
vor allem die ginnys reaktion auf harrys umarmung

ich bin auch mal gespannt wie das mit draco weiter geht


Moderator: Modis
Kapitel 14 - Ermutigende Worte
Schneebedeckte Landschaften rauschten an den Fenstern des Hogwartsexpresses vorbei. In Windeseile ließen wir Hogwarts hinter uns und fuhren auf die Weihnachtsferien zu. Die Stimmung in den Abteilen war gemischt. Manche freuten sich, dass sie ihre Familie endlich wieder unversehrt in die Arme schließen konnten. Manche hatten Angst, dass sie bei ihrer Ankunft eine Botschaft vom Tod eines geliebten Menschen erwartete. Und manche kehrten in der Sicherheit zurück, dass sie dieses Weihnachten mit einer Person weniger verbringen würden.
Mich selbst hatte seit dem Besteigen des Zuges eine Angst ergriffen, die mit jedem Meter, den wir zurücklegten, größer wurde. Ich befürchtete nicht, dass jemand aus meiner Familie den Todessern zum Opfer gefallen war. Der Krieg hatte in diesen Tagen meine Gedanken nicht erreicht. Dafür war ich zu beschäftig mit dem Moment der Wahrheit.
Wie würden meine Eltern reagieren, wenn sie erfuhren, was ich war? Natürlich, meine Freunde hatten es gut aufgenommen. Doch sie waren auch mit der Welt der Zauberer vertraut und kannten nach eigener Aussage auch einen sehr netten Werwolf. Meine Eltern hingegen kamen nur durch mich mit dieser ihnen so fremden Welt in Kontakt. Für sie würde der Gedanke an einen Werwolf etwas vollkommen Neues sein – und dass ihre Tochter auf einmal eine solche Kreatur sein sollte, würde vermutlich zu viel für sie sein. Vor allem um meinen Vater machte ich mir Sorgen. In letzter Zeit hatte er Herzprobleme. Meine Mutter hatte mir letzten Monat geschrieben, dass er von seinem Arzt beurlaubt worden war, damit er sich schonen und erholen konnte. Ich wusste nicht, ob diese Information nicht zu viel für ihn sein würde.
Und dann war immer noch die Frage, ob meine Eltern mich weiterhin so wie früher lieben konnten. Gut, das Verhältnis zu meinen Freunden hatte sich nicht geändert, aber das war wie gesagt etwas anderes.
Ginny schien wieder einmal meine Gedanken zu erraten, denn sie legte mir fürsorglich den Arm um die Schulter. "Das schaffst du schon", sagte sie. "Du wirst sehen, am Ende ist es gar nicht so schlimm."
Ich sagte nichts. In den letzten Tagen hatte ich den Versuch aufgegeben, ihr zu erklären, dass sie leicht reden hatte, da sie ja nicht in meiner Situation war. Sie hatte es nicht hören wollen, sondern nur abgewinkt. Ich würde übertreiben, hatte sie dann immer gemeint und ich hatte schließlich nicht mehr widersprochen. Aber innerlich dachte ich es immer noch. Als Außenstehender sah man die Dinge doch etwas leichter, wie wenn man selbst betroffen war. Wer nun Recht hatte, überlegte ich gar nicht. Mir fiel es einfach schwer zu glauben, dass es keine große Sache war und mich konnte auch nichts vom Gegenteil überzeugen.
"Hast du dir schon überlegt, wann genau du es ihnen sagst?", fragte Harry mich vorsichtig.
"Ich weiß nicht genau", entgegnete ich. "Ich dachte, Heilig Abend wäre ganz gut. So als Weihnachtsgeschenk." Diese sarkastische Antwort konnte ich mir einfach nicht verkneifen.
Er lachte leicht, doch ihm war klar, wie ich es meinte. Hermine wirkte etwas pikiert und Ron sah mich kritisch an. Ginnys Gesichtsausdruck sah ich nicht, da sie direkt neben mir saß und ich ihr den Kopf nicht zuwandte. Ihr Arm blieb jedoch weiterhin um meine Schulter gelegt.
"Jetzt mal ernsthaft", sagte Harry dann. "Es wäre vielleicht schon nicht schlecht, sich ein bisschen Gedanken zu machen, wann und wie du es ihnen sagen willst."
"Ach, wieso denn. Ich dachte, das kann ich so nebenbei einfügen. Ungefähr so: 'Das Essen ist wirklich köstlich, Mum. Übrigens bin ich ein Werwolf. Was gibt's zum Nachtisch?" Ich klang fast ernst.
"Lass mal die Ironie bei Seite", Harry blickte mich eindringlich an. "Hast du dir noch überhaupt keine Gedanken darüber gemacht?" Natürlich hatte ich das. Jeden Tag und jede Nacht. Ich war es mehrmals durchgegangen. Vor Weihnachten, nach Weihnachten, nur meiner Mutter, auch meinem Vater... Unzählige Varianten hatte ich mir überlegt, doch in meinem Kopf hatte es am Ende immer zur gleichen Katastrophe geführt. Mein Vater hatte einen Herzanfall bekommen und meine Mutter hatte mir für den Rest ihres Lebens vorgehalten, dass ich den frühzeitigen Ruhestand meines Vaters zu verantworten hatte. Ich wusste nicht, wie nahe mein Gehirn der Realität kam, doch mit jedem Mal, da ich es durchspielte, wurde meine Angst größer.
"Ich habe mir schon oft überlegt, wann und wie ich es sagen könnte", antwortete ich Harry schließlich und drückte damit meine Gedanken aus. "Es hat immer im Chaos geendet... Ich kann das einfach nicht."
Ich erwartete, dass meine Freunde mir sofort widersprechen würden und versuchen würden, mir Mut zuzureden. Doch sie blieben still und schienen sehr nachdenklich zu werden. Das bedeutete, dass sie meine Bedenken ernst nahmen.
Schließlich ergriff Ron das Wort. "Natürlich könnten deine Eltern schlecht reagieren und es ist wohl außer Frage, dass sich etwas verändern wird. Aber, jetzt stell dir mal vor, du würdest es ihnen nicht sagen. Wäre es dann nicht viel schlimmer. Also, zu wissen, dass du ihnen etwas verschweigst. Wolltest du es ihnen dann nicht sowieso irgendwann sagen?"
Ich nickte langsam. Er hatte einen Punkt, einen verdammt guten sogar. Sie waren meine Eltern. Ich wollte keine Geheimnisse vor ihnen haben. Außerdem hatten sie das Recht, davon zu erfahren. Schließlich betraf es mich, ihre Tochter, die sie in den letzten sechzehn Jahren liebevoll großgezogen hatten.
"Trotzdem weiß ich immer noch nicht, wie ich es ihnen sagen soll", meinte ich niedergeschlagen.
Ginny zog mich näher an sich und ich ließ meinen Kopf auf ihre Schulter fallen. "Hör mal", begann sie. "Ich will jetzt nicht sagen 'Das wird schon' – alleine schon, weil du mir aufs heftigste widersprechen würdest. Du hast Angst. Okay. Aber du bist eine Gryffindor..."
"...und Gryffindors sind mutig, also dürfen sie keine Angst haben?", beendete ich den Satz für sie.
"Nein", sie schüttelte den Kopf, "das stimmt gar nicht."
"Ach nicht?", ich hob etwas erstaunt den Kopf und sah sie aus den Augenwinkeln an.
"Mut bedeutet doch nicht, dass man keine Angst hat. Mut ist, wenn man etwas tut, obwohl man davor Angst hat. Und du bist eine Gryffindor, deswegen weiß ich, dass du dich deiner Angst stellen kannst. Du hast es schon so oft bewiesen."
Jetzt setzte ich mich ganz aufrecht hin und sah sie direkt an. "Wann hab ich denn bitteschön 'Mut bewiesen', wie du es so schön formulierst."
"Also, lass mich mal überlegen", meinte Ginny und ich dachte schon, dass ihr nichts einfallen würde. Doch ich täuschte mich. "Du hast dich als einzige Erstklässlerin gleich in der ersten Zaubertrankstunde mit Snape angelegt...", begann sie an den Fingern abzuzählen.
"...aber nur, weil mich niemand vor ihm gewarnt hatte und ich es einfach nicht besser wusste", konterte ich sofort. Doch meine beste Freundin ließ mir das nicht durchgehen.
"Jeder, der nicht vor Snape gewarnt worden war, wusste spätestens als Snape den Raum betreten hat Bescheid..."
"Das bedeutet nur, dass ich etwas schwer von Begriff bin", unterbrach ich sie sogleich wieder.
Ginny verdrehte die Augen, ließ sich von mir aber nicht beirren. "Du hast dich in der dritten Klasse mit zwei Sechstklässlern aus Slytherin angelegt, obwohl deine Chancen ziemlich schlecht aussahen..."
"Leichtsinn. Wenn ich gereizt werde, sehe ich rot, aber das beweißt rein gar nichts", wehrte ich ab, doch sie war schon beim nächsten.
"Du bist in Filchs Büro eingebrochen, nur um die Tinte-spritzenden Federn zurück zu holen, die ich Fred und George schenken wollte. Wenn du erwischt worden wärst, hättest du mächtig Ärger bekommen."
Ich schüttelte den Kopf, musste allerdings lächeln. "Das war eine Kurzschlussreaktion und zeigt nur, dass ich handle, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Mit Mut hat das nicht wirklich etwas zu tun."
"Ach, und ich vermute", entgegnete Ginny, als würde sie gleich einen Trumpf ausspielen, "als du dich letzten Sommer dazu entschieden hast, mit in die Mysteriumsabteilung zur Rettung von Harrys Patenonkel zu kommen, war dir überhaupt nicht bewusst, dass eine Begegnung mit Du-weißt-schon-wem oder zumindest mit seinen Todessern unausweichlich sein würde." Triumphierend verschränkte sie die Arme vor ihrer Brust und wartete auf meine Antwort.
Etwas verlegen drehte ich meine Augen in Richtung Decke. Sie hatte natürlich Recht. Ich hatte in etwa gewusst, worauf ich mich einließ und ich hätte jederzeit umkehren können – ich hatte es aber nicht getan.
Während ich noch schwieg, fiel Ginnys Blick auf Harry, der bei der Erwähnung von Sirius einen seltsamen Gesichtsausdruck angenommen hatte. "Tut mir Leid, Harry", sagte sie schuldbewusst, doch er winkte ab. Für Ginnys gute Absichten schien er es wohl zu ertragen, an den Tod seines Patenonkels erinnert zu werden.
"Okay", sagte ich dann, "also habe ich da vielleicht Mut bewiesen. Es ist aber immer noch einfacher, für seine Überzeugungen zu kämpfen, als etwas zu sagen, das das ganze Leben verändern kann."
Ginny runzelte die Stirn. "Willst du damit sagen, dass es einfacher ist, dem möglichen Tod entgegen zu gehen, als eine starke Veränderung des eigenen Lebens zu akzeptieren?"
Ich legte meinen Kopf von rechts nach links und wieder zurück, als würde ich es noch einmal abwiegen. "Wenn die negativen Auswirkungen dieser Veränderung überwiegen, dann ja."
"Manchmal haben solche Veränderungen etwas gutes, das man aber erst später bemerkt", gab meine beste Freundin zu bedenken.
"Und was soll an der Tatsache, dass ich jetzt ein Werwolf bin, gut sein?", fragte ich mit gehobenen Augenbrauen.
Ginny zuckte mit den Schultern. "Manchmal schweißen 'Schicksalsschläge'", dieses Wort setzte sie mit ihren Fingern in Anführungszeichen, "Menschen enger zusammen."
Ich musste lachen. "Du gibst wohl nie auf?"
Sie schüttelte grinsend den Kopf. "Und genau das solltest du auch nicht tun."
In diesem Moment wurde der Zug langsamer und wir fuhren auf Gleis 9 ¾ ein.
Und obwohl ich meine Angst vor dem, was mir bevor stand, nicht ganz verloren hatte, gaben mir Ginnys Worte doch etwas mehr Zuversicht.
Kapitel 15 - Nur eine Nacht
Reinold ist zu Besuch.
"Ich habe es meinen Freunden erzählt", sage ich. "Sie stehen zu mir. Ich hab es dir ja gesagt."
"Und was ist mit deiner Familie?", fragt er. "Hast du es ihnen schon erzählt?"
"Noch nicht", sage ich. "Aber ich kann es ja jetzt machen. Sie werden es gut aufnehmen, du wirst schon sehen."
Ich nehme seine Hand und ziehe Reinold aus meinem Zimmer und in die Küche. Meine Eltern und mein Bruder waschen das Geschirr zusammen..
"Mum, Dad, Lex? Ich muss euch etwas sagen", sage ich. "Ich bin ein Werwolf."
Die Worte kommen einfach. Wie fließendes Wasser.
Ich lächle. Sie werden es gut aufnehmen.
Dann das Geräusch von zerbrechendem Porzellan.
"Ewan!", ruft meine Mutter aus. Mein Vater sinkt in ihren Armen zu Boden.
Tränen im Gesicht meiner Mutter. Entsetzen in meiner Magengrube.
Ich will helfen, mache einen Schritt auf sie zu.
"Bleib, wo du bist", zischt mein Bruder. Abneigung in seinem Gesicht und in seinem Unterton.
"Siehst du?", sagte Reinold neben mir mit einer fremden Stimme. "Niemand kann einen Werwolf lieben. Ihr seid alle Bestien!"
Ich drehe mich um.
Reinold ist verschwunden. An seiner stelle steht Draco Malfoy.
Er sieht mich von oben herab an. Sein Gesicht ist von reiner Missachtung gezeichnet.
Ich verspürte einen Schmerz irgendwo in der unteren Hälfte meines Körpers. Wo genau, kann ich nicht sagen.
Benommen blinzle ich. Dunkelheit umgab mich, egal ob meine Augen geöffnet oder geschlossen waren.
Trotzdem wurde mein Kopf klarer. Der Schlaf wich von mir und mit der Zeit konnte ich die Gefühle in meinem Körper wieder wahrnehmen und richtig zuordnen.
Der Schmerz kam aus meinem rechten Zeh. Er begann an der Spitze und überrollte von dort aus den Rest meines Fußglieds. Ich konnte mir einen gemurmelten Fluch nicht verkneifen.
Dann nahm ich noch ein anderes Gefühl aus meinen Füßen wahr. Kalte Fliesen lagen unter und mein ganzes Körpergewicht auf ihnen. Ich stand. Wie konnte das sein? Ich hatte doch bis eben noch geschlafen? Wo war ich überhaupt?
Vorsichtig tastete ich mit meinen Händen nach einem Widerstand in meiner Nähe und fand die Ecke einer Tischplatte oder etwas Ähnlichem direkt vor mir. Ich tastete mich an dem Objekt Richtung Boden und stellte fest, dass sich eine Ecke davon dicht vor meinem Zeh befand. Ich musste ihn mir wohl an der Kante gestoßen haben.
Wenn meine Augen, die sich inzwischen etwas an die Dunkelheit gewöhnt hatten, mich nicht täuschten, war das die Anrichte. Ich befand mich also in der Küche. Aber wie war ich hier her gekommen? Ich konnte mich noch daran erinnern, wie ich ins Bett gegangen war. Alles was ich von meinem Schlaf behalten hatte, war der verwirrende Traum und jetzt fand ich mich also in der Küche wieder. War ich etwa Schlafgewandelt?
Erschöpft stützte ich mich auf die Anrichteplatte. Reinolds – nein, Dracos letzte Worte hallten mir noch in den Ohren. Sein abwertender, verachtungsvoller Blick hatte sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Was machte Draco Malfoy in meinem Traum? Wieso musste gerade er meine größten Ängste aussprechen?
"Felice?" Ich schreckte hoch. Für einen Moment glaubte ich Gespenster zu sehen, doch als die Gestalt im Türrahmen näher kam, konnte ich sie als meine Mutter identifizieren. "Hab ich dich erschreckt?", fragte sie besorgt.
"Ein bisschen", gab ich zu. Mein Puls, der plötzlich in die Höhe geschossen war, beruhigte sich nicht ganz so schnell wieder.
"Tut mir leid, das wollte ich nicht", entschuldigte meine Mutter sich. Ich sagte nichts, sondern stützte mich nur wieder auf die Arbeitsfläche. "Was machst du eigentlich hier mitten in der Nacht im Dunklen?", wollte sie darauf wissen.
"Durst", meinte ich kurz angebunden.
Meine Mutter lachte leise. "Ja, ich hatte vergessen, dass du nachts ja immer im Dunklen rum schleichst, um niemanden mit dem Licht zu wecken."
"Mh", machte ich. "Das ist es nicht mal. Das Licht macht eigentlich nur das geheimnisvolle Gefühl der Nacht kaputt."
"Achso", entgegnete sie. "Ich wollte es gerade anmachen, aber dann lasse ich das jetzt lieber." Das Lächeln schwang immer noch in ihrer Stimme.
Damit ich etwas zu tun hatte, nahm ich ein Glas aus dem Schrank, füllte es mit Leitungswasser und begann daran zu nippen, während ich mich an die Anrichte lehnte. Meine Gedanken schweiften wieder zu meinem Traum.
Die Adleraugen meiner Mutter sahen auch in der Dunkelheit, dass etwas nicht stimmte. "Was ist los, Liz? Was bedrückt dich?" Liz. So hatte sie mich als kleines Kind immer genannt, bis ich darauf bestanden hatte, immer mit Felice angesprochen zu werden, weil der Name besonders klang und Liz nur so gewöhnlich. Wenn sie mich jetzt noch Liz nannte, war das ein Zeichen, dass ihre mütterlichen Gefühle besonders stark durchkamen.
Ich schwankte zwischen Lüge und Wahrheit. Ich konnte es ihr nicht jetzt sagen. Der Moment war unpassend. Ich sollte mich heraus reden und es irgendwann anders erklären. Aber sie ist deine Mutter, widersprach mir eine Stimme in meinem Kopf, die sehr nach Ginny klang. Es wird nie einen richtigen Zeitpunkt geben, das hast du doch schon gemerkt und sie hat ein Recht es zu erfahren!
Ich nahm noch einen Schluck aus meinem Wasserglas, um irgendetwas zu tun. All die Erinnerungen kamen mir ein, als meine Mutter sich für mich stark gemacht hatte. Den Jungen auf dem Spielplatz hatte sie so lange mit in die Hüften gestemmten Armen angeblickt, bis er mir meinen Ball zurück gegeben hatte. Mein Vater hatte sie damals als 'Wolfsmutter' bezeichnet. Ein Hauch Ironie in Anbetracht meiner jetzigen Lage.
Der eigenen Mutter konnte man doch die Wahrheit sagen, wenn sie sich ihr Leben lang so für einen eingesetzt hatte, oder? Doch konnte die Tatsache, dass das eigene Kind ein Werwolf war, selbst für so eine Mutter zu viel sein?
"Redest du jetzt nicht mehr mit mir?", erkundigte sich meine Mutter, nachdem ich eine Weile so in mir gekämpft hatte.
"Doch", gab ich zurück. "Es ist nur...", ich zögerte, "ich weiß nicht, wie ich es sagen soll..." Das war ein Schritt in Richtung Wahrheit. Ich würde es ihr jetzt sagen. Ich hatte mich entschieden, doch ich zweifelte immer noch.
"Versuch es", ermutigte sie mich und legte mir ihre Hand auf den Oberarm, um ihre Worte zu bestärken. Das war vielleicht nicht gerade die beste Geste, die sie jetzt machen konnte. In meinem Kopf formte sich das Bild, wie sie ihre Hand ruckartig zurück ziehen würde, sobald sie die Wahrheit erfuhr.
Ich schüttelte den Kopf um mich gegen diese Vorstellung zu wehren. Diese Angstvorstellungen waren nicht gerade hilfreich. Es bestand schließlich die Möglichkeit, dass meine Mutter es gar nicht so schlecht aufnehmen würde. Du bist immer noch ihre Tochter, erinnerte mich Ginnys Stimme.
Ich nahm den letzten tiefen Atemzug, bevor ich mit der Wahrheit herausrücken würde – zumindest hoffte ich das. "Etwas ist passiert", begann ich zögerlich den Versuch, langsam auf die Sache hinzuführen. "Ich hab mich verändert."
Meine Mutter seufzte – war es Erleichterung? – und rieb mir über meinem Oberarm. "Natürlich hast du dich verändert. Du bist fünfzehn, also mitten in der Pubertät. Jeder macht da mal eine Phase großer Veränderung durch", meinte sie beruhigend.
Ich schüttelte ihre Hand ab. "Nein, so meinte ich das nicht", versuchte ich zu erklären. Zwar sah ich es nicht, doch ich konnte mir gut vorstellen, wie sich auf das Gesicht meiner Mutter ein fragender Ausdruck legte.
"Wie meinst du es dann?", wollte sie vorsichtig wissen. Ihre Stimme war fast nur noch ein Hauchen. Offensichtlich ahnte sie das Ausmaß des Geständnisses.
Ich wagte es, mich meiner Mutter zuzuwenden und unsere Blicke trafen sich, wenn auch verschleiert durch die Dunkelheit. Es kostete mich weitere schwere Atemzüge, bis ich es wirklich wagte: "Ich bin ein Werwolf geworden." Es war ein Flüstern, so leise, als wollte es nicht gehört werden.
Die Stille war unerträglich. Wäre es jetzt Sommer, könnte ich bestimmt die Grillen zirpen hören. Ein verrückter Gedanke in einem solchen Moment.
Meine Augen versuchten durch die Dunkelheit hindurch die Mimik meiner Mutter zu deuten. Ihre Lippen bewegten sich leicht auf und zu, als würde sie stumme Worte formen. Vielleicht Worte, die ihr helfen sollten, diese fremde Welt zu begreifen, die jetzt noch näher an sie heran gerückt war.
"W-wie?", meine Mutter fand ihre Stimme wieder, wenn sie auch brüchig klang.
"Das ist eine lange Geschichte", seufzte ich müde und rieb mir mit einer Hand durchs Gesicht.
Sie schlang mir ihre Arme um den Hals und drückte mich an sich. Zwischen ihrer Wange und meiner Stirn konnte ich Tränen fühlen. Etwas überrascht legte ich meinen Arm um ihre Hüfte und meinen Kopf an ihre Schulter.
"Du bist doch mein kleines Mädchen", versuchte sie ihre Gefühle und Gedanken in Worte zu fassen.
"Es ist nur eine Nacht...", flüsterte ich beruhigend. Zu mehr war ich nicht fähig.
16. Kapitel - Eine Einladung
"Ein Werwolf also?", beendete mein Vater die Stille, die meiner Schilderung gefolgt war. "Das kommt...", er suchte nach dem passenden Wort, "überraschend."
Ich nickte stumm und meine Mutter lehnte sich über den Tisch, um mir ermutigend die Hand zu drücken. Das Schweigen breitete sich erneut über dem Frühstückstisch aus und ich wagte es kaum Blickkontakt aufzunehmen. Meine Befürchtungen waren nicht wahr geworden – meine Eltern sowie mein Bruder hatten es scheinbar so gut wie möglich aufgenommen – und doch konnte ich noch nicht aufatmen. Die Angst, dass mein Vater doch noch einen Herzinfarkt haben könnte, hatte sich in meinem Hinterkopf schon häuslich eingerichtet und weigerte sich jetzt, wieder auszuziehen.
"Und was macht dieser Reinold-Junge jetzt?", erkundigte sich mein Vater. Ich hatte auch gleich von Reinold erzählt, um die Frage, wie ich denn ein Werwolf sein konnte, wenn mich niemand gebissen hatte, gar nicht erst aufkommen zu lassen.
"Ich weiß es nicht", gab ich wahrheitsgemäß zu. Der Gedanke, wie er irgendwo ganz alleine durch den Schnee strich, bedrückte mich ungemein. Doch es gab nichts, was ich für ihn tun konnte, wenn er keine Hilfe zuließ. Und so wie es aussah, würde ich ihn wohl nie wieder sehen.
"Ein Jammer", brummte mein Vater und holte mich so aus meinen Gedanken zurück. "Sonst hätten wir ihn ja vielleicht über Weihnachten zu uns einladen können."
Ich sah ihn überrascht und auch skeptisch an. 'Einladen?', fragte ich mich ungläubig und mein Sarkasmus wühlte meine Gedanken auf. Sollte das so eine Art "Danke, dass Sie meine Tochter in einen Werwolf verwandelt haben"-Einladung werden?
Mein Vater fing meinen Blick auf und schien zu erraten, was mir durch den Kopf ging, denn er fügte hinzu: "Immerhin wärst du ohne ihn vielleicht gar nicht mehr am Leben."
Ich verkniff mir erneut einen Kommentar. Ich wollte nicht sagen, dass es ein hoher Preis war, den ich für mein Weiterleben gezahlt hatte, denn das klang so, als wäre ich undankbar oder würde Reinold etwas vorwerfen. Dabei mochte ich ihn und könnte ihm nie im Leben verübeln, was passiert war.
"Ja, das wäre sicher nett, ihn einzuladen", stimmt meine Mutter zu und zeigte somit ihre Begeisterung für den Vorschlag. Augenblicklich wandte sie sich an mich, da ihr eine Idee gekommen war. "Du könntest ihm ja einen Brief schreiben und mit ihm einen Treffpunkt vereinbaren, wo Lex ihn abholen kann. Eulen finden ihr Ziel doch auch ohne eine feste Adresse, nicht?"
"Das ist nicht sicher", entgegnete ich, doch eigentlich wusste ich es nicht genau. Aber der Vorschlag erschien mir etwas umständlich und zudem machte ich mir Sorgen, was Reinold davon halten würde. Vielleicht wäre es ihm unangenehm, eingeladen zu werden. Oder es könnte ihn verärgern, dass ich überhaupt Kontakt zu ihm aufnahm, da sein Abschied sehr endgültig geklungen hatte. Was, wenn er gar nichts mehr mit mir zu tun haben wollte und ich ihn nur belästigte?
"Mh, das könnte funktionieren", stimmte mein Vater nach kurzem Überlegen meiner Mutter zu. Fragend wandte er sich an meinen Bruder: "Was meinst du dazu, Lex?"
Ich blickte hinüber zu Lex, der teilnahmslos auf seinem Stuhl saß. Er hatte sich noch gar nicht zu meinem "Zustand" geäußert, wie mir jetzt mit Unbehagen auffiel. Auch seine Haltung beunruhigte mich. Er saß einfach nur da und starrte vor sich hin, mit einem versteinerten Gesichtsausdruck. Ich schluckte. Bildete ich es mir nur ein, oder waren seine Zähne grimmig aufeinander gepresst?
Es verstrich ein Moment bis er die Frage, die noch im Raum hing, mit einem Schulterzucken beantwortete. Dann folgte noch ein knappes "Wäre möglich". Unsicher versuchte ich seinen Blick einzufangen, doch er sah nicht zu mir.
Wenn meiner Mutter das seltsame Verhalten von Lex auffiel, so überspielte sie es. "Wunderbar, dann solltest du möglichst bald den Brief schreiben, Felice, dass wir bis Heilig Abend alles geklärt haben", stellte sie fest und somit war die Sache beschlossen, ohne, dass ich überhaupt gefragt wurde.
Mein Mund öffnete sich schon zum Protest, doch ich zögerte, meine Bedenken einzuwerfen. Und in diesem Augenblick zog Lex wieder meine Aufmerksamkeit auf sich, als er sich aus seinem Stuhl erhob.
"Entschuldigt mich", sagte er knapp und verließ den Raum.
"Er hat es immer noch nicht gelernt, am Tisch sitzen zu bleiben, bis alle mit Essen fertig sind", kommentierte meine Mutter kopfschüttelnd, doch sie schien nichts Bedenkliches an seinem Verhalten zu finden.
Ich war allerdings alarmiert. Etwas stimmte nicht, das konnte ich spüren und ich musste der Sache auf den Grund gehen.
"Ich komme gleich wieder", sagte ich im Aufstehen und folgte meinem Bruder aus dem Esszimmer. Die verwunderten Blicke meiner Eltern folgten mir, doch das kümmerte mich in diesem Moment nicht.
Unsicher, wo Lex sich befinden könnte, ging ich den Flur entlang. Da ich keine Schritte auf der Treppe gehört hatte, vermutete ich, dass er sich noch im Erdgeschoss befand. Und tatsächlich fand ich ihn im Wohnzimmer, wie er aus dem Fenster in den schneebedeckten Garten blickte.
Vorsichtig näherte ich mich ihm. Ein Gefühl, dass ich Schuld an seinem seltsamen Verhalten war, wühlte meinen Magen auf. Ich konnte zwar nicht genau sagen, was es war, doch es musste wohl irgendwie mit der Werwolfgeschichte zusammenhängen, das war der logische Schluss.
"Lex?", fragte ich unsicher, als ich auf Armlänge zu ihm herangerückt war und ging dann noch ein paar Schritte weiter, bis ich neben ihm am Fenster stand.
Er sah nur kurz zu mir, dann starrte er wieder in den Garten. Ich befürchtete schon, dass er jetzt nicht mehr mit mir reden würde, deshalb wusste ich nicht so recht, was ich zu ihm sagen sollte. Ich stand also nur neben ihm und sah mit ihm aus dem Fenster.
"Wieso hast du nicht früher etwas gesagt?", durchbrach Lex schließlich die Stille. Ich blickte erstaunt zu ihm, doch seine Augen lagen weiterhin auf der Schneedecke.
"Ich weiß nicht", begann ich zögernd. "Ich hatte einfach Angst, dass ihr mich nicht mehr so wie früher seht... Ich war mir ja selbst nicht sicher, ob ich überhaupt noch die Gleiche bin." Beschämt blickte ich zu Boden.
"Wir sind deine Familie, Liz. Hast du etwa geglaubt, wir würden dich verstoßen?" Der aufgebrachte Unterton in der Stimme meines Bruders ließ meinen Kopf wieder nach oben schnellen. Er hatte sich jetzt zu mir gewandt und unsere Blicke trafen sich.
Ich brauchte ihm nicht zu antworten, die Wahrheit lag in meinem schuldbewussten Gesicht. Wie um das gezeigte Gefühl zu bestätigen, schluckte ich sichtbar.
Lex drehte seinen Kopf erneut weg. Ich glaubte Enttäuschung in dem Gesichtsausdruck zu sehen, der schwach in der Fensterscheibe reflektiert wurde. Doch sein Blick verweilte nicht lange im Garten, sonder kehrte zurück zu mir. Vielleicht wollte er sich vergewissern, dass er meine Mine nicht falsch gedeutet hatte.
Ich ließ meinen Kopf sinken. "Ich wusste doch nicht, wie ich damit umgehen sollte...", erklärte ich dem Boden schwach.
"Es gibt überhaupt nichts, wofür du dich schämen musst", sagte er sanft und hob mein Kinn mit seinen Fingern, bis wir uns wieder in die Augen sahen. Die Härte in seinem Gesicht war geschmolzen. Das war wieder der Lex, den ich kannte, der führsorgliche große Bruder, der mich immer beschützte.
Trotzdem war mein Blick noch vorsichtig forschend. Ich war mir noch nicht sicher, ob er mir schon ganz verziehen hatte. Doch sein Mund weitete sich zu einem Lächeln.
"Komm her", meinte Lex und nahm mich in seine Arme. Erleichtert ließ ich meinen Kopf an seine Brust sinken. Ich hätte es nicht ertragen, wenn er mir längere Zeit böse gewesen wäre.
Als er sich dann wieder von mir löste, umspielte das Lächeln immer noch seine Lippen. "Musst du nicht noch dringend einen Brief schreiben?", fragte er mich mit einem Zwinkern in seiner Stimme. Ich bejahte mit einer einfachen Kopfbewegung.
"Dann solltest du lieber gleich damit anfangen", riet Lex mir und musterte mich. Offensichtlich war mir ins Gesicht geschrieben, dass ich nach diesem Gespräch nicht sonderlich dazu in der Stimmung war.
"Ich hab es. Du beginnst, den Brief zu schreiben und ich mache dir Honigpunsch", schlug er dann vor. Meine Augen strahlten wie die eines Kindes. Honigpunsch war eines meiner Lieblingsgetränke und an kalten Wintertagen, die es im Dezember zu genüge gab, war es mir das Liebste.
"Sieht so aus, als würde dir diese Idee gefallen", lachte er, zufrieden mit sich selbst.
17. Kapitel - Wiedersehen im Schnee
Der Wind wehte kalt durch das kleine Dorf irgendwo in Schottland und trieb die Schneeflocken durch die Straßen. Ich wusste selbst nicht genau, wo wir waren, Lex hatte uns hier her appariert. Meine Vermutung war allerdings, dass es nicht all zu weit von Hogsmeade und somit von Hogwarts entfernt war.
Fröstelnd zog ich meinen Mantel enger um mich. Die Straßen waren verlassen – denn niemand wollte bei diesem Wetter sein warmes Zuhause verlassen – und die Schneedecke war fast gänzlich unberührt. Nur mein Bruder und ich hatten Fußspuren hinterlassen, wo wir zum warm bleiben hin und her gegangen waren.
Verdächtiger hätte es eigentlich nicht sein können: Zwei Fußpaare, die aus dem Nichts aufgetaucht sind, sich in engen Kreisen umeinander drehen und dann wieder verschwinden werden – wenn alles wie geplant verlaufen würde mit einem weiteren Paar, dass sich von irgendwoher zu ihnen gesellen würde. Aber die Feiertage standen bevor und wenn wir Glück hatten, würde kein Dorfbewohner vor der Abendmesse sein Haus verlassen und der Schnee hatte bis dahin mit Sicherheit wieder alle Spuren verdeckt.
„Hat dein Freund eigentlich keine Uhr?“, fragte Lex mit einem Blick auf seine Armbanduhr. Wir warteten schon geschätzte zwanzig Minuten in der Kälte und ich konnte verstehen, dass mein Bruder ungeduldig wurde. Trotzdem sah ich ihn prüfend an, da ich nicht so recht wusste, was ich von der Bezeichnung „dein Freund“ halten sollte.
„Keine Ahnung, vielleicht wurde Reinold auch aufgehalten“, antwortete ich und erinnerte Lex nebenbei noch an den Namen der Person, auf die wir warteten. Er ging nicht darauf ein und ich lenkte meine Aufmerksamkeit auf einen kleinen Tannenbaum, der mit Lichterketten eingewickelt in einem Vorgarten stand und mit großer Mühe dem Wind trotzte
„Vielleicht hat er auch einfach kalte Füße gekriegt“, mutmaßte mein Bruder weiter.
Ich nickte abwesend, während ich dem Stern auf der Spitze des Tannenbaums beim Tanzen zusah. „Bei diesem Wetter kein Wunder...“
Das Lachen von Lex holte mich aus meinen Gedanken zurück. Verwirrt sah ich meinen Bruder an. Ich konnte nicht nachvollziehen, was er gerade so lustig fand. Und so kam meine Frage auch in einem vorwurfsvollen Ton. „Was?“
Netterweise fing er sich schnell wieder und konnte mir immer noch leicht grinsend eine Antwort geben. „Ich meine das im übertragenen Sinn.“
„Oh“, war alles, was ich in meiner Überraschung dazu sagen konnte.
Ich hatte mich schon halb abgewandt, da drehte ich mich erneut zu meinem Bruder um. „Moment mal, was soll das?“, verlangte ich verärgert zu wissen. „Was unterstellst du ihm da?“
Abwehrend hob er seine Hände in die Luft. „Ich meine das ja nicht böse“, begann er zu erklären. „Aber wie lange meidet Reinold schon die Gesellschaft von anderen Menschen? Ein halbes Jahr? Der Weg zurück ist oftmals noch viel schwerer.“ In seiner Stimme lag jetzt nicht überhörbarer Ernst.
Ich sah ihn stumm an, während seine Worte auf mich wirkten. Vielleicht hatte Lex Recht, auch wenn er nicht Psychologie studierte, wie es mein Vater getan hatte.
Wenn ich zuvor schon Zweifel an der Idee meiner Eltern gehabt hatte, Reinold zu Weihnachten einzuladen, dann hatten sich diese jetzt verdoppelt. Nicht nur, dass er vielleicht ein Problem damit hatte, von Fremden Menschen eingeladen zu werden; überhaupt in der Gegenwart von Menschen zu sein, könnte ihm unheimlich schwer fallen, schließlich sah er sich selbst als Gefahr für andere.
Ein mulmiges Gefühl ergriff mich. Ich war mir jetzt ziemlich sicher, dass Reinold nicht kommen würde. Was hatte ich auch anderes erwartet? Ich hatte ihn bis jetzt nur einmal getroffen – und das unter äußerst seltsamen Umständen. Abgesehen davon, dass er ein Werwolf war, wusste ich eigentlich gar nichts von ihm. Und er kannte mich genau so wenig, auch wenn er der Grund war, dass ich ebenfalls ein Werwolf geworden war.
Aber genau das war der Punkt. Ich hatte das Gefühl gehabt, dass uns, obwohl wir uns eben überhaupt nicht kannten, etwas verbunden hatte – und wenn es nur das Wissen war, dass wir das gleiche Schicksal teilten.
Enttäuschung machte sich in mir breit. Reinold war der Einzige, der wusste, wie es mir in einer Vollmondnacht ging, er war der Einzige, mit dem ich darüber reden konnte, ohne einen mitleidigen Blick zu ernten oder den Satz zu hören: „Das muss bestimmt furchtbar für dich sein.“ Zugegeben, ich hatte noch nicht wirklich mit jemandem darüber gesprochen, aber so stellte ich es mir vor.
Das dumpfe Knirschen von Schnee ließ mich aufsehen. Eine Gestalt näherte sich uns mit langsamen Schritten. Schneeflocken hingen in den wirren Haaren und am zerfetzten Mantel. Ich kniff meine Augen zusammen, um sicher zu gehen, dass ich mich nicht täuschte. Doch obwohl inzwischen ein wirrer Bart sein halbes Gesicht bedeckte, erkannte ich seine Augen. Es war Reinold.
Ich fühlte mich so unsicher, wie er aussah, aber ich konnte nicht leugnen, dass ich mich über seine Anwesenheit freute. Und wenn mein Herz nicht sogar einen kleinen Hüpfer gemacht hatte, als ich ihn erkannt hatte. Doch in diesem Moment blieb mir nicht viel Zeit, mir über diese Gefühlsregung Gedanken zu machen.
Als er seine Schritte zögernd verlangsamte, holte ich zur Ermutigung tief Luft und ging ihm entgegen. Es waren nur noch wenige Schritte, doch ich wollte Reinold bestätigen, dass ich wollte, dass er hier war. Lex hielt sich im Hintergrund und beobachtete uns misstrauisch.
„Hey“, sagte ich schwach, als ich vor Reinold zum Stehen kam und schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln. Eine Gesichtsregung seinerseits konnte ich unter seinem Bart nicht ausmachen, doch seine Augen waren mehr als freundlich.
„Hey“, erwiderte er meinen Gruß. Seine Stimme klang heißer wie immer, als wäre sie den regelmäßigen Gebrauch nicht mehr gewohnt.
Mir fehlten die weiteren Worte, doch er verhinderte, dass es zu einer Stille zwischen uns kam.
„Wie spät ist es?“, erkundigte er sich, bevor das Schweigen unangenehm werden konnte. Ich hatte zwar eine vage Ahnung, blickte aber doch auf meine Armbanduhr, um mich zu vergewissern.
„Es ist jetzt dann halb zehn“, teilte ich ihm mit, unterließ aber jede Anmerkung über sein Zuspätkommen. So zimperlich wollte ich nicht sein, solange er überhaupt gekommen war.
Reinold schien das jedoch anders zu sehen, denn ohne eine Aufforderung meinerseits, entschuldigte er sich. „Tut mir Leid, dass ich euch habe warten lassen. Ich habe die Dauer des Weges wohl unterschätzt. Man bekommt ein ganz anderes Zeitgefühl, wenn man nicht mehr so oft unter Menschen ist.“
„Das macht doch nichts“, besänftigte ich ihn, obwohl ich nicht sicher für meinen Bruder sprechen konnte. Dann fiel mir auf, dass ich die beiden einander noch gar nicht vorgestellt hatte. Also nahm ich ohne nachzudenken Reinolds Hand und zog ihn das letzte Stück auf Lex zu.
„Darf ich dir meinen Bruder Lex vorstellen?“, begann ich an Reinold gewandt und richtete das Wort augenblicklich an meinen Bruder: „Das ist Reinold.“
Lex nickte ihm zu, rang sich dann aber doch dazu durch, Reinold die Hand zu geben. Das Ganze blieb von beiden unkommentiert.
Erneut schlichen sich bei mir Bedenken ein, ob es eine so gute Idee war, Reinold über Weihnachten zu Besuch zu haben. Ich wollte keinem aus meiner Familie eine böse Absicht unterstellen, aber ich kam nicht so ganz über das Gefühl hinweg, dass keiner von ihnen so recht wusste, wie sie sich meinem Leidensgenossen gegenüber verhalten sollten. Diese wortkarge – oder besser wortlose – Begrüßung war das beste Beispiel dafür.
Lex hatte offenbar keine Lust mehr, in der Kälte zu verweilen, also brachte er es gleich auf den Punkt. „Schon einmal appariert?“, wollte von Reinold wissen, was dieser – etwas zu meiner Überraschung – bestätigte.
„So zwei Mal“, gab er zur Auskunft und fügte dann noch hinzu: „Ich fand es nicht die angenehmste Art zu reisen.“ Meinen Bruder veranlassten seine Worte zu einem Lachen, dass weder spöttisch noch gezwungen klang.
„Das mag sein“, gab er zu, „aber es ist die schnellste Art, die ich kenne und letztendlich auch die unkomplizierteste.“
Reinold zeigte keine äußerliche Regung auf diese Aussage, oder ich konnte das Lächeln von der Seite in dem Bartgewirr nicht sehen. In seinen Augen immerhin lag kein Missfallen, aber was genau sie ausdrückten, vermochte ich nicht zu sagen.
Da niemand sonst kommentieren wollte, kehrte Lex wieder zu seinem ursprünglichen Punkt zurück: „Also, andere Reisemethoden hin oder her, ich schlage vor, das wir von hier verschwinden, bevor unsere Eltern noch befürchten, dass wir von Todessern angegriffen wurden.“
Kaum hatte er diese Worte gesagt, erschien mir diese Aktion zum ersten Mal gefährlich und ich konnte ihm nur beipflichten. Zudem kam ich zu einer weiteren, für mich viel erschreckenderen Erkenntnis: Ein Muggle, der sich einmal im Monat in einen Werwolf verwandelte und deshalb allein durch die Wälder streifte, beging so ziemlich den törichtesten Fehler, den man derzeit machen konnte.
Wie hatte ich nur so dumm sein können und nicht einmal bedacht, dass Reinold, so ganz alleine auf sich gestellt, in der größten erdenklichen Gefahr schwebte? Wie hatte ich ihn einfach so fortziehen lassen und ihn seinem Schicksal überlassen können? War ich denn von allen guten Geistern verlassen?
Jetzt, da mir diese Tatsache umso klarer bewusst wurde, war ich umso erpichter, Reinold so schnell wie möglich zu mir nach Hause zu bringen. Ich umfasste also mit einer Hand den Arm meines Bruders und zog mit der anderen meinen nichtmagischen Freund näher.
Wenn Reinold sich über den Begriff „Todesser“ wunderte, so musste er wohl beschlossen haben, später nach dessen Bedeutung zu fragen. Er trat an die andere Seite meines Bruders und ergriff dessen Arm, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.
Lex vergewisserte sich, dass unsere Hände auch nicht zu leicht abrutschen konnten und dann wurden wir von dem unangenehmen Gefühl ergriffen, dass unsere Reise quer durchs Land begleitete.
18. Kapitel - Weihnachtsüberraschungen
Ich saß am Wohnzimmerfenster und sah den Schneeflocken beim Fallen zu. Im Hof gegenüber lieferten sich ein paar Kinder eine Schneeballschlacht, was von einem Erwachsenen milde belächelt wurde. Doch am meisten fiel mir das strahlende Gesicht eines Mädchens auf, das glückselig durch den Schnee tobte. Ihr Lachen war so herzlich, das ich fast laut mitgelacht hätte.
Ich hatte selbst auch allen Grund dazu, wie ich fand. Gestern Abend hatte mir Reinold, überwältigt von der herzlichen Begrüßung, zu meiner wundervollen Familie gratuliert. Er schien sich hier wohl zu fühlen und das machte mich wiederum glücklich. Seit meiner Kindheit hatte ich kein so schönes – und vor allem weihnachtliches – Weihnachten gehabt. Dass Reinold dieses Fest nicht alleine verbrachte, war für mich eine kleine Weihnachtsgeschichte. Zudem war heute der erste Tag seit Monaten, an dem meine Gedanken nicht durch irgendwelche Befürchtungen getrübt wurden.
Eine Lächeln breitete sich nun wirklich auf meinen Lippen aus, während gegenüber gerade eine Frau aus dem Haus geeilt kam und mühselig das Mädchen hochhob, dass sich zuvor übermütig in den Schnee geworfen hatte. Die Kleine schien sich nicht daran zu stören, dass ihre Kleider jetzt ganz durchnässt waren. Doch die Mutter schien das anders zu sehen, denn sie trug das Mädchen ins Haus, wobei sich ihre Lippen unaufhörlich bewegten. Der Schnee fiel weiterhin, unbekümmert von den offensichtlich verärgerten Worten der Frau.
Schritte lenkten meine Aufmerksamkeit zurück in das Wohnzimmer und ich erblickte Reinold, der sich mir näherte.
„Was macht das Wetter?“, fragte er und gesellte sich neben mich ans Fenster.
„So weit ist es ganz friedlich. Nur gegenüber ist ein Wirbelwind durch den Schnee gefegt und kurz darauf hat sich eine wütende Wolke über dem Himmel ausgebreitet.“
„Wieso denn das?“
„Weil der Wirbelwind im Schnee lag und ganz nass wurde.“ Wir lachten beide, während wir den restlichen Kindern gegenüber eine Weile beim Schneemannbauen zusahen.
Schließlich entfernte Reinold sich vom Fenster und ließ sich auf dem Sofa nieder. Er bedeutete mir, sich neben ihn zu setzen und ich folgte seiner Aufforderung. Unsicher, was jetzt kommen würde, wartete ich ab, bis er das Wort ergriff.
„Du hast wirklich eine nette Familie. Da bekommt man fast Heimweh.“
Fast automatisch holte ich tief Luft, um etwas zu sagen; jedoch stellte ich fest, dass ich keine Worte hatte, für die ich sie gebraucht hätte. Ich zog in Erwägung, meine Hand mitfühlend auf seinen Arm zu legen, doch auf Reinolds zuvor so ernstem Gesicht zeigte sicht jetzt ein Lächeln, das seiner Aussage etwas die Schwere nahm.
Es schien, als hätte er es nur gesagt, um es aus seinem Kopf zu bekommen. Und tatsächlich tat er dann so, als wären diese Worte nie gefallen.
„Ich hab’ noch etwas für dich.“ Er griff in seine Hosentasche und holte ein kleines braunes Päckchen hervor. „Ich wollte es dir eigentlich schon heute Morgen geben, aber neben den anderen Geschenken kam es mir etwas dürftig vor.“
Ich zögerte, das Päckchen zu nehmen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Nur langsam und sehr bedächtig schlossen sich meine Finger um das braune Papier.
„Tut mir leid wegen der Verpackung, ich hatte nichts anderes“, fügte Reinold entschuldigend hinzu und ich konnte nicht einmal sagen, dass mir das nichts ausmachte. Stattdessen sah ich zwischen ihm und dem Geschenk hin und her. Es brauchte eine direkte Aufforderung seinerseits, es zu öffnen.
Als ich das braune Papier aufgewickelt hatte, hielt ich eine Holzfigur in der Hand. Es war ein Wolf. Ich hob die Figur näher an meine Augen, um die feinen Musterungen des Fells genauer zu betrachten.
„Gefällt er dir?“, musste Reinold mich erst fragen, bevor ich meine Bewunderung ausdrücken konnte.
„Er ist wunderschön“, flüsterte ich ergriffen, während ich den Wolf aus Holz in meinen Fingern drehte. Dann sah ich wieder Reinold an. „Ich hab’ gar nichts für dich“, formulierte ich den Gedanken, der mir schon beim ersten Blick auf das Geschenk gekommen war. Er lächelte.
„Du hast mir doch schon das beste Geschenk gemacht“, versicherte er mir und mir wurde klar, was es ihm bedeutete, hier zu sein. „Frohe Weihnachten, Felice“, fügte er noch hinzu.
Ich war so gerührt von seinen Worten, dass ich ihn ohne nachzudenken in die Arme schloss. „Dir auch frohe Weihnachten, Reinold.“ Es überraschte mich kaum, dass er die Umarmung – wenn auch zögerlich – erwiderte.
Wir verweilten einige Minuten in diesem Moment und ich überhörte sogar die Türklingel. Erst die Stimme meiner Mutter holte mich aus Reinolds Armen.
„Liz? Du hast Besuch.“
Verwundert sah ich zur Wohnzimmertür, in der auch bald meine Mutter in Begleitung von Albus Dumbledore erschien.
„Hallo Felice“, grüßte mich der Schulleiter und betrat den Raum. „Ich wünsche dir fröhliche Weihnachten.“
„Ihnen auch, Professor“, brachte ich in meiner Überraschung zustande. Ratlos, was ich jetzt genau tun sollte, war auch aufgestanden; es erschien mir höflich.
Professor Dumbledore schien für einen Moment in Erwägung zu ziehen, mir seine geschwärzte Hand zu reichen, entschied sich dann aber dagegen. Stattdessen richtete er seine Aufmerksamkeit auf Reinold, der immer noch auf dem Sofa saß.
„Ein Freund der Familie?“, fragte er interessiert und ich verstand den Wink.
„So in der Art. Professor, darf ich Ihnen Reinold vorstellen? Reinold, das ist mein Schulleiter, Professor Dumbledore.“
„Schulleiter?“, fragte Reinold, offensichtlich erstaunt, war zur Begrüßung aber ebenfalls aufgestanden. „Bekommt jeder Schüler an Weihnachten so einen Besuch?“
„Oh nein“, erwiderte Dumbledore und folgte meiner gestikulierten Aufforderung, sich zu setzten. Er machte es sich in einem Sessel gegenüber dem Sofa bequem, auf das Reinold und ich zurückkehrten. „Ich komme gerade von einer Reise und wollte mit Felice in einer gewissen Angelegenheit sprechen.“ Ich verstand sofort, worauf er sich bezog.
„Oh, Professor, da gibt es tatsächlich etwas, dass ich Ihnen noch gar nicht gesagt habe“, gestand ich schuldbewusst. „Es geht gewissermaßen um Reinold.“
Dieser musterte mich irritiert. „Könntest du bitte ein bisschen genauer werden und dich nicht auf Andeutungen beschränken?“
„Nun, da muss ich Mr. Reinold zustimmen“, meinte der Schulleiter, der ein gewisses Interesse in seiner Stimme durchklingen ließ.
„Naja, es geht um die Werwolfgeschichte“, klärte ich Reinold auf, der sein Gesicht bei dem Wort Werwolf verzog. Es gehörte eindeutig nicht zu seinen Lieblingsthemen – was ich ihm auch nicht verübeln konnte.
„Reinold hat mir im Sommer mit einer Blutspende das Leben gerettet“, klärte ich nun Professor Dumbledore auf. „Dummerweise wusste er damals noch nicht, dass er ein Werwolf ist.“
„Ahh, eine erstaunliche Erklärung“, erwiderte Dumbledore nach einer kurzen Pause. „Ich werde jetzt nicht fragen, wie lange du dir schon dieses Umstandes bewusst bist“ – ich blickte verlegen auf den Boden – „mich würde allerdings Ihre Situation interessieren, Mr. Reinold. Ich habe Anlass zur Vermutung, dass sie bis zu diesem Sommer Werwölfe wohl noch für Fabelwesen hielten.“
„Zunächst: Nenne Sie mich einfach Reinold. Aber ja, Ihre Vermutung ist richtig.“
„Es könnte wahrlich etwas Fantastisches sein: eine fremde, magische Welt, die sich mit einem Mal eröffnet – allerdings wären erfreulichere Umstände sicher wünschenswert“, sinnierte Dumbledore, fing sich dann aber wieder.
„Nun, erzählen Sie mal ein bisschen. Vielleicht gibt es etwas, das ich für Sie tun kann.“