
One person changes everything
Der Brief
Harry lag gelangweilt auf seinem Bett im Ligusterweg Nummer 4, im kleinsten Schlafzimmer, wie es so schön auf seinem Hogwartsbrief vor ungefähr fünf Jahren geheißen hatte, und starrte an die Decke ebendieses Zimmers. Es war kühl, um nicht zu sagen kalt, da die Fensterscheibe beschlagen war und Onkel Vernon seit Wochen genervt heizen musste, damit es in der Nacht erträglich war; auf jeden Fall zu kalt für Mitte Juli. Sein Atem war nur deswegen nicht sichtbar, weil sein Onkel die Heizung in seinem Zimmer leider nicht abdrehen konnte.
Das Bett, in dem er lag, war das gleiche wie damals, als er in das Zimmer gezogen war, mit der gleichen Decke und dem gleichen Bettbezug wie damals und damit war alles viel zu klein, aber er beschwerte sich nicht, weil es ja doch nichts nützte. Selbst mit der Kleiderkommode, die er ans Fußende seines Bettes gestellt hatte, war es noch wesentlich zu klein. Das Bitten um ein neues Bett würde ihn allerdings nur als undankbar hinstellen, es würde ein großes Trara geben und die Drohung ihn zurück in den Schrank unter der Treppe stecken würde im Raum stehen, was ihm im Moment zu viel Stress war.
Eine Weile lang starrte er seine Decke noch weiter an bis er sich herumwarf und sein Blick schließlich auf die Zeitungen, Ausgaben des Tagespropheten, fiel, die wirr am Boden verteilt waren. So weit er sich erinnern konnte, hatte er den sauberen Stapel, den er gemacht hatte, wütend auseinandergetreten. Harry Potter, der Auserwählte. Dumbledores Ruf wieder hergestellt. Zauberminister Fudge entlassen, Scrimgeour übernimmt. Nachruf für Sirius Black, einen rehabilitierten Helden. So tönten die Schlagzeilen dieses politisch manipulierten Schmierblattes seit dem Vorfall im Ministerium. Die Reporter, die Redaktion und die Regierung überschlugen sich förmlich darin sich bei ihm und Harry zu entschuldigen. Aber so leicht konnte er nicht verzeihen, dass sie ihm Umbridge auf den Hals gejagt hatten und ihn als Lügner dekreditiert hatten. Ihr generelles Verhalten hatte ihn zu dem Schluss bewegt, dass sie alle Slytherins sein mussten, so falsch wie sie sich verhielten und sich in die Krümmungen schmiegten.
Wegen der Gefahr sich zu übergeben wandte er sich wieder von den Zeitungen ab und starrte stattdessen wieder an die Decke. Während er wieder einmal die Risse in der Decke zählte und die zu verstehen versuchte woher die drei Flecken auf der Decke kamen, fielen seine Augen zu. Doch er blinzelte energisch um dem aufkommenden Schlaf loszuwerden; sollte er einschlafen, so würde er nur wieder von Sirius träumen und von Cedric, von den beiden Menschen, deren Tod er allein verschuldete und die keine Chance hatten ihm zu verzeihen, wenn sie das den überhaupt gekonnt hätten. Die Schuldgefühle füllten seinen Schlaf mit Albträumen und somit war das Schlafen wesentlich anstrengender als wach zu bleiben.
Zwecks Mangels an Alternativen sah er sich wieder die schrecklichen Schlagzeilen an. Der Leitartikel der letzten Sonntagsausgabe lockte schließlich ein mildes Lächeln aus ihm heraus. Übergriff auf Muggel, ehrenhafte Zauberer greifen ein. Diese Zauberer waren tatsächlich die ehrenhaftesten, die er kannte. Ron, Arthur und Bill Weasley hatten sich mit Eifer ins Gefecht gestürzt, als sie auf dem Weg in die Winkelgasse sahen, wie ein Muggel von zwei Männern mit einem Peitschzauber bearbeitet wurde. Harrys absolute Anerkennung hatte sich allerdings Ron verdient, als er ein Exklusivinterview mit dem Propheten ablehnte, weil er nicht mit ihrer Schmierigkeit und ihrem Verhalten Harry und Dumbledore gegenüber einverstanden war. Insgeheim hoffte er, dass Ron endlich seine Komplexe hinsichtlich Aufmerksamkeit und Anerkennung überwunden hatte, so dass diese endlich nicht mehr ihre enge Freundschaft belasten konnten. Einen Moment lang glitten seine Gedanken an das Trimagische Turnier zurück, als Ron Harry um seine Teilnahme beneidet hatte, aber es versetzte ihm einen schmerzhaften Stich, weil er sich dabei auch an Cedric erinnern musste. Der erste Mensch, den er jemals sterben gesehen hatte. Der erste Tod, den er zu verantworten hatte.
Bevor er allerdings wieder im Selbstmitleid versinken konnte, hörte er eine Eule gegen sein Fenster klopfen. Er setzte sich auf und erkannte bei näherem Hinsehen, dass es Pig war, der sich hektisch mit seinem ganzen, winzigen Körper gegen das Fenster warf, um auch ja seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Um den armen Pig endlich zu erlösen sprang er auf und sprintete zum Fenster, froh einen Grund zu haben nicht mehr nutzlos im Bett zu liegen und über sein Leben zu sinnieren. Sobald er die Flügel seines Fensters geöffnet hatte schoss Pig wie eine Kanonenkugel in den Raum und blieb schließlich auf Harrys Bett liegen. Schmunzelnd ging er zu seinem Bett, befreite Pig von seiner Last, einem Brief aus dickem Papier, und ließ ihn auf seine Schulter springen. Nachdem er Pig zu Hedwig in den Käfig gesetzt und ihnen beiden einen Eulenkeks gegeben hatte faltete er den Brief auseinander.
Die fein geschwungene Handschrift in der der Brief verfasst war bestätigte ihm seine Vermutung, dass der Brief von den Weasleys war. Die andere Möglichkeit wäre Hogwarts oder das Ministerium gewesen, aber beide hätten ein Siegel im Brief gehabt. Allerdings hatte Mrs. Weasleys Handschrift etwas an Eleganz eingebüßt, weil sie zittrig und etwas verschmiert war. Das ließ ihn zum ersten Mal stutzen, denn Mrs. Weasleys Handschrift war niemals zittrig. Dadurch begann er nur umso hektischer zu lesen.
Lieber Harry,
Ich bringe dir leider keine guten Nachrichten. Du kannst heuer leider nicht zu uns kommen, obwohl wir dich liebend gerne aufnehmen würden. Ronald leidet an einer sehr schweren Krankheit; wir wissen nicht, was es ist, und haben deswegen das Ministerium informiert, welches uns unter Quarantäne gestellt hat, da sie befürchten, dass die Krankheit ansteckend sein könnte. Wir wünschen dir alle alles erdenklich Gute und viel Glück mit deiner Familie im Rest deiner Ferien und hoffen, dass Ronald dich am ersten September begleiten kann. Sollte Rons Zustand sich verbessern, so dass ein Besuch wieder unbedenklich ist, so informieren wir dich natürlich sofort, damit du zu uns kommen kannst. Bitte sorg dich nicht zu sehr um Ron, wir kümmern uns alle gut um ihn.
Alles Liebe, Molly Weasley
PS: Trotzdem haben wir deinen Geburtstag nicht vergessen, Erol bringt dir die Geschenke von Ginny und uns anderen.
Er sah ungläubig auf den Brief, das konnte nicht wahr sein. Sein anfängliches Lächeln war während des Lesens immer kleiner geworden bis es schließlich verschwand und einer besorgten Miene Platz machte. Es war ein zutiefst verletzter, trauriger und abwesender Blick, wie er ihn vermutlich das letzte Mal zur Schau getragen hatte, als Sirius starb. Ron konnte doch nicht so krank sein. Aber es erklärte warum er ihm noch nicht selbst von den Ereignissen um den Muggel berichtet hatte, denn seine Weigerung hatte er nur über fünf Ecken von Hermine erfahren, obwohl das etwas war, was Ron normalerweise sofort berichten würde. Und wenn Molly Weasley so sehr anzweifelte, dass sie ihren Sohn bis zum Schuljahresbeginn gesund bekommen würde, dass sie nur noch hoffen konnte, dann war das eindeutig und würde seine Ferien zu einer Qual machen. Sein Blick fiel wehmütig zum Schrankkoffer auf in einer Ecke seines Zimmers. Er hatte schon seit einer Woche fertiggepackt, weil er in zwei Tagen zu den Weasleys hätte abreisen sollen, still und heimlich, um den Dursleys gar nicht erst die Möglichkeit zu geben zu versuchen ihn aufzuhalten.
Nach einer Weile hörte er das Klopfen einer Eulenkralle gegen das Fenster. Erol. Es war ein Wunder, dass dieser alte Kauz überhaupt hier hergefunden hatte. Lustlos nahm er ihm die Päckchen ab, gab ihm einen Keks und schickte dann die beiden Weasley-Eulen wieder weg. Es waren nette Geschenke. Ein teures Paar Quidditchhandschuhe von Molly Weasley, die viel zu wertvoll waren, als dass er sie mit gutem Gewissen tragen könnte, da die Familie dafür vermutlich sehr zusammengelegt hatte , und eine schönes,, gebundenes Buch von Ginny, dessen Deckel mit einem verzauberten Löwen, der sich in abwechselnd in einen Adler, eine Schlange und einen Dachs verwandelte, bemalt war. Auch wenn er diese Geschenke zu schätzen wusste und unendlich dankbar war, war er nicht in der Lage ihnen eine Antwort zu schreiben. Nachdem er die Geschenke auf sein Bett legte verließ ihn die letzte Kraft und er ließ sich erschöpft aber nicht müde gegen die Mauer gegenüber seinem Bett sinken.
Das war doch lächerlich. Ron war niemals krank, nicht einmal erkältet. Er bekam nicht einmal einen Husten, selbst wenn er drei Stunden im kalten Regen Training hatte, wo alle anderen ans Bett gefesselt waren. Die Vorstellung, dass er nun im Bett lag und nicht einmal einen Brief schreiben konnte, war lächerlich, dafür war er einfach viel zu zäh. Dass er wegen einer simplen Krankheit nicht nach Hogwarts konnte, war ungefähr so realistisch wie dass Hermine morgen ihre Bücher verbrannte und mit Draco Malfoy durchbrannte, damit sie beide Quidditchstars werden konnten. Nein, Hermine würde das nie tun, aber Ron war tatsächlich krank.
Und auf einmal beschlichen ihn Gedanken, die er nicht zulassen wollte aber nicht abwehren konnte, weil er zu erschöpft war. Was wenn Ron nicht nach Hogwarts zurückkehrt? Wenn er euch alleine lässt, wenn er dich alleine lässt? Was, wenn du schon wieder eine Person verlierst, die dir alles bedeutet? Einen weiteren Teil deiner Familie? Was, wenn der nächste Verlust dir bevorsteht? Die Gedanken kreisten in seinem Kopf herum und unterdrückten jeden anderen, positiven Gedanken. Sie machten ihn wahnsinnig. Plötzlich schrie er auf und schlug gegen die Wand in einem verzweifelten Versuch diese grauenhaften Vorstellungen loszuwerden. Und dann sackte er zusammen und begann zu weinen. Er konnte es nicht ertragen, nicht schon wieder.
Ein paar Tage lang saß er nur so da, mit leerem, auf sein Bett gerichteten Blick, den Beinen an die Brust gezogen und versuchte diese grauenhaften Gedanken endlich loszuwerden. Es war eine Starre aus Verzweiflung und Panik, die er mittlerweile nur allzu gut kannte. Sie hatte ihn zum ersten Mal ergriffen nachdem Cedric starb, sie verfolgte ihn in seine unruhigen Träume und ließ ihn am Tag blind und ignorant gegenüber der Außenwelt werden, unvorsichtig. Diese Starre war gefährlich. Zum zweiten Mal erfasste sie ihn, als Sirius starb, sie folgte der unbändigen Wut auf sich selbst, die er an Dumbledore ausgelassen hatte und eigentlich hatte er sie noch immer nicht überwunden. Und nun war er wieder an den Anfang zurückversetzt.
Am ersten Tag seiner Starre ignorierten ihn alle und ließen ihn in seinem Zimmer Trübsal blasen. Am zweiten Tag warf ihm seine Tante sein Essen förmlich zu Füßen und regte sich über die Delle in der Mauer auf, die seine Faust verursacht hatte. Am dritten Tag begann sie ihn anzuschreien und als psychisch gestört zu bezeichnen. Schließlich am vierten Tag erkannte er, dass Petunia nicht Unrecht hatte, was ein Wunder für sich war und raffte sich endlich auf. Nach einer Weile des Herumkramens in seinem Koffer, den er noch immer nicht ausgepackt hatte, fand er endlich Pergament, Tinte und den Adlersfederkiel, den Hermine ihm geschenkt hatte. Im Schneidersitz auf dem Bett begann er an sie zu schreiben.
Hey Hermine
Er strich es energisch weg. Das war für sein Anliegen wirklich unangemessen, um es gewählt auszudrücken. Zufriedener, sofern er das in seinem Zustand sein konnte, schrieb er:
Liebe Hermine,
Ich nehme an, dass Mrs. Weasley nicht nur mir sondern auch dir geschrieben hat, um dich über Ron zu informieren. Ich mache mir wirklich Sorgen, nicht nur um Ron sondern auch um uns und zugegebenermaßen geht es mir nicht sonderlich gut. Es ist mir alles einfach zu viel. Bitte schreibe mir zurück, wenn du in England bist und Zeit hast, ich brauche dich.
In Liebe Harry.
Er seufzte über den Schluss, weil er sich bei Hermine nie ganz sicher war, was er als Abschluss schreiben sollte. Der Text selbst war immer ein Leichtes, weil er Hermine sowieso alles erzählen konnte, naja, außer er hatte ein Problem mit Hermine, aber das kam nie vor. Doch der Schluss war immer so eine Sache, weil er entweder zu fremd und kühl, oder zu verliebt klang. Vermutlich gab es einfach keine Verabschiedung, die angemessen war für zwei Leute, die sich als seelenverwandt ansahen und trotzdem nicht ineinander verliebt waren. Wenn sie sich trafen würde es jedoch einfacher sein, da brauchten sie theoretisch nicht einmal Worte. Gerade deswegen stand er kurz entschlossen auf, band Hedwig, die ihn in seiner Starre niemals allein gelassen hatte und ihn stets besorgt beobachtete, den Brief ans Bein und sah ihr dabei zu, wie sie sich in die Lüfte schwang und bald in der Dunkelheit des Nachthimmels verschwand.
so, dass war das erste Kapitel
