Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - BEENDET

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Muggelchen
EuleEule
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Beitrag von Muggelchen »

Hallo ,

danke für deine Review. Freut mich, dass es dir gefallen hat. Die Handlung um Severus ist der Hauptplot, mit ihm geht es also auf jeden Fall weiter. Ob wir bei der Handlung bleiben? Wenn du damit noch Hermine meinst, dann wirst du sicher nicht enttäuscht werden :D

Liebe Grüße,
Muggelchen




131 Schimpf und Schande




Im Mungos saß Lucius an dem kleinen Tisch am Fenster und blickte gedankenverloren hinaus. Das Gespräch mit Mr. Shacklebolt war unbefriedigend verlaufen. Man wollte tatsächlich von ihm weitere Informationen über Todesserverstecke haben, doch mehr als das, was er damals Goyle senior nach einer feuchtfröhlichen Nacht an Informationen aus der Nase hatte ziehen können, konnte er nicht liefern.

Natürlich war Lucius davon ausgegangen, dass der Gatte seiner verschiedenen Schwägerin und dessen Bruder sich des Fidelius bedient haben könnten, denn er selbst hätte ebenso gehandelt. Greyback hingegen könnte in der Muggelwelt untergetaucht sein, denn er selbst war kein Zauberer, so wie der Werwolf einer gewesen war, den Dumbledore einst als Lehrer engagiert hatte, dachte Lucius abwertend. Selbst Bellatrix hatte Angst vor Greyback gehabt. Sie war es gewesen, die sich lauthals darüber ausgelassen hatte, dass der Dunkle Lord solche minderwertigen Kreaturen zu seinen Anhängern zählen wollte. Ihre Bedenken waren bis zu Voldemort selbst vorgedrungen, so dass er Bellatrix zu sich rufen ließ, um ihre Ansicht zu ändern. Entgegen der weit verbreiteten Meinung, der Dunkle Lord hätte seine eigenen Anhänger mit Schmerzen zur Loyalität erzogen, hatte er – zumindest anfangs – mehr auf Gespräche gesetzt. Schlangenähnlich wie er war hatte er die Menschen um sich herum mit viel Geschick beeinflusst, indem er mit gespaltener Zunge zu ihnen gesprochen hatte. Einen Cruciatus hatte Voldemort erst angewandt, wenn man in seiner Gunst tief gefallen war oder wenn man – wie Draco – sich bereits bei der Zeremonie beim Aufsagen des Treueschwurs verhaspelt hatte.

Karkaroff hatte geahnt, was er zu erwarten hatte, würde er zum Dunklen Lord zurückkehren, aber letztendlich hatte er seinem Schicksal nicht entkommen können.

Leiden musste Lucius erst, als er die Prophezeiung nicht hatte besorgen können und später war es nur noch schlimmer geworden, weil seine Frau und sein Sohn auf und davon waren. Für Voldemort waren nicht nur Draco und Severus Verräter gewesen, sondern offensichtlich auch Lucius selbst. Wenigstens hatte der Dunkle Lord sich seiner nicht entledigt, denn hier und da hatte er mit seinem Slytherin-Verstand immer wieder strategische Vorschläge vorbringen können, die für Voldemort nicht uninteressant gewesen waren.

Einen einzigen Ort hatte Lucius nicht als mögliches Versteck der flüchtigen Todesser genannt und das war ein kleines Schlösschen, welches den meisten Anhänger des Lords nicht einmal bekannt gewesen war. Severus kannte es, denn dort hatte er damals für Voldemort an neuen Tränken geforscht und Lucius war dieses Gebäude nur bekannt, weil er Severus eines Abends dabei Gesellschaft geleistet hatte. Es hatte sich um die Nacht gehandelt, in welcher Voldemort das erste Mal aufgebrochen war, um die Potters und deren Kind niederzustrecken, doch dabei war er kläglich gescheitert wie auch die beiden weiteren Male. Lucius erinnerte sich daran, wie anstrengend es für ihn gewesen war, sein Amüsement zu unterdrücken, weil der selbsternannte Dunkle Lord nicht einmal gegen ein Schlammblut und einen Blutsverräter hatte ankommen können.

Trotzdem Lucius seine Bedenken gegenüber Shacklebolt geäußert hatte, dass er seine Frau in Gefahr sehen würde, wollte der nichts unternehmen. Den Hinweis, dass wenigstens die beiden Lestrange-Brüder mit Sicherheit den Tagespropheten gelesen hätten und von der Freigabe von Malfoy-Manor wissen müssten, ließ Shacklebolt augenscheinlich kalt. Möglicherweise hatten die Auroren selbst schon erahnt, dass sie auf dem nun wieder bewohnten Anwesen der Malfoys auf Todesser treffen könnten, die sich einen Unterschlupf bei Narzissa erhofften.

„Glauben Sie wirklich“, hatte Shacklebolt begonnen, „dass die beiden so unüberlegt handeln könnten und einen Ort aufsuchen würden, an dem sie mit Auroren rechnen müssen?“

Lucius hatte nur eine Bestätigung dafür erhofft, dass man auf seine Frau Acht geben würde.

„Mr. Shacklebolt, Sir, wenn Sie Miss Bones bitte davon unterrichten würden, dass ich noch immer auf ihre Gesellschaft hoffe?“, hatte Lucius ihm höflich nahegelegt.

Mehr als einmal hatte er durch Schwester Marie eine Nachricht an Miss Bones weiterreichen lassen, doch die war bisher noch nicht erschienen.

„Ich werde es ihr ausrichten, aber sie hat momentan sehr viel zu tun, Mr. Malfoy“, war Shacklebolts knappe Antwort gewesen.

Das Gespräch war über eine Woche her und bis heute hatte Miss Bones sich nicht bei ihm sehen lassen. Lucius seufzte und hoffte innig, dass er die einzige Ansprechpartnerin im Ministerium, die nach Maries Meinung nach immer anständig mit ihm umgegangen war, nicht vollends vergrault hatte.

Im Ministerium saß Susan im Büro und füllte notwendige Formulare aus, damit sie demnächst ihre Schwangerschaftszeit antreten könnte, als Kingsley ihr Büro betrat.

„Susan, wie geht’s?“, fragte er und ließ seinen Blick einmal über ihren nun sichtbar gewachsenen Bauch gleiten.
„Mir geht es gut, danke der Nachfrage. Und selbst?“
„Bestens! Die Gesetzesentwürfe sind fast fertig. Hermine hat mir ein gutes Stück weitergeholfen. Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass sie sogar eine Änderung beim Gesetz zum Schutz der Muggel vorschlagen würde, aber sie hat Recht mit dem, was sie sagte“, erzählte Kingsley.
„Was hat sie denn gesagt?“, wollte Susan wissen.
„Sie meinte, dass das Gesetz zum Schutz der Muggel nicht durch das Gesetz zum Schutz der Zaubererwelt ausgehoben werden darf. Besonders die Vergissmich-Zauber hat sie angeprangert und sie hat empfohlen, die Gedächtnisoptimierung einzudämmen und nur in tatsächlichen Notfällen zu gebrauchen.“
Susan zog ihre Augenbrauen bis zum Haaransatz hinauf, bevor sie sagte: „Das würde aber völlig neue Richtlinien im Umgang mit Muggeln fordern, die von unserer Welt erfahren haben.“
„Genau und da wird es ein wenig kniffelig. Man müsste ein Komitee ins Leben rufen, das sich um jeden einzelnen Fall individuell kümmern müsste, bis entschieden wird, ob ein Vergissmich angewandt werden sollte oder nicht“, sagte Kingsley, klang dabei aber nicht ein bisschen demotiviert, denn er begrüßte diesen Vorschlag.
„Gut für die Muggel würde ich sagen“, sagte Susan lächelnd.

Direkt neben Susan nahm Kingsley auf einen Besucherstuhl Platz, den er herangezogen hatte. Er blickte auf die Formulare auf dem Schreibtisch, bevor er fragte: „Wann verlassen Sie uns, Susan?“
„In gut zwei Wochen“, erwiderte sie.
„Den Fall ’Malfoy’ geben Sie in meine Hände?“
Susan nickte, bevor sie erklärte: „Sie waren von Anfang an mit der Akte vertraut. Ich möchte, dass im Januar alles glatt läuft.“
„Werden Sie ihn vorher noch einmal aufsuchen und ihn darüber persönlich informieren, dass Sie eine kleine Auszeit nehmen?“, fragte Kingsley.

Diesmal blickte er demonstrativ auf ihren Bauch, denn er wusste, dass sie nur deshalb Bedenken hatte, Lucius Malfoy gegenüberzutreten.

Kleinlaut fragte sie, obwohl sie die Antwort kannte: „Er kann wieder sehen?“ Kingsley nickte. „Na ja, ich kann es ja nicht ewig geheim halten. Ich werde ihn besuchen, bevor ich das Ministerium vorerst wegen dem Kind verlassen werde.“
„Ich könnte Sie begleiten, Susan“, bot Kingsley unterstützend an.
„Nein, das muss ich allein durchstehen“, sagte sie betrübt, denn sie schrieb sich selbst einfach nicht genügend Mut zu.
„Die Schwester wird auch im Zimmer sein. Malfoy hatte es mehrmals angeboten, damit Sie sich in seiner Gegenwart nicht unwohl fühlen“, erklärte Kingsley der so unsicher wirkenden Susan.
„Da fühle ich mich doch gleich viel besser“, log sie verschämt lächelnd. „Ich werde vorher noch mit meinem Verlobten reden.“
„Ja, das sollten Sie tun“, empfahl Kingsley, bevor er unerwartet ihre Hand nahm und sie ermutigend drückte. „Wir sehen uns dann morgen bei der Besprechung“, sagte er noch verabschiedend.

Während ihrer langen Pausenzeit, die sie so gelegt hatte, dass auch die Schüler in Hogwarts gerade zu Mittag essen würden, flohte Susan direkt zu Draco, der ihre Eule am Morgen und die damit übermittelte Botschaft über ihre Ankunft erhalten hatte und bereits erwartungsvoll ihrem Besuch entgegensah.

„Susan“, hauchte er sehnsuchtsvoll, als er sie zur Begrüßung in die Arme schloss. Sie drückte ihn fest an sich, doch als sie einfach nicht loslassen wollte, fragte er flüsternd direkt in ihr Ohr hinein: „Was hast du denn?“
Sie seufzte, bevor sie die Umarmung löste und bekümmert offenbarte: „Ich werde deinen Vater heute oder morgen besuchen. Du weißt ja, dass bald der Mutterschutz beginnt; bei mir schon etwas früher, weil die Arbeit einfach zu stressig ist.“
„Verstehe, du hast Angst, dass er dir das Leben schwer macht. Soll ich mitkommen?“, bot er an.
Den Kopf schüttelnd erklärte Susan: „Nein, danke. Ich möchte, nein, ich muss da allein durch. Kingsley hatte mir auch schon angeboten mich zu begleiten.“
„Kingsley war doch der, der Severus und mich verhört hatte oder?“
„Ja, genau der. Ich…“ Sie seufzte erneut und setzte sich, bevor sie es nochmals versuchte. „Ich weiß nur nicht, wie dein Vater reagieren könnte. Ich meine, ich bin Mitte des sechsten Monats. Man sieht es, selbst durch meinen dicken Mantel hindurch. Am liebsten wäre mir, wenn er mich nur beleidigen würde, weil ich vermeintlich zugenommen hätte.“
„So dumm ist mein Vater wirklich nicht. Er weiß von dir und mir und wenn er das sieht“, er deutete auf ihren Bauch, „dann wird er Bescheid wissen.“ Er schenkte ihr Kürbissaft ein, während er laut vermutete: „Wie würde mein Vater reagieren? Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen; das letzte Mal war es noch in Askaban. Wer kann schon sagen, ob er sich von allein Gedanken über alles gemacht hat oder ob womöglich die Briefe meiner Mutter ihm deutlich gemacht haben, dass sie dich mag und sie sich wünscht, er würde sich ein Beispiel an ihr nehmen.“
„Deine Mutter hat ihm von mir… Was hat sie geschrieben?“, wollte Susan wissen.
„Das weiß ich nicht. Wenn sie Briefe schreibt, dann nimmt sie sich sehr viel Zeit dafür. Ich vermute stark, dass sie von dir in den höchsten Tönen geschwärmt hat.“
„Deine Mutter hat nie einen Antrag gestellt, ihn besuchen zu dürfen“, warf sie ein wenig verwundert ein.
Draco schüttelte den Kopf. „Nein, er will nicht, dass sie sich gesellschaftlich erniedrigt, weil sie einen Gefangenen besucht. So ist er halt.“

Ein Hauself brachte das Mittagessen und während sie aßen, unterhielte sie sich über die bevorstehende Begegnung von Susan und seinem Vater.

„Du braucht keine Angst zu haben, Susan. Mein Vater würde sich bestimmt verkneifen, im Beisein der Schwester seine Schimpftirade über Blutsverräter herunterzuleiern. Er könnte höchstens ein paar Zweideutigkeiten fallenlassen, an denen du dich aber nicht stören darfst“, gab Draco als Ratschlag.
„Glaubst du wirklich, es würde ihn nicht einmal überraschen, dass ich schwanger bin?“
„Er musste doch damit rechnen! Ich habe ihm klar gemacht, dass ich in dir die Frau gefunden habe…“

In Dracos blassem Gesicht zeichnete sich eine gewisse Röte ab, die Susan ganz herzallerliebst fand. Sie forderte ihn nicht dazu auf, seinen Satz zu beenden, denn die Blicke, die er ihr zuwarf, sprachen Bände. Sie war die Frau, mit der er sein Leben verbringen wollte.

„Ich…“, begann Susan etwas unsicher. Er blickte sie interessiert an, so dass sie sich einen Ruck gab und sagte: „Meine Mutter hat gefragt, wann wir heiraten wollen. Du hattest dir ja ein wenig Zeit gewünscht, was völlig in Ordnung ist. Es ist nur…“ Sie druckste ein wenig drum herum, doch letztendlich redete sie Tacheles: „Es ist nur so, dass ja auch bald die gesetzlichen acht Wochen Schutz für Mutter und Kind wirksam werden. Wenn wir heiraten möchten, bevor das Kind da ist, dann müssten wir das innerhalb der nächsten beiden Monate machen, denn ansonsten können wir keine Freunde einladen. Oder wir verschieben das ganze auf die Zeit nach der Geburt…“
Er unterbrach höflich und sagte: „Es tut mir Leid, dass ich mir so viel Zeit gelassen hatte. Ich hatte gehofft, dass es irgendwie möglich wäre, meinen Vater einzuladen. Ob er kommen würde, stünde natürlich auf einem anderen Blatt. Man hat mir gesagt, dass zwar manche Gefangene Urlaub beantragen können, aber er zählt nicht zu denen. Es…“

Er ließ den Kopf hängen.

Mit flüsternder Stimme versicherte sie: „Ich verstehe dich, Draco. Ich verstehe, dass du ihn dabei haben möchtest. Er ist immerhin dein Vater und du bist sein einziges Kind.“
Draco überspielte seine Enttäuschung und sagte abwinkend: „Es würde eh nur Ärger geben, wenn er auf meine ’neuen Verwandten’ treffen würde, die ich natürlich einladen werde.“

Seine Mutter hatte wie selbstverständlich eine kleine Gästeliste in der Hoffnung gestaltet, ihrem Sohn ein wenig Arbeit für die Hochzeitsorganisation abzunehmen, doch auf der Liste kamen nicht sehr viele Namen zusammen.

„Hast du deine Gästeliste fertig?“, fragte Susan. „Mein Dad hatte schon gefragt. Er möchte so gern den Brauch in unserer Familie fortführen, dass er als Vater der Braut die gesamte Hochzeit bezahlt.“
„Das ist aber nicht notwendig, Susan. Ich habe auch Geld! Meine Mutter hat mir ein eigenes Verlies bei Gringotts eingerichtet und mir meinen Anteil gegeben.“
„Ich weiß, Draco, aber mein Vater freut sich darauf. Er möchte das so gern machen“, sagte sie mit treuem Hundeblick.

Er nickte zustimmend, bevor er per Aufrufezauber seine Gästeliste an den Tisch schweben ließ und sie Susan reichte.

Lächelnd nahm sie die Liste entgegen und las in Gedanken die Namen: „Andromeda, Ted und Nymphadora Tonks, Remus Lupin, Anne und Sirius Black, Severus Snape.“
Draco bemerkte, dass sie stutzte, so dass er erklärte: „Meine Mutter dachte wohl, ich würde die Tonks’ und Blacks nicht einladen, dabei weiß ich sehr wohl, was sich gehört, auch wenn ich die Leute kaum kenne.“
„Na ja, du kennst Snape am besten.“ Sie blickte auf. „Meinst du, er würde kommen?“
„Er war bei der Verlobungsfeier von Tonks und Lupin! Warum sollte er nicht zu meiner Hochzeit kommen?“
„Auch wieder wahr“, murmelte Susan. „Dann mach die Liste fertig, damit ich sie Ende der Woche…“
„Die Liste ist vollständig“, versicherte Draco, doch kaum hatte er diesen Satz beendet, fühlte er sich schäbig. Gästelisten für Hochzeiten waren in der Regel wesentlich länger, doch er fragte sich, wen er noch einladen sollte.
„Das sind nur deine Verwandten – dein Patenonkel zählt dazu. Jetzt schreib noch deine Freunde auf“, bat sie ihn lächelnd, doch als sie von der Liste aufblickte und sein betrübtes Gesicht sah, in welchem sich eine Spur Scham abzeichnete, da bereute sie ihren Ratschlag.
„Ich weiß wirklich nicht…“

’…wen ich einladen soll’, beendete Draco seinen Satz in Gedanken.

„Du hast doch sicherlich Schulkameraden, die du…“

Abermals hielt Susan inne und sie fragte sich, ob Draco wirklich niemanden einen Freund nennen konnte.

„Jemand aus deinem Haus vielleicht, mit dem du gut auskommst?“, fragte sie vorsichtig.
Er schüttelte den Kopf und redete sich heraus, indem er sagte: „Die meisten, die ich noch einladen würde, stehen sicherlich längst auf deiner Liste.“
Sie nahm seine Ausrede als Anlass, das Gespräch zu beenden und sagte zustimmend: „Ja, da wirst du Recht haben.“

Dennoch gab es eine Sache zu klären, die Susan wissen musste.

„Was hat Snape eigentlich gesagt? Würde er der Pate für unser Kind werden?“, fragte sie neugierig.
Draco schluckte, bevor er kleinlaut zugab: „Nein, er hat abgelehnt. Ich war ihm wohl anstrengend genug und er möchte nicht noch einmal so eine Verantwortung auf sich nehmen.“

Anfangs wollte Susan darüber lachen, doch die Situation schien ihr von einer Sekunde zur anderen sehr ernst.

„Du findest schon noch jemanden, Draco“, sagte sie ermutigend.
Draco verzog seinen Mund, bevor er sich selbst verachtend sagte: „Das ist ziemlich erbärmlich, nicht wahr?“ Susan äußerte sich nicht und wartete in Ruhe, bis er fortfahren würde und das tat er auch. „Offensichtlich bin ich gesellschaftlich völlig unverträglich.“
„Ach Blödsinn, Draco. Ich würde eher sagen, du siehst den Wald vor lauter Bäumen nicht“, munterte sie ihn auf.
Verdutzt fragte er nach: „Ich sehe was nicht?“
„Ist eine Redensart aus der Muggelwelt. Das heißt, dass du das nahe liegende einfach nicht siehst“, klärte sie ihn auf.
„Und was genau soll das heißen?“, wollte er neugierig wissen.
Sie spitzte die Lippen, begann dann aber zu lächeln und sagte: „Das wirst du bestimmt herausfinden. Du wirst sicherlich jemanden finden, der Pate für unser Kind werden möchte.“

Nach dem Dessert hatte Susan noch immer Appetit, so dass Draco ihr seine Nachspeise freiwillig überließ. Während sie hin und wieder einen Löffel naschte, fragte sie interessiert: „Wie geht es deiner Mutter? Kommt sie in eurem großen Haus gut zurecht?“
„Ja, ich denke schon. Sie war neulich ein wenig seltsam, als ich über das Flohnetzwerk mit ihr gesprochen habe. Sie schien mir etwas gestresst und nervös.“
„Na, das ist doch kein Wunder. So wie ich sie kennen gelernt habe, bringt sie in jeder freien Minute das Haus auf Vordermann – das heißt also, den ganzen lieben langen Tag über. Sie braucht mal eine Pause“, sagte Susan besorgt.
„Nein nein, sie ist in solchen Dingen sehr zielstrebig und möchte angefangene Arbeiten so schnell wie möglich beenden“, erklärte Draco. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, was sie so alles macht. Sie hat ja einiges erzählt, aber so ohne einen Hauself stelle ich mir das sehr zeitaufwendig vor.“
Susan grinste und mutmaßte: „Vielleicht richtet sie ein Kinderzimmer ein?“

Langsam zeichnete sich in Dracos Gesicht Freude ab, bis er breit strahlte und über den Tisch langte, um Susans Hand in seine zu nehmen.

„Heißt das, du würdest mit mir in Malfoy Manor leben wollen?“, fragte er voller Hoffnung.
„Ich würde sehr gern, Draco. Ich mag deine Mutter…“ Es hatte sich angehört, als hätte Susan an liebsten noch ein Aber hinten dran gehängt.
Draco übernahm es für sie, den Satz zu vervollständigen, indem er sagte: „Aber mit meinem Vater kannst du es dir nicht so recht vorstellen. Da mach dir bitte keine Sorgen, Susan. Das Haus ist riesig. Manchmal sieht man sich tagelang nicht, wenn man es drauf anlegt. Außerdem wird er so schnell nicht aus Askaban herauskommen.“ Seine Stimme zeugte erneut von ein wenig Wehmut. „Wenn wir uns dort längst eingelebt haben und er vielleicht in einigen Jahren zu uns stoßen sollte, dann ist er derjenige, der sich in einen bestehenden Haushalt neu einleben muss. Ich denke, er würde es hinnehmen, wenn wir drei“, erblickte auf ihren Bauch und verbesserte, „wir vier als Familie bereits in Malfoy Manor leben, denn wie ich ihn kenne, wird er vorrangig seine Freiheit genießen wollen.“
„Dein Wort in Gottes Gehör“, sagte sie leise.
„Wenn sich Mutter erst einmal an das Getrappel von Kinderfüßen gewöhnt hat, wird sie es ihm schnell ausreden, uns gegenüber unausstehlich zu sein“, hoffte er laut.

Nach dem Mittagessen und den beiden Desserts rieb sich Susan den runden Bauch und seufzte dabei erleichtert.

„Ich denke, ich gehe jetzt zu deinem Vater. Irgendwie bin ich motiviert und ich bin der Meinung, diesen Antrieb sollte ich ausnutzen“, sagte sie zuversichtlich.
„Wenn sich die Gelegenheit ergibt, dann grüß ihn bitte von mir. Ich…“ Er vermisste seinen Vater, aber das brauchte er Susan gar nicht erst zu sagen.
„Ich werde ihm deine Grüße ausrichten“, sagte sie, bevor sie vom Tisch aufstand und zu ihm hinüberging.

Draco nahm ihre Hände in seine und lächelte sie zufrieden an, während er ihr in die Augen schaute. Gleich darauf wanderte sein Blick zu ihrem Bauch und er gab ehrlich zu: „Ich habe ein wenig Angst. Ich meine, das wird alles neu für mich werden.“
„Oh, dann haben wir was gemeinsam!“, offenbarte sie im Gegenzug und brachte ihn damit zum Lächeln.

Er tätschelte kurz ihren Bauch und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange, bevor sie sich auf ins Mungos machte.

Mit einem Besuch gleich nach dem Mittagessen hatte Lucius nicht gerechnet, weshalb er sehr überrascht war, nachdem Marie ihm angekündigt hatte: „Mr. Malfoy? Miss Bones ist hier!“
„Tatsächlich?“, sagte er, um seinem Erstaunen Ausdruck zu verleihen. „Dann bitten Sie sie doch herein, Marie.“

Als Marie vor die Tür gegangen war, stellte sich Lucius mit gestrecktem Rücken und erhobenen Haupt theatralisch ans Fenster und blickte hinaus, während er seine Hände gelassen hinter dem Rücken hielt als wäre er ein Lord, der gleich ein Gespräch mit einer Bediensteten führen würde. Selbst wenn er nur ein Gefangener war, so wollte er doch die Würde ausstrahlen, die er in sich spürte.

Hinter sich hörte er Miss Bones ungewohnt zaghaft grüßen: „Guten Tag, Mr. Malfoy.“
Ohne sich umzudrehen grüßte er mit selbstsicherer Stimme zurück: „Guten Tag, Miss Bones. Ich habe schon nicht mehr damit gerechnet, dass Sie sich tatsächlich die Mühe machen würden, meinem mehrfach geäußerten Wunsch, mit Ihnen zu sprechen, am Ende doch noch nachzukommen.“
„Es tut mir aufrichtig Leid, aber ich hatte sehr viel zu tun. Demnächst werde ich auch nicht mehr Ihr Ansprechpartner sein, Mr. Malfoy. Diese Aufgabe wird Mr. Shacklebolt übernehmen“, hörte er sie sagen.

Empört darüber, in Zukunft diesem Halunken ausgeliefert zu sein, der es gewagt hatte, ihm ohne sein Wissen Veritaserum zu verabreichen, drehte er sich blitzschnell zu ihr um. Gerade als er seinen Unmut über Mr. Shacklebolt kundtun wollte, nahmen seine Augen ihre gesamte Gestalt wahr und mit einem Male wurde er sich einer nicht unwichtigen Veränderung bewusst.

Wie versteinert stand Susan in der Mitte des Krankenzimmers und beobachtete das Gesicht ihres Gegenübers, der sie erst einmal flüchtig von oben bis unten betrachtet hatte, bis es ihm ganz offensichtlich aufgefallen war. Lucius’ Augen verweilten auf ihrem sichtbaren Bauch. Eine ganze Reihe von Emotionen spiegelte seine Mimik wider. Zuerst war der pure Schock sichtbar gewesen, dann Erkenntnis und wenig später Ernüchterung.

Lucius wandte seinen Blick von ihr ab und suchte etwas, das er mit den Augen fixieren konnte, doch aufgewühlt wie er war hüpften sie unruhig von einem Punkt zum anderen: zu Goyles Bett, zur Bettpfanne gleich darunter, zu einem Bild an der Wand, hinüber zu Marie, die er in der Nähe der Tür ausmachte und versehentlich wieder zurück zu Miss Bones. Als er sie für wenige Sekunden anblickte, erkannte er die Ruhe und Geduld, die sie ausstrahlte, bevor er seine Augen erneut abwenden musste. Sie wartete seelenruhig ab, bis er sich wieder gefangen hatte.

Vor Marie wollte Lucius keine Szene wagen und so entschied er sich dafür, die offensichtliche Schwangerschaft von Miss Bones unter den Tisch fallen zu lassen und fortzufahren, als wäre nichts gewesen: „Ich hatte Sie ja schon mehrmals gebeten“, er strengte sich an, das Zittern aus seiner Stimme zu entfernen, „sich persönlich bei mir zu melden. Ich hoffe, Mr. Shacklebolt war zuverlässig und hat Sie immer informiert?“
„Ja, das hat er, aber wie ich schon sagte…“
„Ich weiß, ich weiß, Sie hatten viel zu tun. Es ist nicht notwendig, alles zu wiederholen“, warf er ihr grantig vor. „Weswegen ich Sie hergebeten habe…“, sein Blick fiel erneut auf die Wölbung ihres Bauches, so dass er kräftig schlucken musste. „Ich mache mir Sorgen um meine Gattin. Ich hatte es im Vorfeld aus ihren Briefen erfahren, dass sie Malfoy Manor beziehen würde, doch nun weiß ich es auch aus den Zeitungen und mit mir sicherlich so einiges Gesindel, welches ich nicht in ihrer Nähe wissen möchte.“
„Meinen Sie weitere Todesser?“
Er blickte sie an, als hielte er sie für unterbelichtet, bevor er schnippisch erwiderte: „Natürlich! Was denn sonst?“

Viele Schimpfworte und Beleidigungen lagen ihm auf der Zunge, die er allesamt wieder hinunterschluckte. In seinen Augen war sie eine Schande für die Zauberergesellschaft; ein Schlammblut, das die Reinheit der Malfoys mit ihrem Balg beschmutzen würde.

Sie schluckte seine spitze Bemerkung hinunter und erklärte: „Die Gegend wird selbstverständlich im Auge behalten. Ihr Frau wird nicht überwacht, aber jeder, der sich ihr nähern möchte, wird an Auroren vorbei müssen.“
„Hat man das Innere des Hauses inspiziert, bevor meine Gemahlin es bezogen hat?“, wollte er wissen.
„Nein, das Haus war bis zum 21. November mit ministeriumseigenen Schutzzaubern versehen. Niemand konnte hineingelangen“, erklärte sie gelassen.

Die Augen schließend musste Lucius zunächst tief Luft holen. Er wirkte äußerst gestresst.

„Miss Bones“, sprach er mit schmieriger Stimme, „ist es denn niemandem in den Sinn gekommen, dass sich jemand bereits im Haus aufgehalten haben könnte, BEVOR das Ministerium seine eigenen Zauber darüber gelegt hat?“

Langsam kam sie auf ihn zu, aber nur, um sich einen Stuhl vom Tisch zu ziehen, damit sie sich setzen konnte, denn ihre Beine schmerzten. Er verweilte still mit hinter dem Rücken verschränkten Händen auf seinem Fleck stehend und betrachtete sie so distanziert als wäre sie ein Insekt unter dem Mikroskop. Er versuchte einen Blick auf ihre rechte Hand zu erhaschen, falls sich dort ein Ring befinden sollte, um sicherzustellen, dass den Malfoys zumindest die Schmach eines unehelichen Kindes erspart bliebe, doch ihre Hände waren unter der Tischplatte verborgen.

Sie bemerkte, wie er sie anstarrte, weswegen sie ihm in die Augen schaute und schilderte: „Die Auroren hatten anfangs Fluchbrecher herangezogen, um die zwanzig Schutzzauber Ihres Hauses zu durchbrechen, aber als sich die Lage im Krieg zugespitzt hatte, hatten wir sie anderweitig einsetzen müssen.“
Er schnaufte verachtend und warf gleich darauf vor: „Und da haben Sie einfach einen weiteren Zauber über das Haus gelegt, ohne es vorher betreten zu haben.“
„Natürlich! Es sollte ja niemand hineingelangen können“, sagte sie selbstsicher.

Er presste die Lippen zusammen und offenbar auch die Zähne, denn die Muskeln in seinem Kiefer spannten sich mehrmals an.

„Freunde der Familie“, zischte er durch zusammengebissene Zähne, „und Familienangehörige hatten freien Zutritt durch den Schutzwall.“ Weil sie ihn mit großen Augen anblickte und nicht zu verstehen schien, schimpfte er: „Was, wenn jemand bereits IM Haus war und man ihn dort eingesperrt hat?“
„Aber wer…?“ Susan kam nicht dazu, ihre Frage zu beenden.
„Muss ich wirklich alles wiederholen?“, fragte er aufgebracht und er hatte es nicht verbergen können, dass nicht das Gespräch, sondern ihr Zustand ihn aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. „Freunde der Familie und Familienangehörige!“, keifte er wiederholend. Ein Blick zu Marie, die in vorwurfsvoll anschaute, ließ ihn sein Temperament ein wenig drosseln, bevor er fragte: „Dürfte ich wohl erfahren, zu welchem Zeitpunkt das Ministerium das Haus gesichert hat?“

Damals hatte Susan mit diesem Fall nichts zu tun gehabt und sie wusste nur von dem, was in Akten festgehalten worden war. Sie erinnerte sich an einige Punkte, die sie in seiner Gegenwart jedoch nicht ausführlich schildern wollte und so ging sie alles in Gedanken durch, um einen genauen Zeitpunkt ausmachen zu können.

Nach der Flucht von Snape und Draco hatte man Malfoy Manor zunächst für drei Jahre unangetastet belassen und sehr häufig – nicht jedoch rund um die Uhr – ein Auge drauf geworfen, falls sich Todesser dort einfinden würden, denn das hatte Susan von Kingsley erfahren. Das Haus blieb jedoch verwaist, weswegen Auroren herangeschafft wurden, die die Flüche nicht ohne professionelle Hilfe durchbrechen konnten. Verschiedene Fluchbrecher hatten sich innerhalb von zwei Jahren mit den magischen Schutzwällen befasst, jedoch vergeblich. Aufgrund des Krieges und der vielen Verluste hatte man immer seltener zwei Auroren nach Malfoy Manor absenden können und schließlich, es musste kurz vor Kriegsende gewesen sein, hatte man das Haus mit dem stärksten Zauber unbegehbar gemacht und dann sich selbst überlassen.

„Ein oder zwei Wochen vor dem Sieg über Voldemort“, antwortete Susan und bemerkte dabei, wie ihr Gesprächspartner angewidert das Gesicht verzog, weil sie so unbefangen den Namen des Dunklen Lords ausgesprochen hatte.
„Dann können sich dort zumindest keine Todesser versteckt gehalten haben, denn die waren allesamt beim Kampf dabei“, kombinierte Lucius als Fakt. „Und doch gab es Menschen, die dem Dunklen Lord auf andere Weise verpflichtet waren.“

In Gedanken fügte er hinzu: ’So wie es auch einige Menschen gibt, die mir verpflichtet sind.’

„Ich werde gern nach Ihrer Frau sehen“, versicherte Susan.

Mit gefühlskalter Miene blickte er sie an und immer wieder fiel sein Blick auf die Wölbung unter ihrer Brust. Mit Pansy Parkinson wäre seine Blutlinie wenigstens rein geblieben, dachte er. Wie sein Sohn ihm so etwas antun konnte, war ihm ein Rätsel.

Er war so sehr damit beschäftigt, Miss Bones in Gedanken zu verunglimpfen, dass er nicht einmal bemerkt hatte, wie sie aufgestanden war, um sich zu verabschieden.

„Mr. Malfoy?“, fragte sie unsicher, denn ihre rechte Hand hatte er noch immer nicht ergriffen.

Er nutzte die Gelegenheit, um ihre Hand zu nehmen, doch anstatt sie zu schütteln, drehte er sie und betrachtete ihre Finger, an denen sich nirgends ein Ring befand.

Verachtend warf er ihre Hand wie Unrat von sich und forderte erbost: „Ersparen Sie meiner Familie wenigstens die Geburt eines Bastards!“

Draco hatte sie gewarnt, doch Malfoys Worte trafen sie trotzdem tief. Allein die Gewissheit, ihn eine ganze Weile nicht mehr sehen zu müssen, gab ihr ein wenig Kraft.

Sie riss sich zusammen und sagte mit ruhiger Stimme: „Ihr Sohn lässt seine Grüße übermitteln. Er vermisst Sie sehr.“

Eine Äußerung seinerseits erwartete sie nicht, weswegen sie sehr selbstbewusst an Marie vorbeiging und das Krankenzimmer verließ. Lucius ballte seine Hände zu Fäusten, bevor er eine flache, zitternde Hand über seine Augen legte. Er atmete aufgebracht. Seine Gedanken überschlugen sich und er fragte sich, wem er in Zukunft alles Rede und Antwort stehen müsste, wenn erst einmal bekannt werden würde, dass sein eigener Spross das Blut seiner Ahnen verraten hätte. Man würde mit dem Finger auf ihn zeigen und ihn dafür verhöhnen, dass seine einst so einflussreiche und angesehene Familie durch das schwarze Schaf, das sich sein Sohn schimpfte, die Reputation in der Gesellschaft eingebüßt hatte. Verzweifelt suchte er nach Argumenten, um seine Frau und sich vor dem Spott zu schützen, doch dann, wie aus heiterem Himmel, wurde ihm bewusst, dass es niemanden mehr gab, vor dem er Rechenschaft ablegen musste. Niemandem müsste er sich erklären, denn all die Menschen, die so viel Wert auf seinen Status gelegt hatten, waren tot oder saßen in Askaban.

Erleichtert ließ er seine Hand fallen und erst da bemerkte er, dass er Marie völlig vergessen hatte. Sie stand neben ihm und hatte – von ihm unbemerkt – eine Hand auf seine Schulter gelegt, die er still duldete.

Einen Moment später, nachdem Marie gegangen war, verweilte Lucius mit seinen Gedanken bei seiner Frau, die in diesem Moment ebenfalls an ihn denken musste, während sie ein weiteres Zimmer auf Vordermann brachte.

Am Abend nahm sie ein heißes Bad, bevor sie sich etwas zu essen zubereitete und die bescheidene Mahlzeit allein an dem riesigen Tisch aus dem roten Holz eines Küstenmammutbaums sitzend zu sich nahm. Ihr gegenüber hatte stets ihr Mann gesessen, der ihr meist feurige Blicke zugeworfen hatte. Während der Schulferien hatte man Draco stets das Privileg zugestanden, direkt am Tischende Platz nehmen zu dürfen, so dass Mutter und Vater an seiner Seite saßen.

Nicht nur während des Abendessens hatte sie Lucius vermisst, sondern besonders im Ehebett. Seine Seite war unberührt. Die weißen Laken waren straff gespannt, das Kopfkissen vom Bettenmachen dick aufgeplustert. Die Kälte, die allein schon der Anblick dieser Betthälfte vermittelte, schien bis zu ihr zu krauchen. Schlaf fand sie nur, weil sie stetig an ihn denken musste und die wohlige Wärme von innen kam und nicht durch seine sanfte Umarmung.

Mitten in der Nacht erwachte Narzissa. Sie drehte sich auf die andere Seite und bedeckte ihre Schulter mit der kuscheligen Bettdecke, bevor sie die Augen wieder schloss. Sie war bereits kurz davor einzuschlafen, da glaubte sie etwas zu hören und ihr ganzer Körper zuckte auf einmal zusammen. Schläfrig versuchte sie erneut, ihre Gedanken zu zerstreuen, als sie diesmal laut und deutlich das Geräusch von zwei Schritten vernehmen konnte. Narzissa hatte blitzschnell ihre Augen weit aufgerissen, rührte sich jedoch nicht, sondern konzentrierte sich auf ihr Gehör. Ohne den Kopf zu bewegen blickte sie gen Zimmerdecke und sie fühlte sich schon von dem dösigen Zustand, der vom Wachen zum Schlafen geleiten sollte, in ihrer Wahrnehmung betrogen, da waren erneut Schritte zu hören, wenn auch viel leiser als zuvor, und die kamen direkt aus dem Zimmer über ihr.
Zuletzt geändert von Muggelchen am 02.02.2011 10:10, insgesamt 1-mal geändert.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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132 Schneemann




„Hallo Neville“, grüßte Hermine ihren Freund gut gelaunt, als sie Gewächshaus Nummer vier betrat.
„Hermine, schön dich zu sehen. Komm her, sieh dir die Orchideen an!“, sagte er, während er sie ganz begeistert heranwinkte.

Die Orchideen waren prächtig gediehen und die Stängel, in denen sich die wertvollen Zutaten befanden, waren jetzt schon sehr gut ausgebildet.

„Saft und Samen sind in großen Mengen vorhanden. Ich dachte erst, es wäre einfach eine gute Orchideenart, aber Pomona meinte, mein Dünger hätte sie so gut wachsen lassen“, sagte er stolz, während er mit einem Finger über die feuerrote Blüte strich. „Sag Snape, er kann sie nächste Woche haben.“
„Ja, werde ich“, sagte sie mit gezwungenem Lächeln, denn sie wusste jetzt schon, dass ihn diese Nachricht in seinem momentanen Zustand wenig interessieren würde wie alles andere auch.

Neville bemerkte Hermines betrübten Gesichtsausdruck und fragte sich, wie er ihr helfen könnte.

„Kann ich etwas für dich tun?“, wollte er wissen.
Hermine nickte kurz, stellte daraufhin ihre große Tasche auf einen Tisch ab und stöberte in ihr herum, bis sie zwei kleine Tütchen herauszog und sie Neville mit den Worten überreichte: „Die Samen… Ich hatte doch gefragt, ob du etwas für mich ziehen würdest.“
„Ja klar“, sagte er nebenher, während er neugierig das erste Tütchen öffnete und den Inhalt in seine Handinnenfläche gleiten ließ.

Er stutzte, denn die Samen waren ihm sehr vertraut wie auch die, die er in der zweiten Tüte fand. Mit besorgter Miene legte er die kleinen Beutel auf den Tisch und überlegte, wie er sie darauf ansprechen könnte, ohne ihr zu nahe zu treten. Andererseits könnte er ihr gar nicht zu nahe treten, dachte er, denn sie hatten viel zu viel miteinander erlebt, als dass man sich nicht die Wahrheit sagen könnte.

Sich räuspernd blickte Neville auf die beiden weißen Tüten und sagte sehr ernst, ohne sie dabei anzublicken: „Du weißt, Hermine, dass du jederzeit mit mir reden kannst.“ Sofort, falls ihr sein Vorschlag missfallen würde, fügte er schnell gesprochen hinzu: „Oder mit Luna!“
Ihn nicht verstehend runzelte Hermine die Stirn und versicherte lediglich: „Ja, das weiß ich und dafür bin ich dankbar.“ Sie wunderte sich noch einen Moment, bis sie auf ihr Anliegen zu sprechen kam: „Wegen der Pflanzen: Die eine sollte in spätestens 22 Tagen zu keimen beginnen und die andere…“
Neville unterbrach sie und beteuerte: „Es ist manchmal viel einfacher, sich etwas von der Seele zu reden, Hermine.“
„Ich…“, sagte sie innehaltend, denn mit einem Male wusste sie, was er meinen könnte. Er dachte sicherlich, dass sie das, wofür sie die Pflanzen benötigte, für sich selbst herstellen wollte.
Sie kam nicht dazu, ihm die Angelegenheit zu erklären, denn sehr besorgt sagte Neville: „Luna hat den Krieg auch noch längst nicht verkraftet, Hermine. Sie“, er wurde leiser, „hat große Schuldgefühle wegen…“ Er blickte auf ihren durch ihren Umhang bedeckten Unterschenkel. Wispernd erzählte er: „Sie hat manchmal Albträume, meist um diese Jahreszeit herum und wenn sie aufwacht, dann schwört sie, sie könnte dich noch immer schreien hören.“ Endlich blickte er Hermine in die Augen, als er hinzufügte: „Ich kann sie nur schwer davon abhalten, dich mitten in der Nacht anzuflohen, um sich nach deinem Wohlergehen zu erkundigen.“

Berührt und schockiert zugleich blickte sie Neville an, bis er langsam vor ihren Augen verschwamm, weil sich unbemerkt Tränen in ihnen gesammelt hatten. Seine Schilderung hätte sie sehr ergriffen.

Sie atmete tief ein, trocknete sich die Augen am Ärmel ihres Umhanges und rang sich ein Lächeln ab, bevor sie versicherte: „Luna soll wegen der Sache kein schlechtes Gewissen haben.“
„Sie hat dich allein gelassen, obwohl wir ausgemacht hatten, immer zu zweit unterwegs zu sein“, rief er ihr ins Gedächtnis zurück und in diesem Moment schien es ihr, als würde er direkt Lunas Worte wiedergeben.
„Sie ist doch nur mal in die Büsche gegangen!“, verteidigte Hermine ihre nicht anwesende Freundin. „Ich wäre auch allein gegangen, hätte ich mal gemusst.“

An Nevilles Gesicht erkannte sie, dass Luna anders darüber zu denken schien. Ohne es zu wollen formte sich die Erinnerung an jene Nacht, in welcher Harry und all seine ihn begleitenden Freunde in einen Hinterhalt der Todesser geraten und von Inferi überrannt worden waren und jeder Einzelne von ihnen hatte von diesem Kampf eine Narbe zurückbehalten.

Diese Gedanken schnell wieder unterdrückend schwor sie Stein und Bein: „Es ist nicht für mich, Neville.“
„Nicht?“, fragte er erstaunt zurück. „Ginny oder Harry? Nein…“ Seine eigene Vermutung schob er beiseite, denn die beiden würden immer miteinander reden. „Aber wer…?“
„Frag nicht“, bat sie mit leiser Stimme und das war der Moment, an welchem Neville verstanden hatte. Er erwiderte nichts, nickte jedoch einmal verständnisvoll. „Wann meinst du, sind sie groß genug, um verarbeitet werden zu können?“, wollte sie wissen.
Neville biss auf seine Unterlippe, während er angestrengt nachdachte und einen Augenblick später erklärte: „Ich habe beides noch nie mit meinem Dünger gezogen. Es kann sein, dass das Johanniskraut und der Liebstöckel schon in zehn Tagen keimen. Ich sag dir einfach Bescheid, in Ordnung?“
„Ja gut“, sagte Hermine dankbar. Sie drehte sich bereits um, als sie innehielt und fragte: „Ach, sag mal... kennst du eigentlich einen Squib?“

Mit hochgezogenen Augenbrauen drückte Neville seine Verwunderung aus, doch zu Hermines Erleichterung nickte er.

Auf ihrem Rückweg ging Hermine über einen der Schulhöfe, auf dem die Schüler sich ihre Zeit mit dem Bauen von Schneemännern oder mit Schneeballschlachten vertrieben. Harry stand auf einem der überdachten Gänge im Freien, aß einen Apfel und warf derweil einen wachen Blick auf das Treiben der Kinder. Er hatte sie noch nicht bemerkt. Hermine konnte einfach nicht widerstehen und nahm sich zwei Hände voll Schnee, um einen Ball daraus zu formen. Weil ihre Tasche über der rechten Schulter hing und ihre Bewegung einschränkte, warf sie den Schneeball eher halbherzig und mit wenig Kraftaufwand zu Harry, doch sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihn tatsächlich am Hals treffen würde. Erschrocken drehte sich Harry um, doch sein strenger Blick, der einem frechen Schüler hätte gelten sollen, verflog sehr schnell und wurde durch ein freches Grinsen verdrängt, als er drohend sagte: „Na warte…“

Er legte seinen Apfel auf die vom frischen Schnee eingeschneite, hüfthohe Mauer, die den Gang vom Schulhof trennte, und griff sich eine Handvoll Schnee.

„Nicht, Harry! Ich hab doch nur Spaß…“ Sie sog erschrocken Luft ein, als sein Schneeball direkt auf ihr Gesicht zugeflogen war, doch sie konnte sich rechtzeitig bücken, so dass das weiße Geschoss über ihren Kopf hinwegflog und hinten auf den Boden auftraf. Harry wollte bereits einen zweiten Schneeball formen, da flehte Hermine lachend: „Bitte nicht, ich ergebe mich!“

Weil sie näher an ihn herantrat und ihn mit einer Geste ihrer Hände beschwichtigte, warf er den Schnee amüsiert zurück auf den Boden. Als sie direkt neben ihm stand, streifte sie mit einer Hand ein wenig Schnee, der von ihrem Angriff übrig geblieben war, von seinem Umhang.

Er grinste sie an und sagte: „Zehn Punkte Abzug für den Angriff auf einen Lehrer.“
„Ja, das hättest du wohl gern“, schäkerte sie.
„Wo kommst du denn gerade her?“, fragte er verwundert.
„Von Neville aus dem Gewächshaus. Er soll was für mich erledigen“, erklärte Hermine.
Vorgetäuscht beleidigt fragte Harry: „Warum hast du nicht mich gefragt? Ich würde alles für dich tun!“
„Du hast aber keinen ’grünen Daumen’ wie Neville.“
„Ja, da hast du womöglich Recht“, bestätigte er. „Was soll er denn für dich erledigen?“
„Ich habe ihn gebeten, Johanniskraut und Liebstöckel für mich zu ziehen“, offenbarte sie ihm mit ernster Miene.

Natürlich kannte auch Harry diese Zutaten und rechnete eins und eins zusammen, denn die Pastillen, die von seiner besten Freundin aus diesen Kräutern und einigen anderen Zutaten damals hergestellt worden waren, hatten eine lange Zeit auch auf seinem täglichen „Speiseplan“ gestanden.

„Die sind aber nicht für dich oder?“, fragte er besorgt nach.
„Ach du meine Güte“, sagte sie genervt, „wirke ich denn tatsächlich auf jedermann so niedergeschlagen?“
„Ah“, machte Harry, „dann sind sie für ’ihn’. Bin mal gespannt, wie du sie ihm unterjubeln möchtest.“
„Ich werde sie ihm gar nicht unterjubeln. Ich lege sie einfach mit dem Vermerk ’täglich eine’ auf seinen Nachttisch. Wenn er weiß, was gut für ihn ist, wird er sie nehmen.“ Sie legte ihren Kopf schräg, als sie den Schülern dabei zusah, wie die einen Schneemann bauten und gerade die kleinste der drei weißen Kugel als Haupt auf die mittlere legten. „Es dauert ja noch eine Weile, bis ich das Mittel überhaupt herstellen kann.“

Für einen Moment sagte Harry nichts mehr. Er vertraute Hermine in dieser Hinsicht und verließ sich darauf, dass sie wusste, was sie tat. Sein Blick fiel auf den fast fertigen Schneemann, dem ein Schüler einen Stock als Nase ins weiße Gesicht bohrte, während seine Freunde auf dem Boden wahrscheinlich nach Steinen suchten, die sie der kalten Gestalt als Augen schenken wollten.

Flüchtig huschte Harry ein Gedanke durch den Kopf, bevor er sagte: „Der Ausflug mit den Schülern in die Muggelwelt ist abgesagt worden, weil es zu gefährlich wäre.“
„Was wolltet ihr denn machen?“, fragte sie.
„Wir wollten ins Kino gehen. Es laufen drei Filme hintereinander. Ginny hatte sich seit dem letzten Ausflug schon so drauf gefreut.“ Er hob und senkte die Schultern, bevor er anfügte: „Vielleicht werde ich allein mir ihr hingehen.“

Drei Schüler spickten den kahlen Kopf des Schneemannes mit widerspenstigen Ästen, doch ein Mädchen fand eine Handvoll feuchtes, schwarzes Gestrüpp, das man ihm kurzerhand wie eine Perücke aufsetzte. Die kleinen Finger fransten noch ein wenig das tote Pflanzenwerk auseinander und zogen lange Strähnen heraus, die dem Schneemann bis zur Schulter reichten. Als die Schulglocke ertönte, betrachteten die Schüler noch für einen kurzen Augenblick ihr Kunstwerk, bevor sie, um nicht zum Unterricht zu spät zu kommen, die Beine in die Hände nahmen und den Schulhof verließen.

„Sirius hat sich neulich bei mir über Anne beschwert“, sagte Harry nebenbei, weil sein Blick auf den Schneemann fixiert war. Er wollte ihn sich nun aus der Nähe ansehen, weswegen er langsam auf ihn zuging.
Hermine folgte ihm und fragte, derweil nicht auf den Weg achtend: „Wieso beschwert? Was haben die beiden den für Probleme?“
Dem Schneemann gemächlich näher kommend erwiderte Harry: „Sie hat einen Job angenommen und ihm gefällt das gar nicht.“
Völlig begeistert über diese Neuigkeit wollte Hermine wissen: „Das ist doch prima! Was macht sie denn jetzt? Hat sie wieder in der Muggelwelt angefangen oder…“
Der Schneemann war noch ungefähr fünf Meter entfernt und Harry hatte ihn nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen, während er antwortete: „Nein, in der Zaubererwelt. Sie arbeitet jetzt bei einem Hutmacher.“ Erklärend fügte er hinzu: „Sie hatte gleich nach ihrem Schulabschluss diesen Beruf erlernt, aber nach der Ausbildung keine Stelle gefunden. Sie ist irgendwann ins Bürowesen geschliddert, aber jetzt macht sie endlich das, wovon sie immer geträumt hatte.“

Direkt vor dem Schneemann war Harry stehengeblieben und er schaute ihm in die kohlefarbenen Augen, die sehr bedrohlich wirkten, weil zwei kleine Äste so präzise über ihnen positioniert waren, dass sie als Augenbrauen fungierten und ihn böse gucken ließen. Der Mund war aus drei Ästen geformt worden und zwei von ihnen verkörperten hängende Mundwinkel. Das zottelige Gestrüpp hing dem bleichen Mann fransig vom Kopf und aufgrund des Windes hatten sich ein paar Strähnen an dem gebogenen Ast verheddert, der ganz offensichtlich eine Hakennase darstellte.

„Sie haben Severus gebaut“, sagte Harry mit milder Stimme und erst jetzt blickte Hermine den Schneemann an und erkannte, wie Recht er hatte.

Sie nickte, was er aus den Augenwinkeln bemerkte, denn keiner von beiden wollte seine Augen von dem böse dreinblickenden Schneemann abwenden.

„Als wir Kinder waren, haben wir ihn auch so gesehen“, sagte sie voller Verständnis für die jungen Erbauer, bevor sie eine Hand in ihrem Umhang verschwinden ließ.

Neugierig blickte Harry zur Seite und wartete geduldig darauf, was sie als nächstes tun würde. Es erstaunte ihn nicht, dass sie ihren Zauberstab gezogen hatte. Mit ihm ordneten sie zuerst die Äste über den beiden Kohlestücken anders an und gleich darauf veränderte sie die Form des Mundes.

Harrys Lippen formten ein zufriedenes Schmunzeln, bevor er aussprach, was beide nun sehen konnten, denn er sagte bedächtig: „Er lächelt.“

Abermals blickte er zur Seite und trotzdem Hermine ebenfalls lächelte, so konnte er noch etwas anderes in ihrer Miene erkennen und das war der Wunsch, dieses kleine Wunder auch beim Original vollbringen zu können.

Völlig unverhofft fragte er plötzlich: „Was schenkst du ihm zu Weihnachten?“
Sie runzelte die Stirn, bevor sich ihre Augen weit öffneten und sie ihm aufgelöst gestand: „Ach du meine Güte, ich habe bisher noch gar nichts besorgt. Ich…“ Sie war mit ihren Gedanken die ganzen Wochen über woanders gewesen. „Ich bin nicht einmal in Weihnachtsstimmung“, sagte sie schockiert, denn dieses Fest liebte sie normalerweise sehr.
„Du hast ja noch ein wenig Zeit und…“
„Nein, habe ich nicht! Ich müsste alles selbst besorgen, weil es zum Bestellen bestimmt schon viel zu spät ist. Das würde nie rechtzeitig geliefert werden“, sagte sie mit einem Hauch von Panik in der Stimme.
„Mein Elf kann dir helfen“, bot er gelassen an.
„Nein, so etwas muss man alleine erledigen.“
„Ich sagte ja auch ’helfen’ und nicht alles für dich erledigen. Es wäre niemand böse, wenn du nichts schenken würdest“, beruhigte er sie.
Sie schüttelte den Kopf und konterte: „Aber alle werden mir was schenken! Wie sieht das denn aus, wenn ich nur nehme, aber nichts gebe?“
„Ich würde sagen“, begann Harry neckisch schmunzelnd, „dass es nach einer zerstreuten Hermine aussieht. Man merkt, dass du bald deinen Professor machst. Professoren müssen in gewissem Maße zerstreut sein.“

Sie knuffte ihn am Arm, lachte jedoch über seine Bemerkung, bevor beide zurück in die Schule gingen; Harry zum Unterricht und Hermine auf ihr Zimmer.

Nach dem Zaubertränkeunterricht ließ Draco sich an seinem Tisch viel Zeit dafür, sein Buch in die Tasche zu stecken, so dass Severus, nachdem alle anderen Schüler bereits gegangen waren, entkräftet fragte: „Mit welchem Anliegen möchtest du meine Nerven strapazieren?“

Erschrocken blickte Draco auf und dann im Klassenzimmer umher. Er hatte gar nicht bemerkt, dass seine Klassenkameraden bereits gegangen waren, denn ein Thema beschäftigte ihn sehr, weswegen er auch mit seinem Patenonkel sprechen wollte.

„Es geht um Mutter“, sagte Draco und er erkannte die kleinen Fältchen um Severus’ Augen herum, die eine Mischung aus Neugier und Sorge verriet.
„Was ist mit deiner Mutter?“, fragte Severus ungewohnt kühl, denn Narzissa lag ihm sehr wohl am Herzen, was er nur nicht zeigen wollte.
„Sie ist seltsam gewesen, als ich die letzten Male mit ihr gesprochen hatte. Sie ist…“
„Woraus genau besteht dein Anliegen? Erspar mir die Schilderungen deiner mittelprächtigen Beobachtungen und sage mir, was du von MIR willst!“, forderte Severus barsch.

Draco schluckte nervös. Es war ihm ein Rätsel, warum Severus so gereizt war. Nichtsdestotrotz kam er seiner Aufforderung nach, nicht um den heißen Brei herumzureden.

„Ich möchte dich bitten, sie zu besuchen und nach dem Rechten zu sehen“, sagte er freiheraus.
„Deine Mutter wird selbst auf sich achten können.“
„Severus, sie verhält sich merkwürdig und…“
„Warum gehst du dann nicht?“, hielt Severus ihm vor.
„Weil sie mit mir nicht so reden würde wir mit dir!“ Um ihm seine eigenen Worte unter die Nase zu reiben, sagte Draco: „Dank meiner nur mittelprächtigen Beobachtungsgabe kann ich ja nicht einmal genau sagen, was es ist, das sie so anders erscheinen lässt. Ich kann nicht mit dem Finger drauf deuten, aber ich weiß genau, dass etwas nicht stimmt. Kleine Details entgehen dir nie und du kannst viel besser beobachten und kombinieren als ich und deshalb sollst du gehen!“

Am Ende seiner Ausführungen war Draco ein wenig lauter geworden als er gewollt hatte, doch Severus ließ sich davon zum Glück nicht erzürnen.

„Dir muss etwas aufgefallen sein, Draco, weswegen du die Vermutung aufstellst, dass etwas nicht stimmen würde. Was war das?“, fragte Severus in ruhigem Tonfall.
Einen Augenblick überlegte Draco, bis er erklärte: „Sie war nervös, ja, das war es. Wir haben über den Kamin gesprochen und sie war nervös, obwohl es gar keinen Grund gab.“
„Zumindest keinen, der offensichtlich war“, murmelte Severus. Lauter fragte er: „Du hast im Hintergrund nichts gesehen oder gehört?“

Draco schüttelte den Kopf, weswegen Severus über einen möglichen Besuch bei Narzissa nachdachte. Auf diese Weise könnte er zumindest seiner Schülerin entkommen, die sich seiner Meinung nach mit ihrer ständigen Fragerei, ob er sich wohl fühlen würde, sehr aufdringlich verhielt.

„Ich werde sie heute Abend aufsuchen. Sage ihr nicht Bescheid, das erledige ich“, versicherte Severus seinem Patensohn, der erleichtert aufatmete und sich gleich darauf verabschiedete, um in Harrys Klasse zu hetzen, die er mit Sicherheit nur verspätet erreichen würde.

Am späten Nachmittag betrat Severus sein Labor, aber nur aus dem Grund, seiner Schülerin Bescheid zu geben, dass er heute etwas anderes vorhaben würde.

„Wo gehen Sie denn hin?“, fragte Hermine verdutzt.
„Warum sollte Sie das etwas angehen?“, warf er ihr vor.
Sie hob und senkte gelassen die Schultern, bevor sie ein wenig eingeschnappt sagte: „Nichts.“
An einem Schränkchen sortierte er einige Ampullen, die keinerlei Ordnung benötigten, bevor er erklärte: „Ich werde Mrs. Malfoy aufsuchen.“ Da sie sich nicht dazu äußerte, drehte er sich einen Moment später um und schaute in das zufrieden lächelnde Gesicht seiner Schülerin. „Was soll das dumme Grinsen?“
Das Grinsen verstarb auf der Stelle, doch sie rügte ihn nicht, sondern sagte: „Ich finde es schön, dass Sie mal rausgehen. Grüssen Sie sie von mir.“

Sie war sich sicher, dass Severus ihren Gruß nicht weitergeben würde.

Das Thema wechselnd erzählte sie milde belustigt: „Ein paar Kinder haben Sie als Schneemann gebaut.“
„Haben Sie? Wer war es?“, fragte er gelangweilt nach.
Sie schüttelte den Kopf und sagte: „Ich kenne nicht alle mit Namen.“ Es hatte sie gewundert, dass er die Namen der Erbauer in Erfahrung bringen wollte, weswegen sie ihm vorsichtig vorwarf: „Sie wollen den Schülern doch keine Punkte abziehen?“

Ein einziger Mundwinkel hob sich, so dass sich ein schiefes auf seinem Gesicht abzeichnete und sie sofort an die Äste im Gesicht des Schneemanns denken musste. Sie begrüßte es, dass er Narzissa besuchen wollte; dass er aus freien Stücken Kontakte suchte. Möglicherweise hatte sie überreagiert und es war gar nicht vonnöten, ihm die modifizierten Stimmungsaufheller nahezulegen, die sie demnächst herstellen wollte.

Er verabschiedete sich von ihr mit einem höflichen Nicken seines Kopfes, bevor er sich in seinem Zimmer noch einen winterfesten Umhang umwarf, um vor wie Tore zu marschieren. Natürlich wäre es einfacher, Narzissa über den Kamin zu erreichen, doch falls er im Haus mit Unannehmlichkeiten zu rechnen hätte, wäre es falsch, sich die Gegend im Vorfeld nicht kurz anzusehen.

Vor den pompösen Toren des Malfoy-Anwesens erschien er mit einem leisen Plop. Sofort spürte er Augen auf sich, doch sie wirkten nicht bedrohlich und er ging davon aus, dass es sich um Auroren handeln könnte, die seiner Meinung nach Todessern auf der Lauer lagen, die so dumm wären, sich bei der Gattin eines ehemaligen Anhängers verstecken zu wollen. Für so dumm hielt Severus keinen von ihnen.

Das Tor, das ihn durch einen Zauber wahrscheinlich noch immer als Freund der Familie betrachtete, öffnete sich, so dass Severus eintreten konnte. Der ihm vertraute, bewaldete Weg gleich nach dem Eingang erinnerte ihn daran, wie er damals allein hergekommen war, um einer Feierlichkeit der Malfoys beizuwohnen. Zu jener Zeit hatte er sich geehrt gefühlt, dass so angesehene Menschen wie Lucius und Narzissa Malfoy, die nicht nur reich, sondern auch sehr einflussreich waren, gerade ihn zum Patenonkel ihres Sohnes machen wollten. Damals hatte er geglaubt, mit solchen Menschen in seinem engeren Bekanntenkreis würde es mit ihm bergauf gehen.

Es war schon dämmrig und im Haus waren wenige Lichter zu sehen; auffällig war jedoch nichts. Seinen Zauberstab fühlte er sehr präsent an seinem Körper und innerlich bereitete er sich darauf vor, ihn gegebenenfalls auch ziehen zu müssen. Er hob die Hand und betätigte einen der beiden geschlungenen Türklopfer aus Messing, die beide eine Schlange darstellten. Den Hall, den sein Klopfen im Haus verursachte, konnte er bis vor die Tür wahrnehmen.

Schritte waren zu hören, bevor sich die Tür einen Spalt öffnete und Narzissa überaus vorsichtig nach draußen spähte.

„Severus“, sagte sie erfreut und erleichtert klingend.
„Guten Abend, Narzissa“, grüßte er ein wenig skeptisch zurück.

Nachdem sie ihn hereingebeten hatte, blickte er sich aufmerksam um. Die große Eingangshalle wirkte noch immer nicht sehr sauber, was damit zu tun haben könnte, dass Narzissa sich eher auf die Räume konzentriert hatte.

„Ich habe einen Tee gemacht, Severus. Komm, wir nehmen ihn in der Bibliothek ein“, sagte sie freudestrahlend und so folgte er ihr die Treppe nach oben in den ersten Stock und betrachtete nebenbei die Gemälde der einstigen Familienoberhäupter. Die Bibliothek selbst war ebenfalls mit aufwendig gestalteten Bildern geschmückt. Direkt über dem Kamin hing noch immer jenes Gemälde, welches vor der Gästeschar am Tage von Dracos Taufe dort angebracht worden war und es zeigte Lucius und Narzissa, die auf einer dunkelroten Couch saßen. Beide bedachten das blonde Baby in Lucius Arm mit Liebkosungen, wobei sich der Hausherr dabei sehr zurückhielt.

„Es ist schön, dass du hier bist, Severus. Hat dein Besuch einen bestimmten Grund?“, fragte sie ein wenig angespannt, während sie ihm eine Tasse dampfenden Tee einschenkte.
„Nein, es gibt keinen Grund, bis auf vielleicht meine Neugier“, sagte er verschmitzt. „Ich hatte mich gefragt, wie es dir hier ergehen mag.“

Narzissa lächelte zufrieden und streckte gerade ihre Hand nach den Keksen aus, um sie ihm anzubieten, da hielt sie inne, weil sie sich an die Merkwürdigkeiten in diesem Haus erinnert fühlte. Es war nicht bei einem Keks geblieben, der in den vergangenen Tagen verschwunden war.

Es war ihm nicht entgangen, dass sie zögerte und das Gebäck mit Argwohn betrachtete.

„Wie geht es dir, Narzissa?“, fragte er höflich nach.
Erschrocken blickte sie auf, doch ihre Gesichtszüge entspannten sich schnell, bevor sie ihm versichern wollte: „Gut, danke der Nachfrage.“ Dass etwas an Narzissas Nerven zerrte, war nicht zu übersehen und das sprach er unverblümt an.
„Du wirkst ein wenig fahrig.“

Mit einem Lächeln wollte sie ihn beruhigen, doch Severus Miene blieb davon unberührt.

„Ich habe hier viel zu tun. Heute habe ich beispielsweise das Spielzimmer und den Grünen Salon endlich hergerichtet“, sagte sie rechtfertigend, doch ihr war klar, dass Severus sie durchschauen würde.
„Du hattest sehr erleichtert gewirkt, als du mir die Tür geöffnet hattest.“
„Ich…“ Sie überlegte, wie sie sich herausreden könnte, doch ihr Zögern hatte bereits jedwedes stichhaltige Argument entkräftet, worüber sie sich mit einem leisen Seufzer bewusst geworden war.
„Benötigst du Hilfe?“, fragte er vorsichtig, denn diese Hilfe war nicht nur auf den Haushalt und die viele Arbeit beschränkt und klug wie Narzissa war, hatte sie dies auch verstanden.

Sie legte eine Hand auf ihre Stirn und schloss die Augen, um Worte zu finden, die ihm ihre Lage erklären könnten. Severus nahm derweil einen Schluck Tee und wartete geduldig. Als er auch noch eine Hand nach den Keksen ausstreckte, bemerkte ihr ihren aufmerksamen Blick.

„Es geht mir hier bestens“, log sie offensichtlich, weshalb er diesmal deutlich zeigte, dass er ihr nicht glaubte, was er mit hochgezogenen Augenbrauen untermalte. „Wirklich!“, wollte sie ihm weismachen. „Warum bist du überhaupt hier, Severus?“, fuhr sie ihn gereizt an. „Glaubst du etwa, ich würde in diesem großen leeren Haus aufs Neue meinen Verstand verlieren?“
„Glaubst du denn, das läge im Bereich des Möglichen?“, fragte er trocken zurück.

Missgelaunt kniff sie die Augen zusammen und starrte ihn an, hielt den Mund jedoch verschlossen.

Er wusste nun genau, worin ihre Befürchtungen bestanden und fragte sie beruhigend: „Warum denkst du so, Narzissa? Ist etwas vorgefallen?“ Als er die Hand, die noch immer den unangerührten Keks hielt, zum Mund führte, bemerkte er abermals ihren scheuen Blick, so dass er wissen wollte: „Was hat es hiermit“, er hob den Keks, „auf sich, dass er deine Aufmerksamkeit so sehr beansprucht.“
„Ich bin nicht verrückt!“, zischte sie völlig unverhofft.
„Niemand behauptet das“, stimmte er ihr mit ruhiger Stimme zu.

Narzissa mied seinen Blick.

„Was hast du beobachtet?“, fragte er interessiert und er gab dem Gespräch damit keinen bitteren Nachgeschmack, indem er ihr psychische Labilität vorwarf.
„Es…“ Sie griff aus lauter Verlegenheit nach ihrer Tasse und nahm einen Schluck, während Severus endlich von dem Keks abbiss.

Erneut fiel ihr Blick auf den Teller mit Gebäck und sie mit leiser Stimme offenbarte: „Manchmal fehlen Dinge in diesem Haus. Sie sind einfach verschwunden und ich glaube, ich habe sie genommen, doch habe ich keine Erinnerung daran.“
Weil sie ihren Blick auf die Kekse fixiert hatte, fragte er: „Hat davon etwas gefehlt?“

Sie nickte und hoffte innig, dass man sie nicht wieder unter die Aufsicht eines Heilers stellen würde, was ihr damals sehr gegen den Strich gegangen war.

„Gibt es noch etwas anderes?“, fragte er, weil er sich sicher war, dass allein ein paar verschwundene Kekse Narzissa nicht so nervös machen würden.
Zögerlich gestand sie: „Ich bilde mir manchmal ein, Schritte zu hören.“

Für Severus war es eindeutig, dass sie sich selbst aufgrund der vergangenen Ereignisse in den letzten Jahren keinen klaren Verstand zutraute.

„Was, wenn du es dir nicht eingebildet hast?“, fragte er leise.

Einen Moment lang schien sie nachzudenken, doch sie kam zu der Ansicht, dass ihr Kopf klar genug war, um erkennen zu können, dass dies eine sehr beunruhigende Situation darstellen würde. Vielleicht wäre das, was sie an der Treppe zum zweiten Stock gesehen hatte, nicht ihrer Einbildung entsprungen.

„Aber“, begann Narzissa mit bebender Stimme, „das würde ja bedeuten, dass jemand im Haus wäre!“
„Exakt“, gab er ihr als leise Antwort zurück. „Hast du das Haus von oben bis unten…?“
„Nein, ich habe im Erdgeschoss mit den Arbeiten begonnen und bin jetzt im ersten Stock“, sagte sie, während sie sich daran erinnerte, dass die Geräusche ausschließlich aus dem zweiten Stock gekommen waren. „Wenn jemand im Haus ist…?“
„Ich halte es für besser, Narzissa, wenn du mit mir nach Hogwarts zurückkommst“, sagte er. Sie begann bereits ihren Kopf zu schütteln, doch er erklärte nichtsdestotrotz: „Du wirst die Magische Polizeibrigade verständigen – oder besser noch: Miss Bones!“
Sie lachte abwertend, bevor sie sagte: „Alle werden annehmen, ich wäre wunderlich!“
„Nein, sie werden dein Ersuchen ernsthaft verfolgen“, beruhigte er sie.
„Aber…“
„Narzissa“, begann er mit besonnener Stimme, „warum bist du nie in den zweiten Stock gegangen, wenn die Geräusche dort zu vernehmen waren?“ Er nahm es ihr ab, eine Antwort zu geben und sagte: „Weil du vielleicht befürchtest, du würdest nichts finden, was nur untermauern würde, dass dein Geist dir Streiche spielt. Ich hingegen bin froh, dass du es unterlassen hast, selbst nach den Geräuschquellen zu suchen. Lass uns gehen“, bot er gelassen an.
„Nein, wir könnten stattdessen doch zusammen…“
„Zusammen das Haus durchstreifen? Ich würde es lieber ohne dich tun, denn ich habe nichts zu verlieren“, gestand er gleichgültig klingend und Narzissa blickte ihn daraufhin betrübt an.
Severus bereute seinen Satz, doch Narzissa griff seine Aussage nicht auf, sondern bot an: „Gehen wir beide zusammen durchs Haus.“

Um sie zu beruhigend stimmte er ihrem Vorschlag zu. Er rechnete nicht damit, etwas zu finden, denn auch wenn er Narzissa einen gesunden Verstand zuschrieb, so konnte er sich trotzdem vorstellen, dass Einsamkeit einem paradoxerweise vorgaukeln konnte, nicht allein zu sein.

Im ersten Stock wirkte alles sehr friedlich. Narzissa hatte sogar den Flur gereinigt und neu gestaltet. Auf der Treppe zum zweiten Stock lag der Staub allerdings noch zentimeterdick und was selbst Severus eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ, war, dass kleine Spuren von nackten Füßen auf den Stufen zu sehen waren.

Ohne ein Wort zu verlieren ergriff er Narzissas Handgelenk und zog sie hinter sich her, als er die Treppe ins Erdgeschoss ansteuerte.

„Severus, was…?“ Sie hielt inne und fragte nicht, was ihn zur Flucht veranlasst hatte, denn wenn auch er die Fußspuren gesehen haben sollte, würde das bedeuten, dass sie seit ihrem Einzug in ihr altes Heim nie allein gewesen war.

Er ging so zielstrebig zur Haustür, dass sie es für unmöglich hielt ihn aufzuhalten. Vom Haken nahm er ihren hellen Umhang, den er ihr nicht überwarf, sondern ihr einfach in die Hand drückte, bevor er erneut ihr Handgelenk fasste und sie durch die Haustür ins Freie zerrte.

Erneut wollte Narzissa fragen, was Severus vorhaben würde, doch sie kam nicht dazu. Stattdessen hörte sie, wie er einen starken und ihr unbekannten Schutzzauber über Malfoy Manor legte und gleich darauf spürte sie das bekannte Gefühl der Apparation. Einen Moment später standen sie vor den Toren von Hogwarts. Das Tor öffnete sich und ließ den Lehrer und seine Begleitung hinein. Narzissa blieb nichts anderes übrig als ihm zu folgen.

„Du wirst Miss Bones kontaktieren und verlangen, dass man das Haus, besonders den zweiten Stock, durchsucht“, sagte er gelassen, während er durch den Schnee stapfte.
„Was…?“ Sie fragte sich, ob sie tatsächlich wissen wollte, was er gesehen hatte.
„Ich bin der Ansicht, dass du in diesem Haus tatsächlich nicht allein warst“, erklärte er.

Es war nicht seine Aufgabe, Häuser nach Eindringlingen abzusuchen. Ihm wäre es egal, sollte er auf einen Verbrecher stoßen, aber Narzissas Leben wollte er nicht aufs Spiel setzen, weswegen er es für besser gehalten hatte, das Herrenhaus auf der Stelle zu verlassen. Die Drecksarbeit sollten einmal in seinem Leben andere erledigen
Zuletzt geändert von Muggelchen am 02.02.2011 10:10, insgesamt 1-mal geändert.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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Mit seinen Hausaufgaben war Draco schon längst fertig. Nun blickte er auf ein leeres Blatt Pergament, auf welchem bereits ein Tropfen Tinte von seinem Federkiel getropft war und einen schwarzen Fleck hinterlassen hatte, der bereits getrocknet war. Seit über einer halben Stunde zermarterte er sich den Kopf darüber, wen er noch zur Hochzeit einladen könnte. Harry, Ginny und Hermine würden sicherlich bereits auf Susans Gästeliste zu finden sein; das waren die Einzigen, die ihm noch eingefallen wären.

„Erbärmlich“, murmelte Draco in den leeren Raum hinein, bevor er die weiße Gänsefeder wieder in der Halterung neben dem Tintenfass ablegte.

Wenn er schon keine Gästeliste zustande bringen könnte, müsste er wenigstens einen Paten für sein Kind organisieren, dachte er und er überlegte, ob er Severus nicht doch dazu überreden könnte, diese Verpflichtung einzugehen, als es unerwartet klopfte.

„Herein“, sagte er etwas lauter.

Mit dem Anblick seiner kreidebleichen Mutter, die von Severus am Oberarm gehalten wurde, hatte er nicht gerechnet.

„Oh Merlin, was ist geschehen?“, wollte er besorgt wissen.
„Glücklicherweise nichts“, erwiderte Severus. Bevor Draco alles andere um sich herum vergessen würde, weil er sich seiner Mutter widmete, forderte Severus: „Kontaktiere Miss Bones. Es wäre angemessen, auf der Stelle Auroren nach Malfoy Manor schicken.“
„Wieso? Was…“ Draco stockte und fragte mit weit aufgerissenen Augen: „Onkel Rodolphus?“

Draco bekam es mit der Angst zu tun, denn wenn sein Onkel erfahren haben sollte, dass er für den Tod von Bellatrix verantwortlich sein würde, hätte er nichts mehr zu lachen.

„Möglich“, antwortete Severus gelassen. „Wenn du nun bitte…“
„Ja sicher, setzt euch erst einmal“, bot Draco an, bevor er zum Kamin ging.

Zehn Minuten später war nicht nur Susan über die merkwürdigen Beobachtungen in Malfoy Manor informiert, sondern auch Kingsley, Tonks und zwölf andere Auroren, die sie persönlich anwies, sofort das Haus zu durchsuchen. Die Warnung, es könnte sich um Rodolphus und Rabastan Lestrange handeln, sorgte dafür, dass jeder Einzelne von ihnen sich innerlich auf das Schlimmste vorbereitete.

Noch vor der Apparation nach Malfoy Manor wandten sie Desillusionierungszauber an sich an, so dass sie sich nur untereinander sehen konnten, jedoch vor den Augen Dritter verborgen blieben. Zusätzlich benutzten sie einen Spruch, der ihre Schritte unhörbar machte. Unsichtbar wie sie waren schlichen vierzehn erfahrene Auroren den bewaldeten Weg entlang, bis sie sich – am Herrenhaus angelangt – aufteilten. Kingsley entfernte wortlos den von Severus gelegten Schutzzauber mit einem Schwung seines Zauberstabes und betrat das Haus als Erster, Tonks und vier weitere Auroren folgten, darunter Proudfoot und Savage; zwei alte Hasen.

Absolute Stille schlug ihnen entgegen. Hier und da brannte noch Licht, welches Severus und Narzissa unbeachtet gelassen hatten, bevor sie Hals über Kopf aus dem Haus geflohen waren. Vereinzelt knarrten Dielen, als die sechs Männer und Frauen die Treppe zum ersten Stock emporstiegen. Von draußen war nichts zu hören, doch Kingsley wusste, denn er selbst hatte es ihnen auferlegt, dass die anderen Auroren um das Haus herum Stellung bezogen hatten und das Innere des Hauses so gut es möglich war von außerhalb mit Zaubersprüchen untersuchten und mögliche Fluchtwege im Auge behielten.

Ein fast nicht mehr wahrnehmbarer, blumiger Duft stieg Tonks in die Nase und sie erkannte es als jenes Veilchen-Parfüm, welches Narzissa gern zu tragen pflegte.

Im ersten Stock angelangt achtete jeder darauf, nicht einmal laut zu atmen. Spannung lag in der Luft. Die mögliche Gefahr, auf zwei der gefährlichsten Todesser treffen zu können, ließ jeden von ihnen an die schrecklichen Erlebnisse in Kriegszeiten denken, doch der Krieg war längst vorbei. Jetzt war es an der Zeit, mit den Verbrechern abzurechnen, die damals so viel Leid verursacht hatten und noch immer auf freiem Fuß waren.

Nicht ein einziges Mal hatte Tonks etwas umgeworfen, obwohl gerade der engere Bereich am Treppenabsatz im ersten Stock mit kleinen Beistelltischlein und allerhand Zerbrechlichem dekoriert war. In ernsten Situationen war ihr Hang zur Tollpatschigkeit wie weggezaubert. Kingsley wies Proudfoot und Savage an, gemeinsam die Zimmer im ersten Stock zu untersuchen, während er selbst und Tonks mit zwei jungen Auroren, die gerade erst ihre Ausbildung beendet hatten, bereits an der Treppe zum zweiten Stock stand.

Tonks tippte Kingsley mit ihrem Zauberstab an und zeigte gleich darauf auf die Abdrücke von nackten Füßen, die im Staub auf den Stufen zu sehen waren. In die Knie gehend inspizierte Kingsley die Abdrücke mit einem skeptischen Blick, bevor er seinen Stab zu Hilfe nahm. In Gedanken sprach er einen Zauber, der den Fußabdruck leicht bläulich glitzern ließ, was niemand außer den Auroren sehen sollte. Ein weiterer Zauber sorgte dafür, dass ähnliche Fußabdrücke, auch wenn diese mit bloßem Auge nicht auszumachen waren, ebenfalls leuchten sollten und kaum hatte er diesen wortlosen Zauber angewandt, funkelte der gesamte Fußboden im ersten Stock und die Stufen der Treppe fast komplett in blauer Farbe. Vorsichtig schaute Kingsley über das Geländer zur anderen Treppe hinunter und selbst dort, wenn auch nur vereinzelt, waren Fußspuren zu sehen; ein Beweis dafür, dass jemand mit sehr kleinen Füßen zwischen den Stockwerken bereits unzählige Male hin- und hergependelt war.

Als Proudfoot und Savage von ihrem Rundgang im ersten Stock zurückgekommen waren, blickten sie zunächst mit großen Augen auf die Fußspuren am Boden, die Kingsley sichtbar gemacht hatte. Gleich darauf schüttelten beide den Kopf, denn in diesem Stockwerk hatten sie niemanden gefunden. Mit einem Nicken machte Kingsley seinen Leuten klar, dass sie nun in den zweiten Stock gehen würden. Wieder machte er selbst den Anfang und betrat die Stufen, um den leuchtenden Fußspuren zu folgen.

Oben war es dunkel, denn die Sonne war längst untergegangen. Nur vom ersten Stockwerk drang ein schwacher Schein empor, der den Treppenabsatz im zweiten Stock in ein unangenehmes Zwielicht hüllte und wie man an den Staubflusen am Boden und den Spinnennetzen an den Geländerpfosten sehen konnte, hatte die Dame des Hauses hier oben noch keine Hand angelegt. Laut des Grundrisses befanden sich im zweiten Stock wenige, aber dafür große Räume, die als Schlaf-, Kinder- und Gästezimmer mit ihren dazugehörigen Bädern genutzt wurden. Wo das Licht aus dem ersten Stock nichts mehr ausleuchten konnte, erhellte der blaue Schein der Abdrücke den Flur minimal. Die blaue Fährte wies den Weg zu jenem Raum, der den Eindringlingen als Unterschlupf dienen musste, denn besonders vor dieser einen Zimmertür glitzerte der Boden durch die vielen Fußspuren so hell als bestünde er aus lumineszierendem Gestein.

Erneut machte Tonks ihn stumm auf etwas aufmerksam, denn sie tippte ihn an und zeigte auf eine nicht sehr tiefe, leicht offen stehende und durch die Jahre hinweg verschmutzte Vitrine an der Wand, durch deren verdrecktes Glas man nicht mal mehr den Inhalt erkennen konnte. Vorsichtig öffnete er das kleine Türchen ein wenig und sein Blick fiel auf etliche Zauberstäbe, die einst den nun verblichenen Mitgliedern der Familien Malfoy und Black gehört hatten. Jeder einzelne Stab lag auf kleinen, hervorstehenden Stiften, die offenbar aus Elfenbein geschnitzt waren und unter ihnen waren kleine Schilder aus Gold angebracht, in denen man liebevoll die Namen der Ahnen hatte eingravieren lassen. Ein Stab fehlte.

Möglicherweise, so dachte Kingsley, hatte einer der Eindringlinge, wenn es sich um mehrere handeln sollte, seinen Stab verloren, so dass er ihn auf diese Weise ersetzt wissen wollte.

Tracey Davis, muggelstämmig und ehemalige Slytherin, folgte Kingsley, während Kevin Entwhistle, ehemaliger Ravenclaw und ebenfalls muggelstämmig, an Tonks Seite blieb. Die beiden jungen Auroren waren von ihr ausgebildet worden und durften heute ihren ersten Einsatz erleben. Beide waren äußerlich völlig gelassen, denn sie fühlten sich mit Kingsley und den anderen erfahrenen Auroren im Haus sicher, auch wenn man ihnen während der Ausbildung stets eingetrichtert hatte, sich während eines Einsatzes niemals sicher fühlen zu dürfen.

Kingsley und Tracey näherten sich der Tür und flüsterten fast unhörbar und zeitgleich einen Spruch, der feindliche Schutzzauber aufspüren sollte und tatsächlich fanden sich zwei magische Barrieren, die beide von Tracey mit Leichtigkeit aufgehoben werden konnten. Die Einfachheit der Schutzzauber ließ Kingsley daran zweifeln, dass es sich um Todesser handeln würde, denn die hätten zu ganz anderen Mitteln gegriffen, um den Raum abzusichern.

Auf Kingsleys stille Anweisung hin sollte Tracey nun die Tür öffnen, doch in dem Moment, als sie ihren Stab auf die Türklinke richtete, bewegte sich diese wie von Geisterhand.

Mit zwei Handbewegungen wies Kingsley seine Leute an, sich an die Wand zu pressen und die Ruhe zu bewahren. Zum Angriff wollte er noch nicht übergehen, denn voreiliges Handeln könnte dem Feind einen Vorteil gewähren, was er vermeiden wollte. Er wollte niemanden aufschrecken und Zeit zur Flucht lassen.

Die Klinke war nun komplett hinuntergedrückt und die Tür öffnete sich langsam; quietschte dabei nicht ein einziges Mal. Ein kleiner Kopf mit schwarzen lockigen Haaren lugte hervor. Große, dunkle Augen schauten aufmerksam in den Flur hinein. Tonks, die nicht wie Kingsley und Tracey direkt neben der Tür stand, konnte erkennen, um was es sich handelte, doch wenige Sekunden später konnte Kingsley sich selbst ein Bild davon machen. Ein kleines Kind, welches bei dem spärlichen Licht der magisch sichtbar gemachten Fußspuren nicht gut zu erkennen war, trat vorsichtig auf den Flur hinaus und schloss die Tür gewissenhaft hinter sich; musste derweil auf den Zehenspitzen stehen, weil die Klinke viel zu hoch angebracht war.

Das Kind, offenbar ein Mädchen, machte mit seinen nackten Füßen lautlos ein paar kleine Schritte bis zum Treppengeländer und stand einen Moment, ohne es zu ahnen, sehr dicht bei der unsichtbaren Tonks. Das Mädchen ergriff zwei der hölzernen Pfosten, um zwischen ihnen hinunter in den ersten Stock zu spähen. Mit einer für so kleine Kinder sehr ungewöhnlichen Vorsicht verweilte es einen Augenblick an Ort und Stelle, bevor es zögerlich am Geländer entlang zur ersten Stufe ging. Das Kind überstürzte nichts und hielt sich konzentriert fest, während es immer nur eine Stufe nahm, auf dem es erst noch den anderen Fuß abstellen musste, bevor es eine weitere Stufe nehmen konnte.

Kingsley blickte zu Tonks hinüber, die völlig entgeistert dem Kind nachschaute, welches sie noch immer zwischen den Geländerpfosten hindurch sehen konnte. Als Tonks Augen auf sich spürte, schaute sie zu Kingsley hinüber, der einen Zeigefinger vor seinen Mund hielt und gleich darauf mit den Augen und einem Kopfnicken zum Mädchen deutete; Tonks sollte folgen. Noch immer waren ihre Schuhsohlen durch einen Zauber geschützt, so dass ihre Schritte keinen einzigen Ton erzeugen würden und so folgte sie gemächlich dem kleinen Mädchen, welches immer wieder auf seinem Wege innehielt und durch die Pfosten hindurch nach unten schaute, um sich zu vergewissern, dass auch niemand im ersten Stock zu sehen war.

Mit Kevin, Tracey, Proudfoot und Savage blieb Kingsley an der wieder verschlossenen Tür zurück und diesmal öffnete er sie, um das dahinter liegende Zimmer zu betreten.

Tonks war dem Mädchen, welches ein viel zu großes Seidenhemd trug, das wie ein Kleidchen wirkte, bereits in den ersten Stock gefolgt und sie beobachtete, wie die Kleine ein Ohr an eine der vielen Türen presste, in dem sie ganz offensichtlich jemanden vermutete. Als das Kind nichts vernehmen konnte, schielte es wieder zur Treppe hinüber und haderte mit sich selbst. Das Erdgeschoss schien ihr Angst zu bereiten, doch irgendetwas trieb sie mutig zu den Stufen, um auch diese zu überwinden. Tonks folgte lautlos.

Gefolgt von seinen Leuten war Kingsley im zweiten Stock ins stockdunkle Zimmer eingetreten. Die Luft war abgestanden und es roch moderig. Es war jedoch angenehm warm und er ahnte, da hier kein Kaminfeuer entzündet worden war, dass die Wärme durch Zauberei entstanden sein musste. Sollte das Kind der einzige Eindringling sein, dachte Kingsley, dann könnte er diesen Raum ohne Sorge inspizieren, aber es war sehr unwahrscheinlich, dass ein kleines Kind einen Wärmezauber beherrschen würde. Aufgrund der Dunkelheit konnte er allerdings nichts in diesem Zimmer erkennen, bis auf einige schattige Umrisse, die von Möbeln herrühren könnten. Nachdem all seine Leute in dieses Zimmer eingetreten waren und sich strategisch klug positioniert hatten, gab er ihnen das Zeichen, zur gleichen Zeit einen Lumos anzuwenden, so dass das Zimmer auf Drei mit einem Schlag erhellt wurde.

Dem kleinen Mädchen war Tonks lautlos gefolgt. Aufgrund des im Erdgeschoss herrschenden Lichts konnte sie das Kind endlich besser sehen und auf drei oder vier Jahre schätzen. Immer wieder hielt die Kleine inne und blickte sich um oder lauschte angestrengt und Tonks tat es ihr gleich. Der Weg führte das Kind in die Küche, die es sorgsam beäugte, bevor es einen Fuß hineinsetzte. Zielstrebig steuerte das Mädchen auf einen Vorratsschrank zu und öffnete ihn, um etwas zu entnehmen, was Tonks nicht sehen konnte, denn die Tür des Schränkchens war im Weg, doch als die Tür wieder geschlossen wurde, da musste Tonks bis über beide Ohren lächeln, denn das Kind hatte sich einen großen runden Keks stibitzt, den es mit solch inniger Bewunderung anblickte, dass Tonks für einen Moment die Ernsthaftigkeit des heutigen Auftrags vergaß und versehentlich an einen Stuhl stieß, der zwar nur kurz, dafür aber laut schabend über den Holzboden glitt. Das Mädchen drehte sich blitzschnell um und ließ zur gleichen Zeit den erbeuteten Keks fallen, während es mit angsterfüllten Augen auf den Stuhl blickte, der den Lärm verursacht hatte.

Zwei Stockwerke über der Küche hatten die Auroren zeitgleich zwei Personen in einem Bett liegend ausmachen können. Beide bewegten sich augenscheinlich nicht, aber trotz Lumos konnte man es nicht genau erkennen. Vorsichtig trat Kingsley an das Bett heran, während die anderen ihre Stäbe auf die Personen richteten; außer Savage, denn der behielt den Rest des Zimmers und die Tür im Auge. Aus der Nähe konnte Kingsley erkennen, dass es sich bei der Person, der er nun am nächsten stand, um einen jungen, groß gewachsenen Mann handelte, dessen dunkelhäutiges Antlitz mit seinen hohen Wangenknochen nur durch eine helle Narbe am Kinn in seiner vollkommenen Schönheit beeinträchtigt wurde. Daneben lag eine junge Frau mit rabenschwarzen Haaren, kräftigem Kinn und ebenso ausgeprägten Wangenknochen, was ihr Gesicht sehr pausbäckig erscheinen ließ. Ihre Haut war unnatürlich grau, sofern man es bei dem spärlichen Licht erkennen konnte. Ihr Brustkorb bewegte sich nicht und ihr Mund stand ein wenig offen; genau wie ihre Augen. Kingsley schlussfolgerte daraus, dass die Frau verschieden sein musste, doch der Mann neben ihr ihm Bett wirkte sehr lebendig, denn man hörte ihn sogar leise atmen.

In der Küche starrte das kleine Mädchen weiterhin auf den Stuhl, der nicht mehr wie die anderen ordentlich an den Tisch gestellt war, sondern ein wenig schräg stand. Mit flinken Augenbewegungen suchte sie nach der Quelle des Geräusches, doch sie fand nichts.

Für einen Moment wunderte sich Tonks darüber, dass das Kind die Augen geschlossen hatte, doch wenig später kannte sie die Antwort, denn das Mädchen öffnete seine Augen wieder und fragte sehr neugierig, aber dennoch wispernd, als hätte sie niemals gelernt, ihre Stimme in normaler Lautstärke zu gebrauchen: „Wenn du ein Geist bist, warum musst du dann Luft holen?“

Ohne auf die Uhr zu sehen wusste Kingsley vom Gefühl her, dass seine Männer draußen mit ihrer Arbeit fertig sein mussten und fünf von ihnen – wie zuvor geplant – ebenfalls ins Haus kommen würden. Sein Zeitgefühl hatte ihn nicht betrogen, denn Munson war bereits im zweiten Stock angelangt und nickte ihm wortlos zu, als er im Türrahmen stand. Die Sicherung des Hauses und die Barrikade möglicher Fluchtwege waren abgeschlossen.

Lautlos kam Munson zu Kingsley hinüber, um Anweisungen entgegenzunehmen. Kingsley befahl ihm so leise, dass es kaum wahrzunehmen war: „Prüft die anderen Räume in diesem Stockwerk und versiegelt den Dachboden, bevor wir…“

Ein heller Schrei war zu hören. Kingsley drehte sich um und sah Tracey von einem unbekannten Fluch und mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht getroffen zu Boden gehen. Der Mann im Bett hielt einen Zauberstab in der Hand und richtete den in Windeseile auf die Person, die ihm jetzt am nächsten war, obwohl er sie gar nicht sehen konnte. Kingsley blickte auf die Spitze eines Stabes, die auf ihn gerichtet war.

In der Küche stehend blickten Tonks und auch das kleine Mädchen nach oben, obwohl sie durch die Decke hindurch nichts sehen konnten, doch den Schrei hatten beide mit einem unguten Gefühl vernommen. Das Mädchen huschte leise an Tonks vorbei, die erst wieder ihre Augen von der Decke abwandte, als sie etwas am Arm gespürt hatte. Das Kind war bereits auf der Treppe in den ersten Stock, doch Tonks wollte sie nicht gehen lassen, falls es oben zu brenzlig werden würde und so rannte sie ihr hinterher und umfasste sie von hinten. Das Mädchen kreischte aus voller Lunge, weil es von etwas Unsichtbarem gepackt worden war.

Munson, der direkt neben Kingsley stand, hob in Windeseile seinen Arm und zielte, doch mit den flinken Reflexen einer Raubkatze veränderte der dunkelhäutige Mann die Position seines Stabes um nur wenige Zentimeter und traf Munson mit einem wortlosen Fluch. Ohne Übergang war der ganze Raum abrupt in Rauchschwaden gehüllt, weswegen sich die Umrisse der unsichtbaren Auroren darin abzeichneten und als Kevin einen wortlosen Entwaffnungszauber anwenden wollte, war der Dunkelhäutige im gleichen Moment verschwunden, nur um mit einem leisen Plop in einer anderen Ecke des Raumes wieder aufzutauchen, damit er die Konturen, die Kevins Gestalt in den Rauchschwaden hinterließ, mit einem Fluch angreifen konnte. Kevin ging in dem gleichen Moment zu Boden, als alle Anwesenden ihren Zauberstab auf den jungen Mann richteten, doch der apparierte erneut innerhalb des Raumes.

Von unten hörte man ein Kind lauthals kreischen als würde es um sein Leben fürchten.

Kingsley ließ den Rauch verschwinden, Proudfoot belegte den Raum mit einem Zauber, der die Flucht unmöglich machte und Savage vereitelte die Möglichkeit einer Apparation im Zimmer. Die vier Auroren, die mit Munson ins Haus gekommen waren, stürmten das Zimmer und machten den jungen Mann am Fenster aus, der den Zauberstab blind auf vermeintliche Ziele im Raum richtete, denn die Auroren oder ihre Silhouetten konnte er nicht mehr sehen, ohne Frage aber sehr gut hören, auch wenn sie sich noch so ruhig verhielten.

„Verschwindet, ihr Schweine! Wir haben nie jemandem etwas getan“, schrie der junge Mann, der sich nun arg in die Enge getrieben fühlte.

Proudfoot, Savage und eine weibliche Aurorin namens Crystal Nash zielten auf den Dunkelhäutigen und sagten gleichzeitig: „Expelliarmus!“

Gegen die drei Angreifer konnte sich der junge Mann nicht zur Wehr setzen. Nachdem er seinen Stab an einen der Unsichtbaren verloren hatte, begann er mit einem Male am ganzen Leib zu zittern, denn ohne einen Zauberstab waren die meisten Zauberer völlig hilflos. Gleich als man ihn entwaffnet hatte, wurde er mit magischen Fesseln bewegungsunfähig gemacht, was ihn nicht davon abhielt, sich die Lunge aus dem Hals zu schreien; vor Angst, wie Kingsley zu wissen glaubte.

Eine tiefe, körperlose Stimme erklang im Raum und sagte: „Wir sind Auroren des Ministeriums. Sie werden dazu angehalten, jeden Widerstand aufzugeben und sich verhaften zu lassen, damit Ihre Identität geklärt werden kann.“

Der junge Mann atmete so heftig, dass ihm schwindelig wurde und er zu schwanken begann, so dass Kingsley diesen Moment wählte, um den Desillusionierungszauber an sich selbst und den anderen Auroren aufzuheben, damit der Überwältigte sein Gegenüber sehen konnte.

Kingsley staunte, als der junge Mann aufgeregt atmend wissen wollte: „Wo ist meine Tochter?“

Eine Antwort blieb er ihm schuldig, denn er kümmerte sich erst um Kevin, der sich bereits von dem Fluch erholt hatte und sich, wenn auch nur wackelig, allein auf den Beinen halten konnte. Auch Tracey hatte das Bewusstsein wiedererlangt wie auch Munson, der vorhin neben Kingsley gestanden hatte.

Überrascht darüber, dass seine Teammitglieder wohlauf waren, blickte er den Gefesselten mit hochgezogenen Augenbrauen an, bevor er fragte: „Verteidigung gegen die dunklen Künste? Mit wem dachten Sie hätten Sie es zu tun?“
Hauchend und mit den Nerven am Ende antwortete der Gefangene: „Todesser.“
„Todesser? Verstecken Sie sich vor denen?“, wollte Kingsley wissen und sein Gefangener nickte. „Warum hier?“
„Gerade hier!“, zischte der junge Mann gereizt, doch er ging nicht ins Detail. „Wo ist meine Tochter?“
„Keine Sorge, sie wird bei einer unserer Aurorinnen sein“, entgegnete Kingsley gelassen, der sechs Auroren seines Teams anwies, noch den Dachboden abzusuchen. „Ist noch jemand außer Ihnen hier?“, fragte Kingsley gleich darauf, während er sich dem jungen Mann näherte, der nun trotz seiner dunkleren Hautfarbe erschreckend blass aussah.
Der junge Mann schüttelte den Kopf, bevor er forderte: „Bringen Sie meine Tochter her!“
„Ich glaube nicht, dass Ihre Tochter weiterhin das“, er nickte zum Bett hinüber, indem der bewegungslose Frauenkörper lag, „sehen sollte. Sie und Ihre Tochter werden mit uns kommen.“
„Aber…“ Der junge Mann hielt inne und blickte zum Bett hinüber. „Sie kann nicht hier bleiben! Sie braucht mich!“

Kingsley konnte nicht einmal erahnen, was der junge Mann durchlebt haben musste, dass er so verwirrt schien.

„Die Mitarbeiter vom Mungos werden die Leiche abholen und…“
„NEIN! Sie ist nicht tot!“, wollte der junge Mann ihm aufgebracht weismachen.

Irritiert blickte Kingsley erneut zum Bett hinüber. Die Haut der Frau war gräulich, ihr Brustkorb bewegte sich nicht und würde sie nur geschlafen, dann musste sie einen sehr festen Schlaf haben, dass sie von dem Lärm des Kampfes nicht erwacht war.

„Sie sind verwirrt, junger Mann. Kommen Sie…“ Kingsley hatte seinen Zauberstab gezogen und wollte soeben den Mobilcorpus verwenden, um den Gefangenen in der Luft schwebend antransportieren zu können, da widersprach er erneut.
„Um Himmels Willen, glauben Sie mir doch, sie ist nicht tot! Ich kann sie nicht einfach hier lassen“, sagte der junge Mann völlig entrüstet.
„Hören Sie…“, begann Kingsley besonnen.

Dass der Gefangene mit einem wortlosen Zauberspruch die magischen Fesseln zwar nicht vollständig hatte lösen können, aber durchaus an seinen Händen gelockert hatte, war Kingsley leider entgangen. Als der junge Mann mit einem Male mit den Fäusten auf ihn einschlug, da reagierte Tracey als Erste und sie versteinerte den Gefangenen mit einem Petrificus Totalus.

Auf dem Grundstück hatten sich die Auroren nach einer gründlichen Durchsuchung des Hauses zusammengefunden und sie unterhielten sich aufgeregt über das, was geschehen war. Kingsley erspähte Tonks ein wenig abseits. Sie hielt das kleine Mädchen im Arm, welches sie mit ihrem Umhang wärmte, denn es war bitterkalt.

„Hallo King“, sagte Tonks trübsinnig, denn es hatte ihr im Herzen wehgetan, das Kind so erschreckt zu haben. Um sie zu beruhigen, hatte Tonks sie vorhin auf den Arm genommen, war ins Freie gegangen und hatte den Desillusionierungszauber aufgehoben, so dass das Mädchen keine Angst mehr haben würde.

Das Mädchen in Tonks Armen machte ein ganz trauriges Gesicht und die Augen und Wangen waren feucht. Es musste eine ganze Weile fürchterlich geweint haben, wovon es jetzt müde war.

„Hallo Kleine“, sagte Kingsley mit freundlich ruhiger Stimme, doch das Kind schaute ihn nicht an, sondern vergrub sein Gesicht in den Falten von Tonks’ Umhang. „Wie heißt du?“, wollte Kingsley wissen, doch auch da zierte sich das Kind, eine Antwort zu geben. Tonks machte mit einem Gesichtsausdruck deutlich, dass auch sie noch nicht den Namen des Kindes erfahren hatte.

„KINGSLEY“, hörte man eine raue, alles übertönende Stimme rufen.

Als Kingsley und Tonks sich umdrehten, erkannten sie Alastor, der mit seinem Gehstock auf sie zugehinkt kam.

„Kingsley, warum bin ich nicht informiert worden?“, meckerte Alastor, als er die beiden erreicht hatte.
„Du bist seit Jahren im Ruhestand, Alastor“, erinnerte Kingsley ihn gelassen.
„Was aber nicht heißt, dass ich darauf verzichten möchte, den Lestrange-Brüdern das Fell über die Ohren zu ziehen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet! Das nächste Mal…“ Alastor hielt inne, weil er bemerkt hatte, dass das Kind in Tonks Armen wegen seiner herrischen Stimme zusammengezuckt war. „Oh“, war seine Entschuldigung. An das Mädchen herantretend fragte Alastor zwar freundlich, aber in den Augen eines Kindes wahrscheinlich noch immer viel zu angsteinflössend: „Wer bist du denn?“

Das Mädchen blinzelte hinter dem Umhang hervor und als sie Alastors verstümmeltes Gesicht erkannte, die fehlenden Teile der Nase, die vielen Narben und das rotierende magische Auge, da presste das Kind sein Gesicht erschrocken in Tonks Halsbeuge.

„Brauchst keine Angst zu haben, Mädchen“, sagte Alastor sehr viel ruhiger und das Mädchen drehte daraufhin seinen Kopf und schaute mit nur einem Auge zu dem hässlichen Mann, dessen Lächeln ihn nicht ein kleines bisschen sympathischer erscheinen ließ. Alastor tippte mit dem Zeigefinger oberhalb seiner Wange und deutete damit auf sein falsches Auge, bevor er sagte: „Weißt du, was das ist?“ Das Mädchen schüttelte zaghaft den Kopf, so dass Alastor erklärte: „Das ist ein magisches Auge und weißt du, was das kann?“ Wieder verneinte die Kleine. „Damit kann ich in die Zukunft sehen“, log er aufmunternd. „Und ich sehe, dass alles gut werden wird.“ Das Mädchen begann sanft zu lächeln, denn es wollte dem Mann glauben. „Also Kopf hoch, meine Kleine“, sagte er ermutigend, bevor er Kingsley am Oberarm packte und ein paar Schritte mit ihm ging.

„Also, wen habt ihr geschnappt?“, fragte Alastor enthusiastisch.
„Einen jungen Mann, der sich laut seiner Aussage vor Todessern versteckt gehalten hatte, dann sein Kind und die Leiche der Mutter“, zählte Kingsley auf.
„Leiche? Und wo habt ihr die gefunden?“ Kingsley erkannte, dass Alastor sehr skeptisch war.
Er atmete einmal tief ein, bevor er antwortete: „Sie lag im Bett neben dem jungen Mann. Ich vermute, aber das werden die Heiler im Mungos feststellen müssen, dass der Gefangene psychisch gestört ist. Ich gehe davon aus, dass auch das Kind für eine lange Zeit mit der Verstorbenen konfrontiert worden war.“

Einige Geräusche kündigten die angeforderten Medi-Magier des Mungos an, denen Kingsley Anweisungen geben musste.

„Wenn du mich einen Moment entschuldigst, Alastor?“, sagte Kingsley, bevor er die Organisation des Abtransportes übernahm. Alastor schaute ihm hinterher, bevor er sich umdrehte und sein Blick erneut auf Tonks und das Kind fiel, denen er sich näherte und als er nur noch wenige Meter von ihnen entfernt war, hörte er die zittrige Stimme des Mädchens.

„Wo ist mein Papa und meine Mama?“
Ohne zu fragen sprach Alastor einen Wärmezauber um Tonks herum, bevor er forderte: „Erzähl mir von deiner Mama.“
Noch immer war er dem Mädchen nicht geheuer, doch sie antwortete nichtsdestotrotz: „Sie schläft viel.“

Tonks hatte offensichtlich noch nicht erfahren, was Kingsley im Bett neben dem Gefangenen gefunden hatte, denn vor dem Kind hatte er nicht von der Verblichenen reden wollen, wie Alastor vermutete.

„Sie schläft viel?“, fragte er gespielt erstaunt nach. Das Mädchen nickte heftig, so dass er wissen wollte: „Ist sie so müde? Wie lange schläft sie schon?“
„Schon immer“, antwortete die Kleine knapp, weswegen Alastor vermutete, dass das Kind seine Mutter nie anders kennen gelernt hatte.
„Schon immer? Das ist aber viel zu lange“, sagte er.
„Sie hat sich in den Finger gestochen und ist eingeschlafen“, erzählte das Mädchen müde.
„Gestochen?“, wiederholte Alastor fragend.
„Na, wie Dornröschen“, sagte sie lang gezogen und nörgelnd, weil sie nicht zu verstehen schien, warum er ihr nicht folgen konnte.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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Beitrag von »

Schon lange kein Review und kein neues Kapitel mehr, dabei les' ich die Geschichte doch so gerne :P Ich fand das Kapitel mal wieder richtig gelungen! Und das Ende ist richtig klasse mit dem Dornröschen..Da bin ich noch gespannt drauf;) Und die Überschrift ist im übrigen auch sehr gut:)

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Muggelchen
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Beitrag von Muggelchen »

Hallo ,

tut mir leid, wenn es manchmal dauert. Ich hab momentan viel um die Ohren und schaffe es einfach nicht, das neue Kapitel zu laden. Ich werde mich bessern :wink:

Der Begriff "Dornröschen" sagt eigentlich schon, was mit der vermeintlichen Leiche los sein könnte. Im Zusammenhang mit dem Kapiteltitel und der Aussage von dem Kind könnte man schon was erahnen. Freut mich, dass du die Überschrift passend fandest :D Es bleibt bestimmt spannend, das verspreche ich.

Liebe Grüße,
Muggelchen




134 Von Schein und Sein




Eins und eins hatte Tonks zusammenzählen können und sie wusste nun, dass die Mutter verstorben sein musste. Das, was das Mädchen erzählte, nämlich dass ihre Mutter sich gestochen hätte und nun wie Dornröschen schlafen würde, konnte als kindliche Erklärung für den Tod gedeutet werden.

Noch immer warteten die Auroren vor Malfoy Manor darauf, den Befehl zum Abzug zu bekommen, aber Tonks wusste, dass niemand gehen durfte, wenn Kingsley es nicht sagte und so hielt sie das Mädchen weiterhin im Arm und wärmte sie mit ihrem Umhang.

Mit milder Stimme fragte Tonks mitfühlend: „Wann hat sie sich gestochen?“ Natürlich ahnte sie, dass dieses Wort nur ein Synonym für den Zeitpunkt sein konnte, als die Mutter verschieden war.
„Bevor ich auf die Welt gekommen bin.“

Die Antwort des Mädchens schockierte Alastor und Tonks im ersten Moment, doch es war unmöglich, dass diese Aussage stimmen konnte. Ihr Vater musste ihr das erzählt haben, denn mit drei oder vier Jahren konnte das Kind logische Zusammenhänge noch nicht klar deuten.

Einige Medi-Magier, gefolgt von Proudfoot, Savage und Nash, verließen Malfoy Manor mit einem in der Luft schwebenden schwarzen Sack, der ihnen folgte. Das Mädchen sah den Sack und fragte neugierig: „Ist da Mama drin?“ Tonks blickte hinüber und erkannte den Leichensack, was ihr eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ, denn viel zu oft hatte sie in Kriegszeiten diesen Anblick ertragen müssen. Viel schockierender war jedoch das, was das Mädchen auf ihrem Arm sagte, denn die äußerte sehr besorgt: „Aber da drin kriegt sie doch keine Luft!“ Das Mädchen mit den schwarzen Locken blickte Tonks in die Augen und wimmerte herzerweichend: „Ich will zu meiner Mama.“ Die großen Kulleraugen füllten sich mit Tränen, bevor das Mädchen diesmal viel energischer forderte: „Lass mich runter! Ich will zu meiner Mama!“

Tonks fragte sich, wie sie einem Kind in diesem Alter verständlich machen konnte, dass ihre Mutter verstorben war und sie nicht mehr zu ihr gehen dürfte, da schlängelte und wandte sich die Kleine unverhofft in ihren Armen und sie trat und schlug, so dass Tonks sie absetzen musste. Sie hielt das Handgelenkt des Mädchens fest, ließ aber los, als sie befürchten musste, sie könnte dem Kind Schmerzen zufügen, denn die drehte sich unermüdlich, um sich aus dem Griff zu befreien und als sie es geschafft hatte, rannte sie zu den Medi-Magiern hinüber, die den Sack auf den Boden abgelegt hatten, weil Kingsley mit ihnen sprechen wollte.

Das Mädchen hatte den Sack in Windeseile geöffnet und war schon dabei, zu ihrer Mutter hineinzukrauchen, da wurde sie von einem der Medi-Magier gepackt und in diesem Moment begann das Kind zu kreischen. Ihre markerschütternden Schreie waren furchtbarer mit anzuhören als jeder Schrei, den man damals auf dem Schlachtfeld von einem Menschen im Todeskampf hatte vernehmen müssen. Tonks drehte sich der Magen um, die meisten Auroren waren schockiert, nur die sechs Medi-Magier und der eine Heiler behielten die Ruhe, während das Kind brüllte und herumtobte. Es hatte seine Hände in die Kleidung der Mutter gekrallt und als der Medi-Magier das Kind wegziehen wollte, hob sich der Oberkörper der Toten, weil das Kind einfach nicht loslassen wollte.

„Helft mir doch mal einer!“, forderte der Medi-Magier entnervt, dem ein Kollege gleich darauf zur Hand ging, indem er die Hände des Mädchens aus dem Hemd der toten Frau befreite und dabei fast sein Gehör einbußen musste, weil das Kind ihm direkt ins Ohr kreischte und immer wieder verzweifelt „Mama“ schrie.

Leise sprach Kingsley zum Heiler: „Bringen Sie die Leiche endlich weg und lassen Sie das Kind und den Gefangenen untersuchen. Vier Auroren werden Sie begleiten.“ Der Heiler gehorchte den Anweisungen der Autorität ohne Widerrede.
Als Kingsley sich umschaute und Tonks erblickte, kam sie flugs auf ihn zu und empfahl mit bewegter Stimme: „Wir können das Drama beenden, wenn wir den Fluch aufheben, der auf ihrem Vater liegt. Dann kann er sie trösten!“
„Es wäre zu gefährlich. Der Mann beherrscht wortlose Zauber! Ich kann das nicht riskieren“, erklärte er und es tat ihm Leid, dass er Tonks diesen Gefallen nicht erweisen konnte. Es war ihr anzusehen, dass die Qual des Kindes ihr mehr zu schaffen machte als die Tatsache, eine Leiche gefunden zu haben.

Nachdem die Medi-Magier gegangen waren und mit ihnen der Gefangene, das Kind, die tote Mutter und vier Auroren, kehrte ein wenig Ruhe ein.

„Tonks?“ Mit trüben Augen blickte sie Kingsley an, so dass er sagte: „Alastor möchte noch einmal mit uns reingehen. Kommst du mit?“

Er würde es ihr nicht übel nehmen, wenn sie jetzt lieber wie die anderen Auroren ins Ministerium gehen wollte, um ihren Bericht zu verfassen, doch zu seinem Erstaunen nickte sie.

Den Raum, in denen sich der Mann und das Kind verschanzt hatten, wollte besonders Alastor sich ansehen.

„Wer hat den Stab mitgenommen, mit dem er euch angegriffen hat?“, fragte Alastor, der über die Ereignisse in diesem Raum von den anderen Auroren längst informiert war.
„Tracey! Sie wird die verwendeten Zaubersprüche analysieren lassen, die mit ihm ausgeführt worden waren“, erklärte Kingsley, als sie das Zimmer im zweiten Stock betraten.

Mit einem Wink seines Zauberstabes erhellte Alastor den gesamten Raum, so dass man nun alles ganz genau sehen konnte. Im Bett war eine tiefe Kuhle zu erkennen und zwar auf der Seite, auf der die Frau gelegen hatte. Es roch zwar muffig in diesem Zimmer, aber es fehlte der unverkennbare Geruch, den eine verwesende Leiche hinterlassen hätte und das war es, was Kingsley stutzig machte. Mit Hilfe seines Zauberstabes untersuchte er das Bett, aber er fand keine Anzeichen dafür, dass dort ein toter Mensch gelegen hatte: keine Spuren von Urin oder von den Flüssigkeiten eines sich zersetzenden Körpers. Womöglich, dachte Kingsley, hatte der junge Mann in seinem Wahn sehr penibel darauf geachtet, sämtliche Anzeichen für den Tod seiner Geliebten zu beseitigen.

Unter der aufgeschlagenen Bettdecke lugte etwas hervor, was Tonks’ Aufmerksamkeit erregte. Sie griff danach und zog ein Kinderbuch hervor. Kingsley war nicht entgangen, dass Tonks das Buch anstarrte, so dass er ihr nahe legte: „Du kannst dem Mädchen das Buch bringen, damit es wenigstens etwas hat, das ihr vertraut vorkommt.“ Tonks nickte und steckte das Buch in ihre Innentasche.

Allen fiel auf, dass in diesem Zimmer kaum ein Möbelstück vorhanden war, an welchem nicht etwas fehlte. Ein Schrank misste eine Tür, an der Kommode klafften zwei Löcher, weil die Schubladen entnommen worden waren und einem Stuhl hatte man alle vier Beine genommen, doch die fehlenden Gegenstände befanden sich nicht im Raum. Zudem war nichts zu finden, das die Identität des Gefangenen preisgeben konnte.

„Gehen wir und schreiben wir unsere Berichte“, sagte Kingsley gelassen. Alastor und Tonks stimmten ihm wortlos zu.

Zurück im Ministerium steuerte jeder sein eigenes Büro an, während Alastor ungebeten Kingsley folgte, was den nicht zu stören schien. Tonks setzte sich hinter ihren unordentlichen Schreibtisch, zog das Standardformular, mit welchem sie jede Akte beginnen musste, aus einer Schublade und füllte die ersten Felder aus.

„Einsatzleiter: Kingsley Shacklebolt
Einsatzort: Malfoy Manor“

Tonks stöhnte, denn sie war mit den Gedanken immer wieder bei dem kleinen Mädchen, welches ihr nicht einmal seinen Namen verraten hatte. Es klopfte und Tonks nahm die kleine Störung liebend gern in Kauf. Es handelte sich um Tracey.

„Oh, komm rein“, sagte Tonks vertraut. Gleich darauf erkundigte sie sich: „Wie geht es dir? Hast du den Fluch gut überstanden?“
„Nichts passiert, er hatte mich nur für ein paar Minuten gelähmt. Es hat ein wenig wehgetan, als die ganzen Muskeln erschlafften“, sagte Tracey ein wenig geknickt.
„Kevin und du habt prima reagiert“, sagte Tonks aufmunternd, denn sie ahnte, dass die beiden jungen Auroren glauben würden, sie hätten versagt. Tracey seufzte lediglich, so dass Tonks erklärte: „Kingsley geht davon aus, dass der Mann sehr genau auf Geräusche geachtet hat. Deswegen hat er dich als Erste erwischt, weil du so dicht bei ihm gestanden hattest. Munson musste er gehört haben, als der seinen Zauberstab zog und der ist ein äußerst fähiger Auror, Tracey, aber selbst ihn hat es erwischt.“

Tracey lächelte gequält, denn so ganz war sie nicht davon überzeugt, gute Arbeit geleistet zu haben.

„Soll ich dir bei deinem Bericht helfen?“, bot Tonks an, denn sie selbst hatte mehrmals nachfragen müssen, bis sie so einen ausführlichen Einsatzbericht im Schlaf ausfüllen konnte.
„Nein, ich bin hier, weil…“ Tracey seufzte erneut, fragte dann jedoch: „Haben wir schon Bilder von dem Gefangenen gemacht?“ Weil Tonks verneinte und sie fragend anblickte, erklärte Tracey: „Er kam mir bekannt vor, aber ich habe ihn leider nicht deutlich gesehen und dann lag ich auch schon auf dem Boden.“
„Er kam dir bekannt vor?“, wiederholte Tonks erstaunt. „Woher?“
„Ich kann es erst genau sagen, wenn ich ihn nochmal gesehen habe. Kevin geht es übrigens genau wie mir.“
„Kevin kommt der Gefangene auch bekannt vor? Jetzt wird es interessant, Tracey. Wenn ihr den Mann identifizieren könnt, würde uns das eine Menge Arbeit ersparen“, erklärte Tonks freudig, denn dann könnte sie das Feld auslassen, in welchem sie bei nicht identifizierten Personen eine sehr genaue Beschreibung abgeben müsste.
„Ich muss den Mann noch einmal sehen, bevor ich es ganz genau sagen kann, aber ich glaube, ich kenne ihn aus der Schule“, sagte Tracey.
Mit großen Augen fragte Tonks: „Aus Hogwarts?“
Tracey nickte und sagte: „Ich denke, er war in meinem Haus.“

Blitzschnell erhob sich Tonks von ihrem Stuhl, ergriff Tracey am Oberarm und schleifte sie aus dem Büro hinaus.

Mit einer Genehmigung von Kingsley besuchten Tonks und Tracey das Krankenhaus, um mit dem Gefangenen zu sprechen, doch der war gerade noch mitten in einer Untersuchung.

„Guten Abend, Miss Tonks“, sagte ein Herr in weißem Umhang, der ihr die Hand entgegenstreckte. „Ich bin Professor Puddle. Mr. Shacklebolt hatte mir Bescheid gegeben, dass Sie zu dieser späten Stunde den jungen Mann befragen möchten.“
„Woher wissen Sie, dass ich es bin?“, wollte Tonks wissen, woraufhin Professor Puddle lediglich auf ihre lilafarbenen Haare blickte, die selbst in der Zaubererwelt ungewöhnlich waren.
Verlegen spielte Tonks mit einer Strähne und gab zu: „Na ja, eigentlich wollten wir ihn nur kurz sehen“, gab Tonks zu.
„Wenn Sie mir dann bitte folgen würden?“ Professor Puddle ging bereits den Gang hinunter und blickte hinter sich, um sicherzugehen, dass die beiden Damen ihm nachkommen würden. „Ich muss Sie allerdings warnen: Der Mann ist sehr angrifflustig. Er hat eine meiner Schwestern gebissen, aber zum Glück wurde keine Krankheit übertragen und die Wunde ist auch schon fast wieder verheilt, aber dennoch muss ich Sie zur Vorsicht anhalten.“
„Wir sind Auroren, Professor Puddle“, rief Tonks dem Professor ins Gedächtnis zurück. „Wir haben den Mann immerhin festgenommen!“

In einem Krankenzimmer mit nur einem Bett warteten Tonks und Tracey darauf, bis man den Gefangenen hereinbringen würde. Es waren drei Pfleger, die den seltsam ruhigen Mann, der vor wenigen Stunden noch geschrieen und sich mit Händen und Füßen gewehrt hatte, langsam in das Zimmer führten und ihn wie in Zeitlupe auf das Bett setzten. Mit hängendem Kopf und glasigem Blick betrachtete er seine Hände.

„Was haben Sie ihm gegeben?“, fragte Tonks neugierig.
„Natürlich etwas zur Beruhigung“, war die knappe Antwort eines Pflegers, die gleich darauf das Zimmer verließen.

Sich dem Gefangenen nähernd wurde Tracey immer deutlicher, dass sie sich nicht geirrt haben konnte, doch sie wollte sein Gesicht von vorn sehen, so dass sie eine Hand ausstreckte, um sie ihm unters Kinn zu legen. Auch wenn er eine Schwester gebissen haben sollte, so war er jetzt mit einem Trank gezähmt und er konnte sich nicht wehren, selbst wenn er es wollte. Tracey hob den Kopf des Mannes an und Tonks beobachtete alles ganz genau.

„Gott, er ist es!“, sagte Tracey mit einem Ausdruck von Mitleid in den Augen, als sie zu Tonks hinüberblickte. Gleich darauf schaute sie erneut in das schöne, dunkle Gesicht vor sich und sagte leise: „Blaise? Blaise Zabini!“

Der junge Mann regte sich und reagierte trotz seiner beeinflussten Wahrnehmung auf seinen Namen. Er murmelte etwas, was Tonks nicht verstehen konnte.

„Was hat er gesagt?“, wollte Tonks wissen.
Tracey ließ von ihrem ehemaligen Schulkameraden ab und wandte sich ihrer Vorgesetzten zu, bevor sie wiederholte: „Er sagte, sie ist nicht tot.“

Tonks versuchte, Blaise zum Reden zu bewegen, doch er war aufgrund der Mittel, die man ihm eingeflösst hatte, nicht ganz bei sich. Er war voller Sorge um die Frau, die man bei ihm gefunden hatte.

Im Flur vor dem Zimmer von Blaise Zabini stehend sagte Tonks gedankenverloren: „Wir haben Blaise Zabini noch vor dem Sieg über Voldemort für tot erklären lassen. Sein Zauberstab lag neben einem verbrannten Körper. Wir konnten die Leiche nicht identifizieren, aber wegen des Stabes…“
„Liegt ja auch nahe, so zu denken“, gab Tracey zu, auch wenn man auf schlampige Arbeit schließen konnte.

Zu jener Zeit hatte das Ministerium mit ganz anderen Dingen zu kämpfen als sich mit der Identifizierung von Leichnamen zu befassen, denn Voldemorts Angriff stand kurz bevor.

„Dawlish hatte die Verantwortung für den Fall. Wird ihm nicht schmecken, dass er sich geirrt hat“, sagte Tonks mit ein wenig Schadenfreude in der Stimme, denn ihr Kollege benötigte ihrer Meinung nach mal einen kleinen Dämpfer dieser Art, weil er selbst sich für unfehlbar hielt. „Meinst du, wir sollten auch noch einen Blick auf die Leiche werfen?“
Tracey schüttelte sich bei dem Gedanken, sagte jedoch: „Kann nicht schaden. Ich habe die Tote im Haus nicht genau gesehen.“

Der Ansprechpartner fürs Ministerium, Professor Puddle, schüttelte zwar den Kopf, als er die Bitte vernahm, die Tote betrachten zu dürfen, beugte sich jedoch dem Gesetz. Er führte die beiden Damen zu einem Fahrstuhl, der hinunter zur Leichenhalle führte.

Schon die Gänge waren gruselig und erinnerten besonders Tracey an die Kerker in Hogwarts, in denen der Zaubertränkeunterricht stattgefunden hatte.

Mitten auf dem Gang hielt Professor Puddle inne und rief: „Stan?“

Der gerufene Name echote einige Male von Wand zu Wand, bis er sich am Ende des Ganges verlor. Dann herrschte Stille.

Einen Moment später quiekte Tonks, weil direkt hinter ihr jemand sagte: „Sie haben gerufen?“
„Stan, tun Sie mir einen Gefallen. Zeigen Sie den jungen Damen die Tote, die heute hereingebracht wurde und warten Sie auf Professor Junot, die sicherlich bald ihren Bericht abliefern wird.“
„Wird gemacht, Sir“, sagte Stan mit einem kurzen Nicken, bevor er sich den beiden Frauen zuwandte. „Folgen Sie mir.“

Der schlaksige junge Mann mit den abstehenden Ohren und dem unrasierten Gesicht führte Tonks und Tracey nur einen Gang weiter, bevor er die schwere Eisentür öffnete.

„Nach Ihnen“, sagte er höflich, doch in diesen Räumlichkeiten wäre es höflicher gewesen, selbst voranzugehen. Nachdem er gefolgt war, ging er in einen weiteren Raum und winkte die Damen heran. „Hier“, er klopfte gegen eine kleine, viereckige Tür in der Wand, „liegt diejenige, die Sie suchen.“

Er öffnete die kleine Tür und zog eine Bahre heraus, auf der ein mit einem weißen Laken zugedeckter Körper lag. Sich kurz vergewissernd, dass kein Professor in der Nähe war, fragte Stan neugierig: „Um was geht es hier, häh?“ Er grinste und erklärte: „Ich habe eine Wette mit meiner Morgenschicht abgeschlossen und er denkt, es wäre ein Todesserangriff gewesen. Ich glaube aber, die Auroren haben einfach nur wieder Mist gebaut.“ Stan kicherte und schüttelte den Kopf.
„Wir beide SIND Auroren“, stellte Tonks klar und das Grinsen im Gesicht des jungen Mannes verstarb auf der Stelle.
Gleich darauf nahm er das Laken am Kopf der bedeckten Person zwischen die Finger und fragte: „Bereit?“
„Meine Güte, nun machen Sie schon endlich“, nörgelte Tonks, die sich noch immer über die Äußerung des Mannes ärgerte.

Stan zog das Laken hinunter und legte den Kopf frei und in diesem Moment zog Tracey erschrocken Luft ein.

„Was?“, fragte Tonks aufgebracht.
Tracey hielt sich eine Hand vor den Mund und erklärte mit bebender Stimme: „Pansy Parkinson!“
„Das heißt…“ Tonks hielt inne und richtete das Wort an Stan: „Wenn Sie uns einen Moment allein lassen würden?“ Stan schaute beleidigt drein, verließ aber die Halle und schloss die Tür hinter sich, damit die beiden genug Privatsphäre hätten.

Nachdem sich Tonks vergewissert hatte, dass niemand zuhören würde, begann sie von vorn: „Das heißt, dass damals bei den Brandopfern nicht nur fälschlicherweise Blaise Zabini, sondern auch Pansy Parkinson allein aufgrund der gefundenen Stäbe für tot erklärt wurden. Da stellen sich jetzt einige Fragen: Wer waren die Toten damals und warum trugen die deren Zauberstäbe?“
„Da wird wohl bald ein alter Fall wiedereröffnet werden müssen“, murmelte Tracey.

Tonks nickte zustimmend, während ihr Blick auf das Gesicht der Toten fiel. Sie hatte schon einige Verstorbene in ihrem Leben sehen müssen, doch an dieser Frau störte sie etwas. Sie hatte jedoch keine Zeit, einen Gedanken daran zu verlieren, denn die Tür wurde erneut geöffnet und eine Frau mittleren Alters trat ein.

„Professor Junot?“, fragte Tonks.
Die Frau lächelte freundlich und begrüßte die beiden per Handschlag, während sie sagte: „Ja, das bin ich. Guten Abend oder soll ich schon ’Gute Nacht’ sagen? Wie kann ich Ihnen weiterhelfen? Der Bericht ist bald fertig, aber nicht vor Morgenmittag, wie Professor Puddle es Ihnen mit seiner verzerrten Wahrnehmung der Realität sicherlich versprochen haben wird.“
„Nein, wir sind nicht wegen des Berichts hier, aber wir möchten wissen, was Sie uns schon über die Leiche erzählen können“, sagte Tonks ganz ehrlich.
„Nun, ein paar Dinge kann ich Ihnen schon sagen. Weder der Magen noch der Darm weist auf eine Nahrungszufuhr hin“, sagte Professor Junot.
Tracey stutzte, bevor sie fragte: „Und was genau heißt das?“
„Ja, wenn ich das wüsste… Sie muss mindestens 24 Stunden vor ihrem Tod nichts gegessen haben, aber das ist gar nicht mal das Seltsamste. Nach meinen Ergebnissen – und die habe ich von einem Kollegen prüfen lassen – ist diese Frau seit ziemlich genau einer Stunde tot“, sagte Professor Junot.
„Das kann nicht sein“, warf Tonks ein. „Vor einer Stunde war sie längst hier im Mungos. Das würde bedeuten, sie wäre hier gestorben, aber wir haben sie vor einigen Stunden schon so aufgefunden.“
„Ja, das habe ich den Akten entnommen, Mrs…“
„Miss Tonks.“
„Miss Tonks“, wiederholte Professor Junot. „Das ist merkwürdig, nicht wahr? Zudem kommt noch hinzu, dass ihr Gefährte, der junge Farbige, Stein und Bein schwört, dass sie nicht tot wäre. Ich für meinen Teil bin das erste Mal in meiner Karriere an meine Grenzen gestoßen. Ich habe Hilfe angefordert. Es gibt da einen ehemaligen Kollegen, der seit geraumer seit im Gunhilda-von-Gorsemoor-Sanatorium arbeitet und der mir sicherlich ein paar Tipps geben kann, aber er kommt erst morgen Früh angereist. Bis dahin…“ Professor Junot hob und senkte die Schultern, um ihre Ahnungslosigkeit zu untermauern.
Mit Panik in der Stimme fragte Tracey: „Oh mein Gott… und wenn sie ein Inferius ist?“
„Blödsinn“, warf Tonks ein.
„Oh nein“, widersprach Professor Junot, „das ist kein Blödsinn, denn das war der erste Gedanke, der mir in den Sinn gekommen war. Ich habe sie auf den schwarzmagischen Fluch prüfen lassen, aber der ist nicht nachgewiesen worden. Für einen Inferius wäre sie auch viel zu träge, meinen Sie nicht?“ Tonks und Tracey warfen sich einen Blick zu, der der Professorin nicht entgangen war, weswegen sie sagte: „Verzeihen Sie bitte, wenn ich ein wenig krude erscheine, aber anders hält man diesen Beruf wohl nicht aus.“
„Warum behauptet der junge Mann wohl, dass sie nicht tot sei?“, stellte Tonks als Frage in den Raum.
Professor Junot zog beide Augenbrauen in die Höhe und spitzte die Lippen, bevor sie laut vermutete: „Er könnte entweder so schwer gestört sein, dass er die Wahrheit nicht erkennt oder…“
„Oder?“, wiederholte Tracey neugierig.
„Oder er hat es selbst erlebt und ist deswegen davon überzeugt.“
Diesmal fragte Tonks: „Was hat er erlebt?“
„Dass diese Frau“, Professor Junot blickte zu der Leiche hinüber, „wieder aufwacht als wäre nichts geschehen.“
„Das ist gruselig“, murmelte Tracey.
„Was ist mit dem Kind?“, fragte Tonks.
„Das Mädchen war auf der Kinderstation und ist vor einer halben Stunde verlegt worden, weil es zu viel Lärm gemacht hat. Es wehrt sich gegen Tränke und Mittel und schreit wie am Spieß nach seinen Eltern“, schilderte Professor Junot. „Möchten Sie sie sehen? Sie schläft bestimmt noch nicht.“ Weil beide nickten, bat die Professorin: „Dann folgen Sie mir, ich werde Sie begleiten.“

Als sie durch die Tür gegangen waren, wurde Stan auf frischer Tat ertappt, wie er gerade einige große Schlucke aus einer Flasche Feuerwhisky nahm. Die Flasche versteckte er so schnell wie möglich hinter seinem Rücken, bevor er den Damen schief zulächelte. Professor Junot schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, äußerte sich jedoch nicht, sondern führte die beiden Besucher aus dem Zimmer hinaus, bevor sie mit ihnen einen Stock höher ging und derweil noch hinzufügte: „Ach ja, die einzigen Wunden, die ich an dem Leichnam ausmachen konnte, sind eine Narbe am rechten Knie, die von einem Sturz herzurühren scheint und eine ungefähr fünf Jahre alte Stichverletzung unterhalb des linken Schulterblattes, die jedoch weder tief noch lebensbedrohlich gewesen war.“

Junot sprach kurz mit einer Schwester, bevor sie Tonks und Tracey in das Zimmer führte, in dem das Mädchen allein eingesperrt war, weil sie sonst ständig weglaufen würde. Die Kleine saß auf dem Boden, obwohl ein weiches Kinderbett und auch ein Tisch mit zwei Stühlen vorhanden waren. Sie spielte mit dem seidenen Hemd, welches sie in Malfoy Manor getragen hatte, denn sie selbst trug jetzt ein weißes Krankenhausnachthemd, welches die Schwestern ihr übergezogen hatten. Die großen dunkelbraunen Augen waren glasig und wirkten hoffnungslos, als sie aufblickte und die drei Frauen betrachtete.

„Hallo Kleines, erinnerst du dich an mich?“, fragte Tonks mit warmer Stimme, während sie näher an das Kind herantrat und sich vor ihm auf den Boden setzte.
„Du hast alles schlimm gemacht“, warf das Mädchen ihr vor. „Ich will zu meiner Mama“, wimmerte sie herzzerreißend.
„Deine Mama wirst du nicht mehr sehen können“, sagte Junot. „Sie ist…“
„Lassen Sie uns allein“, schimpfte Tonks, die nicht ertragen konnte, dass man dem Kind die Situation so herzlos beibringen wollte.

Professor Junot schien nicht gekränkt zu sein, als sie das Zimmer verließ. Tracey hingegen blieb an der Tür stehen und beobachtete Tonks, wie diese etwas aus ihrem Umhang zog und es dem Mädchen reichte.

„Ich glaube, das gehört dir“, sagte Tonks lächelnd. Die Augen des Mädchens funkelten fröhlich und sie nahm das Kinderbuch begeistert an sich.
Während sie die erste Seite aufschlug, sagte sie ganz aufgeregt und sich daher selbst überschlagend: „Meine Mama hat’s mir vorgelesen!“
Tonks wurde stutzig und fragte: „Wann hat sie dir daraus vorgelesen?“
„Na, wenn sie mal aufgewacht ist“, erklärte die Kleine.
„Du hattest gesagt, sie schläft sehr lange“, rief Tonks ihr ins Gedächtnis zurück.

Das Mädchen nickte und schaute sich derweil ein Bild an, auf welchem ein großer schwarzer Bär nach einem Bienenstock griff. Sie blätterte eine Seite weiter und tippte auf den Bär, der in einer Höhle in einem kuschelig aussehenden Bett schlief.

„Mama schläft so lange wie er, hat Papa gesagt“, behauptete das Mädchen und drehte das Buch in seinem Schoß. „Lies vor!“
Tonks nahm das Buch an sich, das das Mädchen ihr entgegenhielt und las laut: „Und nachdem Zottel der Schwarzbär sich an dem vielen Honig satt gegessen hatte, legte er sich für viele Monate schlafen.“ Tonks blickte auf und wiederholte: „Für viele Monate? Warum schläft deine Mama so lange?“
„Papa sagt, das ist wie mit Dornröschen. Mama hat sich gestochen“, das Mädchen piekste sich mit einem Zeigefinger in den anderen, „und ist umgefallen.“ Die Kleine ahmte den Inhalt ihrer Erzählung nach und warf sich auf den Boden, um für einen Moment bewegungslos dazuliegen, bevor sie sich wieder aufrappelte.
„Aber Dornröschen ist mit einem Kuss geweckt worden“, erklärte Tonks spielerisch.
„Dornröschen ist ja auch nur ein Märchen!“, konterte die Kleine sehr selbstbewusst.
„Und deine Mama wacht manchmal einfach so auf?“
Das Mädchen nickte heftig und erklärte freudig: „Sie wacht auf und sagt mir, dass sie mich lieb hat! Manchmal liest sie mir auch vor. Aber das hier“, sie tippe auf das Buch in Tonks Händen, „hat sie noch nie zu Ende gelesen. Sie schläft dabei immer ein.“
„Hat dein Papa dir erzählt, dass deine Mama manchmal aufwacht oder hast du das selbst gesehen?“, wollte Tonks wissen.
Das Mädchen runzelte die Stirn und schien sehr erbost, bevor sie sagte: „Du bist doch schon ein großes Mädchen, warum bist du denn nur so dumm? Ich habe dir doch eben alles erzählt!“

Ein Blick zu Tracy verriet Tonks, dass sie genauso dachte wie sie selbst. „Kindermund tut Wahrheit kund“ besagte eine alte Redewendung und Tonks war davon überzeugt, dass das Mädchen die Wahrheit sagte, wenn auch in ihren eigenen Worten und mit kindlicher Wahrnehmung. Letztendlich hieß das, dass die Tote nicht tot war, sondern unter einem Fluch zu leiden schien, der sie scheintot machte.

„Liest du mir vor?“, wollte das Mädchen wissen, während sie auf das Buch deutete.
„Wenn du mir deinen Namen verrätst“, forderte Tonks spielerisch, doch die Kleine erwiderte nichts, nahm Tonks stattdessen das Buch wieder ab und blätterte darin, gab derweil in ihrer kindlichen Art und Weise den Inhalt des Buches wider, so gut sie ihn noch im Kopf hatte. Ihre Namen verriet sie nicht.

„Warum willst du mir deinen Namen nicht sagen?“, wollte Tonks wissen.
„Na, wenn du meinen Namen weißt, kannst du damit schlimme Sachen machen“, erwiderte die Kleine und Tonks wusste, auf was sie anspielte. Ihr Vater musste ihr von bösen Zaubersprüchen erzählt haben, für die man den Namen des Opfers kennen musste.
„Aber ich würde dir doch nichts tun! Glaubst du etwa…“
Tonks wurde unterbrochen, als das Mädchen gelangweilt mit den Schultern zuckte und klarstellte: „Ich kenne dich ja nicht.“
„Aber ich habe dir meinen Namen gesagt.“
„Hat dein Papa dir nie gesagt, dass du vorsichtig sein musst? Du musst immer auf der Hut sein“, zitierte das Mädchen offensichtlich ihren eigenen Vater.
„Ich sage dir was, Kleine, ich kümmere mich um deinen Papa und eine Mama und dann, wenn es beiden besser geht, dann verrätst du mir deinen Namen“, schlug Tonks lächelnd vor.
„Kannst du Mama gesund machen?“, fragte das Mädchen sehr interessiert.
„Vielleicht“, erwiderte Tonks, die nicht einmal eine Ahnung hatte, an was genau die Mutter leiden konnte, wenn sie denn tatsächlich noch am Leben wäre.
„Liest du mir trotzdem vor?“, wollte die Kleine wissen, als Tonks vom Boden aufstand.
„Ich hole eine Schwester und die liest dir vielleicht was vor, aber nur, wenn du artig bist und danach ins Bett gehst“, versprach Tonks.
Das Mädchen strahlte breit und wollte wissen: „Wenn ich morgen aufwache, ist dann wieder alles gut?“

Tonks schluckte, denn in dieser Hinsicht wollte sie keine Lüge erzählen.

„Ich bemühe mich, aber ich weiß nicht, ob…“
„Schon gut, ich bin trotzdem artig“, versicherte das Mädchen, die vom Boden aufstand und sich geziemt auf das Bett setzte, um auf die Schwester zu warten, die Tonks ins Zimmer schicken wollte.

Mit Leichtigkeit hatte Tonks eine der Schwestern dazu bringen können, dem Kind etwas vorzulesen, damit es schlafen würde. Während die Schwarzhaarige der Schwestern ins Zimmer ging, marschierten Tonks und Tracey erneut in die Leichenhalle und sie trafen abermals auf Stan, der wieder dabei erwischt wurde, wie er Alkohol trank.

„Sagen Sie mal“, sagte Tonks und sie erschreckte Stan damit, so dass er sich verschluckte. Sich daran nicht aufhaltend verlangte Tonks: „Bringen Sie uns nochmal rein. Wir möchten nochmal einen Blick auf die Leiche…“
„Meine Güte“, unterbrach Stan, „bekommen Sie denn nie genug?“
„Sie bekommen offenbar auch nicht genug“, sagte Tracey und deutete mit einem Kopfnicken auf die Flasche Feuerwhisky.

Er öffnete daraufhin kommentarlos die Eisentür und die Tür im Zimmer dahinter, bevor er erneut die Bahre aus der Wand zog und das Tuch entfernte, bevor er sich selbst aus dem Raum entfernte.

Tonks ging ganz nahe an den unbeweglichen Frauenkörper heran und roch an ihm, woraufhin Tracey ganz schwummerig wurde und zu schwanken begann.

„Alles in Ordnung?“, fragte Tonks.
Tracey hielt sich eine Hand auf den Bauch und erwiderte: „Ich müsste eigentlich mal etwas essen, aber ich glaube, ich bekomme nichts runter.“
„Hilft es dir, wenn ich dir sage, dass die ’Leiche’ kein bisschen nach Leiche riecht? Man müsste schon längst etwas bemerken, aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass der Verwesungsprozess nicht einmal begonnen hat! Wir haben hier einen menschlichen Körper, der keine Lebenszeichen aufweist, aber auch keine klaren Anzeichen des Todes. Miss Parkinson ist weder tot noch lebendig und irgendwie stinkt die Sache!“ Tonks blickte zu Tracey hinüber und verbesserte: „Ich meine, der Fall stinkt und nicht etwa…“ Sie deutete auf den Körper von Pansy Parkinson.
„Wenn sie nicht tot ist, dann hat sie hier nichts zu suchen. Die Leichenhalle ist mit Kältezaubern belegt und könnte alles nur noch schlimmer machen“, sagte Tracey besorgt, die sich in diesen mysteriösen Fall hineinversetzte und sich vorstellte, wie es sein müsste, wäre man in Pansys Lage.
„Wir wissen zwar nicht, was genau es ist, aber die Informationen von Professor Junot reichen mir. Es könnte sich um einen Fluch oder Trank handeln, den wir nicht kennen. Sollte sie leben, müssen wir sie wie eine Lebende behandeln.“ Tonks stöhnte, bevor sie hinzufügte: „Das Gespräch mit Professor Puddle stelle ich mir jetzt schon witzig vor.“
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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135 Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm




Schon während des Unterrichts war es Draco nicht entgangen, dass Harry ihn mehrmals eindringlich anblickte und am Ende der Stunde war er nicht überrascht, als er ihn bat: „Mr. Malfoy, wenn Sie einen Moment bleiben würden?“

Nachdem die Schüler den Raum verlassen hatte, fragte Harry auf vertrauter Basis: „Draco, ist das wahr, was ich gehört habe? Wer da bei euch im Haus gewesen war?“
Etwas verdutzt, dass Harry darüber Bescheid zu wissen schien, sagte er nickend: „Ja, Mr. Shacklebolt hat meiner Mutter heute Früh die Nachricht übermittelt, dass man jemanden im Haus gefunden hätte. Sie haben alles gründlich durchsucht und sie könnte Malfoy Manor jetzt wieder beziehen.“
Es war Harry anzusehen und anzuhören, dass er von diesem Thema völlig ergriffen war, als er aufgelöst sagte: „Blaise und Pansy“, er schüttelte den Kopf, „dabei hieß es, die beiden wären tot.“
„Moment“, sagte Draco mit einer stoppenden Handbewegung. „Wieso ’Blaise und Pansy’?“
„Dann hat man euch gar nicht gesagt, WER die Leute waren?“, fragte Harry.

Weil sein Gegenüber den Kopf schüttelte, deutete Harry auf einen leeren Stuhl, auf den Draco sich setzen sollte. Harry selbst nahm direkt neben ihm Platz, beugte sich vor und erzählte: „Ich weiß es von Remus, weil er Tonks die ganze Nacht über beruhigen musste. Sie war völlig erschüttert. Die haben bei euch im Haus Blaise gefunden und ein kleines Kind UND Pansy, die wie tot wäre.“
„Gibt es nicht so etwas wie eine Schweigepflicht, was solche Dinge betrifft?“, fragte Draco erbost, denn es ärgerte ihn, dass man weder ihn noch seine Mutter über Details informiert hatte, dafür aber Harry die interessanten Einzelheiten kannte.
„Willst du Tonks anzeigen, weil sie es Remus und er mir davon erzählt hat, so dass ich jetzt dir davon erzählen kann?“, scherzte Harry.
„Die Parkinsons waren Freunde der Familie und konnten bei uns ein- und ausgehen. Mein Vater hatte dafür gesorgt, damit Pansy mich ohne große Ankündigung auch mal überraschend besuchen konnte“, erklärte Draco. „Aber warum sagst du, sie wäre ’wie tot’? Und was für ein Kind ist das?“
Harry hob und senkte einmal die Schultern, bevor er vermutete: „Vielleicht sind Blaise und Pansy ein Paar?“
Draco hob die Augenbrauen und fragte nüchtern: „Hast du damals mitbekommen, wie Blaise über Mädchen geredet hat? Die mussten außerordentlich hübsch sein, damit er überhaupt Interesse für sie entwickeln konnte. Pansy entspricht nicht gerade seinem bevorzugten Frauenbild.“
„Warst du nicht damals mit ihr zusammen?“, fragte Harry verdutzt.
„Warst du jemals mit Hermine zusammen, nur weil du ständig in ihrer Nähe warst?“, konterte Draco.
„Tut mir Leid, es wirkte so.“
„Blaise und Pansy“, wiederholte Draco flüsternd. „Die beiden in Malfoy Manor… Wenn deren Eltern damals genauso von Todessern ’besucht’ worden waren, damit sie Voldemort unterstützen würden, dann kann ich mir gut vorstellen, dass die zu ihren Kindern gesagt haben, sie sollen das Weite suchen.“ Weil Harry nicht zu verstehen schien, erklärte Draco: „Nachdem ich das Mal angenommen hatte, wurde ich grob in Pläne eingeweiht und die besagten, dass man Zauberer und Hexen genau wie vor zwanzig Jahren aufsuchen wollte, um sie zur Mitarbeit zu bewegen. Viele werden sicherlich aus Angst zugestimmt haben, Voldemort mit Geld oder Informationen dienlich zu sein, aber die, die sich wehren wollten, hätten sicherlich ihre gesamte Familie vorher in Sicherheit gebracht.“

Die Informationen ließ Harry zunächst sacken. Er wusste, dass viele Zauberer und Hexen ihr Leben verlieren mussten, weil sie sich offen gegen Voldemort gestellt hatten. Ganze Familien sind damals ausgelöscht worden. Mrs. Parkinson war bis heute spurlos verschwunden, aber man konnte nie einen Zusammenhang zu Todessern herstellen.

Die Stille unterbrechend fragte Draco nach: „Du sagtest, Pansy wäre wie tot?“
„Tonks weiß nicht genau, was los ist. Blaise und das kleine Mädchen sagen ständig, Pansy wäre nicht tot, aber die Heiler haben ihren Tod festgestellt, auch wenn es da Unstimmigkeiten zu geben scheint.“
„Was denn für Unstimmigkeiten?“, wollte Draco wissen.
„Soweit ich weiß, kann der Zeitpunkt des Todes nicht korrekt festgestellt werden. Die Heiler sagten gestern Nacht, Pansy wäre vor ziemlich genau einer Stunde gestorben, aber Tonks sagt, der Körper wäre schon Stunden vorher bereits in derselben Verfassung gewesen. Das sind die Unstimmigkeiten. Außerdem scheint Pansys Körper sich nicht zu zersetzen. Der Körper scheint tot zu sein, aber er hält sich nicht an die Naturgesetze.“
„Ein Fluch?“, fragte Draco in den Raum hinein.
„Tonks vermutet genau das oder sogar einen Trank, aber man weiß darüber nichts Genaues“, erklärte Harry. „Sie hat trotzdem mit Kingsleys Hilfe durchgesetzt, dass Pansy nicht mehr in der Leichenhalle aufbewahrt, sondern wie eine Patientin behandelt wird. Gab wohl ziemlichen Ärger mit dem Professor, aber Pansy liegt jetzt tatsächlich in einem Krankenzimmer. Die Heiler sollen bei den geringsten Anzeichen von Verwesung Alarm schlagen, aber bisher kam von denen nichts. Sie liegt dort jetzt schon einige Stunden ohne Kühlung, aber an dem Körper verändert sich nichts.“
„Ich hoffe, man findet etwas heraus. Und wenn es ein Fluch oder Trank gewesen war, der diesen Zustand hervorgerufen hat, dann drücke ich die Daumen, dass man ihr helfen kann. Es muss grauenvoll sein, in einem scheinbar toten Körper gefangen zu sein. Was ist mit Blaise?“, fragte Draco.
„Kingsley hatte heute Morgen mit ihm gesprochen und das Gespräch hat ihn wohl sehr von den Socken gehauen. Er meinte, Blaise wäre aus allen Wolken gefallen als er ihm gesagt hätte, der Krieg wäre längst vorbei“, schilderte Harry.

Draco wusste, wie Shacklebolt sich gefühlt haben musste, denn er selbst war sehr bestürzt über die Tatsache, dass Blaise noch Jahre nach dem Krieg in der gleichen Furcht gelebt haben musste.

„Blaise hat sich in unserem Haus versteckt und hat nicht einmal erfahren, dass der Krieg vorüber ist?“, wiederholte er fassungslos, obwohl er sich Harrys bejahender Antwort im Vorfeld längst bewusst war. „Wie lange war er in unserem Haus?“
„Ich weiß es nicht genau. Kingsley wird sich um Blaise und das Kind kümmern“, erklärte Harry. „Ich halte dich auf dem Laufenden, sollte ich noch mehr Einzelheiten erfahren.“ Harry blickte auf die Uhr an der Wand. „Ach herrje, du bist zu spät. Du hast jetzt Verwandlung oder?“ Draco nickte. „Warte einen Moment…“

Mit seiner Feder bewaffnet stürzte sich Harry auf ein Stück Pergament und schrieb etwas nieder, bevor er es faltete und Draco in die Hand drückte.

„Für McGonagall, damit sie dir keine Punkte abzieht. Es ist meine Schuld, dass du zu spät kommen wirst“, erklärte Harry.
Ein wenig überrascht zog Draco beide Augenbrauen und einen Mundwinkel in die Höhe, während er das gefaltete Pergament entgegennahm und auf den Arm nehmend sagte: „Diese Fürsorge… Ich bin beeindruckt, Harry. Es könnte dir völlig egal sein.“ Er meinte es nicht vorwurfsvoll und Harry fasste es so auch nicht auf.
„McGonagall möchte allerdings immer einen triftigen Grund haben, wenn ein Lehrer einen Schüler aufhält. Ich habe geschrieben, dass ich mich mit dir über Nachhilfeunterricht unterhalten habe“, offenbarte Harry.
„Als ob ich Nachhilfe nötig hätte… Das wird sie dir nie glauben!“
„Oh doch, wird sie, denn ich habe geschrieben, dass du dich bereit erklärt hast, einigen Gryffindors und Hufflepuffs Nachhilfe zu geben. Du kannst allein von ihr mit mindestens zwanzig Punkten rechnen, selbst wenn aus dem Projekt nichts werden sollte.“ Harry grinste breit.
„Projekt…?“, fragte Draco verdattert nach.
„Ja sicher, dein Nachhilfe-Projekt, weswegen du nach der Stunde zu mir gekommen bist, um meine Meinung…“
„Wehe, ich schliddere deswegen in etwas rein, das ich später bereuen werde. Ich glaube, du kannst das Schreiben behalten. Lieber lass ich mir Punkte abziehen, anstatt…“
Harry unterbrach Draco und sagte sehr ernst: „Warum denn nicht? Du müsstest nicht einmal viel Zeit investieren. Die Sechst- und Siebentklässler haben dienstags und donnerstags eine Freistunde nach ’Verwandlung’. Die beiden Stunden könnt ihr doch in der Bibliothek nutzen. Du würdest von so einigen Lehrern dafür ganz sicher Punkte bekommen.“
„Ich habe darauf keine…“
Erneut unterbrach Harry, aber keinesfalls barsch, sondern verständnisvoll, denn er sagte: „Was hast du denn schon zu verlieren? Zwei Freistunden die Woche.“

So, wie Harry es erklärte, käme sich Draco schlecht vor, würde er ohne einen guten Grund von der Nachhilfe, die einige Mitschüler tatsächlich nötig hätten, von vornherein Abstand nehmen.

„Ich glaube nicht, dass die sich von mir helfen lassen würden“, sagte Draco skeptisch.
„Na ja“, begann Harry, „es war ein Hufflepuff, der mich gefragt hat, wen ich empfehlen würde, weil er jemanden wegen Nachhilfe in Zaubertränken gesucht hat.“
„Du hast ihm gesagt, er soll zu mir kommen? Warum hat derjenige gerade dich gefragt und nicht Severus?“, wollte Draco wissen.
„Severus wegen solcher Dinge zu fragen kann ein sehr erniedrigendes Erlebnis zur Folge haben und der Schüler wusste das und zur ersten Frage: Ja, ich habe dich genannt. Ich hätte auch Ginny empfohlen, aber ich weiß, dass sie schon eine kleine Gruppe hat, der sie Nachhilfe in Verwandlung gibt.“

Harry beobachtete die Zweifel und das Zögern in Dracos Gesicht, bevor er einen Moment später anfügte: „Der Schüler wird dich selbst aufsuchen. Es war gar nicht geplant, dass ich dir davon erzähle.“

Möglicherweise, dachte Harry, war es ein guter Zug gewesen, Draco Bescheid gegeben zu haben, denn ansonsten würde der wohl, wenn der Schüler ihn unverhofft fragen würde, sofort abgelehnt, ohne darüber nachzudenken. Jetzt, das konnte Harry sehen, versuchte Draco sich mit dieser Idee anzufreunden, Mitschülern Nachhilfe zu geben.

„Wenn ich tatsächlich Nachhilfe geben sollte, dann bist du mir was schuldig“, stellte Draco klar.
Darüber ein wenig baff fragte Harry: „Etwas schuldig?“
Nicht sehr ernst entgegnete Draco: „Entweder benennt ihr euren Erstgeborenen nach mir oder du wirst Taufpate meines Kindes.“
Ein seliges Lächeln ergriff Besitz von Harrys Gesicht, bevor er mit glitzernden Augen sagte: „Ich war noch nie Patenonkel von irgendjemandem. Ich…“ Harry überschlug sich fast. „Draco, ich würde auch so der Pate werden. Ich möchte wirklich…! Das ist fantastisch!“
Jetzt war es Draco, der über Harrys Reaktion perplex war, doch er hatte von Severus gelernt, wie man bestimmte Gefühle überspielen konnte und so riss er sich zusammen und antwortete scherzend: „Das würde aber bedeuten, dass du auch regelmäßigen Kontakt zu meiner Familie haben müsstest.“
„Natürlich! Das weiß ich doch…“ Harry hielt einen Moment inne, bis er verstanden hatte. „Ach, du meinst deinen Vater.“ Er überlegte kurz, sagte dann jedoch sehr enthusiastisch: „Das bekomme ich hin. Kein Problem, damit werde ich fertig.“
„Dann kann ich wirklich mit dir zählen?“
„Ja sicher! Darf ich es schon Ginny sagen oder ist es noch geheim?“, wollte Harry wissen.
Gelangweilt hob und senkte Draco die Schultern und gab so gelassen wie nur möglich von sich: „Du kannst es von mir aus jedem sagen.“
„Das ist super. Ich freue mich wirklich“, sagte Harry. Sein Blick fiel auf die Uhr an der Wand, bevor er mit erschrockenem Gesichtsausdruck sagte: „Geht jetzt lieber, sonst bekomme ICH noch Ärger von Minerva, weil ich dich so lange festgehalten habe.“
„Gut und danke für das Gespräch! Wenn du über Blaise und Pansy mehr erfahren solltest…“
„Ja, ich melde mich dann!“, versicherte Harry, der Draco noch die Tür öffnete und auch hinter ihm wieder schloss.

Einen Augenblick lang blieb Draco auf dem Flur stehen und er ließ die eben stattgefundene Unterhaltung mit Harry in Gedanken Revue passieren. Dann erst wurde er sich klar darüber, was geschehen war – dass Harry der Pate seines Kindes werden würde und der sich darüber auch noch wahnsinnig freute.

„War doch gar nicht so schwer“, flüsterte Draco und lächelte dabei zufrieden in sich hinein.

Im Mungos herrschte zur gleichen Zeit helle Aufregung, nachdem Professor Puddle während des Schichtwechsels vor dem Mittag die Pfleger, Schwestern und Heiler über die neue Patientin informiert hatte. Die Pfleger und Schwestern drohten mit der Niederlegung der Arbeit, wenn die tote Frau nicht wieder dort hingebracht werden würde, wo sie ihrer Meinung nach hingehörte. Der Professor konnte die aufgebrachten Mitarbeiter nur beruhigen, indem er zustimmte, dass es für die Patientin eine Sonderregelung geben sollte. Es sollte nur eine Person für dieses Einzelzimmer zuständig sein und jeder stimmte für eine bestimmte Schwester. Falsche Schmeicheleien, die beinhalteten, dass besonders Marie immer so hervorragende Arbeit leisten würde, wurden nur gemacht, um die eigene Leistung unter den Scheffel zu stellen. Das Schlimmste aber war, dass Marie aufgrund ihrer Erziehung und ihrer inneren Einstellung einfach nicht „nein“ sagen konnte.

„Gut Marie, dann darf ich Ihnen die Patientin anvertrauen?“, fragte Puddle ein wenig fordernd, denn er selbst hatte genug von seinen aufgebrachten Mitarbeitern und da er sich nicht gegen die Anweisungen des Ministeriums sträuben konnte, wollte auch er Marie für diese Aufgabe gewinnen, denn ihr gehorsames Wesen war ihm durchaus bekannt; Marie war herzensgut und daher leicht auszunutzen.
„Wenn niemand anderes…“ Marie seufzte, denn innerlich ging ihr die Aufgabe, sich um eine Leiche zu kümmern, gegen den Strich. „Wenn sich niemand anderes findet, dann mache ich das.“

Die Kollegen gratulierten und versicherten, dass es für diesen Job niemand besseren geben würde als Marie, doch im tiefsten Innern war jeder für sich selbst froh, dass sich ein Dummer gefunden hatte. Auch Marie war sich darüber im Klaren, dass ihre Kollegen so über sie dachten und es verleidete ihr den Spaß an der Arbeit.

„Dann kommen Sie“, sagte Professor Puddle an Marie gerichtet, „ich zeige Ihnen die Patientin.“

Marie folgte ihrem Professor mit einem flauen Gefühl in der Magengegend und dieses Gefühl verstärkte sich nur noch, als sie das Einzelzimmer betrat. Es war unangenehm ruhig im Raum, nachdem Puddle die Tür geschlossen hatte. Kein Atmen oder Schnarchen war zu hören. Erst Puddles Stimme durchbrach die Stille.

Zum Bett deutend erklärte er: „Die ’Dame’ wurde bereits so aufgefunden. Professor Junot hatte sie mit einem weiteren Kollegen untersucht und einzig das Ergebnis, dass dieser Körper nicht verwest, war für das Ministerium Grund genug zu entscheiden, sie wie eine Patientin zu behandeln.“

Puddle blickte Marie an und machte ihr mit einem einzigen Gesichtsausdruck klar, dass er selbst es nicht befürwortete, dieses Zimmer an den im Bett liegenden Fraukörper zu verschwenden.

„Ihre Aufgabe besteht in erster Linie darin, einmal am Tag den Körper zu waschen“, sagte Puddle trocken, woraufhin Marie bemerkte, wie ein kalter Schauer über ihren Rücken lief. „Auf Nahrungszufuhr können wir gänzlich verzichten, denn kein einziges Organ im Körper arbeitet; die Nahrung könnte also gar nicht verwertet werden. Des Weiteren“, Puddle blickte Marie in die Augen, „ist Professor Junot Ihre direkte Ansprechpartnerin. Ich würde es begrüßen, wenn Sie mit Fragen bezüglich dieser ’Patientin’ nicht zu mir kämen.“

Ihrem Professor hätte Marie am liebsten einen Kinnhaken verpasst, aber sie war viel zu anständig erzogen, um sich dermaßen daneben zu benehmen.

„Ich wette, dass sie“, Puddle deutete mit einem Nicken zur Leiche hinüber, „eine sehr vorbildliche Patientin abgeben wird. Sie wird nicht um Unterhaltungen bitten, keinen Dreck machen und schon gar nicht über das Krankenhausessen nörgeln.“

Maries rechte Hand ballte sich zur Faust, doch dabei blieb es, bis Puddle sie allein ließ. Es war ihr unverständlich, dass der Professor einer toten Frau gegenüber so wenig Respekt entgegenbrachte, aber andererseits fragte sie sich, warum es bei einer Toten anders aussehen sollte, wenn er schon Lebende oftmals respektlos behandelte.

Während ihrer Arbeit stellte sich Marie vor, dass sie eine Patientin ähnlich wie den jungen Mann in Mr. Malfoys Zimmer vor sich hatte; jemand, der nicht bei sich war. Um diese Vorstellung nicht zu beeinträchtigen vermied sie es, der jungen Frau ins Gesicht zu sehen, während sie Zaubersprüche anwandte und wenige Stellen auf Muggelart reinigte.

Als sie mit ihrer Arbeit fertig war, atmete sie erleichtert aus und dachte, dass es so schlimm gar nicht gewesen war. Trotzdem ärgerte sie sich darüber, den Schwarzen Peter bekommen zu haben. Ihren Kollegen und dem Professor würde sie es eines Tages noch zeigen, doch jetzt – und da freute sich Marie schon drauf – würde sie sich in Mr. Malfoys Zimmer begeben und während sie sich um das Bett des jungen Mannes kümmerte, würde Mr. Malfoy sie bestimmt mit einigen Anekdoten ein wenig aufheitern.

In Hogwarts während des Mittagessens – Severus’ Platz war leer – setzte sich Harry direkt neben Hermine. Er beugte sich vor und fragte: „Hast du schon gehört, wer…?“
„Ja“, sagte sie überraschenderweise, „Blaise, Pansy und ein Kind sind in Malfoy Manor gefunden worden.“
Verblüfft wollte Harry wissen: „Woher…?“
Seine Frage brauchte er nicht zu beenden, denn sie erklärte bereits: „Ich habe ehemalige Kollegen im Mungos, mit denen ich noch Kontakt habe. So ein Fall spricht sich doch sofort rum, Harry.“
„Hast du denn auch schon eine Ahnung, an was Pansy leiden könnte?“ Nebenbei bediente er sich an der Platte mit dem Sauerbraten.
„Wieso? Was hat sie denn?“
„Was? Darüber bist du nicht informiert worden? Wundert mich ehrlich gesagt, denn das ist doch das Interessanteste“, sagte Harry in die Länge ziehend, denn er triumphierte darüber, dass er doch mehr wusste als Hermine.
„Und sagst du es mir auch?“ Sie hatte extra sehr gelangweilt geklungen.
Er schenkte sich ein Glas Kürbissaft ein und erzählte nebenher: „Pansy ist wie tot. Keine Lebenszeichen und doch ist sie nicht tot, weil sie nicht verwest.“
„Ach du meine Güte, ich denke nicht, dass das ein Thema ist, über das ich mich während des Mittagessens unterhalten möchte.“ Hermine betrachtete das Stück Fleisch an ihrer Gabel und verzog dabei das Gesicht.

Um das Thema zu wechseln erzählte Harry von dem Gespräch mit Draco.

„Du ahnst es nicht, wer mich heute zum Patenonkel seines Kindes gemacht hat!“
Mit ganz großen Augen blickte sie ihn an, bevor sie ihrer Freude mit einem unterdrückten und sehr leisen Schrei Ausdruck verlieh und vermutete: „Luna und Neville?“
„Wie kommst du bitteschön auf Luna und Neville?“ Harry erlaubte sich einen Scherz, indem er mit vorgetäuscht schockierter Miene flüsterte: „Die beiden haben doch nicht etwa Sex?“ Sie knuffte ihn am Arm, so dass anfangen musste zu lachen. „Nein, ich meine nicht Luna und Neville. Ich meine Draco! Ich werde Patenonkel von Susans und Dracos Kind!“

Es war nicht zu übersehen, dass Hermine darüber nicht nur erstaunt, sondern auch hocherfreut war.

„Das ist wirklich schön, Harry. Symbolisch gesehen reicht dir dein Erzfeind damit die Hand.“
„Draco sehe ich schon lange nicht mehr als Erzfeind, Hermine“, stellte Harry klar.
„Aber vielleicht sieht er das ja auf diese sinnbildliche Art? Möglicherweise bedeutet es ihm viel mehr als dir, dass du der Patenonkel seines Kindes werden wirst. Ich weiß, dass besonders in alteingesessenen Zaubererfamilien – und die Malfoys gehören dazu – solche Entscheidungen wie die Ernennung eines Taufpaten nicht leicht getroffen werden.“
„Es schien mir eher wie ein spontane Entscheidung von Draco“, murmelte Harry stirnrunzelnd, doch andererseits könnte es durchaus Dracos Absicht gewesen sein, es so ungeplant wirken zu lassen.

„Was ist mit Severus? Er war seit Ewigkeiten nicht mehr zum Essen in der großen Halle. Ich hoffe, es geht ihm gut?“ Mit besorgter Miene riskierte Harry einen Blick auf seine beste Freundin, denn er wusste genau, dass sie sich ebenfalls große Sorgen machte.
„Er spricht kaum mit mir und er verabschiedet sich meistens, bevor wir mit einem Projekt fertig sind, weil er müde ist. Ich glaube, er isst kaum noch etwas, aber zumindest vernachlässigt er seinen Hund nicht mehr.“ In Gedanken fügte sie hinzu: ’Und sich selbst.’
„Ich hoffe, er nimmt deine Pastillen. Die haben mir damals wirklich geholfen.“
„Neville sagt, dass der Liebstöckel und das Johanniskraut wunderbar gedeihen. Ich denke, ich werde spätestens in drei, vier Tagen mit dem Brauen beginnen können.“ Sie wandte sich Harry zu und fragte sehr interessiert und breit lächelnd: „Wie sieht es mit eurer Hochzeitsplanung aus?“
„Ginny möchte gern vor den Traualtar treten, wenn es warm ist. Ihr Lieblingsmonat wäre Juni. Da herrschen wenigstens noch keine Temperaturen, bei denen man bereits ins Schwitzen kommt, obwohl man keinen einzigen Finger krumm macht.“
„Juni klingt schön“, sagte Hermine verträumt und ein wenig sehnsüchtig. „Ron hatte auch mal gesagt, dass der Juni…“ Sie hielt inne und wandte ihren Blick von Harry ab, der sehr wohl wusste, dass sie sich eine eigene Familie wünschte. Oft genug hatte Hermine zusammen mit all den gemeinsamen Freunden von einem schönen Leben nach dem Krieg geschwärmt, während man um ein Lagerfeuer herumgesessen hatte und jede Minute mit einem Angriff rechnen musste. Jeder hatte seine persönliche Vorstellung von einer eigentlich unsicheren Zukunft schöngefärbt und den Freunden das ideale Leben – wie man es sich wünschen würde – in den schillerndsten Farben geschildert. Den schlimmen Gedanken daran, jede Minute das Leben verlieren zu können, wollte man damit den Garaus machen.

In der Woche vor Weihnachten besuchte Hermine ganz alleine Hogsmeade und sie schürte den Hoffnungsschimmer, passende Geschenke zu finden, die sie jedoch, wie sie es geahnt hatte, nicht mehr per Eule oder über das Flohnetz bestellen konnte, weil sie mit allen Lieferungen erst nach den Feiertagen rechnen müsste. Sie könnte heute bei Zonkos einige Scherzartikel oder aus dem Honigtopf ein paar Süßigkeiten besorgen, aber das alles widersprach ihrer Überzeugung, zu Weihnachten nur Dinge zu verschenken, über die sich die Menschen auch freuen würden. Zauberutensilien von Derwisch und Banges waren auch nicht gerade das, nach was sie suchte. Die entnervte Hermine machte es sich nach einem zweistündigem Bummel leicht und besorgte Gutscheine, die den Beschenkten erlauben sollten, sich zu Weihnachten selbst etwas auszusuchen, auch wenn diese Lösung in ihren Augen noch immer sehr lieblos schien.

In den Drei Besen kehrte sie für ein Mittagessen ein und da wenig zu tun war, leistete Remus ihr nach Absprache mit Rosmerta Gesellschaft.

„Na, noch ein paar Weihnachtseinkäufe erledigt?“ Er lächelte freundlich und setzte sich zu ihr an den Tisch, nachdem er ihr und sich selbst das dampfende Mittagessen serviert hatte.
„Wenn ich das mal nur erledigt hätte.“ Sie stöhnte genervt. „Irgendwie habe ich dieses Jahr völlig die Zeit vergessen. Ich hoffe nicht, dass meine Geschenke enttäuschen. Dürften sie eigentlich nicht, denn jeder wird sich selbst etwas aussuchen können.“
„Du würdest niemanden enttäuschen, Hermine, selbst wenn du gar nichts verschenken würdest. Man braucht kein Fest wie Weihnachten, um seinen Freunden eine Freude zu machen und es muss auch kein Geschenk sein.“ Remus schaute auf den Hirschbraten auf seinem Teller und sagte: „Es reicht, wenn man eine schöne Zeit mit seinen Freunden verbringt.“ Er blinzelte ihr zu, um ihr das schlechte Gewissen zu nehmen.
„Und wenn…“

Hermine hielt inne, als die Tür zu den Drei Besen aufgeschlagen wurde und sie zeitgleich mit Remus einen Mann beobachtete, der noch einen Blick hinauswarf, bevor er die Tür hinter sich zuschlug. Zu einem der anderen wenigen Gäste, den er zu kennen schien, murmelte der Mann etwas von einer „armen Irren“. Wenige Sekunden später hörte man von draußen eine krächzende Stimme, die Hermine irgendwie bekannt vorkam.

„Was ist denn da los?“ Den Kopf streckend versuchte Remus, etwas durch die Fenster hindurch zu erkennen, doch die Scheiben waren zu sehr beschlagen.

Eine weiterer Passant kam eilig durch die Tür und schlug sie hinter sich zu als wäre ihm der Teufel persönlich auf den Fersen. Er schaute zu Rosmerta hinüber, deutete auf die Tür oder besser die Person, die sich hinter ihr befinden musste und zeigte diesem jemand in Abwesenheit einen Vogel.

„Das schau ich mir mal an“, sagte Remus und verließ seinen Platz. Neugierig folgte ihm Hermine bis zur Tür, doch von dem letzten Herrn, der die Gaststube betreten hatte, wurde Remus freundlich gewarnt.
„Ich würde nicht rausgehen“, sagte der Mann murmelnd, weil ihm sein Schal noch über dem Mund lag. Er entfernte ihn und zog sich auch die warme Mütze vom Kopf, bevor er erklärte: „Die Alte ist draußen und macht wieder mal die Pferde scheu.“
Rosmerta schaltete sich ein. „Welche Alte?“
Der Gast zog sich noch den dicken Winterumhang aus und erklärte, während er den Umhang an der Garderobe aufhängte: „Die Alte aus der Hexenhütte. Die läuft hier rum und spricht jeden an, den sie auf der Straße findet.“
Abwinkend sagte Rosmerta: „Macht sie das nicht mindestens einmal im Jahr?“ Sie nahm gleich die Bestellung der neuen Gäste entgegen, während Remus und Hermine sich anschauten. Beiden konnte man die Neugier aus dem Gesicht ablesen.

„Ich geh mal raus“, sagte Hermine unerwartet, bevor sie sich ihren Umhang überwarf. Remus begleitete sie und kaum waren sie vor die Tür gegangen, sahen sie eine alte Vettel, die zwei der wenigen noch auf der Straße verweilenden Menschen, die sich noch nicht vor ihr in Sicherheit gebracht hatten, ansprach. Die alte Frau schien sehr aufgebracht und durcheinander. Sie fuchtelte mit ihren Armen und wollte anscheinend vor etwas warnen, doch der Mann und seine Frau liefen immer schneller davon, so dass die Alte nicht mehr folgen konnte. Hermine und Remus wollten hören, was sie zu sagen hatte.

Als sie sich ihr näherten, hörten sie die alte Frau einem bereits nach Weite suchenden Passanten nachrufen: „Und wenn ich es doch sage: Die sind hier! Sie stürmen das Dorf!“
„Gute Frau“, begann Remus beruhigend, „was für ein Problem gibt es?“

Die Alte drehte sich um und Hermine erkannte sie als jene Sabberhexe wieder, bei der sie sich vor einiger Zeit eine Unterkunft angesehen hatte.

„Sie kommen aus dem Stein und kundschaften die Gegend aus. Taucht plötzlich bei meinem Haus auf, das Gesindel und späht durch meine Fenster hindurch!“ Die alte Frau atmete heftig und regte sich fürchterlich auf.
„Von wem reden Sie?“, fragte Hermine.
Die Alte wandte ihren Blick von Remus ab und fixierte Hermine, indem sie die Augen zu schmalen Schlitzen zusammenkniff, bevor sie vorwurfsvoll fragte: „Wollten Sie sich nicht bei mir wegen des Appartements melden?“
Ein wenig verdutzt über diese Bemerkung erklärte Hermine: „Wenn ich es genommen hätte, hätte ich mich gemeldet.“ Sie ignorierte Remus’ fragenden Blick und wollte erneut von der Frau wissen: „Wen meinen Sie mit Gesindel? Wer stürmt das Dorf?“
„Diese Muggel! Habe sie gesehen. Kann die Stelle zeigen!“

Die Alte ginge bereits voran, während Remus und Hermine sich fragten, ob sie die Sabberhexe besser ignorieren oder ihr doch lieber folgen sollten.

„Gehen wir?“ Es war an Hermines Augen zu erkennen, dass sie nur der Hexe nachgehen wollte, wenn Remus sie begleiten würde.
Remus seufzte einmal, sagte jedoch: „Gehen wir! Vielleicht erfahren wir ja etwas Neues. Möglicherweise sagt die Frau die Wahrheit und es sind Muggel in der Nähe.“

Remus und Hermine ließen die Hexe nicht lange warten, doch sie gingen nicht mit der alten Frau zusammen, denn die legte Wert darauf, einige Meter voranzugehen. Die Sabberhexe war halbwegs gut zu Fuß, obwohl sie damals schon beim Treppensteigen im eigenen Haus Geräusche von sich gegeben hatte, die auf totale Erschöpfung hinwiesen. Hier draußen bewegte sie sich sehr flink, wenn auch durch ihren Buckel leicht gebeugt und Remus staunte nicht schlecht, als er die Gegend mit einem Male wiedererkannte.

„Hier bin ich das erste Mal über die Fußspuren und die Dose gestolpert“, rief er Hermine ins Gedächtnis zurück, während er mit einem Zeigefinger in die ungefähre Richtung deutete. Als er der Sabberhexe nachschaute, fügte er noch hinzu: „Und sie geht zum Fluss, wo wir die Fußspuren verloren hatte.“
„Wir?“ Hermine blickte ihn fragend an, bevor ihr ein Licht aufging. „Ah, du meinst Severus.“ Remus nickte.

Langsam näherten sie sich dem Fluss. Durch die Feuchtigkeit war ganz in der Nähe des Wassers der Schnee geschmolzen, weswegen Fußspuren sich nicht mehr auf dem sehr steinreichen Boden abzeichnen konnten. Die Alte ging nahe am Fluss entlang bis zu einer Felswand, die vom langsam fließenden Wasser umspült wurde. Plötzlich tauchte noch jemand auf und derjenige hatte ähnlich wie Alastor ein missgestaltetes Gesicht. Hermines Ahnung, um wen es sich bei dem Mann handeln konnte, bestätigte sich, als die Sabberhexe zu ihm sprach.

„Hast du sie verfolgt, Junge?“, fragte die Alte ihren Sohn sehr interessiert.
„Ja Mutter.“ Der Mann mittleren Alters blickte verlegen auf den Boden, nachdem er Hermine und Remus bemerkt hatte. Es schien ihm unangenehm zu sein, dass man ihn und sein abscheuliches Antlitz bei Tageslicht betrachten konnte.
„Wohin? Wo sind sie hin?“, fragte die Alte sehr erregt.
Remus ließ sich von Äußerlichkeiten nicht abschrecken. Er wollte sich einige Informationen verschaffen und fragte den Fremden daher: „Wen haben Sie bis hierhin verfolgt?“
„Muggel“, sagte der entstellte Mann, der alles tat, damit man ihm nicht ins Gesicht sehen konnte. „Die sind um unser Haus geschlichen; dachten wohl, es wäre nicht bewohnt.“

Hermine konnte sehr gut nachvollziehen, warum jemand so über das Haus der Sabberhexe denken könnte.

„Ich habe sie aufgeschreckt“, schilderte der Mann zurückhaltend. „Sie sind weggelaufen, sind nicht appariert. Ich bin ihnen nachgegangen.“ Die Information, dass die Männer nicht appariert wären, ließ tatsächlich auf Muggel schließen.
„Sie sind denen bis hierher gefolgt? Wo sind sie dann hin? Sie können sich kaum in Luft aufgelöst haben, es sei denn, es waren doch Zauberer“, sagte Remus weniger ernst.
„Nein nein, hier ist ein Eingang. Ich habe einen Eingang…“ Der Mann redete nicht weiter sondern schlug einfach mit der flachen Hand gegen die Felswand vor sich.

Sich der Wand nähernd begutachtete Remus das Gestein, doch der Mann neben ihm sagte: „Nein, nicht hier. Auf der anderen Seite.“

Man müsste ein wenig durch den Fluss waten, um die Felswand zu umgehen.

„Gleich einmal hier herum“, sagte der Mann und deutete mit seinem Finger auf den Fluss und um die Gesteinswand herum.
„Ich werde mal nachsehen.“
„Warte, ich komme mit.“ Alleine wollte sie ihn nicht gehen lassen, falls die Muggel noch in der Nähe sein würden.
„Du gehst auch mit, Junge“, befahl die Alte ihrem Sohn, der ohne zu Murren gehorchte, auch wenn er sehr unsicher wirkte.

Jeder schützte mit einem Zauberspruch seine Hosenbeine, bevor Remus den Anfang machte und den langsam laufenden Fluss betrat. Er hielt sich an der Felswand fest und wählte seine Schritte mit Bedacht.

„Aufpassen, es ist glitschig“, gab er als Warnung zum Besten, obwohl er gleich darauf selbst fast ausgerutscht wäre.

Der Mann folgte ihm und gleich darauf betrat auch Hermine das Wasser. Es dauerte keine drei Minuten, da hatten sie auf der anderen Seite der Felswand wieder ein wenig festen Boden unter den Füßen, wenn auch nicht sehr viel.

„Dort“, sagte der Mann und deutete auf einen dichten, aber blätterlosen Strauch im Schatten.

Mit seinem Zauberstab bog Remus die Äste des Busches magisch zur Seite, womit er den Eingang einer Höhle freilegte.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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„Warum so aufgebracht?“

Nach dem Unterrichtstag war Harry in einem Gang auf Draco getroffen, der sehr übelgelaunt aussah, weswegen er ihn angesprochen hatte.

„Wegen dir“, sagte Draco mit dem Zeigefinger drohend, „bin ich auf die Nachhilfe festgenagelt worden!“
„Wieso, was ist denn geschehen?“
„McGonagall hat gleich, nachdem ich ihr dein Schreiben gegeben habe, das Wort an die Schüler gerichtet und jeden darüber informiert, dass er wegen Nachhilfe in Zaubertränken mit mir reden soll.“
„Hast du Punkte bekommen?“, wollte Harry wissen.
„Dreißig, aber darum geht es überhaupt nicht! Ich wollte nie Nachhilfe geben und…“ Draco seufzte und verkniff sich weitere Kommentare.
„Das ist doch aber kein Beinbruch“, beruhigte Harry ihn, der längst darüber informiert war, dass nicht nur Minerva, sondern auch Pomona und sogar Severus Punkte an Draco vergeben hatten, weil es ein so vorbildliches Verhalten darstellte, seinen Mitschülern aus freien Stücken Hilfe anzubieten. So könnte Draco wenigstens einige Punkte, die er wegen seines Kostüms zu Halloween verloren hatte, für sein Haus wieder zurückgewinnen, doch viel wichtiger war, dass er sich den Mitschülern gegenüber von einer anderen Seite zeigen könnte.

Hinter Harry bemerkte Draco einen aufgebrachten Severus, der sich unhörbar, aber zielstrebig den beiden näherte. Als Harry völlig unvermittelt die leise Stimme seines Kollegen vernahm, zuckte er erschrocken zusammen, denn er hatte ihn nicht bemerkt.

„Wo ist Miss Granger?“ Severus war mürrisch, was man nicht nur an seiner Miene erkennen konnte, sondern auch an seinem Tonfall, denn er hatte böse gezischt.
Auf seine Uhr schauend sagte Harry aufheiternd: „Um diese Zeit würde ich sagen, ist sie in Ihrem Labor.“
Ein fieser Blick, der Harry zeigen sollte, dass er wohl nicht fragen würde, hätte er nicht längst im Labor nachgesehen, läutete Severus’ verbale Forderung ein, denn er verlangte: „Sagen Sie ihr Bescheid, dass sie heute nicht mehr zu mir kommen braucht, wenn sie schon von Anfang an fernbleibt.“
„Vielleicht sehe ich sie heute aber gar nicht mehr“, stellte Harry klar, denn er weigerte sich, Botenjunge für Severus zu spielen.

Nach einem weiteren finsteren Blick ließ Severus die beiden jungen Männer kommentarlos im Gang stehen. Beide schauten ihm erst entgeistert hinterher, bevor sie sich gegenseitig fragend anblickten.

Gerade heute, wo Severus sich aufgerafft hatte, endlich mal wieder ein wenig enthusiastischer an die Arbeit zu gehen, glänzte Hermine mit Abwesenheit und darüber hinaus war sie unauffindbar. Natürlich hatte er erst im Labor nachgesehen, gleich darauf war er in den vierten Stock marschiert, um bei ihr zu klopfen. Er hatte sich sogar, weil sie ihr Passwort nach dem Umzug nicht geändert hatte, Zutritt zu ihren Räumlichkeiten verschafft, doch dort hatte er niemanden angetroffen, nicht einmal den Kniesel.

Für einen Moment hatte er an der Glastür ihres Balkons gestanden, um sich die Landschaft anzusehen, die ihm von hier oben so fremd vorkam. Derweil ließ er seine Gedanken ziellos in seinem Kopf umherkreisen, um die Sorge beiseitezudrängen. Es war nicht ihre Art, grundlos zu fehlen. Überall hatte er nachgeschaut – auf seinem Pult im Labor, auf dem Schreibtisch im Büro, selbst auf dem Nachttisch im Schlafzimmer – aber er hatte keine Notiz von ihr gefunden, die erklären würde, warum sie nicht gekommen war. Sie schrieb sonst immer Notizen, dachte Severus.

Nachdem auch Harry ihm keinen Hinweis auf den Verbleib seiner Schülerin hatte geben können, machte Severus sich nicht zurück auf den Weg in die Kerker, sondern entschied sich dafür, dem Dachboden einen kurzen Besuch abzustatten. Albus hatte ihm auferlegt, dann und wann ein Auge auf den kleinen Schatz zu werfen, den der Direktor in den höchsten Zinnen von Hogwarts aufbewahrte.

Während Severus vor Nerhegeb stand und sich nach dem sehnte, was ihm gezeigt wurde, betrat Hermine hastig das Schulgelände und sie war währenddessen schon ganz aus der Puste. An Schülern vorbei, die ihr neugierige Blicke zuwarfen, eilte sie so schnell wie möglich zum Büro des Direktors. Mit Remus hatte sie ausgemacht, dass er Arthur und die Auroren benachrichtigen würde, während sie Albus darüber informieren wollte, was sie in der Höhle gefunden hatte.

Womit sie nicht gerechnet hatte, war, dass nicht nur Albus sie im Büro erwartete, sondern auch Arthur und Remus, die kurzfristig entschlossen haben mussten, gemeinsam über die Bedrohung zu reden.

„Was habt ihr gefunden?“, fragte Arthur überstürzt.
Remus und Albus blickten zu Hermine hinüber, die gewissenhaft antwortete: „Kisten, jede Menge Kisten mit Handgranaten, die viel weiter hinten in der Höhle verstaut worden sind!“

Mit wenigen Worten erklärte sie, wozu Menschen so etwas gebrauchen würden.

„Bei Merlin!“ Arthur war kreidebleich im Gesicht. „Wir müssen das fortschaffen und…“
„Nein, wir können die Kisten nicht einfach mit Zaubersprüchen bombardieren; wer weiß, was dabei geschehen kann. Da muss ein Spezialtrupp ran, der sich um die Entsorgung kümmert. Sollte auch nur eine von denen hochgehen, dann wird es eine Kettenreaktion geben!“ Direkt an Arthur gewandt empfahl sie ihm: „Sagen Sie dem Muggelpremier Bescheid, dass er Sprengstoffexperten schicken soll, die sich drum kümmern. Mir wäre wohler bei dem Gedanken, keine Auroren dafür einzusetzen.“
„Habt ihr noch etwas gefunden?“, wollte dieses Mal Albus wissen, dessen Miene durch Ernsthaftigkeiten gezeichnet war.
Remus hielt mit einer Antwort nicht zurück. „Nein, mehr war dort nicht bis auf die Kisten und ein wenig Müll, aber der Gang ist sehr lang. Wir wollten nicht auf eigene Faust nachsehen, ohne jemandem vorher Bescheid zu geben. Ich habe einen Spähzauber vorangeschickt und wir können mit mehreren Kilometern rechnen, die der Gang unterirdisch verläuft.“
„Sollen wir Hogwarts schließen?“, fragte Arthur, der von den Neuigkeiten so ergriffen war, dass seine Stimme zitterte.
Albus schüttelte den Kopf und erklärte: „Es werden nur vier Kinder und einige Lehrer die Weihnachtsferien über hier bleiben. Die restlichen Schüler reisen morgen zu ihren Familien.“ Er hob den Blick und fixierte Arthur, bevor er forderte: „Der Bahnhof muss gesichert werden! Am besten schon heute, bis wir in der Frühe mit den Kutschen kommen. Ich werde die Schüler persönlich nach Hogsmeade begleiten!“
„Ich werde heute noch einen Auroren-Trupp herschicken“, versicherte Arthur aufgebracht.
„Sollen wir die Schüler und Lehrer warnen?“ Man hatte beinahe vergessen, dass sich auch Hermine im Büro befand.
Einen langen Moment ging Albus in sich, bis er die Gegenfrage stellte: „Ließen sich Personen nicht viel besser beschützen, wenn sie nicht wüssten, dass man ein Auge auf sie geworfen hat?“

Es war eindeutig, dass Albus davon abriet und Hermine musste innerlich zustimmen. Menschen, die von einer drohenden Gefahr wussten, besonders wenn es sich bei ihnen um Kinder handelte, könnten in Panik geraten oder durch Übervorsicht Schaden erleiden.

Albus entschied, den Schülern nichts von alldem zu berichten, versicherte jedoch: „Dem Lehrpersonal werde ich Bescheid geben.“
„Keine Sorge wegen Morgen“, sagte Arthur, „ich werden fünfzig Auroren bereitstellen.“

Erleichtert atmete Hermine aus.

Die Lehrer hatte man noch am gleichen Tag darüber informiert, dass die Gefahr bestünde, mit einem Angriff von verblendeten Muggeln konfrontiert zu werden. Severus war der Erste gewesen, der sich freiwillig dazu bereit erklärt hatte, die Schüler nach Hogsmeade zu begleiten. Für Hermine, die die Versammlung ebenfalls besucht hatte, schien es so, als würde diese Situation ihn aus seiner Lethargie reißen, weswegen sie sein Hilfsangebot innerlich guthieß. Was sie gar nicht guthieß, war seine bevormundende Art, denn er wollte ihr, nachdem beide die Lehrerversammlung verlassen und sich ins Labor begeben hatten, verbieten, die Schüler am morgigen Tag ebenfalls zum Bahnhof zu begleiten.

„Das gehört überhaupt nicht zu Ihren Aufgaben!“ Severus machte deutlich, dass sie sich als seine private Schülerin nicht um die Schüler Hogwarts’ zu scheren hatte.
„Und wenn ich in meiner ’Freizeit’ zum Bahnhof gehen will oder Remus in den Drei Besen besuchen möchte? Wollen Sie mir das auch verbieten?“
„Sie haben Aufgaben, die Sie erledigen müssen! Laut Vertrag sind Sie dazu verpflichtet, Ihre Freizeit zum Lernen zur Verfügung zu stellen“, machte er ihr besserwisserisch klar.
„Ich kenne den Vertrag! Da steht nicht drin, dass ich mich Tag und Nacht für die Lehre opfern muss und schon gar nicht wird erwähnt, dass Sie uneingeschränkt darüber verfügen können, wie ich meine Freizeit zu gestalten habe!“

Sie hatte sich in Rage geredet, was ihn nur noch wütender machte.

„Sie bleiben hier! Das ist mein letztes Wort und jetzt halten Sie Ihren vorlauten Mund!“, befahl er angriffslustig.
„Das hätten Sie wohl gern, aber in solchen Angelegenheiten haben Sie weder das letzte Wort noch können Sie mir den Mund verbieten!“
Severus kniff seine Augen zu engen Schlitzen zusammen und sagte mit aggressiv säuselnder Stimme sehr bedrohlich klingend: „Sie werden nicht gehen!“
„Ich fasse es nicht“, sagte sie ungläubig. „Was verstehen Sie nicht daran, dass das nicht Ihre Angelegenheit ist?“

Er ging zu einem Schrank hinüber und entfernte einige Schutzzauber, bevor er ein dickes Buch entnahm und es ihr in die Hand drückte.

„Ich erwarte, dass Sie bis morgen Nachmittag mindestens die Hälfe gelesen haben!“
Hermine schüttelte perplex den Kopf, bevor sie seinen Plan durchschaute und ihn mit eigenen Worten widergab: „Jetzt wollen Sie mir irgendeine Aufgabe aufdrücken, um mich davon abzuhalten?“
Während er Zaubertrankzutaten betrachtete, warf er völlig gelassen mit öliger Stimme ein: „Wenn Sie diese Aufgabe nicht bewältigt haben, werde ich den Ausbildungsvertrag mangels Kooperation ihrerseits beenden.“
Vor Wut fast platzend wies sie ihn zurecht: „Damit werden Sie nicht durchkommen! Was ist das nur für eine Art, Severus? Ich dachte, wir würden gut miteinander auskommen, aber nein… Sie machen es einem unmöglich, Sie sympathisch finden zu wollen!“
„Überraschend, nicht wahr?“ Er grinste schmierig.
Gereizt sagte sie in den Raum hinein: „Ich frage mich wirklich, warum ich die Stelle bei Ihnen überhaupt angenommen habe?“ Aufgeregt lief sie auf und ab, bevor sie sich ihm zuwandte. „Sie sind genauso unausstehlich wie früher! Für einige Zeit dachte ich wirklich, Sie würden mich mit anderen Augen sehen, aber ich habe mich ganz offensichtlich geirrt.“
„So etwas kommt in den besten Familien vor“, beschwichtigte er mit provozierend herablassendem Unterton.
„Sie…“

Dieser Moment eröffnete sich ihr als jener, in welchem sie überreagierte und es machte ihr nicht einmal etwas aus.

„Sie halten meine Abstammung da schön raus, Severus!“
„Oder was…?“
„Sie sind genauso wenig reinblütig wie ich; immerhin war Ihr Vater ein Muggel! Wie haben Sie es mit Ihrer Abstammung eigentlich geschafft, sich in den Reihen der so geachteten Reinblüterfamilien zu etablieren?“ Sie hatte absichtlich auf seine Zeit als Todesser angespielt.
Gelangweilt zog er eine Augenbraue in die Höhe, bevor er erwiderte: „Mit Charme?“

Verachtend schnaufte Hermine, während sich ihre Hände zu Fäusten ballten.

„Sicher! Sie haben ja bewiesen, dass Sie mit Ihrer ’charmanten Art’ jederzeit und überall Freundschaften schließen können“, giftete sie ihn an.
„Wir kommen vom Thema ab.“ Er klang äußerst gelassen, geradezu gleichgültig.
„Ich werde morgen mitgehen“, murmelte Hermine, bevor sie sich einige Phiolen an den Tisch holte.
Genervt seufzte Severus, bevor er ehrlich interessiert fragte: „Warum wollen Sie morgen mitkommen? Sie könnten im schlimmsten Fall Ihr Leben verlieren, sollten tatsächlich Muggel angreifen.“
„Warum wollen Sie dann unbedingt morgen mitgehen?“, stellte sie als Gegenfrage und ganz plötzlich überkam sie ein ungutes Gefühl, welches man an ihrem Gesichtsausdruck ablesen konnte, denn der war erst fragend, dann entsetzt. „Es würde Ihnen nichts ausmachen“, sagte sie flüstern, „wenn Sie Ihr Leben einbüßen müssten.“

Severus konnte nicht antworten, weil er viel zu irritiert darüber war, wie sie seine Aussage gedeutet hatte. Sein Schweigen war für sie allerdings Grund genug, ihre Vermutung bestätigt zu glauben.

Ruhig und leise richtete sie das Wort an ihn. „Das ist keine Lösung, Severus.“
Mit bedrohlichem Zischen machte er sich über sie lustig, indem er sagte: „Betätigen Sie sich mit Ihrem Halbwissen jetzt auch noch als Hobbypsychologin? Sie kennen mich überhaupt nicht, also hören Sie auf mich analysieren zu wollen!“
„Oh, ich glaube, ich kenne Sie ganz gut“, verteidigte sich Hermine selbstsicher.
„Sie wissen gar nichts über mich!“
„Dann erzählen Sie mir doch einfach mal was! Herrgott, ich habe Ihnen so einiges von mir erzählt, habe aber selten etwas aus Ihrem Leben erfahren.“ Es klang wie eine Beschwerde.

Er schwieg, so dass sie sich dazu entschloss, ein paar Dinge zu nennen, die sie von ihm wusste. Sie hoffte, dass könnte ihn dazu animieren, ein paar Anekdoten aus seinem Leben preiszugeben.

„Mir und jedem anderen ist bekannt, dass Sie sich aus Leidenschaft Zaubertränken verschrieben haben. Ich glaube, wenige wissen, dass Sie einen ausgeprägten Sinn für Humor haben, wenn der auch sehr schwarz und sarkastisch ist.“ Er stieß Luft durch die Nase aus, unterbrach sie jedoch nicht. „Sie mögen keine oberflächlichen Menschen…“
Leise murmelte er: „Und keine Besserwisser.“
Sich durch seinen Kommentar nicht aus der Ruhe bringen lassend zählte sie auf: „Sie haben ein Faible für Dunkle Künste und legen viel Wert auf Vorsicht und vorausschauende Planung. Sie sind ordentlich und verhalten sich kultiviert. Darüber hinaus sind sehr ehrlich, so dass es manchmal schon wehtut und Sie mögen schwarzen Kaffee und Käse.“

Nach ihrer letzten Bemerkung zog er erstaunt eine Augenbraue in die Höhe und es schien fast, als würde er sich ein Schmunzeln verkneifen; Hermine hingegen hielt ihr Schmunzeln nicht zurück. Die Stimmung war nicht mehr so angespannt wie vor wenigen Minuten.

„Die Forschung ist auch eines Ihrer Steckenpferde, auch wenn manche Experimente nicht ganz legal sein mögen. Dabei ist es egal – mir zumindest – ob Sie nur auf den Erfolg aus sind oder Sie sich für einen guten Zweck engagieren. Sie helfen Remus und geben ihm den Wolfsbanntrank umsonst.“
Verteidigend korrigierte er: „Sie geben ihm den Wolfsbanntrank! Sie brauen ihn, weil Sie meine Schülerin sind und gerade für diesen Trank Routine erlangen müssen!“
„Ja sicher…“, sagte sie abwinkend, denn sein tatsächlicher Grund war ihr gleich.

„Ihre Mutter…“ Sie hielt einen Moment inne, weil er ihr mit einem Blick verständlich machen wollte, nicht zu weit zu gehen. Nichtsdestotrotz fasste sie den Mut fortzufahren: „Ihre Mutter war zu ihrer Zeit Kapitän der Koboldstein-Mannschaft von Hogwarts. Ihr Vater und Ihre Mutter haben eine Anzeige im Tagespropheten aufgegeben, als sie geheiratet hatten. Ein wenig später haben beide eine weitere Anzeige geschaltet, nachdem Sie auf die Welt gekommen waren.“

Der Blick ihres Professors beförderte für einen Moment entgegen ihrer Erwartung die von ihm sonst so penibel überspielte Unsicherheit ans Tageslicht, als er sich ganz offensichtlich an seine Eltern erinnern musste.

„Ihr Vater…“

Er unterbrach flüsternd. „Woher wissen Sie davon? Von meiner Mutter?“
„Ich wusste es ab der sechsten Klasse.“ Die Situation hatte sich längst wieder völlig entspannt und Hermine sprach locker und ruhig. „Für Harry hatte ich ein wenig nachgeforscht, wer sich hinter dem ’Halbblutprinzen’ verbergen könnte.“

Ohne dass er es aufhalten konnte kroch nach der Erwähnung seines jugendlichen Pseudonyms eine unangenehme Hitze über sein Gesicht und er war sich sicher, dass man ein wenig Farbe auf seinen Wangen sehen konnte, doch sie ignorierte es.

„Ich habe auch ein Bild Ihrer Mutter gesehen“, erzählte sie lächelnd.

Bis auf Lily hatte er nie jemandem von seinen Eltern erzählt, nicht einmal Albus, denn der kannte die meisten Momente aus seinem Leben aus einer anderen Quelle als aus seinem Mund. Selbst Lucius und Narzissa hatten sich nie für seine Familie interessiert, waren jedoch natürlich darüber informiert, dass Eileen Prince ein Reinblut gewesen war. Er könnte diesen Moment nutzen, dachte Severus, um das erste Mal in seinem Leben persönlich mit jemand anderem zu reden als Lily; mit jemandem, von dem er ebenfalls nicht verlacht werden würde.

„Mein Vater wusste nichts von der Hochzeitsanzeige im Tagespropheten“, sagte Severus sehr distanziert klingend.
„Warum nicht?“, fragte sie erstaunt nach.
Man konnte sehen, dass Severus zunächst kräftig schlucken musste, bevor er zugab: „Sie hatte es ihm erst später gesagt.“
„Dass sie eine Hexe war“, hatte Hermine ganz korrekt auf den Punkt gebracht, denn Severus nickte zustimmend.
Er unterdrückte das aufkommende Gefühl von Unwohlsein und erklärte daher sehr allgemein: „Viele handhaben das heute noch genauso, was an dem Gesetz zum Schutz der Zaubererwelt liegen mag. Sollte man sich vor einem Partner als Zauberer oder Hexe offenbaren und würde man aufgrund dessen von ihm oder ihr abgelehnt werden, dann wäre das häufig ein Fall für die Vergissmich.“

Hermine erinnerte sich daran, wie Seamus während des ersten Schuljahres davon erzählt hatte, dass seine Mutter es nicht anders getan hatte und ihrem Mann erst nach der Hochzeit die Wahrheit über ihre Herkunft gebeichtet hatte, damit niemand ihm etwas anhaben konnte.

„Aber“, Hermine schüttelte den Kopf, „wenn man das erst nach der Hochzeit preisgibt und der Ehepartner würde dann eine Abneigung entwickeln…“

Es übermannte sie das schlimme Gefühl, dass es bei Severus’ Eltern so gewesen sein könnte.

„Eine fünfzig zu fünfzig Chance für das Gelingen oder Scheitern der Ehe“, sagte Severus kühl.
Ihre Ahnung verstärkte sich, als sie sich eines der wenigen Gespräche ins Gedächtnis zurückrief, in welchem Severus ihr einmal etwas anvertraut hatte und sie wiederholte daher: „Sie sagten einmal, Ihr Vater hätte Angst vor Ihnen gehabt.“
„Ich ahne, dass Sie unser Gespräch erneut in Bahnen lenken möchte, damit Sie weiterhin an meinem psychologischen Profil arbeiten können.“
„Was? Nein! Wir unterhalten uns doch nur…“

Von einer Sekunde zur anderen war die Stimmung wieder umgeschlagen, denn er unterbrach sie barsch: „Sie stöbern und bohren und können es einfach nicht lassen, nicht wahr?“
Tief ein- und ausatmend ging Hermine in sich und entschloss sich dafür, ihn in Ruhe zu lassen, was sie ihm auch vor Augen halten wollte, indem sie sehr enttäuscht klingend monierte: „Wenn Sie das so sehen, dann beenden wir das Gespräch lieber. Ich finde es nur schade, dass Sie hinter jeder Nettigkeit irgendeinen Angriff auf Ihre Privatsphäre vermuten. Das ist nicht meine Absicht und dass Sie so von mir denken verstehe ich wirklich nicht.“

Nach einer ganzen Weile des Schweigens murmelte Severus: „Die Arbeit wartet.“
Hermine kramte in ihrer großen Tasche herum und zog eine mittlerweile beachtlich dicke Mappe heraus, während sie sagte: „Sie haben lange nicht mehr mein Projekt verfolgt.“ Sie hielt ihre Unterlagen in der Hand und näherte sich ihm. „Ich hatte noch einige Experimente durchgeführt. Mit meinen Eltern, mit Anne und mit zwei Squibs.“
„Ah, haben Sie doch welche ausfindig machen können!“
„Neville kannte die beiden. War ein netter Abend gewesen“, sagte sie, während sie ihm die Ergebnisse reichte.

Er hatte viel zu lesen und begann daher sofort. An einer bestimmten Stelle verzog er fragend das Gesicht, so dass sie wissen wollte: „Was haben Sie?“
„Ein Kuss?“, sagte er völlig ungläubig und fast schon angewidert, als er das Resultat ihrer Eltern las.
„Lesen Sie einfach weiter“, riet sie ihm gelassen. Sie nutzte die Zeit, um ihn zu beobachten.

Aus seiner Mimik las sie einiges ab, auch wenn er seine Gefühlsregungen meist zu verbergen versuchte. Eine Stelle schien ihn zu erstaunen, eine andere schien Fragen bei ihm aufkommen zu lassen.

Als er fertig war, sammelte er sich einen Moment, bevor er mit seinen eigenen Worten zusammenfasste: „Muggel verfügen über einen spärlichen Anteil an Magie, der nicht nur äußerst träge ist, sondern keinesfalls zum Zaubern ausreicht. Nur in Sonderfällen kann die Magie – wie bei Ihren Eltern – an Intensität leicht zunehmen kann, aber selbst dann ist sie noch sehr bescheiden.“ Hermine nickte, so dass er erneut das Wort ergriff. „Squibs zeigen ebenfalls Anzeichen von geringer Magie, nur ist diese bei denen zwar spärlich ausgeprägt, kann aber, wie bei Arabella und ihren anderen beiden Testpersonen, dazu führen, dass sie gewisse magische Dinge fühlen oder sogar sehen können, während Zauberei weiterhin nicht möglich ist.“
„Genau“, bestätigte sie knapp.
„Ich schlage vor“, er blickte auf, „Sie suchen sich weitere Testpersonen, bevor Sie einen Bericht für das Ministerium schreiben.“
„Aber warum denn das?“
„Weil ein Bericht mit diesen Informationen für viel Wirbel sorgen wird und es wäre klug von Ihnen, so viele Resultate wie nur möglich zu sammeln, um der Zauberergesellschaft keine Angriffsfläche gegen Ihre Person zu bieten.“

Sie blinzelte ein paar Mal, denn sie verstand nicht, warum der Bericht über ihren Farbtrank für Aufruhr sorgen sollte.

„Hermine“, sagte er ruhig, so dass sie ihn anblickte. „Wenn Sie mit einem Bericht an die Öffentlichkeit gehen, der eine magische Gemeinsamkeit von Muggeln, Squibs und Zauberern unterstreicht, dann wird es Proteste geben. Dass Sie Muggeln schon allein das Vorhandensein von Magie zuschreiben, wenn diese auch noch so gering und nicht zu gebrauchen ist, dann ist das revolutionär.“
„Aber es ist doch nun mal so.“ Hermine war ein wenig fassungslos, als sie an möglichen Ärger dachte, den sie aufgrund ihres Berichts bekommen könnte.
„Viele berühmte Forscher, auch aus der Muggelwelt, haben in der Vergangenheit die Wahrheit verkündet und mussten dafür büßen, Hermine. Nicht gerade wenige Zauberer und Hexen halten Muggel für minderwertig und wenn Sie jetzt daherkommen und behaupten, dass Muggel Magie besitzen, dann benötigen Sie mehr als nur drei Testpersonen, von denen zwei Ihre Eltern sind und die dritte Person eine gute Bekannte darstellt. Ihr Arbeit soll doch nicht ins Kreuzfeuer geraten“, erklärte er ihr mit ruhiger Stimme.

Hermine seufzte, denn sie wüsste nicht, wo sie Muggel auftreiben könnte, die man ihr erstens nicht als Verwandte oder Bekannte ankreiden könnte und die sich zweitens für ihr Experiment zur Verfügung stellen würden. Severus gab ihr einige Tipps und mahnte zur Vorsicht, denn Muggel, die nichts von der Zaubererwelt wüssten, dürfte sie nicht einfach einweihen.

„Vielleicht“, begann er ruhig, „nehmen Sie für diese Tests einfach Ihren ersten Trank, dessen Resultate die Person, die ihn eingenommen hat, nicht sehen kann.“
„Ich kann doch nicht einfach einem Muggel meinen Trank untermischen, damit ich Resultate bekomme“, sagte sie mit einem Hauch von Skrupel.
Severus stieß verachtend Luft durch die Nase aus und rief ihr ins Gedächtnis zurück: „Wenn ich mich recht entsinne, hatten Sie keine Gewissensbisse, als Sie mir den Trank untermischen wollten.“
Sie stöhnte, bevor sie mäkelte: „Ich dachte, das Thema wäre erledigt. Werden Sie mir das ewig unter die Nase reiben?“
„Nein“, versicherte er. „Nur in Momenten, in denen es angemessen erscheint.“

Sie ärgerte sich nicht einmal mehr über seine Bemerkung, denn sie erkannte sie als frechen Scherz. Enttäuscht kniff sie die Lippen zusammen, während sie bereits überlegte, welchem Muggel sie ihren Trank verabreichen konnte. Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile und Severus erörterte die möglichen Probleme, die auf sie zukommen könnten, sollte sie nicht einen Bericht für ihren Trank verfassen, der Hand und Fuß hatte. Ein wenig später räumte sie ihre Unterlagen wieder zusammen und verstaute sie in ihrer Tasche.

Verabschiedend murmelte sie: „Wir sehen uns Morgen am Bahnhof.“
„Und hier“, begann er, „hatte ich gedacht, dass das Thema bereits erledigt wäre. Sie haben eine Aufgabe zu erfüllen und sollten Sie sie nicht erledigen, mache ich es wahr.“
„Sie wollen mich tatsächlich rausschmeißen“, sagte sie erzürnt, „wenn ich morgen mit zum Bahnhof gehe?“
„Nein, wie ich schon sagte, werde ich den Vertrag auflösen, wenn Sie die Aufgabe nicht bewältigen.“
„Das kommt aufs Gleiche raus, Herrgott!“
„Sie sollten in sich gehen, Hermine, und sehr genau über Ihr Handeln nachdenken. Eine abgebrochene Ausbildung macht sich in einem Lebenslauf nicht sonderlich gut.“
Ihr platzte der Kragen. „Oh, ich denke sehr wohl, dass man meine Lage gut verstehen würde, wenn ich nur sage, bei WEM ich diese Ausbildung nicht zu Ende bringen konnte.“
Böse zischend fragte er: „Was wollen Sie damit sagen?“
„Ich bin mir sicher“, sagte Hermine aufgeregt, „dass so einige Menschen von Ihrem ’Charme’ wissen und mich nicht dafür verurteilen würden, sollte ich…“

Ein Räuspern unterbrach sie und beide schauten zur geöffneten Tür, in welcher Albus stand. Hinter ihm wartete Remus, der verlegen den Gang hinunterschaute und so tat, als hätte er kein Wort vernommen.

„Dürfen wir eintreten?“, fragte der Direktor sehr höflich. „Es tut mir Leid“, versicherte Albus, „dass ich die Tür einfach geöffnet habe, aber unser mehrmaliges Klopfen wurde wohl überhört.“

Hermine blickte zu Severus hinüber, denn es war seine Aufgabe, die beiden eintreten zu lassen und willkommen zu heißen. Sie bemerkte, wie ihr Professor sich von innen auf die Unterlippe zu beißen schien.

Einen Augenblick später sagte Severus: „Sicher, kommen Sie beide rein.“

Mit selbstsicherem Schritt betrat der große Zauberer das Labor. Ihm folgte Remus, der die Augenbrauen leicht angehoben hatte und dem ein mildes Lächeln auf den Lippen lag. Er blickte auf und grüßte Severus und Hermine mit dem Vornamen und einem kurzen Kopfnicken.

„Ich hoffe“, begann Albus, wobei seine Augen einmal fröhlich funkelten, „dass wir bei dieser doch recht lebhaft wirkenden Unterhaltung nicht stören.“
„Wir…“ Ihre Stimme ließ Hermine im Stich, doch Severus nahm es ihr ab zu antworten.
„Wir haben nur diskutiert“, wollte er den Gästen weismachen und es schien ihn zu erstaunen, dass Hermine ihm auch noch nickend zustimmte.
„Ja“, pflichtete Albus murmelnd bei, „das konnte man bis draußen hören.“

Wenn Albus keinen Bart hätte, würde man ihn sicherlich schmunzeln sehen.

„Ich bin hier, weil wir“, Albus nickte zu Remus hinüber, „uns eben mit Kingsley unterhalten hatten. Du, Severus, hattest dich für Morgen freundlicherweise bereit erklärt, die Schüler zu begleiten. Kingsley lässt dir seinen Dank für deine angebotene Hilfe ausrichten, aber er wünscht niemanden vom Lehrpersonal am Bahnhof, nicht einmal Hagrid. Er möchte keine Zivilisten in Hogsmeade.“

Severus war kurz davor, das Wort „Zivilist“ erbost zu wiederholen, doch er verkniff es sich, sondern ballte lediglich seine Fäuste, während das Wort in seinen Gedanken ständig wiederkehrte.

„Hogsmeade wird gerade geräumt“, erklärte Albus mit ruhiger Stimme.
„Geräumt?“, fragte Hermine nach.
Nickend erläuterte Albus: „Evakuiert, um genau zu sein. Die meisten Bürger kommen in der Winkelgasse unter und sie können wieder zurückkehren, wenn der Hogwarts-Express den Bahnhof verlassen hat.“
„Was ist mir dir, Remus?“, wollte Hermine wissen.
„Ich bleibe die Zeit über hier“, sagte er freudestrahlend.
Severus Augen weiteren sich, bevor er entrüstet wiederholte: „Hier?“
„Na ja, nicht in deinem Labor“, scherzte Remus, „aber in der Schule.“

Sich verabschiedend sagte Albus: „Dann ist ja alles geklärt. Tut mir außerordentlich Leid, falls ich euch das Thema für eine leidenschaftliche Diskussion genommen haben sollte.“

Er nickte beiden zu und verließ das Büro, während Remus noch weiterhin im Labor blieb und sein mildes Lächeln mittlerweile zu einem frechen Grinsen geworden war.

„Was tun Sie noch hier? Möchten Sie doch im Labor übernachten?“, giftete Severus gereizt.
„Oh nein, ich wollte fragen, ob ihr für heute fertig seid, damit ich Hermine begleiten kann.“ Remus schaute zu Hermine hinüber und verpasste daher den Anblick von entgleisenden Gesichtszügen, bevor Severus sich wieder gefangen hatte.
„Wie soll ich das verstehen?“, fragte Severus skeptisch.
„Albus hat mir eines der Zimmer neben Hermines Räumen gegeben“, antwortete Remus erfreut. An Hermine gerichtet schlug er vor: „Ich dachte, wir könnten vielleicht noch eine Partie Schach spielen?“

Sie schaute auf die Uhr und bemerkte, dass es schon sehr spät war.

„Miss Granger“, er nannte sie in Anwesenheit anderer meist beim Nachnamen, „hat eine Aufgabe zu erledigen.“
Ihre Augen formten sich zu schmalen Schlitzen, bevor sie leise zischte: „Ich dachte, das hätte sich jetzt erledigt.“
Er grinste fies zu ihr hinüber und verdeutlichte: „Die Hälfte des Buches bis Morgenmittag.“
Zu Remus blickend sagte sie aufmüpfig: „Remus, wir spielen Schach, solange du möchtest! Dann bleibe ich eben die ganze Nacht auf, um das Buch zu lesen.“

Sie griff nach dem dicken Wälzer, schwang sich ihre Tasche über und ging bereits zur Tür, die Remus ihr aufhielt, bevor sie sich noch einmal umschaute und mit stichelndem Unterton zu Severus sagte: „Das tut mir für Sie wirklich ganz schrecklich Leid, dass Sie als Zivilist morgen nicht erwünscht sind.“

Von dem, was sie sich danach erlaubte, war Severus im ersten Moment geschockt, doch ihr Verhalten wollte er nicht billigen. Damit Lupin ebenfalls davon erfahren würde, mit was für einer dreisten Schülerin er sich herumschlagen musste, fragte er laut und deutlich: „Miss Granger, haben Sie mir eben etwa die Zunge herausgestreckt?“
Mit einem aufgesetzten Engelsgesicht versicherte sie aus allen Wolken fallend: „Aber nein! Ich habe mir nur die Lippen befeuchtet.“

Sie konnte nicht genau erkennen, ob er einen Schmollmund machte oder sich sogar ein Grinsen verkniff, was ihr jedoch egal war, denn so oder so fand sie seinen Gesichtsausdruck sehr amüsant.

Den ganzen Weg über bis in den vierten Stock behielt Remus all die Fragen, die ihm auf der Zunge brannten, für sich, denn es würde ihn besonders sehr interessieren, wie sie die Arbeit mit diesem grantigen Mann nur aushalten würde und ob sie wirklich um ihre Ausbildung bei ihm bangen müsste.

In ihren Räumlichkeiten angekommen erzählte er: „Ich habe Neuigkeiten von Tonks wegen deiner beiden ehemaligen Mitschüler.“
„Erzähl!“ Sie deutete auf die Couch, damit er sich setzen würde.
„Du weißt ja, dass die beiden erst zwei Wochen vor Voldemorts Sturz für tot erklärt worden sind.“
„Ja“, bestätigte Hermine, „weil man nur die Zauberstäbe gefunden hatte und man die Leichen nicht hundertprozentig identifizieren konnte.“
„Man hat es sich sehr einfach gemacht; die Stäbe konnte man ja eindeutig zuordnen. Die beiden hatten die Schule mit euch ja noch zu Ende gebracht.“
„Pansy war wie vom Erdboden verschluckt“, erinnerte sich Hermine.
Remus nickte. „Die junge Frau verschwand spurlos auf dem Weg nachhause. Sie ist in den Hogwarts-Express eingestiegen, aber niemals in London ausgestiegen; sie ist nie angekommen.“

Remus rief sich alles, was er über die beiden von damals noch wusste, ins Gedächtnis zurück, damit die aktuelle Situation vielleicht einen Sinn ergeben würde. Besonders Minerva hatte sich nach dem Verschwinden der Schulabgängerin große Sorgen um die Sicherheit ihrer Schützlinge und des Schulzuges gemacht, weswegen sie es begrüßt hatte, dass das Ministerium Hogwarts für Schüler geschlossen hatte. Man hatte seinerzeit eine Entführung nicht ausschließen können, aber es gab keinen Hinweis darauf, wie Pansys Verschwinden aus dem fahrenden und durch Zauber geschützten Express heraus hätte möglich sein können, ohne dass jemand etwas bemerkt haben will.

„Das Haus der Zabinis ist ungefähr drei Monate nach dem Schulabschluss von Todessern in Schutt und Asche gelegt worden, aber gefunden hatte man niemanden“, flüsterte Hermine gedankenverloren.

Sie erinnerte sich daran, wie Harry der Meinung gewesen war, Voldemort würde durch seine Schergen wieder Hexen und Zauberer bedrohen, damit die ihn unterstützen würden und erst sehr viel später stand im Tagespropheten, dass der Minister ebenso denken würde.

„Kingsley sagt“, gab Remus wider, „dass Mr. Zabini im wahrsten Sinne dem Frieden nicht trauen würde; dass er nicht davon überzeugt wäre, dass tatsächlich alles vorbei sein soll. Außerdem ist der Bericht über die benutzten Zaubersprüche des Stabes, von dem er Gebrauch gemacht hatte, fertig. Man hat alles zurückverfolgt und datiert. Der Stab ist vorher für 78 Jahre nicht benutzt worden und hing offenbar die ganze Zeit über in der Vitrine in Malfoy Manor.“
Hermine nickte und vermutete laut: „Und als die beiden sich dort versteckt hatten, hat er sich einfach einen der alten Stäbe genommen.“
„Genau, er hat damit überwiegend Wärme- oder Kühlungszauber angewandt und regelmäßig welche zur Reinigung und zur Verwandlung, denn er hat Möbelstücke in etwas Essbares verzaubert. Außerdem gab es noch einige Schutz- und Spähzauber, die er damit ausgeführt hat und das waren auch schon die, die den größten Teil ausmachen“, erklärte Remus betrübt, als er sich vorstellte, sich jahrelang von Möbelstücken ernähren zu müssen.
„Dann wird man ihn nicht zur Rechenschaft ziehen, weil er sich gegen die Auroren verteidigt hat?“, fragte Hermine hoffnungsvoll.
Den Kopf schüttelnd verneinte Remus. „Kingsley hat in seinem Bericht ausdrücklich betont, dass sämtliche Zauber von Mr. Zabini nur dem eigenen Schutz gedient hatten und kein Schaden entstanden wäre. Zabini wird, wenn er wieder körperlich und geistig fit genug ist, aus dem Mungos entlassen werden können.“
„Und Pansy? Weiß man da schon was Neues?“, fragte Hermine gespannt.
Er schüttelte langsam den Kopf und offenbarte: „Man weiß nur, dass sie tatsächlich nicht verwest. Die Professorin…“
„Professor Junot?“, wollte Hermine wissen, denn sie wusste, wer sich im Mungos die Toten ansehen musste.
„Richtig, die meine ich. Sie hatte sie mit einem Kollegen aus dem Gunhilda-von-Gorsemoor-Sanatorium untersucht und beide sind zu keinem Ergebnis gekommen. Kingsley schließt einen Fluch oder Trank nicht aus. Er bezweifelt aber, dass sie einen schwarzmagischen Gegenstand berührt haben könnte, weil Pansy sich laut Dracos Einwurf sehr wohl darüber bewusst war, was für gefährliche Gegenstände im Haus lagern würden. Er hatte Kingsley erzählt, er hätte damals vor ihr damit angegeben und ihr sogar einige Stücke aus der schwarzen Sammlung seines Vaters gezeigt.“

Hermine und Remus waren nicht die Einzigen, die sich gerade über Miss Parkinsons Fall unterhielten. Im Mungos standen Professor Junot und ihr Freund, Professor Reynolds aus dem Gunhilda-von-Gorsemoor-Sanatorium, zusammen in einem kleinen Raum, der von der Leichenhalle abging, in welcher Miss Parkinsons scheinbar toter Körper lag, dessen halbgeschlossene Augen zur Decke starrten. Die beiden Professoren hatten gemeinsam den Leichnam sehr grünlich untersucht.

Stan betrat die Leichenhalle, um sich vor seinem Feierabend einen kleinen Schluck Feuerwhisky zu gönnen, doch er kam nicht dazu.

„Stan?“, sagte Professor Junot, die ihn durch das Glasfenster der Tür gesehen hatte. Er blickte sie fragend an und hoffte, für heute keine Aufgabe mehr erledigen zu müssen, doch da sagte sie bereits: „Gehen Sie doch bitte nach oben und sagen Sie Schwester Marie Bescheid, dass sie nicht länger warten muss. Wir werden die ’Patientin’ nachher selbst hochbringen. Sie kann Feierabend machen.“

Sich darüber ärgernd, dass sein Arbeitstag noch in die Länge gezogen wurde, hetzte er die drei Treppen hinauf zu der Station, auf nicht nur Miss Parkinson untergebracht worden war, sondern auch der Todesser Lucius Malfoy. An der Tür zur Station grüßte ihn der Wachmann in der kleinen Kabine mit einem Kopfnicken, bevor er per Zauberstab die Türen der gesicherten Station für den Mitarbeiter öffnete.

„Hey Kumpel“, grüßte Stan lapidar. „Wo ist Marie?“
„Im Schwesternzimmer und sie ist nicht sehr erfreut darüber, dass sie so lange warten muss“, antwortete der Wachmann grinsend.
„Na, da wird sie sich aber gleich freuen.“

Ohne Umwege marschierte Stan auf das Schwesternzimmer zu, in welchem Marie mit übergeschlagenem Bein, verschränkten Armen und säuerlicher Miene auf einem Stuhl sitzend wartete, bis man ihre Patientin bringen würde, denn niemand anderes würde sich um Miss Parkinson kümmern.

„Hallo“, grüßte Stan laut, womit er Marie so sehr erschreckte, dass sie beinahe vom Stuhl gefallen war.
„Stan, tu das nie wieder!“
Er lachte, bevor er ihr übermittelte: „Junot meinte, du könntest Feierabend machen. Sie wird die Patientin selbst ins Zimmer bringen, wenn die beiden fertig sind.“

Innerlich kochte Marie, denn sie wäre längst Zuhause, hätte man schon vor zwei Stunden diese Entscheidung getroffen.

„Danke Stan.“ Sie stand auf, warf sich ihren Umhang und die Tasche über und verabschiedete sich mit den Worten: „Schönen Feierabend.“
„Ja, dir auch.“

So schnell wie möglich rannte Stan die Treppen wieder hinunter und als er in der Leichenhalle angekommen war, lag zwar noch Miss Parkinson wie zuvor auf ihrer Bahre, aber der angrenzende Raum war leer. Weit und breit waren keine Professoren zu sehen, weswegen Stan bis zum Waschbecken hinüberschlich. Er vergewisserte sich, dass er allein war und öffnete im Anschluss das kleine Schränkchen unter dem Wasserbecken. Hinter den vielen Flaschen von „Mrs Skowers magischer Allzweckreiniger“ lag eine Flasche Feuerwhisky versteckt, die er hervorkramte und sehnlich öffnete.

„Auf den Feierabend“, prostete er sich selbst zu, bevor er die Flasche ansetzte und den ersten großen Schluck nahm. Während des zweiten Schluckes, der bereits angenehm in der Kehle brannte, hoffte er darauf, dass die beiden Professoren noch immer schwer beschäftigt wären und ihn nicht stören würden. Professor Junot hatte ihn schon mehrmals auf sein Alkoholproblem angesprochen und ihm sogar Hilfe angeboten, während Puddle nur damit gedroht hatte, man würde ihn sofort entlassen, sollte man ihn auch nur ein einziges Mal mit Alkohol erwischen.

Wenn er seinen Job nicht wieder verlieren wollte, musste er vorsichtig sein und ein Auge auf die Tür werfen, schalt er sich selbst. Um sich davon zu überzeugen, seiner Last weiterhin unentdeckt frönen zu können, schaute er über seine Schulter zum Eingang hinüber.

Das Blut gefror ihm in den Adern, als völlig unerwartet der Kopf von Miss Parkinsons unbeweglichem Körper ihm zugewandt war und sie ihn durch nebelige Augen anzustarren schien. Vor lauter Schreck ließ er die Flasche fallen, die auf dem gefliesten Boden mit ohrenbetäubendem Lärm in tausende Stücke zerbarst.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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137 Eine Seele von Mensch




Die Partie Schach, wegen der Remus eigentlich Hermine aufgesucht hatte, war längst vergessen. Sie unterhielten sich über alles Mögliche und während Hermine über die morgigen Risiken in Hogsmeade sprach, griff Remus mit beiden Händen nach dem dicken Wälzer, den Severus ihr mitgegeben hatte und den sie bis morgen Mittag bis zur Hälfte gelesen haben musste.

„Wirst du das zeitlich überhaupt schaffen?“, fragte er skeptisch.
„Kommt aufs Thema an. Wenn es leicht zu lesen ist, könnte ich sogar das ganze Buch schaffen. Hauptsache ich schlafe nicht ein wie bei dem einen Buch, dass er mir mal gegeben hat. Das war schreckliche trocken geschrieben“, antwortete sie mit verzogenem Gesicht.

Den Buchdeckel aufklappend überflog Remus die Inhaltsangabe des Buches „Bewusstsein, Mitwahrnehmung und Sentiment“.

„Ich hoffe, dass du da durchsteigen wirst, denn ich verstehe es nicht“, gab Remus offen zu, nachdem er die ersten Sätze von Kapitel eins gelesen hatte. „Warum gibt er dir so ein Buch? Es hat auf den ersten Blick nicht einmal etwas mit Zaubertränken zu tun.“
Sie beugte sich zu ihm und dem aufgeschlagenen Buch hinüber. „Ich weiß ja nicht einmal, um was es geht.“ Nachdem sie den Buchtitel zum ersten Mal gelesen hatte, seufzte sie.

„Was hast du?“, wollte er wissen.
Sie schürzte die Lippen und erklärte gleich darauf: „Das wird wieder so ein Hinweis von ihm sein. Langsam geht es mir auf die Nerven. Soll er doch einfach mal klipp und klar sagen, wie ich ihm helfen kann.“

Für einen Moment wiederholte Remus ihre Worte in Gedanken, bevor er das Buch schloss und auf den Tisch legte. Er wandte sich ihr zu und blickte ihr direkt in die Augen.

Mit bedächtiger und einfühlsamer Stimme sagte er: „Dass es euch um Severus geht und ihr euch mit ihm sehr intensiv befasst, das habe ich natürlich schon lange bemerkt, aber ich wüsste zu gern, um was es geht.“ Als sie nicht antwortete, weil sie offensichtlich innerlich mit sich selbst kämpfte, da zählte er ruhig auf: „Harrys Besuche wegen meiner Tagebücher, dann deine Besuche und dein Kreuzverhör neulich…“
„Es tut mir Leid, dass ich so aggressiv war, Remus. An dem Tag hatte ich eine kleine ’Diskussion’ mit ihm gehabt, bevor ich dich aufgesucht habe. Ich komme bei ihm einfach nicht weiter und ich befürchte, dass ich mit diesem Hinweis“, Hermine nickte hinüber zum Buch, „auch nicht vorankommen werde.“
„Aber womit vorankommen?“

Von Gewissensbissen geplagt schaute sie ihn eindringlich an, bevor sie sich einen Ruck gab und flüsterte: „Herauszufinden, was Severus vor zwanzig Jahren widerfahren ist.“ Sie war sich im Klaren darüber, dass sie Remus nun viel mehr eingespannt hatte als es Severus recht sein würde.
Remus las an ihrer Mimik ab, dass sie Hilfe ersehnte, so dass er wissen wollte: „Was soll ihm denn geschehen sein? Warum glaubt ihr, dass überhaupt irgendwas geschehen sein soll?“

Für Hilfe jeder Art war sie dankbar, denn Albus und Severus hatten sich bisher verweigert, ihr brauchbare Informationen zu geben und so griff sie nach diesem einen Strohhalm, auch wenn das bedeuten würde, Remus in alles einzuweihen.

„Ist dir nie etwas an ihm aufgefallen?“, fragte sie sehr vorsichtig.

Er nahm ihre Frage sehr ernst und wollte daher nicht übereilt antworten. Stattdessen setzte er alles daran, sich an Situationen zu erinnern, in denen ihm vielleicht tatsächlich etwas aufgefallen war. Bemerkt hatte er, dass Severus ein wenig umgänglicher geworden war, aber das hatte seines Erachtens mit dem Sieg über Voldemort zu tun. Die Furcht, als Spion entlarvt werden zu können, die Gewissensbisse wegen Albus’ Tod und die Flucht mit seinem Patensohn mussten ihn jahrelange extrem belastet haben und all das war mit Voldemorts Tod wie weggefegt.

Remus erinnerte sich an den Tag, als er mit Severus zusammen nach den Männern gesucht hatte, die Harry in Hogsmeade gesehen hatte. Die spätere Unterhaltung in seinem Zimmer in den Drei Besen war einzigartig gewesen, weil sie das erste Mal tatsächlich unter vier Augen waren. Es war nicht von ihm beabsichtigt gewesen, Severus an Lily zu erinnern oder das Gespräch auf die gemeinsame Freundin zu lenken, aber es war geschehen und Severus hatte in diesem Moment so anders auf ihn gewirkt.

„An dem Abend, an dem Severus bei mir war“, er blickte auf und wurde konkreter, „der Abend des Hogsmeade-Ausflugs, über den du mich ausgefragt hast, Hermine, da war ein Moment gewesen…“

Er hielt inne, weil er sich das Gespräch ins Gedächtnis zurückrief, welches er mit Severus geführt hatte, doch er konnte nicht mit dem Finger drauf deuten.

„Ich hatte das Gefühl gehabt, dass es ihm nicht gut gehen würde. Außerdem kam es mir so vor, als würde ich den Severus von früher sehen; den aus der Schule.“ Remus blickte nachdenklich zu Boden.
„Kannst du das genauer erklären?“, fragte sie zaghaft nach und er strengte sich sichtlich an, denn er kniff die Augen zusammen und massierte mit Zeigefinger und Daumen einer Hand seine Schläfen.

Nach einem Augenblick erklärte er ein wenig unsicher: „Ich weiß nicht genau… Er schien sehr bedrückt, denn kurz vorher hatten wir, wie ich es dir ja gesagt hatte, über Lily gesprochen.“
„Warum hattest du das Gefühl, dass er in diesem Moment so anders war?“

Nachdenklich hob und senkte Remus einmal die Schultern, bevor er seine Hände im Schoß faltete und auf seine ineinander greifenden Finger schaute. Er fragte sich, ob es Severus’ Gesichtsausdruck gewesen war oder ob es etwas anderes gewesen sein könnte, der ihn den Schüler Severus sehen ließ.

Wie vom Blitz getroffen riss er den Kopf hoch und blickte Hermine an, als sich ihm die Antwort offenbarte.

„Natürlich, es waren seine Augen, Hermine!“
Wenig überrascht sagte sie: „Dacht ich’s mir.“ Sie wollte ihm jedoch keine Suggestivfrage stellen, die seine Antwort beeinflussen würde und so fragte sie einfach: „Was war mit ihnen, Remus?“
„Sie…“ Er versuchte, die passenden Worte zu finden. „Ich glaube, sie waren irgendwie heller. Nachdem wir über Lily gesprochen hatten, waren sie wie…“ Er stutzte und blinzelte mehrmals. „Sie waren wie früher gewesen! Ich bin mir fast sicher. Ich…“ Remus schien seinen eigenen Worten kaum Glauben zu schenken.

Er stand von ihrer Couch auf und tigerte unruhig im Wohnzimmer umher, während mit einer Hand über sein Gesicht fuhr. Hermine ließ ihn in Erinnerungen kramen, die seine vage Vermutung bestätigen würden. Seufzend näherte er sich ihr und er schien etwas aus der Fassung zu sein.

„Ich bin mir mit der Augenfarbe sicher, Hermine, auch wenn es sich komisch anhören mag, aber als junger Mann hatte er eine hellere Augenfarbe und in diesem einen Moment, als wir von ihr gesprochen hatten, waren sie wie früher.“
„Setzt dich, Remus“, sagte sie ruhig, während sie mit der Handfläche neben sich auf das Polster klopfte. „Du bist nicht der Einzige, dem das aufgefallen ist.“
„Nicht?“, fragte er erstaunt nach. „Aber so etwas ist doch gar nicht möglich.“

Nachdem er sich gesetzt hatte, rief sie ihm ins Gedächtnis zurück: „Du erinnerst dich sicher noch daran, als Harry dich wegen der Dementoren ausgefragt hat.“ Remus nickte und sie ahmte seine Bewegung nach. „Wir dachten, dass Severus vielleicht eine Begegnung mit einem gehabt haben könnte, die ihm Teile seiner Seele gekostet hat und dass seine Augen deswegen dunkler geworden wären.“
„Ja, von so etwas hatte Harry damals auch gesprochen. Allerdings wusste ich nicht, dass er das Gespräch auf Severus bezogen hatte. Er hat es sowieso sehr abrupt abgebrochen. Ihr denkt also nicht mehr, dass es der Kuss eines Dementors gewesen war, der jetzt ganz genau was ausgelöst haben soll?“, fragte er mit einem Schmunzeln, denn aufgrund der ganzen Fragen von Harry und Hermine hatte er noch lange nicht herausbekommen können, nach was die beiden ihre Fühler ausgestreckt hatten; er wusste nur, dass sie wegen Severus einige Nachforschungen anstellten und das schon seit geraumer Zeit.

Mit einem liebevollen Lächeln auf den Lippen blickte sie Remus an und entschloss sich dazu, ihren langjährigen guten Freund vollends einzuweihen.

„Severus hat angefangen, Harry auf etwas aufmerksam zu machen und je näher wir der Sache kommen, je mehr wir Fragen stellen und je mehr Theorien wir aufstellen, desto verschlossener wird er. Neulich hat er mir sehr deutlich gesagt, dass ich aufhören soll.“
„Mit was aufhören, Hermine?“
„Ihm zu helfen. Ich soll aufhören, ’meine Nase überall hineinzustecken’ – das waren seine Worte gewesen. Er hat gesagt, ich soll mich aus seinem Leben heraushalten. Ich habe ihn an dem Abend, bevor ich zu dir gekommen bin, zu sehr gereizt“, gestand Hermine mit reumütiger Miene.
Besorgnis war herauszuhören, als Remus fragte: „Er hat dir aber nichts angetan oder?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, er hat mich zwar mit seinem Zauberstab bedroht, aber es ist nichts geschehen. Ich hatte nicht einmal Angst vor ihm.“ Sie lächelte Remus an und fügte gezwungen aufmunternd hinzu: „Kaum zu glauben oder?“
„Du hattest nie Angst vor ihm gehabt“, sagte er selbstsicher, denn er erinnerte sich an das eine Jahr, in welchem er Hermine als seine Schülerin bezeichnen durfte und ihr Umgang mit Severus war ihm nicht entgangen. Ihre Wissbegierde hatte sie dazu angetrieben, selbst den von allen anderen Schülern gefürchteten Zaubertränkemeister mit Fragen zu löchern, auch wenn es sie oft Hauspunkte gekostet hatte.

Gedankenverloren blickte Hermine zum Buch hinüber und flüsterte: „Er will mich loswerden, damit ich nicht mehr herumschnüffle und das bedeutet hoffentlich, dass ich sehr nahe dran bin.“
Remus nickte. „Er hat vorhin gedroht deine Ausbildung zu beenden, wenn du das Buch nicht liest.“ Sie blickte erstaunt auf, so dass er verlegen erklärte: „Wir haben durch die Tür nur Gesprächsfetzen gehört, aber es schien mir eher, als wolle er dich keiner Gefahr aussetzen.“
In Erinnerung an ihr letztes Gespräch mit Severus schnaufte sie herablassend und gab Remus zu verstehen: „Stattdessen will er sich der Gefahr aussetzen, weil ihm sein eigenes Leben offenbar keinen Pfifferling wert ist.“
„Er kann auf sich aufpassen“, verteidigte Remus seinen ehemaligen Schulkameraden und Ordensbruder.
„Er sagte einmal, er wüsste nicht mehr, wie lange er noch…“
Remus schien besorgt. „Wie lange er noch was?“
Ihre Stimme war unruhig, als sie leise sagte: „Er hat den Satz nie beendet, Remus. Wir dürfen uns unseren Teil selbst denken.“

Mitfühlen nickte Remus. Er konnte sich vorstellen, was Severus momentan durchmachen könnte.

„Der Krieg hat die Menschen sehr belastet, Hermine. Severus ist auch nur ein Mensch und es wäre verständlich, wenn auch er eines Tages unter all der Last zusammenbrechen würde, die er zu tragen hatte und vielleicht ist jetzt dieser Moment gekommen. Man hatte gerade ihm nicht wenig aufgebürdet. Vielleicht leidet er wie viele andere an den Folgen der Kriegsjahre und ihr – Harry und du – interpretiert da viel zu viel hinein?“
Sie verneinte auf nette Weise und hielt dagegen: „Die vielen Hinweise deuten darauf hin, Remus, dass etwas vorgefallen sein muss, was unmittelbar mit dem Tod von Lily in Zusammenhang steht.“
Remus lächelte gequält, bevor er gebrochen gestand: „Der Tod von Lily und James hat so einige von uns verändert, warum nicht auch ihn?“
„Hat sich deine Augenfarbe auch verändert?“

Ihre rhetorische Frage war ein klares Zeichen, denn diese Merkwürdigkeit bei Severus konnte sicherlich nicht durch einen Schicksalsschlag entstanden sein und es war auch nicht an den Haaren herbeigezogen, denn er selbst hatte das bei Severus bemerkt. Was Remus bisher zu hören bekommen hatte, machte für ihn jedoch wenig Sinn. Er fragte sich, warum Hermine geglaubt hätte, Severus wäre von einem Dementor geküsst worden, denn das würde noch ganz andere Merkmale mit sich bringen als nur eine dunkle Augenfarbe.

Remus hörte sich ein wenig enttäuscht an, als er sagte: „Du hast mir noch immer nichts Genaues gesagt und ich kann mir aus alldem, was ich nun weiß, keinen Reim machen.“
„Oh“, machte sie. Sie lächelte gezwungen und zog den selbstironischen Vergleich: „Dann geht es dir ja genauso wie mir. Die ganzen Informationen bringen mich einfach nicht zu einem Resultat. Severus schweigt…“

Resignierend schüttelte sie den Kopf. Man konnte ihr ansehen, dass sie unzufrieden mit sich selbst war; dass sie daran zweifelte, Probleme lösen zu können, was ihr früher stets gelungen war. Sie war an ihre persönlichen Grenzen gestoßen und das zermürbte sie.

„Mit ihm ist damals etwas geschehen; etwas, das ihm seine Fähigkeit genommen haben musste, empfinden zu können.“
Erneut blickte Remus auf den Buchtitel und las laut vor: „’Bewusstsein, Mitwahrnehmung und Sentiment’. Ich kann verstehen, warum du glaubst, dass dieses Buch einen Hinweis beinhalten könnte. Ich frage mich aber, ob du nicht vielleicht einem Phantom nachjagst.“
„Einem Phantom?“, wiederholte sie ein wenig erbost. „Ich bin nicht die Einzige, der aufgefallen ist, dass Severus sich verändert und dass bestimmte Dinge oder Situationen bei ihm Gefühlsausbrüche auslösen können! Draco hat es bemerkt und natürlich Harry! Selbst Sir Nicholas ist das mit der Augenfarbe aufgefallen. Glaubst du, wir alle haben nur eine Sinnestäuschung erlebt?“
„Wenn es keine Einbildung ist“, beruhigte er sie, „was soll es sonst sein?“
„Genau das versuche ich herauszufinden. Er ist…“

Sie stoppte sich selbst. Es war eine Sache, für sich selbst die Diagnose aufzustellen, dass Severus depressiv war, aber es auszusprechen war etwas anderes.

„Er ist was?“ Remus legte den Kopf schräg und wartete darauf, ob sie antworten würde oder nicht.
„Ich glaube, er ist ernsthaft gemütskrank, Remus, aber ich glaube nicht, dass das nur durch den Krieg kommt. Er hat sich aufgegeben und das habe nicht nur ich oft genug heraushören können.“ Hermine hatte genauso geklungen wie sie Severus’ Zustand beschrieben hatte.

So gelassen wie möglich, denn das Gespräch gab ihm viel zum Nachdenken, lehnte sich Remus mit dem Rücken an die Couch. Seinen Blick hatte er starr auf das Buch auf dem Tisch gerichtet, während er sich fragte, ob es Severus im Augenblick wirklich so ergehen könnte wie es ihm selbst direkt nach dem Tod seiner besten Freunde ergangen war. Fellini hüpfte unerwartete auf seinen Schoß, um sich streicheln zu lassen und Remus tat dem Tier den Gefallen sehr gern.

Dem unerwarteten Murmeln seiner Gastgeberin neben sich lauschte er gespannt.

„Warum bietet mir ein Mann, der Menschen und besonders mich nicht ausstehen kann, eine Stelle an, von der er weiß, dass ich sie höchstwahrscheinlich annehmen würde?“ Ohne sich zu äußern versuchte er selbst eine Antwort auf diese Frage zu finden und er horchte auf, als Hermine wieder mit sich selbst sprach. „Er hält mich für neunmalklug und besserwisserisch, für aufdringlich; vielleicht bin ich das sogar.“ Remus musste verschmitzt grinsen, obwohl er niemals zustimmen würde. „Nachdem er mich sechs Jahre lang gedemütigt hat, nimmt er mich als seine Schülerin auf, als hätten wir nie Probleme miteinander gehabt.“

Remus wandte seinen Kopf, um Hermine anzusehen, doch er bemerkte schnell, dass sie in Gedanken versunken war und ihn nicht einmal mehr zu beachten schien. Während der Ordenstreffen, die Harry damals geführt hatte, durfte er bereits mit Hermines Art über etwas nachzudenken Bekanntschaft machen. Der Kniesel auf seinem Schoß hatte sich niedlich zusammengerollt und ließ sich kraulen, während ihm derweil ein wohltuendes Schnurren entwich.

„Nach der Ordensverleihung ist es uns aufgefallen“, sagte sie und nickte dabei langsam. „Es hat angefangen, als Harry ständig um ihn herum war.“ Remus hob die Augenbrauen, blieb jedoch stumm, um ihren Gedankenfluss nicht zu unterbrechen. „Dann hat er Harry diesen merkwürdigen Hinweis gegeben, dass er geglaubt hätte, jedes Gefühl vor zwanzig Jahren wäre für immer begraben worden; dass nur noch Hass geblieben wäre.“ Sie sprach sehr deutlich, wenn auch zu sich selbst und Remus hörte sehr aufmerksam zu, weil ihre Äußerungen sehr interessant und für ihn völlig neu waren. „Alles wäre für immer verloren, wenn man dem ausgesetzt gewesen wäre, hätte jemand gesagt. Welcher ’jemand’…? Es kann nur Albus gewesen sein, ganz sicher hat Albus das gesagt!“

Bei diesen fesselnden Neuigkeiten konnte Remus nun nicht mehr entspannt sitzen, weswegen er sich leicht nach vorn beugte, ohne Fellini von seinem Schoß zu verscheuchen, damit er weiterhin an Hermines Lippen hängen konnte.

„Es wäre notwendig gewesen, es hätte keinen anderen Weg gegeben, waren seine Worte gewesen“, rief sie sich ins Gedächtnis zurück. Sie kommentierte die Information, wie sie es schon oft getan hatte. „Warum war es ausweglos gewesen? Es gibt immer mehrere Wege. Was hatte Severus noch gesagt?“ Sie dachte angestrengt nach und kam auch auf die letzten Worte, die sie von Harry kannte. „Kein normaler Mensch hätte die Rolle so lange durchhalten können. Damit kann nur die Rolle als Spion gemeint sein. Am Ende war es seine Entscheidung gewesen, hatte Severus gesagt. Vorher nicht? Vielleicht hat man ihn zu etwas gedrängt? Albus könnte ihm einen ’Vorschlag’ gemacht haben und… Was haben die beiden nur getan? Warum ist danach nur noch Hass geblieben? Es muss einen Grund gegeben haben, dass Severus Harry davon erzählt hat. Er will Hilfe! Zu dem Zeitpunkt wollte er Harry auf etwas aufmerksam machen und er muss gewusst haben, dass Harry mit Ron und mir darüber reden wird. Wir haben immer über alles geredet.“ Ihre Stimme war zum Ende hin zu einem leisen Säuseln geworden, was Remus an das entfernte Zirpen einer Grille erinnert hatte.

Es folgten wenige Minuten, in denen Hermine mit verklärtem Blick ins Leere starrte, doch Remus ging davon aus, dass es in ihrem Kopf laut tosen musste. Er schmunzelte, als er sich daran erinnerte, wie sie einmal gesagt hatte, es ließe sich in Gesellschaft besser denken. Sie wollte den Faden nicht verlieren und er hütete sich davor, sie zu stören. Er hatte nie gewusst, was Severus getan oder gesagt haben konnte, um die Aufmerksamkeit von Harry und Hermine zu erlangen, doch jetzt, dank ihrer eigenwilliger Art, Probleme durch Selbstgespräche zu lösen, hatte er endlich erfahren, was die beiden - besonders Hermine – so beschäftigte. Severus war ein Mysterium, das sie ergründen wollte.

„Hat er Harry womöglich damit neugierig machen wollen, nur um ihn in seiner Nähe zu behalten?“, fragte sie leise in den Raum hinein.
Hier schaltete sich Remus ein, denn er sagte mit milder Stimme, um sie nicht zu erschrecken: „Es war doch aber Albus gewesen, der ihm die Stelle als Lehrer angeboten hatte und zwar sehr zeitig.“
Hermine blickte zu Remus hinüber und überdachte seine Zwischenbemerkung, bevor sie einsichtig sagte: „Natürlich war es Albus! Albus hat nicht nur Harry, sondern auch Severus an die Schule gebunden. Er hält wie immer die Fäden in der Hand. Er manipuliert…“
„Dich hat er nicht manipuliert, Hermine. Albus hatte mit deiner Entscheidung nichts zu tun, denn du hast aus eigenen Stücken bei Severus zugesagt“, hielt Remus ihr vor Augen und sie musste innerlich zustimmen, denn soweit sie wusste, war es eine spontane Entscheidung von Severus gewesen, ihr die Stelle überhaupt zu unterbreiten.

Eine Sache konnte Remus nicht verstehen, weswegen er wissen wollte: „Aber warum sollte Albus dafür sorgen wollen, dass Harry in Severus’ Nähe bleibt?“
Mit todernster Miene antwortete sie auf seine Frage: „Weil Albus weiß, was damals mit Severus geschehen ist.“ Remus Augen weiteten sich, doch bevor er dagegenhalten konnte, ergriff sie das Wort. „Das ist nicht nur eine wilde Vermutung, Remus. Er hat es mir gesagt! Albus hat zugegeben, dass er versprochen hätte, kein Wort über die Angelegenheit mit Severus zu verlieren. Von ihm werde ich nichts erfahren, stattdessen hält er Harry und mich dazu an weiterzumachen.“
„Womit weiterzumachen?“
„Das ist die große Frage!“, sagte sie absichtlich hysterisch klingend. „Vielleicht damit weitermachen, in seiner Nähe zu sein? Harrys Anwesenheit bewegt etwas in Severus; ruft starke Gefühle hervor.“ Sie begann wieder zu murmeln. „Die Decke, Harrys Hilfsbereitschaft…“ Ihre Gedankengänge sprangen wild umher. „Severus will mich vergraulen, mich loswerden. Vielleicht wirke ich auf ihn schon so wie Harry? Und er hat Angst vor der Veränderung, die wir in ihm hervorrufen. Das erklärt zumindest, dass er sein eigener Irrwicht ist.“
„Wie bitte?“, fragte Remus entgeistert. „Habe ich das richtig verstanden? Severus ist sein eigener Irrwicht?“
Sie nickte und erklärte: „Ja, ich habe ihn gesehen. Sein Irrwicht war nur durch ein Merkmal vom echten Severus zu unterscheiden!“
Auf den Kopf gefallen war Remus nicht, weswegen er laut vermutete: „Hellere Augen?“ Wieder nickte sie bestätigend. „Das ist ungewöhnlich, Hermine. Ich habe noch nie davon gehört, dass man selbst sein eigener Irrwicht sein könnte“, erklärte er, denn er hatte schon etliche in seinem Leben gesehen, auch die von anderen Menschen. „Wie kann jemand sich selbst so sehr fürchten, dass es die größte Angst darstellt?“
„Sein Irrwicht war ja nicht immer so. Er hat mir erzählt, dass er im Laufe seines Lebens verschiedene gehabt hatte. Einmal war es ein…“
Sie stoppte sich selbst, um Remus nicht in eine unangenehme Situation zu bringen, doch er fragte nach: „Ein was?“
Ihn entschuldigend anblickend offenbarte sie: „Ein Werwolf.“

Wie sie es geahnt hatte, hatte Remus mit dieser Information schwer zu kämpfen. In seinem Gesicht war Reue zu erkennen, denn noch immer konnte er sich den so viele Jahre zurückliegenden Vorfall nicht verzeihen, obwohl ihn keine Schuld traf. Hermine lenkte ihn von seinen Gewissensbissen ab.

„Vielleicht will er mich loswerden, weil ich zu viel Zeit mit ihm verbringe und er auch in meiner Gegenwart diese Veränderung an sich selbst erfährt?“, stellte sie als Frage in den Raum, die Remus keinesfalls beantworten konnte, doch sie erwartete keine Antwort. „Er hat gesagt, er sieht mich als eine Freundin so wie er Lily damals als Freundin gesehen hat.“
Hier wurde Remus stutzig, doch er ließ sich nichts anmerken und fragte stattdessen: „Hat er dir das gesagt?“
„Nein, er hat es Harry gesagt, weil der danach gefragt hatte. Er wollte wissen, wie Severus mich sieht.“

Nur zu gut wusste Remus, dass sein alter Schulkamerad stets mehr in Lily gesehen hatte als nur eine enge Freundin, selbst als sie schon mit James verheiratet gewesen war.

„Seine Reaktion auf die Babydecke war bisher am stärksten. Er muss irgendein Erlebnis damit gehabt haben“, mutmaßte sie laut. Sie wandte sich Remus zu und fragte, obwohl sie selbst verneinen würde: „Hat er das Geschenk persönlich übergeben?“
„Nein, er hat es per Eule geschickt. Ich war dabei, als das Päckchen angekommen ist.“
„Aber warum verbindet er so viel mit der Decke, wenn er sie nur besorgt und verschickt hat? Was kann so prägend gewesen sein, dass dieses bisschen Stoff ihn völlig aus der Bahn geworfen hat?“

Sie blickte abermals zum Buch, schüttelte den Kopf und fragte erbost: „Warum zum Teufel gibt er mir weiterhin Hinweise, wenn ich mich nicht drum scheren soll? Wenn er mich sogar davonjagen will?“ Sie seufzte. „Ich bin wohl eine schlechte Freundin…“
Sie klang am Ende so traurig, dass Remus aufheiternd sagte: „Das würde dir keiner deiner Freunde bestätigen, Hermine! Du kümmerst dich um deine Freunde und zeigst ihnen, dass sie dir nicht egal sind.“ Er konnte ihr damit ein Lächeln entlocken, doch das verstarb leider so schnell wie es gekommen war.
„Er empfindet mich als aufdringlich“, sagte sie enttäuscht.
„Jetzt hör mal zu, Hermine: Wenn er wirklich Hilfe bei was auch immer von euch erwartet, dann wäre es doch gut möglich, denn es würde seinem Charakter entsprechen, dass er nicht involviert sein möchte. Er hat euch eine Aufgabe gegeben und erwartet, dass ihr sie alleine löst, weil er sich aus nicht ersichtlichen Gründen nicht mit der Problemlösung befassen kann oder will. Das wäre zumindest eine Erklärung dafür, warum er abweisend wird, wenn ihr ihn mit euren Fragen oder Entdeckungen konfrontiert.“
„Genau das ist aber das Problem“, erklärte Hermine verzweifelt. „Wir haben zu wenige Informationen, um auch nur auf einen Lösungsansatz zu kommen. Ich weiß nur, dass er etwas sucht, dass er wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzen möchte – reparieren möchte – aber was soll das sein? Hat das mit seiner Augenfarbe und seinen Gefühlen zu tun und wenn ja, inwiefern? Seine Magie ist grau und ich weiß…“
„Moment mal, Hermine!“, sagte Remus mit einer stoppenden Geste seiner Hände. „Was ist mit seiner Magie?“

Sie biss sich auf die Unterlippe und lag nun mit sich selbst im Clinch. Neben dem Irrwicht war Severus’ Magiefarbe wohl das Persönlichste, was sie je von ihm erfahren hatte. Sie würde ihn enttäuschen, sollte er eines Tages erfahren, dass sie Remus davon erzählt hatte.

„Hermine?“, fragte Remus vorsichtig nach.
„Verdammt“, schimpfte sie mit sich selbst. Sie wollte es Remus sagen, denn oft war es schon vorgekommen, dass eine Bemerkung ihrer Freunde, selbst wenn es nur eine witzige Anmerkung von Ron gewesen war, ihr einen Denkanstoß in die richtige Richtung gegeben hatte. Sie schürte die Hoffnung, dass es heute mit Remus auch so sein könnte.

Sie fragte sich, warum sie überhaupt Schuldgefühle hatte, denn wenn Severus – und danach sah es ja aus – tatsächlich die gesamte Arbeit auf Harrys und Hermines Schultern abgelegt hatte und er sich selbst aus allem heraushalten wollte, dann müsste er damit rechnen, dass die beiden jede Möglichkeit wahrnehmen würden, sein Geheimnis zu lösen. Severus brauchte es nie erfahren, dass sie heute auch Remus eingeweiht hatte.

„Ich kann sehr verschwiegen sein, Hermine“, versicherte er ihr, obwohl sie das durchaus wissen musste, denn er war der Einzige gewesen, mit dem sie über ihre Beziehung mit Ron gesprochen hatte, als ihr selbst noch nicht ganz klar gewesen war, warum es einfach nicht funktionieren wollte.

Sie holte tief Luft, bevor sie fragte: „Von meinem Farbtrank weißt du?“
„Nichts Genaues, nur dass du daran forscht und er Magie sichtbar machen kann. Sirius hat mir von dem Experiment mit Anne erzählt und Harry sagte mir, seine Farbe wäre Gold.“
Nickend bestätigte sie, bevor sie mit der Sprache rausrückte: „Severus’ Magie ist Grau.“ Geduldig wartete Remus auf weitere Erklärungen, denn er kannte die Bedeutung der Farbe nicht. „Grau steht für ein ausgelaugtes Innenleben, für kaum oder gar nicht vorhandene Empfindsamkeit und außerdem für eine verirrte oder verlorene Seele.“

Erst jetzt verstand Remus und es schockierte ihn zu hören, wie es um Severus stand. Die vielen kleinen Erkenntnisse, die Hermine bereits hatte zusammengetragen können, ließen seiner Meinung nach tatsächlich darauf schließen, dass viel mehr hinter Severus’ Verhalten zu stecken schien, als man im ersten Moment vermuten würde.

Abrupt blickte sie auf das Buch und las den Titel mehrmals in Gedanken, bevor er ihr laut entwich: „’Bewusstsein, Mitwahrnehmung und Sentiment’. Natürlich muss es ein Hinweis sein. ’Sentiment’ ist nichts anderes als das Gefühl, die Emotion!“

Sie griff nach dem Buch, schlug es auf und überflog mit Hilfe eines Zeigefingers die Inhaltsangabe. Als ihr Finger beim letzten Kapitel angelangt war, schüttelte sie ratlos den Kopf.

„Ich werde alles lesen müssen“, erkannte sie seufzend. „Wie soll man Gefühle trennen oder reduzieren können, vielleicht sogar beschädigen, so dass sie wie eine kaputte Vase wieder zusammengeklebt werden müssen? Geht denn das überhaupt? Sucht er nach diesen ’Resten’, weil er sie ’verlegt’ hat oder hofft er einfach, dass sie nicht vollständig zerstört sind?“

Remus wusste, dass sie keine Antwort von ihm erwartete und wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann musste er sich als völlig ahnungslos bezeichnen. All das, was sie ihm erzählt hatte, war für ihn sehr interessant gewesen, aber er hatte nicht einmal ansatzweise eine Idee, was Severus fehlen könnte oder wie ihm zu helfen war.

„Du kannst damit überhaupt nichts anfangen“, sagte sie sehr ruhig, denn sie hatte diese Tatsache längst an seiner Körpersprache ausmachen können. Er lächelte verschämt und schüttelte den Kopf. „Das macht nichts. Es war gut, mit jemandem drüber zu reden.“
„Es geht dir nicht aus dem Sinn, Hermine, nicht wahr? Auf der einen Seite ist es eine spannende Situation mit Severus, aber auf der anderen Seite möchtest du einfach nur helfen.“
„Wenn ich wenigstens helfen könnte…“

Sie hielt inne, als Fellini abrupt von Remus’ Schoß sprang und mit hochgestelltem Schwanz zur Tür lief, bevor er seinem Frauchen einen fordernden Blick zuwarf.

„Was hat er?“, wollte Remus wissen.
Von Fellini schaute sie zu ihrem guten Freund hinüber und sagte flüsternd: „Das ist Severus. Es ist fast jeden Abend dasselbe; manchmal sogar tief in der Nacht.“ Remus zog fragend seine Augenbrauen in die Höhe, so dass sie erklärte: „Das erste Mal habe ich einfach nur gedacht, dass Fellini raus möchte und als ich die Tür aufgemacht habe, stand Severus plötzlich vor mir. Später ist Fellini manchmal zur Tür gerannt, genau wie er es jetzt getan hat. Severus geht hier vorbei und hinten die Treppen hinauf.“
„Und wo geht er hin?“, fragte Remus neugierig und gleichzeitig besorgt.
„Auf den Dachboden, da bin ich mir ganz sicher!“
„Was befindet sich auf dem Dachboden?“
„Ich weiß es nicht, Remus. Als ich ihm gesagt hatte, er könnte mich nicht daran hindern, auf den Dachboden zu gehen, da hat er mich mit seinem Stab bedroht“, schilderte sie ihm mit leiser Stimme.
„War das die Situation, wo du ihn deiner Meinung nach zu sehr gereizt hattest?“ Sie nickte zustimmend.

Seufzend stand Hermine von der Couch auf, um zur Tür zu gehen.

„Wohin gehst du?“
„Ich lasse nur Fellini raus“, sagte sie und legte derweil schon die Hand auf die Türklinke.
„Warte!“ Remus näherte sich Hermine und ihrem Haustier und fragte, während er auf den Kniesel deutete: „Geht er ihm nach?“ Sie lächelte und gab zu, es zu hoffen, aber leider nicht zu wissen. „Lass mich einen Verfolgungszauber auf ihn legen. Wenn er Severus folgen sollte, dann wirst du wissen, wo er so spät abends noch hingeht. Der Dachboden ist groß.“

Mit großen Augen blickte sie ihn an, nachdem er diesen Vorschlag gemacht hatte.

„Schau nicht so.“ Er grinste breit, bevor er flüsterte und nicht sehr ernst sagte: „Solche kleinen Tricks könnten eventuell weiterhelfen oder weißt du etwa, wo genau Severus hingeht?“ Sie verneinte wortlos. „Noch nie einen Blick auf die ’Karte der Rumtreiber’ geworfen?“ Wieder schüttelte sie den Kopf.

Remus zog seinen Stab, richtete ihn auf Fellini und sprach einen sehr einfachen Verfolgungszauber, den man später, wenn das Tier zurückgekommen war, auf ein Pergament übertragen konnte, auf welchem sich entweder eine Karte oder eine in Worte verfasste Wegbeschreibung befinden würde.

Zur gleichen Zeit im Mungos befand sich Stan in einer kleinen Zwickmühle, denn Professor Junot, Professor Reynolds und leider auch Professor Puddle waren von dem Lärm in der Leichenhalle, der durch die zersprungene Flasche Feuerwhisky entstanden war, alarmiert gewesen.

Vorhin, als Stan nach dem kleinen Schreck zur Leiche hinübergegangen war, da hatte er sehen können, dass sie sich fast unmerklich bewegte. Die Haut der Frau war nicht mehr grau gewesen, sondern etwas rosig und ihr Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig, wenn auch nur sehr sanft. Sie hatte ihn mit klaren Augen angeblickt und mehrmals den Mund geöffnet, aber ein Ton war nicht über ihre Lippen gekommen.

„Sie sind am Leben!“, hatte er völlig verblüfft geflüstert.

Mit beiden Händen hatte er ihr Gesicht umfasst und bemerkt, dass sich ihre Haut nicht wie die einer Toten anfühlte, wenn sie auch nicht sonderlich warm war, was er den hier herrschenden Temperaturen zuschreiben musste. Er hatte sich zu ihr gebeugt, damit er verstehen konnte, was sie ständig zu wiederholen schien und endlich waren ihre schwachen Worte an sein Ohr gedrungen.

„Berenice…“

„Was?“, fragte er verdattert nach, doch da verlor ihr Gesicht abrupt wieder an Farbe und ihr Blick wurde stumpf. In just diesem Moment kamen die drei Professoren in die Leichenhalle gestürmt und Stan fand sich in der Verlegenheit, nicht nur die zerschellte Flasche zu erklären, sondern auch glaubwürdig das zu schildern, was er erlebt hatte.

Professor Puddles Blick fiel als Erstes auf die am Boden liegenden Scherben und dem noch gut leserlichen Etikett eines preiswerten Fusels, woraufhin er den Mitarbeiter vorwurfsvoll anblickte.

Stans Hände ruhten noch immer auf den Wangen der Frau. Bevor ihm jedoch einer von den dreien die Leviten lesen konnte, informierte Stan die Heiler: „Die Frau ist nicht tot! Sie hat gesprochen, mich angesehen und…“
„Halten Sie Ihren Mund, Sie Schnapsdrossel“, schimpfte Puddle, „und nehmen Sie Ihre Hände von der Toten!“
„Sie hat ihren Kopf bewegt!“, versuchte Stan den dreien zu erklären.

Im gleichen Moment, als er das behauptet hatte, war ihm klar geworden, wie die drei Professoren die Situation sehen müssten, denn sie würden davon ausgehen, dass er selbst den Kopf der Frau bewegt hatte.

Langsam ließ er von ihrem eben noch warmen Gesicht ab, bevor er Puddle anblickte und sehr selbstsicher sagte: „Sie hat ihren Kopf bewegt und deswegen bin ich zu ihr gegangen.“
„Ich habe genug!“ Puddle war außer sich. „Morgen brauchen Sie nicht wiederzukommen und jetzt verschwinden Sie!“
„Aber Sir…“
„HINAUS!“
Zuletzt geändert von Muggelchen am 02.02.2011 10:11, insgesamt 1-mal geändert.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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Mitten in der Nacht war das evakuierte Hogsmeade nicht wie ausgestorben, sondern voller Leben. Auroren wuselten von Haus zu Haus, um sie zu durchsuchen und danach zu versiegeln. Zwei von ihnen begleiteten ein älteres Pärchen, das sie gefunden hatten, die Straße hinunter. Das Ehepaar hatte sich gegen die Evakuierung gesträubt und sich im Keller ihres Hauses versteckt. Die Auroren brachten die beiden in die Winkelgasse, damit sie die eine Nacht im Tropfenden Kessel verbringen konnten.

Die Gebäude in Hogsmeade wurden unbegehbar gemacht und die Gegend wurde weiträumig mit Schutzzaubern abgesperrt. In der Ferne sah Kingsley die Scheinwerfer von ein paar Muggelfahrzeugen, die mit konstanter Geschwindigkeit auf das Dorf zugefahren kamen und er wusste, um was für Männer es sich handeln musste.

Einer der Männer stieg aus dem ersten Wagen des kleinen Konvois und kam mit lässigen Schritten allein auf ihn zu.

„Sind Sie Shacklebolt?“, fragte der groß gebaute Mann, dessen ausgeprägte Muskeln sich sichtbar durch die Uniform abzeichneten. Der Mann war Kingsley sofort sympathisch und er wusste aus dem Bauch heraus, dass das Weglassen einer höflichen Anrede nicht von mangelndem Respekt zeugte.
„Ja, der bin ich. Dann sind Sie Geoffreys?“, fragte Kingsley mit einem Lächeln auf den Lippen, während er dem Mann die Hand entgegenhielt.
„Ganz recht.“ Der Mann schüttelte Kingsleys Hand und beide bemerkten den festen Händedruck des anderen, weshalb Geoffreys ebenfalls lächeln musste.

Geoffreys blickte an Kingsley vorbei und betrachtete für einen Moment die Männer und in seinen Augen auch ungewöhnlich vielen Frauen, die ihrer Arbeit nachzugehen schienen.

„Gut, Shacklebolt, dann möchte ich Sie bitten mich aufzuklären.“ Geoffreys hatte sehr bedächtig gesprochen, doch bevor der Dunkelhäutige antworten konnte, fügte er hinzu: „Besonders über das, was mein Vorgesetzter mir als Hinweis mit auf den Weg gegeben hatte.“
„Und was war das gewesen?“, wollte Kingsley wissen.
„Das alles, was heute seltsam erscheinen mag, völlig normal wäre.“

Das tiefe, freundlich klingende Lachen von Kingsley machte Tonks aufmerksam und sie blickte zu ihrem guten Freund hinüber, der etwa zehn Meter von ihr entfernt stand und sich mit einem der erwarteten Muggel unterhielt. Tracey folgte ihrem Blick.

„Wer sind die genau?“, fragte Tracey neugierig.
„Das müssen diese Experten sein, die Arthur beim anderen Minister angefordert hat. Die werden sich noch heute Nacht um die Kisten in der Höhle kümmern“, antwortete Tonks gewissenhaft.
„Wissen die, dass wir zaubern können?“
Darauf konnte sie keine Antwort geben und zuckte daher einmal mit den Schultern.

Tonks sah, wie Kingsley dem Mann einmal auf die Schulter klopfte, doch sie hörte nicht, was die beiden sagten.

„Ich will es mal so sagen, Geoffreys: Wenn Ihnen heute etwas seltsam vorkommen sollte, dann fragen Sie mich einfach und ich werde Ihnen eine ehrliche Antwort geben.“ Der Abgesandte der Muggel nickte, schien jedoch keinesfalls verängstigt oder unsicher.
„Okay, dann werde ich meine Männer holen und dann zeigen Sie uns die Höhle mit dem Sprengstoff.“

Kingsley nickte, so dass Geoffreys einen Teil seiner Männer anwies, den Rest ihrer notwendigen Schutzkleidung anzulegen und die Rucksäcke mit der Ausrüstung aufzusetzen, so wie er selbst es auch tat.

Mit den sechs Männern im Schlepptau kam Geoffreys auf Kingsley zu und sagte, er wäre bereit, sich nun einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Die meisten seiner Männer blieben im Wagen und standen offensichtlich für spätere Entschärfungsarbeiten oder den Abtransport bereit.

„Gut, gehen wir.“ Doch bevor Kingsley voranging, schaute er in eine bestimmte Richtung und rief: „Tonks?“ Als sie hinüberschaute, machte er nur ein Zeichen mit seiner Hand und sie kam sofort auf ihn zugelaufen. Kurz bevor sie bei den Männern angekommen war, stolperte sie, fand jedoch das Gleichgewicht wieder, so dass sie nicht auf den Boden fiel. Zwei der Männer lachten, doch Geoffreys unterband diese Unhöflichkeit mit einem einzigen Blick.

„Dann folgen Sie mir bitte.“

Kingsley und Geoffreys gingen voran und gleich hinter ihnen lief Tonks. Während sie sich eher auf das Getuschel hinter ihrem Rücken kümmerte, denn zwei der Männer machten anzügliche Bemerkungen über sie, unterhielten sich die beiden Verantwortlichen der Zauberer- und Muggelwelt miteinander.

„Mir wurde nur von unserem Minister mitgeteilt“, begann Kingsley, „dass wir mit der Hilfe von erfahrenen Sprengstoffexperten rechnen dürfen. Sind Sie vom Scotland Yard?“
„Nein, aber da habe ich damals angefangen. Es ist bisher nur zweimal vorgekommen, dass ich als Sprengstoffexperte herangezogen werde. Meine Männer und ich sind nämlich vom MI5.“
Kingsley musste nachfragen: „Was genau ist das?“
Über diese Unwissenheit ein wenig erstaunt erklärte Geoffreys: „Inlandsgeheimdienst.“ Mit einer hochgezogenen Augenbraue fragte er gleich darauf sehr neugierig: „Und Sie sind von…?“
„So etwas Ähnlichem“, erwiderte Kingsley, wollte aber noch nichts über die Zaubererwelt preisgeben.
„Mmmh“, machte Geoffreys amüsiert. „Mein Vorgesetzter hat mir den Befehl erteilt, heute Nacht auf alle Fälle kooperativ zu sein und Ihnen alle Fragen ehrlich zu beantworten. Das war wohl ausschlaggebend dafür, dass ich mich ein kleines bisschen unwohl fühle. So einen Befehl hat es noch nie gegeben, Shacklebolt. Dann noch diese merkwürdigen Hinweise von meinem Boss.“ Geoffreys schüttelte nachdenklich den Kopf, sagte aber kurz darauf belustigt: „Sie müssen entweder ein hohes Tier sein oder Sie haben meinen Vorgesetzten in der Hand.“
„Ich bin der Leiter der Zentrale unseres Einsatzbüros“, offenbarte Kingsley, auch wenn er den Begriff „Aurorenzentrale“ auf das letzte Wort beschränkt hatte, denn er wusste nicht, was die beiden Minister untereinander ausgemacht hatten und ob Geoffreys und dessen Männer später das Gedächtnis optimiert bekommen könnten.

Etwas entfernt war bereits der Fluss zu sehen. Durch den Schnee, der das Licht des Mondes reflektierte, konnte man einen kleinen Pfad erkennen, den sie nun eingeschlagen hatten. Kingsley hatte sich mit einigen Auroren bereits mehrmals die Höhle und deren Inhalt angesehen, jedoch nichts berührt.

„Da vorn“, sagte Kingsley und deutete auf den Fluss. „Wir müssen um die herausstehende Felswand herum. Der Höhleneingang befindet sich gleich dahinter.“
Geoffreys stutzte, als er das fließende Wasser betrachtete, welches eiskalt sein musste, doch das hielt ihn nicht davon ab, seinen Männern zu sagen: „Bereitet euch auf durchnässte Hosenbeine vor.“

Ein Raunen war zu hören, doch die Männer parierten.

An der Reihenfolge, in welcher sie vorhin zum Fluss marschiert waren, hatte sich nichts geändert, denn auch jetzt machte Kingsley den Anfang, gefolgt von Geoffreys und Tonks. Als die beiden Männer das Wasser durchquert und bereits wieder festen Boden unter den Füßen hatten, hörte man es laut platschen. Einer der Männer hatte nach Tonks gegriffen, die auf dem glitschigen Boden den Halt verloren hatte und zu fallen drohte. Er hatte sie festhalten und an die Felswand drücken können, damit sie wieder Halt finden konnte, doch anschließend war er selbst ausgerutscht und einmal komplett untergetaucht.

Die ersten Worte, die er nach dem Auftauchen von sich gab, waren: „Verdammt, ist das kalt!“ Er schüttelte seinen Kopf, fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht und griff schnell nach seiner Mütze, bevor sie im Fluss abzutreiben drohte.

Seine Kumpane lachten, liefen jedoch weiterhin vorsichtig um die Felswand herum, um sich nicht selbst noch zum Gespött zu machen.

„Williams“, rief Geoffreys, „komm schon raus aus dem Wasser. Zum Angeln ist es viel zu spät, die Fische schlafen längst.“

Alle hatten das übersichtliche Gebiet, welchen von einer Felswand eingekreist war, bereits erreicht und zwei der Männer halfen Williams aus dem Wasser hinaus. Der schenkte Tonks einen vorwurfsvollen Blick, denn hätte er ihr nicht geholfen, wäre sie jetzt diejenige, die pitschnass sein würde.

Gelassen wartete Kingsley darauf, bis sich Geoffreys an ihn wenden würde und er brauchte nicht lange zu warten.

„So, Shacklebolt“, sagte Geoffreys, nachdem er seine Männer kurz gemustert hatte und bei dem bereits vor Kälte schlotternden Williams die Lippen mitleidig zusammengepresst hatte. „Der Eingang der Höhle?“
Mit einem Finger zeigte Kingsley auf das dichte Gestrüpp, welches den Eingang bedeckte und sagte: „Dort hinter dem Busch.“
Nach nur wenigen Sekunden befahl Geoffreys allen Männern außer Williams: „Reißt das da raus! Ich will nicht, dass auch nur einer von euch daran hängen bleibt, wenn wir die Kisten rausholen!“

In null Komma nichts hatten die fünf kräftigen Männer den Busch entwurzelt und den Eingang sogar von losen Steinen befreit, über die man hätte stolpern können. Williams, unter dem sich eine große Pfütze gebildet hatte, versuchte mit zitternden Händen die Gurte seines Rucksacks zu lösen, doch durch die Kälte waren seine Finger bereits gefühllos, was Kingsley und Tonks nicht entgangen war.

Den Moment ergriff Tonks, um Williams zur Hand zu gehen und während sie die Schnallen und Gurte löste, sagte sie: „Danke fürs Festhalten.“ Das war das Mindeste, was sie tun konnte, obwohl sie viel lieber einen Zauber gesprochen hatte, um seine Kleidung zu trocknen und ihn mit einem Wärmezauber zu belegen.
„Nichts zu danken“, entgegnete Williams mit klappernden Zähnen. „Darf ich fragen, ob Sie noch ungebunden sind?“
„Tut mir Leid, ich bin schon vergeben“, entgegnete Tonks mit einem amüsierten Lächeln, denn ein Muggel – und dazu noch ein so gut aussehender – hatte noch nie Interesse für sie gezeigt, aber dazu gab es ja auch kaum Gelegenheiten in ihrem Leben.
Williams seufzte, bevor er amüsiert sagte: „Na dann… war es einfach nur eine gute Tat.“
Sie lachte nett auf. „Für die ich wirklich dankbar bin.“

„Der Weg ist frei, Sir“, sagte einer der Männer, der noch ein Teil des Gestrüpps im Fluss entsorgte.
„Gut, Garland und Ross kommen mit mir, die anderen warten.“

Die beiden Männer und Geoffreys selbst zogen ihre Taschenlampen heraus und bemerkten zum Glück nicht, dass Tonks ganz große Augen machte, nachdem sie die Leuchtkraft der Muggelhilfsmittel gesehen hatte.

Der Befehl, draußen zu warten, galt nicht Tonks und Shacklebolt, so dass sie die Höhle ebenfalls betraten.

„Haben Sie etwa keine Taschenlampen dabei?“, wollte Geoffreys wissen.
„Nein“, sagte Kingsley mit ruhiger Stimme, „wir brauchen keine.“
Geoffreys stutzte einen Moment, bevor er grinste und amüsiert sagte: „Was Punkt eins auf der Liste ’Was kommt mir seltsam vor?’ darstellen würde. Gehen wir!“

Zur gleichen Zeit, als Shacklebolt, Tonks, Geoffreys und zwei seiner Männer die Höhle betraten, gähnte Hermine laut.

„Hermine, es ist schon sehr spät. Wenn du das Buch noch lesen möchtest…“
Sie unterbrach Remus und sagte: „Fellini ist noch nicht da und ich möchte wissen, wo genau Severus hingeht. Das lässt mir keine Ruhe. Ich werde mich sowieso nicht aufs Lesen konzentrieren können.“
„Wenn du dann bitte mich entschuldigst, denn ich bin langsam wirklich müde“, sagte Remus mit müden Augen.
„Es tut mir Leid, wenn ich dich aufgehalten habe.“
„Nein, Hermine! Das muss dir ganz und gar nicht Leid tun. Für mich war das äußerst interessant. Es ist nur schade, dass ich keine große Hilfe sein kann. Ich kenne mich zwar mit den Dunklen Künsten aus, aber…“

Er stoppte sich selbst, weil Hermine ganz große Augen machte.

„Oh“, machte sie erleuchtend. „Natürlich kennst du dich damit aus! Warum sonst hätte Albus dir damals die Stelle gegeben?“ Remus äußerte sich nicht dazu, so dass sie freiheraus fragte: „Hast du auch schwarzmagische Bücher gelesen?“ Er blieb stumm. Hermine seufzte und offenbarte: „Ich habe welche gelesen und Albus weiß das. Harry, Ginny und Severus wissen es auch.“
„Du musst damit vorsichtig sein“, gab er ihr als ernst gemeinten Ratschlag, weswegen sie lächeln musste.
„Ja, das bin ich, keine Sorge“, beruhigte sie ihn. „Wie bist du auf die Dunklen Künste gekommen?“

Einen Moment lang dachte er über die richtigen Worte nach, bevor er mit leiser Stimme schilderte: „Ich denke, jeder Werwolf macht einmal eine Phase durch und sucht nach einer Möglichkeit, sich von seinem Fluch zu befreien und das war der Grund gewesen, warum ich…“ Er fuhr anders fort: „Es hat in der Schule angefangen, als wir viel mehr über die Dunklen Künste und die schier unendlichen Anwendungsmöglichkeiten erfahren haben und da hatte ich Hoffnung geschöpft. In den Ferien hat mir Sirius oft ein paar Bücher seiner Eltern zukommen lassen, auch wenn er mir immer davon abgeraten hat, sie wirklich zu lesen.“
„Sirius’ Eltern?“
Remus nickte. „Besonders seine Mutter fand es ’schick’, solche Bücher in der Sammlung zu haben. Es zählte zumindest damals bei vielen reichen Reinblüterfamilien zum guten Ton, etwas Ausgefallenes oder Verbotenes zu besitzen.“
„Ginny hatte mal gesagt, dass Alastor sich sehr ausführlich damit befasst hat“, warf Hermine ein.
„So gut wie alle Auroren haben sich damit befasst“, erklärte Remus als wäre es völlig normal. „Kingsley, Tonks… Jeder wollte irgendwann wissen, mit was sich der Feind beschäftigte, damit sie gegen die Todesser und deren Wissen gefeit waren. Man kann es ihnen nicht übel nehmen.“ Hermine in die Augen blickend gestand er: „Damals hatte Severus seine Vorliebe von Anfang an nicht geheim gehalten, aber ich wollte nicht mit ihm gleichgestellt werden, nur weil ich auch Schwarzmagisches gelesen habe. Sirius hatte immer gesagt, bei mir wäre das anders, weil ich Hilfe gesucht habe, aber Severus hatte sich aus reinem Interesse damit beschäftigt.“

Für einen Moment stellte sich Hermine das fiktive Szenario vor, wie der junge Severus und sein Mitschüler Remus in der Bibliothek saßen und sich flüsternd über das kleine Problem unterhielten, unter welchem Remus monatlich litt; wie beide sich über die Dunklen Künste austauschten und gemeinsam eine Lösung suchten, was für Severus sicherlich eine Herausforderung gewesen wäre. Mit diesem gemeinsamen Nenner hätten die beiden unter Umständen sogar eine Art Freundschaft schließen können, aber andererseits gab es da noch Sirius, der mit Sicherheit dazwischengefunkt hätte.

„Liest du solche Bücher immer noch?“, fragte Hermine neugierig.
Er schürzte die Lippen, bevor er zugab: „Die Bücher, die Tonks hat, die lese ich auch. Ansonsten hätte ich wohl den einen oder anderen Todesser nicht zur Strecke bringen können. Es war für die Kämpfe hilfreich gewesen, aber mein persönliches Interesse hält sich sehr in Grenzen.“
„Du hast sicherlich eine ganze Menge…“

Ein Scharren an der Tür und gleich darauf ein Maunzen ließ Hermine innehalten, bevor sie sich erhob und zur Tür ging. Nachdem sie geöffnet hatte, stürmte Fellini ins Wohnzimmer und er rieb sich schnurrend an den Beinen seines Frauchens.

Hermine tätschelte das Tier am Kopf. Remus hingegen zückte seinen Zauberstab und rief ein unbeschriebenes Blatt Pergament zu sich.

„Willst du eine Karte oder lieber eine schriftliche Wegbeschreibung?“
„Ich denke, eine Karte reicht aus“, antwortete Hermine, so dass Remus den entsprechenden Zauber sprechen konnte, um den auf Fellini liegenden Verfolgungszauber auf Papier zu bringen.

Wie von Geisterhand zeichneten sich Linien, Winkel und Kreise auf dem beigefarbenen Blatt ab und nach wenigen Minuten schauten sie auf eine Karte, auf der Fellinis Weg mit einer gestrichelten Linie angezeigt wurde, die einige Schlenker aufwies, aber nichtsdestotrotz führte sie in einen bestimmten Raum im Dachboden.

„Fellini geht ihm tatsächlich immer hinterher. Hätte ich nicht gedacht“, sagte Hermine verwundert.
„Zumindest weißt du jetzt, wo genau Severus auf seinem Rundgang Halt macht. Wirst du mal nachschauen?“ Er hörte sich fast wie eine Aufforderung an.
„Ich weiß nicht, Remus. Ich müsste das am besten am Tage machen, wenn er definitiv beschäftigt ist und mich nicht erwischen kann. Ansonsten wird es wohl großen Ärger geben.“

Bisher war Hermine ihm nicht gefolgt, denn sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie aufgebracht er gewesen war, als sie nur angedeutet hatte, selbst einmal auf den Dachboden gehen zu müssen, wenn er ihr nicht verraten wollte, was sich dort befinden würde.

„Ich geh rüber, Hermine. Ich bin todmüde!“
„Ja gut, danke für die Unterhaltung. Das habe ich gebraucht, Remus.“

Sie begleitete ihn zur Tür und als sie diese öffnete, wich Severus, der ihre Räumlichkeiten gerade passierte, zurück und hielt inne, als er in die Gesichter seiner Schülerin und des Werwolfs blickte.

„Severus“, sagte Remus erstaunt. Er wollte es sich nicht verkneifen zu sagen: „Was führt dich denn auf deinen Rundgängen hier entlang? Früher bist du doch eher in Richtung Astronomieturm…“
„Wie ich meine Rundgänge gestalte, Lupin, ist ganz und gar meine Angelegenheit“, unterbrach Severus sehr schroff.
„Nichts für ungut“, entschuldigte sich Remus mit einem Lächeln. „Ich wünsche euch beiden eine gute Nacht.“

Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete Severus, wie Remus die paar Schritte zu seiner eigenen Zimmertür hinüberging. Als Remus vor seiner Tür stand und offenbar das Passwort sagte, wandte Severus seinen Blick von seinem ehemaligen Mitschüler ab und schaute Hermine für einen Moment in die Augen, bevor er sich zum Gehen abwandte.

„Severus?“, sagte Hermine aufhaltend. Er stoppte abrupt und schaute über seine Schulter. Hermine vergewisserte sich mit einem Blick nach links, dass Remus die Tür hinter sich geschlossen hatte, bevor sie Severus ansah und mitleidig sagte: „Ich möchte nicht, dass wir uns streiten.“
Bewegungslos verharrte Severus in seiner Position und noch immer schaute er sie an, bevor sein Körper sich sichtlich entspannte und er sehr bedacht die Gegenfrage stellte: „Haben Sie es als Streit empfunden?“
„Ich habe unser Gespräch vorhin als unangenehm empfunden“, stellte sie deutlich klar. Er nickte lediglich und lauschte, als sie noch kleinlaut fragte: „Werden Sie mich wirklich rausschmeißen, wenn ich das Buch nicht gelesen habe?“
„Was denken Sie?“, fragte er nüchtern.
„Wenn ich ganz ehrlich bin“, begann sie, „dann denke ich, dass Sie mich durchaus hinauswerfen möchten, nur um mir eine Lektion zu erteilen, aber ich hoffe, selbst wenn ich nicht einmal mit dem Buch angefangen habe, dass es nicht soweit kommen wird.“

In Severus’ Miene war keine Gefühlsregung abzulesen und es waren einzig seine warmen Augen, in denen sie ihre Annahme bestätigt zu wissen schien. Wortlos wandte er sich von ihr ab, um in die Kerker zu gehen.

Während Severus den Tag für sich beendete und sich zu Bett begab, wurde Schwester Marie durch einen Ruf durchs Flohnetz aus dem Bett geholt.

„Marie? Es wäre nett, wenn Sie sich um Miss Parkinson kümmern würden“, sagte Professor Junot, die genauso müde wie Marie aussah.
„Aber ich habe bereits eine Doppelschicht hinter mir und habe nicht einmal eine Stunde schlafen können“, entgegnete Marie erbost.
„Es ist da etwas vorgefallen, über das ich mit Ihnen reden möchte und am liebsten sofort“, sagte Junot in forderndem Tonfall. „Es gäbe die Möglichkeit für Sie, im Krankenhaus ein wenig Ruhe zu finden, aber Ihre Anwesenheit ist erforderlich.“
„Doch nur, weil niemand anderes sich mit der Patientin befassen will“, giftete Marie wegen der gestörten Nachtruhe sehr gereizt zurück.
Junot seufzte, sagte jedoch über den aggressiven Tonfall von Marie hinwegsehend: „Ich verstehe Sie, Marie. Vielleicht kann ich jedoch Ihr Interesse wecken. Stan, den kenne Sie ja, schwört Stein und Bein, dass Miss Parkinson für weniger als eine Minute bei Bewusstsein war.“
„Wie ernst kann man seine Aussage nehmen?“, fragte Marie vorsichtig, denn sie wusste von Stans kleinem Alkoholproblem.
„Ich nehme es im Gegensatz zu Professor Puddle sehr ernst, denn Stan hat einen Namen wiederholt, den Miss Parkinson von sich gegeben haben soll. Es stellte sich heraus, dass das der Name des Mädchens ist.“

Soweit Marie über die Fälle Parkinson, Zabini und deren Tochter informiert war, hatte Mr. Zabini noch nicht den Namen der Kleinen genannt, weil er selbst damit zu kämpfen hatte, sich mit der Realität anzufreunden; mit dem Frieden. Er war übervorsichtig, geradezu skeptisch und weigerte sich daher genau wie seine Tochter, ihren Vornamen preiszugeben, doch man drängte die beiden nicht, sondern übte sich in Geduld.

„Das ist…“ Erfahren zu haben, dass Miss Parkinson wahrscheinlich wirklich am Leben war, hatte Marie sprachlos gemacht.
„Bitte kommen Sie her, Marie“, bat Junot höflich.

Sie seufzte, bevor sie zusagte. Marie packte sich eine kleine Tasche mit einer weiteren Schwesterntracht und etwas Legeres, darüber hinaus mit einigen Dingen, falls sie sich frisch machen wollte, bevor sie ins Mungos flohte.

Es erstaunte Marie, dass Professor Junot sie an den Kaminen für die Angestellten erwartete und sie per Handschlag begrüßte, bevor sie sich auf den Weg zu Pansy machten und sich währenddessen unterhielten.

„Miss Parkinson ist wieder auf ihrem Zimmer. Ihr Zustand scheint unverändert. Allein Stans Aussage hätte mich keinesfalls überzeugt, aber die Tatsache mit dem Namen des Mädchens…“
„Wie heißt das Mädchen?“, wollte Marie wissen.
„Berenice! Schwester Augusta hatte die Kleine mit dem Namen angesprochen und daraufhin hat das Mädchen gefragt, ob sie den Namen von ihrem Vater wüsste.“
„Ist Mr. Zabini über den Vorfall in Kenntnis gesetzt worden?“, fragte Marie.
Junot schüttelte den Kopf. „Wie die meisten Patienten schläft Mr. Zabini um diese Zeit und da Miss Parkinsons Zustand wieder der alte ist, haben wir keinen Grund gesehen…“
„Aber Mr. Zabini könnte etwas wissen, das in dem Fall weiterhelfen kann. Vielleicht kann er uns sagen, ob so ein kurzer wacher Moment etwas ankündigt, ob es normal oder ungewöhnlich ist. Er könnte Hinweise geben, wie lange solche Wachzustände dauern.“
Bewundernd sagte Junot: „Für eine Schwester denken Sie sehr viel mit, Marie.“ Das Thema wechselnd fragte Junot: „Sie hatten Ihre Legilimentikprüfung gemacht, als sie hier angefangen hatten, richtig?“ Marie nickte. „Warum haben Sie nicht mehr gemacht? Eine Ausbildung zur Heilerin vielleicht?“
„Ich wollte eine Ausbildung zur Heilerin machen, aber ich bin nicht dazu gekommen und jetzt…“ Marie seufzte.
„Wenn sich in Ihrem Leben einmal eine Gelegenheit bieten sollte, dann packen Sie sie beim Schopf!“, riet Junot, die ansonsten keinen weiteren Ratschlag zur Hand hatte.

Ein wenig ärgerte sich Marie über diesen Tipp, denn er war nicht gerade hilfreich gewesen. Abgelenkt von ihrem aufkeimenden Ärger wurde sie, als sie vor der Tür zu Miss Parkinsons Krankenzimmer standen und Junot sie öffnete.

Kaum hatten die beiden das Zimmer betreten, wurde es automatisch erleuchtet. Marie betrachtete die im Bett liegende Frau, die wie tot wirkte, doch allein die Erkenntnis, dass sie sehr wahrscheinlich am Leben war, ließ nicht nur die Patientin, sondern das gesamte Zimmer anders auf sie wirken.

„Wie Sie sehen, zeigt Miss Parkinson wieder alle Anzeichen einer kürzlich Verstorbenen, was die Hautfarbe, die erschlafften Muskeln, die halb offen stehenden Augen und das totale Fehlen der Vitalfunktionen unterstreichen. Stan behauptet nicht nur, sie hätte gesprochen, sondern auch ihren Kopf in seine Richtung bewegt. Ich erwähne das nur, damit Sie vorbereitet sind, falls…“

Junot musste den Satz nicht beenden und Marie war für jeden Hinweis dankbar. Wahrscheinlich hätte sie sich zu Tode erschrocken, würde sie sich umdrehen und unverhofft von einer vermeintlich Toten angestarrt werden. Sie versuchte sich in Stan hineinzuversetzen.

„Sagen Sie, Professor Junot, wie geht es Stan? Es muss ein Schock für ihn gewesen sein“, fragte Marie mitfühlend.
„Er war ziemlich von der Rolle, aber eher, weil Professor Puddle ihn gekündigt hatte, denn der geht davon aus, dass Stan betrunken gewesen war und sich alles nur eingebildet hätte.“
„Ist Stan noch hier?“
„Nein“, sagte Junot und klang dabei, als würde sie etwas bereuen. „Professor Puddle hatte ihn sofort gekündigt. Er hat ihn nicht einmal angehört. Stan war außer sich und ist auf der Stelle gegangen, nachdem er dem Professor noch einige Schimpfworte an den Kopf geworfen hatte.“

Weil Junot in sich hineingrinsen musste, hatte sie es Stan offensichtlich gegönnt, dass der dem Professor mal unverblümt die Meinung hatte sagen können.

„Ich nehme an“, sagte Marie, während sie der Professorin in die Augen schaute, „dass Mr. Shacklebolt vom Ministerium bereits informiert worden ist?“
Die Augenbrauen in die Höhe ziehend erwiderte Junot erstaunt: „Wie es aussieht, denken Sie an viel mehr Dinge als ich. Nein, er ist noch nicht informiert worden. Würden Sie das vielleicht erledigen? Sie hatten mit ihm ja schon Kontakt. Ich muss gleich noch mit meinem Kollegen zusammen die Gewebeproben analysieren, die wir vorhin von Miss Parkinson genommen haben.“
„Mache ich gern“, stimmte Marie zu.

Die Professorin wollte bereits gehen, da fragte Marie noch schnell: „Professor Junot? Soll ich etwas Bestimmtes machen oder…?“
„Bleiben Sie einfach hier und falls…“, sie blickte zur Patientin hinüber. „Ich bin in der Leichenhalle oder im Gemeinschaftsraum! Geben Sie mir auf der Stelle Bescheid, falls etwas geschehen sollte.“ Professor Junot schien einen Augenblick über etwas nachzudenken, bevor sie nahelegte: „Sie können auch ein Nickerchen machen, wenn Sie unter diesem Umständen dazu in der Lage sind. Ich bin mir sicher, wir können hier noch ein freies Bett hineinstellen. Von einem Paravent möchte ich aber abraten, damit Sie die Patientin im Auge behalten können.“

Gesagt, getan. In weniger als zehn Minuten hatte sich Marie eines der frisch gesäuberten Krankenhausbetten ins Zimmer gezaubert, auf dem sie sich mit einem erleichterten Seufzer niederließ, doch nicht zum Schlafen. Sie hatte sich zwei Kissen ans Kopfende gelegt, um halb liegend, halb sitzend ein wenig zu lesen, bevor sie wie von der Tarantel gestochen aufstand, denn ihr war eingefallen, dass sie Mr. Shacklebolt noch Bescheid geben wollte.

Im Ministerium erreichte sie den nächtlichen Notdienst, doch der teilte ihr leider mit, dass Mr. Shacklebolt wie auch Miss Tonks, deren Namen Marie in den Akten der Patientin gelesen hatte, nicht zu erreichen waren. Sie hinterließ für beide die gleiche Nachricht, bevor sie sich wieder ins Krankenzimmer begab, um in einem Fachbuch zu versinken, welches für Heiler gedacht war.

In der Höhle nahe bei Hogsmeade hatte Kingsley genau zugesehen, wie Geoffreys mit den Kisten umgegangen war. Alle waren vorsichtig geöffnet worden und deren Inhalt wurde mit den Augen inspiziert, jedoch hatten die Muggel den Fund nicht angefasst. Nachdem alle dreizehn Kisten geöffnet worden waren und der Sprengstoffexperte sich eine Übersicht über die Gesamtsituation verschafft hatte, zog er den Sicherheitshelm vom Kopf.

„Ich weiß nicht, Shacklebolt, ob ich Sie hier haben möchte, wenn ich eine der Granaten in die Hand nehme. Die Sicherheitsvorschriften erfüllen Sie mit Ihrer Kleidung jedenfalls nicht und wenn ich ehrlich bin, hätte ich Sie am liebsten schon rausgeschickt, bevor ich eine der Kisten auch nur angefasst habe“, sagte Geoffreys amüsiert.
„Möchten Sie, dass wir gehen?“, fragte Kingsley gelassen.
„Es wäre mir sehr recht. Nehmen Sie es bloß nicht persönlich, aber es ist schon genug, wenn sich meine Männer so einer Gefahr aussetzen.“
„Gut, wir warten draußen. Viel Glück!“, sagte Kingsley, bevor er zusammen mit Tonks die Höhle verließ.

Erleichtert aufatmend sagte Geoffreys zu seinen beiden Männern: „Was denkt ihr?“
Ross zog eine Augenbraue in die Höhe und antwortete grinsend: „Die Kleine ist ganz schnuckelig, aber der Schrank neben ihr...“
„Ich meine die Granaten!“ Bevor sich Garland oder Ross, die bereits schelmisch schmunzelten, einen Scherz erlauben würden, deutete Geoffreys auf die Kisten und verdeutlichte: „Diese Granaten, Jungs!“
Garland riss sich als Erster zusammen und sagte ernst: „Da hat sich jemand mit Restbeständen des ersten und zweiten Weltkriegs eingedeckt. Es sind aber auch Granaten aus anderen Kriegen zu finden.“
Ross machte weiter: „Wenige Stielhandgranaten sind dabei, die meisten sind Pineapples und nur eine Panzerabwehrgranate habe ich gesehen.“
„Echt? Wo?“, fragte Garland, bevor er sich einen Rüffel einfing.
„Wozu“, begann Geoffreys gereizt, „machen wir eigentlich jede Kiste auf? Du musst die Augen aufhalten, verdammt nochmal!“
„Kommt nicht wieder vor, Sir!“, versprach Garland.
Geoffreys nickte Garland zu, bevor er für die beiden Männern wiederholte: „Nach der Anzahl der Granaten haben wir es in erste Linie mit Rauchgranaten und ’Stuns’ zu tun, die weit über die Hälfte ausmachen. Die meisten Kisten sind nicht einmal voll. In einer“, er deutete auf eine bestimmte, „befinden sich nur die vier Stielgranaten. Der Rest besteht aus Eiern und Äpfeln und den paar ’Blitz/Krach’.“

Nachdem Geoffreys und seine Männer nach draußen gekommen waren, fragte Kingsley sofort nach der Lage und der Experte antwortete gewissenhaft: „Wer immer das dort gelagert hat wird in den Knast wandern. Ansonsten ist nichts dabei, mit dem wir nicht fertig werden würden. Ich frage mich nur ernsthaft, was hier in der Nähe sein sollte, das man damit bedrohen wollte?“
Ohne zu überlegen antwortete Tonks: „Eine Schule!“

Kingsley warf ihr einen warnenden Blick zu und Tonks bereute ihren Ausrutscher sofort.

„Eine Schule? Welcher Irre würde eine… Nein, vergessen Sie es. Es gibt eine Menge Verrückter da draußen“, sagte Geoffreys abschweifend, bevor er wieder ernsthaft über die Situation sprach. „Wir werden es abtransportieren und zum nächsten Sprengplatz fahren. Dort wird man das Beweismaterial begutachten, Fotos und Listen machen, bevor es anschließend gelagert oder hochgejagt wird – je nachdem wie die ’da oben’ entscheiden.“
„Es ist möglich“, sagte Kingsley, „dass sich in der Höhle noch mehr befindet. Wir haben das noch nicht geprüft.“

Aufgrund dieser Aussage wandte sich Geoffreys an einen seiner Männer und befahl: „Hol die Spürhunde! Die anderen sollen versuchen, mit den Wagen so nah wie möglich heranzufahren.“ Der Mann gehorchte und begab sich sofort ins Wasser, wenn auch wegen der Kälte wild fluchend.

„Shacklebolt.“ Als er Kingsley Aufmerksamkeit erlangt hatte, fragte Geoffreys: „Wir sollten gehen. Meine Männer werden das erledigen.“ Geoffreys schaute zu Williams hinüber, der vorhin ins Wasser gefallen war und am ganzen Körper zitterte. Der Mann musste völlig unterkühlt sein. „Williams, du kommst mit ins Dorf. Bist hier keine große Hilfe mehr.“

Williams nickte, doch selbst diese kleine Bewegung fiel ihm schwer. Man hörte seine klappernden Zähne und ihm Licht der Taschenlampe bemerkte Geoffreys, dass Williams’ Lippen blau waren. Steif wie er war konnte der Mann kaum noch laufen, so dass er von seinem Einsatzleiter durchs das Wasser begleitet wurde. Tonks und Kingsley hatten sich vorhin schon die Hosenbeine mit einem Zauberspruch geschützt, so dass die Kleidung zwar bis zu den Oberschenkeln nass wirkte, jedoch nicht durchnässt war. Beim Anblick von Williams bekam Kingsley ein schlechtes Gewissen. Nicht nur bei ihm sondern bei allen anderen Männern könnte er einen Schutzzauber gegen das Wasser sprechen, aber das würde zu viel Aufsehen erregen.

Noch während des Rückweges trafen sie auf die Wagen, die vorsichtig über die verschneite Wiese fuhren, damit die Männer nicht so weit laufen mussten, wenn sie die Kisten abtransportierten. Geoffreys ließ sich aus einem Wagen eine Decke geben, die er Williams überwarf.

Im Dorf selbst machte sich nicht nur Geoffreys Sorgen um seinen Mann, sondern auch Tonks und Kingsley. Sie hatten Williams auf die Stufen vor den Drei Besen gesetzt.

„Haben Sie noch Decken, Shacklebolt?“
Er könnte welche herbeizaubern, dachte Kingsley, aber er durfte nicht. „Tut mir Leid, aber nein, wir haben keine.“
Geoffreys blickte sich um und fragte gleich darauf: „Können wir eines der Gebäude hinein? Er muss aus den nassen Klamotten raus!“
„Die Häuser sind versiegelt, es tut mir…“
„Ja, es tut Ihnen Leid, ich weiß“, unterbrach Geoffreys genervt, aber sein Ärger galt nicht Kingsley, sondern der Tatsache, seinem Kumpanen keine Erleichterung verschaffen zu können. „Williams?“ Der Mann hatte bereits die Augen geschlossen. „Williams, sieh mich an!“ Nur zaghaft öffnete der Frierende seine Augen. Geoffreys zog seine Jack aus und legte sie über die Decke, bevor er fragte: „Wie geht’s?“
Kaum vernehmbar antwortete er: „Fühle meine Hände nicht.“

Geoffreys schaute sich im Dorf um. Überall liefen die Mitarbeiter von Shacklebolt herum, doch Fahrzeuge konnte er nicht ausmachen. Aus Sicherheitsgründen konnte er Williams nicht einfach in einen der eigenen Wagen setzen und den Motor laufen lassen, während die anderen die gefundenen Granaten im hinteren Teil des Fahrzeugs in speziellen Kisten einlagerten.

„Haben Sie einen Wagen hier, wo er sich reinsetzen kann? Vielleicht mit Standheizung?“
Den Kopf schüttelnd erwiderte Kingsley: „Bedaure sehr.“ Er fühlte sich schäbig, weil er jegliche Hilfe versagen musste.
„Wie wäre es mit Alkohol?“, fragte Tonks, der gerade eine Idee gekommen war.
„Ja, her damit!“
„Moment, ich hole etwas“, sagte Tonks und verschwand in einer Gasse neben den Drei Besen.

Wie erwartet fand sie in einer Mülltonne eine Flasche Feuerwhisky mit einem winzigen Schluck darin. Mit Zaubersprüchen säuberte sie die Flasche gründlich, bevor sie den Rest Alkohol vervielfältigte, so dass die Flasche am Ende randvoll war.

Zurück bei den Männern reichte sie Geoffreys den Whisky, deren Verschluss sie vorher entfernt hatte. Williams hatte kein Gefühl in den Lippen, weswegen eine Menge von dem guten Whisky daneben ging und Jacke sowie Decke beschmutzte.

„Verdammt“, murmelte Geoffreys, bevor er in den Taschen seiner Jacke kramte, die er Williams übergeworfen hatte. Er zog etwas heraus, schaute drauf und schimpfte: „Wir haben Minus elf Grad Celsius!“ Besorgt blickte er zu Kingsley hinüber und fragte: „Können wir wenigstens irgendwo ein Feuer machen?“
„Ich…“
„Sie bedauern es“, vervollständigte Geoffreys. „Nehmen Sie es mir nicht übel, Shacklebolt, aber Sie haben Ihren Aufgabenbereich und ich habe meinen und zu meinem gehört, dass ich meine Männer in dieser Einöde nicht erfrieren lasse, weshalb ich mir jetzt etwas suchen werde, mit dem ich ein Feuerchen machen kann.“

Kingsley hielt ihn nicht auf und sah nur dabei zu, wie Geoffreys die Straße entlangging und in eine Gasse bog. Ein wenig später hörte man das Geräusch von berstendem Holz. Gleich darauf zischte es und aus der Gasse war ein roter Lichtblitz zu sehen. Davon alarmiert rannte Kingsley in die Gasse und sah einen seiner Auroren, der seinen Zauberstab gerade wieder senkte. Am Boden lag Geoffreys.

„Was denken Sie sich dabei?“, fragte Kingsley den Auror sehr ungehalten.
„Er hat randaliert und den Stuhl dort zerschlagen“, rechtfertigte sich der junge Auror, den das Gefühl beschlich, etwas wirklich Schlimmes getan zu haben, denn sein Vorgesetzter war in der Regel nicht sehr leicht aus der Ruhe zu bringen.
„Gehen Sie zu den anderen, sofort!“
„Ja, Sir“, kam kleinlaut von dem Auror zurück, bevor er sich verdrückte und innig hoffte, morgen für sein Handeln nicht büßen zu müssen.

Sich langsam dem Bewusstlosen nähernd hörte Kingsley Schritte hinter sich. Tonks war ihm gefolgt und begann: „King, Williams hat das Bewusstsein ver…“ Sie hielt inne, als sie Geoffreys am Boden liegen sah.
„Nicht nur Williams.“ Kingsley seufzte, zog seinen Zauberstab und sagte: „Jetzt ist es sowieso egal.“

Mit einem Wink seines Stabes brachte er Geoffreys wieder zu Bewusstsein. Der rieb sich als Erstes den Kopf, bevor er aufblickte, den Zauberstab bemerkte und skeptisch fragte: „Was ist das? Womit hat mich Ihr Mann lahmgelegt?“
„Stehen Sie auf, wir müssen zu Williams“, sagte Kingsley und reichte Geoffreys die Hand, die auch gleich ergriffen wurde.
„Das ist Punkt zwei auf meiner Frageliste“, murmelte Geoffreys, bevor sie zurück zum Eingang der Drei Besen gingen.

„Williams?“, fragte Geoffreys besorgt, als er seinen bewegungslosen Freund erblickte, der mit einer Seite an einem Holzbalken lehnte. Er befühlte das Gesicht seines Kumpanen, tastete im Anschluss nach der Halsschlagader und sagte aufgebracht: „Himmel, wir müssen was unternehmen, sonst stirbt er uns weg!“ Williams’ Körper rutschte langsam nach hinten, doch Geoffrey umfasste mit einem Arm die Schultern des Bewusstlosen und hielt ihn in einer sitzenden Position.

Im Mungos war Marie im Bett schon etwas weiter hinuntergerutscht, doch nichtsdestotrotz las sie in dem Heilerbuch gerade das Kapitel über die Behandlung von erfrorenen Gliedmaßen, als sie neben sich unverhofft ein leises Stöhnen vernahm. Im ersten Moment wollte Angst sie übermannen, doch sie hielt sich vor Augen, dass sie eine Schwester war und die Frau neben ihr unter einer schlimmen und nicht definierbaren Krankheit litt.

Blitzschnell stand Marie auf, erhellte das gesamte Zimmer auf der Seite der Patientin mit einem Zauber. Ohne Übergang erstarrte sie einen Moment, als noch leicht neblige Augen sie anzuschauen versuchten. Der Kopf von Miss Parkinson lag etwas schräg und nicht wie vorhin mit dem Gesicht zur Zimmerdecke.

„Miss Parkinson, können Sie mich verstehen?“, fragte Marie mit zitternder Stimme. Die Patientin nickte sanft und es schien, als wäre sie eher damit beschäftigt, sich auf ihre Atmung zu konzentrieren.

Marie eilte zum Bett, legte eine Hand auf die Stirn der Patientin und atmete derweil selbst so hastig, dass sie Angst haben musste zu hyperventilieren, wenn sie sich nicht beruhigte.

Schwächlich und kaum vernehmbar wie das Zwitschern eines Vogels, der an einem Sommertag hoch oben im Himmel seinen Runden drehte, hörte sie Miss Parkinson hauchen: „Marie.“
Völlig sprachlos blinzelte Marie ein paar Mal, bevor sie ihre Stimme wiederfand und mit der eben gewonnenen Erkenntnis entsetzt kombinierte: „Sie bekommen alles um sich herum mit!“
„Berenice?“, hauchte die Patientin.
„Der geht es bestens und Mr. Zabini auch“, sagte Marie eilig, denn es war ihre Aufgabe, Professor Junot zu kontaktieren, sollte Miss Parkinson erwachen.

Sie spurtete schon zur Tür, da hielt sie auf ihrem Weg wie versteinert inne und kehrte Sekunden später aus reinem Instinkt zum Bett zurück. Sich neben die Patientin setzend beobachtete sie, wie langsam die Farbe ins Gesicht der vermeintlich Toten zurückkehrte, die Lippen rosig wurden und die Augen an Lebendigkeit gewannen. Miss Parkinsons Atmung war bereits regelmäßig, wenn auch schwach. Eine warme Hand legte sich unvorhergesehen auf Maries und sie schaute hinunter. Nichts an der Hand war abstoßen und deswegen drückte sie sanft zu, wie sie es schon so oft bei Patienten und Patientinnen getan hatte und währenddessen schenkte sie Miss Parkinson ein ermutigendes Lächeln.

Ein Geistesblitz durchfuhr Marie und sie zog ihren Zauberstab. Mit vorbereitenden Worten warnte sie: „Erschrecken Sie nicht, ich werde Ihnen Blut abnehmen!“ Jetzt war wenigstens welches vorhanden.

Ungefähr in der gleichen Nachtstunde in Hogwarts schlug Hermine das Buch „Bewusstsein, Mitwahrnehmung und Sentiment“ wütend zu, aber nicht, weil sie den Inhalt nicht verstand, sondern weil ihre Konzentration zu wünschen übrig ließ. Es war schon fast drei Uhr nachts und sie konnte an nichts anderes denken als an die Karte, die dank Fellini erstellt worden war. Vielleicht war Fellini Severus gar nicht gefolgt, sondern nur anfangs, bevor er auf dem Dachboden, auf dem es sicherlich vor lauter Mäusen nur so wimmelte, auf Jagd gegangen war. Die Neugier war kaum auszuhalten, doch andererseits brachte es gar nichts, standhaft zu bleiben. Sie musste ihren Kopf wieder frei bekommen und das wäre nur möglich, wenn sie dem Weg auf der Karte folgen würde.

„Er wird mich umbringen“, murmelte Hermine. Sie wusste sehr genau, denn er hatte ihr zu verstehen gegeben, dass sie vom Dachboden fernzubleiben hatte. „Er wird mich umbringen, wenn er das erfährt“, flüsterte sie in den Raum hinein und ausschließlich Fellini, der seine Ohren drehte, nahm außer ihr selbst die Worte wahr. „Was soll’s, dann kann er mich zumindest nicht mehr rausschmeißen.“

Hermine hatte ihren Entschluss gefasst. Sie griff sich die Karte und betrachtete sie kurz, bevor sie nach draußen auf den Flur ging. Der Gang war wie ausgestorben und trotzdem hatte sie bei all den umliegenden Schatten das Gefühl, jeden Moment könnte Severus aus dem Nichts auftauchen und sie über ihr Vorhaben ausfragen. Dass Fellini ebenfalls das Wohnzimmer verlassen hatte, bemerkte sie erst, als sie sich wegen einer unerwarteten Berührung an ihrer Wade erschrak, denn der Kater strich ihr um die Beine.

„Dann geh mal vor, mein Kleiner“, sagte sie zu dem großen Tier, das sich sofort und lautlos in Bewegung setzte, als hätte er sehr gut verstanden, wohin es gehen sollte. Hermine folgte dem Tier den Gang hinunter, an der Bibliothek vorbei und die ersten Treppe hinauf, bis sie nach dem siebten Stockwerk eine schmale Holztreppe bestieg, die zum Dachboden führte. Jetzt war der Moment gekommen, an welchem sie einen Lumos anwenden musste, denn oben war es stockfinster.

Der Dachboden war ihr völlig fremd. So viele Jahre hatte sie hier als Schülerin verbracht und doch hatte sie niemals das ganze Schloss gesehen. Als sie den hölzernen Boden entlangging und sich die Steinwände mit den wenigen kleinen Fenstern beguckte, da fragte sie sich, ob Severus oder gar der Direktor jeden Winkel von Hogwarts schon einmal gesehen haben mochten. Bei Severus würde sie verneinen, doch beim Direktor war sie sich allein aufgrund dessen Alters nicht sicher.

Ein Blick auf die vom Stab erhellte Karte ließ erahnen, dass ein kleiner Fußmarsch vor ihr lag. Sie folgte den Strichen auf der Karte und dem Kater, mit dem sie ab und an sprach.

„Weißt du, Fellini, dass das Wort ’Kater’ ein Anagramm von dem Wort ’Karte’ ist? Ist das jetzt nur Zufall oder nicht?“, scherzte sie mit leiser Stimme, denn auch wenn sie hier oben mit niemandem rechnete, so war doch die Möglichkeit vorhanden, dass ein Geist oder ein hier abgestelltes Gemälde sie hören könnte.

Ihr Weg führte sie an einigen Holzverschlägen vorbei, die sie sehr an den Dachboden eines Mietshauses der Muggelwelt erinnerten. Ganz vorn wartete Fellini an einer Tür, die sie öffnete, so dass er hindurchschlüpfen konnte.

Sie betrat einen langen Gang, der rechts und links große Abstellräume aufwies, die durch türlose Durchgänge betreten werden konnten. Wenn sie an so einen Durchgang vorbeikam und einen Blick in die riesigen dunklen Räume warf, dann lief ihr ein Schauer den Rücken hinunter. Die vielen Schatten und das leise Knarren waren ihr unheimlich, doch ihre Neugier trieb sie weiter voran. Sie redete sich ein, dass Fellini mit seinen tierischen Instinkten sicherlich Gefahr wittern würde und da er mit hoch erhobenen und oben leicht abgeknickten Schwanz lässig vorantrottete, machte sie sich keine großen Gedanken, doch ein kleiner Schauer blieb.

Wieder ganz hinten am Gang musste sie eine weitere Tür öffnen und es kam ein ähnlicher Weg wie der gerade beschrittene zum Vorschein, nur dass es hier keine offenen Durchgänge zu anderen Räumen gab, sondern große Türen. Hinten links blieb Fellini an einer großen Holztür mit Eisenbeschlag stehen. Hermine betätigte die Klinke, doch die Tür war verschlossen. Mit einem einfachen Alohomora wollte sie sich erst gar nicht abgeben und so wendete sie keine Zaubersprüche an, die verschlossene Türen öffnen würden, sondern verschiedene Beurteilungszauber, die Hinweise darauf geben konnten, mit welchem Schutz diese Tür belegt sein könnte.

Hermine begann mit ihren Zaubersprüchen und sie ahnte, dass sie sehr lange dafür brauchen würde. Sie richtete ihren Zauberstab auf die Tür und sagte ihren ersten Spruch.

Im gleichen Moment richtete Shacklebolt seinen Stab auf Williams und sprach einen Zauber zum Trocknen der Kleidung und einen zum Wärmen des Körpers. Williams, der wieder zu sich kam, atmete erleichtert ein und aus und hielt die Augen geschlossen, um die ihn umgebende Wärme zu genießen.

„King“, flüsterte Tonks entsetzt.
„Es ist jetzt sowieso egal. Brooks hat Geoffreys einen Schockzauber verpasst. Die Vergissmich werden darüber informiert sein. Auf jeden Fall haben wir heute Nacht keinen Toten zu verzeichnen“, rechtfertigte sich Kingsley und er hoffte innig, dass die Vergissmich heute Nacht fernbleiben würden.
Geoffreys hatte dem Gespräch zugehört, doch er ging nicht auf die ihm unbekannten Begriffe ein, sondern sagte einfach nur: „Danke! Was immer Sie auch getan haben, vielen Dank dafür!“

Williams ging es sichtlich besser. Die Lippen waren nicht mehr blau angelaufen und er zitterte auch nicht mehr am ganzen Körper.

„Wenn das alles hier vorbei ist“, sagte Geoffreys dankbar, „dann würde ich Sie gern mal zu einem Glas Whisky einladen oder auch zu einer Flasche.“

Das Lächeln konnte Kingsley nur gequält erwidern, denn er vermutete, dass Geoffreys morgen nicht einmal mehr wissen würde, dass sie sich kennen gelernt hatten.

„Es würde mich sehr freuen, Geoffreys.“ Lautes Motorengeräusch ließ Kingsley aufblicken, bevor er sagte: „Scheint so, als wären Ihre Männer fertig.“ Die Wagen fuhren sehr langsam und in einigem Abstand zueinander zurück auf die Straße.
„Ja, sieht so aus.“ Geoffreys erhob sich, reichte Kingsley die Hand und schlug, während sie sich verabschiedeten, einmal freundschaftlich auf den muskulösen Oberarm, bevor er sagte: „Sie scheinen mir ein Mann zu sein, der dem Sport nicht abgeneigt ist.“ Kingsley lächelte nur, diesmal von Herzen, was Geoffreys als Zustimmung betrachtete. „Wir könnten uns ein paar Ringkämpfe ansehen oder Boxen, wenn Ihnen das lieber ist. Ich bekomme immer jede Menge Freikarten, habe aber niemanden, der mich begleiten möchte.“
„Ich würde gern mitkommen“, gestand Kingsley ehrlich.
„Wie kann ich Kontakt zu Ihnen aufnehmen?“, wollte Geoffreys wissen.
Kingsley spitzte die Lippen und musste breit lächelnd. „Gar nicht. Ich kontaktiere Sie.“
Geoffreys schnaufte amüsiert, bevor er belustigt sagte: „Wissen Sie was? Das ist mein Spruch! In der Regel bin ich derjenige, der das sagt. Na dann…“ Geoffreys verabschiedete sich noch von Tonks, bevor er mit Williams, der sich wieder wesentlich besser fühlte und gut zu Fuß war, zu den Wagen aufmachte.

„Vielleicht kommen sie nicht“, murmelte Tonks, doch in diesem Moment waren einige knallende Geräusche von Apparationen zu hören.
Die Situation verfluchend schimpfte Kingsley: „Verdammt, das ist doch gar nicht notwendig.“

Er marschierte auf einen der Zauberer zu, die gerade angekommen waren und stellte sich mit Namen vor, doch der Mann unterbrach: „Ich weiß, wer Sie sind, Mr. Shacklebolt.“
„Wer sind Sie?“
„Abrahams, der neue Leiter der Abteilung für Magische Unfälle und Katastrophen“, sagte der dünne Mann mit hoher, schmierig arroganter Stimme.
„Es gab hier keine Unfälle oder Katastrophen, Mr. Abrahams. Die Männer…“
Kingsley wurde unterbrochen, als Abrahams vor den Augen von Geoffreys, dem die vielen aus dem Nichts aufgetauchten Männer natürlich nicht entgangen waren, ein Pergament aus der Luft herbeizauberte und daraus vorlas: „Ein Säuberungs- und Vervielfältigungszauber für Flüssigkeiten…“
Tonks warf erbost ein: „Das hat niemand gesehen! Ich stand in der Gasse, als ich…“

Mit einer erhobenen Hand forderte Abrahams sie zum Stillschweigen auf.

„Das war in der Nähe von Muggeln geschehen und wer das alles gesehen haben mag oder nicht ist nicht nachvollziehbar. Wenn ich weiterlesen dürfte?“ Abrahams blickte auf das in Kopfhöhe schwebende Pergament und zählte auf: „Ein Schockzauber an einem Muggel, ein Zauber, der den Schockzauber aufhebt und zudem noch je ein Wärme- und Trocknungszauber. Das ist eindeutig zu viel des Guten, Mr. Shacklebolt.“
„Und Sie“, sagte Kingsley durch zusammengekniffene Zähne, „machen alles noch schlimmer, indem Sie nicht einmal versuchen, etwas geheim zu halten!“
„Was? Ach, Sie meinen das Pergament.“

Abrahams tippte es mit der Spitze seines Stabes an, so dass es sich in Rauch auflöste. Spätestens jetzt hatten auch neben Geoffreys und Williams die anderen Muggel gesehen, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging.

„Keine Sorge“, versicherte Abrahams hochnäsig, „die Erinnerung daran werden wir selbstverständlich auch löschen.“
„Es ist nicht notwendig, dass Sie…“
Wieder unterbrach Abrahams und er sprach wütend mit seiner hohen Fistelstimme: „Sie, Mr. Shacklebolt, haben keinerlei Befugnis, sich in mein Aufgabengebiet einzumischen. Ich habe einen Auftrag zu erledigen, also hindern Sie mich nicht daran.“

Nur eine zaghafte Berührung von Tonks Hand an seiner Schulter hielt Kingsley davon ab, Abrahams einen Kinnhaken zu verpassen.

Geoffreys kam auf die drei zu und fragte an Kingsley gerichtet: „Gibt es irgendwelche Probleme?“ Danach musterte er Abrahams von oben bis unten und machte mit einem einzigen Gesichtsausdruck deutlich, dass er ihn nicht ausstehen konnte.
„Sie sind Mr. Geoffreys, nicht wahr?“, fragte Abrahams mit falschem Lächeln auf den Lippen. Geoffreys nickte, so dass Abrahams ihn darüber informierte: „Ab jetzt bin ich Ihr Ansprechpartner. Wir begleiten Sie bis zum Sprengplatz.“ Geoffreys hob eine Augenbraue, denn die Situation war ihm nicht geheuer, so dass er Hilfe suchend zu Kingsley hinüberblickte.

Kingsley blieb nichts anderes übrig als zustimmend zu nicken und er hasste sich selbst dafür, Geoffreys vorzugaukeln, dass alles in bester Ordnung wäre.

„Na gut.“ Geoffreys hatte nachgegeben, doch man sah ihm an, dass er den Braten zu riechen schien. Nicht umsonst war er beim MI5 beschäftigt. Nochmals hielt er Kingsley die Hand entgegen und sagte freundlich: „Wir sehen uns irgendwann und trinken zusammen einen. Vielleicht finden wir dann auch Zeit, um meine offenen Fragen zu erörtern.“

Er schüttelte Geoffreys Hand in dem Wissen, dass es niemals einen gemütlichen Abend zusammen geben würde, an dem sie vielleicht sogar auf den heutigen Tag anstoßen könnten, bevor sie gemeinsam einen Ringkampf besuchen würden.

Im Mungos hatte Marie zur gleichen Zeit Blut abgenommen, doch noch während sie die Spitze ihres Zauberstabs auf das Blutgefäss in der Armbeuge presste, bemerkte sie, wie die Haut der Patientin wieder grau wurde und in der halb vollen Phiole, in der das Blut aufgefangen wurde, nichts mehr hinzukam. Ein Blick ins Gesicht von Miss Parkinson machte deutlich, dass das Leben sie erneut verlassen hatte.

Marie seufzte und sagte laut, da sie wusste, die Frau würde sie hören: „Das tut mir so Leid, Miss Parkinson. Wir werden alles versuchen, um Sie davon zu erlösen.“ Sie atmete einmal tief ein und aus, weil die Situation der Patientin sie nicht unberührt ließ. „Ich werde Professor Junot unterrichten.“ Murmelnd sagte Marie noch in den Raum hinein: „Vielleicht bekommt Stan unter diesen Umständen auch seinen Job wieder.“

Durch den Kamin im Schwesternzimmer gab Marie Bescheid, so dass Professor Junot sofort alles stehen und liegen ließ, um Miss Parkinson zu untersuchen.

„Keine Eile, Professor Junot“, sagte Marie aufhaltend, da die Professorin schon losrennen wollte. „Die Patientin ist nicht mehr wach.“
„Was?“, fragte Junot verdutzt. Um sich selbst zu überzeugen betrat sie das Krankenzimmer. Bis auf den Kopf der Patientin, der ein wenig seitlich lag, deutete nichts auf eine Veränderung hin.
Marie war ins Krankenzimmer gefolgt und erklärte: „Sie hat gestöhnt, was mich aufmerksam gemacht hatte. Ihr Kopf war mir zugewandt, als ich hinübergesehen hatte. Ich konnte beobachten, wie Miss Parkinson langsam mit Leben erfüllt wurde. Die Hautfarbe hatte sich geändert und…“
„Wieso, Marie, haben Sie hier gestanden und all diese Beobachtungen gemacht, ohne mir VORHER Bescheid zu geben?“ Professor Junot war sehr verärgert.
„Miss Parkinson war nicht lange wach, weniger als eine Minute. Sie kannte meinen Namen!“, schilderte Marie.
„Sie haben nicht auf meine Frage geantwortete. Ich habe Sie gebeten, mich unverzüglich über einen veränderten Zustand zu informieren!“
„Sie wären zu spät gekommen, Professor Junot, und hätten sie genauso vorgefunden wie jetzt!“, wollte sich Marie verteidigen.
„Ich fasse es nicht“, murmelte Junot aufgebracht, während sie ihren Blick im Zimmer schweifen ließ und der fiel auf eine kleine Phiole. „Was ist das dort?“
„Ja, natürlich“, sagte Marie enthusiastisch und eilte zum Nachttisch, von dem sie die Phiole nahm und in die Höhe hielt. „Ich konnte Blut abnehmen, solange Miss Parkinson wach war!“

Wie verzaubert kam Professor Junot auf Marie zu, den Blick starr auf die Phiole mit dem dunkelroten Inhalt gerichtet. Sie streckte ihre Hand aus und griff danach, bevor sie erfreut feststellte: „Es ist ganz warm!“ Die Professorin blickte auf und lächelte breit. „Oh, Sie sind ein Schatz, Marie!“

Professor Junot ergriff Maries Schultern, zog sie blitzschnell an sich heran und gab ihr einen Kuss auf die Wange, bevor sie mit der Phiole, die sie wie einen kostbaren Edelstein bewunderte, das Krankenzimmer in Windeseile verließ.

Marie lächelte zufrieden.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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Nachdem Draco heute am ersten Tag der Ferien sehr früh aufgestanden war und sich ins Wohnzimmer begeben hatte, lehnte sich er auf der Couch sitzend zurück und ließ die Ereignisse vom Vortag Revue passieren, denn das war der erste Tag gewesen, an dem er die Schüler der Nachhilfe kennen gelernt hatte. Er hatte ihnen am Ende die Aufgabe gegeben, über die Weihnachtsferien darüber nachzudenken, was ihnen in Zaubertränken Schwierigkeiten bereiten würde, damit sie das im neuen Jahr in Angriff nehmen könnten, denn heute, nach dem Frühstück, würden fast alle Schüler nachhause fahren.

Er erinnerte sich daran, wie er gestern am liebsten kehrt gemacht hätte, als er in dem für die praktische Übung bereitgestellten Klassenraum in den Kerkern auch Shaun erblickt hatte. Gerade ihm war er in letzter Zeit aus dem Weg gegangen. Shaun war jedoch nicht von seinen Freunden begleitet worden und hatte sich die ganze Zeit über höflich und ruhig verhalten. Draco ahnte, dass McGonagall ihm eindringlich empfohlen haben musste, das Nachhilfeangebot in Zaubertränken anzunehmen. Neben Shaun war eine weitere Siebtklässlerin aus Gryffindor anwesend gewesen. Die anderen vier besuchten ebenfalls die siebte Klasse, nur waren sie aus Hufflepuff: drei Jungen und ein Mädchen.

Erstaunlicherweise hatten die beiden Mädchen das Eis für alle gebrochen, wofür besonders Draco dankbar gewesen war. Mit ihrem Witz und Charme hatten sie unterschwellig dazu aufgefordert, die Häusereinteilung während der Nachhilfe zu vergessen.

Im Gegensatz zu Severus hatte Draco nicht nur in seiner vorbereitenden Rede zur Herstellung eines Trankes erwähnt, was man auf gar keinen Fall tun durfte, sondern er hatte darüber hinaus erklärt, warum man bestimmte Fehler unbedingt vermeiden sollte. Er hatte von den möglichen Nebenwirkungen, die ein nicht korrekt gebrauter Heiltrank mit sich bringen könnte, berichtet – von den verheerenden Folgen für Haut, Innereien oder das Gedächtnis. Seine Mitschüler hatten ihm geradezu an den Lippen gehangen, als er die vielen schlimmen Dingen beschrieb, die geschehen könnten, sollte man sich nicht voll und ganz auf seinen Trank konzentrieren. Niemand hatte gestern Fehler mit solchen bösen Auswirkungen machen wollen, was dazu geführt hatte, dass die sechs Schüler den schnell herzustellenden Heiltrank, den sie im Unterricht durchgenommen hatten, beim ersten Versuch fehlerfrei gebraut hatten. Die sechs beschrifteten Ampullen mit den Proben aus den Kesseln der Schüler musste Draco, denn das war von McGonagall gefordert worden, Severus zur Kenntnisnahme überreichen, was er gestern noch nicht getan hatte.

Momentan saß er in seinem Wohnzimmer auf der Couch und sträubte sich gegen die Arbeit, die heute auf ihn wartete.

Seine Mutter trat aus ihrem Schlafzimmer heraus, in dem sie gerade in Ruhe einen Brief an Lucius verfasst hatte. Sie lächelte ihm zu und setzte sich neben ihn, bevor sie fragte: „Hast du noch nicht angefangen, die Einladungen zu schreiben?“
„Nein, Mutter“, war die knappe Antwort.
„Ich helfe dir gern“, sagte sie freundlich und berührte mit den Fingerspitzen die Oberfläche der edel aussehenden Karten mit ihrem glänzenden Goldrand und der in den Karton eingestanzten Rosen.
„Nein“, sagte er und seufzte, bevor er sich gerade hinsetzte und die Karten zu sich zog. „Ich mache das schon. Gibst du mir bitte die Liste?“

Die Gästeliste war nicht lang. Susan hatte wahrscheinlich in Rücksichtnahme auf Draco davon abgesehen, zur Hochzeit zu viele ihrer Freunde einzuladen, dabei würde er viel lieber Fremde um sich haben als die Menschen, die auf der Liste standen. Er erkannte die Namen von so manchem ihrer alten Freunde aus der Schulzeit. Einige von denen konnte er mit der DA in Verbindung bringen. Ein Gefühl von Reue ergriff ihn, als er sich ins Gedächtnis zurückrief, dass er früher einmal im Auftrag von Umbridge gegen diese Schüler gearbeitet hatte und er fragte sich, was diese nun erwachsenen Menschen von ihm halten würden.

„Ist etwas, Schatz?“, fragte seine Mutter einfühlsam.
„Nein, ich frage mich nur, wie viele Gäste womöglich absagen werden.“
„Damit müsst ihr leider rechnen“, stimmte seine Mutter zu. „Die Hochzeit kommt für die Gäste sehr überraschend.“

Nickend stimmte er seiner Mutter zu, denn er war derjenige gewesen, der sich so viel Zeit gelassen hatte. Die Feder aus der Halterung nehmend und die Spitze ins Tintenfass tauchend führte er seine Hand über die erste Karte, die er aufklappte. Der Text der Einladung war bereits auf der Karte vorhanden. Er musste nur noch die Namen der Gäste einfügen und die Briefumschläge fertigmachen, bevor er den Schwung Post mit den Eulen abschicken würde.

Nochmals seufzte er, bevor er den ersten Namen von der Liste auf die Einladung schrieb: Hannah Abbott. Gleich darauf begann seine Hand zu zittern, so dass die lange Feder wie ein Lämmerschwanz wackelte. Ihm war noch sehr gut in Erinnerung, dass Hannah Abbott die Schule im sechsten Jahr verlassen hatte, weil man ihre Mutter tot aufgefunden hatte. Sie war das Opfer von Todessern gewesen.

Er atmete stockend, ohne es selbst zu bemerken, aber seine Mutter sprach ihn deswegen an.

„Draco? Fühlst du dich nicht wohl?“
Sie anblickend log er: „Alles bestens!“

Die ganze Zeit über, während er die Einladungen mit den Namen der Gäste versah und sich jeweils an die Person zu erinnern versuchte, da dachte er darüber nach, wie er auf all diese Menschen heute wirken würde. So wie er viele von ihnen nur aus der Schulzeit kannte, so würden diese ehemaligen Schüler ihn ebenfalls nur von früher kennen und dass er damals unausstehlich gewesen war, musste er sich selbst eingestehen. Draco wollte am Tag seiner Hochzeit einen guten und bleibenden Eindruck hinterlassen, aber nicht nur bei denen, die auf der Liste standen. Susan hätte, da war er sich sicher, noch mehr Freunde eingeladen. Diese Erkenntnis führte einen Moment herbei, in welchem er seinem Bauchgefühl nachgeben wollte, nachdem er die letzte Einladung geschrieben hatte.

Seine Mutter las noch einmal die Liste, auf der er die Namen nach und nach säuberlich durchgestrichen hatte, da fragte Draco: „Gibst du sie mir bitte noch einmal? Ich möchte sie ein wenig vervollständigen.“

Er überflog die Liste abermals und ganz unten, unter den bereits durchgestrichenen, setzte er neue Namen. Namen von alten Freunden, von denen Susan oft gesprochen hatte. Namen von Menschen, an die sich Draco noch erinnerte und von einigen, mit denen er gut zurechtgekommen war. Die Liste wuchs und wuchs, so dass er bald die Rückseite nehmen musste. Er schrieb die Weasley-Zwillinge und gleich darauf noch die anderen Mitglieder der rothaarigen Familie auf das Pergament.

Als er sich für eine kurze Pause zurücklehnte, wurden seine Gedanken mit Erinnerungen an die Ordensverleihung überflutet und er fragte sich, warum Susan nicht auch Luna und Neville eingeladen hatte, denn er wusste, dass seine Zukünftige mit den beiden eng befreundet war. Von den Menschen, die während der Verleihung an seinem Tisch gesessen hatten, fehlte nur noch einer und so fand sich auch der Name von Justin Finch-Fletchley auf der Gästeliste wieder. Viele Anwesende der Verleihung hatten schon einen Eindruck von ihm erhalten, aber noch keinen prägenden und das wollte Draco nachholen.

Mittlerweile musste er ein zweites Pergament zur Hand nehmen, damit all die Namen, die ihm im Kopf umherschwirrten, auch zu Papier gebracht werden konnten. Als Letztes fehlte nur noch ein einziger Name und den setzte Draco in Schönschrift unter all die anderen: Albus Dumbledore.

Mit flinken Fingern zählte er die noch übrigen Einladungskarten und kam zu dem Schluss, dass die keinesfalls ausreichen würden.

„Mutter? Kannst du mir vielleicht den Gefallen tun und in dem Geschäft, wo wir die Karten besorgt haben, noch ein paar nachbestellen? Ich brauche sie unbedingt heute noch!“
„Aber sicher, mein Junge. Wie viele benötigst du?“, fragte seine Mutter.
Grob ging Draco die Liste der Gäste durch und sagte: „Zweihundert oder mach besser dreißig mehr!“

Seiner Mutter fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, denn zuvor waren es unter vierzig gewesen.

Nur eine Sache musste Draco jetzt noch erledigen, denn er musste Mr. Bones darüber unterrichten, dass kurzfristig einige Gäste mehr zu erwarten wären, weswegen er ihn gleich über den Kamin kontaktierte.

„Mr. Malfoy, einen schönen guten Morgen! Was für eine nette Überraschung. Meine Frau und ich haben gerade über die Hochzeit gesprochen“, sagte Mr. Bones erfreut.

Draco hatte noch immer nicht die Erlaubnis erhalten, den Vater seiner zukünftigen Braut mit Vornamen ansprechen zu dürfen, aber Susan hatte ihn beruhigt und ihm versichert, dass das bestimmt auf der Hochzeitsfeier geschehen würde.

„Mr. Bones, das ist wirklich ein Zufall, denn ich wollte mit Ihnen über kleine Änderungen sprechen. Ich weiß, dass Sie viel Wert darauf legen, das Fest auszurichten und sich um alles zu kümmern.“
„Über was für Änderungen sprechen wir hier?“, fragte Mr. Bones, der ganz Ohr war.
„Die Anzahl der Gäste ist, ähm, unvorhergesehen angestiegen“, gestand Draco.
„Machen Sie sich keine Gedanken, Mr. Malfoy. Die Räumlichkeiten, für die ich noch zusagen muss, haben eine Kapazität von hundert Plätzen“, beruhigte Mr. Bones, der durchaus wusste, dass die Gästeliste seiner Tochter und ihres Verlobten nicht einmal ganze vierzig Geladene zählte und die Örtlichkeit mehr als das Doppelte an Personen vertragen würde.
„Gäbe es auch Platz für ungefähr 250 Gäste?“, fragte Draco scheinheilig. Eine Antwort ließ auf sich warten, weshalb Draco unsicher fragte: „Mr. Bones?“
„Ja ja, ich bin noch da“, sagte er. „250 Gäste also… Das wird schwierig, jedenfalls dort, wo ich… Ich müsste noch woanders nachfragen. Die meisten großen Festsäle für so viele Personen sind bereits wegen verschiedenster Weihnachtsfeiern ausgebucht.“ Mr. Bones begann zu grübeln.
„Wenn ich nur wegen der Örtlichkeit einen Vorschlag machen dürfte, Mr. Bones?“

Erleichtert stimmte sein zukünftiger Schwiegervater zu, denn der wusste, dass er auf die Schnelle keinen Ort finden würde, der groß genug für so viele Gäste sein würde und dazu noch kurz vor Weihnachten frei war.

Tief Luft holend schlug Draco vor: „Wie wäre es mit Malfoy Manor, Sir? Bis zur Hochzeit werde ich es von vorn bis hinten hergerichtet haben!“

Im Hintergrund hörte Draco seine Mutter erschrocken Luft holen.

„Mr. Malfoy, Sie würden mir damit sogar einen großen Gefallen erweisen, denn ich bin mir sicher, außer vielleicht Hogwarts keine passenden Räumlichkeiten für eine dermaßen große Gästeschar zu finden. Dann also Malfoy Manor! Ich werde für die gute Küche Sorgen; Köche, Kellner, Lieferanten und alles, was dazu gehört, habe ich längst unter Dach und Fach. Ich danke Ihnen für die Information, Mr. Malfoy.“
„Ich habe zu danken, Mr. Bones. Einen schönen Gruß an die Frau Gemahlin!“, sagte Draco verabschiedend.

Nachdem er seinen Kopf aus dem Kamin gezogen hatte, blickte er hinter sich und er bemerkte, dass seine Mutter ihre Fingerspitzen federleicht auf ihren Mund gelegt hatte.

„Ich weiß, was du denkst, Mutter, aber vertraue mir! Ich werde mir Hilfe holen und danach wirst du unser Haus nicht wieder erkennen.“ Er lächelte ihr zu, womit sie sich anstecken ließ. Jetzt, dachte er, war erst einmal Zeit fürs Frühstück.

Auf dem Weg in die große Halle traf Hermine auf Draco, der sie fragte: „Kann ich nachher mal mit dir reden? Mit Harry auch.“ Etwas verdattert nickte sie, doch bevor sie fragen konnte, um was es sich handeln würde, war er bereits zum Tisch der Slytherins gegangen.

Während Hermine durch die Reihen bis nach vorn zum Lehrertisch ging, machte sich eine wohlige Stimmung in ihr breit, denn die Schüler waren sehr ausgelassen und fröhlich, weil sie sich auf ihr Zuhause und das Weihnachtsfest freuten und sie steckten Hermine mit ihrer guten Laune an. Als sie vorn angekommen war, hatte sich längst ein freundliches Lächeln in ihrem Gesicht ausgebreitet.

„Morgen Hermine“, sagte Harry grüßend und er war ganz offensichtlich in der gleichen Stimmung wie sie selbst.
„Guten Morgen“, erwiderte sie, bevor sie wie üblich auf ihrem Stuhl Platz nahm, so dass zwischen ihr und Harry eine Lücke klaffte. Severus war noch nicht da und ob er das Frühstück in der großen Halle einnehmen würde, war fraglich.

Eine warme Stimme grüßte fröhlich von hinten in die Runde. Remus war gerade durch den Eingang für die Lehrer gekommen. Er würde solange in Hogwarts bleiben müssen, bis die Schüler behütet in den Zug eingestiegen waren und Hogsmeade von den Auroren wieder freigegeben worden war. Von Albus hatte er daher die Einladung erhalten, am Lehrertisch Platz zu nehmen und ohne zu fragen setzte er sich einfach zwischen Harry und Hermine, bevor die drei nett zu plaudern begannen.

„Und?“, fragte Remus an Hermine gewandt, während er sich eines der warmen Brötchen nahm. „Gestern noch ein kleine Wanderung unternommen?“
Sie verzog das Gesicht und antwortete: „Ich bin nicht weit gekommen, konnte den Schutzzauber nicht aufheben. Was auch immer sich hinter der Tür verbergen mag wird ein Geheimnis bleiben.“ Sie nahm es gelassen.
„Tonks hat erzählt, dass die Experten die Kisten bereits abtransportiert haben. Weniger erfreulich war wohl das Auftauchen der Vergissmich gewesen.“
„Wie bitte?“, fragte Hermine erbost. „Da kommen extra Muggel her, die uns helfen und so danken wir es ihnen? Das ist unerhört! Ich hoffe, Kingsley ist bald mit dem Gesetzt fertig!“
„Ja, das hoffe ich auch“, stimmte Remus betroffen zu.
„Ach Harry“, Hermine lehnte sich nach vorn, „Draco möchte nachher mal mit uns reden. Frag mich nicht, was er möchte, ich habe keine Ahnung.“
„Ich habe heute nichts vor“, versicherte Harry, der sich gerade ein Glas Kürbissaft einschenkte.
Hermine, die sich in aller Ruhe einen Apfel in ihr Müsli schnitt, sagte ein wenig traurig: „Ich find’s schade, dass der Weihnachtsball dieses Jahr wegen der unangenehmen Situation mit den Muggeln ausgefallen ist.“
„Sicherheit geht nun mal vor“, warf Remus ein.

Einen Blick zur Seite werfend fiel Hermine etwas auf.

„Albus sieht heute so ernst aus.“
Sich selbst davon überzeugend blickte Remus zum Direktor hinüber, der wenige Stühle weiter saß, bevor er zustimmte: „Ja, er macht sich große Sorgen um die Schüler. Er wird sie heute zum Bahnhof begleiten; zusammen mit den Auroren, die Kingsley herschicken wird.“
„Ich glaube, heute wird gar nichts passieren.“ Harry klang sehr geruhsam. „Was soll schon geschehen? Die Waffen sind weg, die Auroren haben alles abgeschirmt. Kingsley führt sie an! Da mache ich mir ehrlich gesagt keine Sorgen.“

Remus wollte ihm glauben und er hoffte auf ein erleichterndes Gefühl, aber es blieb aus. Tonks war heute ebenfalls in Hogsmeade und er wollte sich gar nicht ausmalen, was alles Schlimmes geschehen könnte.

„Wie werdet ihr so eure Weihnachtsferien verbringen?“, wollte Remus wissen.
Den Anfang machte Harry, denn er erzählte: „Ginny und ich bleiben die meiste Zeit hier, aber am ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag gibt’s ein Familienfest. Wir übernachten dann auch außerhalb bei Molly.“
„Und Heiligabend?“, fragte Hermine.
„Da sind wir hier in Hogwarts.“
„Oh schön“, sagte Hermine, doch es schien, als würde sie mit etwas zurückhalten.
„Warum fragst du?“, stichelte Harry.
„Na ja, könnte ich mich Heiligabend vielleicht euch anschließen? Natürlich nur, wenn ich nicht störe…“
„Hermine, du wirst die Patentante von Nicholas und bist außerdem meine beste Freundin. Natürlich kannst du zu uns kommen. Dass du da überhaupt noch fragst.“ Harry schüttelte den Kopf, lächelte jedoch. „Hast du denn dieses Jahr zu Weihnachten gar nichts vor?“
„Ich hab’s vergessen“, murmelte sie.
Überrascht fragte Remus nach: „Vergessen?“
„Ich wollte eigentlich mit meinen Eltern die Feiertage verbringen, aber weil ich mich nicht gemeldet habe, haben sie sich bei Verwandten eingeladen und zu denen möchte ich nicht“, erklärte Hermine.
„Wieso nicht?“, fragten Remus und Harry zeitgleich.
„Bitte, das möchte ich wirklich nicht erklären. Wir haben da gewisse… Differenzen.“ Von sich ablenken wollend fragte sie Remus: „Was machst du so?“
„Tonks hat über die Feiertage leider Dienst und Ted und Andromeda werden zum Fest wieder einmal vor der Kälte in den Süden fliehen, also werde ich Rosmerta wahrscheinlich anbieten, ihr beim Weihnachtsgeschäft zur Hand zu gehen, obwohl sie meinte, es wäre nicht notwendig.“
„Wenn Hermine schon zu uns kommt, dann komm du doch auch. Tonks kann ja abends nachkommen, wenn sie es schafft“, bot Harry wie selbstverständlich an.
„Nein, ich möchte nicht zur Last fallen.“ Gleich im Anschluss fügte Remus hinzu: „Harry, ich habe gesehen, dass du eben mit den Augen gerollt hast.“
„Und zu Recht! Würde ich das Angebot machen, wenn du nur eine Belastung wärst? Ich bitte dich, Remus“, sagte Harry sehr vorwurfsvoll.

Einen Moment überlegte Remus, während er seinen gesüßten Kaffee mit dem Löffel umrührte. So ein gemütliches Zusammensein an Heiligabend wäre genau das Richtige für ihn.

„Ich könnte“, begann Remus zögernd, „vielleicht etwas Eierpunsch machen.“ Das Mitbringsel war in seinen Augen zu wenig, weswegen er schnell noch anfügte: „Und ein paar Plätzchen backen.“
„Du bist unser Gast, Remus! Du musst gar nichts mitbringen außer dich selbst und gute Laune“, stellte Harry klar.

Nur am Rande hörte Harry, wie Remus zustimmte, denn seine Augen hatte er nun auf die vielen Schüler gerichtet, die in dem festlich geschmückten Saal ausgelassen scherzten und lachten oder Adressen austauschten, damit sie während der Ferien per Eule in Kontakt bleiben konnten.

Ein warmes Gefühl breitete sich in ihm aus, als er sich an seine eigene Schulzeit erinnerte und natürlich auch an die Weihnachtszeit. Ihm war noch gut in Erinnerung, wie Percy einmal sein geliebtes Koboldsteinspiel über Weihnachten seinem Bruder Ron überlassen hatte und natürlich hatten Harry und Ron mehrmals damit gespielt. Es war auch hier in Hogwarts gewesen, wo Harry seine ersten richtigen Weihnachtsgeschenke bekommen hatte. In dem allerersten Päckchen, dessen dickes braunes Papier er noch immer sehr deutlich vor seinem inneren Auge sehen konnte, hatte er eine grob aus Holz geschnitzte Flöte von Hagrid gefunden und die Töne, die sie von sich gab, hatten wie Eulenrufe geklungen. An das zweite Geschenk wollte sich Harry nicht erinnern, denn es war von Onkel Vernon und Tante Petunia gewesen; er hatte es gleich an Ron weitergegeben. Alle weiteren Geschenke waren ausnahmslos wunderschön gewesen. Die Flöte und seinen ersten, selbst gestrickten Pullover von Molly mit einem großen „H“ vorn drauf hatte Harry noch immer in seinem Besitz, selbst wenn der längst viel zu klein war.

Verträumt blickte Harry zum Tisch der Gryffindors hinüber und obwohl er hier oben am Lehrertisch saß, kam es ihm so vor, als würde er dort unten zwischen den ganzen Schülern sitzen und sich auf gemeinsame Feiertage mit seinen Freunden freuen. Seine Augen erhaschten einen Blick auf Ginny, die gerade einer Klassenkameradin um den Hals fiel. Harry begann zu lächeln. Endlich, dachte er erleichtert, wäre Weihnachten für ihn wirklich ein Familienfest, denn er würde die Zeit mit seiner Verlobten verbringen. Im nächsten Jahr wäre sie bereits seine Frau.

Entspannt atmete er tief ein und befreit wieder aus, während er einen Moment lang auf seinen Frühstücksteller schaute und sich ein wenig Rührei auf die Gabel schob; das behagliche Gefühl in seiner Brust war die ganze Zeit über gegenwärtig. Als er wieder aufblickte, schien für ihn die Zeit stehen zu bleiben. Er konnte nicht anders, als wie in Trance auf die vielen Schüler zu starren.

„Harry?“, fragte Remus, doch die Stimme klang weit weg, so dass er sie nur als Echo wahrnahm.

Auch Hermine war aufgefallen, dass Harry abwesend schien, weshalb sie ihn ebenfalls ansprach, doch er antwortete nicht, sondern blickte weiterhin in die Schülermenge vor sich; ließ seinen Blick kurz auf einem der Kinder ruhen, bevor er das nächste anblickte.

An Remus vorbei ergriff Hermine seine Hand, die noch immer die Gabel hielt und sie drückte zu, als sie leise fragte: „Harry, ist alles in Ordnung?“
Seine Augen nicht von den Schülern abwendend sagte er leise, aber unüberhörbar mit Verzückung in der Stimme: „Ich sehe ihre Farben, Hermine!“

Im selbem Moment im Mungos machte Lucius sich gerade am Waschbecken des sehr bescheiden ausgestatteten Badezimmers frisch. Im Spiegel betrachtete er sein Antlitz und stellte für sich selbst fest, dass er sehr abgekämpft wirkte. Vielleicht, dachte er, sollte er mehr Essen, denn sein Verhandlungstermin lag nicht mehr fern. Er wollte einen guten Eindruck hinterlassen, auch äußerlich. Niemals würde er es laut von sich geben, aber ein wenig Angst hatte er vor dem Gerichtstermin schon. Das Veritaserum Plus würde ihm sämtliche Geheimnisse entlocken, doch er selbst hatte es so gewollt. Es lag ihm viel daran, seine Kooperation deutlich zu machen. Sorgen machte er sich nur ein wenig um Zaubergamot-Vorsitzende Rosalind Baltimore. Sie war diejenige, in deren Hände er sein Schicksal gelegt hatte. Ob sie auf ihn und seine Drohung reagieren würde, hatte der frühe Termin am zwölften Januar bestätigt – sie war ihm bereits entgegengekommen und weil der Termin schon festgelegt worden war, durfte er davon ausgehen, dass alle Mitarbeiter, die er auf seiner Liste niedergeschrieben hatte, der Verhandlung beiwohnen würden. Fraglich war, ob die sich alle noch daran erinnern würden, dass Lucius sie in der Hand hatte, doch andererseits hatte er jedem Einzelnen im Laufe der Jahre mehrmals vor Augen gehalten, was er von ihnen wusste und dass er ihre kleinen Geheimnisse auch gegen sie verwenden würde.

Sein Spiegelbild zeigte ihm, dass er überheblich lächelte. Im Moment kam er sich selbst wieder wie der Mann vor, der er vor Jahren gewesen war.

Ein kurzes Klopfen kündigte Schwester Marie an.

Aus dem Bad kommend und seine Lieblingsschwester begutachtend sagte er: „Meine Güte, geht es Ihnen gut?“ Er wollte ihr nicht an den Kopf werfen, dass sie mit den dunklen Augenringen und den müden Lidern grauenvoll anzusehen war.
Sie stöhnte laut, sagte jedoch ehrlich: „Ich habe Ihnen ja von der neuen Patientin erzählt, um die ich mich exklusiv kümmere. Sie…“ Marie druckste herum, entschloss sich jedoch dazu, ihm nicht die ganze Wahrheit zu sagen: „Sie scheint tot zu sein, aber sie lebt. Das ist eine wirklich seltsame Krankheit.“
„Eine Krankheit?“, wiederholte er mit einem komischen Gefühl in der Magengegend. „Erzählen Sie mir davon, Marie.“
Er hatte ungewöhnlich besorgt und gleichzeitig interessiert geklungen, doch Marie machte ihm verständlich: „Ich werde nichts Genaues erzählen dürfen, Mr. Malfoy.“
„Oh, ich verstehe, Marie. Verzeihen Sie, dass ich Sie in eine heikle Lage gebracht haben sollte. Ich dachte nur“, er legte den Kopf schräg, „ich könnte vielleicht sogar helfen.“

Dass Mr. Malfoy das dunkle Mal trug und im Allgemeinen nicht nur wortgewandt, sondern auch sehr link sein konnte, hatte sie sich immer vor Augen gehalten, wenn sie mit ihm gesprochen hatte, weswegen sie jetzt zögerte, ihn ohne Bedenken einzuweihen.

„Vielleicht“, begann er, „könnte die Patientin unter einem Fluch leiden, der in gewissen Kreisen gern angewandt worden war; in Kreisen, zu denen ich mich bedauerlicherweise zählen muss.“

Sie kniff skeptisch die Augen zusammen, doch auf der anderen Seite könnte er womöglich Recht haben, dachte sie.

„Meinen Sie nicht, Mr. Malfoy, dass Mr. Shacklebolt oder Miss Tonks…“
„Miss Tonks?“, unterbracht er, denn natürlich war ihm der Nachname der Schwester seiner Gattin bekannt.
„Ja, Miss Tonks, eine Aurorin! Meinen Sie nicht, einer von beiden wäre auf diese Idee gekommen und hätte sich mit Ihnen darüber unterhalten, wenn man die Möglichkeit in Betracht ziehen würde, es könnte sich bei dem, unter was Miss Parkinson leidet, um einen schwarzmagischen…
„Warten Sie… Miss Parkinson?“ Sie bemerkte, wie der Name etwas in ihm bewegt hatte.
„Wollen Sie mir jetzt vielleicht weismachen“, begann sie vorwurfsvoll, „dass Sie Miss Parkinson kennen? Wahrscheinlich kennen Sie sie genauso gut wie Miss Greengrass. Die Dame hatte mir nämlich kurz vor ihrer Entlassung erzählt, sie wäre mit Ihrem Sohn zwar zur Schule gegangen, hätte Sie aber höchstens ein- oder zweimal gesehen. Sie haben mich angelogen, Mr. Malfoy!“

Natürlich erinnerte sich Lucius daran, wie er am ersten Tag im Mungos das Gespräch des Pflegers und der Schwester belauscht hatte und wie er im Verlauf des Tages die spärlichen Informationen dazu benutzt hatte, um noch mehr aus Schwester Marie herauszubekommen.

„Ich wollte nur sehen…“ Er hatte sehen wollen, ob er noch dazu in der Lage wäre, Sicherheit und Vertrauen vorzugaukeln, um Informationen an sich zu reißen. „Marie, wir kannten und damals doch gar nicht. Es war für mich nur…“ Er schüttelte den Kopf, denn egal, was er sagen würde, sie würde ihm sowieso nicht glauben.

Sich zusammennehmend erklärte er ganz offen und mit sicherer Stimme: „Miss Pansy Parkinson war die Tochter eines meiner Geschäftsfreunde. Sie war mit Draco in der gleichen Klasse gewesen; im gleichen Haus. Beide sind zum Weihnachtsball gegangen, als das Trimagische Turnier stattgefunden hatte. Sie war, wenn ich es so nennen darf, meine bevorzugte zukünftige Schwiegertochter, aber das hat sich offensichtlich längst erledigt. Miss Parkinson war häufig zu Gast in Malfoy Manor, weswegen sie als Freund der Familie freien Zutritt durch die Schutzzauber hatte. Möchten Sie eine Personenbeschreibung?“ Lucius wartete nicht auf eine Antwort. „Sie war, als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, etwas über ein Meter und sechzig groß, hatte schwarze Haare und braune Augen. Ihr Gesicht möchte ich, ohne beleidigend zu wirken, als rund bezeichnen.“

„Warum denken Sie, dass Sie womöglich helfen könnten?“, wollte Marie nach einer Weile wissen.
„Weil die Todesser sich viele Qualen für diejenigen ausgedacht haben, die sich dem Dunklen Lord in den Weg gestellt hatten“, antwortete er wie aus der Pistole geschossen.

In der großen Halle war Harry noch immer von dem farbenfrohen Anblick so gefesselt, dass er nichts verpassen wollte, er wollte nicht einmal blinzeln. Sein Mund stand ein wenig offen, doch die Mundwinkel waren zu einem erfreuten Lächeln geformt.

Hermine war völlig handlungsunfähig. Sie wusste nicht, was sie tun sollte und Remus ging es nicht anders. Der Moment, den Harry gerade erlebte, schien sehr überwältigend für ihn zu sein, aber keinesfalls bedrohlich. Es war nicht so, dass er niemanden mehr sehen konnte – im Gegenteil: Er konnte alle Menschen sehen und zusätzlich noch etwas mehr von ihnen.

Sich zusammennehmend fragte Hermine: „Siehst du auch meine Farben?“

Es dauerte einen Augenblick, bis Harry sich vom Anblick der bunt schillernden Schüler lösen konnte, bevor er zu seiner Freundin hinüberblickte. Hermine und Remus benötigten keine Antwort auf ihre Frage. Harry beäugte Remus, als würde er ihn zum ersten Mal in seinem Leben zu Gesicht bekommen und deswegen war es für Hermine eindeutig, dass er dessen Farben wahrnehmen konnte. Von diesem Erlebnis war Harry so ergriffen, dass er keine Worte finden konnte. Er konnte seinen Blick einfach nicht mehr abwenden und betrachtete daher unverhohlen den Freund neben sich, der schon der Freund seines Vaters gewesen war, denn der leuchtete unerwartet in kräftigem Rot und Gelb.

Einzig eine Stelle fiel ihm an Remus besonders auf, denn sie war ergraut und schwamm oben auf wie ein störender Ölfleck, der vom langsamen Strom der Magie mitgetragen wurde. Der dunkle Fleck am Brustbein schien wie eine Last, wie eine Unzufriedenheit, die nicht ausradiert werden konnte. Harry beobachtete diesen auffälligen Klecks, der leidig ins Auge stach und nun dabei war, gemächlich hinauf in Richtung Schulter zu fließen. Als dieser gräuliche Fleck, nicht größer als ein Schnatz, die Schulter erreicht hatte, da packte Harry zu und erst da bemerkte er, dass er auch seine eigene Farbe sehen konnte.

Das Gold seiner Hand schien zu schmelzen und ein paar Tropfen perlten von ihr ab, die sich erst deckend, dann allmählich verblassend mit Remus’ Farben vermengten. Die graue Stelle, die Harry hatte greifen wollen, kroch unter seiner goldenen Hand hervor und schien ein wenig unter der Einwirkung seiner Magie gelitten zu haben, denn sie war – wenn auch nur ein geringfügig – kleiner geworden.

Diese aschfahle Nuance noch mit den Augen verfolgend fühlte Harry plötzlich eine Hand auf seiner, weswegen er aufblickte. Remus lächelte ihn an und tätschelte freundschaftlich seine Hand, die er nach einem Moment von Remus’ Schulter nahm.

„Remus?“, hörte Harry Hermine leise sagen. „Remus, nur als Information: Du sitzt auf dem Platz, auf dem Severus sonst immer sitzt.“

So eine Information würde sie nicht ohne Grund geben und so blickte Harry wieder nach vorn zu den vielen Schülern, deren junge Magie oft noch einfarbig anzusehen war und mitten unter ihnen, in sämtliche Grautöne gehüllt, erkämpfte sich Severus einen Weg durch die unruhige Menge. Der Kontrast, den Severus darstellte, war so erschütternd, dass der Anblick Harry aus dem Gleichgewicht brachte. Obwohl er Severus’ Magiefarben von Hermine bereits erfahren hatte, so war es doch etwas völlig anderes, sie mit eigenen Augen zu sehen. Die graue Erscheinung war trostlos, bedauernswert und elend anzusehen, als sie an den ganzen farbenfrohen Gestalten wie ein düsterer Schatten vorbeihuschte.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
~ Muggelchen.net ~

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