicht dass ich wüsste…“
„Zweite Frage: sind Sie am Tag der Schlacht von Flüchen getroffen worden?“, fragte Severus, der noch Harrys Antwort und seine eigenen Gedanken zur ersten Frage notierte.
Wieder schüttelte Harry den Kopf und erklärte: „Jedenfalls von keinem, den ich bewusst wahrgenommen habe.“

Severus seufzte, bevor er sagte: „Sie werden ins St. Mungos gehen müssen, falls Sie mit wortloser Magie verhext worden sind. Madam Pomfreys Möglichkeiten halten sich in solchen Fällen leider in Grenzen. Bitte schildern Sie mir, was vorgefallen war, kurz bevor Sie geglaubt hatten, Black und seine“, Severus schnaufte, „Begleitung wären verschwunden.“ Aufgrund der missbilligenden Betonung des Wortes „Begleitung“ ahnte Harry, dass der Zaubertränkemeister Sirius keine anbahnende Beziehung gönnte. Harry zögerte. „Wenn Sie mir nicht antworten möchten, wäre es besser, wenn Sie sich unverzüglich auf den Weg ins Hospital machen“, sagte Severus enttäuscht darüber, dass Harry ihm offenbar nicht traute.
Doch Harry fühlte, dass Severus ihm helfen würde, weswegen er leise erklärte: „Ich hab mich geärgert. Die beiden liefen vor mir und ich hab Abstand gehalten und als ich aufblickte, war plötzlich niemand mehr da!“
„Geärgert über was?“, fragte Severus neugierig, als es gleich darauf an seiner Tür klopfte. Professor Dumbledore und Sirius betraten den Raum.
„SIRIUS!“, schrie Harry euphorisch und stürzte auf seinen Paten zu, um ihn zu umarmen.

„Was auch immer du getan hast, Snape…“, begann Sirius, aber Severus unterbrach ihn.
„Ich habe Mr. Potter lediglich einen Beruhigungstrank verabreicht“, erklärte Severus, der von Black keine Worte des Dankes hören wollte.
An Harry gewandt sagte Sirius: „Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt!“
„Ich dir? Ihr wart plötzlich verschwunden, nicht ich!“, verteidigte sich Harry.

Professor Dumbledore forderte Sirius auf zu erzählen, wie sich alles zugetragen hatte. Der Bitte kam er prompt nach. Er schilderte: „Wir waren spazieren. Harry hinkte etwas hinterher, also sind wir langsamer geworden!“
„Wir?“, fragte Dumbledore mit einem Zwinkern in den Augen.
Sirius grinste und fuhrt etwas stolz fort: „Miss Adair und ich! Wir haben immer wieder nach hinten gesehen. Irgendwann ist Harry in den verbotenen Wald gegangen und da bin ich ihm hinterher. Ich stand direkt neben ihm. Harry schien etwas gesucht zu haben und dann rannte er nach wenigen Minuten wieder aus dem Wald hinaus. Er begann nach mir zu rufen, dabei stand ich direkt vor ihm!“
Harry schüttelte ungläubig den Kopf und versicherte: „Nein, da war absolut niemand! Warum sollte ich nach dir rufen, wenn… Warum hab ich dich nicht gesehen?“
Professor Dumbledore ergänzte: „Und nicht gehört! Das ist eine gute Frage, Harry.“ An Severus gerichtet fragte der Direktor: „Eine Idee, Severus?“
Severus hasste es, vor Black zugeben zu müssen, dass er im Dunkeln tappte. Um sich nicht vollends die Blöße zu geben, empfahl Severus: „Ich lege nahe, Mr. Potter im St. Mungos auf wortlose Flüche testen zu lassen. Möglicherweise hat er in der Schlacht unbemerkt einen Schaden davon getragen.“

Sirius hatte seinen Patensohn ins St. Mungos begleitet. Es war nicht überraschend gewesen, dass man Harry durch seine Berühmtheit bevorzugt behandelt hatte. In allen Abteilungen, in die er gesandt worden war, hatte man ihn sofort aufgerufen, kaum dass er im Wartezimmer Platz genommen hatte. Es war Harry unangenehm gewesen, dass er vor den Patienten aufgerufen worden war, die hier schon längere Zeit auf eine Behandlung warteten und dabei hatte er nicht einmal Schmerzen. Ihm war nicht die Nase weggezaubert worden und sein Körper war auch nicht übersät mit eiternden, aufgeplatzten Furunkeln.

„Stachelschwein-Pastillen?“, fragte Harry mitleidig den Mann mit den Furunkeln.
Der Mann nickte und erklärte: „Ich würde ja selbst einen Heiltrank brauen, aber…“ Der Mann zeige seine Hände. An jeder Stelle, an der ein Härchen wuchs, hatte sich ein Furunkel gebildet. Erklärend sagte der Mann: „Ich kann nicht riskieren, dass der Tank verunreinigt wird.“

Vier Stunden lang wurde Harry von verschiedensten Heilern begutachtet. Man testete ihn auf Flüche, Zaubertränke und sogar auf Gegenstandszauber, wie zum Beispiel Voodoo. Harry hatte genau geschildert, was geschehen war. Vier der sechs Spezialisten winkten ab und bescheinigten Harry, dass er offenbar an einer stressbedingten Reaktion aufgrund des nervenaufreibenden Krieges litt und dies von allein verschwinden würde. Ein Professor empfahl abendliche Meditation, falls Harry per Legilimentik angegriffen werden würde und im Anschluss bat er noch dreist um ein Autogramm seines Patienten, welches Harry nur widerwillig gab. Der jüngste Heiler jedoch legte nahe: „Mr. Potter, Sie sollten eventuell in Betracht ziehen, sich jemandem anzuvertrauen. Reden Sie mit einem Freund über alles, was Sie bedrückt. Es wäre auch hilfreich, Tagebuch zu führen, um sich Ihrer Lasten zu entledigen!“
Als Harry und sein Pate das letzte Behandlungszimmer verließen, murmelte Sirius enttäuscht: „Quacksalber!“

Zuhause angelangt nahm Harry seinem Paten das Versprechen ab, keinem von seinem Problem zu erzählen. Es sollte sich niemand Sorgen machen. Nur, wenn dies häufiger auftreten sollte, würde Harry sich selbst seinen Freunden mitteilen. Sirius versprach es seinem Patensohn erst nach sehr langem Zögern. Er ging davon aus, dass sein Harry tatsächlich unter posttraumatischem Stress aufgrund des Krieges litt und dies mit viel Ruhe in den Griff zu bekommen wäre.
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018 Umfangreiche Eventualitäten




„Ich geh in die Winkelgasse! Möchtest du mitkommen?“, fragte Sirius scheinheilig.
Harry schüttelte den Kopf und sagte lachend: „Sirius, du sagst mir immer viel zu kurzfristig Bescheid. Ich bekomme langsam das Gefühl, dass du mich gar nicht dabei haben möchtest und du nur aus Höflichkeit fragst!“ Sirius fühlte sich ertappt, aber Harry winkte ab und sagte gespielt nachdenklich: „Lass mich raten, wo Miss Adair wohl wohnen mag. Mmhhh… Vielleicht in der Nähe der Winkelgasse?“
Verlegen grinsend bestätigte Sirius: „Ja, du hast Recht. Ich will nur nicht, dass du dich alleingelassen fühlst oder…“
„Nein, Sirius! Das ist völlig in Ordnung. Ich finde schön, dass du jemanden kennen gelernt hast! Und es macht mir auch nichts aus, dass du mehr bei ihr bist als hier in Hogwarts, wirklich!“, sagte Harry. Schelmisch grinsend fügte er hinzu: „Sie ist doch genau so, wie du sie dir vorgestellt hast oder? Sie ist witzig, intelligent, selbstbewusst, dazu noch ein Muggel, aber vor allem: sie ist nicht hübscher als du!“
Etwas verwirrt fragte Sirius: „Nicht hübscher? Ich dachte, sie wäre…“
„Du bist verknallt in sie! Natürlich gibt es für dich keine, die hübscher ist. Aber im Ernst, damit du mich nicht falsch verstehst: sie sieht wirklich nett aus! Grüß sie von mir, ja?“

Drei Monate lang traf sich Sirius bereits mit Anne. Drei Monate lang hatte Harry keine Probleme mehr. Drei Monate lang recherchierte Severus nun schon nach einem Grund für Harrys Wahrnehmungsstörung. Mit Harrys Einverständnis hatte Severus zwei Tage nach dem letzten Vorfall alle Untersuchungsberichte aus dem Hospital erhalten. Ohne Harrys Wissen forschte er seit diesem Tage auf eigene Faust nach einer Ursache. Die Recherche stellte sich als zeitraubende Angelegenheit heraus und war somit genau das Richtige, um ihn von seiner Melancholie abzulenken; ihm ein kleines Ziel zu geben, das er erreichen wollte.

Stutzig gemacht hatte ihn der Rat eines Heilers, Harry sollte Tagebuch führen oder sich jemanden anvertrauen. Für Severus klang das eher nach dem Vorschlag eines Muggel-Kurpfuschers. Nichtsdestotrotz wollte er auch auf dem Gebiet der Muggelkrankheiten Nachforschungen anstellen und kam zu dem Resultat, dass er viel zu wenig über Muggel wusste, um überhaupt einen Ausgangspunkt für seine Recherche festzumachen. Er wusste nicht, wo er anfangen sollte. Er müsste jemanden fragen, der sich bei Muggeln gut auskennt, aber wen? Aus einer unerklärlichen Laune heraus schrieb Severus an die einzige muggelstämmige Person, von der er wusste, dass sie qualifiziert genug wäre, seine Anfrage zu beantworten.

Am nächsten Tag räumte Ron gerade den Frühstückstisch ab, da klopfte eine schwarze Eule ans Fenster. Er ließ sie herein, entnahm den Brief und gab dem Federvieh etwas Speck. Der Brief war an Hermine gerichtet. Beide wohnten zwar in einem Haus, aber waren nicht verheiratet. Dass es etwas wie ein Postgeheimnis gab, kam Ron nicht in den Sinn, als er ihren Brief ungefragt öffnete und las:


„Sehr geehrte Miss Granger,

ich überspringe den Teil bezüglich der höflichen Nachfrage nach Ihrem Wohlbefinden, um gleich mit meinem Anliegen fortzufahren. Während einer wichtigen Recherche bin ich auf umfangreiche Eventualitäten gestoßen. Da ich Sie und Ihre Hartnäckigkeit noch sehr gut in Erinnerung habe und Sie zusätzlich eine Muggelgeborene sind, erhoffe ich Ihre Unterstützung.

Ich möchte mögliche Muggelerkrankungen, körperlich oder geistig, ergründen. In diesem Fall nur Erkrankungen, die äußerst ungewöhnliche Symptome mit sich bringen. Das Krankheitsbild beinhaltet, dass der Patient bestimmte Personen um sich herum zeitweise nicht wahrnehmen kann – weder akustisch noch optisch, durchaus aber physisch.

Ich bitte Sie um eine kurze Abhandlung mit möglichen Anhaltspunkten für meine Nachforschungen.

Mit den höflichsten Empfehlungen,
Severus Snape
Zaubertränkemeister“


„Schleimbeutel!“, sagte Ron wütend. Aufgrund des unhöflich klingenden Briefes war er stinksauer. Er wollte heute mit Hermine an einen einsamen See fahren, um mit einem Picknick und einem Bad im klaren Wasser einen schönen Tag mit ihr zu verbringen. Würde sie diesen Brief lesen, wäre sie mit Sicherheit übel gelaunt. Hermine war noch nicht zurück vom Einkaufen. Kurz zuvor hatte Ron auch noch eine Absage von den Wimbourner Wespen erhalten, die ihn nicht als Hüter haben wollten. So gab Ron seiner geballten Wut nach und zückte Pergament und Feder. Zornig schrieb er zurück:


„Professor Snape,

ich bin der Meinung, dass die Zeiten vorbei sind, in denen Sie nach Belieben Aufsätze einfordern können. Wir drücken nicht mehr die Schulbank. Keiner von uns möchte noch etwas mit Ihnen zu tun haben!

Ron Weasley“


Am nächsten Morgen saßen Ron und Hermine gemeinsam beim Frühstück und schwelgten in Erinnerungen an den gestrigen Tag und ihr Techtelmechtel im See. Zwei Eulen flogen durch das offene Küchenfenster. Beim Anblick des roten Umschlages erschreckte Hermine und fragte aufgebracht: „Hast du deine Mutter wieder verärgert, Ron?“ Ron verschluckte sich an seinem Müsli. Er ahnte, was auf ihn zukommen würde. „Die sind beide von Snape, aber der Heuler ist für dich!“, stellte sie erstaunt fest und überreichte ihm den roten Umschlag. Er zückte panisch seinen Zauberstab, um den Heuler loszuwerden, aber Hermine befahl säuerlich: „Öffne ihn!“ Mit zittrigen Händen zerbrach Ron das Siegel des roten Umschlags. In ohrenbetäubender Lautstärke hallte unverkennbar Snapes tiefe, wütende Stimme durch die Räume:


„WIE KÖNNEN SIE ES WAGEN, EINEN AN MISS GRANGER ADRESSIERTEN BRIEF NICHT NUR ZU ÖFFNEN, SONDERN AUCH ZU BEANTWORTEN – DAZU GANZ OFFENSICHTLICH OHNE IHR WISSEN?

ÜBERREICHEN SIE UNVERZÜGLICH MEINEN BRIEF AN SEINEN RECHTMÄSSIGEN EMPFÄNGER!

FÜR DIE ZUKUNFT LEGE ICH IHNEN NAHE, MICH NICHT MIT DREISTIGKEITEN DIESER ART UND WEISE ZU IHREM GEGNER ZU MACHEN!“


Der Heuler flammte auf und verschwand. Heftig atmend blickte Ron reumütig zu Hermine hinüber. Die wiederum kniff zornig die Augen zusammen. Ohne Kommentar öffnete sie den Brief, den Snape ihr geschickt hatte. Sie las ihn und blickte danach über den Rand des Briefes hinüber zu Ron, dem mittlerweile jegliche Farbe aus dem Gesicht entwichen war. In einem Ton, der keine Widerrede zuließ, befahl sie: „Gib mir sofort den Brief!“ Ron stürmte aus dem Zimmer und kam gleich darauf mit Snapes Brief zurück. Sauer riss Hermine ihm den Brief aus seiner Hand, bevor sie sich setzte und ihn in Ruhe las.

Während Hermine den gestern eingetroffenen Brief von Snape las und bereits darüber grübelte, wer der mysteriöse Patient sein könnte, schnappte Ron sich den Brief, den Hermine heute bekommen hatte. Dort stand:


„Sehr geehrte Miss Granger,

aufgrund der unerhörten Antwort, die ich auf meinen gestrigen Brief erhalten habe, muss ich davon ausgehen, dass Sie von meinem Schreiben keinerlei Kenntnis hatten, was offensichtlich Mr. Weasley zu verdanken ist.

Sollte Mr. Weasley meinen Brief vernichtet haben, so bitte ich um ein persönliches Treffen, um mein Anliegen unter vier Augen erläutern zu können.

Hochachtungsvoll,
Severus Snape
Zaubertränkemeister“


Nachdem Hermine den Brief gelesen hatte, fragte sie sauer: „Was zum Teufel hat dich nur geritten? Und was um Himmels Willen hast du ihm geantwortet, dass er dir einen Heuler geschickt hat?“
Wort für Wort gab Ron seine knappe Antwort wider und erklärte danach, während er auf den ersten Brief von Snape deutete: „Hast du den Brief überhaupt gelesen, Mine? Snape ist schon mit seinem ersten Satz unhöflich! Und dann fordert er noch von dir, etwas für ihn zu erledigen. Hermine…!“

Hermine schüttelte den Kopf. Um sich zu beruhigen, trank sie von ihrem Tee, bevor sie langsam erklärte: „Ich käme mir reichlich veralbert vor, hätte Snape sich erst nach meinem Wohlbefinden erkundigt. Das passt nicht zu ihm, mit Floskeln um sich zu werfen. Und Ron: ich glaube eher, du hast den Brief nicht richtig gelesen!“

Ron stutzte, weswegen Hermine erklärte: „Du musst besonders bei Snape zwischen den Zeilen lesen. Das war früher schon so bei seinen Randnotizen auf unseren Aufsätzen. Hier, ein Beispiel: er hat mich und meine Hartnäckigkeit noch sehr gut in Erinnerung. Nicht nur gut, sondern sehr gut! Weißt du, was das heißt? Ich bin ihm als ausgezeichnete Schülerin im Gedächtnis geblieben! Und mit hartnäckig meint er, dass ich meine Aufgaben immer zielstrebig und unbeirrbar erledigt habe, was ich als Kompliment sehe.“

Er schüttelte den Kopf und konterte: „Er hat dich muggelgeboren genannt, weil er dich für wertlos hält!“
Seufzend holte Hermine zunächst Luft, bevor sie versuchte, ihrem Verlobten klarzumachen: „Blödsinn, Ron. Er sagt mit dem Satz, dass er auf meine Hilfe angewiesen ist, weil er sich mit Muggeln nicht gut auskennt! Und er verlangt auch nicht, dass ich einen Aufsatz schreibe, sondern er bittet um Informationen, damit er ein Thema hat, mit dem er seine Nachforschungen selbstständig weiterführen kann. Er will nur einen Anfang, weil die ’umfangreichen Eventualitäten’ bedeuten, dass er keine Ahnung hat, wo er beginnen soll. Er bat lediglich um Hilfe und du schreibst ihm zurück, dass niemand etwas mit ihm zu tun haben möchte. Findest du das in Ordnung?“
Ron wimmerte verzeihend und Hilfe suchend: „Hermine, warum schreibt er nicht einfach, was er meint?“
Hermine lachte und antwortete schnippisch: „Sei mir nicht böse, Ron, aber ich bin sicher, dass er sich anders ausgedrückt hätte, wenn er dir einen Brief geschickt hätte!“

Hermine hatte ihn dazu überredet, eine Flasche Elfenwein zu besorgen, die er zusammen mit einem Entschuldigungsschreiben an Snape senden sollte. Es war ihm unangenehm, dass er den Brief nicht als das empfunden hatte, was er war: eine Bitte um Unterstützung. Ihren Brief an Snape hatte Hermine beendet. Es war lediglich die Zustimmung, dass sie sofort mit Nachforschungen beginnen würde. Auf einem kleineren Stück Pergament kritzelte Ron mit zittriger Handschrift:


„Sehr geehrter Professor Snape,

ich bitte um Verzeihung für meine unangemessene Antwort und die Unterschlagung Ihres Schreibens. Als Ausdruck meines tiefsten Bedauerns erlaube ich mir, Ihnen einen vorzüglichen Elfenwein zu senden.

Hochachtungsvoll,
Ron Weasley“


„Ist das so in Ordnung?“, fragte Ron unsicher, als er ihr sein Pergament unter die Nase hielt.
Hermine antwortete spitz: „Natürlich ist das in Ordnung. Ich hab’s dir immerhin diktiert!“

Am nächsten Morgen waren die Schlagzeilen aller Zeitungen identisch: Arthur Weasley wurde zum neuen Minister ernannt! Harry wurde das Gefühl nicht los, dass Dumbledore mächtig die Fäden gezogen hatte, aber solang das Ergebnis stimmte, war Harry zufrieden. Mr. Weasley war wie ein Vater für ihn. Außerdem war er ein Freund der Muggel, war zudem gutherzig, hatte viel Erfahrung im Ministerium gesammelt und brachte alles mit sich, was einen ausgezeichneten Minister ausmachte.

Mit dem Tagespropheten unterm Arm marschierte Harry in die Kerker, um Severus von den Neuigkeiten zu berichten. Bei ihm angekommen fiel ihm eine Flasche Elfenwein auf, die auf dem Tisch stand. Die Flasche musste eben per Eule gekommen sein, denn das Packpapier lag noch daneben. „Ein Geschenk?“, fragte Harry neugierig.
„Eher ein ’Ausdruck tiefsten Bedauerns’!“, zitierte Severus aus dem Brief.
„Wer hat es sich denn mit Ihnen verscherzt?“, bohrte Harry amüsiert nach. Severus hielt seinem Gast den Brief unter die Nase und Harry stutzte daraufhin.
Dann seufzte er genervt und sagte weniger ernst: „Na toll, von Ron nehmen Sie eine Flasche Elfenwein als Entschuldigung an, aber auf meinem Einhornmist-Nesselwein bleib ich sitzen. Das ist echt frustrierend, wissen Sie das?“

Severus grinste hämisch. Das war eines der wenigen Gefühle, das er nach drei Monaten zu zeigen bereit war. „Ich habe nicht gesagt, dass ich Mr. Weasleys Bitte um Nachsicht annehme“, sagte Severus belustigt.
Harry legte ihm scherzhaft nahe: „Oh, das sollten Sie aber tun. Haben Sie schon davon gehört? Sein Vater ist jetzt der neue Zaubereiminister! Es wäre möglicherweise von Vorteil, mit dem Sohn des Ministers gut auszukommen.“
Flachsend konterte Severus: „Was soll ich mit dem Sohn des Ministers, wenn ich den berühmten Harry Potter bereits meinen Hundesitter nennen kann?“
„Na ja, Sie haben mich nie um etwas gebeten. Wenn Sie schon dem einflussreichen Harry Potter jeden Tag die Leine Ihres Hundes in die Hand drücken, könnten Sie sich das doch zu Nutze machen!“, sagte Harry amüsiert.
Eine Augenbraue hochziehend fragte Severus: „Um was sollte ich Sie schon bitten?“
Etwas übermütig antwortete Harry: „Na ja, ich bin mir sicher, dass Empfehlungen, die ich dem Minister gegenüber aussprechen würde, ernst genommen werden. Würde heißen, dass ich Sie durchaus für den Orden des Merlin vorschlagen könnte, aber nur, wenn Sie mich nett darum bitten!“

Harry hatte, ohne es zu wissen, einen wunden Punkt erwischt. Severus hatte sich früher nichts sehnlicher gewünscht, als etwas Anerkennung von der Gesellschaft, in der er lebte. Den mündlich zugesagten Orden des Merlin 2. Klasse für die „Rettung von Harry“ in dessen dritten Schuljahr hatte er nie erhalten. Anstatt Harry jetzt verbal anzugreifen, riss er sich zusammen und informierte ihn stattdessen über seinen Fauxpas, indem er warnte: „Überspannen Sie den Bogen nicht, Potter!“

Sofort begriff Harry, dass die Erwähnung des Ordens eine empfindliche Stelle bei Severus getroffen haben musste, weshalb er reumütig sagte: „Bitte entschuldigen Sie, Sir! Das war nicht so gemeint!“ Weniger ernst, um die Situation wieder aufzulockern, fügte er hinzu: „Darf ich es mit einer Flasche Nesselwein wiedergutmachen?“
„Ich bitte Sie, Potter. Auch wenn der Wein äußerst schmackhaft sein soll, ihm geradezu betörende Auswirkungen nachgesagt werden und auch wenn die Nesseln, aus denen er hergestellt wurde, mit kostbarstem Einhorndung gediehen, bin ich noch immer der Meinung, dass Sie die Flasche behalten sollten!“, erwiderte Severus.
„Kostbarer Einhorndung?“, fragte Harry ungläubig.
„Ja Potter, die Äpfel der Einhörner sind angereichert mit Spurenelementen der seltensten Pflanzenarten. Ein erfahrener Zaubertränkemeister“, Severus streckte stolz den Rücken, bevor er fortfuhr, „kann diese Spurenelemente aus den Ausscheidungen der Einhörner isolieren und damit hochwertige Zaubertränkezutaten gewinnen!“
Harry zog erstaunt die Augenbrauen hoch und fragte: „Sie wollen damit aber nicht andeuten, dass ich Ihnen lieber einen Einhornfladen schenken soll?“
Grinsend konterte Severus: „Wagen Sie das, Mr. Potter, und ich werde Ihnen zeigen, welche Flüche ich schon in meiner ersten Klasse beherrscht habe!“

Arthur Weasley hatte Hogwarts erreicht und besuchte erst Albus und danach Harry. Die beiden begrüßten sie vertraut und natürlich gratulierte Harry sofort zur gewonnenen Wahl. Mr. Weasley druckste ein wenig herum, rückte jedoch mit der Sprache heraus: „Harry, ich wollte dich um etwas bitten. Würdest du mich begleiten, wenn ich den Premierminister aufsuche?“

Dass ein Minister ihn für seine Zwecke missbrauchen wollte, war Harry schon immer übel aufgestoßen. Arthur würde das jedoch nicht tun. Er sah so verzweifelt aus, weswegen Harry zunächst fragte: „Warum denn das?“
Der neue Minister erklärte: „Weiß du, Harry, ich habe Bedenken! Ich meine, der Mann ist ein Muggel und weiß nichts von unserer Welt. Sicher, die anderen Minister vor mir haben das alle allein hinbekommen, aber ich…“ Arthur seufzte, bevor er unsicher fragte: „Was, wenn ich die Dinge, die er sagt oder macht, falsch verstehe? Was, wenn ich ohne es zu wissen einen schlechten Eindruck hinterlasse?“
Harry schüttelte lächelnd den Kopf und versicherte: „Du hinterlässt keinen schlechten Eindruck. Als ich dich das erste Mal getroffen habe, fand ich dich sofort nett! Du solltest vielleicht deine Begeisterung für die ganzen Muggelgegenstände unterdrücken, wenn du in seinem Büro bist, aber ansonsten bleib einfach so, wie du bist!“

Arthur nickte zuversichtlich, fragte aber doch noch neugierig: „Warum soll ich meine Begeisterung unterdrücken?“
Harry erklärte: „Na ja, als du mich nach dem Zweck einer Gummiente gefragt hast“, Harry lachte auf, „das war das einzig Merkwürdige an dir!“ Lächelnd und bestärkt verließ der neue Zaubereiminister Hogwarts.

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019 Familienangelegenheiten




„Das macht die nur, um mir eins auszuwischen!“, schimpfte Draco. Severus behielt einen kühlen Kopf, als er nach und nach die zig Ablehnungsschreiben auf Dracos Besuchsanträge überflog. Elf Ablehnungen in drei Monaten.
„Wer ist die?“, fragte Severus gelassen.
Wütend antwortete Draco: „Na, diese Bones! Nach dem blöden Treffen hat sie mir nicht ein einziges Mal geschrieben!“

Draco hatte Severus nur Häppchenweise erzählt, was während des Treffens geschehen war und auch nur, weil dies die Vorgeschichte zu dem Ereignis dargestellte, wie Draco den Muggel Miss Adair kennen gelernt hatte.

„Draco, hast du auch in Erwägung gezogen, dass sie dir nicht mehr schreibt, weil sie nicht möchte, dass du dich erbärmlich fühlst, wenn sie dir hilft?“
Draco zeterte: „Nein, das macht sie mit Absicht, nur weil wir uns gestritten haben! Die will mir eins auswischen!“
Severus verneinte und erklärte: „Miss Bones ist für die Abteilung, die Anträge für Besuche in Askaban bearbeitet, nur bedingt zuständig. Sie selbst bearbeitet keine Anträge. Keine der Ablehnungen trägt ihre Unterschrift, Draco. Kontaktiere sie einfach und frage nach, ob sie davon weiß. Ich nehme an, sie hat keine Ahnung.“ Sein Patensohn rührte sich nicht und blieb still. „Soll ich für dich fragen?“, bot Severus an und Draco nickte feige.

Miss Bones erhielt einen Ruf über den Kamin ihres Büros und grüßte Professor Snape. „Miss Bones, entschuldigen Sie, wenn ich Sie stören sollte. Es gibt einige Dinge, über die ich gern Auskunft hätte.“ Miss Bones stimmte zu, Professor Snape zu empfangen.
Als sie sagte, sie würde in zehn Minuten mit seinem Erscheinen rechnen, drängte sich Draco in den Vordergrund und erklärte wütend: „Nein, Sie haben JETZT Zeit!“ Ohne Erlaubnis betrat er durch den Kamin ihr Büro.
Severus folgte auf der Stelle und riss ihn aufgebracht am Oberarm zurück. „Was denkst du dir dabei?“, zischelte er wütend.
Mit erhobener Stimme sagte Miss Bones: „Mr. Malfoy, ich könnte Sie für das unaufgeforderte Betreten meines Büros sofort verhaften lassen! Bitte warten Sie vor der Tür, bis ich meinen Gast verabschiedet habe.“

Erst jetzt bemerkten Severus und Draco, dass ein verdutzt dreinblickender Mr. Weasley im Zimmer anwesend war und die Szenerie still beobachtete. Severus fing sich als Erster und sagte zu seinem Ordensbruder: „Mr. Weasley, ich gratuliere herzlich zur Wahl. Zudem bitte ich Sie beide um Verzeihung für diesen Zwischenfall.“ Severus hatte Draco bei letzterem Wort böse angesehen. „Wir warten drau…“
Draco unterbrach ihn und sagte scharfzüngig: „Oh nein! Ist doch prima, wenn gleich der Minister anwesend ist. Ich habe nämlich eine Beschwerde vorzubringen!“
Severus drohte: „Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, Mr. Malfoy!“
Mr. Weasley sah die Sache sehr gelassen. Freundlich lächelnd sagte er, während er seine Hände einmal zusammenklatschte: „Die erste Beschwerde meiner Amtsperiode! Ich bitte Sie, Mr. Malfoy, sagen Sie mir, wie ich Ihnen behilflich sein kann.“

Mit erhobener Stimme brachte Draco seine Beschwerde hervor: „Meine Anträge sind allesamt abgelehnt worden. ELF Anträge! Ich will auf der Stelle meinen Vater sehen!“
Rügend sagte Severus: „Achten Sie auf Ihre Lautstärke, Mr. Malfoy. Niemand in diesem Büro hat Probleme mit dem Gehör!“
Verdutzt wiederholte Mr. Weasley: „Elf Anträge? In welchem Zeitraum?“
Severus, der noch alle Absagen in seiner Hand hielt, antwortete an Dracos Stelle: „Innerhalb von drei Monaten!“
„Darf ich mal sehen?“, fragte Mr. Weasley und streckte die Hand nach den Pergamenten aus.

Zusammen mit Miss Bones betrachtete er die Schreiben und die Unterschriften auf ihnen. Severus bemerkte, wie Miss Bones ihm etwas ins Ohr flüsterte. Mr. Weasley grinste daraufhin und wandte sich wieder Draco zu: „Wenn Sie mir bitte folgen würden, Mr. Malfoy? Wir werden das hier sofort regeln!“ Ohne sich von Miss Bones zu verabschieden, verließ Draco ihr Büro. Severus hingegen teilte ihr sein Bedauern über Dracos Verhalten mit und verabschiedete sich höflich, bevor er den beiden Männern folgte.

Im ersten Stock, genau unter der Chefabteilung, befand sich die „Abteilung für Magische Strafverfolgung“ und ganz hinten lagen die Büros, in denen die Besuchsanträge bearbeitet wurden. Zielstrebig und mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen steuerte Mr. Weasley auf eine der Türen zu.

Im Büro saß ein dunkelhaariger Mann mit durchtrainiertem Körper, der aufblickte und gleich darauf erschrocken und stotternd grüßte: „Minis… Minister Weasley, was kann ich für Sie…“
Mr. Weasley war bereits zügigen Schrittes bis zu seinem Schreibtisch vorgedrungen und ließ den Stapel Absagen vor dem Mitarbeiter auf den Tisch fallen, als er den Angestellten unterbrach und forderte: „Erklären Sie mir bitte, wie es dazu kommt! Elf Absagen, ohne auch nur einmal Miss Bones darüber zu unterrichten!“

Der Mann begann damit, sich herauszureden und versuchte, sich zu rechtfertigen. Mr. Weasley erklärte laut, damit auch Draco und Severus inhaltlich verstanden, um was sich das Gespräch handelte: „Die Vorschriften besagen, dass nach der dritten Absage eines Besuchergesuchs der Fall an die stellvertretende Leiterin der Abteilung für Magische Strafverfolgung abgegeben wird. Wie kommt es also dazu, dass in diesem Fall ganze elf Anträge abgelehnt wurden, ohne dass auch nur einmal Miss Bones darüber in Kenntnis gesetzt wurde?“ Der Mitarbeiter war um eine Antwort verlegen.

Der neue Minister schien eine Rechnung mit dem Mann offen zu haben, denn er nahm ihn richtig in die Zange. Vorwurfsvoll sagte Mr. Weasley: „Außerdem wurde auf keiner der Absagen ein Grund genannt. Sie sind mit den Vorschriften vertraut? Dann wissen Sie, dass Absagen einen Grund enthalten müssen, damit der Antragsteller mit Hilfe eines Rechtsbeistandes gegen den Entscheid des Ministeriums klagen kann! Wo wir gerade dabei sind: die entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung fehlt leider auch auf jeder der elf Absagen, die alle Ihre Unterschrift tragen! Was haben Sie dazu zu sagen?“

Der Mitarbeiter schaltete auf stur und antwortete nicht mehr. Mr. Weasley fragte daher neugierig: „Was gibt es denn für einen Grund, dass Sie ständig Absagen erteilt haben? Gibt es überhaupt einen?“
Mr. Corner, wie man dem Namensschild auf dem Schreibtisch entnehmen konnte, antwortete gereizt: „Der Mann ist ein Todesser! Sein Sohn ist auch einer! Warum sollten die sich sehen dürfen? Andere haben Familienmitglieder an diese Schweine verloren und der da soll seinen Vater besuchen dürfen?“
Mr. Weasley blieb ruhig und erklärte: „Ich denke, es leuchtet Ihnen ein, dass es Ihnen nicht zusteht, über andere zu urteilen. Die, denen dies zusteht, haben bereits ein Urteil über den jungen Mr. Malfoy hier gefällt und ihn für nicht schuldig befunden! Mr. Corner, Sie haben sich mit Ihrer undisziplinierten Verhaltensweise gerade selbst um den Job gebracht. Sie dürfen packen. Um 14 Uhr haben Sie das Büro geräumt oder ich lasse es räumen!“

Auf den Weg in Miss Bones Büro erklärte Mr. Weasley mit leiser Stimme an Severus gewandt: „Wir haben eindeutige Indizien dafür, dass Mr. Corner einer radikalen Gruppe angehört, die sich in Selbstjustiz übt. Wir wissen von zwei Morden an Kindern von Todessern, bei denen Corner seine Finger im Spiel hatte, aber es gibt auch andere Überfälle mit Todesfolge an den Verwandten von Todessern, die selbst jedoch nie welche waren. Die eindeutigen Beweise, die wir gegen Mr. Corner in der Hand hatten, wurden leider vernichtet; wahrscheinlich von ihm selbst. Hier im Ministerium ist er natürlich vorsichtig geworden. Jetzt, wo Mr. Corner nicht mehr bei uns beschäftigt ist, wird es leichter sein, ihn beschatten zu lassen. Ich habe eine magische SOKO ins Leben gerufen und… “ Auf Severus’ fragenden Blick hin erklärte Minister Weasley: „SOKO ist die Abkürzung für ’Sonderkommission’ – ein Begriff aus der Muggelwelt. Ist eine Spezialeinheit unserer Magischen Strafverfolgungspatrouille, die ich mit den vertrauenswürdigsten Mitarbeitern besetzt habe!“

Mr. Weasley brachte der Muggelwelt auf diese Weise wieder einmal seinen Respekt entgegen. Außerdem fand er diese Bezeichnung ’cool’, wie seine Söhne sich auszudrücken pflegten. Sehr vorsichtig fügte Arthur hinzu: „Das Ministerium ist unterwandert, Severus. Vielen Mitarbeitern traue ich nicht über den Weg!“

Gierig nahm Severus diese Informationen auf, ohne weitere Fragen zu stellen. Von Arthur musste er auch nicht aufgefordert werden, kein Wort darüber verlieren zu dürfen, denn er war sowieso ein verschwiegener Mann und wusste, wer seine Verbündeten waren. Es bedeutete Severus sehr viel, dass Arthur ihm wie früher Vertrauen entgegenbrachte. Albus musste von der radikalen Gruppierung gewusst haben, weswegen er Draco in Hogwarts behalten wollte, dachte Severus. Bei Miss Bones angelangt verabschiedete sich Mr. Weasley und erklärte abschließend: „Miss Bones wird Sie zu Ihrem Vater begleiten, wenn Sie möchten, Mr. Malfoy. Professor Snape, Sie dürfen natürlich mitgehen, wenn Mr. Malfoy nichts dagegen hat! Ich würde Sie beide außerdem gern mal zum Essen einladen.“

„Mr. Malfoy, Besuch für Sie!“, sagte die Wache gelangweilt. Lucius antwortete höflich erfreut, ohne die Gäste hinter der Tür sehen zu können: „Ah, Miss Bones, ich hatte schon befürchtet, heute auf Ihren Besuch verzichten zu müssen.“ Miss Bones grüßte zurück. Alle drei hatten die Zelle bereits betreten. „Wie geht es Ihnen, Miss Bones?“, fragte Lucius galant und ließ Draco und Severus völlig unbeachtet.
„Ich bin nicht allein, Mr. Malfoy. Ihr Sohn und Professor Snape sind bei mir“, sagte sie mit trauriger Stimme.
Lucius lächelte und breitete seine Arme aus, während er fröhlich sagte: „Draco, komm her!“ Es war eindeutig, dass Lucius nichts sehen konnte.
Draco zögerte und fragte zuerst: „Ich darf ihn umarmen?“ Die Wachen während seines ersten Besuchs hatten ihm das verwährt.
Verdutzt antwortete Miss Bones: „Ja natürlich!“ Um dem Wiedersehen nicht im Wege zu stehen, fügte sie zurückhaltend hinzu: „Ich warte vor der Tür.“

Lucius drückte seinen Sohn fest und lange an sich. Eine herzlichere Begrüßung, wie ein Kuss auf die Stirn, war undenkbar, auch wenn Draco sich gerade jetzt so sehr danach sehnte. Nachdem er die Umarmung gelöst hatte, sagte Lucius freudig erregt: „Das hat so lange gedauert, dich wiederzusehen, Draco. Meine Anträge wurden allesamt abgelehnt. Miss Bones hat mich darüber unterrichtet, dass es Differenzen unter Ministeriumsmitarbeitern gäbe und sie sich darum kümmern würde. Erzähl! Was hast du so erlebt? Wie geht es dir?“ Bevor Draco antworten konnte, wandte Lucius seinen leblosen Blick in Richtung Tür und sagte: „Oh, Severus! Verzeih mir bitte! Miss Bones hatte ja erwähnt, dass auch du mir heute einen Besuch abstattest.“ Draco schluckte und fragte mit gebrochener Stimme: „Vater? Siehst du jetzt überhaupt nichts mehr?“
Lucius lächelte und erwiderte trocken: „Wozu muss ich dich sehen?“

Severus war perplex. Draco hatte nichts von dem Gesundheitszustand seines Vaters erwähnt. „Du bist blind?“, fragte Severus völlig verdattert.
Die Antwort kam schnell: „Nur auf dem linken Auge sehe ich noch hell und dunkel; einige Schatten hier und da. Ich denke, die Bezeichnung ’blind’ wird erst in einigen Wochen greifen.“ Lucius klang, als hätte er sich mit seinem Schicksal bereits abgefunden.

Der ersehnte Besuch erfreute den Gefangenen mit abwechslungsreichen Gesprächen. Nachdem Draco und Severus gegangen waren, tastete sich Lucius bis zur Pritsche vor und ließ sich darauf nieder. Sein Sohn war das Einzige, weswegen es sich noch zu leben lohnte. Der Dunkle Lord hatte ihm in den letzten Jahren das Leben zur Hölle gemacht. Erst hatte Lucius im Ministerium versagt und danach hatte Draco seine Aufgabe nicht erledigen können und war stattdessen mit Severus geflohen. Lucius wusste zwar, dass seine Frau sich in einem Haus versteckt hielt, welches unter dem Fideliuszauber stand, aber der Dunkle Lord erfuhr zum Glück erst nach Kreachers Ableben davon.

Voldemort hatte in Lucius’ Gedanken gestöbert und sich erhofft, Narzissas Zuflucht ausfindig zu machen, weil er vermutet hatte, dass die beiden Verräter sich bei ihr aufhalten würden. Dabei war er auf die zum größten Teil gelöschte Erinnerung eines sehr langen Gespräches zwischen Lucius und seiner Frau gestoßen. Die einzige Information, die Voldemort erhalten hatte, war die, dass der tote Hauself der Geheimniswahrer des Verstecks gewesen war. Nach etlichen Cruciatus-Flüchen, die Lucius mehr schlecht als recht überstanden hatte, war der Dunkle Lord zu der Ansicht gekommen, dass Narzissa die Erinnerung an das Gespräch mit einem Obliviate gelöscht haben musste und sie ihren Mann gleich darauf verlassen hatte. Weil das Gespräch jedoch mehrere Stunden gedauert hatte, war der Anfang des Gesprächs nicht durch den Obliviate-Zauber entfernt worden.

Aus einer Laune heraus hatte Voldemort Lucius weiterhin für einen seiner treuen Anhänger gehalten, der zwar nicht dafür verantwortlich gemacht werden konnte, wie sein Sohn und seine Frau agiert hatten, ihn für das Fehlverhalten seiner Familie jedoch regelmäßig hatte büßen lassen. Lucius hatte seitdem Probleme mit dem Rücken. Die Flüche, mit denen der Dunkle Lord ihn immer wieder für das Fehlverhalten seiner Familie bestraft hatte, hatten mit der Zeit die Nerven seiner Wirbelsäule angegriffen.

Über eine Sache grübelte Lucius immer wieder nach. Warum war Kreacher der Geheimniswahrer gewesen? Der Elf war nach dem Tod von Sirius immer wieder aus der Küche von Hogwarts verschwunden, um sich mit Bellatrix zu treffen, die er für seine wahre Herrin gehalten hatte. In erster Linie war Bellatrix dem Dunklen Lord treu und nicht einmal ihrem eigenen Ehemann Rodolphus zuliebe hätte sie irgendetwas unternommen, was dazu hätte führen können, Voldemort zu verstimmen. Wenn Kreacher der Geheimniswahrer gewesen war, warum wusste dann Bellatrix scheinbar nichts davon?

Lucius wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sich Stunden später die Tür zu seiner Zelle erneut öffnete. „Wer ist da?“, fragte er forsch.
„Ich bin es noch mal“, antwortete Miss Bones.
Spöttisch fragte Lucius, obwohl er für jede Abwechslung dankbar war: „Was führt Sie so spät abends noch nach Askaban? Sollten Sie sich nach Feierabend nicht lieber mit einem netten, jungen Mann treffen?“

Miss Bones seufzte. Sie hatte schon einige Male versucht, den Gefangenen dazu zu überreden, sich seinem Sohn anzuvertrauen. Enttäuscht sagte sie: „Warum lassen Sie ihn im Dunkeln tappen?“
„Das, Miss Bones, geht Sie überhaupt nichts an! Und ich rate Ihnen, ihm nichts zu sagen, denn sonst wäre ich leider dazu gezwungen, eine Beschwerde einzureichen. Sie hatten überhaupt kein Recht dazu, sich meine Krankenakte anzusehen und allein dafür könnte ich Ihnen noch im Nachhinein das Leben schwer machen! Hängen Sie eigentlich an Ihrem Beruf, Miss Bones?“, fauchte Lucius bedrohlich wie eine eingesperrte Wildkatze.

Aufgeregt konterte sie: „Man könnte Ihnen noch helfen, Mr. Malfoy. Sie könnten zumindest dreißig Prozent Ihrer Sehkraft wiedererlangen. Das ist nicht viel, aber besser als nichts. Bei Ihrem Sohn könnte man jetzt bereits mit einer Behandlung beginnen, damit es gar nicht erst so weit kommt!“
„Nehmen Sie sich nicht zu viel heraus, Miss Bones! Die Malfoys sind eine stolze und einflussreiche Familie. Wir waren es immer!“, sagte Lucius in einem arrogant bedrohlichen Tonfall.
Sich darüber bewusst, Lucius zu provozieren, entgegnete sie zynisch: „Wenn Ihnen so viel an Ihrem edlen Stammbaum liegt, Mr. Malfoy, sollten Sie alles Erdenkliche dafür tun, damit er nicht mit Ihrem Sohn endet! Sie wissen ganz genau, dass viele der reinblütigen Famil…“
„SEIEN SIE STILL!“, belferte Lucius.
Auch Miss Bones erhob ihre Stimme und sagte verärgert: „Ihr Stolz löscht Ihre Familie aus!“ Lucius erwiderte nichts, schnaufte aber aufgeregt, als würde er jeden Moment in die Luft gehen. Stumm setzte er sich auf seine Pritsche und wiederholte in Gedanken die Konversation.

Miss Bones bemerkte, dass sie Mr. Malfoy mit ihren Worten zumindest zum Nachdenken angeregt hatte. Trotzdem bezweifelte sie, dass er seinem Sohn von den Auswirkungen berichten würde, die die Fortpflanzung unter Reinblütern über die Jahrhunderte mit sich brachte. Sie wusste, dass Mr. Malfoy im Zwiespalt mit sich selbst war. Wollte er seinem Sohn helfen, müsste er vor zig Menschen seinen Gesundheitszustand ausbreiten. Alte Erbkrankheiten und immer wieder neu hinzukommende Gendefekte machten den Malfoys seit langer Zeit zu schaffen.
Zuletzt geändert von Muggelchen am 08.02.2009 21:23, insgesamt 3-mal geändert.

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020 Der Wolf im Fuchsbau




Dicke, flauschig aussehende Schneeflocken kündigten die kalte Jahreszeit an. Vor über drei Monaten war Voldemort besiegt worden. Kaum war ein wenig Alltag eingekehrt, stand auch schon das erste Weihnachtsfest vor der Tür, das man ohne Furcht vor Angriffen feiern konnte. Es mochte sich seltsam anhören, aber für viele kam Weihnachten in diesem Jahr überraschend schnell. Hogsmeade und die Winkelgasse waren völlig überfüllt mit Leuten, die Geschenke für ihre Lieben kauften. Harry hatte sich im Fuchsbau mit den Weasleys und Grangers getroffen, um mit ihnen gemeinsam die Winkelgasse zu besuchen. Am Tisch sitzend warteten Harry, Hermine, ihre Eltern, Ginny, Fred, George und Arthur auf Ron und Molly. Ginny und Harry kamen wie immer gut miteinander aus, auch wenn stets eine kleine Spannung zu spüren war. Die jüngste Weasley war seit längerem mit einem jungen Mann vereint, der dieses Jahr jedoch bei seinen Eltern in Spanien Weihnachten feiern wollte. Ginny schien deshalb sehr betrübt zu sein, aber Harry hütete sich nachzuhaken. Er wollte nichts von ihrem Freund wissen.

Damals hatte Harry ihr sagen müssen, er würde keine Beziehung mit ihr wünschen, weil er befürchtet hatte, Voldemort könnte sie als Druckmittel gegen ihn einsetzen. Ihre Wege hatten sich daraufhin nicht nur räumlich getrennt. Die beiden waren nichts weiter als Freunde und würden es immer bleiben, redete sich Harry jedes Mal ein, wenn er Ginny sah.

Arthur, der sich trotz seines Amtes als Minister die Freiheit genommen hatte, an diesem Donnerstag erst später im Ministerium zu erscheinen, beugte sich vor zu Harry und sagte: „Harry, es sollte eigentlich eine Überraschung werden, aber ich habe dich für den Orden des Merlin 1. Klasse vorgeschlagen!“ Arthur lächelte breit.
Harry hingegen spürte, wie ihm die Röte über das Gesicht kriechen musste. Bisher hatte er sich nach Voldemorts Sturz erfolgreich von der Außenwelt und somit von sämtlichen Journalisten abschließen können, weil er Hogwarts gar nicht erst verlassen hatte. Vor dem anstehenden Besuch in der Winkelgasse hatte Harry bereits Muffensausen, auch wenn Auroren sie begleiten würden. Würde man ihm den Orden des Merlin verleihen, gäbe es eine riesige Veranstaltung mit hunderten von Menschen, Reportern und Situationen, die Harry lieber meiden wollte. Um das zu umgehen, antwortete Harry: „Weißt du, Arthur… Ohne Dumbledore und Snape hätte ich das nicht geschafft. Wir drei zusammen waren es. Ich käme mir schäbig vor, wenn ich ganz allein für Voldemorts Sturz geehrt werden würde!“

Auf den Kopf gefallen war Arthur nicht. Wenn sich jemand durch eine Ehrung unwohl fühlen sollte, würde derjenige den Orden vermutlich ablehnen. Wie aber würde er als Minister dann dastehen? Ihm war klar, dass Harry nie zu denjenigen gehört hatte, die viel Wert auf Ruhm legen würden. Im Gegenteil; Harry wollte immer im Hintergrund bleiben – damals wie auch heute. Ihm einen Orden zu verleihen wäre in diesem Fall nur möglich, wenn gleichzeitig auch seine alte Phönixordenmitglieder Albus und Severus einen bekommen würden, um Harrys Sinn für Gerechtigkeit zu befriedigen, dachte Arthur.

Während sich alle auf den Weg in die Winkelgasse machten, grübelte Arthur über eine gewisse Problematik nach, denn Severus einen Orden zu verleihen, könnte für Aufruhr sorgen. Natürlich wäre es für Arthur als neuen Minister politisch klug, dem Retter der Welt einen Orden zu überreichen. Würde er zusätzlich auch Albus einen Orden überreichen, würde sicherlich niemand dagegen protestieren, auch wenn das nicht sein erster wäre. Bedenken hatte Arthur bei Severus. Natürlich wusste er, dass Severus stets auf der guten Seite gekämpft hatte, seitdem er als Lehrer in Hogwarts beschäftigt gewesen war, denn er hatte im Ministerium natürlich die Akten über das Verhör von Severus und dem jungen Malfoy gelesen. Bei Merlin, er war immerhin selbst dabei gewesen, erinnerte sich Arthur, als diese drei mächtigen Zauberer den Dunklen Lord endgültig ins Jenseits befördert hatten. Ohne mit der Wimper zu zucken würde er Severus die gleiche Ehre wie Harry oder Albus erweisen, aber wie würde die Öffentlichkeit darauf reagieren? Ein Ex-Todesser, ein zwielichtiger Spion, der jahrelang gesuchte Mörder von dem angesehenen Schulleiter Albus Dumbledore, der mit einem Orden des Merlin geehrt werden sollte? Auch wenn sich herausgestellt hatte, dass Severus nicht dessen Mörder gewesen war, so hatte sich die Öffentlichkeit jedoch über fünf lange Jahre, in denen ständig das Gegenteil in den Medien verbreitet worden war, eine feste Meinung über ihn gebildet und die war nicht die beste. Allerdings, so schlussfolgerte Arthur für sich, während sie bereits die Winkelgasse betraten, würde die Gesellschaft den berühmt-berüchtigten Severus Snape bestimmt nicht angreifen, weder verbal noch handgreiflich, wenn er neben so bekannten Persönlichkeiten wie Harry Potter und Albus Dumbledore auf der Bühne stehen würde. Wenn die beiden größten Zauberer der Welt einem Mann wie Severus großes Vertrauen entgegenbrachten, sollte dies der Zauberergesellschaft entsprechende Zuversicht vermitteln, dachte Arthur, bevor er entschloss, weitere Gedanken über eine Ordensverleihung für heute ruhen zu lassen.

Für die Weasleys und Hermine hatte Harry im Vorfeld bereits Geschenke besorgt. Problematischer war die Geschenkauswahl für Sirius. Es sollte etwas Persönliches sein, was seinem Paten auch gefallen würde, dachte Harry. Natürlich musste er auch Anne ein Geschenk machen und das war erst schwierig! Harry war zu der Ansicht gekommen, dass Süßigkeiten für einen Muggel harmlos sein würden, solange sie sich nicht selbständig bewegen oder gar zurückbeißen würden.

Nach kurzer Zeit fand er in einer vor zwei Jahren eröffneten Confiserie, ähnlich dem Honigtopf in Hogsmeade, Gefallen an einer weißen Katze mit schwarzen Flecken, die aus Massivschokolade gefertigt war und aus dem berühmten Hause Wonka stammte. Für Dumbledore kaufte er ein paar dicke Wollsocken, weil er sich dunkel daran erinnerte, wie sein Direktor in der Vergangenheit mal erwähnt hatte, er würde sich nichts sehnlicher wünschen. Harry fragte sich die ganze Zeit, während er für alle seine Freunde Geschenke besorgte, ob er auch Snape ein Geschenk machen durfte. Er rechnete natürlich nicht damit, eines von ihm zu erhalten, aber das war in seinen Augen nicht notwendig.

Nach einigen Stunden verließ Harry zusammen mit seiner Wahlfamilie und seinen Freunden die Winkelgasse mit vollen Tüten und Taschen in der Hand. Die Weasleys luden zum nächsten Tag zum Essen ein, worüber sich besonders Harry sehr freute.

In dem Moment, in welchem Harry den Kamin des Fuchsbaus betrat, um zurück nachhause zu flohen, klopfte in Hogwarts eine Eule an die Oberlichter in Severus’ Büro. Nachdem Severus das Tier eingelassen und den Brief entgegengenommen hatte, gab er dem Vogel zunächst einen Eulenkeks, bevor er den Umschlag öffnete und las:


„Sehr geehrter Professor Snape,

ich bitte um ein persönliches Treffen mit Ihnen, da meine gesammelten Informationen zu umfangreich für einen Brief wären.

An den nächsten Wochenenden habe ich noch nichts vor.

Mit freundlichen Grüßen,
Hermine Granger“


Severus las den Brief zweimal und entschied, sofort eine Antwort zu verfassen, während die Eule wartete. Er dachte nur kurz nach und griff dann zu seiner Feder:


„Sehr geehrte Miss Granger,

diesen Freitag zu 19 Uhr in meinem Büro in Hogwarts.

Hochachtungsvoll,
Severus Snape“


Kaum hatten Hermine und Ron ihr Heim betreten, kam auch schon eine Eule angeflogen – und zwar die gleiche, die sie erst vor kurzem aus der kleinen Postfiliale in der Winkelgasse an Professor Snape abgeschickt hatte. Sie war erstaunt, dass Snape ganz offensichtlich sofort auf ihren Brief reagiert hatte. Sie las das Schreiben zweimal und stöhnte, denn sie hatte nicht damit gerechnet, dass er sie gleich für morgen einladen würde; frühestens für Samstag. Jetzt müsste sie Ron beibringen, dass sie doch nicht mit zu seinen Eltern kommen könnte. Allerdings wäre dies auch nicht ganz so schlimm, denn sie besuchten die Weasleys sehr häufig.

Am nächsten Tag hatte Hermine gleich morgens allen Weasleys Bescheid gegeben, dass sie heute leider nicht zum Essen kommen würde. Der einzige Weasley, dem das gar nicht gefiel, war ihr Ron.

„Musst du unbedingt zu Snape? Wir waren mit meinen Eltern verabredet!“, meckerte er.
Hermine nahm es gelassen und sagte in neutralem Tonfall: „Solche Termine laufen doch nicht weg, Ron. Es wird niemand daran zugrunde gehen, wenn ich ein einziges Mal nicht dabei bin.“
Schnaufend erwiderte Ron: „Harry ist heute auch da! Er kommt nicht mehr so häufig zu uns, seit er in Hogwarts wohnt und du wirst ihn nicht sehen können!“
Hermine rollte genervt mit den Augen und konterte: „Ron, es ist wirklich genug! Wir sehen deine Eltern am Dienstag und am Donnerstag nächster Woche. Dieser eine Freitag… Ron, ich bitte dich!“

Abends um fünf vor sieben stand Hermine mit zwei schwer aussehenden Taschen vor der Tür zu Snapes Büro. Sie klopfte und die Tür öffnete sich augenblicklich.

„Miss Granger“, grüßte Snape kühl. Er ließ sie ein und fügte feststellend hinzu: „Ich sehe, es geht Ihnen gut!“
Er begrüßte sie nicht per Handschlag, weil er die beiden dicken Taschen bemerkt hatte, die sie drinnen auf einem Tisch ablegte, bevor sie ihm lächelnd ihre zierliche Hand entgegenhielt und sagte: „Professor Snape, es freut mich, Sie zu sehen!“ Er ergriff ihre Hand und schüttelte sie kurz, aber kräftig. Im Anschluss sprudelte es aus ihr heraus: „Es freut mich wirklich! Ich bin froh, dass alles so gekommen ist…“ Sie war froh, dass er Dumbledore nicht getötet hatte, dass er am Leben war, dass er sich um den auf die schiefe Bahn geratenen Malfoy gekümmert hatte – auch wenn sie den noch immer nicht leiden konnte – und dass er zusammen mit Harry und Dumbledore Voldemort vernichtet hatte, aber sie behielt das alles für sich.

Auf ihre Worte erwiderte er nichts und machte ihr somit klar, dass er sie nicht zum Kaffeekränzchen eingeladen hatte. „Wie ich sehe, sind Ihre Recherchen in der Tat umfangreich!“, sagte Snape, der auf die beiden Taschen zeigte.
Während Hermine deren Inhalt auf dem Tisch ausbreitete und ihre Notizen und die mitgebrachten Bücher in ihrer eigenen Vorliebe für Ordnung und mit ihrem Sinn für Überblick positionierte, fragte sie: „Professor, der Patient, den Sie im Brief erwähnten… Sie schrieben, die Symptome zeigten sich nur ab und an. Wissen Sie, wie häufig das bisher geschehen ist, dass er Personen nicht sehen konnte?“

Snapes fast schwarze Augen huschten über die vielen Buchtitel. Er las Titel wie „Dissoziative Bewusstseinsstörungen – Theorie, Symptomatik, Therapie“ und „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“. Letzteres nahm Snape mit skeptischem Blick in die Hand und drehte es. Der Autor war Neurologe. „Der Buchtitel klingt vielleicht komisch, aber es war mir sehr hilfreich“, sagte Hermine, die seinen kritischen Blick bemerkt hatte. Alles in allem waren die Bücher, deren Titel er überflog, über Muggelkrankheiten des Verstandes.
Ohne sie anzusehen antwortete er etwas verspätet: „Soweit mir bekannt ist, geschah dies nur ein einziges Mal. Das war sogar in meiner Anwesenheit! Der Patient war kurz nach Eintreten dieser Merkwürdigkeit mit mir und einer weiteren Person in meinen Räumen, versicherte jedoch, nur mich wahrnehmen zu können. Es wäre jedoch gut möglich, dass dies schon mehrmals geschehen ist, aber dass der ’Patient’ davon keine Kenntnis hatte.“

Ihre Gedanken überschlugen sich. Der mysteriöse Patient, über dessen Identität sie schon seit Erhalt seines ersten Briefes lange nachgegrübelt hatte, konnte ihres Erachtens nur jemand sein, der in Hogwarts wohnte. Bis auf Draco und Harry würde sich ihrer Meinung nach jeder andere in ein Krankenhaus begeben, bis die Ursache für dieses Phänomen gefunden wäre. Hermine wusste, dass Snape und Malfoy junior sich häufig sahen, aber sie wusste auch davon, dass Harry täglich mit Snapes Hund spazieren ging. Beide jungen Männer standen ihm nahe und einer der beiden musste der Patient sein, von dem Snape immer sprach.

Auf gut Glück versuchte sie endgültig herauszubekommen, um wen es sich handelte, denn beiläufig fragte sie: „Und wie kommt Harry damit klar?“ Snape blickte sie mit unergründlicher Miene an. Sie bemerkte, dass einer seine Mundwinkel einen Augenblick später eine Art Lächeln zu formen versuchte.
Belustigt antwortete Snape: „Miss Granger, ich habe mich bereits gefragt, ob Sie es nicht längst herausgefunden haben. Mr. Potter möchte offenbar nicht, dass jemand davon erfährt, weil es bisher nur ein einziges Mal geschehen ist. Ein Mal, von dem er zumindest weiß und das war vor über drei Monaten.“

Nach einem kurzen Gespräch ließ Snape zwei Weingläser und die Flasche Elfenwein an den Tisch schweben. Beim Anblick der Flasche musste Hermine grinsen. Snape bemerkte ihre Reaktion, doch bevor er etwas sagen konnte, erklärte sie in einem amüsierten Tonfall: „Sie hätten ihn sehen sollen, als er Ihren Heuler bekommen hat. Es sah aus, als hätte er ein Todesnäheerlebnis.“
Jetzt musste Snape nach langer Zeit wirklich einmal auflachen, wenn auch nur sehr kurz. Seine folgende Antwort war ebenso knapp wie sein unerwarteter Gefühlsausbruch, denn er sagte mit schwelgerischem Sarkasmus: „Ja, so wirke ich auf manche.“

Im Fuchsbau schien man Hermine nicht zu vermissen, nur Ron und Sirius schauten untröstlich drein. Es sollte eine Überraschung für Harry sein, dass nicht nur Remus und Tonks, sondern auch Neville und Luna heute Abend zu Gast waren. Für Harry war die Überraschung jedoch gelungen und er fand sich plötzlich in einer sehr angeregten Unterhaltung mit Luna über die letzten Artikel des Klitterers wieder. Ron hingegen war der festen Überzeugung, dass allein aufgrund Hermines Abwesenheit die Überraschung nicht geglückt sein konnte – nicht einmal teilweise. Sirius war ebenfalls enttäuscht darüber, dass Snape ihm die Idee, Harry mit alten Bekannten zu überraschen, durchkreuzt hatte. Sein Patensohn stand Hermine sehr nahe und nun hockte sie bei Snape, anstatt hier am Tisch zu sitzen, Eierpunsch zu trinken und sich mit ihren Freunden zu unterhalten.

Dass Hermine nicht hier war, hatte Harry durchaus registriert, aber er wusste auch, dass sie gekommen wäre, wenn es nicht etwas geben würde, das ihres Erachtens wichtiger war. Warum sollte er ihr deswegen böse sein? Es wäre nicht die letzte Gelegenheit, sie zu treffen.

Mit einem spitzbübigen Lächeln sagte Harry zu Luna: „Du wirst es nicht glauben: Dumbledore hat behauptet, er würde auf dem Bild den Schrumpfhörnigen Schnarchkackler erkennen!“
Lunas glasige Augen schienen noch ein Stückchen weiter aus ihrem Kopf zu lugen, als sie verträumt klingend antwortete: „Weißt du Harry, ich glaube, Professor Dumbledore ist einer der wenigen, wenn nicht sogar der einzige, der wirklich ’sehen’ kann!“
Ron, der endlich seine miese Stimmung zu untergraben versuchte, fügte Lunas esoterisch klingender Bemerkung hinzu: „Ja, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Weißt du noch, Harry, als wir unter deinem Unsichtbarkeitsumhang in Hagrids Hütte standen? Mit Fudge, Malfoy und Dumbledore… Ich bin mir so sicher, dass Dumbledore uns gesehen hat! Ich weiß zwar nicht wie, aber ich weiß, dass er mir direkt in die Augen gesehen hat. Irgendwie fand ich das damals richtig gruselig.“

Harry hatte keine Zeit, dieser Information Wichtigkeit zuzumessen, denn Tonks quiekte plötzlich wie ein kleines Ferkel, weil sie eine Karaffe mit Kürbissaft umgestoßen hatte. Sie selbst war die Erste, die über ihr Missgeschick laut zu lachen begann. Liebevoll, aber auch grinsend, half Remus ihr, den verschütteten Saft mit dem Zauberstab verschwinden zu lassen und den Tisch zu säubern. Schadenfreude war für Sirius fast die größte Freude. Man konnte ihn kaum beruhigen, so sehr musste er über Tonks Missgeschick lachen.

Neben Sirius sitzend hatte Anne ihr Augenmerk auf all die magischen Dinge gerichtet, die im Fuchsbau geschahen und im Haus der Weasleys geschah viel – allein schon in der Küche. Als Remus auch noch den Zauberstab gezückt hatte, blinzelte sie nicht ein einziges Mal, um ja nichts zu verpassen. Sie fand es spannend, was alles mit Zauberei zu machen war. Zudem hatte Mr. Weasley sie den ganzen Abend über in Beschlag genommen und sie etliche Dinge über Muggelgegenstände gefragt, doch sie sträubte sich bis jetzt vehement und mit errötetem Gesicht, ihm den Unterschied zwischen Liebeskugeln und Liebesperlen zu erklären. Seit er Minister war, war seine Vorliebe für Muggelgegenstände zwar nicht verblasst, aber er hatte nur noch wenig Zeit für sein Hobby.

Es entging Harry nicht, wie Tonks Remus mehrmals mit dem Ellenbogen anstieß. Irgendetwas hatten die beiden vor, aber Remus schien schüchtern und bat sie flüsternd, aber für Harry hörbar, sie solle sich noch gedulden. Im weiteren Verlauf des Abends gab er ständig vor, beschäftigt zu sein, weil er sich entweder gerade Eierpunsch nachschenkte oder mit Sirius ein inhaltsarmes Gespräch führte. Harry bemerkte auch, dass Tonks darüber sehr ungehalten war. Was auch immer sie loswerden wollte, sie wollte es nun selbst in die Hand nehmen, denn sie erhob sich von ihrem Stuhl und holte tief Luft, um sich im Anschluss Gehör zu verschaffen, da sagte die am Herd stehende Molly plötzlich laut in die fröhliche Runde: „So, das Essen ist fertig! Wer hilft mir?“ Tonks war die einzige, die nicht auf einem Stuhl saß, so dass Molly sagte: „Tonks, das ist aber nett vor dir!“ Tonks seufzte, half Molly jedoch, mit ihrem Zauberstab die Gemüseschälchen, Fleischplatten und Saucieren auf dem Tisch zu platzieren. Nur zwei Mal passierte ihr ein kleines Malheur.

Während des Essens herrschte keine Stille; im Gegenteil. Sirius und Remus waren bei ihrem Lieblingsthema angelangt: Snape. Sie kramten alte Geschichten aus, mit denen sie Severus lächerlich machten. Eigentlich war es Sirius, der die Geschichten erzählte, während Remus sich zurückhielt und nur manchmal die Fakten korrigierte. Remus lachte auch mehrmals, aber eher, weil Sirius außerordentlich gut aufgelegt war; so witzig erzählte, weil er während seiner Schilderungen wie wild mit seinen Armen herumfuchtelte und dabei Grimassen schnitt, womit er den wiedergegebenen Erinnerungen mit seinem vollen Körpereinsatz eine unterhaltsame Note gab.

Man war allgemein beim Nachtisch angelangt und beim Thema Weihnachtsgeschenke, als Tonks laut sagte: „Für Harry haben wir ein ganz tolles Geschenk, es ist…“ Sie beugte sich zu Sirius vor und flüsterte es ihm ins Ohr.
„Hey, das ist gemein!“, beschwerte sich Harry grinsend. Sirius erwähnte etwas später mit vorgetäuscht ernster Miene, dass er sogar wissen würde, was man Snape schenken könnte. Tonks, Remus, Ron und Harry horchten auf.
„Und? Was würdest du Severus schenken, wenn du, was ich bezweifle, ihm jemals ein Geschenk machen würdest?“, fragte Remus.
Sirius grinste verschmitzt und sagte etwas leiser, dass nur die vier es hören konnten: „Ein Einjahres-Abonnement für Shampoo!“

Severus verteidigen wollend füllte Harry seinen Teelöffel mit Vanillepudding und schleuderte den Happen Nachtisch auf seinen Patenonkel. Der entschied in nur zwei Sekunden, nicht sauer zu reagieren, sondern Harry mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Bevor Ron in die Schlacht einsteigen konnte, rügte Molly die beiden Gäste, die bereits eine kleine Sauerei angerichtet hatten. Zum Glück hatten die Zwillinge am anderen Ende des Tisches das nicht mitbekommen, denn die beiden von einer Essensschlacht abzuhalten wäre schier unmöglich gewesen.

Die Lästereien über Snape wurden jedoch noch gröber. Harry wollte sich die gute Stimmung nicht vermiesen lassen und entschloss sich daher, Molly beim Abräumen zu helfen und zwar auf Muggelart, um Abstand zu gewinnen. Die Stimme seines Patenonkels war jedoch so laut, dass er noch immer alles hören konnte, auch wenn er weiter hinten in der Küche am Waschbecken stand. Er vernahm jedes Wort von Sirius, der belustigt erzählte: „…und wie er erst dumm aus der Wäsche geschaut hat, als plötzlich seine ganzen Hausaufgaben in Flammen aufgegangen waren! Oder weißt du noch, als James ihm die Ganzkörperklammer hinterher geworfen hatte? Er ist voll vorüber gefallen, direkt vor Lilys Füße!“
Remus konterte ernst und vorwurfsvoll: „Severus hat sich dabei die Nase gebrochen! Und Lily hat James deswegen die Hölle heiß gemacht!“ Wenigstens einer, dachte Harry, der keinen Gefallen mehr an solchen Späßchen mit Severus hatte.
„Aber das Witzigste war immer noch, als James ihn kopfüber in der Luft hat schweben lassen und…“, sagte Sirius verstummend.

Vor einigen Jahren, nachdem Harry genau diese Erinnerung in Snapes Denkarium gesehen hatte, hatte er seinen Patenonkel zur Rede gestellt. Sirius musste sich eben daran erinnert haben, weswegen er mitten im Satz innegehalten hatte, um Harry nicht zu verärgern. Was Harry jedoch stutzig machte, war, dass er nun gar nichts mehr hörte. Kein Klappern von Geschirr, kein Lachen, keine Stimmen… Mit weit aufgerissenen Augen drehte er sich um und blickte auf einen leeren Tisch.

Als Harry etwas an seiner Seite spürte, ohne jemanden sehen zu können, schrie er kurz auf und machte einen Satz zurück.

Von Harrys kurzem Schrei aufgescheucht starrten alle Gäste ihn an. Molly, die ihn versehentlich gestreift hatte, als sie Geschirr in das Waschbecken legte, entschuldigte sich bei Harry, doch der blickte nur ins Leere.
„Harry?“, fragte Molly besorgt. Sie streckte eine Hand aus, um ihn an der Schulter zu packen.
In dem Moment, als ihre Hand ihn berührte, schrie Harry erschreckt auf und wimmerte: „Nein… nein…“ Schützend umschlang er sich mit seinen eigenen Armen.
Dieses Mal fragte Sirius, der sich bereits von seinem Stuhl erhoben hatte: „Harry, alles in Ordnung?“ Harry antwortete nicht. Er reagierte auf keine Frage. Ron, Remus und Sirius näherten sich ihm und betrachteten ihn besorgt. Sich über die Situation nicht im Klaren seiend ergriff Ron die Arme seines Freundes und erschrak, als Harry panisch reagierte und um sich schlug. Remus hielt Ron davon ab, Harry nochmals zu nahe zu kommen.

Alle Gäste waren besorgt. Neville schien verwirrt und den Tränen nahe zu sein, als er seinen Freund so hilflos am Boden kauern sah. Luna hingegen blickte Harry sehr nachdenklich an. Besonders Molly war aufgrund Harrys merkwürdigen Verhaltens kaum zu beruhigen und ständig fragte sie, was nur mit dem armen Jungen los wäre. Remus hielt jeden davon ab, sich Harry zu nähern und wies alle außer Sirius an, sich wieder zu setzen. Kurz darauf fragte er seinen besten Freund leise: „Sirius, weiß du, was mit Harry los ist?“
Sirius schluckte einmal, bevor er stockend erklärte: „Da… Ja, da war eine ähnliche Situation. Harry konnte mich nicht sehen! Ich war mit ihm deswegen im Hospital…“ Sirius hielt inne.
Remus bemerkte, dass Sirius kreidebleich geworden war. Er beruhigte seinen Freund mit einer Hand auf dessen Schulter und fragte: „Und was haben die Heiler gesagt?“
Sirius schluckte hörbar, bevor er antwortete: „Nichts. Ich meine, sie sagten, es wäre stressbedingt.“
Remus zog eine Augenbraue in die Höhe, als er ungläubig nachfragte: „Er wird von einem Mal zum anderen blind und taub und die sagen, er hätte Stress?“

Sirius erklärte, dass Harry vor drei Monaten erzählt hatte, er hätte zwar alles andere sehen können, nur ihn und Anne nicht mehr. Allerdings hatte Harry nicht sehr ausführlich mit ihm darüber gesprochen. Zudem wäre es bisher ja auch nur einmal geschehen. Niemand hatte damit gerechnet, dass dieses Phänomen noch einmal auftreten würde.

Sich mit einer Hand über das graubraune Haar fahrend fragte Remus: „Wer weiß alles davon?“
Sirius überlegte kurz und antwortete: „Na… außer Anne und mir noch Albus!“ Mit abwertendem Klang in der Stimme fügte er hinzu: „Natürlich auch Snape.“
Ungläubig fragte Remus nach: „Albus wusste von dem Vorfall und hat nichts getan? Hat er sich dazu überhaupt geäußert?“ Sirius verneinte wortlos.

Leise hatte sich Ron den beiden Männern genähert, als die in ihr Gespräch vertieft waren und er hatte deren Unterhaltung verfolgen können, während er die ganze Zeit über fassungslos seinen besten Freund angestarrt hatte, der sich wie ein Häufchen Elend auf dem Boden kauerte und ängstlich seine Knie umfasste. Mit einem Kloß im Hals, aber mit lauter Stimme, offenbarte Ron: „Ich glaube, Hermine ist genau deswegen heute bei Snape!“

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021 Der Fall Potter




Harry spürte etwas an seinem kleinen Finger und zog daher verschreckt die Hand zurück. Als er es nochmals spürte, zuckte seine Hand nur, aber er ließ die Berührung zu. Seine Atmung beschleunigte sich trotzdem, denn er konnte nicht sehen, was ihn berührte und so schloss er die Augen. Ohne zu sehen konnte Harry das Gefühl besser einordnen. Er spürte einen Finger an seinem. Aus einem Finger wurden mehrere, die mit Bedacht seine Hand leicht umfassten. Harry öffnete kurz die Augen. Es war ein beängstigendes Gefühl, eine Hand zu spüren, aber niemanden zu sehen, weshalb Harry seine Augen wieder fest zusammenpresste. Seine Atmung war unregelmäßig. Angst und Panik hatten ihn übermannt. Kleinlaut sagte er in den leeren Raum: „Ich hab Angst! Ich sehe niemanden!“ Dass man seine Worte gehört hatte, fühlte er, denn der Daumen der unsichtbaren Hand streichelte ermutigend seinen Handrücken. Nach einer Weile ließ er zu, von der Hand dazu aufgefordert zu werden, sich vom Boden zu erheben.

Remus hatte sich langsam an Harry herangetastet. Als Werwolf konnte er auch in seiner menschlichen Gestalt einige Gerüche verstärkt wahrnehmen, die anderen verborgen blieben. So verwunderte es ihn nicht, als Harry zugab, dass er Angst hatte. Angst war das Erste, was er wahrgenommen hatte. Mit seiner feinfühligen Art hatte er es geschafft, Harry zum Aufstehen zu bewegen. Die anderen Gäste beobachteten stillschweigend und mit einem Ausdruck des Mitleids, wie Remus Harrys Hand an seine Wange führte.

Harry spürte eine Wange und einen kleinen Schnauzbart. Erleichtert flüsterte er: „Remus?!“ Er fühlte, wie der Kopf sanft nickte. Harry begann zu weinen und sagte: „Remus! Ich hab Angst! Ich will nachhause! Bring mich nachhause, ja?!“ Wieder fühlte er ein Nicken.

Sirius war etwas gekränkt, weil sein Patensohn nicht nach ihm gefragt hatte. Die beiden Männer verließen mit Harry die geschockte Gesellschaft und apparierten vor die Tore von Hogwarts. Die Statuen am Eingang ließen die drei passieren. Harry fühlte die ganze Zeit über Remus Hand und auch wenn er nichts sehen konnte, so fühlte er sich auf dem Grund und Boden von Hogwarts bereits wesentlich wohler. Die unsichtbare Hand führte ihn in die Kerker. Harry wusste, dass Remus Severus aufsuchen wollte. Salazar erklärte an Snapes Gemächern: „Er ist nicht hier, Harry. Er ist in seinem Büro! Mit einer Frau…“ Harry kannte den Weg dorthin. Als Ron und er mit dem Ford Anglia nach Hogwarts geflogen waren, landeten sie so zusagen gleich danach in Snapes Büro, um eine Standpauke über sich ergehen lassen zu müssen.

Nachdem Remus an Snapes Bürotür geklopft hatte, wurde sie wenig später geöffnet. „Lupin!“, sagte Snape böse grinsend. Er wollte seinen ehemaligen Schulkameraden und Kollegen gerade mit einer schnippischen Bemerkung aufziehen, da hielt er plötzlich inne. Neben Lupin stand Harry, der ihn mit großen Augen anblickte. Einige Äderchen waren in dem Weiß seiner Augen geplatzt, was Harry ein sehr ungesundes Aussehen verlieh.
Bevor Remus die Gelegenheit dazu bekam, erklärte Harry bereits leise: „Ich sehe Remus nicht! Ich fühle seine Hand, aber ich sehe ihn nicht!“ Severus blickte hinunter und bemerkte die sich haltenden Hände der beiden Männer.
Hermine hatte sich zur Tür vorgekämpft und fragte: „Harry, wie ist das geschehen?“

Severus hatte die drei Männer in sein Büro gebeten, auch wenn es ihm nicht gefiel, dass einer der Männer Black war. Harry zitterte am ganzen Körper und erklärte die Situation dieses Mal ausführlicher. Er erklärte, wie er sich über Sirius und seine Gehässigkeiten geärgert hatte und wie mit einem Male Stille einkehrte.

„Das ist interessant!“, sagte Severus gelassen. Er begann damit, Harry auszufragen: „Sie haben nicht einmal mehr die Menschen gesehen, die Sie nicht verärgert haben?“ Harry verneinte wortlos. Severus konnte es sich nicht verkneifen, Black für Harrys Zustand die Schuld zuzuweisen.
Während Severus die Flasche mit dem leichten Beruhigungstrunk suchte, weil das Mittel beim letzten Mal geholfen hatte, wandte sich Harry mit besorgter Miene an Hermine und fragte: „Was ist, wenn ihr alle verschwindet…? Was, wenn ich irgendwann niemanden mehr sehen kann? Hermine… ich will nicht allein sein!“

„Black, wie wäre es, wenn Sie das tun, was Sie am besten können?“, suggerierte Severus hochnäsig.
„Und das wäre…?“, fragte Sirius gereizt nach.
Snape wandte sich direkt an seinen Erzfeind und befahl: „Gehen Sie und holen Sie Albus!“ Sauer darüber, Snapes Befehl gehorchen zu müssen, weil es das Beste für Harry war, verließ Sirius das Büro, um den Direktor zu benachrichtigen.

„Lupin“, sagte Severus mit schmieriger Stimme, um die Aufmerksamkeit des ehemaligen Mitschülers zu erlangen.
Remus hatte noch immer nicht von Harrys Hand abgelassen. Er wirkte hilflos und besorgt. „Ja, Severus?“, fragte Remus mit dünnem Stimmchen und großen Augen. Von den vier Gryffindors, die Severus damals das Leben schwer gemacht hatten, war Remus der harmloseste, wenn nicht gerade Vollmond war.
„Lupin, unterrichten Sie mich so genau wie möglich über den Inhalt der Gespräche, die Mr. Potter so verärgert haben. Ich brauche Anhaltspunkte, was den Auslöser für Harrys ’Krankheit’ betrifft.“

Remus druckste herum. Wie sollte man jemandem ins Gesicht sagen, dass man über ihn schlecht gesprochen hatte, ohne das eigene Gesicht dabei zu verlieren? Sich zusammennehmend erklärte Remus abgehackt: „Wir… wir haben über alte Zeiten gesprochen. Über Hogwarts… über die Späße, die James…“

Er genoss es, Lupin so verlegen zu erleben. Spöttisch warf Severus ein: „Ah ja, die ’Späße’. Die waren nur für diejenigen unterhaltsam, die durch Ihren Schabernack nicht persönlich betroffen waren, nicht wahr? Haben Sie über bestimmte Ereignisse ausführlich diskutiert oder hat es Ihnen gereicht, die Erinnerungen an Ihre Schulzeit mit einer kurzen, chronologischen Aufzählung Ihrer Streiche aufzufrischen?“
Hermine dachte laut: „Vielleicht will Harry nicht hören, dass sein Vater früher so ein… Na ja… so ein…“
Severus nahm es ihr ab, eine entsprechende Bezeichnung zu finden und schlug mit ruhiger Stimme, als fühlte er sich nicht persönlich betroffen, einige Begriffe vor: „Taugenichts? Unruhestifter? Schultyrann? Es gibt viele Bezeichnungen, die zutreffen würden.“ An Harry gewandt fragte Severus ernsthaft: „Ist es so, Mr. Potter? Gefällt es Ihnen nicht, wie Ihr Vater früher mit seinen Mitschülern umgesprungen ist? Wollen Sie nicht hören, wie er andere gedemütigt und verletzt hat? Schalten Sie daher einfach Ihre Sinne aus?“
„Ich schalte gar nichts aus! Das passiert einfach“, erklärte Harry sofort. Er überlegte kurz, antwortete jedoch ehrlich: „Mir gefällt zwar nicht, was er getan hat, aber ich habe mich damit abgefunden, dass er in der Schule einige, ähm, unschöne Dinge angestellt hat.“

Die Tür öffnete sich. Sirius kam hereingestürzt und sagte aufgeregt atmend: „Albus ist nicht da. Minerva sagt, er wäre kurzfristig zu den Weasleys aufgebrochen.“
Harrys Augen weiteten sich vor Freude: „Sirius!“
Mit breitem Lächeln fragte sein Pate: „Du siehst mich, Harry? Oh, ich bin so froh!“ Harrys Freude verging, als er auf seine Hand starrte, die noch immer die unsichtbare Hand von Remus hielt.
Zaghaft fragte Remus: „Harry, siehst du mich?“ Er erhielt keine Antwort.

„Ich möchte ein Experiment wagen“, kündigte Severus an. „Lupin, wenn Sie die Freundlichkeit hätten?“ Remus stand auf und ließ sich willig von Severus zur Tür begleiten. „Mr. Potter, ich möchte Sie bitten, wenn möglich, ohne zu blinzeln, die Tür hier im Auge zu behalten.“ Severus schloss die Tür hinter Remus und öffnet sie sofort darauf wieder. Harry hatte nicht ein einziges Mal geblinzelt.
Als die Tür wieder aufging, sagte er aufgeregt fröhlich: „Ich sehe ihn!“ Remus fiel ein Stein vom Herzen.

Hermine blieb erstaunlich sachlich, als sie zu Severus sagte: „Dann ist es definitiv keine Erkrankung des Gehirns und keine psychologische Muggelkrankheit!“
Severus bestätigte ihren Verdacht und erklärte: „Sie haben Recht, Miss Granger. Es muss eine magische Erkrankung sein, denn…“
Hermine fiel ihm ins Wort und regte an: „Es könnte aber auch ein Phänomen sein und keine Erkrankung!“
„Wenn es ein Phänomen ist, Miss Granger, dann eines, das äußerst selten auftritt, weil ich nämlich auf diesem Gebiet bereits recherchiert und nichts gefunden habe“, erwiderte Severus.
„Auf jeden Fall scheint er Probleme damit zu haben, die Sache wieder rückgängig zu machen. Ergibt es denn überhaupt einen Sinn, Dinge oder Personen, die er schon nicht sehen kann, kurzzeitig zu verbergen, damit er sie wieder sehen kann?“, philosophierte Hermine.

Perplex starrten Remus, Sirius und Harry auf Hermine und Severus, die wie ein eingespieltes Forscherteam ihre Theorien mitteilten, während sie Bücher aufschlugen, um etwas nachzulesen. „Ähm…“, sagte Harry, um die Aufmerksamkeit der beiden zu erlangen. Als Severus ihn anblickte, fragte Harry fassungslos: „Warum genau ist Hermine eigentlich hier?“
Jetzt blickte auch Hermine von ihrem Buch auf und erklärte: „Oh! Na ja, wir sind seit Wochen damit beschäftigt, einen Grund für deine ’Situation’ zu finden. Was hier eben geschehen ist, war sehr interessant, Harry!“
Severus erläuterte: „Möglicherweise ist es nichts, weswegen man sich Sorgen machen müsste, aber wir wollten zumindest herausbekommen, was es überhaupt sein könnte.“
Ungläubig fragte Harry: „Ihr beide – zusammen – recherchiert und forscht seit Wochen, was der Grund dafür sein könnte, dass ich manchmal keine Leute mehr sehe?“ Hermine nickte mit einem Gesichtsausdruck, der mitteilte, dass sie ihr Verhalten für völlig normal hielt.
Severus nickte nur einmal bestätigend, bevor er sagte: „Mr. Potter, wenn das noch einmal geschehen sollte, dann suchen Sie mich bitte sofort auf und zwar, wenn möglich, zusammen mit der Person, die Sie nicht mehr sehen können! Mir ist da noch eine andere Sache eingefallen, der ich auf den Grund gehen möchte.“

Einige Tage später, am ersten Weihnachtsfeiertag, war die durch den Schnee weiß gezeichnete Landschaft ein wahrer Blickfang geworden. Harry saß nach dem Aufstehen eine Weile an seinem Fenster im Erdgeschoss und schaute verträumt nach draußen; beobachtete ab und an Hedwig, die zusammen mit anderen Eulen umherflog. Er hatte sich dazu entschlossen, Severus die Flasche Nesselwein, die der aufgrund des hohen Wertes bereits als Präsent abgelehnt hatte, zu Weihnachten zu schenken. Die Eule mit dem Geschenk hatte er bereits gestern Abend losgeschickt. Weihnachtspäckchen wurden von den Hauselfen empfangen, die entsprechend der Adressierung die Geschenke unter die jeweiligen Weihnachtsbäume legten. Dass Severus dem Wein nicht abgeneigt gewesen war, hatte Harry in einigen Gesprächen herausbekommen. Der einzige Grund, warum er die Flasche nicht angenommen hatte, war, weil sie seines Erachtens viel zu wertvoll sein würde. Weihnachtsgeschenke abzulehnen war jedoch ungehörig, dachte Harry, weswegen er fest damit rechnete, dass Severus die Flasche dieses Mal behalten würde.

Unter dem kleinen Weihnachtsbaum in Harrys Wohnzimmer hatten sich etliche Geschenke angehäuft, die von den Hauselfen dort niedergelegt worden waren. Die Form und Griffigkeit eines der Geschenke ließ einen Pullover erahnen. Der Blick auf das Schild am Päckchen, auf welchem „Familie Weasley“ stand, bestätigte Harrys Vermutung. Sie schenkten ihm neben dem jährlichen Pulli, für den er wohl nie zu alt sein würde, auch Bücher und einige Kleinigkeiten, die er gut gebrauchen konnte.

Sirius und Anne hatten ihm einen Besen geschenkt. Es war der neue Rocketeer, der momentan schnellste Besen auf dem Markt. Nachdem Harry den Besen für eine Viertelstunde begeistert begutachtet hatte, stürzte er sich auf die anderen Geschenke. Was könnte es wohl sein, was Remus und Tonks ihm schenken würden? Deren Paket fühlte sich so weich an wie das mit dem Pullover von Mrs. Weasley. Nachdem er es geöffnet hatte, breitete er den Inhalt auf dem Boden aus. Es war ein kompletter Muggelanzug: eine schwarze Hose, ein weißes Hemd, eine passende Krawatte, sogar Schuhe, Krawattennadel, Manschettenknöpfe mit dezentem Gryffindorabzeichen und Unterwäsche waren dabei. Der Anzug wirkte etwas groß, dachte Harry, bevor er den dabei liegenden Brief las:


„Lieber Harry,

wir beide wünschen dir ein schönes Fest. Wir sehen uns zwar morgen, aber das Geschenk wollten wir dir pünktlich überreichen! Keine Sorge wegen der Größe, denn die passt sich magisch an!

Alles Liebe,
Remus & *durchgestrichen* Tonks“


Harry lachte. An der Handschrift erkannte er, dass Remus ihren Vornamen unter den Brief geschrieben hatte. Sie musste ihn ohne sein Wissen durchgestrichen haben, denn es war an der Handschrift eindeutig zu erkennen, dass Tonks selbst ihren Nachnamen dahinter gesetzt haben musste.

Er staunte nicht schlecht, als er ein kleines Päckchen in der Hand hielt, welches von Severus stammte. Neugierig öffnete er es und las den Titel des Buches: „Muggel-Märchen und ihr historischer Hintergrund“. Erst nachdem Harry die Kapitel des Buches im Inhaltsverzeichnis überflogen hatte, verstand er die Bedeutung des Geschenks. Er könnte das Thema sogar in seinem Unterricht einbringen, wenn er wollte. Das Buch behandelte bekannte Märchen aus der Muggelwelt, die entweder tatsächlich stattgefunden hatten oder zumindest einen wahren Kern besaßen.

Harry las gleich das Kapitel über Schneewittchen. Die Hexe aus diesem Märchen hat es früher also wirklich gegeben, dachte Harry. Sie hatte mit schwarzmagischen Gegenständen wie Spiegeln herumhantiert und war zu ihrer Zeit eine gefürchtete Zaubertränkemeisterin gewesen. Das Gift auf dem Kamm soll verdünntes Basiliskenblut gewesen sein und der Apfel wäre mit einem Gebräu getränkt, ähnlich dem „Trank der Lebenden Toten“, versehen gewesen. „Wow!“, brachte Harry erstaunt hervor. Tante Petunia oder Onkel Vernon hatten ihm niemals ein Kinderbuch vorgelesen, aber Harry kannte viele Märchen. Nachdem er seit der Vorschule bereits Lesen konnte, hatte er damals Dudleys verschlissene Märchenbücher verschlungen.

Am Fenster klopfte es und Harry ließ gleich darauf eine Eule herein. Der Brief, den sie brachte, stammte vom Ministerium. In ihm stand:


„Sehr geehrter Mr. Potter,

es freut uns Ihnen mitteilen zu dürfen, dass wir Ihnen für Ihre besonderen Verdienste für das Wohl der magischen und nichtmagischen Gesellschaft den Orden des Merlin 1. Klasse überreichen möchten.

Wir möchten Sie daher bitten, sich am 08. Januar kommenden Jahres zu 14 Uhr im Ministerium einzufinden. Die Verleihung selbst findet um 18 Uhr statt.

Wir bitten Sie herzlich zu erscheinen.

Ein frohes Weihnachtsfest wünscht Ihnen
Arthur Weasley
Minister für Zauberei“


Den Brief legte Harry emotional unbewegt auf einen Tisch, bevor er sich den anderen Geschenken widmete. Nachdem er alle Geschenke geöffnet hatte, nahm er sich erneut das Buch über Märchen und las auf dem Boden sitzend darin weiter.

Wenige Minuten später pochte es laut. Das aufgeklappte Buch auf dem Boden liegen lassend erhob sich Harry und öffnete die Tür. Vor ihm stand Severus, in einer Hand die Flasche Nesselwein haltend, in der anderen ganz offenbar den Brief von Mr. Weasley. Bevor Harry die Chance bekam, einen Gruß loszuwerden, zeterte Severus aufgebracht und mit Zornesröte auf den Wangen, während er mit dem Stück Pergament in der Luft wedelte: „Mr. Potter! Was denken Sie sich dabei? Ich habe es nicht nötig, aufgrund von Beziehungen so eine Auszeichnung…“
Harrys Augen weiteten sich. Er lächelte und sagte unterbrechend: „Bei Merlins Bart, Sie haben auch einen bekommen? Das ist ja riesig!“ Harry stürmte auf den Tisch zu und nahm seinen Brief vom Ministerium in die Hand. Severus nachahmend wedelte er damit und sagte fröhlich: „Ich habe auch einen Brief bekommen! Sagen Sie, welche Klasse will man Ihnen verleihen?“
Verdutzt öffnete Severus einige Male den Mund, aber es kam kein Ton heraus. Nachdem er sich geräuspert hatte, sagte er leise: „Erster Klasse.“
Harry hüpfte wie ein Kind in die Luft. „Das ist ja Wahnsinn! Moment! Ich wette, Dumbledore hat auch einen Brief bekommen! Ich geh und frag ihn“, sagte er erfreut, bevor er durch die Tür verschwand.

Mit Absicht ließ Harry einen verdatterten Severus in seinem Wohnzimmer zurück. Er wusste genau, dass Mr. Weasley den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden hatte und nun alle drei den Orden des Merlin 1. Klasse erhalten sollten, doch er hatte keine Lust, Severus die Gelegenheit zu geben, ihn über mögliche Gespräche mit Mr. Weasley auszuhorchen. Außerdem wollte er nicht, dass Severus ihm aus einer Überreaktion heraus wieder den Nesselwein in die Hand drückte. Er hielt es daher für sinnvoller, seine Überraschung vorzutäuschen und das Weite zu suchen. Was er nicht vortäuschen musste war die Freude über Mr. Weasleys Entscheidung.

Mit offen stehendem Mund verweilte Severus in Harrys Wohnzimmer. Seine Gedanken überschlugen sich. Das eben Erlebte deutete er so, dass Harry keinen Finger krumm gemacht hatte und man ihm, dem Ex-Todesser, tatsächlich aus freien Stücken diese hohe Auszeichnung überreichen wollte. Berührt über die Entscheidung des Ministers ließ sich Severus auf einen Sessel nieder. Endlich, dachte Severus, endlich honorierte man sein verdammtes Leben, das nie seines gewesen war. Endlich bekam er die Anerkennung, die er sich so sehnlich gewünscht hatte. Die Wiederherstellung seines Rufes war mit dieser bedeutsamen Auszeichnung gesichert. Severus schloss erleichtert die Augen.

Die Gefühle, die wie Wellen in einer Brandung in ihm aufwallten, ließen sich kaum unterdrücken. Er wollte das Wohnzimmer seines Kollegen schnell wieder verlassen, bevor Harry von Albus zurückkommen und ihn so ergriffen vorfinden würde. Nachdem Severus aufgestanden war, fiel sein Blick auf das Buch, das er Harry geschenkt hatte. Miss Granger hatte beiläufig erwähnt, dass Harry Gefallen an dem Buch finden könnte, weil es bekannte Geschichten aus der Muggelwelt mit der Zaubererwelt verband. Das Buch war nicht sehr teuer gewesen, aber es war auch nicht der Wert, auf den es bei einem Geschenk ankam. Es war für Severus offensichtlich, dass Harry bereits in dem Buch gelesen haben musste.

Eine Hand hebend blickte Severus auf das Etikett der Flasche Nesselwein und wiederholte nochmals für sich, dass es nicht auf den Wert eines Geschenks ankommen würde. Für einen Moment verweilten seine Augen auf dem Einhorn, dem Symbol für Unschuld und Reinheit. Er entschloss sich dazu, dieses Mal Harrys Geschenk anzunehmen.
Zuletzt geändert von Muggelchen am 22.01.2011 04:05, insgesamt 1-mal geändert.

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022 Der Augenblick der Wahrheit




Für die Verleihung hatte Susan sich in Schale geworfen. Sie trug ein beigefarbenes Kostüm mit passendem Umhang und die roten, langen Haare hatte sie sich locker nach oben gesteckt. Bevor sie jedoch ihr Haus verließ, stellte sie zwei Gläser bereit und der Met kühlte längst. Wenn er heute Abend ihrer Bitte nachkommen würde, mit zu ihr nachhause zu kommen, dann würde sie ihm von der Gesundheitsproblematik seiner Familie berichten.

Über alle möglichen Konsequenzen war sie sich im Klaren. Er könnte nach dem Gespräch seinen Vater zur Rede stellen, der daraufhin offiziell Beschwerde über sie einreichen würde und dann müsste sie sich mit Mr. Weasley auseinandersetzen. Der würde ihren Grund, sich über Vorschriften hinweggesetzt zu haben, zwar nachvollziehen können, aber er müsste als Minister trotzdem entsprechend handeln. Vielleicht würde er sie nur versetzen, sozusagen runterstufen, aber nicht feuern, obwohl er das eigentlich müsste. Sie rechnete jedoch mindestens mit einem Vermerk in ihrer Akte, der ihre berufliche Laufbahn erheblich beeinträchtigen würde. Das war fast so wie früher in Hogwarts, dachte sie. Dort hatte sie selbst zwar nie einen Tadel oder Vermerk für ungebührliches Benehmen erhalten, aber von anderen Schülern hatte sie davon erfahren. Susans Gedanken wanderten Jahre zurück.

Die Schulzeit war für sie eine angenehme Zeit gewesen, trotz der vielen Vorfälle, von denen die Schüler meist zu spät etwas erfahren hatten, weil Harry sich heimlich, still und leise um sie gekümmert hatte. Das erste Schuljahr war für sie sehr ruhig verlaufen, aber am Ende war das Gerücht herumgegangen, dass Harry Professor Quirrell niedergestreckt und den Stein der Weisen gerettet hätte, wovon keiner etwas mitbekommen hatte. Das zweite und dritte Schuljahr war bereits von düsteren Ereignissen gezeichnet gewesen; versteinerte Schüler, mysteriöse Botschaften, die entführte Ginny und der entflohene Mörder Sirius Black. Durch das Trimagische Turnier war das vierte Schuljahr sehr munter und sportlich vergangen. Erst Cedrics Tod am Ende des Schuljahres hatte sie endgültig wachgerüttelt. Dumbledores Rede und die Warnung, dass Voldemort zurückgekehrt war, hatte sie mit einem Schlag erwachsen gemacht. Durch ihre Tante Amelia hatte sie bereits von dem Mord durch Todesser an ihrem Onkel Edgar gewusst. Ende des fünften Schuljahres hatte sie auch noch ihre Tante verloren, die wahrscheinlich durch Voldemort selbst gerichtet worden war. Trotzdem hatte Susan die meiste Zeit während ihrer Schultage, wie sollte es anders sein, mit viel Lernen verbracht, mit ihren Freunden und – was sie nie jemanden anvertraut hatte – mit dem Anhimmeln von Draco aus der Ferne.

Das erste Mal hatte sie ihn noch vor der Sortierung in die Häuser auf den Stufen vor der großen Halle getroffen. Seine Art, sich vornehm ausdrücken zu können, egal was er von sich gegeben hatte, hatte sie verzaubert. In ihrer kindlich perfekten Welt hatte sie sich so einen Prinzen vorgestellt, wie sie ihn aus Märchen kannte. Sie hatte jedoch schnell begriffen, dass der Junge, der ihr Interesse geweckt hatte, kein netter Junge war. Und sie hatte einsehen müssen, dass es besser sein würde, sich von Draco fernzuhalten. Trotz dieser inneren Erkenntnis war es ihr schwergefallen, Draco nicht hinterherzusehen, wenn er an ihr vorbeistolziert war.

Zwölf Mal während der Schuljahre in Hogwarts hatte sie sich nicht gewehrt, als er sie mit Hilfe von Vincent und Gregory dazu gezwungen hatte, ihre Hausaufgaben rauszurücken, damit er sie abschreiben konnte. Sie war derweil ruhig an der Wand der Toilette lehnend sitzen geblieben und hatte seiner Stimme gelauscht – nicht den bösen Worten, die er über die vermeintliche Inkompetenz von Dumbledore, Hagrid oder McGonagall verloren hatte, sondern nur dem Klang seiner Stimme. Es hatte sie geschmerzt zu wissen, dass sie nur eine von vielen dargestellt hatte, die ebenfalls wegen ihrer Hausaufgaben für den Slytherin-Prinzen gut genug gewesen waren. Mehr als einmal in all den Jahren hatte sie bemerken müsse, dass er nicht einmal ihren Namen kannte. Für ihn war sie, wenn überhaupt, nur die Rothaarige aus Hufflepuff gewesen, die hervorragende Noten in sämtlichen Fächern aufweisen konnte, was er sich zu Nutze gemacht hatte.

Als sie erfahren hatte, dass Draco „Schlammblut“ zu Hermine gesagt hatte, denn so etwas hatte sich unter den Schülern immer so schnell wie ein Lauffeuer verbreitet, war sie sauer auf ihn gewesen. Sie hatte in diesem Moment nur gedacht, was alle anderen Schüler offen ausgesprochen hatten. Draco war das Letzte. Draco war arrogant, gemein und verletzend. Aber Susan war auch sauer auf sich selbst gewesen, weil sie einfach nicht verstehen konnte, warum ihr trotzdem noch etwas an ihm lag, obwohl sie wusste, wie er war und wer er war. Der Eindruck, den sie von ihrem Schwarm bekommen hatte, hatte sich von Jahr zu Jahr immer mehr verdunkelt. Doch manchmal, wenn Draco über eine dumme Bemerkung von Gregory oder Vincent gelacht hatte, während er über den Schulhof geschritten war und wenn er sie genau in einem solchen Augenblick zufällig im Vorübergehen angesehen hatte, dann war für einen Moment die Zeit stehen geblieben, denn es schien, als hätte er nur ihr zugelacht. Diese kleinen Momente waren es gewesen, die Susan gezeigt hatten, warum ihr etwas an ihm lag. Wenn Draco nämlich gelächelt hatte, nicht fies, sondern wirklich aus einem Gefühl der Freude heraus, dann konnte er ganz anders wirken. Dann schien er nett zu sein. In solchen Momenten hatte er die Hoffnung in ihr geweckt, dass ein Fünkchen Ritterlichkeit in ihm stecken würde. Nichtsdestotrotz war sie Mitglied in Dumbledores Armee geworden. Mit ihrem Eintritt in die DA hatte Susan sich innerlich vollends gegen Draco und all das Böse um ihn herum gestellt – jedenfalls, was ihren Verstand betraf, denn ihr Herz hing noch immer an ihm; auch heute noch.

Susan war viel zu pünktlich im Ministerium angelangt. Der Minister begrüßte sie freundlich, wenn auch hektisch: „Miss Bones! Schön, dass Sie so frühzeitig hier sind! Bitte tun Sie mir einen Gefallen: seien Sie diejenige, die den Preisträgern etwas unter die Arme greift! Nehmen Sie sie in Empfang. Kümmern Sie sich darum, dass sie vorn sitzen, damit sie schnell auf die Bühne kommen können.“ Susan nickte perplex, denn eigentlich war für diese Aufgabe jemand anderes vorgesehen. Sie wäre heute also nicht nur ein Gast, sondern sie würde den Preisträgern eine Ansprechpartnerin sein.

Professor Dumbledore und Harry hatte Susan als Erstes empfangen. Mit den beiden und deren Begleitern pflegte sie eine nette Unterhaltung. Natürlich erkannte sie ihren ehemaligen Professor für Verteidigung wieder. Sie ließ es sich nicht nehmen, Mr. Lupin nach seinem Wohlbefinden zu fragen. Mit Mr. Black hatte sie einige Anlaufschwierigkeiten, was darauf beruhte, dass sie ihn seit ihrer Kindheit durch die Medien kannte und er für sie jahrelang einen gefährlichen Mörder verkörpert hatte. Die Begrüßung war daher ihrerseits etwas beklemmend. Die Frau an seiner Seite schien ein Muggel zu sein und Susan vermutete, es müsste die Frau sein, von der Mr. Weasley bereits so viel geschwärmt hatte. Mit Bedauern stellte sie fest, dass Professor Snape noch nicht anwesend war, denn sie ging davon aus, dass er Draco als seinen Begleiter mitbringen würde. Sie hörte aus einem Gespräch zwischen Harry und Dumbledore heraus, dass Snape mit Draco allein kommen wollte. Kaum sprach man von den beiden, traten sie bereits aus einem der vielen Kamine hervor.

Während Arthur die gerade eben eingetroffenen Gäste begrüßte, fiel Remus’ Blick auf den Brunnen der magischen Geschwister in der Eingangshalle. Er ging einige Schritte auf ihn zu, gefolgt von Miss Bones und Sirius. „Ich fass es nicht…“, sagte er lächelnd.
Miss Bones erklärte fröhlich: „Ja, mir gefällt der Brunnen jetzt auch besser!“

Die beiden magischen Geschwister standen noch immer in der Mitte, aber der Hauself, der Kobold und der Zentaur blickten nicht mehr bewundernd zu Hexe und Zauberer auf. Sie waren auf gleicher Augenhöhe mit den Zauberern. Elf und Kobold saßen auf einem Fels und ragten somit sogar einige Zentimeter über die Geschwister hinaus. Der Zentaur stand neben der Hexe, die ihren Arm in freundlicher Geste um dessen Schulter geworfen hatte. Lächelnd erklärte Miss Bones: „Mr. Weasley hat sich noch am ersten Abend darum gekümmert. Er hat fünf Stunden für die magische Veränderung benötigt.“

Draco hatte ihr, während sie mit Mr. Lupin und Mr. Black am Brunnen stand, einige zurückhaltende Blicke zugeworfen, die sich nicht deuten konnte. So entschied sie sich dafür, nett zu ihm zu sein, auch wenn die Erinnerung an das unangenehme Treffen im Restaurant und das aufwühlende Gefühl, welches seine bösen Worte in ihr ausgelöst hatten, wieder in ihr aufkommen wollten. Susan näherte sich den drei heutigen Preisträgern und bat freundlich darum, im Festsaal vorn an den größeren Tischen Platz zu nehmen, bevor sie sie in den Saal hineinbegleitete.

Während sich Dumbledore, Harry, Remus, Tonks und die anwesenden Weasleys an einem der großen Tische niedergelassen hatten, wählten Severus und Draco einen entfernter gelegenen Tisch. Severus bemerkte, wie die Leute an den anderen Tischen plötzlich zu murmeln begannen. Der Grund dafür war schnell gefunden. Gerade zur Tür herein steuerte Black mit seiner Begleitung an der Hand den Tisch seines Patensohnes an. Miss Adair war leicht als Muggel zu enttarnen, denn sie trug ein schlichtes Muggelkleid, welches sich von der glamourösen Kleidung der Hexen und Zauberer schon auf den ersten Blick unterschied. Severus hörte von anderen Gästen einige Bemerkungen wie „Darf ein Muggel überhaupt ins Ministerium?“ oder „Weiß der Minister, dass auch Muggel unter den Gästen sind?“.

Unerwartet füllte sich auch der Tisch von Draco und Severus mit weiteren Gästen. Hätten Luna und Neville nicht den Anfang gewagt, wären alle Plätze um Severus und Draco herum wahrscheinlich leer geblieben. Mutig setzte sich Luna direkt neben ihren ehemaligen Lehrer und grüßte dabei mit verträumtem Blick: „Guten Abend, Professor Snape.“ Sie blickte Draco an und grüßte ihn ebenfalls: „Draco.“ Sie dachte sich nichts dabei, ihn beim Vornamen zu nennen und nickte dem ehemaligen Klassenkameraden höflich zu. Neville schluckte hörbar, bevor er ebenfalls die beiden begrüßte, Draco jedoch förmlich mit Mr. Malfoy anredete.

Es war für Severus offensichtlich, dass Miss Lovegood die treibende Kraft gewesen war. Niemals hätte Mr. Longbottom sich freiwillig an einen Tisch mit ihm gesetzt, denn immerhin war er sein Irrwicht. Verdutzt betrachtete Severus die ältere Dame, die sich neben Mr. Longbottom setzte und von ihm als seine Großmutter vorgestellt wurde.

Draco bemerkte, wie Susan einige Meter entfernt mit einem jungen Mann und einer jungen Frau sprach und danach mit einer Geste ihrer Hand in seine Richtung deutete. Die zwei kamen schnurstracks auf Dracos Tisch zu und fragten höflich, ob sie Platz nehmen dürften. Draco kannte die beiden vom Sehen, aber Namen fielen ihm nicht ein. Severus übernahm die Begrüßung und sagte: „Guten Abend, Miss Abbott, Mr. Finch-Fletchley! Nehmen Sie ruhig Platz.“ Ein Stuhl neben Draco war noch frei. Er wusste, dass die meisten Angst davor hätten, sich in seiner Nähe aufzuhalten. Trotzdem war es ein unangenehmes Gefühl, dass der Platz neben ihm noch immer unbesetzt war. Noch unangenehmer war der Gedanke daran, dass er über den ganzen Abend hin unbesetzt bleiben könnte. Es war ihm fast egal, wer sich neben ihn setzen würde, solang nicht für alle anderen ersichtlich war, dass man ihn nicht leiden konnte.

Als der Minister mit seiner Rede begann und alle auf die Bühne starrten, fühlte Draco, wie der Stuhl neben ihm leise vom Tisch gezogen wurde. Er blickte auf und schaute Miss Bones direkt in die Augen. Sie beugte sich vor und fragte ihn leise ins Ohr: „Haben Sie etwas dagegen, wenn ich neben Ihnen Platz nehme?“ Er schüttelte den Kopf. In diesem Moment war es ihm wichtiger, dass der Stuhl neben ihm nicht verwaist blieb. Nickend grüßte Severus den neuen Tischgast, bevor er sich wieder Arthurs Rede widmete.

Der Minister hielt sich kurz. Nachdem er alle Gäste und Preisträger begrüßt hatte, klatschte er in die Hände. In diesem Moment erschienen auf den Tischen Speisen von überwältigender Üppigkeit. Vor Draco und Miss Bones materialisierte sich ein Spanferkel. Vor Severus tauchte ein gespickter Fasan auf, der noch immer mit seinen bunten Federn zu imponieren hoffte. Wie beim ersten Abendessen in Hogwarts machte Draco auch dieses Mal große Augen, bevor er gierig zugriff und sich zwei Stücken von dem Spanferkel nahm, dabei das duftende Gemüse völlig außer Acht ließ.

Neville konnte noch immer nicht glauben, dass Luna während des Essens von sich aus ein Gespräch mit Snape begonnen hatte und daraus tatsächlich eine lockere, interessante Konversation entstanden war. Er hingegen unterhielt sich lieber mit seiner Oma und den ehemaligen Hufflepuffs, die ihm gegenüber saßen.

Nach dem Spanferkel hatte Draco beim Fisch zugelangt, um sich jetzt mit Severus’ Hilfe beim Fasan zu bedienen. Schäkernd bemerkte Miss Bones: „Mr. Malfoy, wo essen Sie das alles nur hin?“
Eine schnippische Bemerkung lag Draco bereits auf der Zunge. Bevor er jedoch entgegnen konnte, dass seine Essgewohnheiten niemanden etwas angehen würden, spürte er einen Stoß an seinem Bein. Severus hatte ihm vor diesem Event sehr deutlich gemacht, dass er nur mitkommen dürfte, wenn er sich gesittet benehmen würde. Der Tritt sollte ihn daran erinnern, höflich zu bleiben und so erwiderte Draco manierlich: „Ich konnte schon immer viel essen. Liegt vielleicht an den Genen.“ Miss Bones wurde mit einem Male sehr blass.
Nachdem sie kräftig geschluckt hatte, sagte sie: „Sie machen einen neidisch! Andere müssten tagelang hungern, um wieder auf ihr Gewicht zu kommen.“
Den Charmeur spielend antwortete Draco: „Nicht doch Sie, Miss Bones. Sie hätten das nicht nötig. Wie wäre es mit etwas Fasan?“

Severus hatte wenig gegessen, damit sein Magen bei der Aufregung nicht zu rumoren begann. Äußerlich war es ihm nicht anzusehen, aber innerlich zitterte er vor Überspanntheit. Miss Bones hatte ihn und die anderen beiden Preisträger über die Reihenfolge aufgeklärt, in welcher die Preise verliehen werden würden.

Zuerst wurde Professor Dumbledore auf die Bühne gebeten. Noch bevor sich der alte Zauberer von seinem Stuhl erhoben hatte, war tosender Beifall zu hören, der ihn bis auf die Bühne hin begleitete. Die Blitzlichter der Kameras erhellten den Saal wie ein heftiges Wetterleuchten. Mit der Verleihung konnte erst fortgefahren werden, als Minister Weasley mit einer Geste um Ruhe bat.

Severus war erstaunt darüber, dass Albus seine Rede kurz und knapp gehalten hatte. Ein Dank an alle und die Versicherung, dass er diesen Preis seiner Bedeutung wegen herzlich gern entgegennahm war alles, was er zu sagen hatte. Trotz der knappen Rede folgte heftiger Applaus, als Albus sich wieder zu seinem Platz begab. Severus klatschte mit, obwohl sein Herz eine Wanderung hinauf in seine Kehle gemacht hatte. Er wäre der Nächste, wie Miss Bones vorhin erklärt hatte. Eine Rede hatte er lediglich in seinem Kopf vorbereitet, aber nicht schriftlich.

Nun war es soweit. Severus hörte nicht Arthurs einleitende Worte, aber als er seinen Namen vernahm, stand er wie ferngesteuert auf und ging nach vorn. Als er die Stufen der Bühne betrat, fühlte er sich unbehaglich, denn ihm wurde mit einem Male bewusst, dass man ihm keinen Applaus schenkte. Nur vereinzelt klickte eine Kamera. Auf der Bühne wurde er von seinem langjährigen Bekannten Arthur freundlich begrüßt, bevor er als Minister seiner Pflicht nachkam und seine kurze Rede hielt. Sie sahen sich in die Augen, während Arthur ihm den Orden in einer prunkvollen, kleine Schachtel mit den Worten überreichte: „…und aus diesem Grunde, Professor Snape, überreiche ich Ihnen für Ihre Verdienste zum Wohle der nichtmagischen und magischen Gesellschaft den Orden des Merlin erster Klasse!“

Severus streckte seine Hand nach dem Orden aus. In dem Moment, als sie die Schachtel berührte, ertönte ein Buhruf. Er war nicht lang genug, um den Unruhestifter ausfindig machen zu können, aber durchaus so laut, dass Arthur und Severus gleichzeitig ihren Blick auf die Gästeschar richteten und ihre Augen über einige Leute schweiften. Niemandem war der Buhruf entgangen. Einige schauten sich mokiert um; andere wiederum taten so, als hätten sie ihn nicht gehört. Arthur richtete seinen Blick wieder auf Severus und er erkannte, dass der Mann von diesem Zwischenfall tief getroffen war. Leise sagte er zu dem Preisträger: „Severus!“ Severus blickte Arthur an. Nicht den Minister, nicht Mr. Weasley, sondern Arthur, seinen Ordensbruder; seinen Verbündeten. Arthur flüsterte: „Severus, mach dir nichts draus!“ Einmal kräftig ein- und ausatmend nahm Severus den Preis entgegen.

All die Worte, die er sich zurechtgelegt hatte, waren durch diesen einzelnen Buhruf zunichte gemacht worden. Es schien nicht mehr von Bedeutung, ein paar Worte an die Gäste dieser Verleihung zu richten. Es war nicht wichtig, dem Publikum mitzuteilen, wie er fühlte. Es war nicht wichtig, dass sie ihn vielleicht anders sehen würden, nachdem er sich geöffnet hatte, denn das, und das war ihm in dem Moment klar geworden, als jemand die Frechheit besessen hatte, seine negative Meinung über ihn unverblümt kundzutun, würde sowieso niemals geschehen. Solang das verblassende Mal des Dunklen Lords auf seinem Unterarm verweilen würde und damit seine Vergangenheit nicht nur ihm vor Augen gehalten werden würde, solange würde er keine aufrichtige Anerkennung erhalten. Was er auch sagen würde, es würde niemanden interessieren. Niemand würde seinen Worten glauben schenken, auch wenn er gerade in diesem Moment so bereit war, die Wahrheit zu sagen. Warum sollte man etwas sagen, wenn niemand gewillt war zuzuhören und zu verstehen? So entschloss sich Severus dazu, nur mit wenigen Worten, die sehr denen von Albus ähnelten, allen Anwesenden zu danken, bevor er sich zurück zu seinem Platz begab. Nichts von dem, was ihm jahrelang auf der Zunge gebrannt hatte, verließ seine Lippen.

Harry war enttäuscht. Enttäuscht von den Gästen, die nicht bereit waren zu applaudieren, als Severus nach vorn gegangen war. Er selbst hatte erwägt zu klatschen, wollte aber nicht, dass sein Kollege zu der Annahme kommen würde, alle Leute würden nur Beifall spenden, weil er, der berühmte Harry Potter, damit begonnen hatte. Es brauchte nur irgendjemanden, der den Applaus ins Rollen bringen würde. Selbst Dumbledore hatte sich zurückgehalten und, so dachte Harry, aus denselben Gründen wie er selbst. Jemand anderes hätte es sein müssen; selbst Draco hätte der Erste sein dürfen. Harry war davon überzeugt, dass alle mitgeklatscht hätten, wenn nur eine einzige Person damit begonnen hätte.

Bevor Harry mit der Überlegung spielen konnte, Blickkontakt zu Neville und Luna aufzunehmen, um ihnen per Geste zu verstehen zu geben, dass sie klatschen sollten, war es auch schon zu spät gewesen. Arthur hatte mit seiner Rede begonnen. Als Severus den Orden entgegennehmen wollte, geschah etwas, was Harry zutiefst betroffen machte. Jemand rief kurz, aber laut „BUH!“. Sein Kopf war daraufhin in die andere Richtung geschossen. Harry hatte hinter sich geblickt, um denjenigen ausfindig machen zu können, der so dreist gewesen war, einer wichtigen Veranstaltung wie dieser hier einen so bitteren Nachgeschmack zu verleihen. Er hätte dem Verursacher nach der Verleihung gern den Kopf gewaschen, aber niemand schien es gewesen zu sein. Selbst Sirius hatte sich zunächst echauffiert umgeblickt, bevor er zu Remus geschaut und wegen Snapes peinlicher Situation frech zu grinsen begonnen hatte. Das Grinsen war ganz schnell wieder verstorben, als Remus ihm einen warnenden Blick zugeworfen hatte, denn seine Laune war aufgrund des unerhörten Vorfalls ebenfalls im Keller.

Harry hatte wieder zur Bühne geblickt, als Arthur Severus dazu aufforderte, ein paar Worte zu sagen. Durch Severus’ steinerne, emotionslose Miene hindurch hatte Harry den bestürzten Gesichtsausdruck festmachen können. Seine tiefe, ruhige Stimme während der kurzen Rede zeugte von fast unhörbar kleinen Abweichungen im Tonfall gegenüber der Sprechweise, die Severus normalerweise benutzte. Diese Abweichungen registrierte natürlich auch Dumbledore, denn sie zeigten für diejenigen, die den Zaubertränkemeister etwas näher kannten, wie tief getroffen Severus war. Severus war von dem Buhruf enttäuscht, war von den Gästen hier enttäuscht, war von der Gesellschaft enttäuscht. War von Harry enttäuscht? Harry blickte hilfesuchend zu Dumbledore hinüber. Der erste Preisträger des Abends schaute zurück; mit trauriger Miene und ohne jegliches Zwinkern in den Augen. Dumbledore hatte gehofft, dass Severus Anerkennung finden würde. Er war es ihm schuldig, doch dieser Augenblick stellte eine Situation dar, die Dumbledore niemals manipulieren würde. Er wollte, dass die Gesellschaft diesem Mann von sich aus einen Platz in ihr gab. Er wollte, dass Severus wusste, dass die Zauberergesellschaft ihn aus freien Stücken aufnehmen wollte und deshalb griff Dumbledore nicht ein. Deshalb klatschte er nicht als Erster und deshalb sagte er auch jetzt nichts. Er blickte nur zu Harry!

Der Blickkontakt mit Dumbledore endete erst, als Harry seinen Namen hörte und den hörte er nur, weil Arthur einen Sonorus-Zauber angewandt hatte. Ansonsten hätte Harry nichts gehört, denn es herrschte ein Heidenlärm aufgrund des Beifalls für den letzten Preisträger des Abends. Der Beifall wurde mit jubelnden Zurufen und einem Blitzgewitter untermauert. Alles zusammen dröhnte ohrenbetäubender durch den Raum als bei Dumbledore. Die Leute klatschten so laut, dass Harry nicht einmal hören konnte, wie Sirius sagte, er solle nach vorn gehen.

Die Hälfte dieses Beifalls gehörte Severus, dachte Harry. Ernüchtert von dem Buhruf und dem fehlenden Applaus für einen Mann, der es heute am meisten verdient hatte, ging Harry nach vorn. Mit gleichgültigem Gesichtsausdruck ließ er des Ministers kurze Rede über sich ergehen und nahm ohne jeglichen Enthusiasmus den Orden entgegen.

Harry hatte im Vorfeld gewusst, dass er der Letzte sein würde, der den Orden überreicht bekommen würde. Er hatte sich in den Tagen zuvor den Kopf zermartert, was er denn sagen sollte. Er wollte in jedem Fall mehr sagen als nur „danke“. Harry hatte das Gefühl, dass er jetzt zu den vergangenen Ereignissen weitere Worte verlieren musste, aber die richtigen kamen ihm einfach nicht in den Sinn; jedenfalls nicht sofort. Er wandte sich nach dem üblichen Händeschütteln und den Dankesbekundungen des Ministers bereits zum Gehen ab, als er plötzlich innehielt und sich noch einmal umdrehte, um doch zu den Anwesenden zu sprechen. Harry schloss für einige Momente die Augen. Jetzt waren sie plötzlich alle da, die Worte, die er mit bedächtiger Stimme an das Publikum richtete:

„Es ist schon ein wenig seltsam, jetzt hier zu stehen und den Orden des Merlin entgegenzunehmen. ’Der Junge der überlebte’ und der viele Schulregeln brechen musste, um am Leben bleiben zu können. Aber es fühlt sich auch richtig an, hier zu sein; und in diesem Moment wird mir bewusst, für wen ich hier stehe. Für euch! Für meine Familie und meine Freunde. Für das Wichtigste, für das es sich zu kämpfen und zu sterben lohnt. Ohne euch wäre ich nicht hier und deshalb kann ich diesen Merlin nicht nur für mich entgegennehmen, sondern stellvertretend für euch alle – für euch, die ihr meine Familie seid!“, sagte Harry.

Nach dem letzten Satz herrsche atemlose Stille und er fühlte, dass er fortfahren musste, wenn er zu Ende bringen wollte, was er angefangen hatte.

„Wir alle haben in diesem Krieg verloren. Wir mussten Dinge tun, von denen wir glaubten, dass sie für die, die uns am Herzen liegen, das Beste wären, auch wenn wir nie genau herausfinden konnten, ob es auch wirklich so war. Wir trafen Vorsichtsmaßnahmen, von denen wir dachten, dass sie erforderlich wären, ohne Rücksicht auf Verluste. Zu vielen Menschen hat dieser Krieg das Leben gekostet. Zu viele sind gestorben, damit ich leben konnte. Und auch ich glaubte mich gezwungen, Leid zufügen zu müssen, um noch Schlimmeres zu verhindern.“

Nach seinem letzten Satz schweiften Harrys Augen über die Anwesenden und blieben für einen Moment auf der jungen Frau mit den roten, langen Haaren ruhen, die sich eine Träne von der Wange wischte, bevor er schwermütig seinen Blick von ihr abwandte, um mit dem, was ihm auf dem Herzen lag, fortzufahren:

„Doch all das war nichts im Vergleich zu dem, was ein einzelner Mann tat. Er hat es für uns getan. Er hat es getan, weil er es für das Richtige hielt.

Ich habe ihn nie so sehen können, wie er wirklich war. Niemand konnte es; niemand durfte es können! Zum Schluss konnte es vielleicht nicht einmal mehr er selbst. Zu sehr war er von seiner Aufgabe eingenommen. Zu groß war seine Sorge um uns und die anderen Schutzbefohlenen. Doch wir haben ihn nicht verstanden; haben uns nicht die Mühe gemacht, hinter den Spiegel sehen zu wollen. Wir haben ihn einzig nach dem Gesicht beurteilt, das er uns jahrelang zeigen musste.

Ich habe ihn einmal einen Feigling genannt. Es hat lange gedauert, bis ich erkannte, dass ich damit völlig falsch gelegen habe. Ich denke, ich durfte es auch gar nicht früher erfahren. In Wahrheit war er nämlich der mutigste Mensch, dem ich je begegnen durfte. Das weiß ich jetzt und es ist Zeit, dass wir alle ihn für seine Taten ehren, die selbstloser nicht hätten sein können. Wir mögen vielleicht nur erahnen, auf was er sein Leben lang verzichten musste oder was er in all den Jahren hat durchmachen müssen. Alle Worte dieser Welt reichten nicht aus, sein Grauen zu erfassen. Ich empfinde tiefe, ehrliche Dankbarkeit, dass er mir stets zur Seite gestanden hat, auch wenn ich nicht vermochte, es immer gleich zu erkennen.

Ich verneige mich vor Ihnen, Professor Severus Snape!“

Harry verbeugte sich tief. Keiner der Anwesenden konnte fühlen, welche Kraft ihn dieser Schritt kostete. Er hielt es jedoch für erforderlich. Wieder gab es keinen anderen, der ihm diese Last hätte abnehmen können.

Man hörte jede Diele quietschen, als Harry die Stufen nach unten schritt, so still war es im Saal. Sein Blick hatte etwas seltsam Verträumtes. Er strahlte Zufriedenheit aus! Harry ging an einigen Tischen vorbei, so auch an dem von Severus. Dieser drehte sich um, sah nach oben und ergriff Harrys Arm, bevor er weitergehen konnte.

„Warum hast du das getan?“, fragte der Zaubertränkemeister erstaunt.

„Weil es jemand tun musste und nur ich konnte das tun, damit sie es auch glauben!“, erwiderte Harry ehrlich. Als er seinen Blick durch die Halle schweifen ließ, wurde Severus klar, das Harry damit auch die gesamte magische Gesellschaft meinte und nicht nur ihn selbst.

An seinem Tisch angelangt ließ sich Harry nieder. Jeder Gast war perplex, erstaunt oder berührt, doch keiner war in der Lage, irgendetwas zu tun; so gewichtig lagen Harrys Worte allen noch in den Ohren.

Susan war die Erste, die zu klatschen begann. Sofort folgte der gesamte Tisch ihrem Beispiel und Luna, Neville, dessen Großmutter, Draco und die beiden Hufflepuffs klatschten mit. Susan wollte jedoch verdeutlichen, wem ihr Applaus galt. Er galt nämlich nicht Harry und seiner Rede, sondern Professor Snape, dem die Rede gewidmet war. So erhob sich Susan, drehte sich zu Professor Snape und schenkte ihm mit einem breiten Lächeln ihren Applaus.

Der Tisch, von dem man als nächstes den erhofften Beifall hörte, war Harrys Tisch. Lupin war zusammen mit Hermine der Erste, der sich klatschend erhoben hatte, gefolgt von Dumbledore, Harry und gleich darauf allen anderen, selbst dem sich zunächst sträubenden Sirius.

Wie Harry es vorhin gehofft hatte, würde eine klatschende Person ausreichen, um die anderen zu animieren. Weitere Gäste erhoben sich Beifall schenkend, bis letztendlich alle Leute standen, applaudierten und Severus ihre Anerkennung zukommen ließen.

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023 Wiesel & Frettchen




„Ich habe einmal zufällig ein Gespräch von Albus belauscht, in dem er erklärt hatte, wie Slughorn für unser Sechstes zu uns gekommen ist und wie stolz er auf dich und deine einmaligen Fähigkeiten sei!“, vernahm Harry Hermines flüsternde Stimme an seinem Ohr. Als er sich zu ihr umwandte, lächelte sie nur.

Ron klopfte Harry wie ein Verrückter auf die Schulter, um ihm zu seiner grandiosen Rede zu gratulieren. Auch von anderen Seiten des Tisches konnte er immer wieder Gesprächsfetzen auffangen. „Sehr gut...“, „Verrückt…“, „Einmalig!“ Harry war zufrieden. Er legte Ron seinen Arm um die Schulter und wies mit dem Kopf zu dem Tisch, an dem ein sichtlich gerührter Severus zusammen mit Draco und den anderen saß, bevor er fragte: „Was denkst du? Können Wiesel und Frettchen auch Frieden schließen und eine Nacht zusammen feiern, als gäbe es keine Bosheit mehr in dieser Welt?“

Sein bester Freund wusste sofort, wen Harry meinte. Da auch er noch überwältigt war von den Geschehnissen der letzten Augenblicke, nickte er zuversichtlich mit Tränen in den Augen. Nichts anderes hatte Harry erwartet. „Jetzt weißt du, warum du und Hermine meine besten Freunde seid!“, sagte er, doch er wartete keine Antwort ab. Stattdessen stand er auf und schob sich, während man ihm immer wieder auf die Schultern klopfte, zu dem Tisch durch, an dem Severus und die anderen saßen.
Harry legte dem schwarz gekleideten Preisträger seinen Arm um die Schulter, gleich so, als täte er es bei Ron und sagte lächelnd: „Ich hoffe, wir sehen uns nachher noch im Fuchsbau, Severus! Arthur und die anderen freuen sich schon.“

Jetzt wandte er seinen Blick zu Draco und sagte leise: „Frettchen und Wiesel gehören beide zur Familie der Marder. Möchte wetten, dass ihr heute miteinander auskommen könnt und es sogar Spaß machen kann.“ Etwas lauter sagte Harry: „Die Einladung gilt selbstverständlich auch für euch beide – Draco, Susan! Wir würden uns freuen, also bis nachher!“ Harry wartete die Antwort nicht ab. Stattdessen blickte er in die Runde, klopfte leicht auf den Tisch und sagte: “Schöne Feier noch!“ Danach ging er wieder zurück an seine Tisch.

„Und? Kommen sie?“, wollte Ron wissen. Doch Hermine war es, die seine Frage beantwortete: „Wenn Harry so überzeugend war, wie vorhin mit seiner Rede, dann werden sie kommen! Vielleicht ein wenig später, aber sie werden mit uns feiern.“

Harry sah sich einen Moment im Saal um. Danach blickte er zu allen, mit denen er sich noch im Fuchsbau treffen wollte. Sein Blick bedeutete „Gehen wir!“.

Severus’ Gefühle fuhren nun wirklich Achterbahn. Er hatte sich so sehr in seinem Leben herbeigesehnt, endlich Anerkennung für sein Wirken zu erhalten. Für einen Augenblick hatte man ihm das doch tatsächlich noch verwehrt. Und was war dann geschehen? Severus hatte nie begriffen, warum Harry unbedingt Frieden mit ihm schließen wollte. Nie, bis heute! Harry wollte seine Ruhe! Er hatte nie im Mittelpunkt stehen wollen. Es war ihm weitaus mehr daran gelegen, tiefsinnige Worte über andere zu verlieren als über sich selbst zu sprechen. In Wahrheit hatte Harry nicht ein einziges Wort über sich gesagt. Im Gegenteil. Es war ersichtlich, dass er hier stellvertretend für alle gestanden hatte. Severus wusste nicht, ob er jemals in der Lage sein würde, Harry das persönlich zu sagen, aber hier an dieser Stelle dankte er ihm in aller Stille. Wie konnte er den Hund nur Harry nennen? Warum musste er immer so abweisend sein?

„Du willst doch da nicht wirklich hingehen oder Onk… ähm… Severus?“ Dracos Stimme holte ihn wieder in die Realität zurück.
„Doch, ich werde! Du wirst auch mitkommen und ich hoffe auch auf Miss Bones“, sagte Severus zuversichtlich. Ihm war ihr Blick auf Draco nicht entgangen, obgleich sein Patensohn davon nichts mitzubekommen schien.
„Ich werde Sie beide gern begleiten“, brachte sie mit trockener Kehle heraus, während sie selbst das Gefühl hatte, ihr Herz setze für einen Schlag aus.

Die, die sich mit Harry erhoben und den Raum verließen, benutzten in der Halle des Ministeriums nach und nach die Kamine, um direkt in den Fuchsbau zu gelangen. Molly war bereits etwas früher hergekommen, denn sie erwartete die Erscheinenden schon mit Kelchen voll Kürbissaft und Butterbier.

„Ich hoffe, Severus kommt nachher auch!“, sagte sie gespielt drohend, bevor sie sich von Hermine versichern ließ, dass Harry wie immer sehr überzeugend gewesen war. Molly deutete auf den Tisch, auf dem überall verschiedene Getränke und Leckereien zum Vorschein kamen, woraufhin sich jeder einen Platz suchte. Die Zwillinge informierten mit kindlicher Vergnügtheit, sie hätten für nachher noch ein kleines Feuerwerk vorbereitet. Wenn es dunkel genug wäre, würden sie es im Garten des Fuchsbaus zünden.

Spät abends apparierten drei Gestalten im Schutz der Nacht in den Garten des Fuchsbaus. Severus’ Augen glitten über die erleuchteten Fenster. Aus dem Inneren konnte man fröhliches Gelächter vernehmen; Geräusche, die in der Regel verstummten, wenn Severus auf der Bildfläche erschien. Das hatte er oft genug in seinem Leben erfahren müssen. Der Zaubertrankmeister spürte, wie ihn der Mut zu verlassen schien. Als er sich zu Dracos Befriedigung wieder abwenden wollte, spürte er die sanfte Berührung von Miss Bones an seinem Unterarm. „Sie wollen Sie auch feiern, Professor Snape! Bitte lassen Sie es doch zu“, sagte Miss Bones mit ruhiger Stimme.

Für einen Moment fragte er sich, was Harry da nur angerichtet hatte? Im nächsten Moment wurde er sich jedoch darüber bewusst, dass Miss Bones Recht hatte. So ließ er sich von ihr zurückhalten, ging mit den beiden zur Tür und klopfte.

Die Tür wurde laut rumpelnd aufgerissen. Sirius stand vor ihm. Sein Lächeln verließ nur kurz sein Gesicht, aber als er sich Harrys Worte in den Kopf rief, lächelte Sirius erneut. „Severus! Endlich... Wir haben uns schon ernsthaft Sorgen um euch gemacht. Es haben schon alle auf euch gewartet“, begrüßte er die drei gezwungen freundlich, während er ihnen mit aufgeweckt fuchtelnden Händen zu verstehen gab, endlich hereinzukommen. Harry drückte dem verdutzten Zaubertrankmeister ein Butterbier in die Hand und führte ihn zu den anderen an den Tisch. Harry bemerkte, dass sich Draco aufgrund der gesamten Situation leicht unwohl fühlte, aber er ignorierte das. Schließlich ging es hier nicht um ihn, sondern um dessen Patenonkel. Außerdem hätte Draco schließlich nicht mitkommen müssen, doch das stand ganz außer Frage, worüber Harry sich natürlich bewusst war. Gerade deshalb hatte er ihn auch eingeladen.

Susan unterhielt sich eine Weile mit Draco. Mit seinen Antworten hielt er sich sehr kurz, worüber er sich selbst ärgerte. Als sie den Platz neben ihm verließ, weil Mr. Weasley sie zu sich herangewunken hatte, wünschte sich Draco jedoch, sie würde wieder bei ihm sitzen. Sie war die einzige, die sich mit ihm unterhielt, denn Severus war in ein Gespräch mit Granger vertieft. So schaute Draco bekümmert und gelangweilt auf sein Butterbier und seufzte.

Nur um Harry einen Gefallen zu erweisen, überredete Ron sich dazu, kurz neben Draco Platz zu nehmen. Frei von der Leber weg fragte er den verdutzt dreinblickenden Blonden nicht sehr ernst: „Sag mal, meinst du, wir hätte alle Freunde werden können, wenn dich der Hut nach Gryffindor gesteckt hätte?“
Draco schnaubte wegen eines unterdrückten Lachers, antwortete jedoch etwas abschätzig: „Ich denke nicht!“ Damit seine Antwort nicht falsch verstanden wurde, fügte er ehrlich hinzu: „Wenn ich in Gryffindor gelandet wäre, hätte mein Vater mich gevierteilt! Demzufolge hättet ihr mich nach den ersten Weihnachtsferien gar nicht mehr zu Gesicht bekommen.“ Ron lachte erst, aber er stockte, weil Dracos Gesicht von solcher Ernsthaftigkeit gezeichnet war, dass es ihm kalt den Rücken hinunterlief. Draco war wirklich der Ansicht, dass sein Vater ihn sehr hart bestraft hätte, wäre er nicht nach Slytherin gekommen.

Einen lockeren Umgangston mit seinen Eltern war Draco nicht gewohnt. Er verfolgte daher überrascht und vielleicht etwas neidisch, wie offenherzig die Weasleys mit ihren Kindern umsprangen. Draco hätte nie gewagt, mit seinem Vater eine Diskussion zu beginnen, wenn dieser zu einer Sache erst einmal nein gesagt hatte. Die erwachsenen Zwillinge hingegen nörgelten geradezu und rangen durch ihre Hartnäckigkeit ihrem Vater doch noch die Zustimmung ab, nachher eine selbst erfundene Rakete namens „Himmelsschlange“ zünden zu dürfen, die sich eigentlich noch in der Testphase befand. Hätte Draco versucht, seinen Vater umzustimmen, wären eine Ohrfeige und der Satz „Treib es nicht zu weit!“ das einzige gewesen, was er hätte erwarten dürfen. Widerspruch vertrug sich nie mit Gehorsam. Ron und Draco fanden nach einem Moment doch noch einen gemeinsamen Nenner für eine ungezwungene Unterhaltung und das war Quidditch.

Die meisten Gäste befanden sich am späten Abend bereits im Garten, obwohl die Zwillinge erst mit ihren Vorbereitungen zum Feuerwerk begannen. Susan, Draco und Severus saßen noch gemütlich mit Molly, Remus und Tonks in der Küche. Von draußen rief Ron wie ein aufgeregtes Kind herein: „Kommt endlich raus, sonst verpasst ihr noch alles!“
Tonks rollte mit den Augen und sagte gelangweilt: „Feuerwerk…“
Remus lachte nur, während Severus trocken sagte: „Glauben Sie mir, Tonks. Feuerwerk von den Weasley-Zwillingen stellt alles andere in den Schatten! Ich spreche da aus Erfahrung.“

Remus ermutigte Tonks, mit ihm nach draußen zu gehen. Als endlich auch Molly vor die Tür gegangen war, fasste sich Susan ein Herz und sagte: „Mr. Malfoy, ich weiß, dass es schon sehr spät ist, aber ich möchte über eine wichtige Sache mit Ihnen reden. Wenn Sie nichts dagegen hätten, würde ich Sie gern zu mir Nachhaus einladen.“ Sie wollte es wirklich nicht so klingen lassen, als wollte sie ein Date mit ihm. Das war auch der Grund, warum sie ihn in Snapes Gegenwart gefragt hatte.
Draco hob eine Augenbraue hoch und fragte ungläubig: „Was denn? Heute noch?“ Entmutigt nickte Susan, woraufhin er stöhnend fragte: „Können Sie nicht jetzt sagen, um was es geht?“
Susan kam ins Stocken: „Ich… Ich… Nein, es wäre keine gute Idee, im Haus meines Vorgesetzten über das zu sprechen, was ich Ihnen zu sagen habe!“ Wieder stöhnte Draco, was Severus mit einem leichten Tritt auf seinen Fuß kommentierte, bevor er aufstand, um die beiden allein zu lassen. Severus hatte ihm eingebläut, nett zu sein. Dazu gehörte offenbar, einer Dame einen Wunsch nicht abzuschlagen. Vielleicht ahnte sein Pate jedoch nur, dass es wirklich um etwas Wichtiges ging.

„Also gut“, sagte Draco und erhob sich gleich im Anschluss von seinem Stuhl. „Aber nicht heute Nacht! Ich… ich… wollte Sie fragen, ob Sie mit mir das Feuerwerk ansehen gehen?“, sagte er und hielt ihr völlig unvermittelt seine Hand entgegen. Susan ergriff sie und ließ sich von ihm vor die Tür des Fuchsbaus geleiten. Als die Show der Zwillinge, immer von vielen Ahs und Ohs begleitet, bereits in vollem Gange war, stand Harry unvermittelt neben Draco und bemerkte, wie er und Susan Bones zusammen in den Himmel blickten.

„Wir müssen noch anstoßen!“, sprach Harry ihn von der Seite an.
Draco antwortete gewohnt unwirsch: „Auf was?“ Gleich nachdem die Worte seine Lippen verlassen hatten, wurde ihm klar, dass es nicht nur die falsche Antwort gewesen waren, sondern er sich erneut im Ton vergriffen hatte. Wieder einmal hatte er eine Gelegenheit verpasst, in welcher er hätte netter sein können.
Harry jedoch ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Er sah die noch halbvolle Butterbierflasche in Dracos Händen und hob einfach seine. „Auf den Sieg, auf Severus… Auf dich! Ohne dich hätte ich es nicht geschafft!“, sagte Harry fröhlich. Während er dem Blonden zuprostete, erinnerte er sich an dessen großen, bärenartigen Patronus.
Kurz bevor Draco einen Schluck aus seiner eigenen Flasche nahm, hörte Harry ihn etwas Ähnliches murmeln wie: „…auf Severus…“. Danach entfernte sich Harry wieder.

Draco wandte sich Susan zu, die ihn wegen seines Verhaltens Harry gegenüber ungläubig anstarrte. „Ich hasse ihn nicht; nicht mehr. Was ich hasse ist seine Leichtigkeit“, rechtfertigte sich Draco mit ruhiger Stimme. Sie glaubte, ihn zu verstehen, als sie sein gequältes Lächeln bemerkte. Wie gern hätte sie jetzt versucht, seine Hand zu nehmen, um ihm Trost zu spenden, gerade weil sie wusste, dass sie ihm in sehr naher Zukunft eine grausame Wahrheit offenbaren würde. Ihr Mut versagte jedoch und ihre Hand verweilte weiterhin nervös zuckend an ihrer Hüfte, als wäre sie mit der Entscheidung des Kopfes nicht einverstanden. Es hatte sie schon Überwindung gekostet, ihm gegenüber überhaupt diese Einladung auszusprechen und Susan war froh, dass er nicht abgelehnt, sondern lediglich um einen anderen Zeitpunkt gebeten hatte.

Später in der Nacht ließen die Zwillinge noch auf magische Weise Musik erschallen. Der Garten der Weasleys wurde unter einem Wetterzauber der Zwillinge zum Tanzparkett, auf dem sich die Pärchen mitten im Winter auf grünstem Rasen und bei angenehmer Wärme drehten.

Die Damen wollten nacheinander ein Tänzchen mit dem „berühmten Harry Potter“ hinlegen, wie sie ihn scherzhaft nannten. Als Erste war Molly dran, die sich trotz ihrer Körperfülle als verdammt gute Tänzerin herausstellte. Gerade rechtzeitig zum Abklatschen erschien Arthur.

„Harry, ich bin dran!“, sagte Tonks fröhlich und schmiss sich ihm herzlich in die Arme, doch Harry hatte bemerkt, dass sie lediglich gestolpert war und das zu überspielen versuchte.
Irgendwo aus der Menge hörte man Remus gespielt eifersüchtig rufen: „Hey, nicht so nah ran, ja!“ Gleich darauf ertönte Sirius’ unverkennbares, lautes Gelächter. Harry versuchte, trotz der dröhnenden Musik sich ein wenig mit Tonks zu unterhalten.
Als er fragte, ob Remus und sie sich nicht in irgendeiner Art auch offiziell liieren wollten, antwortete sie betrübt: „Das ist alles etwas kompliziert, Harry, aber wir bleiben am Ball! Wenn etwas ansteht, dann bekommst du eine Einladung, ja?“ Plötzlich vermutete Harry, dass Tonks kurz vor Weihnachten im Fuchsbau bereits etwas in dieser Richtung hatte bekannt geben wollen, aber Remus hatte sie ständig zurückgehalten.
’Was sollte da kompliziert sein?’, fragte sich Harry in Gedanken, denn nach Tonks’ Gesichtsausdruck schien ihr irgendetwas schwer zu schaffen zu machen, doch am Ende schaute sie wieder fröhlich drein.

Mit Tonks, dachte Harry, hätte er lieber zuletzt tanzen sollen, denn sie trat ihm versehentlich so häufig auf die Füße, dass die mittlerweile schon wehtaten, doch sie lachte bei jedem ihrer Fehltritte und entschuldigte sich mehrere Male mit hochroten Wangen, was Harry wiederum zum Lachen brachte. Sie war auf ihre unbeholfene Art und Weise äußerst niedlich. Remus schien seine Eifersucht wenig vorgetäuscht zu haben, denn er näherte sich nach nur wenigen Minuten und klatschte ungeniert ab. „Ich übernehme ab hier! Ihr tanzt mir viel zu dicht. Außerdem hab ich festes Schuhwerk an“, sagte er scherzend, was ihm einen liebevollen Knuff von Tonks auf seinen Oberarm einbrachte.

„Da Remus dich deiner Tanzpartnerin beraubt hat“, sagte Sirius, der seinem Patensohn eine sich sträubende Anne in den Arm drückte, „kannst du die zweite Hälfte dieses bezaubernden Musikstücks gern mit meiner besseren Hälfte tanzen!“ Sie blickte Sirius böse an, bevor sie sich dazu entschloss, sich vor all den Menschen nicht die Blöße zu geben.
Resignierend ließ sie sich von Harry führen, während sie nicht ernsthaft meckerte: „Ich kann nicht einmal tanzen, aber er meinte, schlimmer als meine Vorgängerin wäre ich bestimmt nicht. Na ja, ich weiß eh nicht, was der ganze Rummel um dich soll.“ Harry zog erstaunt eine Augenbraue hoch. „Für mich bist du nur Harry – der Patensohn von dem großen Kind da hinten“, sagte sie, als sie mit dem Kopf in Richtung Sirius nickte, doch während sie wie ein Rohrspatz schimpfte, lächelte sie die ganze Zeit über. Nach zwei Minuten atmete Anne erleichtert aus, denn der Song endete und somit konnte sie erleichtert die Tanzfläche verlassen, nachdem sie sich bei Harry für die ausgezeichnete Führung bedankt hatte.

„Hallo Harry!“, sagte Susan etwas schüchtern. „Mrs. Weasley und Hermine haben gesagt, jede anwesende Frau muss mit dir ein Tänzchen hinlegen. Na ja und hier bin ich“, fügte sie unsicher hinzu, doch Harry nahm ihr all die Scheu und führte sie über die Tanzfläche.
Susan schien nicht zu wissen, ob sie während des Tanzens reden durfte, weshalb Harry den Anfang machte: „Schön, dass du mich weiterhin duzt! Ich hatte schon befürchtet, weil du ja jetzt im Ministerium eine große Nummer bist…“
„Quatsch… ne große Nummer“, wiederholte sie augenrollend und abwertend, aber mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen.
„Hast du schon mit Draco getanzt?“, fragte Harry unverblümt, worüber Susan einen Moment aufgescheucht schien, aber nichts erwiderte. „Komm schon, du musst zumindest ein einziges Mal mit ihm tanzen!“, ermutigte er sie, denn er ahnte etwas. „Er tanzt bestimmt gut und…“
Doch Harry kam nicht dazu auszureden, denn Susan unterbrach und bestätigte schwärmend: „Ja, er tanzt toll! Das weiß ich noch vom Weihnachtsball.“
Er stutzte, was sie bemerkte und so grinste sie nur verlegen, nachdem Harry schmunzelnd gefragt hatte: „Das weißt du noch?“ Der Tanz endete und Susan bedankte sich bei Harry, der ihr nochmals nahe legte, jemand Bestimmtes aufzufordern.

Als Harry sich noch immer lächelnd umdrehte, stand sie plötzlich vor ihm – Ginny. Sein Lächeln verblasste langsam, während ihre Augen ihn paralysierten. Dann fragte er sich, warum einzig ihr Anblick noch immer dafür sorgte, dass sein Herz einen Schlag aussetzte und sein Bauch so verrückt spielte, als hätte ihm George eine Kotzpastille unter das Butterbier gemischt.

„Möchtest du tanzen, Ginny?“, fragte er mit unsicherer Stimme, obwohl er wusste, dass sie nur deswegen bei ihm stand. Sie schenkte ihm ihr süßestes Lächeln und nickte, bevor er, wie in Hogwarts bei Professor McGonagall gelernt, eine Hand an ihre Hüfte legte und wartete, bis er ihre zierliche Hand in seiner wiederfand.

Während sie tanzten, sagte keiner ein Wort, aber sie blickten sich tief in die Augen. In ihm kamen all die schönen Erinnerungen mit ihr hoch, aber auch der schmerzende Stich im Herzen wegen dem, was er ihr hatte antun müssen, um sie in Sicherheit zu wissen. Ginny schien ähnliche Gedanken zu haben, weswegen auch sie nichts sagte, sondern ihn nur mit verträumtem und manchmal wehmütigem Blick ansah. Die Musik verstummte langsam, doch Ginny und Harry schienen in ihrem Moment so gefangen zu sein, dass sie sich noch ohne Musik einen Augenblick zu den sanften Tönen bewegten, die jeder aus seinem Herzen vernahm.

Rechtzeitig, bevor die Musik wieder erklang, fand er Hermine in seinen Armen, die ihn eher umarmte als eine Tanzposition einzunehmen. „Hey, was würde Ron dazu sagen, wenn wir so eng miteinander tanzen?“, fragte Harry scherzend.
„Du wärst der einzige, mit dem Ron mich ohne mit der Wimper zu zucken in einen FKK-Urlaub schicken würde“, antwortete sie scherzend, bevor sie ihre Position anpasste und mit ihrem besten Freund zu tanzen begann.

„Was war denn das eben mit Ginny?“, fragte sie neugierig grinsend, denn ihr war nicht entfallen, wie die beiden miteinander umgegangen waren. Betroffen blickte Harry zu Boden, bevor Hermine mitleidig sagte: „Ach Harry, ich wünschte, du würdest dein Glück finden!“
Grinsend erwiderte Harry: „Wie du und Ron?“ Doch hier verschwand ihr Lächeln und sie war diejenige, die mit zusammengepressten Lippen zu Boden blickte. „Hermine?“, fragte er vorsichtig.
„Nicht heute, Harry… Ein anderes Mal“, wich sie aus, so dass ihm nichts anderes blieb, als nur zu nicken.

Sie wechselte schnell das Thema und sagte leise, als wäre es ein Geheimnis: „Ich hab mir vorhin einen Spaß draus gemacht und Snape zum Tanz aufgefordert!“ Mit großen Augen forderte er sie auf weiterzuerzählen. Sie kam seinem Wunsch nach und schilderte: „Ich hab erst gedacht, er würde jeden Moment seinen Zauberstab zücken und mir eine Beinklammer verpassen, damit er spottend fragen kann, wie ich damit in Erwägung ziehen möchte, das Tanzbein zu schwingen. Aber dann… Er hat sich tatsächlich höflich für mein Interesse bedankt und mit den Worten abgelehnt, dass er aus der Übung sei und mir eine peinliche Situation ersparen möchte. Ist das zu fassen? Er ist höflich geblieben!“
Während beide sich langsam drehend bewegten, lachte Harry schnaubend und vermutete laut: „Wahrscheinlich nur, weil er dir eh keine Hauspunkte mehr abziehen kann.“ Dann fügte er flüsternd hinzu: „Er schaut übrigens gerade unauffällig hier her!“
Aber als Hermine zu Snape hinüberschaute, blickte der in eine ganz andere Richtung und sie erklärte: „Ach Blödsinn, der ist wie Mad-Eye. Der beobachtet alles und jeden. Ich denke nicht, dass er zu uns geschaut hat, nur weil ich ihn vorhin gefragt habe.“
„Was, wenn er ja gesagt hätte?“, fragte er seine beste Freundin.
Sie antwortete ein kleines bisschen schnippisch: „Was denkst du denn von mir? Dass ich sage ’Sollte nur ein Scherz sein, denn eigentlich will ich nicht mit Ihnen tanzen?’. Natürlich hätte ich mit ihm getanzt!“

Nachdem Harry mit allen Damen getanzt hatte, war er etwas erschöpft und zog sich still unter einem Baum zurück, doch das rege, ausgelassene Treiben beobachtete er weiterhin, während er sich ab und an die Butterbierflasche zum Mund führte. Ja, sogar Susan tanzte noch mit ihrem Schwarm, während Severus seinem Patensohn, wenn dies auch nicht für alle ersichtlich war, wohlwollend zunickte. Harry lächelte und schloss die Augen. Nicht viel später schlief er ein. Hier und heute war er glücklich.

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024 Aller Anfang ist schwer




Als würde er nicht hierher gehören zappelte Harry unruhig auf seinem Stuhl im Lehrerzimmer herum. Severus saß ihm gegenüber und blätterte gelangweilt im Tagespropheten, während altbekannte Gesichter und neue Lehrer nach und nach den Raum betraten und sich in kleinen Grüppchen zu Gesprächen hinreißen ließen. Interessiert las er einen Artikel, der unbebildert auf der vorletzten Seite unter einer großen Anzeige von „Weasley’s zauberhafte Zauberscherze“ zu finden war:

„In den Morgenstunden des gestrigen Tages wurde ein junger Mann mit unbekannter Identität ins ’St.-Mungo-Hospital für Magische Krankheiten und Verletzungen’ eingeliefert. Zunächst schien es sich bei dem Opfer einer magischen Auseinandersetzung um einen Muggel zu handeln, doch eine Blutuntersuchung brachte zum Vorschein, dass es sich um einen reinblütigen Zauberer handelt. Die Magische Strafverfolgungspatrouille steht vor einem Rätsel, denn der Patient ist stark unterernährt, weist am ganzen Körper Spuren von körperlichen und magischen Misshandlungen auf und ist, obwohl ein Vergissmich-Zauber ausgeschlossen werden darf, nicht ansprechbar.“

Als Severus den Tagespropheten beiseite legte, blickte er zu Harry hinüber und fragte belustigt: „Hummeln im Hintern, Harry?“ Harry verzog das Gesicht, aber Severus lächelte nur, bevor er ermutigend, aber leise zum Besten gab: „Keine Sorge! Ich bin mir sicher, nachdem Sie dazu fähig waren, die Welt vom Dunklen Lord zu befreien, dass Sie auch dazu in der Lage sein werden, eine Klasse voller lernunwilliger Dummköpfe zu meistern!“ Mit einem gekünstelten Lächeln versuchte Harry, seine Aufregung unter Kontrolle zu bekommen.

Nachdem Albus – Harry durfte jetzt alle Kollegen beim Vornamen nennen – das Lehrerzimmer als Letzter betreten hatte, bat dieser um Aufmerksamkeit. Alle Lehrer, von denen Harry fünf noch nie gesehen hatte, setzten sich um den runden Tisch herum. Jetzt wurde es Ernst, dachte Harry, weswegen er gebannt auf die Worte des Direktors wartete, um ja nichts zu verpassen.

„Jetzt erst einmal, das wird mir niemand verübeln, für jeden eine Tasse Tee und etwas Gebäck“, sagte der alte Zauberer und klatschte in die Hände.

Hauselfen deckten den Tisch in einer so hohen Geschwindigkeit, die Harry schwindlig werden ließ. Nur für einen kurzen Moment entdeckte er Dobby, der ihm fröhlich zuwinkte, bevor er den Raum wieder verließ. Vermutlich waren jetzt alle Hauselfen wieder zurück in Hogwarts. Immer wieder blickte Harry gespannt zu Albus hinüber, während alle anderen über die Kekse und Cremetörtchen herfielen und sich ihren Tee schmecken ließen. In seiner Schulzeit hatte Harry immer gedacht, die Lehrer würden hier bitterernst über wirklich wichtige Themen sprechen, aber offenbar ging man alles sehr gelassen an.

Durch die Tasse Tee nun nicht mehr so aufgeregt lauschte Harry den Worten des Direktors, der sich räusperte und sagte: „So, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. Der Minister hat empfohlen, und da bin ich voll und ganz seiner Meinung, dass Hogwarts nicht erst im September öffnen sollte. Viele der damaligen Schüler sind von ihren besorgten Eltern noch vor den UTZ-Prüfungen von der Schule genommen worden. Unser Harry hier“, Albus winkte mit einer Hand in Harrys Richtung, „war einer der wenigen gewesen, die die Schule und die UTZ-Prüfung zu Ende bringen konnten, bevor Hogwarts letztendlich aufgrund des Krieges geschlossen werden musste.“

Albus ließ gelassen fünf Stückchen Zucker in seine Tasse fallen und erläuterte kurz darauf: „Das Problem, das ich sehe, ist, dass nicht nur Hogwarts, sondern auch alle anderen Schulen über viele Jahre geschlossen waren. Während der letzten Jahre des Krieges hatte es keine Einschulungen gegeben; keine Erstklässler. Hogwarts selbst war über knapp vier Jahre von keinem einzigen Schüler besucht worden. Das bedeutet, dass wir mit vielen Kindern und Jugendlichen zu rechnen haben, für deren schulische Ausbildung wir verantwortlich sein werden. Sie alle werden jedoch bereits über einen unterschiedlichen Bildungsstand verfügen, denn einige der Jungen und Mädchen, da bin ich mir sicher, wurden aller Voraussicht jahrelang Zuhause von ihren Eltern unterrichtet, während andere sich ihr Wissen durch Selbstunterrichtung angeeignet haben werden. Das sind Fakten, die wir bedenken müssen. Es wäre nicht klug, Schüler aus verlorenen Jahrgängen einfach in die erste Klasse zu stecken, ohne auf ihren Kenntnisstand Rücksicht zu nehmen, denn unterforderte Schüler können sich oftmals zu Unruhestiftern entwickeln.“

Die Situation schrie gerade danach, dass Severus aufgrund dieser Bemerkung schmierig grinsend zu Harry hinüberblickte und Harry grinste frech zurück.

Albus erklärte weiter: „Der Anfang des neuen Schuljahres wird für uns alle etwas schwierig werden, denn ich möchte, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Schülerinnen und Schüler individuell und sehr genau auf ihren Wissensstand prüfen. Ohne Rücksichtnahme auf ihr Alter sollen sie nur aufgrund ihres Kenntnisstandes später einer Klasse zugeordnet werden, die dann wieder nach den alten Regeln unterrichtet werden kann. Hat jemand Fragen?“

Harry hob zögerlich die Hand, aber Albus lächelte und sagte vertraut: „Du brauchst dich hier nicht zu melden, Harry.“
Verschämt lächelnd sagte Harry: „Entschuldigen Sie, ist nur eine Angewohnheit.“ Harry holte einmal tief Luft, bevor er fragte: „Ist das jetzt so gemeint, dass alle Schüler ohne Vorsortierung in drei, vier Klassen gesteckt werden und wir Lehrer gehen mit ihnen zunächst den Grundstoff der ersten Klasse durch.“ Er nannte Beispiele: „Wir schreiben Tests, machen mündliche und praktische Prüfungen und entscheiden dann aufgrund der Resultate, ob sie bereits für die zweite Klasse in Frage kämen? Und dann geht’s mit der zweiten Klasse genauso von vorn los… bis zur dritten?“ Alle starrten ihn an und Harry kam ins Stocken, als er fragte: „So… meinen Sie… oder… wie genau denn sonst…?“

Unsicher verstummte Harry, weil alle Augen auf ihn gerichtet waren. Mit zwinkernden Augen sagte Albus enthusiastisch: „Harry, ich muss dir danken! Minister Weasley und ich hatten zwar einen anderen Unterrichtsplan entworfen, aber deiner scheint mir einleuchtender zu sein. Vor allem einfacher…“ Albus blickte auf eine faustdicke Akte vor ihm, die er mit seinem Zauberstab antippte und damit einfach verschwinden ließ. Harry fiel ein Stein vom Herzen. Er war dankbar, dass er sich beim ersten Lehrertreffen nicht zum Volltrottel gemacht hatte.

„Die Elf- und Zwölfjährigen, die sowieso das erste Mal zur Schule gehen würden, würden wie üblich im September eingeschult werden. Diejenigen, die Schuljahre missen mussten, werden wir solange prüfen, bis für sie eine Klasse mit dem entsprechenden Bildungsstand gefunden worden ist. Das möchten wir bis September erreichen! Hat sonst noch jemand Fragen?“ Albus blickte seine Lehrkörper an und sagte dann: „Gut, dann werde ich Ihnen spätestens übermorgen einige Informationen zukommen lassen. Ich möchte Sie bitten, schon jetzt Test- und Prüfungsaufgaben vorzubereiten, mit denen Sie den Kenntnisstand Ihrer Schüler überprüfen können. Ach, eine Sache noch, Severus?“ Alle blickten zu Severus hinüber, bevor Albus fragte: „Wärst du bereit, wieder Hauslehrer von Slytherin zu sein? Das hatte ich noch nicht gefragt, wenn ich mich recht entsinne!“
Severus überlegte nicht lang und antwortete sofort: „Natürlich, Albus!“

Das Abendessen ließ Harry ausfallen, denn er grübelte bereits über seinen ersten Testbogen, den er den Schülern geben wollte. Er erinnerte sich an eine Zeit in seiner Muggelschule, als ein Lehrer für einen anderen eingesprungen war, der wegen einer Operation die nächsten Monate ausfallen würde. Die Vertretung des Lehrers hatte auch einen Bogen verteilt, um zu sehen, was die Schüler bereits wussten und was nicht. In dieser Art gestaltete Harry seinen Test mit Fragen wie:


Hast du schon einmal von Rotkappen, Hinkepanks, Kappas, Kelpies oder Grindelohs gehört? (kurze Erläuterung anfügen)
Weiß du, wie man einen Werwolf erkennt?
Wie viele Unverzeihliche gibt es? (nenne sie)
Nenne drei Flüche (und ggf. einen passenden Abwehrzauber), die einen Zauberer außer Gefecht setzen!
Bist du mit zauberstab- oder wortloser Magie vertraut? (nenne Beispiele)


Nachdem das Abendessen in der großen Halle offiziell vorbei sein musste, hörte Harry ein lautes Plop. „Harry Potter, Sir! Dobby ist so froh, Harry Potter wiederzusehen! So froh!!“
Harry grinste den Hauselfen an und grüßte: „Dobby! Schön dich zu sehen. Wo warst du die ganze Zeit, wenn nicht in Hogwarts?“
Dobby hüpfte aufgeregt und vor Freude strahlend herum, als er antwortete: „Professor McGonagall hat Dobby und all die anderen Hauselfen in Sicherheit gebracht, bevor die Schule schließen musste. Nur zwei Hauselfen sind hier geblieben. Dobby war traurig darüber, dass er nicht einer von den beiden sein durfte.“ Der Elf ließ die Ohren hängen, aber von einer Sekunde zur anderen war er wieder fröhlich, als er sagte: „Dobby ist ja so glücklich, dass Harry Potter wieder in Hogwarts ist!“

Die beiden unterhielten sich eine Zeit lang. Der Hauself schien vor Freude fast ein wenig überdreht, aber vielleicht war Harry seinen kleinen Freund nur nicht mehr gewohnt.

Nach einer Weile erklärte Dobby: „Dobby hat etwas gefunden, das er Harry Potter geben möchte!“ Mit großen Augen beobachtete Harry, wie Dobby unter einer seinen vielen Strickmützen ein gefaltetes Stück Papier herauszog. Er reichte es Harry und sagte: „Dobby glaubt, dass das hier für Harry Potter sein muss!“ Eine Augenbraue in die Höhe ziehend entfaltete Harry das schmutzige, an den Ecken ausgefranste Stückchen Pergament. In ihm befand sich ein großer, grauer Schlüssel.
„Warum glaubst du, dass das für mich ist?“, fragte Harry erstaunt.
Dobby erklärte mit flüsternder Stimme: „Dobby hat es erst jetzt gefunden. Es hat Kreacher gehört!“
Ungläubig schüttelte Harry den Kopf und erklärte: „Nein, das kann nicht sein. Hauselfen haben keinen Besitz!“ Dobby kniff die Augen zusammen und stellte ein Bein vor, damit Harry die rosafarbenen Socken mit den gelben Sonnen darauf sehen konnte. Lächelnd verbesserte sich Harry: „Gut, außer Winky und dir hat kein Hauself einen eigenen Besitz. Das kann nicht von Kreacher sein! Außerdem ist der schon lange tot.“
Dobby nickte und erklärte: „Dobby hat Kreacher nicht gut leiden können, aber Dobby hat Kreacher nie gewünscht, draußen einfach tot umzufallen.“

Es war Dobby gewesen, der den betagten Hauself der Familie Black auf dem Hogwarts-Gelände mitten auf dem Rasen gefunden hatte. Warum Kreacher dort gewesen war, hatte er mit ins Grab genommen.

Der Hauself gestand mit hoher Stimme: „Dobby hat Kreacher lange Zeit beobachtet. Dobby hat gesehen, wie Kreacher manchmal Dinge unter einer losen Diele in der Küche versteckt hat! Erst heute Abend, als wir Hauselfen zurück nach Hogwarts gerufen wurden, da hat Dobby unter die Diele geschaut. Harry Potter war Kreachers letzter Meister. Deswegen weiß Dobby, dass alles Harry Potter gehören muss, was Kreacher gehört hat.“

Nachdem Dobby ihn alleingelassen hatte, starrte Harry auf den schweren, eisernen Schlüssel und fragte sich selbst, wozu der gut sein sollte. Ein Schlüssel wofür? Und warum hat Kreacher ihn versteckt? Harry wickelte den Schlüssel wieder in das Pergament ein und legte ihn in die Schublade seines Nachttisches.

Die Briefe an die Schüler hatte man noch am Abend abgeschickt. Sogar denen, die längst erwachsen waren, wollte Professor Dumbledore die Möglichkeit geben, ihren Schulabschluss nachholen zu können. So staunte Draco nicht schlecht, als er am nächsten Morgen einen Brief erhielt.


„Sehr geehrter Mr. Malfoy,

aufgrund der Umstände der letzten Jahre konnten viele Schüler, darunter auch Sie, ihren Schulabschluss und die UTZ-Prüfung nicht absolvieren. Trotzdem Sie bereits mit beiden Beinen im Leben stehen, biete ich Ihnen die Möglichkeit, Hogwarts für das siebte Schuljahr besuchen und die notwendigen Prüfungen ablegen zu können. Sie können entweder Anfang März mit einer ins Leben gerufenen Aufbauklasse beginnen, um Ihre Kenntnisse aufzufrischen, oder ab September die siebte Klasse besuchen.

Die Entscheidung, ob Sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, liegt ganz bei Ihnen.

Mit freundlichen Grüßen,
Professor Albus Dumbledore
Schulleiter von Hogwarts“


Draco rollte mit den Augen. Die letzte Klasse nachholen? Das auch noch mit Schülern, die sechzehn oder siebzehn Jahre alt sein würden und er als Erwachsener mittendrin? Mit Sicherheit würde dies eine interessante Erfahrung werden. Neue Schüler, neue Lehrer; in einer Zeit des Friedens. „Vielleicht…?“, dachte Draco laut. Abrupt schüttelte er den Kopf und warf den Brief achtlos auf seinen Tisch.

Mit grollendem Magen marschierte Draco in die große Halle. Erst in zwei Wochen würde die Schule mit den Aufbauklassen beginnen, weswegen zum Frühstück nur der Lehrertisch gedeckt war, an dem auch Draco gelegentlich speiste, wenn ihm die Stille in seinen Räumlichkeiten aufs Gemüt schlug. Wortlos grüßte Draco die Lehrer, von denen er nicht alle kannte, während er auf einen freien Platz zusteuerte. Erst nachdem er sich gesetzt hatte, bemerkte er links neben sich einen aufgewühlten, in Pergament blätternden und in Büchern nachschlagenden Harry.

„Meine Güte, Harry. Hast du kein Büro für so was?“, fragte Draco genervt, als er ein aufgeschlagenes Buch zur Seite schob, welches definitiv zu dicht an seinem Teller lag.
„Oh, tut mir Leid“, antwortete Harry, der seine ausgebreiteten Unterrichtsstoffe auf dem Tisch zwischen Brötchenkörben und Marmeladengläsern umherschob, damit Draco sich davon nicht belästigt fühlen würde.
„Um Himmels Willen, Potter! Passen Sie doch auf!“, grollte die Stimme links von Harrys. Versehentlich hatte er mit einem Buch die Kaffeetasse von Severus erwischt, deren Inhalt sich über dessen Teller ergossen hatte. Ungläubig starrte Harry auf die Toastkrümel, die in dem Teller schwammen. Er nahm seinen Zauberstab und machte das Missgeschick rückgängig. Gleich darauf zückte Severus seinen Zauberstab, woraufhin Harrys Bücher und Pergamentrollen auf der Stelle verschwanden.

„Wo sind sie hin? Wo haben Sie meine Bücher hingezaubert?“, fragte Harry panisch.
Severus erwiderte mit ruhiger Stimme: „Da, wo sie hingehören: in Ihr Büro. Jetzt erweisen Sie uns allen die Höflichkeit, in Ruhe frühstücken zu können. Und tun Sie sich selbst auch den Gefallen, Harry. Sie machen sich noch verrückt!“

Draco hatte bemerkt, dass Harrys Teller unbenutzt war und fragte nebenbei: „Hast du noch nichts gegessen?“ Harry schüttelte den Kopf, machte aber keine Anstalten, beim Buffet zuzugreifen.
„Ich werde in mein Büro gehen!“, sagte Harry nervös.
Severus rollte mit den Augen und befahl mit bedrohlich leiser Stimme: „Sie bleiben hier sitzen und frühstücken!“ Als ob es abgesprochen war legte Draco zwei Scheiben Toast auf Harrys Teller und rückte danach die Butter in Reichweite.

Severus konnte sehr gut nachvollziehen, wie es Harry ergehen musste. Er selbst war in fast dem gleichen Alter, als er in Hogwarts zu lehren begonnen hatte. Allerdings hatte er nach außen hin nie gezeigt, wie aufgeregt er gewesen war oder wie ihn die Arbeit zu Beginn zu überfordern schien. Harry machte genau das Gegenteil. Neben ihm zu sitzen war genauso nervenaufreibend als würde man neben einem Bienenstock frühstücken.

Ermutigend sagte Severus, wenngleich seine Stimme gewohnt emotionslos klang: „Sie werden schnell Routine gewinnen. Machen Sie sich keinen Kopf über Ihre Arbeit. Die Schüler merken sowieso nicht, ob Sie einen Fehler machen oder nicht.“
Resignierend antwortete Harry: „Wenn ich eine kleine Hermine in meiner Klasse haben sollte, würde das sehr wohl rauskommen.“ Um Harry nicht zu beunruhigen, stimmte er dessen Aussage nur innerlich mit einem Schmunzeln zu.

Den zweiten Toast zu essen war bereits eine Qual. Draco hingegen ließ es sich schmecken. Er hatte so häufig zugegriffen und sein Essen in hoher Geschwindigkeit verputzt, dass Harry erstaunt fragte: „Hast du schon immer so viel essen können?“ Draco öffnete nicht sofort den Mund. Dieses Mal machte er etwas, was er selten tat, denn er dachte nach, bevor er antwortete.
Letztendlich erwiderte Draco: „Vielleicht hab ich nur Langeweile?“

Nachdenklich blickte Harry auf seine angebissene Scheibe Toast. Er versetzte sich in Draco hinein und kam zu der Erkenntnis, dass dessen Leben tatsächlich langweilig sein musste. Draco hatte keinen Job, keine Freundin, obwohl Harry hier grinsen musste, und offenbar hatte er keine ausfüllenden Hobbys. Er wohnte, wie er selbst, in Hogwarts und hatte nichts zu tun. Harry blinzelte, denn es kam ihm eine Idee.

Mutig fragte er: „Wenn du Langeweile hast, vielleicht kannst du mir helfen, meine Erinnerungen an den Unterricht etwas aufzufrischen?“ Fragend blickte ihn Draco an, während er von einem Toast mit Rührei abbiss. Harry wurde genauer und erklärte: „In Verteidigung meine ich. Ich versuche, mir den Unterricht ins Gedächtnis zurückzurufen, um Fragebögen für die Schüler zu erstellen. Ich hab immer das Gefühl, dass ich wichtige Dinge vergessen habe.“
Draco stöhnte auf und empfahl: „Frag Severus…“
Severus hatte das Gespräch der beiden verfolgt und erwiderte gelassen: „Kommt nicht in Frage! Ich bin mit meinen eigenen Fragebögen beschäftigt.“

Harry wandte sich erneut an Draco und fragte hoffnungsvoll: „Und?“
„Warum fragst du gerade mich?“, wollte Draco wissen.
Harry zuckte mit den Schultern und erwiderte: „Wenn ich so nachdenke: dein ’Serpensortia’ hatte schon was; den haben wir nicht gelernt. Das Duell zwischen uns war unentschieden…“
Draco unterbrach und konterte lachend: „Ja, weil du unbedingt ein kleines Schwätzchen mit meiner Kobra halten musstest!“ Etwas ernster fügte er hinzu: „Wie kann ich dir schon helfen? Mit deinem Sectumsempra hast du ja wohl gezeigt, was du vollbringen kannst!“

Mit einem Male wurde Harry ganz bleich, als er sich an die Situation erinnerte, in welcher er diesen Fluch ausprobiert hatte. In der sechsten Klasse war er in dem Lehrbuch des Halbblutprinzen auf diesen „Fluch gegen Feinde“ gestoßen, aber er hatte nicht gewusst, was er bewirken würde. Auf der Mädchentoilette von Myrthe hatte er ihn unüberlegt im Kampf gegen Draco angewandt und war über das Ergebnis entsetzt gewesen. Es waren klaffende, stark blutende Wunden gewesen, die der Fluch auf Dracos Rumpf hinterlassen hatten. Wäre Severus nicht zufällig hinzugestoßen, dann wäre Draco wahrscheinlich aufgrund der vielen, tiefen Schnitte verblutet, die der Sectumsempra verursacht hatte.

Als Harry den blutenden Draco vor dem inneren Auge sah, drehte sich ihm der Magen um und er ließ seinen angebissenen Toast langsam auf den Teller zurückgleiten. Harry wollte sich nicht rechtfertigen, aber entschuldigen, als er kleinlaut erklärte: „Der Spruch war nicht von mir und ich wusste nicht, was er bewirkt… Hätte ich’s gewusst, dann hätte ich ihn niemals angewandt.“
Draco schnaufte kurz und erwiderte scheinbar zusammenhanglos: „Schon mal aufgefallen, dass wir uns in den ganzen Monaten, die wir schon hier in Hogwarts verbracht haben, nicht ein einziges Mal gegenseitig verhext haben?“
Harry antwortete schnell: „Und es wäre schön, wenn das so bleibt!“
Bevor er einen Schluck Kaffee zu sich nahm, sagte Draco gequält lächelnd in seine Tasse hinein: „Die wilden Jahre sind offensichtlich vorbei.“

Erneut blickte Harry dem Blonden in die Augen und fragte nochmals: „Und? Würdest du mir trotzdem helfen?“
Wieder stöhnte Draco, aber er antwortete letztendlich gelangweilt klingend: „Ja, warum nicht? Ich hab eh nichts anderes vor.“

In diesem Moment kamen die Eulen durchs Dach geflogen. Severus erhielt einen Brief von Hermine, während Draco einen Brief von Susan in der Hand hielt. Harry ging leer aus, was Draco sehr verwunderte und ihn amüsiert fragen ließ: „Warum bekommt ’der Retter der Welt’ keine Eule?“
Harry winkte ab und erklärte: „Ich bekomme so viel Post, dass sich die Hauselfen darum kümmern müssen. Die sortieren erst aus, bevor sie die Briefe in mein Zimmer bringen.“
Amüsiert zog Draco eine Augenbraue hoch, als er spöttisch fragte: „Ah, ’Sankt Potter’ bekommt also unzählige Fanpost von Verehrerinnen?“
Harry konterte mit gelassener Miene: „Ja auch, aber die Hauselfen kümmern sich erst um meine Post, nachdem man mir letzte Woche eine Briefbombe geschickt hatte.“
Draco entglitten sämtliche Gesichtszüge. Schnell fing er sich wieder, bevor er leise und berührt sagte: „Tut mir Leid, das wusste ich nicht.“

In Harrys Büro fiel Draco zunächst der Berg an Post auf, der sich auf dem Schreibtisch stapelte. „Dafür brauchst du doch eine Ewigkeit, wenn jeden Tag so viele Briefe für dich kommen!“, sagte Draco mit großen Augen.
„Ach, das ist gar nicht so schlimm. Mittlerweile habe ich einen Blick dafür, was ein Brief beinhaltet. Ich lese selten einen komplett. Der Absender verrät schon das meiste. Der erste Absatz ist oft ausschlaggebend“, erklärte Harry, aber Draco schien nicht zu verstehen.

„Warte, ich zeig dir, was ich meine“, sagte Harry, als er willkürlich einen Brief vom Stapel nahm. Er las vor: „’Lieber Harry, ich möchte dir danken, dass du uns befreit hast von all dem Bösen…’
Ich brauch gar nicht weiterzulesen. Das ist ein normales Dankschreiben; der Schrift zufolge von einem Kind.“ Harry überflog den Brief und seine eigene Vermutung hatte sich bestätigt, woraufhin er nickte.

Er nahm einen weiteren Brief und zitierte: „’Sehr geehrter Mr. Potter, aufgrund Ihrer Verdienste möchte wir Sie einladen zu einem…’
Die wollen irgendwas Öffentliches mit mir machen, eine Veranstaltung oder Eröffnung oder so. Auf jeden Fall wollen sie ihre Sache mit meinem Namen etwas aufpeppen. Mal sehen, was der nächste Brief sagt: ’Sehr geehrter Mr. Potter, als Leiter der Initiative für die Forderung eines Anti-Diskriminierungsgesetzes für magische und nichtmagische Halbwesen…’
Die wollen Geld und wenn möglich noch meinen Namen für ihre Initiative gewinnen. Hört sich aber interessant an. Werde ich später zu Ende lesen.“

Draco war völlig perplex und forderte Harry auf, ein oder zwei weitere Briefe zu öffnen. Noch bevor Harry laut vorlas, verzog er sein Gesicht.
„Was ist? Was steht da?“, fragte Draco neugierig.
Harry warf den Brief in den Papierkorb und antwortete: „Da will jemand ein Kind von mir. Kommt auch vor. Versteh ich echt nicht. Die kennen mich doch nicht einmal.“

Bei einem Hauselfen bestellte Harry zunächst noch etwas Süßes, was sofort geliefert wurde.
„Also, was willst du von mir?“, fragte Draco, der sich im Nachhinein wünschte, er hätte sich nicht so genervt klingend ausgedrückt.
Harry machte das nichts aus und erklärte ohne Umschweife: „Na ja, erzählt mir einfach, was dir von dem Fach Verteidigung noch so im Kopf geblieben ist oder was du sonst noch in dem Bereich interessant findest.“ Draco ließ sich auf dem Sofa nieder und überlegte.

Als Erstes fielen ihm die fünf Jahre Flucht ein, in denen er tagtäglich von Severus unterrichtet worden war. An die vergangenen Schuljahre konnte er sich jedoch nicht sofort erinnern.
Zuletzt geändert von Muggelchen am 01.02.2009 16:47, insgesamt 1-mal geändert.

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