Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - BEENDET

Hier könnt ihr eure Fanfictions und Gedichte zu Harry und seiner Welt vorstellen.

Moderator: Modis

Antworten
Benutzeravatar
Muggelchen
EuleEule
Beiträge: 345
Registriert: 07.06.2008 22:29
Wohnort: Gemälde im 1. Stock

Beitrag von Muggelchen »

105 Adlerauge




„Harry, wie machen wir das am Freitag mit Halloween? Musst du da irgendwie auf die Schüler achten oder können wir normal als Pärchen hingehen?“, fragte Ginny am Donnerstag nach ihrer Unterrichtsstunde bei ihm.
„Ich habe mich deswegen schon erkundigt. Wir können zusammen hingehen“, erwiderte er strahlend.
„Verkleiden sich die Lehrer auch oder…?“
Er unterbrach Ginny und nickte zustimmend, bevor er sagte: „Ich habe gehört, Rolanda soll ein tolles Kostüm haben, aber ich weiß nicht, als was sie kommen möchte.“
„Als was gehen wir beide denn?“, wollte sie wissen. Gedanken hatten sie sich bisher darüber nicht gemacht.
„Ich weiß nicht, als was ich gehen könnte, aber du könntest als Engel gehen“, sagte er schmeichelnd, während er sich ihr näherte.
„Du alter Charmeur, du“, sagte sie frech grinsend. „Ein Engel ist nicht gerade furchterregend oder? Es soll doch etwas Gruseliges sein.“
„Dann eben als Teufel! Ich meine, allein schon mit den roten Haaren…“

Sie attackierte seinen Bauch und kitzelte ihn, so dass er laut lachend einen Satz zurück machen musste.

Sie rangelten eine ganze Weile und Harry wollte eigentlich nicht so grob mit ihr umgehen, aber sie war verdammt stark und gerade, als er alle Bedenken von sich abgeschüttelt hatte und seine Kräfte nicht mehr unterdrücken wollte, da fand er sich auf dem Rücken liegend wieder. Ginny saß auf ihm drauf und drückte seine Hände fest auf den Boden.

Sie lachte herzlich und schüttelte den Kopf, als sie sagte: „Harry, Harry, Harry… Du musst dich schon ein bisschen mehr anstrengen, um mich überwältigen zu können. Du darfst niemals – wirklich niemals – vergessen, dass ich sechs große Brüder habe, gegen die ich mich immer zur Wehr setzen musste!“ Sie beugte sich nach vorn und gab ihm unerwartet einen sehr leidenschaftlichen Kuss, so dass er sich ihr vollends ergab. Noch immer fröhlich lächelnd stand sie auf und verabschiedete sich mit den Worten: „Ich habe jetzt gleich Zaubertränke. Du kannst ja schon einmal überlegen, was wir morgen anziehen, obwohl mir die Idee mit dem Teufel ganz gut gefällt.“

Ginny trat zwei Minuten vor Unterrichtsbeginn in Snapes Klasse, doch trotzdem wurde sie angezischt: „Miss Weasley, fünf Punkte Abzug für Ihr verspätetes Erscheinen.“
„Aber es…“
Bevor sie ihren Satz beenden konnte, sagte er mit schmieriger Stimme: „Sie wissen sehr wohl, dass der Unterricht dann beginnt, wenn ich den Klassenraum betreten habe und wie Sie sehen, bin ich bereits hier.“ Er kniff die Augen zusammen und befahl: „Setzen Sie sich!“
’Oha, der gleiche Snape wie eh und je’, dachte sie. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, warum Harry immer behauptete, Snape – oder ’Severus’, wie er ihn nannte – wäre ein völlig anderer Mensch. Zur ihr und den anderen Schülern war er, bis auf klitzekleine Ausnahmen, genauso ein Bastard wie früher.

Nachdem sie sich gesetzt hatte, fiel ihr Blick auf Draco, der sie anschaute und einmal mitleidig die Schultern hob und senkte, um ihr zu zeigen, dass sie sich nichts aus Snapes Gehabe machen sollte und das machte sie für einen Moment stutzig, aber schließlich schenkte sie ihm doch ein Lächeln und imitierte seine Geste, bevor sich beide dem Unterricht widmeten.

Der Unterricht war ruhig verlaufen und Ginny war froh, dass Snape die ganze Stunde über einen Schüler aus Ravenclaw in die Mangel genommen hatte, da der offensichtlich nicht das gelernt hatte, was Snape vor zwei Tagen aufgetragen hatte. Dadurch, dass er diesen Schüler immer wieder dazu aufgefordert hatte, Fragen zu beantworten, die er nicht beantworten konnte, hielt er jedem anderen Schüler vor Augen, wie unangenehm es sein würde, Snapes Anweisungen nicht nachzukommen. Ständig vor den Mitschülern durch Unwissen aufzufallen war nichts, das man selbst erleben wollte.

Die Stunde mit den Siebtklässlern war für Severus heute die letzte, so dass er sich auf den Weg ins Labor machen konnte, aber nicht, um vorher dem Ravenclaw-Schüler eine besondere Strafarbeit übers Wochenende aufzugeben und das war die Zusammenfassung von acht Kapiteln auf mindestens eineinhalb Metern Pergament. Der Schüler seufzte, aber seinen Unmut wollte er auf andere Art nicht kundtun.

In seinem Labor angelangt wartete wie üblich Hermine bereits mit Tee und Gebäck auf ihn, so dass er zunächst ein wenig abschalten konnte, bevor sie mit der Arbeit beginnen würden. Während sie so friedlich und still nebeneinander saßen, bemerkte er, wie sie ihn mehrmals betrachtete, bevor er genervt fragte: „Was ist es diesmal?“
„Was?“, wollte sie wissen, denn sie war sich keiner Schuld bewusst.
„Sie starren mich an!“, warf er ihr vor.
„Das ist überhaupt nicht wahr!“, rechtfertigte sie sich, bevor sie etwas verärgert zu ihrer Teetasse griff und einen Schluck nahm.

Während sie sich mit der Tasse in ihrer Hand wieder anlehnte, überlegte sie, warum sie ihn angestarrt haben könnte, denn aufgefallen war es ihr nicht. Dann jedoch musste sie zugeben, dass er Recht gehabt hatte. Sie hatte ihn betrachtet, aber nur, weil sie so fasziniert davon war, dass seine Augenfarbe, sobald er die letzte Klasse hinter sich gebracht und sein Labor betreten hatte, sofort aufhellte. Das war schon die letzte Zeit über so gewesen. Gedankenverloren blickte sie neben sich und dachte darüber nach, was der Grund dafür sein könnte. Sie fand es faszinierend, dass seine Augen die Farbe wie ein Chamäleon wechseln konnten.

„Sie tun es schon wieder!“, brummte er und dieses Mal fühlte sie sich ertappt.
„Ja, tut mir Leid. Ich hab nur…“ Sie hielt inne, denn würde sie wieder über seine Augen sprechen, würde sich der heutige Tag sicherlich erneut als eine Katastrophe herausstellen, also sagte sie lieber nichts.
„Was?“, blaffte er sie an.
„Ach nichts“, sagte sie abwinkend und nahm einen Schluck Tee.
Von der Seite schaute er sie an und sein Gesicht zeugte von Müdigkeit und Gereiztheit, bevor er forderte: „Muss ich es mit Veritaserum aus Ihnen herauskitzeln?“

Sie verschluckte sich an ihrem letzten Schluck Tee, denn bei solchen Bemerkungen wusste sie nie, ob er nur flunkerte oder tatsächlich drohte. Mit großen Augen blickte sie skeptisch in ihre Tasse, als hätte sie dort eben aus den Teeblättern den Grimm herauslesen können.

Verzweifelt und fragend schaute sie ihn an, weswegen er den Mund verzog und einmal dezent auflachte, bevor er fragte: „Glauben Sie wirklich, ich würde Ihnen Veritaserum in den Tee tun?“
Ohne zu überlegen antwortete sie: „Warum nicht? Ich habe Ihnen ja auch meinen Farbtrank…“ Sie stoppte sich selbst und riss die Augen weit auf, weil sie dieses Thema heute ganz bestimmt nicht hatte ansprechen wollen.
„Sie haben Ihrem Irrwicht etwas in den Tee getan, nicht mir“, verbesserte er trocken, bevor er sich und ihr ein Stück Schokoladenkuchen auf den Teller tat.
„Aber ich hab’s in der Absicht…“ Sie unterbrach sich selbst und sagte leise: „Es tut mir Leid.“ Eher aus Spaß, weil er sowieso ablehnen würde, wollte sie die Stimmung wieder lockern, indem sie unschuldig fragte: „Gehen Sie trotzdem mit mir zum Halloween-Fest?“
Das Thema hatte keiner von beiden bisher angesprochen und so überraschte es sie, als er wie aus der Pistole geschossen antwortete: „Ja.“
Im ersten Moment zeichnete sich Verwunderung in ihrem Gesicht ab, doch sie fing sich schnell wieder und fragte fröhlich: „Als was werden Sie sich verkleiden?“
Er blickte ihr in die Augen, zog eine formschöne Augenbraue in die Höhe und antwortete: „Ich werde mich als Zaubertränkemeister verkleiden.“ Ein einziger Mundwinkel löste sich von der Anziehungskraft der Erde und fand den Weg nach oben.
Sie ahmte ihn unbewusst nach, bevor sie stichelte: „Oh, das ist ein äußerst originelles Kostüm!“
„Ja, das dachte ich mir auch“, erwiderte er leidenschaftslos.
„Und im Ernst?“
„Das war mein voller Ernst. Ich werden nämlich wie jedes Jahr nicht an der Feier selbst teilnehmen, sondern die Schüler und Schülerinnen im Auge behalten“, antwortete er ehrlich.
Ihr entwich ein enttäuscht klingendes: „Oh.“
„Nichtsdestotrotz werden wir gemeinsam in die große Halle gehen können. Ich werde nur ab und an“, er wedelte mit einer Hand umher, „nach draußen gehen müssen, um Feuerwhisky sicherzustellen.“

Nachdem sie sich beide an dem Schokoladenkuchen satt gegessen hatten und Severus jetzt wesentlich entspannter wirkte als zuvor, wollte sich Hermine schon an die Arbeit machen, da zeigte Severus in eine Ecke des Labors und sagte: „Das dort ist heute früh gekommen. Wenn Sie so nett wären und es öffnen würden?“

Sie blickte in die Ecke und sah ein Paket, welches sie noch aus der Ferne mit einem Zauberspruch von Schnur und Papier befreite. Das Päckchen selbst trug sie an den Tisch, um es zu öffnen. Ihr Blick fiel auf zwei intakte, goldgelbe Eier mit roten Sprenkeln auf der Schale.

„Chinesische Dracheneier? Sie haben tatsächlich…“ Sie konnte es gar nicht fassen. Erst gestern hatte Mr. Heed nur mit verfaulten, leeren Eierschalen aufwarten können und nun strichen ihre Finger über zwei intakte, riesige Eier.
„Frisch aus Rumänien“, erklärte Severus. „Gleich gestern Abend habe ich Mr. Weasley kontaktiert, Sie wissen schon: Charlie. Nach einer aufgezwungenen Unterhaltung übers Flohnetzwerk, die ich über mich ergehen lassen musste, habe ich bei ihm zwei Eier eines chinesischen Drachens angefordert. Wie Sie sehen, hat er prompt geliefert.“

So schlimm, wie Severus es beschrieben hatte, war das Gespräch mit dem zweitältesten Weasley-Sohn nicht gewesen, denn die Unterhaltung hatte auf einem Fachgebiet stattgefunden, auf welchem Severus einen kleinen Meister hatte ausmachen können. Charlie Weasley hatte aufgrund seiner Arbeit mit Drachen ein umfangreiches Wissen über alle möglichen Zaubertrankzutaten erlangt, die man von so einem Tier erhalten konnte. Das Gespräch hatte über eine Stunde gedauert und Severus taten heute noch die Knie vom langen Hocken vorm Kamin weh.

„Was werden wir mit den Dracheneiern tun?“, fragte Hermine ganz aufgeregt.
Er hielt ihr ein dickes Buch unter die Nase und sagte: „Suchen Sie sich einen aus.“

Der Titel des Buches lautete „Die Kraft von Lóng – ostasiatische Tränke für die Sinne“. Lóng, so wusste Hermine, war das bekannteste Fabelwesen Chinas – natürlich ein Drache. Stutzig wurde sie, nachdem sie den Titel zu Ende gelesen hatte, doch ohne ihn zu kommentieren machte sie es sich an ihrem Pult gemütlich und warf einen Blick hinein. Jetzt verstand sie auch, was mit „Tränke für die Sinne“ gemeint war. Der erste Trank, dessen Wirkung sie überflog, konnte das Gehör sensibilisieren. Sie blätterte weiter und las von einem Trank, der Urinstinkte wachrufen konnte, was ihr ziemlich unheimlich vorkam. Ein anderer konnte den Geruchssinn so schärfen, dass man mit ihm sogar Veritaserum wahrnehmen erkennen konnte, was unter normalen Umständen nicht möglich war, denn Veritaserum war geruchlos; jedenfalls für die unverfälschte Menschennase.

Ihr Interesse blieb an einem Trank haften, der den Sehsinn schärfen sollte. Sie las alle Zutaten und die Anleitung für die Zubereitung. Es war ein schwierig herzustellender Trank, doch er reizte sie. Es reizte sie, die Krater auf dem Mond ohne Teleskop sehen zu können und so blätterte sie zurück zum Anfang des Trankes und ging damit hinüber zu Severus, der in der Zeit die Hausaufgaben seiner Schüler korrigiert hatte.

Sie legte ihm das Buch auf den Pult und er las sogleich die Überschrift laut vor: „’Adlerauge’?“ Er blickte sie an und bemerkte: „Das ist ein sehr komplizierter Trank.“ Er nahm das Buch zur Hand und las, wie sie schon zuvor, die benötigten Zutaten und die Zubereitungsanleitung, bevor er nochmals sagte: „Sehr kompliziert. Wir müssen schnell arbeiten und unsere Aufgaben präzise verteilen, damit kein Malheur geschieht. Am besten wäre es natürlich, wenn wir drei wären.“
„Ich kann ja Neville fragen, ob er Lust hat“, sagte sie aus Spaß und er musste tatsächlich schmunzeln.

Die Aufgabenverteilung hatten sie schnell hinter sich gebracht, denn jeder wollte die Handgriffe erledigen, für die er sonst auch immer zuständig war. So besorgte Severus die restlichen Zutaten aus seinem persönlichen Vorratsschrank, während Hermine bereits die Arbeitsutensilien an den Tisch brachte. Das waren ein kleiner Kessel aus Zinn und ein großer feuerfester aus den Panzern von Feuerkrabben. Sie legte sich noch ein Brett bereit und holte ihr alles schneidendes Messer, welches Draco und Susan ihr zum Geburtstag geschenkt hatten. Zwei Löffel aus Gold positionierte sie neben den feuerfesten Kessel, mit dem man den Trank umrühren musste. Stößel und Mörser sowie Pistill und Reibeschale durften natürlich nicht fehlen. Hermine war zur gleichen Zeit fertig wie Severus, so dass sie gemeinsam mit der Arbeit beginnen konnten.

Severus entfernte vorsichtig die erforderte Menge frischer Eierschale, die Hermine auf die Messingwaage legte.

„Das reicht, sind genau 114 Gramm“, sagte sie und nahm neugierig ein Stück Schale in die Hand, um daran zu riechen.
„Und wie riecht es?“, wollte er wissen.
„So, wie es in den Büchern steht: leicht nach Zitronensäure und nach Schwefel mit einem Hauch verbranntem Horn“, zählte sie auf.
„Warum nach Zitrone?“
„Na, weil chinesische Drachen in den Reservaten Unmengen an Zitronengras vertilgen. Soweit ich weiß, ist das deren Lieblingsspeise, so wie ein Pandabär am liebsten Bambus frisst“, erwiderte sie.

Es sollte ihn eigentlich nicht mehr erstaunen, dass sie wirklich alles zu wissen schien, aber sie wusste das meiste überwiegend aus Büchern und er ging davon aus, dass sie in ihrem Leben mit Sicherheit noch nie zuvor ein Drachenei gesehen oder gar berührt hatte.

„Ich habe damals das Ei eines Norwegischen Stachelbuckels gesehen, aber es war zu heiß, um es anfassen zu können“, erzählte sie plötzlich, während sie jedoch weiterhin konzentriert ihrer Arbeit nachging.
„Tatsächlich? Wo?“, wollte er wissen.
„Hagrid hatte doch damals beim Kartenspiel dieses schwarze Ei gewonnen und es über dem Kaminfeuer ausgebrütet. War ein bissiges Kerlchen, dieser Norbert“, sagte sie lachend.
„Norbert?“
„So hat Hagrid ihn genannt. ’Norbert’. Der lebt schon lange im Drachenreservat unter Charlies liebevoller Obhut“, erklärte sie ihm beschwingt, während sie gewissenhaft das eingelegte Nixenkraut abwog.
„Wie kann man einen Norwegischen Stachelbuckel ’Norbert’ nennen? Der Angehörige einer so aggressiven, Feuer speienden Drachenart kann doch nicht ’Norbert’ heißen“, sagte er amüsiert.
„Wie hätten Sie ihn genannt?“ Sie hielt stoppend eine Hand hoch und sagte: „Nein, sagen Sie nichts. Sie hätten ihn schlichtweg ’Stachelbuckel’ genannt, richtig?“
Er schürzte die Lippen, bevor er scherzend entgegnete: „Sie scheinen mich besser zu kennen als ich dachte.“

Innerhalb der zwei Stunden intensiver Arbeit, die ein präzises Umrühren in einer bestimmten Abfolge gefordert hatte und bei der man ständig nach Angabe die Temperatur hatte regulieren müssen, war Severus nur ein einziges Mal grantig geworden, doch sie hatte ihm versichert, dass kein Fehler unterlaufen war, so dass er sich schnell wieder beruhigte.

Viele der heute verwendeten Zutaten waren ihr sehr vertraut, denn sie kamen in ihrem eigens kreierten Farbtrank vor. Hermine war froh, dass sie sich heute früh den Schutzbalsam in die Haare gesprüht hatte, denn während sie rührte – fünfmal linksherum, sechsmal rechtsherum, zweimal eine Acht und dann wieder von vorn –, löste sich der Schwefel aus den Eierschalen heraus und verbrannte mit blauer Flamme an der Luft, direkt über dem Kessel. Der stechende Geruch des daraus entstandenen, giftigen Schwefeldioxids ließ ihre Augen brennen, doch sie musste ihr Unwohlsein gar nicht zum Ausdruck bringen, denn Severus hatte es bemerkt und ließ mit Hilfe seines neuen Zauberstabes eine kleine Brise entstehen, die bis zum Ende alle Dämpfe und Gerüche von Hermine wegwehen würde.

Nach abgeschlossener Arbeit wischte sich Hermine zunächst mit einem weißen Seidentuch, das sie aus ihrer Handtasche gezogen hatte, den Schweiß von der Stirn. Severus wurde stutzig und fragte: „Ist das das Tuch…?“

Er hatte den Satz nicht beendet und Hermine war deshalb skeptisch geworden. Sie betrachtete den Schaal in der Hand, den sie ab und zu um den Hals trug, zumindest aber immer in ihrer Tasche mit sich führte. Das war das Seidentuch, welches sie nach Caedes Übergriff in ihrem Besitz hatte und dann zählte sie eins und eins zusammen.

„Das ist Ihres, richtig?“ Er hatte ihr damals den Stärkungstrank gegeben und das Tuch um die Wunde gelegt.
„Es war mein durch Magie vergrößertes Taschentuch“, erklärte er trocken. Schmunzelnd fügte er hinzu: „Es war nicht gebraucht.“
„Sie wollen es aber nicht zurückhaben oder?“
„Hätte ich es wiederhaben wollen, würden Sie sich bereits seit Wochen fragen, wo Sie es wohl zuletzt hingelegt haben könnten“, sagte er sehr eindeutig, denn er hätte es einfach genommen, ohne zu fragen.
Sie legte das Tuch locker auf ihre Tasche und fragte gleich darauf: „Wollen wir den Trank gleich ausprobieren?“
„Wir sollten uns zuvor etwas frisch machen und dann zu Abend essen, Hermine.“
„Aber ich kann es nicht abwarten“, sagte sie nörgelnd.
Severus sah sie an, kniff die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf, jedoch wirkte diese Geste nicht verhöhnend, sondern neckend. Er rückte das aufgeschlagene Buch in ihre Richtung und forderte: „Lesen Sie, was ganz unten steht.“
Hermine blinzelte, den die Schrift unten war recht klein, doch dann rezitierte sie laut: „Die Einnahme des Trankes erfordert eine kurz zuvor eingenommene Mahlzeit.“ Sie blickte auf und sagte: „Ich bin in einer halben Stunde wieder hier und dann Essen wir was, in Ordnung?“
„Nein, nicht im Labor. Kommen Sie in meine Räume“, stellte er klar, so dass sie zustimmend nickte.

Am Ende des Ganges traf Hermine auf Draco, der gerade von drei Schülern gegen eine Wand gepresst wurde und diese Schüler trugen das Gryffindor-Abzeichen.

Wütend darüber, dass Schüler aus ihrem ehemaligen Haus sich zu Methoden hatten hinreißen lassen, die man früher leider den Slytherins zuschreiben musste, erhob sie die Stimme und sagte laut: „Was soll das bitte?“ Die drei Schüler erschraken, äußerten sich jedoch nicht, sondern rannten feige davon. Draco richtete seinen Umhang und gleich darauf seine Frisur, warf Hermine derweil nur scheu einen Blick zu. Er sagte nichts, so dass sie sich genötigt fühlte zu fragen: „Alles okay?“ Er nickte. Hermine sah ihm an – es war schon allein durch die erröteten Wangen zu erkennen –, dass er kurz davor war, in die Luft zu gehen. Wahrscheinlich hatte sie eben eine Prügelei vereitelt, doch sie kam nicht darauf zu sprechen, sondern verabschiedete sich einfach freundlich mit den Worten: „Dann sehen wir uns morgen zum Fest.“ Wieder nickte er, doch sein Unterkiefer malmte hin und her, zornig wie er war, bevor er um die Ecke bog, um seine privaten Räume aufzusuchen. Das erste Mal wurde sich Hermine darüber bewusst, dass sie mit Severus, Draco und dessen Mutter auf dem gleichen Gang wohnte.

Hermine duschte schnell, wechselte die Kleidung und trocknete ihr Haar nur mit dem Handtuch, bevor sie eine Tür weiter zu Severus hinüberging. Der war noch nicht in seinem Wohnzimmer, aber das Essen stand schon bereit und er hatte es offenbar mit einem Warmhaltezauber belegt.

Als er aus seinem Schlafzimmer kam – ebenfalls mit noch feuchten Haaren – schenkte er Hermine erst ein wenig Rotwein ein, bevor er sich ihr gegenübersetzte.

„Ich hoffe, Sie haben nichts an Geflügel auszusetzen?“, fragte er, woraufhin sie den Kopf schüttelte.

Während Hermine und Severus gemütlich in seinem Wohnzimmer dinierten, speisten Harry und Ginny in der großen Halle, doch er saß am Lehrertisch neben zwei leeren Plätzen, während seine Liebste sich mit ihren Klassenkameradinnen unterhielt.

Harry rückte ein wenig auf, so dass er neben Albus sitzen konnte, bevor er leise sagte: „Ich wollte mich nur mal erkundigen, warum der Orden überhaupt zurück ins Leben gerufen worden ist.“ Dann fiel es ihm plötzlich ein und er fügte hinzu: „Na ja, außer wegen mir.“
Er klang ein wenig bedrückt, so dass Albus seine Schulter ergriff und beteuerte: „Du glaubst gar nicht, Harry, wie Leid mir das alles tut. Noch immer, selbst nach unserem Gespräch, fühle ich die Schuld für die bedrückenden Situationen, in die ich dich gebracht hatte.“
„Ist schon gut, Albus“, sagte Harry lächelnd. „Ich würde aber wirklich gern wissen, über was jetzt so gesprochen wird.“
„Du kannst gern am Sonntag dem Treffen beiwohnen, um zuzuhören. Ich bin mir sicher, dass niemand etwas dagegen haben wird. Du kannst auch Ginny, Hermine und Severus mitbringen. Sirius wird sich seine Zeit momentan wohl etwas anders gestalten wollen“, sagte Albus mit einem frechen Zwinkern.
„Ja, mal sehen, vielleicht komme ich wirklich vorbei. Immer noch am Grimmauldplatz?“ Albus nickte. „Und die Uhrzeit?“
„Abends um neun, Harry. Aber bitte sage Bescheid, wenn die anderen auch kommen sollten, denn Molly möchte für alle kochen“, bat Albus.

An den Ordenstreffen hatte sich wohl nichts geändert.

Während jeder im Schloss das Abendessen einnahm, lag Draco auf seinem Bett und dachte über sich und sein Leben nach. Hier in der Schule wurde er von fast allen Schülern angefeindet, weil sich wegen der Äußerung von Shaun Smith natürlich in Windeseile herumgesprochen hatte, dass er ein Todesser war. Sogar die Schüler seines eigenen Hauses schienen ihm nicht zu trauen, doch dass konnte auch daran liegen, weil er wenig Zeit mit ihnen verbrachte; den Gemeinschaftsraum nicht mit ihnen nutzte, um vielleicht ein wenig gemeinsam zu lernen. In Hogwarts kam er sich verloren vor und er wollte die Schule am liebsten aufgeben. Sicherlich könnte er Dumbledore dazu überreden einzuleiten, dass das Ministerium ihn prüfen sollte. Er würde seine UTZe auf jeden Fall bestehen, davon war er fest überzeugt. Was er nicht mehr lange überstehen würde, waren Shaun und dessen Freunde. Irgendwann würde er es denen heimzahlen. Irgendwann würde er es allen heimzahlen, die ihn hier so schlecht behandelten. Mit Goyle und Crabbe an seiner Seite würden die nicht mehr so frech sein, dachte Draco und plötzlich stutzte er, denn er verglich Situationen aus seiner Schulzeit und kam zu der erschreckenden Erkenntnis, dass er jetzt die damalige Rolle von Harry eingenommen hatte, während Shaun und seine Freunde ihn selbst und die beiden Dummköpfe verkörperten, die ihm immer auf Schritt und Tritt gefolgt waren. Und Harry, anstatt sich deswegen ins Fäustchen zu lachen, verteidigte ihn auch noch. Es schien ihm fast so, als wäre Harry sein Freund und zwar sein einziger. Vielleicht, überlegte Draco, könnte er morgen zu Halloween allen einen bösen Streich spielen.

Während es nach dem Abendessen langsam ruhiger wurde, weil die Schüler sich wegen der Kälte, die Ende Oktober bereits herrschte, ins Innere des Schlosses verzogen, marschierten zwei Gestalten mit wehenden Umhängen hinauf zum Astronomieturm. Es war noch nicht stockdunkel, aber jeden Moment müsste die Sonne vollends untergegangen sein. Severus und Hermine trugen je ein kleines Fläschchen mit dreißig Milliliter „Adlerauge“ bei sich, welches sie oben angelangt zu sich nehmen wollten. Hermine hatte sich extra einen dicken Pullover angezogen, denn es war äußerst windig. Einzig ihre Haare konnte sie nicht zähmen und manchmal flogen sie, als sie beide nebeneinander an der Brüstung standen, Severus ins Gesicht, doch er beschwerte sich nicht darüber.

Er betrachtete ihr Gesicht und fragte im Anschluss vorgetäuscht gleichgültig: „Stürzen wir es einfach hinunter oder möchten Sie einen Trinkspruch ausbringen?“
Sie lachte, doch dann sagte sie ehrlich: „Einen Trinkspruch! Ich würde sagen, auf unsere Zusammenarbeit. Wir lagen immerhin fünf Minuten unter der angegebenen Zeit für die Zubereitung!“ Er lächelte schief und sie wollte den anderen Mundwinkel auch noch dazu animieren, sich nach oben zu ziehen, so dass sie offenherzig sagte: „Ich finde das sehr nett von Ihnen, dass Sie extra Dracheneier besorgt haben. Die Arbeit heute hat mir richtig Spaß gemacht und noch viel bedeutender ist, dass wir so ein gutes Team…“ Sie hatte den Rest ihrer Ansprache völlig vergessen, denn sie starrte fasziniert auf seinen Mund. Sie hatte es tatsächlich geschafft, ihn zum Lächeln zu bringen.
„Nun, da Sie offensichtlich nichts weiter zu sagen haben.“ Er nahm sein Fläschchen, entkorkte es und wartete darauf, dass sie das Gleiche tun würde.
„Na dann, auf Ihr Wohl“, sagte Hermine gut gelaunt, bevor beide ansetzten und ihre Fläschchen leer tranken.

Sie lächelte ihm noch ein einziges Mal zu, bevor sie ihre Augen auf die mittlerweile dunkle Landschaft richtete. Der Trank sollte mindestens eine halbe Stunde anhalten und er wirkte bereits innerhalb von wenigen Minuten, was Hermine genau wahrnehmen konnte. Sie wollte sich alles merken, um sich später darüber Notizen zu machen. Dann, endlich, war es soweit.

„Oh mein Gott!“, sagte Hermine begeistert.
„Ich nehme an, Sie haben auch eben den lautlosen Schwarm Fledermäuse vorbeiziehen sehen?“, fragte er amüsiert.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich alles so scharf… Ich meine, es ist jetzt stockdunkel und ich sehe trotzdem alles so klar und nahe.“
Er unterbrach ihr aufgeregtes Geplapper und sagte: „Sehen Sie mal hinüber zu Hagrids Hütte und lassen Sie Ihre Augen darauf ruhen.“

Hermine tat, wie ihr geheißen und ganz plötzlich schienen ihre Pupillen das Bild heranzuholen, so dass sie klar und deutlich Hagrid mit Fang vor der Hütte zusammen spielen sehen konnte.

„Das ist ja unglaublich! Der Trank ist einfach toll“, sagte sie überwältigt.
„Er dient nicht der Unterhaltung, Hermine, sondern…“
„Ja ja, ich weiß“, unterbrach sie, ohne ihre Augen von Hagrid abzuwenden. „Die Wachposten auf der chinesischen Mauer haben den Trank vor ihrer Schicht eingenommen, damit sie nomadische Reitervölker aus dem Norden frühzeitig aufspüren konnten. Das ist trotzdem unglaublich!“ Sie hörte ihn schnaufen, doch es war ein Geräusch, welches sie seiner Belustigung zuordnen konnte.

Sie richtete ihren Blick nach oben und ließ ihre Augen auf dem Mond ruhen und nach nur wenigen Sekunden brach die Begeisterung erneut aus ihr hervor.

„Sehen Sie mal zum Mond, schnell!“
„Wieso ’schnell’, will er fliehen?“, veralberte er sie auf nette Weise.

Sie stieß ihn leicht mit dem Ellenbogen an, doch er reagierte nicht darauf, sondern blickte einfach hinauf. Nur kurz erspähte er den Orion-Gürtel, doch er verkniff es sich, die Namen der Gürtelsterne zu nennen und schaute gleich darauf zum Mond.

Hermine sagte, was er mit eigenen Augen sehen konnte: „Man kann jeden einzelnen Krater erkennen! Und dort, da ist das ’Meer der Ruhe’, sehen Sie?“
„’Mare Tranquillitatis’, ich sehe es“, bestätigte er.

Sie konnte ihren Blick gar nicht mehr vom Mond abwenden, obwohl es in der Gegend sicherlich noch viel mehr Dinge zu sehen gab; Dinge, die in erreichbarer Nähe lagen, doch der Mond übte eine unerklärliche Anziehungskraft auf sie aus.

„Ich hätte damals zu gern die Mondlandung im Fernsehen mitverfolgt“, sagte sie mit Wehmut in der Stimme.
Hier stutze Severus, bevor er stolz behauptete: „Ich habe sie gesehen!“

Erst jetzt konnte sie ihre Augen vom Mond losreißen und als ihr Blick auf Severus fiel, erstarrte sie vor Schreck, während er weiterhin seelenruhig in den Nachthimmel schaute. Er erzählte, wie er mit acht Jahren zusammen mit Vater und Mutter vor dem Fernseher gesessen hatte, um den Flug von Apollo 11 zu beobachten, doch das alles interessierte sie nicht mehr, denn was sie vor sich sah, ließ ihr einen kalten Schauer den Rücken hinunterlaufen.

Da Hermine sich seit etlichen Minuten gar nicht mehr geäußert hatte, blickte er sie an und seine Augen benötigten nur wenige Sekunden, um nicht nur sie zu erkennen, sondern auch die Farben ihrer Magie, doch ihr Gesicht war von ihnen nicht verdeckt und deshalb offenbarte sich ihm das Entsetzen in ihren Augen. Ein Schauer durchfuhr ihn, als ihm schlagartig bewusst geworden war, dass sie seine Farben ebenfalls sehen können musste. Beide schauten sich noch einen Moment in die vor Furcht weit aufgerissenen Augen, bis er das letzte bisschen Fähigkeit klaren Denkens zusammengekratzt hatte und den Astronomieturm in einer Schnelligkeit verließ, die jeden Feuerblitz in den Schatten stellen würde.
Zuletzt geändert von Muggelchen am 25.01.2011 22:55, insgesamt 1-mal geändert.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
~ Muggelchen.net ~

Benutzeravatar
Muggelchen
EuleEule
Beiträge: 345
Registriert: 07.06.2008 22:29
Wohnort: Gemälde im 1. Stock

Beitrag von Muggelchen »

106 Trick or Treat




So schnell wie Severus den Astronomieturm verlassen hatte, konnte Hermine ihn gar nicht aufhalten. Sie konnte ihm nicht einmal hinterherrufen, denn ihre Kehle war wie zugeschnürt. Das, was sie so lange schon mit Hilfe ihres Farbtrankes bei Severus sehen wollte, hatte sie gerade eben mit Hilfe des „Adlerauges“ erblicken können und was sie gesehen hatte, hatte sie tief in ihrem Herzen berührt.

Es war nur eine einzige Farbe gewesen, die sie an ihm hatte wahrnehmen können. Über diese Farbe war sie schon bei ihren Recherchen mehrmals gestoßen. In den Büchern stand geschrieben, dass jede einzelne Farbe, die es gab, eine mögliche Schattenseite besitzen würde und würde auch nur der Hauch jener Schattenfarbe, von der Severus vollständig eingenommen war, in einer der anderen Farben auftauchen, dann würden sich die guten Eigenschaften sofort ins Negative umkehren. Rons Rot, das für Energie und Aktivität stand, würde mit dieser einen Farbe vermischt auf Krankheiten hindeuten oder Hermines Gelb nicht mehr auf Fleiß und Ordnung, sondern auf Wankelmut. Das bei ihr neuerdings hinzugekommene Blau würde mit diesem Schatten vereinigt nicht mehr Hingabe, Weiblichkeit und Heilung bedeuten, sondern schlichtweg Lebensverneinung.

Diese eine Farbe war durchweg eine schlechte, weil sie alle anderen mit Nachteilen belegen konnte, doch Severus war von ihr vollends umgeben. Es war nichts, absolut nichts anderes zu sehen. Kein Gelb, kein Lila, nichts. Severus besaß keine Farbe, denn er war voll und ganz in Grau gehüllt.

Mit Herzklopfen schritt Hermine die Stufen des Astronomieturms hinunter und überlegte, was sie jetzt tun konnte. Sie fragte sich, ob sie ihn sofort aufsuchen oder das heute Erlebte lieber morgen ansprechen sollte – womöglich sogar überhaupt gar nicht. Sich in ihn hineinversetzend machte sie sich Gedanken darüber, was ihm wohl lieber wäre. Er würde es sicher bevorzugen, ihr die Erinnerung daran nehmen zu dürfen, doch so leicht wollte sie es ihm nicht machen. Sie hätte es begrüßt, wenn er einfach einmal zugestimmt hätte, ihren Trank zu nehmen; im beidseitigen Einverständnis, denn dann hätte es weder ihr noch ihm so einen Schrecken eingejagt, unerwartet mit dieser Tatsache konfrontiert zu werden. Sie vermutete jedoch, dass er viel mehr damit zu kämpfen hatte, dass sie jetzt dieses eine Geheimnis von ihm kannte, denn das war ein Punkt, der sie in ihrer Recherche über ihn antreiben würde. Severus, der Graue…

Während sie langsam und leise, denn die meisten Gemälde schliefen bereits fest, die Treppen vom siebten Stock hinunterging, rief sie sich ins Gedächtnis zurück, was die Farbe Grau bedeuten würde, wenn sie für sich alleine stehen würde; wie bei Severus. Sie war sich nicht sicher, ob sie um diese Uhrzeit noch in die Bibliothek gehen konnte, um wegen der Bedeutung erst nachzuschlagen, bevor sie Severus unter die Augen treten würde.

Im vierten Stock angelangt betrat sie die Bibliothek und wurde seltsamerweise von niemandem gestört. Madam Pince rechnete wohl nicht damit, dass sich zur Ruhezeit ein Schüler hierher verlaufen würde oder es lag daran, dass die Bücher durch Zauber geschützt waren, so dass sie weder zerstört noch gestohlen werden konnten. Hermine machte sich etwas Licht in dem riesigen Raum, bevor sie zielstrebig ein ihr sehr vertrautes Buch aus dem Regal nahm.

Sie schlug bei „G“ nach und fand weit unten die gesuchte Farbe, so dass sie leise und mit zittriger Stimme die Bedeutung von Severus’ magischer Farbe vor sich hermurmelte: „Die Farbe ’Grau’ weist auf ein verblasstes Innenleben hin. Sehr dunkle Grautöne deuten auf einen starken Mangel oder das Fehlen von Empfindsamkeit und sind häufig ein Hinweis auf eine verirrte oder vollends verlorene Seele.“

Sie hielt sich eine Hand vor den Mund und versuchte, das Gefühl von Mitleid zu verbannen, welches sich in ihr ausbreiten wollte, denn das wäre sicherlich das Letzte, was er wollte: bemitleidet zu werden. Nur er allein – vielleicht auch Albus – wusste, was damals vor zwanzig Jahren mit ihm geschehen war und er hatte geahnt, wie sich das, was ihm widerfahren war, in seinen Magiefarben niederschlagen könnte; deshalb hatte er sich stets gesträubt, sich ihr zu offenbaren. Sie war sich unsicher, ob die Farbe wirklich das bedeutete, was sie im Buch gelesen hatte. Bisher hatte sie noch nicht herausfinden können, ob ein Dementor tatsächlich nur den Teil einer Seele vernichten könnte, denn das würde seine Farbe eventuell erklären.

Hermine bekam einen glasigen Blick, als sie sich in ihre Gedanken vertiefte und angestrengt nachdachte. Ollivander drängte sich während ihrer Überlegungen in den Vordergrund und dessen Aussage, dass Severus Farbe bekommen müsste, um einen neuen Zauberstab erhalten zu können. Wenn Severus’ magische Farbe jetzt jedoch Grau war, fragte sich Hermine selbst, warum hatte Ollivander ihm einen neuen Stab verkaufen können? Wie vom Blitz getroffen hatte sie die Antwort darauf parat: es waren Severus’ Augen, die bereits Farbe bekommen hatten! Ollivander musste das erkannt haben und zwar gleich, nachdem Hermine seinen Laden betreten und mit Severus geredet hatte. Hier stellte sich ihr eine neue Frage, denn wenn sich seine Augenfarbe verändert hatte, warum nicht auch die seiner Magie?

Seine Augen waren in ihrer und Harrys Nähe seit geraumer Zeit immer braun gewesen und nicht nachtschwarz. Die Augenfarbe musste daher unabhängig von der Magiefarbe gedeutet werden. Hermine machte sich eine gedankliche Notiz, unbedingt den Wälzer „Die Seelen der Farben“ zu Ende zu lesen, welches sie zum Glück noch nicht wieder zurückgegeben hatte.

Sie stellte das Buch zurück ins Regal und machte sich auf den Weg in die Kerker und währenddessen war sie hin und her gerissen, denn sie wollte einerseits Severus sofort aufsuchen und ihm sagen, dass er sich keine Gedanken machen sollte, denn sie würde ihn deswegen nicht mit anderen Augen sehen. Andererseits könnte er jetzt so gereizt sein, dass jeder Versuch, mit ihm zu reden, für sie sehr gefährlich enden könnte.

’Ausnahmezustand’, dachte Hermine. Nach seiner Reaktion war ihr klar, dass er momentan wieder eine seiner unerklärlichen Gefühlsausbrüche haben musste, doch konnte sie nicht einmal erahnen, ob er zornig oder depressiv sein würde. Sollte letzteres zutreffen, dann musste sie unbedingt mit ihm reden, aber die Furcht davor, ihm ins Messer zu laufen, sollte er doch einen Wutanfall haben, machte ihr die Entscheidung sehr schwer. Es kam selten in ihrem Leben vor, doch jetzt war sie ratlos und das gefielt ihr nicht.

Unbewusst war sie an ihren Räumen vorbei zu denen von Severus gegangen und sie dachte sich, wenn ihr Bauchgefühl sie schon hierher treiben würde, dann wäre es besser, bei Severus nach dem Rechten zu sehen. Gerade als sie ihre Entscheidung gefällt hatte, sagte Salazar Slytherin mit arrogant gekräuselter Nase: „Sie haben keinen Zugang mehr!“
Sie nickte entkräftet und sagte sehr ruhig: „Das dachte ich mir, aber so oder so werde ich durch diese Tür gehen!“
Hermine zog ihren Zauberstab, doch bevor sie irgendetwas tun konnte, blaffte Salazar sie an: „WAS haben Sie vor?“
Sie hob gelassen beide Augenbrauen und erklärte: „Ich wollte schon immer mal sehen, wie ein ’Bombarda’ aussieht, dem ich ein ’Maxima’ anfüge.“
Ihr rechter Arm hob sich leicht, woraufhin Salazar sofort alarmiert keifte: „Das wagen Sie nicht!“

Sie hatte nun zwei Möglichkeiten. Entweder ließ sie sich auf ein Gespräch mit dem Gemälde ein, was sie nicht wollte – nicht einmal mit der verbalen Bejahung ihres Vorhabens – oder sie setzte ihre Drohung kurzerhand in die Tat um. Sie entschloss sich dafür, sich nicht mit einem Slytherin zu streiten, besonders nicht mit DEM Slytherin, denn der würde sie wahrscheinlich mit seinen Argumenten mundtot machen können. Sie wollte es drauf ankommen lassen. Mit ihrem besten Pokergesicht führte sie die erste Handbewegung aus, doch bevor sie den Mund öffnen konnte, um die ersten Worte des Zauberspruchs zu sagen, gebot Salazar ihr Einhalt, denn er öffnete wortlos die Tür zu Severus’ Räumen, weil er ihre Ernsthaftigkeit erkannt haben musste.

Ihr Herz schlug ihr bis in den Hals hinauf, als sie vorsichtig die Tür zum dunklen Wohnzimmer öffnete und ganz plötzlich erschrak sie, denn der Hund hatte die Schnauze durch den Spalt gesteckt und schnupperte aufgeregt. Sie tätschelte Harry, bevor sie eintrat und die Tür hinter sich schloss. Hier drinnen war es stockfinster, doch erst in dieser alles einnehmenden Dunkelheit bemerkte sie, dass sie ihre eigenen Farben sehr verblasst wahrnehmen konnte: Gelb, Orange, Braun und Blau. Sie betrachtete ihre Arme und die Farben waberten um sie herum als wären sie Sirup in der Schwerelosigkeit. Der „Adlerauge“-Trank hatte den Vorteil zum Vorschein gebracht, die eigenen Farben sehen zu können, wenn auch nur sehr geringfügig, während ihr eigener Farbtrank die Farben nur für andere sichtbar machen konnte. Wieder machte sie eine gedankliche Notiz, denn sie wollte diese Möglichkeit in ihrem eigenen Trank verwirklichen. Die Leuchtkraft der Farben war nicht sehr groß, doch der Boden, auf dem sie stand, war durch sie ein wenig erhellt. Auch Severus’ Hund, der neben ihr Sitz gemacht hatte, war ein schemenhaft zu erkennen; zumindest dessen Pfoten neben ihrem Fuß.

’Vielleicht’, dachte sie, ’stand das nicht in den Nebenwirkungen mit bei, weil dieser Trank überwiegend am Tage verwendet worden war und man die blassen Farben der Magie deshalb nie sehen konnte? Vielleicht ist es aber auch nur nie jemandem aufgefallen…’

Ihr eigener Magietrank brachte die Farben viel kräftiger hervor. Sie bemerkte darüber hinaus, dass der „Adlerauge“-Trank offensichtlich nur für eine verschärfte Sehkraft sorgen konnte, wenn zumindest eine natürliche Lichtquelle vorhanden war. Draußen hatte das Licht gereicht, welches der Mond zurückgeworfen hatte, doch hier in Severus’ Wohnzimmer konnte sie gar nichts sehen, obwohl der Trank mindestens noch zehn Minuten wirken müsste. Vorsichtig ging sie ein paar Schritte, bis sie mit den Knien an die Couch stieß. Gerade als sie ihren Zauberstab hob, um mit einem Lumos den Raum zu erhellen und derweil einen Schritt weiterging, da stieß sie an etwas und erschrak so fürchterlich, dass sie rückwärts auf ihr Gesäß fiel.

Noch während sie auf dem Boden saß sagte sie aufgeregt: „Lumos!“

Der Schein von der Spitze ihres Stabes machte das bleiche Gesicht ihres Professors sichtbar, der unbeweglich auf der Couch saß und sie anblickte, als wollte er ihr jeden Moment den Hals umdrehen. Sie konnte außer seinem hellen Gesicht, auf welchem noch immer ein grauer Schleier lag, nichts anderes erkennen, denn seine Haare und seine Kleidung wurden von der hier herrschenden Dunkelheit vollkommen verschlungen. Sie bekam Angst, weil er sich nicht rührte und nichts sagte, sondern nur auf der Couch saß und sie bösartig anstarrte.

Mit all ihrem Mut führte sie ihren erhellten Zauberstab näher an ihn heran, doch da griff er plötzlich zu und entriss ihn ihr; gleich darauf wurde es wieder stockdunkel. Panik wollte in ihr aufkommen, doch da sagte er plötzlich durch die Zähne zischend: „Ich will kein Licht!“

Heftig atmend blieb Hermine eine Weile in der Dunkelheit in dem Wissen auf dem Boden sitzen, dass Severus nur wenige Zentimeter vor ihr auf der Couch saß. Der Hund war zu ihr gekommen und stupste sie mit der kalten Schnauze an, was Hermine ein wenig die Furcht nahm. Sie riss sich zusammen und stand auf, damit sie neben Severus Platz nehmen konnte, doch etwas zu sagen traute sie sich nicht.

Nach zehn Minuten, die ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen waren, fragte sie kleinlaut: „Warum wollen Sie kein Licht?“
Sie hörte ihn tief durchatmen, bevor er resignierend und mit gebrochener Stimme antwortete: „Ich kann es sehen.“ Nach einer ganzen Weile sagte er ergriffen und sehr wehmütig zu ihr: „Sie leuchten im Dunkeln, Hermine.“ Sie biss sie auf die Zunge, um nicht zu weinen und es half.

Ein paar Räume weiter lag Draco angekleidet und schlafend auf dem Bett, denn vorhin hatte ihn die Müdigkeit einfach übermannt. Er träumte schlecht, genau wie früher, als er mit Severus auf der Flucht gewesen war. Damals war er fast jeden Morgen mit Tränen in den Augen aufgewacht und so auch dieses Mal, nur dass er zusätzlich auch sehr heftig atmete und seine Hände zitterten. Sein Traum hatte von Todessern gehandelt, die ihn umzingelt hatten. Jemand aus der Runde hatte gesagt, er, Draco, wäre einer von ihnen, doch er hatte sich gegen diese Behauptung aufgelehnt. Aufgewacht war er mit dem in der Ohrmuschel nachhallenden Wort „Crucio“.

Im Badezimmer wusch sich Draco das Gesicht mit eiskaltem Wasser und derweil kam er zu der Erkenntnis, dass sein Albdrücken ein Resultat von Shauns ständigen Angriffen sein musste. Shaun war der Einzige, der ihn immer wieder einen Todesser schimpfte. Die anderen nahmen das Wort nie in den Mund, wie sie auch niemals „Voldemort“ laut aussprechen würden, doch wenn Shaun ihn einen Todesser nannte, dann stimmten die anderen nickend zu.

Gestern, bevor Hermine hinzugestoßen war, wollten die drei Gryffindors ihn zwingen, seinen linken Unterarm zu zeigen, wogegen er sich natürlich gewehrt hatte, denn er war ja kein Anschauungsobjekt für Studenten. Wenn Draco von sich auf Shaun schließen würde, dann würde er behaupten, sein Mitschüler wäre feige; hätte Angst. Eine andere Erklärung, warum ihm ständig die beiden Leibgarden folgten, hatte Draco nicht. Er hatte es früher nicht anders gemacht, denn auch er hatte darauf geachtet, nur selten allein aufzutreten. Shaun würde er daher nicht allein über den Weg laufen können, um die Sache ein für allemal unter vier Augen zu klären und daher musste er ihm auf andere Weise einen Denkzettel verpassen; er wusste jetzt auch, wie er das anstellen könnte.

Da es noch sehr früh in der Nacht war, kurz nach ein Uhr, entkleidete sich Draco und während er im Bett auf erholsamen Schlaf wartete, feilte er Pläne für seine Rache an Shaun und all den Schülern, die in ihm noch immer einen Todesser sehen wollten. Als Draco endlich die Augen schließen konnte, herrschte absolute Finsternis.

Finsternis herrschte auch noch in Severus’ Wohnzimmer und darüber hinaus Totenstille. Nur selten konnte sie ihn ruhig atmen hören. Während sie so still neben ihm saß, überlegte sie, wie sie die Situation wieder normalisieren könnte. Sollte sie über seinen dunklen Grauton reden, würde alles sicherlich nur noch schlimmer werden, also riss sie sich zusammen und sagte: „Wissen Sie was? Ich werde versuchen, die Eigenschaft vom ’Adlerauge’ auf meinen Farbtrank zu übertragen. Ich meine, dass dann derjenige, der den Trank genommen hat, auch seine eigenen Magiefarben sehen kann. Es wäre schön, wenn Sie mir dabei helfen würden.“ Er äußerte sich nicht, so dass sie laut nachdachte: „Die Zutaten waren ähnlich, aber ich glaube, es hat weniger mit den Zutaten zu tun. Wäre es möglich, dass eine bestimmte Rührreihenfolge oder Temperaturschwankung während des Brauens diesen Effekt hervorrufen konnte?“ Sie klang sehr interessiert und das war sie auch.
Endlich hatte sie ihn dazu gebracht, etwas zu sagen und er bestätigte, wenn auch etwas entkräftet klingend: „Das ist durchaus möglich, aber das müsste man natürlich testen.“
„Ja, das müssen wir wohl. Ich hoffe nur, es war keine Nebenwirkung, die man nicht reproduzieren kann“, sagte sie.
„Nebenwirkungen sind in der Regel reproduzierbar“, erklärte er und seine Stimme klang schon ein weniger gefestigter.
Sie seufzte kurz, bevor sie sagte: „Ich weiß ja nicht, wie spät es schon ist, aber ich werde langsam mal schlafen gehen.“ Nachdem sie aufgestanden war, drehte sie sich um, obwohl sie nichts sehen konnte, und wünschte: „Gute Nacht, Severus. Bis morgen.“
„Gute Nacht, Hermine“

Am nächsten Morgen war die Stimmung der meisten Bewohner von Hogwarts ausgelassen und fröhlich, nur nicht bei Draco, Severus und Hermine. Harry und Ginny hingegen kuschelten sich noch im warmen Bett aneinander und redeten über ihre Kostüme, die sie zum Abend tragen wollten.

„Mir hat das mit dem Teufel gut gefallen“, sagte Ginny lächelnd, während sie ihm eine Strähne von der Stirn wischte.
Er ergriff die kleine Hand und küsste ihre Fingerspitzen, bevor er schelmisch grinsend sagte: „Dann muss ich ja wohl als Engel gehen, damit sich das wieder ausgleicht.“
Sie lachte, verneinte jedoch und sagte: „Zu Halloween muss die Verkleidung gruselig sein! Du kannst ja als Troll gehen.“
Er stutzte, bevor er keck fragte: „Was denn? Mache ich so einen grobschlächtigen Eindruck?“
Sie schüttelte den Kopf und küsste ihn. Gleich im Anschluss schlug sie vor: „Geh doch als Sabberhexe! Ich mach dir ’nen Buckel, schlohweiße Haare“, sie zwirbelte in seinem Schopf, „und schwarze Zähne. Ich bin sicher, Hermine würde dir ihren Kniesel leihen, der dann auf dem Buckel sitzen kann.“
„Der Teufel und die Sabberhexe?“ Er lachte auf, sagte jedoch, dass ihm die Idee gefallen würde.

Ginny stand auf, um Nicholas, den sie vor einer Stunde gestillt hatte, ins Bett zu holen und zwischen sich und Harry zu legen, so dass die drei noch gemeinsam kuscheln konnten, bevor sie sich fürs Frühstück fertigmachen würden.

Einen Stock tiefer wurde Hermine von Fellini geweckt, der unter die Bettdecke gekrochen war und ihre Wade mit seiner kühlen Nase anstupste. Kaum war sie wach, dachte sie sofort an das, was gestern Abend geschehen war und sie überlegte, wie sie sich Severus gegenüber verhalten sollte. Natürlich würde sie völlig normal mit ihm umgehen, wenn andere Personen anwesend wären. Sie fragte sich jedoch, wie sie reagieren sollte, wenn sie heute wieder allein mit ihm sein würde. Es lag ihr nicht besonders vorzugaukeln, es wäre nichts geschehen.

Noch während des Duschens grübelte sie darüber nach, ob sie Severus zum Frühstück in der großen Halle abholen sollte, denn sie ahnte, dass er sich ansonsten fernhalten würde und so machte sie sich sehr zeitig auf den Weg zu seinem Zimmer.

Salazar verzog wütend das Gesicht, als er sie sah, doch er öffnete wortlos die Tür. Drinnen saß Severus bewegungslos auf der Couch und es sah fast so aus, als hätte er die ganze Nacht über dort gesessen.

„Was tun Sie denn hier?“, fragte er, anstatt sie zu grüßen.
Sie überlegte schnell und sagte dann unschuldig: „Ich wollte mit dem Hund rausgehen.“ Innerlich klopfte sie sich auf die Schulter, denn Harry hatte ja neulich gesagt, er könnte nicht mehr regelmäßig mit Harry spazieren gehen, weil er sich um Ginny und Nicholas kümmern wollte.
Er nickte besänftigt und sagte dann: „Die Leine hängt neben der Tür.“

Kaum hatte Hermine die Leine in der Hand, hatte der Hund verstanden und sich ihr genähert, so dass sie ihn anleinen konnte.

„Möchten Sie vielleicht mitkommen?“, bot sie freundlich an, doch er verneinte, wie sie es geahnt hatte.

Für den Spaziergang nahm sie sich keine Zeit, aber immerhin so viel Zeit, dass Harry seine Geschäfte erledigen konnte. Eine Viertelstunde später stand sie erneut in Severus’ Wohnzimmer und er saß noch immer auf der Couch, als hätte er sich keinen Zentimeter bewegt.

„Kommen Sie, Severus, wir gehen frühstücken“, sagte sie mit milder Stimme. Nur für einen kurzen Moment rechnete sie mit einer boshaften Abfuhr, mit der er – nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen – durchaus gespielt hatte, doch dann nickte er unerwartet und stand auf, um sie zu begleiten.

Die Hauselfen hatten die große Halle bereits pompös geschmückt. Überall schwebten Girlanden mit verschiedensten Motiven und ausgehöhlte Kürbisse, deren Licht noch nicht entzündet war, denn dafür war es noch zu hell. Sie ließen jedoch jetzt schon erahnen, wie herrlich die Dekoration heute Abend aussehen würde.

Wortlos folgte Severus seiner Schülerin nach vorn zum Lehrertisch und währenddessen mussten sich die beiden an Schülern vorbeikämpfen, die in ausgelassener Stimmung hin und her schwirrten, um einen Freund zu necken oder eine Freundin zu erschrecken.

Ein Schüler rempelte versehentlich Severus an und der zischte sofort: „Fünf Punkte Abzug, weil Sie keine Augen im Kopf haben. Setzen Sie sich sofort hin und frühstücken Sie.“ Fies grinsend fügte er hinzu: „Sie werden Ihre Kräfte für die erste Stunde benötigen!“ Die erste Unterrichtsstunde für den Schüler war „Zaubertränke“. Völlig eingeschüchtert setzte sich der Fünftklässler auf seinen Platz, doch kaum einer hatte damit gerechnet, dass sich auch alle anderen Schüler sofort hinsetzten, so dass der Weg nach vorn nun geebnet war.

Kaum hatte Severus sich am Lehrertisch gesetzt, scherzte Albus: „Wie ich sehe, hast du die Schüler wie immer voll im Griff, Severus.“ Severus’ Kommentar bestand lediglich aus einem tiefen Brummgeräusch.

Während des Frühstücks kamen die Posteulen durchs Dach geflogen und Severus verdrehte genervt die Augen, als zig sprechende Halloween-Grußkarten den Schülern ihre Botschaften verkündeten. Zwischen Severus und Hermine landete plötzlich eine Eule und Hermine dachte, die wäre für sie, so dass die den Brief von dem kleinen Vogelbein löste und der Eule ein Stück Speck als Belohnung gab. Sie stutzte jedoch wegen der Adresse und hielt Severus den Brief entgegen, während sie sagte: „Ist doch für Sie.“ Hermine hatte am Absender gesehen, dass der Brief von einer Linda Harrison stammte.
Severus hatte ihn entgegengenommen und kurz den Absender betrachtet, bevor er ihn ungeöffnet in seiner Innentasche verschwinden ließ, um wortlos mit seinem Frühstück fortzufahren.

Bevor er sich vom Lehrertisch entfernte, sagte er kühl: „Wegen der anstehenden festlichen Aktivitäten möchte ich auf heutige Projekte verzichten, Hermine.“
Sie zog beide Augenbrauen in die Höhe und fragte: „Aber wir gehen abends zusammen hin? Soll ich Sie abholen oder…“
Er sah nicht sehr glücklich aus, als er unterbrach und sagte: „Ich werde Sie abholen; gegen halb acht.“ Gleich darauf verschwand er, um seine Klasse vorzubereiten.

Harry, dem aufgefallen war, dass Severus heute ungewöhnlich ruhig gewesen war und gereizt schien, fragte leise über den leeren Stuhl hinweg, den sein Kollege hinterlassen hatte: „Hermine, was ist den mit Severus los?“

Sie schaute ihm in die Augen, doch anstatt ihm, wie üblich, alles zu erzählen, zuckte sie nur mit den Schultern.

Draco frühstückte nicht in der großen Halle, sondern mit seiner Mutter in den privaten Räumen. Würde sie heute auch am Fest teilnehmen, würde er auf seinen Racheakt an Shaun verzichten und so fragte er geradeheraus: „Mutter? Wirst du heute Abend auch in die große Halle zum Fest kommen?“
Sie lächelte glücklich, wie schon lange nicht mehr und erzählte fröhlich: „Nein, Andromeda hat mich für heute Abend eingeladen.“
Er erwiderte ihre freundliche Mimik und sagte ehrlich: „Das ist schön!“ Er freute sich für seine Mutter. ’Das ist schön!’, wiederholte er in Gedanken, denn dann würde ihn heute Abend nichts davon abhalten, seinen Plan umzusetzen.

Für Hermine verging der heutige Tag viel zu schnell und sie wünschte sich, mehr Zeit zu haben, um in dem Buch „Die Seelen der Farben“ lesen zu können. Sie wollte irgendetwas finden, womit sie sich die Veränderung von Severus’ Augenfarbe erklären könnte, doch um kurz nach sieben hatte sie noch immer nichts entdecken können. Um eine Verkleidung hatte sie sich nicht gekümmert, denn auch wenn sie Kostüme liebte, so hatte ihr der gestrige Abend jede Motivation genommen, eine andere Gestalt annehmen zu wollen.

Pünktlich um kurz vor halb acht klopfte es an ihre Tür und als sie öffnete, stand Severus vor ihr. Er blickte sie von oben bis unten an und fragte entgeistert: „Und als was haben Sie sich verkleidet?“
Wie aus der Pistole geschossen erwiderte sie: „Als Meisterschülerin. Gehen wir?“

Wie erwartet war die Dekoration der großen Halle am Abend atemberaubend schön und gleichzeitig auch gruselig. Die Fratzen der Kürbisse grinsten auf die Gäste herab und die Tische waren gefüllt mit den leckersten Süßspeisen. Gleich nach dem Abendessen, bei dem Severus sich mehrmals murmelnd beschwert hatte, dass es so viele Süßigkeiten und wenig Nahrhaftes geben würde, wurden die großen Tische an die Seite verfrachtet, damit genügend Platz für die Spiele vorhanden sein würde, die sich die Lehrer besonders für die jüngeren Schüler ausgedacht hatten. Severus seufzte und schüttelte genervt den Kopf.

Das erste Mal, als Severus nach draußen gegangen war, um nach dem Rechten zu sehen, war Hermine in der großen Halle geblieben, doch ab dem zweiten Mal hatte sie ihn begleitete. Während sie zusammen die Gänge entlangschlenderten, sprachen sie ein wenig miteinander, doch kein einziges Mal über seine Farbe oder den gestrigen Abend an sich.

Sie hatten in einem Gang gerade eine Abzweigung zu einem anderen Gang passiert, da blieb Severus stehen und bedeutete Hermine mit einem Finger über seinen Lippen, still zu sein. Nach weniger als einer Minute ging Severus zurück und bog in den Gang ein, an dem sie eben vorbeigegangen waren.

Hermine war nicht um die Ecke gegangen, hörte Severus jedoch mit schmieriger Stimme sagen: „Miss Spencer, Mr. McCormack! Leeren Sie Ihre Taschen.“ Hermine hatte nun auch den Gang erreicht, blieb dort aber an der Abzweigung stehen, um die drei zu beobachten. Mr. McCormack, ein Ravenclaw aus der fünften Klasse, zog eine Flasche mit bräunlichem Inhalt aus seinem Kostüm und hielt sie verschüchtert Severus entgegen, der blitzschnell zugriff und sofort das Etikett betrachtete, bevor er sagte: „Jeweils zehn Punkte Abzug für Sie beide; für das Mitführen eines alkoholischen Getränks. Wer hat die Flasche besorgt?“
„Ich, Sir“, antwortete Mr. McCormack mit leiser Stimme. Dem Jungen war anzusehen, dass er mit dem Schlimmsten rechnete.
„Mr. McCormack, für Sie weitere zehn Punkte Abzug für den Erwerb dieser Plörre, die höchstens zum Desinfizieren einer Toilette zu gebrauchen ist! Verschwinden Sie, alle beide“, zischte Severus tadelnd und die Schüler gingen so schnell wie möglich zur großen Halle zurück.

Mit einem Wink seines Zauberstabes ließ Severus die Flasche verschwinden, woraufhin Hermine fragte: „Wo kommen die Flaschen hin, die Sie konfiszieren?“
Amüsiert zog er einen Mundwinkel nach oben, bevor er sie darüber aufklärte: „Die landen in den Kerkern in einem Raum, in welchem Filch seine Putzmittel aufbewahrt.“ Sie zog beide Augenbrauen in die Höhe, so dass er anfügte: „Dieses Zeug ist zum Desinfizieren wirklich äußerst gut geeignet.“

Sie setzten beide ihren Weg fort und er erzählte aus heiterem Himmel: „Wissen Sie, Hermine, wenn alle Schüler, die selbst eine Flasche erwerben, um ihn in die Früchtebowle zu kippen, nur ein einziges Mal mit ihren gesammelten Galleonen einen wirklich guten Feuerwhiskey kaufen würden, dann könnte es eventuell sein, dass ich sogar ein Auge zudrücken würde.“ Hermine musste grinsen.

Als um elf Uhr die Schüler der ersten bis vierten Klassen das Fest nach einem fröhlichen Spiel verlassen mussten, wurde etwas Musik aufgelegt, so dass die älteren Schüler das Tanzbein schwingen konnten. Hermine musste lachen, als ihr Blick auf ein tanzenden Pärchen gefallen war – eine bucklige Sabberhexe, die haargenau so aussah wie die alte Vettel, die ihr das Appartement hatte andrehen wollen und ein kleiner Teufel mit Hörner aus rotem Haar gedreht.

Einige der Schüler oder Lehrer konnte sie unter der Kostümierung gar nicht erkennen. Nur an der Körpergröße ahnte sie, dass unter dem Bergtroll-Kostüm Hagrid stecken musste. Minerva, die ein waches Auge über die Gesellschaft hatte, stand mit dem Rücken zur Wand und beobachtete mit strenger Miene das Treiben der Schüler und Lehrer mit besonderem Augenmerk auf die Früchtebowle, damit diese nicht von den Schülern „verfeinert“ werden würde.

Nachdem Severus und Hermine gerade von draußen wieder hereingekommen waren und beiden aufgefallen war, dass man das Licht gedämpft hatte, damit die Stimmung gruseliger werden würde, wurde die große Flügeltür hinter ihnen laut krachend aufgeworfen. Einige Schüler, die wegen des Lärms ihre Augen ebenfalls auf die Tür gerichtet hatten, begannen zu schreien und das Gekreische hatte im Nu alle Jungen und Mädchen angesteckt. Die Jugendlichen räumten in Windeseile die Tanzfläche; einige von ihnen verkrochen sich unter den Tischen oder drückten sich verängstigt an die Wand, denn im Türrahmen stand eine Figur mit schwarzer Kutte und hellgrauer Maske.

Ein Todesser.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
~ Muggelchen.net ~

Benutzeravatar
Muggelchen
EuleEule
Beiträge: 345
Registriert: 07.06.2008 22:29
Wohnort: Gemälde im 1. Stock

Beitrag von Muggelchen »

107 Maskerade




Harry und Ginny, die zusammen noch als Einzige mitten auf der Tanzfläche standen, zogen zeitgleich ihren Zauberstab und richtete ihn auf den Todesser, doch Albus, der sich ihnen genähert hatte, gebot ihnen mit einer fast unmerklichen Geste seiner Hand Einhalt, so dass sie ihre Stäbe wieder senkten. Die anwesenden Lehrer versuchten, die Panik der Schüler einzudämmen, so dass mittlerweile zumindest das Geschrei aufgehört hatte. Wie verängstigte Kaninchen hatten sich kleine Gruppen von Schülern zusammengekauert. Die meisten umarmten entweder sich selbst oder ihren Nächsten; völlig egal, wer das war oder aus welchem Haus er stammte. Die Lehrer, ob kostümiert oder nicht, hatten sich in einigem Abstand zwischen die Jugendlichen und dem Eindringling gestellt. Jeder Kollege hielt seinen Zauberstab in der Hand, selbst Hermine, die nur wenige Schritte vom Geschehen entfernt stand, doch keiner hatte ihn gegen die schwarze Gestalt gerichtet, denn Albus hatte seinen nicht einmal gezogen, was jedem verinnerlichte, dass keine Gefahr von der Person auszugehen schien.

In ihrem Leben hatte Hermine schon mehrmals einem Todesser gegenüberstehen müssen und sie erkannte, dass die Maske zwar ähnlich aussah, aber nicht echt zu sein schien, weswegen auch sie recht schnell ihren Stab wieder gesenkt hatte, doch trotzdem blieb sie auf der Hut. Es beschlich sie das Gefühl, dass sich hier jemand einen richtig üblen Scherz erlaubte.

Minerva kümmerte sich um einen Schüler, einem der Freunde von Shaun Smith, der ohnmächtig zu Boden gegangen war. Shaun selbst hatte so eine Angst vor der Gestalt bekommen, dass sämtliche Muskeln seines Körpers die Zusammenarbeit verweigerten und er sich deswegen, ohne es aufhalten zu können, die Hose einnässte.

Endlich hatte Severus sich endlich aus seiner kurzen Starre lösen können und er ging mit gezogenem Zauberstab auf die Figur zu, die nicht einen einzigen Millimeter zurückweichen wollte. An dem Arm, an welchem die Unheil verkündende Kutte hochgekrempelt war, konnte er nun deutlich das verblassende Mal des Dunklen Lords erkennen und da wusste Severus – auch wenn er es nicht verstehen konnte –, wer sich hinter der vermummten Gestalt verstecken musste.

Zornig steckte er noch im Gehen seinen Zauberstab wieder in die Innentasche und als er genau vor der schwarz gekleideten Gestalt stand, schlug er ihr mit der flachen Hand die Maske vom Gesicht und alle Schüler hielten angespannt die Luft an. Dracos Gesicht war zum Vorschein gekommen und er starrte Severus mit kaltem Blick durch seine graublauen Augen an.

Es ging ein Raunen durch die Menge, nachdem die Identität des „Todessers“ geklärt worden war. Alle Schüler starrten ihn mit vor Angst ganz weit aufgerissenen Augen an. Am meisten verschaffte es Draco Genugtuung, den feuchten Streifen – vom Schoß bis zum Ende des Hosenbeins langend – an Shaun ausmachen zu können, bevor er seinen Widersacher anblickte und ihm triumphierend ein einseitiges, überlegenes Lächeln zuwarf. Vor Scham schossen Shaun die Tränen in die Augen und er senkte seinen Blick, während Draco völlig gelassen mit beiden Händen seine Kapuze vom Kopf zog.

In normaler Lautstärke fragte Severus einschüchtern wollend: „Was soll das darstellen, Mr. Malfoy?“
Draco zuckte gelassen mit den Schultern und antwortete: „Das ist mein Halloween-Kostüm.“
„Das ist geschmacklos!“, wies Severus ihn aufgebracht zurecht, doch am liebsten hätte er ihn gepackt und ihm links und rechts eine Ohrfeige gegeben.
Die Augen vorwurfsvoll über seine Mitschüler schweifen lassend rechtfertigte sich Draco lautstark: „Ich bin nur als das gekommen, als das mich jeder hier sehen will.“
„Das wird noch ein Nachspiel haben“, zischte Severus böse und er packte Draco an der Schulter, um ihn aus der großen Halle zu führen, da schlug sein Patensohn einfach seinen Arm weg.
„Lass mich los!“, fauchte der Blonde, während er die Augen zusammenkniff.

Keiner von den beiden hatte bemerkt, dass Albus sich ihnen genähert hatte. Harry und Ginny hatten sich in der Zwischenzeit magisch ihrer Kostüme entledigt und sich zu Hermine gestellt, die das Szenario aus nächster Nähe beobachtete.

Severus schimpfte und sagte bedrohlich leise: „Ihr fehlender Respekt mir gegenüber, Mr. Malfoy, kostet sie 20 Punkte und durch Ihren Auftritt heute Abend ziehe ich Ihnen 150 Punkte ab!“ Der große Punkteverlust des Hauses Slytherin durch den eigenen Hauslehrer machte für alle Schüler deutlich, wie zornig er war.
Draco schnaufte erbost und seine Wut war nicht zu bremsen, so dass er die Stimme erhob. „Du kannst dir deine Punkte“, er drückte sich anders aus als erwartet, „in eine Körperöffnung deiner Wahl schieben!“

Jetzt langte es Severus, denn er stürzte sich auf Draco, ergriff ihn an der Ohrmuschel und zog den jetzt vor Schmerz winselnden Blonden durch die Flügeltür hinaus. Albus folgte sofort, um Severus wegen der groben Behandlung in die Schranken zu weisen, doch das musste er nicht, denn vor der Tür ließ Severus seinen Patensohn sofort wieder los.

„Komm mit!“, forderte Severus, doch Draco dachte gar nicht daran.
„Nein!“, schrie er, während er sich eine Hand über das nun errötete, schmerzende Ohr gelegt hatte.
„Du kommst sofort…“
Draco unterbrach ihn und schrie, so dass man es auch noch in der großen Halle hören konnte: „Ihr könnt mich alle mal kreuzweise!“
„Achten Sie auf Ihr Mundwerk und…“
„Du hast mir gar nichts zu sagen. Ich lasse mir von niemandem mehr etwas sagen!“, machte Draco ihm aus voller Kehle klar.

In der großen Halle herrschte absolute Stille, weil jeder den Worten lauschen wollte, die von draußen hereindrangen.

„Du bist hier Schüler!“, erinnerte Severus ihn mit leicht erhobener Stimme.
Draco lachte hysterisch auf und sagte: „Weißt du was? Ich schmeiß die Schule!“
„Oh, nein…“
„Ich langweile mich hier zu TODE! Niemand kann mir etwas beibringen, das ich nicht schon längst weiß“, keifte Draco seinen Patenonkel an. „Und besonders nicht dieser Idiot, der einen Stock nicht von einem Bowtruckle unterscheiden kann!“

In der großen Halle wurde Professor Svelte mit vielen Blicken bedacht, die ihn erröten ließen.

„Du willst einfach aufgeben?“, stichelte Severus und er hoffte, damit an Dracos Stolz appellieren zu können. „Was wirst du dann machen, wenn du keinen Abschluss hast? Auf der faulen Haut liegen?“
„Halt deinen Mund“, forderte Draco, doch Severus war nicht aufzuhalten.
„Du ziehst den Schwanz ein, Junge!“
„Nenn mich nicht…“
„Warum nicht? Du verhältst dich doch wie einer.“
Draco zeigte Severus seinen entblößten, linken Unterarm und schrie wütend mit feuchten Augen: „Seitdem ich das hier trage, bin ich kein JUNGE mehr!“

Albus, der als Einziger vor die Tür gegangen war, um im Notfall einschreiten zu können, ließ die beiden Männer ihre Differenzen austragen, denn er ahnte, dass dies längst überfällig war.

„ES WAR DEINE ENTSCHEIDUNG GEWESEN!“, stellte Severus wütend und mit nun vor Zorn ganz roten Wangen klar, denn er hatte den Vorwurf herausgehört, dass er seinen Patensohn davor nicht hatte bewahren können.
„Als hätte ich eine Wahl gehabt“, konterte Draco verächtlich schnaufend.

Wäre Severus darüber informiert gewesen, dass Draco das dunkle Mal entgegennehmen würde, dann hätte er dies zu verhindern gewusst, aber weder vom Dunklen Lord noch von Lucius selbst hatte er auch nur eine kleine Andeutung erhalten.

Nur unwesentlich beruhigte sich Severus und forderte nochmals: „Komm mit in mein Büro!“
„Nein, ich sagte doch, ich bin ab jetzt kein Schüler mehr.“ Er schüttelte aufgeregt seinen Kopf. „Herrgott, ich werde Vater! Ich gehöre hier nicht her“, erklärte Draco verzweifelt und mit bebenden Lippen. „Ich könnte hier weitermachen, wenn mir alles egal wäre; wenn Menschen mir nichts bedeuten würden und wenn ich mich nicht darum scheren würde, was andere von mir denken. Einen Platz hier könnte ich nur finden, wenn ich innerlich völlig erkaltet wäre“, sagte Draco. Etwas leiser fügte er nach einer kleinen Pause ein: „So wie du!“

Severus versteinerte vor Dracos Augen und man konnte ihn nicht einmal mehr atmen sehen. Die Hände an seinen Seiten waren zu Fäusten geballt, der bohrende Blick seines Patenonkels stach in Dracos Augen wie tausende heißer Nadeln. Die Röte hatte Severus’ Gesicht verlassen und es schien nun wie in Kreide gewälzt, so weiß war Severus vor Entsetzen, so etwas aus Dracos Mund hören zu müssen.

Drinnen wurde Hermine von Harry daran gehindert, nach draußen zu gehen, obwohl auch ihn die plötzlich herrschende Ruhe befürchten ließ, dass gleich ein gewaltiger Sturm aufziehen würde und Harry hatte sich nicht getäuscht, als er kurz darauf die Stimme seines Kollegen wahrnahm.

Severus hatte tief Luft geholt, bevor er Draco die Leviten las. „Du bist genauso“, Draco fuhr wegen der Lautstärke zusammen, „wie dein Vater!“ Draco wollte widersprechen, doch er kam nicht dazu. „Du miserables, verzogenes Balg! Ich habe“, Severus pumpte seine Fäuste, „dein verdammtes Leben gerettet; meine Zeit damit vergeudet, ein arrogantes Früchtchen in meine Obhut zu nehmen, aber die Einzige, die mir das zu danken scheint, ist deine Mutter.“

Draco ging in sich und fragte sich selbst, ob er das alles wahr sein würde, was Severus aufgezählt hatte. Ob er verzogen war und arrogant; eine reine Zeitverschwendung. Er wollte das alles nicht sein. Er konnte nichts dafür, „verzogen“ zu sein, denn das hatten seine Eltern besorgt und Draco war der Meinung, dass er sich im Vergleich zu damals geändert hatte. Noch immer mochte er arrogant sein, aber er war keine Zeitverschwendung, davon war er überzeugt. Es schmerzte ihn zu erfahren, dass sein Patenonkel so von ihm zu denken schien. Sie mochten in den fünf Jahren ihre Meinungsverschiedenheiten gehabt haben, aber zumindest hatten sie eines gemeinsam, denn beide trugen sie das dunkle Mal.

„Bin ich für dich nicht mehr?“, wollte Draco wissen und er begann am ganzen Leib zu zittern, weil er die Antwort fürchtete. Severus war immer ein verschlossener Mensch gewesen; hatte ihm nur ein einziges Mal Trost durch eine Umarmung gespendet, während sie in einem Muggeldorf festgesessen hatten. Nur dieses eine Mal hatte Severus ihm gegenüber wahre Gefühle gezeigt.

Da bisher keine Antwort gekommen war, blickte Draco auf das dunkle Mal, das Voldemort ihm ins Fleisch gebrannt hatte und dann wagte er zu fragen: „Ist das hier das Einzige, das uns verbindet?“ Dann blickte er wieder den Totenkopf mit der Schlange auf seinem Arm an und ihm wurde bewusst, dass ausschließlich dieses schwarzmagische Symbol ihn noch daran hinderte, sich komplett ändern zu können. Flink und völlig unerwartet führte er seine rechte Hand an Voldemorts Zeichen und – zum Entsetzen von Albus und Severus – kratzte er mit seinen Fingernägeln so kräftig darüber, so dass die Haut aufsprang und sich sein Blut über das Mal ergoss.

Mit einem Schritt war Severus bei ihm und hielt ihn an beiden Handgelenken fest, als er erbost fragte: „Was bezweckst du damit?“
Sich wehrend antwortete Draco verzweifelt: „Solang ich das trage, habe ich doch gar keine Chance!“
„Aber es wird niemals weggehen“, sagte Severus unerwartet ruhig. „Es wird immer da bleiben, Draco.“

Nicht nur einmal hatte Severus sich bereits darüber Gedanken gemacht, was nach Voldemorts Tod aus seinem Leben werden würde. Das Überleben war für ihn wie ein Geschenk gewesen, für das man keine Verwendung hatte. Nie hatte er damit gerechnet, unversehrt die Schlacht zu überstehen. Für die Gesellschaft stellte er noch immer eine zwielichtige Person dar, auch wenn man ihm einen Orden überreicht hatte. Er war weiterhin ein Todesser, dessen Gnadenbrot daraus bestand, Zaubertränkelehrer für lernunwillige Kinder zu spielen. Severus fühlte genau wie Draco, denn mit dem Mal auf dem Arm wurde auch er jeden Tag mehrmals daran erinnert, was er für ein schreckliches Leben hatte führen müssen, doch ihm selbst erging es noch viel schlechter als seinem Patensohn, denn in Dracos Leib verweilte zumindest noch eine intakte Seele.

Albus war auf die beiden zugekommen und er forderte Severus wortlos dazu auf, den Schüler loszulassen.

„Mr. Malfoy“, sagte Albus ruhig, „Sie begeben sich bitte zu Madam Pomfrey in den Krankenflügel und lassen die Wunden versorgen.“ Draco wagte es nicht, den Direktor anzusehen, doch er nickte. Bevor Draco sich jedoch auf den Weg machen konnte, fügte Albus noch hinzu: „Am Montag gegen ein Uhr würde ich Sie gern in meinem Büro empfangen.“
Hier blickte Draco auf und er sagte, wenn auch etwas eingeschüchtert: „Ich gehe nicht mehr zur Schule.“
Albus lächelte milde stimmend und erklärte: „Ich erwarte nicht von Ihnen, dass Sie am Montag dem Unterricht beiwohnen. Besuchen Sie mich einfach auf eine Tasse Tee, Mr. Malfoy.“ Draco nickte zustimmend und machte sich gleich darauf auf in den ersten Stock.

Severus hoffte, dass man seine Hilfe für das heutige Fest nicht mehr benötigen würde und als hätte Albus seine Gedanken gelesen, sagte er beschwichtigend: „Du bist entschuldigt, Severus. Wir kommen auch ohne dich zurecht.“ Auch Severus nickte dem Direktor zu, doch wie befürchtet wurde ihm ebenfalls, bevor er gehen konnte, nahe gelegt: „Am Montag um 15 Uhr bei mir? Zu etwas Kaffee und Kuchen.“

In der großen Halle entschuldigte Albus diese aufregende Unterbrechung, säuberte unauffällig mit einem wort- und stablosen Zauber Shauns Hose und lenkte mit einem neuen Spiel so sehr ab, dass die Feierlichkeiten fortgeführt werden konnten, als wären sie nie gestört worden.

Wieder hielt Harry seine beste Freundin auf, die unbedingt zu Severus gehen wollte und er sagte: „In der Stimmung, in der er jetzt ist, könnte es gut sein, dass er dich doch noch verhext.“ Hermine stimmte wortlos und nachgebend zu, bevor sie sich an den Spielen beteiligte, doch ihre Gedanken waren ganz woanders.

Den ganzen Abend hindurch redete Hermine mit einigen Schülern, denen der Schrecken noch ins Gesicht geschrieben stand und sie konnte hier und da die Stimmung aufhellen und die Ängste nehmen, indem sie den Jugendlichen ihr Ohr lieh.

Spät am Abend kam Narzissa nachhause und sie fragte Draco mit einem zärtlichen Lächeln auf den Lippen, wie das Halloween-Fest gewesen war.

„Ich glaube, ich bin heute ein wenig über dir Stränge geschlagen“, gab er schuldbewusst zu.
„Wieso denn das? Was hast du getan?“, fragte seine Mutter besorgt und einfühlsam, doch er sträubte sich, ihr eine Antwort zu geben.
Stattdessen sagte er: „Ich habe die Schule hingeworfen, Mutter. Ich werde nicht mehr…“
„Du hast was?“, fragte sie mit ganz großen Augen. „Aber Draco, das ist doch so wichtig!“
„Ich werde schon einen Weg finden! Vielleicht kann ich die Prüfungen am Ende des Schuljahres ablegen, ohne dass ich die siebte Klasse besuchen musste.“ Bevor sie weitere Einwürfe machen konnte, beruhigte er sie und erklärte: „Am Montag werde ich mit Professor Dumbledore reden. Vielleicht kann er mir eine Lösung vorschlagen, mit der wir alle zufrieden sein können.“

Damit wollte sich Narzissa zufrieden geben, denn ihr lag am meisten daran, dass er seine Abschlussprüfung bestehen würde. Nachdem sie sich neben ihn gesetzt hatte, fragte er sie: „Wie war dein Abend mit deiner Schwester und deinem Schwager?“ Er wollte nicht die Bezeichnung „Tante Andromeda“ und „Onkel Ted“ verwenden, denn das würde er ganz sicher niemals in seinem Leben sagen.
Sie lächelte breit und antwortete: „Ganz wunderbar! Ich habe noch nie erlebt, wie Muggel Halloween feiern. Das war ganz goldig, wie die Nachbarskinder immer an die Tür geklopft haben. Die hatten ganz drollige Kostüme getragen.“

Ohne auf ihre Äußerungen einzugehen sagte er bedauernd: „Ich habe mich mit Severus gestritten.“ Sie zog beide Augenbrauen in die Höhe, so dass er erklärte: „Ich habe mir einen Scherz erlaubt und bin als Todesser maskiert zur Feier gegangen.“
Er hörte, wie sie erschrocken einatmete, bevor sie ihn schalt: „Wie kannst du nur? Warum gerade als Todesser?“
„Weil ich einer bin“, sagte er schwach.
„Oh nein, mein Sohn. Du bist alles andere als das“, wollte sie ihm weismachen, doch da kam plötzlich die Erinnerung an den Schrecken zurück, als ihr Mann ihr stolz davon berichtet hatte, dass ihr gemeinsamer Sohn nun Einzug in die Ränge des Dunklen Lords gehalten hatte. Sie schlug sich beide Hände vor den Mund und blickte ihn ängstlich an. Gewissensbisse plagten ihn, weil er damals das Mal angenommen hatte und jetzt auch noch die Erinnerung daran in seiner Mutter geweckt hatte. „Oh Draco…“, sagte sie inne haltend, bevor eine erste Träne über ihren hohen Wangenknochen rollte.

Nach einer Weile, die sie still nebeneinander verbracht hatten, fragte sie: „Was ist zwischen Severus und dir vorgefallen?“
„Du kannst dir denken, dass gerade ihm meine Verkleidung nicht sonderlich gefallen hat.“ Er stöhnte, bevor er leise sagte: „Ich glaube, er hasst mich.“
„Das tut er nicht, Schatz. Er liebt dich! Du hättest ihn sehen sollen, als er dich das erste Mal gehalten hatte“, sagte sie lächelnd, obwohl ihre Augen noch immer feucht waren.
„Severus liebt niemanden!“, stellte Draco wütend klar, denn es verletzte ihn, dass er für seinen Patenonkel nichts Wert war.
„Doch, Draco. Und er liebt auch mich, das weiß…“, sagte sie verstummend, als wäre ihr gerade eben etwas eingefallen und das war es auch, denn schemenhaft konnte sie sich an ein rothaariges Mädchen aus vergangenen Tagen erinnern.

Durch diese Äußerung war er hellhörig geworden und er versuchte jetzt nochmals, was zuvor wegen der fehlenden Erinnerung seiner Mutter nicht gefruchtet hatte, denn er fragte: „Hatte er jemals eine Freundin?“
Sie lächelte und sagte nickend: „Ja, hatte er. In der Schule waren es zwei und nach der Schule war er mit…“

Ihre Gedanken überschlugen sich, denn sie erinnerte sich an den Moment, in welchem Severus ihr von seiner Freundin Linda erzählt hatte und sie daraufhin nur abwertend sagte, dass er etwas Besseres als ein Halbblut verdienen würde. Daraufhin folgte eine Auseinandersetzung, in welcher er ihr klargemacht hatte, dass er selbst ein Halbblut sein würde, was sie natürlich gewusst, aber nie angesprochen hatte.

Sie schüttelte diese Erinnerung von sich und fuhr fort: „…mit einer netten Frau aus seinem Jahrgang zusammen. Ich weiß gar nicht mehr, welchem Haus sie angehört hatte.“
„Was? Keine Slytherin?“, fragte er verdutzt und seine Mutter verneinte wortlos.
Sie lachte kurz auf und erzählte in Erinnerungen schwelgend: „Dein Vater war eine Zeitlang richtig neidisch auf Severus gewesen, weil wir in meinen letzten beiden Jahren häufig in der Bibliothek gesessen hatten, um Zaubertrankbücher zu lesen. Severus war noch so jung und hatte schon genauso viel gewusst wie ich.“ Das konnte sich Draco sehr gut vorstellen, weswegen er lächeln musste. Ihr Stimme wurde ernster, als sie erklärte: „Wir sind uns noch näher gekommen, als ich ihn während seines zweiten Jahres vor“, sie schluckte kräftig, „Sirius, James, Peter und…“
’Remus!’, dachte sie. Sie konnte den Verlobten ihrer Nichte endlich der Vergangenheit zuordnen.
„…und Remus beschützt hatte. Zwei von ihnen hatten Severus an die Wand gedrückt und ihn veralbert, weil er geweint hatte.“
„Severus und weinen?“, fragte Draco verdutzt.
Sie schürzte die Lippen und nickte, bevor sie erzählte: „Ich dachte erst, er würde weinen, weil sie ihn ’Schniefelus’ nannten, aber mir ist schnell klar geworden, dass sie ihn nur so genannt hatten, weil sie ihn bereits so aufgelöst vorgefunden hatten. Ich habe die vier vertreiben können; ich war immerhin Schulsprecherin.“ Sie seufzte und schilderte: „Ich habe ihn an die Hand genommen und wir sind in unseren Gemeinschaftsraum gegangen. Dort hat er mir erzählt, dass seine Mutter gestorben wäre; er hätte es eben erst erfahren.“

Am nächsten Morgen erhielten Ginny und Harry einen Ruf von Ron über das Flohnetzwerk und nachdem sie ihn eingeladen hatten, kurz vorbeizuschauen, stand er prompt im Wohnzimmer. Er begrüßte seine Schwester ganz herzlich, stürmte gleich darauf zur Wiege und nahm seinen Neffen auf den Arm, der gerade müde gähnte.

„Werde ich auch begrüßt?“, stichelte Harry scherzend.
„Morgen, Harry“, sagte Ron kurz und knapp, ohne ihn anzusehen, doch gleich darauf musste er kichern, bevor er seinen Freund mit einem Arm, denn mit dem anderen hielt er Nicholas, freundschaftlich umarmte.
„Heute ist doch das Spiel gegen die ’Kenmare Kestrels’ oder?“, wollte Harry wissen, der sich natürlich, auch wenn er selbst nur noch selten spielte, über sämtliche Quidditch-Ereignisse informiert war.
„Ja, heute sind sie Kestrels dran. Den Tornados haben wir letztens ja den Wind aus den Segeln genommen. Die hatten Haushoch verloren!“, erzählte Ron stolz.

Ron gab Nicholas an seine Schwester ab, als der zu weinen begann, so dass er sich an Harry wenden konnte und sagte: „Wegen dem Denkarium…“
„Was für ein Denkarium?“, fragte Harry verdutzt.
Ron blickte ihn vorwurfsvoll an, bevor er erklärte: „Ich hatte doch gesagt, dass Angelina ihren Bekannten fragen wollte, ob der dir sein Denkarium zur Verfügung stellen könnte.“
„Aber das brauchen wir doch nicht mehr. Hermine hat Snapes Traum doch bekommen und ihn analysieren dürfen. Das Denkarium hätten wir nur gebraucht, damit Hermine den Traum aus meiner Erinnerung lesen könnte!“
„Das weiß ich doch alles, Harry. Es geht trotzdem um das Denkarium, denn weißt du… Der Mann, dem es gehörte…“
„Gehörte?“, fragte Harry.
„Ja, ’gehörte’. Lässt du mich jetzt bitte mal ausreden?“, bat Ron schmunzelnd. Harry war schon immer wahnsinnig neugierig gewesen, wie auch Hermine und Ron selbst.
„Okay, setz dich und erzähl“, forderte Harry seinen Freund auf.

Ron setzte sich und griff sofort nach der Schale mit Süßigkeiten, die auf dem Tisch stand, und nachdem er sich einen Schokoladenfrosch einverleibt hatte – komplett – begann er mit vollem Mund so unverständlich zu erzählen, dass Harry ihn bat erst aufzuessen.

Nachdem Ron gekaut und geschluckt hatte, begann er nochmals: „Der Mann ist tot. Ist gestorben. Dass es wegen dem Denkarium so lange gedauert hatte, war nicht Angelinas Schuld. Der Freund ihres Vaters lag im Krankenhaus und war kaum ansprechbar. Sie hatte ihm in der Hoffnung einen Brief geschrieben, er würde ihn in einem wachen Moment lesen können, aber er ist gestorben. Aber…“, Ron hob seinen Zeigefinger, um anzukündigen, dass jetzt der interessante Teil kommen würde, „…Angelinas Brief ist natürlich den Verwandten in die Hände gefallen und nachdem die gelesen haben, dass ’Harry Potter’ Interesse an dem Denkarium haben würde, haben die Erben sich geeinigt und es dir überlassen!“

Harrys Augen wurden tellerrund und blitzten ungläubig hinter der Brille auf. Ron nickte heftig und versicherte: „Doch, wirklich! Kannst es mir glauben. Du müsstest von dem Nachlassverwalter bald ein Brief bekommen und auch ein großes“, er zeichnete mit beiden Fingern in der Luft einen üppigen Gegenstand, „wirklich großes Päckchen!“
„Das kann ich gar nicht glauben“, sagte Harry verblüfft. „Und nur, weil ich Harry Potter bin?“
„Ja, mein Freund! Ehrlich gesagt hätte ich mal Lust, einen Tag lang als du herumzulaufen. Die ganzen Mädels, die Autogrammjäger und die vielen, vielen Geschenke und Rabatte, wenn du irgendwo Essen gehst oder Einkäufe machst“, sagte Ron schelmisch grinsend.
„Glaub ich dir gern, dass dir das Spaß machen würde. Für einen Tag wäre das auch völlig in Ordnung, aber nicht, wenn es immer so ist“, erklärte Harry ein wenig bedrückt.
Ron schlug ihm auf die Schulter und knetete sie verständnisvoll, bevor er sagte: „Hast du es mal wieder versucht? Ich meine, mal raus zu gehen in die Zaubererwelt? Momentan steht von dir nämlich recht selten etwas in der Zeitung, mein Guter. Okay, letztens warst du auf Platz eins der ’begehrtesten Junggesellen’, aber das wird sich nach der Hochzeit mit Ginny auch legen.“
„Ich befürchte fast, die Hochzeit wird die Medien wieder anheizen, Ron. Ich will das alles nicht“, sagte Harry schlapp.
„Jetzt mach dir darüber mal keinen Kopf, Harry. Ach ja, bevor ich es vergesse: Die Frau von Oliver, Tamy, deren Onkel arbeitet seit Jahrzehnten in Askaban und der sagte, dass ein Dementor die Seele immer nur im Stück verschlingen würde und er nicht davon abzuhalten wäre, nicht mal mit einem Patronus!“
„Wieso nicht mal mit einem Patronus?“, fragte Harry mit gerunzelter Stirn.
„Weil – und daran hatte sich Hermine ja neulich erinnern können – Snape damals schon gesagt hatte, dass allein der Anblick eines Dementorkusses einen wahnsinnig werden lässt. Du hast gar keine Chance, jemandem mit einem Patronus zu helfen, wenn der gerade geküsst wird, denn wenn du das siehst, macht dein Verstand winke, winke!“
„Woher weiß man das?“, wollte Harry wissen.
„Weil es solche Fälle gibt und einige von denen liegen auf der Janus Thickey-Station, weil man sie nicht heilen kann. Die sind verrückt geworden, Harry“, sagte Ron gewissenhaft. „Das heißt also, dass ich damit Hermines Dementoren-Kuss-Theorie Snape betreffend widerlegt habe“, fügte er ganz stolz hinzu.
Harry schüttelte ungläubig den Kopf und fragte: „Aber Severus hatte doch gesagt, er würde es ertragen zuzusehen, wie die Dementoren Sirius küssen. Wieso…?“
„Was weiß ich? So gefühlskalt, wie der ist, könnte ich mir sogar vorstellen, dass der abends mit ein paar Dementoren Karten spielt“, sagte Ron wenig Respekt zollend.
Schmollend warf Harry ein: „Du würdest anders über ihn reden, wenn du ihn so kennen würdest, wie ich ihn jetzt kenne.“
„Ja, klar! Stell es dir doch nur mal vor: Snape und ich, wie wir uns gemeinsam ein Butterbier hinter die Binde kippen… Nein, Harry. Mit dem werde ich nie warm werden“, sagte Ron sehr von seinen eigenen Worten überzeugt. Er griff gleich darauf nochmals das eigentliche Thema über Dementorenküsse auf und sagte: „Wenn Hermine möchte, kann sie gern mal mit Tamys Onkel reden. Oliver hat sowieso neulich gesagt, er würde dich mal gern wieder sehen.“
Harry lächelte, bevor er fragte: „Hast du mir deshalb nahe gelegt, mal wieder unter Menschen zu gehen?“
„Ach, ich bin viel zu leicht zu durchschauen, nicht wahr? Wir können uns ja mal wirklich ein paar Leute suchen und uns zum Quidditch treffen. Du hast doch erzählt, dass Sirius dir einen ’Rocketeer’ geschenkt hat. Hast du den überhaupt mal geflogen?“
„Ich habe ihn ausprobiert und er ist klasse! Einmal habe ich mit den Schülern gespielt und…“
Ron unterbrach Harry und sagte: „Da warst du aber nur Hüter! Nein, das ist nichts für dich. Du, Harry, bist ein Sucher!“

Einen Stock tiefer war Hermine aufgestanden und sie konnte es kaum erwarten, mit Severus zu sprechen: über den „Adlerauge“-Trank und dem gestrigen Vorfall mit Draco. Zunächst wollte sie jedoch ihrer Aufgabe nachkommen und so trat sie – Salazar hatte ihr wortlos geöffnet, ihr jedoch wegen ihrer nicht weit zurückliegenden Drohung mit dem Bombarda einen Todesblick zugeworfen – in sein Wohnzimmer.

„Was tun Sie denn hier?“, fragte er, bevor er auf die Uhr schaute und feststellte, dass es kurz vor halb neun morgens war.
„Na, ich geh mit dem Hund raus“, erwiderte sie unsicher.
„Ah, richtig!“, sagte er. „Die Leine hängt…“
„…neben der Tür“, vervollständigte sie seinen Satz. „Das hatten Sie mir schon gesagt, Severus“, fügte sie lächelnd hinzu.

Der Hund, so dachte Hermine, würde wohl mit jedem freiwillig mitgehen, der die Leine von ihrem Platz neben der Tür nahm, denn kaum hatte sie ihren Arm danach ausgestreckt, kam Harry angelaufen und machte brav vor ihr Platz.

„Bleiben Sie danach zum Frühstück?“, wollte er nebenbei wissen. Da sie etwas irritiert wirkte, denn eigentlich hatte sie befürchtet, er würde heute mit nicht mehr zu tun haben wollen als notwendig, erklärte er: „Harry hatte mir an den unterrichtsfreien Samstagen nach dem Spaziergang immer Gesellschaft…“ Er verstummte, denn er hatte eben ungewollt zugegeben, dass ihm eine Gewohnheit fehlte, nämlich das gemeinsame Frühstück mit einem Freund.
„Ja gern.“
„Haben Sie einen besonderen Wunsch?“, fragte er.
„Ich hätte diesmal lieber Kaffee, anstatt Tee. Mir ist irgendwie danach. Schwarz und stark, wenn die Elfen das überhaupt hinbekommen“, entgegnete sie lächelnd, bevor sie mit dem Hund nach draußen ging.

Schon im Flur traf sie auf Harry, der verdutzt dreinschaute und dann schmunzelnd sagte: „Ich glaube, wir müssen uns besser abstimmen, Mine. Ich wollte eben mit ihm rausgehen.“
„Sei doch froh, dann kannst du wenigstens mit Ginny zusammen frühstücken.“
„Nein, kann ich nicht. Sie will unbedingt in der großen Halle essen, damit sie auch jeden Klatsch und Tratsch wegen Dracos gestrigen Auftritt mithören kann“, sagte er etwas entmutigt. Neugierig und mit gedämpfter Stimme fragte er im Anschluss: „Wie ist er drauf?“
Sie schob die Unterlippe vor, bevor sie die Schultern einmal hob und wieder senkte und dann antwortete: „Wie immer, würde ich sagen!“
„Schön! Auch, wenn das nichts zu bedeuten hat“, kommentierte er ihre Aussage. „Ron war übrigens kurz da, um mir zu sagen, dass ich demnächst ein Denkarium bekomme.“
„Hat es Angelina doch endlich geschafft?“, fragte sie ein wenig spöttisch, doch sie lächelte gleich darauf. „Wir brauchen keines mehr.“
„Ich werde es trotzdem bekommen! Der Mann oder besser seine Erben haben es nämlich mir vermacht. Ist doch eine schöne Sache, so ein Denkarium“, sagte er und blickte sie dabei an, während der Hund die Richtung wählte, die sie gehen sollten. „Ich könnte dir zum Beispiel zeigen, was du auf der Hochzeit von Sirius und Anne noch alles verpasst hast, nachdem du gegangen bist.“
Sie rollte mit den Augen, doch ihr schlechtes Gewissen, niemandem Bescheid gegeben zu haben, ließ sie ruhig erklären: „Nachdem der Brautstrauß geworfen worden war…“ Sie blickte zu Boden, dann in Harrys Augen, bevor sie sagte: „Alle haben getanzt und meine Stimmung an dem Tag war von Anfang an miserabel. Mein Kleid ist noch zwei weitere Male gerissen, ich hatte keinen Hunger und ich hatte niemanden, der mit mir tanzt.“
„Ich wollte mit dir tanzen und Sirius auch“, sagte Harry nörgelnd.
„Du weißt, was ich meine. Du hast mit Ginny getanzt, Harry. Minerva mit Albus, Remus mit Tonks… jeder hatte jemanden“, sagte sie wehmütig.
„Wie willst du Leute kennen lernen, wenn du einfach gehst? Da waren ein paar Muggel auf der Hochzeit, mit denen…“
Sie hielt beide Hände in die Höhe, um ihn zum Schweigen zu bringen, bevor sie erklärte: „Momentan ist mir nicht nach solchen Geselligkeiten, Harry.“
Drohend machte er ihr klar: „Wenn Ginny und ich heiraten und du einfach abhauen solltest, Hermine, dann werde ich alle anwesenden Auroren darum bitten, dich zurückzuholen, also lass dir das gar nicht auf meiner Hochzeit einfallen, sonst werde ich richtig sauer!“

Er hatte ungewöhnlich ernst geklungen und daher versicherte sie ihm, so etwas nicht noch einmal zu machen.

Der Hund führte sie in Richtung Hagrids Hütte, was keiner von beiden bewusst wahrnahm, denn Harry erzählte von den Neuigkeiten, die Ron über Dementorenküsse erfahren hatte.

„Ron hat gesagt, dass du mit dem Mann auch gern mal selbst reden kannst, wenn du ihm nicht glauben solltest“, gab er inhaltlich von Ron wider.
„Ich glaube ihm ja, aber das macht die Sache doch nur noch schwieriger. Wenn es kein Dementorkuss gewesen war, was ist dann mit Severus geschehen? Weiß du, was mir an ihm aufgefallen ist?“, fragte sie. Weil Harry den Kopf schüttelte, schilderte sie gewissenhaft: „Wenn du oder ich in seiner Nähe sind, dann werden seine Augen immer braun und sie bleiben so!“
„Wirklich? Ist mir nicht aufgefallen. Und was sagt Severus dazu?“, wollte Harry wissen.
Sie stieß durch die Nase Luft aus und klang derweil wie ein wütender Drache, bevor sie ihm klarmachte: „Die letzten Male, als ich ihn auf seine Augenfarbe hin angesprochen hatte, da ist er entweder explodiert oder er hat mich und meine Fragen ignoriert. Ich hab es aufgegeben, deswegen mit ihm reden zu wollen und bemerke weiterhin jeden Tag, dass seine Augen nicht mehr so schwarz sind. Vielleicht solltest du ihn mal drauf ansprechen?“
„Und du meinst wirklich, wenn ich das anspreche, dann bleibt er gemütlich?“, fragte er sarkastisch.
Sie lachte und stolperte derweil beinahe über einen Stein, bevor sie laut nachdachte: „Ich glaube, er selbst merkt es nicht einmal, Harry. Wenn er morgens in den Spiegel schaut, müsste es ihm doch auffallen, aber ich vermute ganz stark, dass er jeden Morgen aufs Neue dunkle Augen hat. Erst wenn er auf dich oder mich trifft, dann werden sie wieder warm. Ich sehe diese Wandlung jeden Tag, sobald wir uns begrüßen. Achte mal drauf, Harry. Du wirst es auch sehen.“

Völlig aus dem Zusammenhang gegriffen erzählte Harry plötzlich: „Severus hat mir neulich erzählt, warum er Sirius so hasst.“ Sie zog beide Augenbrauen in die Höhe und wartete gespannt darauf, was er erzählen würde. „Wie es aussieht, war nicht nur Remus in meine Mum verliebt gewesen, sondern auch Sirius und Severus, nur dass Sirius wohl alles daran gesetzt hat, Severus überall lächerlich zu machen, damit er bei meiner Mum keine Chancen haben würde.“
Sie verzog den Mund, bevor sie vorsichtig sagte: „Sirius war ein ziemlich intrigantes Schwein, wenn ich mich mal etwas derber ausdrücken darf. Nimm es mir bitte nicht übel, Harry, aber ich glaube, weder du noch ich hätten ihn während seiner Schulzeit zum Freund haben wollen.“
Harry seufzte, bevor er zugab: „Das Schlimme ist, dass ich genauso denke, Mine. Anne muss ihm irgendwann mal den Kopf gewaschen haben.“ Weil Hermine die Stirn runzelte, erklärte er: „Ich habe auf der Hochzeit ein wenig mit Beth gesprochen und Anne hatte sie wohl einmal in Sirius’ Gegenwart dazu aufgefordert, über die Schulzeit zu sprechen. Beth war eine Streberin gewesen: Lieblingsschülerin der Lehrer. Sie hatte ziemlich schlimm unter ihren Mitschülern zu leiden.“
„So etwas gibt es leider überall, nicht nur in Schulen“, warf Hermine ein.
„Severus hat auch erzählt, dass er meiner Mutter und am Ende sogar meinen Eltern Briefe geschrieben hat“, fügte Harry hinzu.
„Oh wirklich? Wann soll das gewesen sein?“
Genau wusste er es nicht, weswegen er sagte: „Es muss gleich nach der Schule gewesen sein, denn er meinte, während der Schulzeit hatte er keine Gelegenheit gefunden, mit ihr zu reden.“
„Jetzt wird es interessant, Harry!“, sagte Hermine.
„Ach ja?“
„Ja, denn ich weiß, dass Severus nach der Schule für vier Monate mit einer – und jetzt halt dich fest – Dame namens ’Linda’ liiert gewesen war!“ Hermine nickte bedächtig, während diese Information von Harry langsam verdaut wurde.
„Und…?“, fragte er lang gezogen, weil er nicht wusste, auf was genau sie hinaus wollte, doch dann hatte er eins und eins zusammengezählt. „Oh Moment... ’Linda’? Etwa die, von der wir gelesen…?“
„Ich vermute schon, denn er hatte erzählt, er hätte ihr aus einer ’prekären Situation’ geholfen! Ich bin mir sicher, dass er mit Remus’ Ex zusammen gewesen war.“
Vorsichtig fragte er: „Das hat er dir alles erzählt? Ich meine, freiwillig?“
Sie musste lachen, bestätigte jedoch: „Ja, freiwillig! Wir haben diese Linda nämlich getroffen, als wir wegen der Dracheneier in der Winkelgasse gewesen waren.“
„Ihr wart wegen Dracheneiern…“
„Vergiss die Dracheneier, die sind nicht wichtig,“ doch plötzlich hielt sie inne, denn natürlich waren sie wichtig, doch sie fragte sich, ob sie Harry davon erzählen durfte, welche Farbe Severus’ Magie gehabt hatte und was diese bedeuten würden.

Es war ihm aufgefallen, dass sie plötzlich zu überlegen schien. Es kam ihm so vor, als würde sie irgendetwas abwiegen, so dass er fragte: „Weißt du noch mehr?“
Sie kniff kurz die Lippen zusammen und sagte gleich darauf: „Harry, du weißt, dass du mein bester Freund bist, aber ich stehe da gerade zwischen zwei Stühlen. Ich weiß nicht, ob ich dir das erzählen darf, denn wenn Severus das erfahren würde, dann würde er mich wahrscheinlich vierteilen oder so.“
„Wie sollte er davon erfahren, Mine? Außerdem will ich ihm genauso helfen wie du, also sehe ich da gar kein Problem. Ich meine, ich habe dir auch eben etwas erzählt, das er mir anvertraut hat und das ich dir bestimmt nicht hätte erzählen dürfen“, erwiderte er.

Hermine kaute auf ihrer Unterlippe herum, bevor sie sagte: „Andererseits weiß er ganz genau, dass wir über alles reden. Das habe ich ihm gegenüber sogar mal zugegeben, aber dazu hat er nichts weiter gesagt. Er war nur sauer, als er mitbekommen hatte, dass ich mit anderen – in dem einen Fall mit Remus – über ihn gesprochen hatte. Davon war er gar nicht begeistert. Ich sollte das nächste Mal ihn fragen, hat er gesagt. Es ist ihm aber klar, dass wir beide miteinander über ihn reden und es scheint für ihn normal zu sein. Was also, wenn er dir und mir jeweils kleine Brocken zuwirft, die wir zusammenfügen müssen? Ich glaube mittlerweile, er möchte wirklich, dass wir das Rätsel lösen, aber nur wir.“
„Das sehe ich genauso, als raus mit der Sprache: Was weißt du Neues über ihn?“
„Na ja“, sagte sie vorsichtig, weil sie sich nicht sicher war, ob sie es wirklich tun sollte. Sie überwand sich und erzählte von dem ostasiatischen Trank, den sie gebraut hatten.

„Ich habe seine Magiefarbe gesehen. Jedenfalls glaube ich, dass sie es war, denn er hat sehr heftig reagiert und ist geflohen.“
„Was war seine Farbe? Doch nicht etwa Schwarz?“, fragte Harry besorgt.
„Nein, nicht Schwarz, sie war grau. Ich habe sofort nachgeschlagen und ’Grau’ bedeutet wirklich nichts Gutes, Harry. Allerdings habe ich gedacht, dass die Erklärung dieser Farbe meine Dementorkuss-Theorie untermauern würde, aber das tut sie offensichtlich nicht, wie wir ja jetzt von Ron wissen.“
„Und was bedeutet Grau nun?“, wollte Harry unbedingt wissen.
In Stichpunkten gab sie aus dem Buch wider: „’Verblasstes Innenleben’, ’Mangel oder Fehlen von Empfindsamkeit’ oder auch eine ’verirrte oder vollends verlorene Seele’. Das hört sich alles nicht gut an, Harry. Das erklärt jedenfalls, warum er während unserer Schulzeit immer so ein Griesgram gewesen war und manchmal noch ist. Wenn er nichts empfinden kann, dann ist ihm auch egal, was die Menschen in seinem Umkreis von ihm denken.“
„Da fällt mir was bei ein“, sagte Harry. „Als ich Albus erzählt hatte, dass Severus Anne helfen möchte, indem er in ihren Kopf eindringt, da sagte Albus, ich solle auf Severus aufpassen, denn der würde möglicherweise nicht mehr die geforderte Rohheit für so ein Unterfangen mit sich bringen.“
„Und was heißt das?“, wollte Hermine neugierig wissen.
Harry hob und senkte die Schultern und antwortete: „Ich habe keinen blassen Schimmer! Ich habe Albus auch gleich gesagt, dass er in Rätseln sprechen würde, aber ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass er von Severus und seinem Zustand nicht nur Kenntnis hat, sondern auch ganz genau weiß, was die Ursache dafür ist.“
„Dann muss Albus denken, dass Severus’ Empfindungen zurückkommen, aber warum?“

Hermine seufzte und sie erinnerte sich daran, als Harry ihr von seinem klärenden Gespräch mit Albus erzählt hätte. Der Direktor hätte gesagt, sie dürften Severus nicht aufgeben und er hatte empfohlen, dass sie weitermachen sollten, aber bisher wussten sie noch immer nicht, womit sie weitermachen sollten. Albus selbst war keine große Hilfe gewesen, denn er hätte versprochen, hatte er behauptet, kein Wort darüber verlieren zu dürfen. Womöglich, dachte Hermine, war die Antwort auf Severus’ Verhalten ja auch im Büro des Direktors zu finden.

Sie schüttelte den Gedanken, in Albus’ Büro einzudringen, um es zu durchsuchen, schnell von sich ab, bevor sie sagte: „Ich glaube, dass seine Augenfarbe nichts mit der Magiefarbe zu tun haben kann, denn als ich ihn in Grau gehüllt gesehen habe, da waren seine Augen noch immer braun!“
„Er muss aber empfinden können, Hermine. Du hättest ihn erleben sollen, wie er war, als er mir von seiner ersten Begegnung mit meiner Mutter erzählt hatte. Er kann empfinden!“, versicherte er ihr.
„Möglich, aber was, wenn das nur ab und an geschieht?“ Da er nicht zu verstehen schien, führte sie aus: „Was, wenn sich nur etwas in ihm regt, wenn einer von uns beiden bei ihm ist? Das könnte jedenfalls erklären, warum er manchmal in seinen ’Ausnahmezustand’ verfällt. Wenn er nicht mehr weiß, was mit ihm los ist und wenn er behauptet, es würde ihm schlecht gehen. Das hast du mir doch einmal erzählt, Harry. Erinnerst du dich an die Sache mit deiner Babydecke? Du hattest erzählt, dass du ihn noch nie so ergriffen erlebt hattest. Vielleicht wusste er mit seinen Gefühlen nicht umzugehen, weil er so lange auf sie verzichten musste. Womöglich war er deshalb so überwältigt.“
„Aber wie können wir etwas ausrichten, nur weil wir in seiner Nähe sind? Und wie soll es überhaupt möglich sein, die Empfindungen von jemandem ’abzuschalten’?“, wollte Harry wissen.
„Ich weiß nicht, welche Rolle wir spielen, Harry, aber ich könnte mir vorstellen, dass er womöglich von einem Fluch getroffen worden war, der ihn so hat werden lassen“, versuchte sie zu erklären.
Harry runzelte die Stirn, bevor er fragte: „Gibt es denn so einen Fluch?“
„Ich weiß es nicht, aber wir sollten mal einen Auroren fragen. Übernimmst du das, Harry?“, fragte sie. Da er nickte, mutmaßte sie weiter: „Und wenn es kein Fluch gewesen war, vielleicht war es ein Trank?“
„Ein Trank?“, wiederholte er ungläubig. „Warum sollte man einen Trank erfinden, der so grauenvolle Resultate hervorbringt?“
„Es ist ja nur eine Idee von mir. Wenn tatsächlich durch einen Fluch oder Trank die Empfindungen eines Menschen ausgeschaltet werden könnten, dann wäre doch derjenige, der dem ausgesetzt gewesen wäre, hervorragend geeignet!“
„Geeignet für was?“, fragte Harry nach.
„Um perfekt als Spion fungieren zu können!“
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
~ Muggelchen.net ~

Benutzeravatar
Muggelchen
EuleEule
Beiträge: 345
Registriert: 07.06.2008 22:29
Wohnort: Gemälde im 1. Stock

Beitrag von Muggelchen »

108 Traumata des Krieges




Abrupt blieb Harry stehen und wiederholte ihre Worte: „’Um perfekt als Spion fungieren zu können’? Hermine, weißt du, wem du was damit unterstellst?“
Sie blickte ihn mit müden Augen an, bevor sie nickte und erwiderte: „Dass Albus nicht nur davon weiß, sondern noch viel mehr damit zu tun haben könnte.“
Den Kopf schüttelnd und sehr aufgeregt widersprach Harry: „Das kann ich nicht glauben, Mine. Nicht Albus!“ Er regte sich so sehr auf, dass er noch verteidigend anfügte: „So etwas würde er nicht tun!“
„Beruhige dich mal bitte! Es ist nur eine Theorie. Damit könnte ich genauso falsch liegen, wie mit dem Dementorkuss, also reg dich bitte nicht so auf“, erklärte sie bedauernd.

Sie wollte Harry wirklich nicht so auf die Palme bringen. Als sie sich jedoch ins Gedächtnis zurückrief, dass es Albus gewesen war, der Sirius’ und sein eigenes Ableben inszeniert hatte, dann wäre es nicht mehr so abwegig zu denken, dass Albus auch etwas mit Severus’ gefühlskaltem Zustand zu tun haben könnte. Der Direktor hatte damals niemandem gegenüber auch nur ein Sterbenswörtchen darüber verloren, dass Sirius gar nicht gestorben war; er hatte alle trauern lassen. Man könnte sogar zu der Annahme kommen, dachte Hermine, dass Albus sich mit Sirius nur ein Druckmittel geschaffen hatte, mit dem er Harry jederzeit in die Schranken hätte weisen können. Vielleicht war der Grund für die sofortige Zusammenführung von Sirius und Harry gleich nach dem Sieg über Voldemort nur eine reine Prophylaxe gewesen, damit Harrys Gefühlslage sich wieder einpendeln würde – er kein dunkler Lord werden würde –, denn die Freude darüber, seinen Patenonkel wieder in die Arme schließen zu können, hatte Harry vollends eingenommen.

„Oh mein Gott!“, sagte Hermine plötzlich.
„Was?“, keifte Harry. „Hast du noch eine Theorie darüber, dass Albus eigentlich Voldemort ist und ich sein Sohn?“
Vorwurfsvoll giftete Hermine zurück: „Du scheint wohl längst vergessen zu haben, was er dir für ’Kopfschmerzen’ bereitet hat!“

Da sie das Wort „Kopfschmerzen“ mit Nachdruck betont hatte, fielen ihm gleich die Hauselfen ein, die Albus ihm als Spione auf den Hals gehetzt hatte und nicht nur ihm, sondern auch seinen engsten Freunden und da verstand er plötzlich, dass Hermine sich von Albus nicht blenden ließ, nur weil der ein mächtiger und angesehener Zauberer war. Sie wusste, wozu er fähig sein konnte und behielt das immer im Hinterkopf, wenn sie ihre Theorien schmiedete.

Sie blickte ihn einen Moment lang böse an. Auf der Stelle bereute er seine garstigen Worte und als sie das an seinen Augen erkannt hatte, verzieh sie ihm und erklärte: „Severus wartet auf mich mit dem Frühstück. Ich bin spät dran; das wird ihm gar nicht gefallen.“
Um sich bei ihr zu entschuldigen, bot er an: „Dann gehe ich einfach mit und wir frühstücken zusammen.“

In seinen Räumen hatte sich Draco gerade zurechtgemacht, um zu Susan zu flohen, damit er mit ihr frühstücken könnte. Besonders lag ihm daran, ihr zu sagen, dass er die Schule nicht beenden wollte.

Seine Mutter saß an dem Schreibtisch im Wohnzimmer und verfasste einen Brief, wahrscheinlich an seinen Vater, wie Draco vermutete, und so räusperte er sich zunächst, bevor er sie darüber informierte: „Ich werde Susan besuchen, Mutter. Das ist doch in Ordnung oder?“ Sie war in letzter Zeit sehr still geworden und schien viel nachzudenken, was verständlich war, wo doch jetzt wieder alle Erinnerungen an früher in ihr aufgekommen waren.
„Natürlich ist das in Ordnung, mein Guter. Grüß sie lieb von mir“, sagte sie lächelnd, bevor sie sich wieder ihrem Brief widmete.

Vom Kamin aus flohte er direkt zu Susan, die in der Küche gerade damit begonnen hatte, das Frühstück zuzubereiten. Wie selbstverständlich gesellte er sich in der Absicht zu ihr, ihr zu helfen.

„Draco“, sagte sie freudestrahlend, bevor sie ihm einen Kuss auf die Lippen gab. „Wie geht es dir? Und wie war das Halloween-Fest? Erzähl! Bist du als Todesfee gegangen mit schwarzer Kutte?“
„Na ja, eine schwarze Kutte hatte ich schon getragen…“, sagte er innehaltend, bevor er sich zu ihr an die Arbeitsplatte begab und ihr bei der Zubereitung half.
„Als was denn dann?“, fragte sie lächelnd.

Als Todesser zu gehen war eine gute Idee gewesen, um den Mitschülern mal einen Denkzettel zu verpassen, aber schon die Auseinandersetzung mit Severus hatte ihm vor Augen geführt, wie kindisch sein Verhalten gewesen war. Seine Mutter war auch nicht gerade begeistert gewesen, aber nun Susan sagen zu müssen, welche Verkleidung er gewählt hatte, ließ ein Schamgefühl in ihm aufkommen, welches er selten in seinem Leben verspürt hatte.

„Ich hab eine Dummheit angestellt“, sagte er ruhig, ohne seine Augen von der Zwiebel abzuwenden, die er mit einem Spruch würfelte, um sie später zusammen mit den Eiern braten zu können.
Susan blickte ihn ganz ernst an und fragte vorsichtig: „Was denn für eine Dummheit?“
Er schluckte und hatte das Gefühl, eben seine eigene Antwort hinuntergeschluckt zu haben, weil er sie nicht geben wollte, doch er der Drang, ihr gegenüber ehrlich zu sein, war sehr groß und daher gab murmelnd zu: „Ich bin als Todesser hingegangen.“ Aus seinen Augenwinkeln erhaschte er einen Blick auf ihr Gesicht und sie wirkte nicht enttäuscht oder wütend, sondern besorgt und traurig.
„Warum gerade als Todesser?“, wollte sie wissen fragte sie mit betrübter Stimme.

Draco musste nochmals schlucken und er jetzt bemerkte er, dass es nicht die eigenen Worte waren, die er hinunterschlucken musste, sondern seine aufkommenden Tränen und er war erfolgreich. Im Nachhinein war es ihm peinlich, vor Lehrern und Schülern – vor Severus und Harry – so über die Stränge geschlagen zu haben.

„Ich weiß nicht“, murmelte er, während er nun das Weißbrot schnitt. „Vielleicht bin ich ein wenig rebellisch?“

Er hatte es scherzend klingen lassen wollen, doch sie hatte bemerkt, dass er diesen Satz nur holprig herausgebracht hatte. Sie fragte ihn nicht aus, aber sie dachte über sein Verhalten nach und da sie kein Wort mehr von sich gegeben hatte und er befürchtete, ihre Gefühle ihm gegenüber könnten sich wegen seines Benehmens geändert haben, sagte er niedergeschlagen und sehr leise: „Severus hat gesagt, es wird niemals weggehen.“
„Was wird niemals weggehen?“, wollte sie wissen.
Er ließ alles stehen und liegen, um sich zu ihr zu drehen und als sich ihre Blicke trafen, da erklärte er: „Das dunkle Mal. Ich werde es immer tragen.“ Wieder schluckte er kräftig, aber damit seine momentane Schwäche für sie nicht sichtbar werden würde, fügte er noch übertreibend hinzu: „Vielleicht werde ich in fünfzig, sechzig Jahren als lebendes Geschichtsobjekt von Schule zu Schule gereicht, damit jedes Kind mal sehen kann, wie das dunkle Mal auf dem Arm eines Todessers ausgesehen hat.“

Sie legte ihr Messer aus der Hand und umarmte ihn; drückte ihn fest an sich und daher, weil sie ihn nicht mehr sehen konnte, ließ er einer einzigen Träne freien Lauf.

Dicht an seinem Ohr sagte sie leise: „Jeder trägt irgendein Mal, dass ihn an die schlimmen Zeiten erinnert, Draco. Es muss nicht das dunkle Mal sein; es kann eine Kriegsverletzung sein oder eine Wunde im Herzen.“ Sie atmete tief durch, bevor sie hinzufügte: „Du kennst meine Schulter, Draco. Das wird auch nie weggehen.“

Auf ihrer Schulter befand sich eine Narbe, die sie durch eine klaffende Wunde zurückbehalten hatte. Eine Wunde, die ihr durch den Fluch eines Todessers beigebracht worden war. Das Schlimmste hatte man heilen können, doch diese unförmige eine Narbe, lang und breit wie ein Finger und über einen Zentimeter tief ins Fleisch eingekerbt, würde für immer bleiben.

„Du müsstest mal Harrys Rücken sehen“, sagte sie still.
Er drückte sie sanft von sich weg und fragte ein wenig erbost: „Wieso kennst du Harrys nackten Rücken?“
Sie lachte auf, bevor sie ihn beruhigte und erklärte: „Schon vergessen? Ich war in seinem Team; im Orden. Wir alle sind oft gemeinsam losgezogen, wenn wir Informationen darüber erhalten hatten, wo sich…“ Sie beendete den Satz nicht, denn es war klar, dass sie „Todesser“ gemeint hatte. „Die feigen Hunde haben ihn sehr häufig von hinten angegriffen, aber wir wussten das und haben ihm immer den Rücken gedeckt. Trotzdem sind ein paar Flüche durchgedrungen.“ Sie legte ihren Kopf an Dracos Schulter und schilderte: „Ron hat es einmal böse am Knie erwischt und er hatte schon seinen Traum begraben, einmal ein berühmter Quidditch-Spieler werden zu können. Luna hat eine lange Narbe an ihrem Kopf, aber durch ihr langes Haar sieht man sie nicht und Hermine…“
Susan verstummte, denn sie hatte versprochen, niemandem von dieser Wunde zu erzählen, aber Draco wollte es wissen und wiederholte auffordernd: „Und Hermine?“
„Darf ich nicht sagen, ich hab’s versprochen.“
„Wo ist sie verletzt worden?“, fragte er neugierig.
Sie verließ seine warme Schulter und lächelte, bevor sie den Kopf schüttelte, doch dann sagte sie: „Rechter Unterschenkel, aber mehr bekommst du aus mir nicht heraus. Außerdem müsste ich dich töten, wenn ich erfahren sollte, dass du das jemals irgendjemandem…“
Draco unterbrach sie mit einem Kuss, bevor er klarstellen wollte: „Diese Kriegswunden sind etwas anderes als das, was ich trage.“
„Sind sie das? Sie sind nicht vergehende Erinnerungen an Entscheidungen, die wir einmal getroffen hatten. Ich weiß, warum du es trägst und unser Kind wird es später auch erfahren und zwar von seinem Vater persönlich. Ich glaube nicht, dass er oder sie“, sie strich sich über den Bauch, „dich verurteilen wird, weil du alles darangesetzt hattest, deine Familie in Sicherheit zu wissen.“

Noch während sie den Frühstückstisch deckten, diskutierten sie ruhig darüber, dass Draco die Schule nicht beenden wollte. Letztendlich wäre es seine Entscheidung, hatte Susan gesagt, doch sie hatte ihn dazu bringen können, zunächst abzuwarten, was Dumbledore zu der ganzen Sache sagen würde. Außerdem hatte Susan ein Argument hervorgebracht, welches ihn dazu bewegt hatte nachzudenken, denn sie hatte gefragt, ob er wirklich möchte, dass alle Schüler – und wenige waren es nicht gewesen – ihn mit seinem Auftritt als Todesser in Erinnerung behalten sollten, denn wenn er dem Unterricht jetzt fernbleiben würde und er die Schule nicht beenden sollte, würde das das Letzte darstellen, das sie mit ihm in Verbindung bringen würden: Draco in einer Todesserrobe.

Draco und Susan begannen ausgiebig zu frühstücken und derweil – in seinen Kerkern sitzend und wartend – blickte Severus auf das Tablett, welches ihm eine neue Hauselfe namens Shibby, die auch noch den Nerv besessen hatte, sich ihm persönlich vorstellen zu müssen, vor zwanzig Minuten gebracht hatte. Hermine war noch immer nicht von ihrem Spaziergang mit seinem Hund zurück und Severus knurrte bereits der Magen. Er entschloss sich dazu, sich zumindest schon einmal einen Schluck Kaffee zu gönnen, während er weiterhin auf sie wartete und er seinen Magen mit dem wohlriechenden Duft des Essens quälte, welches er allein nicht anrühren wollte. Es stimmte ihn misslaunig, dass sie sich so viel Zeit nahm und ihn warten ließ. Für einen Moment überlegte er, ob dies möglicherweise eine kleine Revanche für sein Verhalten in letzter Zeit sein könnte, doch andererseits war es nicht ihre Art, die stumme Eingeschnappte zu spielen. Sie war eher der Typ, der ihn verbal mit unschönen Situationen konfrontierte – oder aber „handgreiflich“ werden konnte, wenn sie sich ihm nicht gewachsen fühlte. Er dachte in diesem Moment daran, wie sie ihn mit Seegras beworfen hatte und er musste deshalb tatsächlich schmunzeln, denn im Nachhinein fand er es komisch.

Während er auf der Couch saß und wartete, wurde ihm erst bewusst, wie sehr sein Hund ihm die Einsamkeit im Leben nahm. Wäre er jetzt bei ihm, würde er längst neben Severus an der Couch sitzen und brav warten, bis „zufällig“ etwas vom Teller fallen würde. Das Betteln hatte er ihm von Anfang an abgewöhnt und der Hund hatte schnell verstanden, dass er gar nichts bekommen würde, sollte er sich aufdringlich verhalten. Im Beisein von Harry oder Hermine hatte er seinem Haustier jedoch nie etwas gegeben. Rückblickend hatte Severus sich schon häufig Gedanken darüber gemacht, was ein nur wenige Wochen alter Welpe im Verbotenen Wald zu suchen gehabt hatte. Als er deswegen eines Tages Hagrid angesprochen hatte, konnte der Halbriese nur mit den gigantischen Schultern zucken, denn auch er hatte keine plausible Erklärung parat. Der Hund war kein Animagus und auch kein magisches Wesen, denn das hatte Severus bereits ausführlich getestet. Harry war ein ganz normaler Hund, der unter mysteriösen Umständen allein im Wald darauf gewartet hatte, von Severus gefunden zu werden.

Die Tür zu seinem Wohnzimmer öffnete sich und Hermine trat herein, dicht gefolgt von Harry, der ihn gleich grüßte und fragte: „Haben Sie etwas dagegen, wenn ich auch mit Ihnen frühstücke?“
„Nein, warum sollte ich?“, gab Severus gelangweilt klingend zurück.
Hermine zog sich ihren Umhang aus und hängte ihn an den altmodischen Garderobenständer und auch die Leine verstaute sie ordentlich an ihrem Platz, bevor sie sich neben Severus setzte und erklärte: „Ich habe Harry auf dem Flur getroffen. Er wollte heute mit dem Hund rausgehen und da sind wir eben zusammen spazieren gegangen. Tut mir Leid, wenn ich deswegen die Zeit vergessen habe.“
„Nun sind Sie ja hier. Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich bereits etwas Kaffee zu mir genommen habe“, sagte Severus, bevor er den Anfang machte und hungrig über das Frühstück herfiel.

Mit ihrem Zauberstab wutschte Hermine ein drittes Gedeck herbei, so dass Harry, der gegenüber Platz genommen hatte, sich auch etwas auftun konnte.

Während Severus sich am Cheddar gütlich tat, erzählte Harry aufgebracht, als sei es ihm eben erst eingefallen: „Morgen Abend findet ein Ordenstreffen statt! Albus hat gesagt, ich könnte vorbeikommen und mir alles anhören und ich kann auch euch beide und Ginny mitbringen!“
„Wie überaus großzügig von ihm“, sagte Severus herablassend.
Hermine war jedoch begeistert und sagte enthusiastisch: „Ich komme mit!“
„Was ist mit dir?“, fragte er Severus, der ihn daraufhin starr anblickte, jedoch nicht antwortete. „Was ist? Habe ich etwas getan?“, wollte Harry wissen.
Severus räusperte sich und brachte es auf den Punkt: „Ich habe Ihnen nie die Erlaubnis gegeben, mich so persönlich anzusprechen.“
Weil Harry völlig entgeistert seinen Kollegen anschaute, klärte Hermine die Situation auf: „Du hast ihn eben geduzt, Harry.“
„Hab ich? Ist mir wirklich nicht aufgefallen. Entschuldigung, kommt nicht wieder vor“, versicherte Harry, der sich noch immer nicht bewusst darüber war, dass er das wirklich getan haben sollte. Dann wollte er plötzlich wissen: „Was muss man tun, damit Sie es einem anbieten?“

Hierauf hatte Severus keine Antwort parat, so dass er darüber nachdenken musste, in welchen Situationen er wem die Erlaubnis dazu erteilt hatte. Black konnte er den Mund nicht verbieten, denn der nannte ihn nach Belieben beim Vor- oder Nachnamen und benutzte abwechselnd höfliche oder vertraute Anreden, was alles besser war als das verhasste Schimpfwort. Lupin hielt weiterhin an der alten Gewohnheit aus der Schule fest, ihn zu duzen und mit Vornamen anzureden, was nicht bedeutete, dass Severus es ihm gleichmachen wollte. Albus war eine Ausnahme, denn der Mann würde ihn wahrscheinlich auch duzen, selbst wenn Severus es sich jetzt nach all den Jahren verbitten würde. In ernsten Momenten war auch Poppys Anrede persönlicher, wogegen er nichts einzuwenden hatte. Da war noch Linda, seine damalige Freundin. Freunde würden sich in der Regel persönlich anreden und Harry und Hermine, das hatte er beiden gegenüber bereits erwähnt, bezeichnete er als seine Freunde. Sein Inneres meuterte jedoch, denn vom Gefühl her war es nicht der richtige Zeitpunkt und ob der jemals kommen würde, war nicht vorhersehbar.

„Ich sehe keinen Nutzen darin, Ihnen oder Ihnen beiden eine persönliche Anrede zu gestatten“, erklärte Severus trocken.

Harry war wie vor den Kopf gestoßen, während Hermine einerseits mit so einer Reaktion gerechnet hatte, sich aber andererseits schroff zurückgewiesen fühlte.

„Wenn Sie beide Ihre Sprache wiedergefunden haben, würde ich gern über unseren morgigen Auftritt beim Ordenstreffen reden“, sagte er in dem gleichen, nüchternen Tonfall, den er gewöhnlich benutzte. Er blickte abwechselnd Harry und Hermine an, bevor er amüsiert vermutete: „Aber wie es aussieht, kann das noch eine Weile dauern.“

Harry nutzte Hermines Sprachlosigkeit und sagte ein wenig enttäuscht klingend: „Albus hat uns eingeladen und ich soll Bescheid geben, wer alles kommen wird, weil Molly Abendessen für alle machen möchte. Wie sieht es aus?“
„Ich werden kommen! Um welche Uhrzeit findet das Treffen statt?“, wollte Severus wissen.
„Abends um neun. Ich werde mit Ginny schon um acht dort sein, damit wir uns etwas mit Arthur und Molly unterhalten können“, erklärte Harry.

Wegen der baulichen Begebenheiten befand sich in Severus’ privaten Räumen nur ein einziges Oberlicht im Schlafzimmer und durch dieses Oberlicht hatte sich eine Posteule gezwängt, die Severus einen Brief brachte, den er aber nicht öffnete. Hermine erkannte die Handschrift, denn sie hatte schon einmal einen Brief von der Absenderin in der Hand gehalten.

„Oh, schreibt Linda Ihnen wieder?“ Er nickte lediglich und langte beim Rührei zu. „Was schreibt sie denn so?“, wollte Hermine wissen. Wegen ihrer Neugierde blickte er sie strafend an, so dass sie es für besser hielt, den Mund zu halten.
Harry schritt ein und fragte nichts ahnend, obwohl er genau wusste, was Sache war: „Wer ist denn Linda?“
Severus war sichtlich genervt, dass dieses Thema aufgekommen war, doch trotzdem gab er, wenn auch recht aggressiv klingend, eine Antwort, indem er sagte: „Eine Lebenspartnerin aus vergangenen Tagen.“ Harry öffnete schon den Mund, um frech nachzuhaken, doch Severus verbat sich das, indem er drohend zischte: „Das reicht als Information!“

Die Stimmung war auf dem Nullpunkt, dachte Harry und es war allein seine Schuld, weil er zu sehr gebohrt hatte. Doch immerhin wusste er jetzt offiziell von der Dame, die Severus und Hermine neulich getroffen hatten. Wenn es ihm damals als Schüler auch unvorstellbar schien, so konnte er sich heute gut vorstellen, dass Severus früher eine Lebensgefährtin gehabt hatte. Als seine erste Freundin konnte er Cho betrachten, während Ginny für ihn immer diejenige gewesen war, die er von Herzen liebte.

Um die düstere, stille Atmosphäre wieder etwas zu enteisen, erzählte Harry stolz: „Wissen Sie was, Severus? Ich bekomme ein Denkarium!“
Severus blickte auf. Sein Erstaunen stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Tatsächlich? Diese Becken sind nicht gerade erschwinglich und selbst wenn das Vermögen für die Anschaffung ausreichen sollte, heißt das noch lange nicht, dass man eines der seltenen Denkarien, die es gibt, auch angeboten bekommt. Woher…“
Unterbrechend erklärte Harry: „Ein guter Freund des Vaters von Angelina ist verstorben und…“ Er verstummte, denn auch wenn es Zufall gewesen war, wie er zu diesem Erbstück gekommen war, so hörte es sich doch scheußlich an, wenn er die Umstände schilderte.
Um ihn zum Weiterreden zu bringen, wiederholte Severus seine letzten Worte: „…ist verstorben und…?“
„Na ja, er wusste, dass ich gern ein Denkarium gehabt hätte und da hat man mich offensichtlich im Testament bedacht“, erklärte Harry am Ende hin sehr leise.
„Sie werden viel Freude daran haben, wenn ich auch vermuten muss, dass Sie über den sinnvollen Zweck eines Denkariums leider keinen blassen Schimmer haben, weil Sie es als reines Instrument der Unterhaltung sehen werden“, sagte Severus, der seinen Teller mit dem letzten Happen Toast leer gegessen hatte und sich nun eine vierte Tasse Kaffee einschenkte.
Hermine, die die ganze Zeit still gewesen war, warf ein: „Was für einen Zweck sollte ein Denkarium schon haben? Man kann dort Erinnerungen ablegen und sie sich immer wieder ansehen.“
Nur widerwillig stimmte Severus zu und sagte: „Ja, das ist lediglich die Grundidee.“
Zu seiner Tasse greifend wollte Harry wissen: „Wollen Sie es mal sehen, wenn es da ist?“
Mit steinerner Miene blickte Severus seinen jungen Kollegen an, bevor er erwiderte: „Ja gern! Und ich versichere Ihnen“, Severus verengte seine Augenlider, „dass ich Ihrem Denkarium mit dem gleichen Respekt gegenübertreten werde wie Sie es getan haben!“

Es war zu hören, dass Harry kräftig schlucken musste. Sein Gesicht war von Reue gezeichnet, als er klarstellte: „Ich habe Ihnen gesagt, dass mir das sehr Leid tut, Severus. Und ich schwöre, dass ich bis heute niemandem – nicht Ron, Ginny oder Hermine – davon erzählt habe und das werde ich auch nicht tun!“

Diesmal war Hermine wirklich nicht klar, um was genau es ging, denn sie wusste weiter nichts als dass Harry einmal eine Erinnerung von Severus gesehen haben musste. Als Severus sie plötzlich eindringlich anblickte, hob und senkte sie einmal ruhig ihre Schultern, bevor sie leise und nicht sehr ernst sagte: „Es wäre jetzt wahrscheinlich unangemessen darum zu bitten mich aufzuklären oder?“

Wegen des gestrigen Vorfalls während des Halloween-Festes fragte Harry interessiert: „Haben Sie irgendwas von Draco gehört? Will er die Schule wirklich hinwerfen?“ Weil Severus ihn so verdattert anblickte, erklärte Harry: „Man konnte gestern in der großen Halle fast alles hören, was Sie beide gesagt haben.“
Die Fassung hatte er schnell wiedererlangt, bevor er gefühlskalt entgegnete: „Ich habe Mr. Malfoy seit dem Vorfall nicht mehr gesehen oder gesprochen und ich habe auch kein Verlangen danach.“

Für Hermine und Harry war klar, dass Severus wegen Dracos Auftritt noch immer sehr übellaunig war, wenn er von ihm als „Mr. Malfoy“ sprach.

Unberührt informierte Severus seine Gäste: „Er hat am Montag eine Unterredung mit Albus.“
„Albus“, wiederholte Harry leise für sich. „Haben Sie eigentlich schon mit Albus gesprochen? Ich meine, wegen der ganzen offenen Fragen.“
„Nein, aber vielleicht habe ich am Montag die Gelegenheit dazu, denn auch ich bin“, Severus seufzte, „zum Tee eingeladen. Doch selbst wenn ich nicht dazu kommen sollte, ihn zu fragen, werde ich sicherlich nicht davor zurückschrecken, mal zum See zu spazieren, um sein Grab zu inspizieren“, sagte Severus trocken.
„Oh, darf ich da mitkommen?“. Hermine hatte überaus enthusiastisch geklungen, fast so als hätte er eben von einem Picknick am See gesprochen.
Spöttisch fragte Severus zurück: „Wegen des Spaziergangs oder um einen Blick in das Grab zu werfen?“
Sie lächelte frech und antwortete: „Beides!“

Nach dem Frühstück war Harry gegangen, weil er den Tag mit Ginny und Nicholas verbringen wollte, während Hermine bei Severus in den Kerkern geblieben war, doch anstatt miteinander zu reden, saßen sie weiterhin auf der Couch und schwiegen sich an.

Hermine betrachtete den Hauself dabei, wie der den Tisch abräumte und sie überlegte, ob sie Severus wegen seiner Farben ansprechen sollte, denn der schien nach der Erwähnung von Dracos Auftritt und dem Thema „Linda“ nicht in bester Laune zu sein. Würde sie jetzt auf die Nebenwirkung des Trankes zu sprechen kommen, würde er ihr sicherlich den Hals umdrehen wollen. Sie entschloss sich dazu, heute nichts dergleichen anzusprechen.

Der letzte Schluck Kaffee war getrunken und gleich darauf fragte Hermine: „Was wollen wir heute zusammen machen?“
„Was meinen Sie?“, fragte er verdutzt.
„Irgendeinen Trank brauen? Ab und zu muss ich als Ihre Schülerin auch zeigen, dass ich es drauf habe“, sagte sie lachend. „Sie haben doch gesagt, sie hätten die Dracheneierschalen mit einem Haltbarkeitszauber belegt.“ Er nickte, so dass sie mit ihrem Vorschlag herausrückte: „Da standen einige interessante Tränke in dem Buch. Vielleicht könnten wir noch einen davon…?“
Mit flehenden Augen und einem Lächeln auf den Lippen blickte sie ihn an, weshalb er fragte: „Welcher Trank schwebt Ihnen denn vor?“
„Ich glaube, der hieß ’Auditexag’?“
„Ah, Sie möchte Ihr Gehör verstärken. Ich rate davon ab, dies am Tage zu tun und schon gar nicht an einem Ort, an welchem Kinder und Jugendliche überall und stetig plappern. Wahrscheinlich würde man seinen Verstand verlieren, bei dem ganzen vorpubertären Getratsche und dem hysterischen Gekicher“, sagte er schmunzelnd, doch seine Einwände leuchteten ihr ein.
„Wie wäre es nochmal mit dem ’Adlerauge’?“, fragte sie vorsichtig.
Der befürchtete Wutausbruch blieb aus, aber dennoch verneinte Severus und empfahl: „Lieber etwas anderes. Wenn wir jetzt rechtzeitig beginnen, könnten wir zum Abendessen fertig sein und mit verstärkten Geschmäckern das Mahl der Hauselfen genießen“, schlug er vor und an der Idee fand sie Gefallen.

Sie waren noch nicht ins Labor gegangen, denn Hermine hatte eine Unterhaltung begonnen und fragte nun wissbegierig: „Haben Sie schon eine Ahnung, wie Albus den Avada überlebt haben könnte?“
Er schürzte die Lippen und wählte wohlüberlegt seine Worte, bis er endlich antwortete: „Ich habe viele Vermutungen.“ Er blickte sie an und erklärte: „Albus hatte niemals Angst vor dem Tod, was bedeutet, dass er mit der Vortäuschung seines Ablebens nicht sein eigenes Leben schützen wollte. Das wiederum lässt mich vermuten, dass er schon lange Zeit etwas geplant haben musste, nämlich Black ebenfalls ’aus dem Weg zu räumen’ und danach sich selbst.“ Eine Braue formte einen ebenmäßigen Bogen über seinem Auge, bevor er anfügte: „Natürlich alles zum Wohle von Harry.“
Nun lag es an ihr, ein wenig nachzudenken. „Wenn es nichts Schwarzmagisches gewesen war, was er Sirius gegeben und später auch selbst eingenommen hatte; wenn es nicht einmal etwas war, das man erst brauen muss, um was könnte es sich dann handeln?“
„Um an diesem Punkt weitere Theorien aufstellen zu können, wäre es interessant zu wissen, ob sich ein Körper in Albus’ Grab befindet“, warf er ein.
„Weshalb? Glauben Sie etwa, trotzdem Albus hier herumläuft, dass sein Körper im Grab liegen könnte? Sagen Sie bitte nicht, dass der Direktor nicht ’unser’ Direktor ist.“ Sie klang ein wenig verängstigt.
„Nein, das möchte ich nicht behaupten. Es handelt sich, wie Sie es so schön ausgedrückt haben, um ’unseren’ Albus, aber ich habe einmal von einer besonderen und seltenen Fähigkeit gelesen. Warten Sie, ich hole das Buch.“

Severus entnahm einer Schublade das Buch mit dem Titel „Die zwölf Briefe der Cassandra Trelawney“, welches Hermine schon einmal in der Hand gehalten hatte, als sie das erste Mal allein in Severus’ Labor wegen Harrys Gabe geforscht hatte. Er reichte es Hermine, die es auf ihren Schoß legte. Trotzdem war er es, der in den Seiten blätterte, bis er das Kapitel über Doppelgänger gefunden hatte. Sie las es und zwang sich dazu, nicht jeden Satz gleich dreimal verschlingen zu wollen.

„Das wäre natürlich eine Erklärung, wenn ich davon auch noch nie etwas gehört habe“, sagte Hermine.
„Wir können gern, wenn Albus sich am Montag wieder herauswinden sollte, am Abend sein Grab aufsuchen und einfach nachschauen“, sagte er verschwörerisch klingend.
„Und wenn wir keine Leiche finden sollten?“, wollte sie wissen.
„Dann wissen wir, dass er nicht über die Gabe des Doppelgängertums verfügt“, antwortete er gewissenhaft.
„Wenn wir eine Leiche finden sollten, dann würde das doch aber bedeuten, dass es sich doch nicht um ’unseren’ Albus handelt, sondern um eine Kopie, die er von sich angefertigt hat“, vermutete sie leise.
Severus nickte und seine Augen senkten sich langsam zu Boden, bevor er mit bebender Stimme sagte: „Es würde aber noch etwas anderes bedeuten, nämlich dass ich Albus damals auf dem Astronomieturm tatsächlich ermordet habe.“

Sie bemerkte, dass ihm dieser Gedanke schwer zu schaffen machte. Das jahrelange quälende Wissen, Albus ermordet zu haben, war nach dem Sieg über Voldemort mit einem Schlag wie ausradiert gewesen, nachdem der vermeintlich Tote auf der Bildfläche aufgetaucht war. Severus wollte nicht noch einmal mit der Schuld leben, die so schwer auf ihm gelastet hatte.

Leise sagte Hermine: „Aber es wird doch niemand erfahren.“
„ICH werde es wissen!“, belferte er, so dass sie kurz zusammenzuckte. Er fuhr aufgeregt mit einer Hand durch seine fransigen, glänzenden Haarsträhnen und fügte ruhiger hinzu: „Sollten wir eine Leiche finden, würde dies bedeuten, ich hätte das Original ermordet und diese herumwandelnde Kopie wäre das Einzige, das mich vor Askaban bewahrt. Ich hätte gut Lust, gleich jetzt an den See zu gehen. Der Gedanke ist…“ Es war für ihn unerträglich, womöglich doch Albus’ Mörder zu sein.
„Sollte dort wirklich eine Leiche liegen, würde das höchstens untermauern, dass Sie nur seine Marionette gewesen waren, Severus. Machen Sie sich keine Sorgen, denn Sie haben in seinem Sinne gehandelt“, sagte sie beruhigend, doch ihre Worte schienen ihn eher aufzuwühlen.
„Glauben Sie, ich würde mit diesem Gedanken leben wollen?“, fragte er spöttisch.
„Warum haben Sie es denn überhaupt getan, wenn der Gedanke daran so…“
Er unterbrach sie barsch und erklärte: „Ich habe nie damit gerechnet, den Krieg lebend zu überstehen. Ich habe das getan, was man von mir verlangt hat, denn ich hatte ja nichts zu verlieren!“ Severus atmete heftig. „Als ich mit Draco zurück nach Hogwarts gekommen bin, da hatte ich mich darauf eingestellt, dass dies mein letzter Tag auf Erden sein würde und diese Vorstellung war nicht einmal beängstigend, weil ich es für mein Schicksal gehalten habe. Mein einziges Ziel war es, Voldemort endgültig tot zu sehen.“ Er schüttelte leicht den Kopf. „Jede Minute hatte ich mit meinem Tod gerechnet und dann“, seine Stimme wurde leiser, „war plötzlich alles vorbei“. Er schluckte kräftig, bevor er flüsternd fortfuhr: „Und ich war enttäuscht.“ Damit sie ihn nicht falsch verstehen würde, erklärte er noch: „Enttäuscht, dass ich mich in meinem Schicksal geirrt haben sollte.“
Sie verstand ihn gut und fühlte mit ihm, doch er schien eines nicht zu verstehen, weswegen sie sagte: „Es war Krieg gewesen! Jeder hatte persönliche Opfer bringen müssen und Ihr Opfer war es gewesen, Albus zu…“
Er unterbrach zornig und blickte sie an, als er böse zischte: „Sie brauchen mir nicht wie einem Kind zu erklären, dass ein Krieg viele Opfer mit sich bringt, Miss Granger.“ Sein Zorn ließ ihn wieder seine Distanz zur ihr aufbauen. „Glauben Sie ja nicht, dass Albus der Erste gewesen war, der durch mich den Tod gefunden hatte. Ich habe genug Menschen ins Grab befördert.“

Hermines Herzschlag hatte sich beschleunigt wie auch ihre Atmung. Severus war momentan wie früher: ein griesgrämiger Lehrer, listiger Spion, heimtückischer Todesser. Er war bösartig und wirkte gefährlich und sie glaubte, jeden Moment damit rechnen zu müssen, dass er sie verbal niedermachen oder er ihr sogar einen Fluch auf den Hals hetzen würde.

Der gryffindorsche Mut war jedoch ein Teil von ihr, aber vor allem war er noch vorhanden, so dass sie, wenn auch recht leise und sehr unsicher, konterte: „Sie brauchen gar nicht zu denken, dass Sie der Einzige in diesem Raum sind, der Menschen töten musste, um selbst am Leben zu bleiben.“

Sie wollte ihm damit eigentlich nur vor Augen halten, dass auch sie Leben auf dem Gewissen hatte wie alle anderen auch, wie Harry, Ron und selbst Neville und Luna. Die aufflackernden Erinnerungen an die vielen Kämpfe, die sie hatte bestreiten müssen, um Harry bei der Suche nach den Horkruxen zu helfen, brachten jedoch auch unverhofft Erinnerungen an die Menschen zurück, die durch ihre Hand den Tod gefunden hatten. Die auf ihrer Seele lastende Schuld, die sie durch die vielen Gespräche mit ihren Freunden längst bewältigt glaubte, überflutete schlagartig ihr Bewusstsein, so dass sie ihre Traurigkeit gar nicht mehr aufhalten konnte. Schuld war nämlich eines der Gefühle, das immer bleiben würde. Neville hatte damals nach einem Kampf zu ihr gesagt, dass er nur damit leben konnte, weil Notwehr und Verteidigung sein Handeln rechtfertigen würde und dass sie sich das immer vor Augen halten sollte. Hermine hatte daraufhin versucht, sich nicht weiter zu fragen, in wessen Schicksal sie eingegriffen hatte, wessen Leben sie genommen hatte. Um ihr eigenes Leben und das ihrer Freunde retten zu können, hatte sie auch über Leichen gehen müssen.

Obwohl Tränen über ihre Wangen liefen, weinte sie nicht ersichtlich. Hermine senkte ihren Blick und betrachtete die Hände in ihrem Schoß und erst da bemerkte sie, dass diese wegen der scheußlichen Erinnerungen an den Krieg und die vielen Kämpfe wie wild zitterten.

Nach einer lang anherrschenden Stille hörte sie Severus’ Stimme, der reumütig sagte: „Es tut mir wirklich Leid, Hermine. Ich wollte keine schlimmen Erinnerungen wecken.“

Sie war kein unschuldiges Mädchen, welches das Glück gehabt hatte, behütet und fernab aller Grausamkeiten aufzuwachsen. Sie hatte mit ansehen müssen, wie Verbündete gestorben waren, deren Wunden sie nicht heilen konnte. Sie hatte sich gegen Zauberer und Muggel verteidigen müssen, die ihr Versteck ausfindig gemacht hatten und nur einem Ziel nachgegangen waren, nämlich alle Feinde zu töten. ’Besser die als wir’, war die Maxime gewesen, die Dean aufgestellt hatte, und jeder hatte sich daran gehalten.

Ohne auf seine Entschuldigung einzugehen, wimmerte Hermine herzerweichend, weil sie es einfach loswerden wollte: „Ich habe Menschen getötet, die unter Imperius gestanden haben. Es waren Unschuldige! Aber hätte ich sie nicht aufgehalten…“ Sie presste ihre Lippen zusammen und zog die Nase hoch, als sie plötzlich ein weißes Tuch vor Augen hatte. Severus hatte ihr sein Taschentuch gereicht.

Für seinen Vorschlag, nun mit der Arbeit zu beginnen, war Hermine mehr als dankbar, denn so konnte sie sich schon immer am besten ablenken.

Abends in der großen Halle fiel Hermine am Lehrertisch besonders auf, weil sie bei allem, was sie aß, genüsslich innehielt und sich das Essen auf der Zunge zergehen ließ. Jedes Mal entwich ihr dabei ein wohliges Stöhnen, welches ihr Entzücken zum Ausdruck brachte und Harry runzelte daher verdattert die Stirn. Selbst Severus verhielt sich anders als sonst, denn auch er genoss sichtlich die exquisite Küche der Hauselfen.

Beim Dessert, einem stinknormalen Vanillepudding, hatte Harry genug und er lehnte sich mit seinem Löffel in der Hand vorbei an Severus, um ungefragt etwas von Hermines Dessert zu stibitzen, um zu sehen, ob es besser schmecken würde als sein eigenes. Sie störte sich nicht daran, sondern grinste nur verstohlen. Während sie genüsslich weiteraß, nahm Harry skeptisch den Happen gelben Naschwerks in den Mund, konnte aber geschmacklich keinen Unterschied ausmachen.

Dreist steuerte seine mit dem Löffel bewaffnete Hand auf Severus’ Schälchen zu, doch da zischte sein Kollege drohend: „Wagen Sie ja nicht, Ihren mit Speichel besudelten Löffel in meine Süßspeise zu tauchen.“
„Das schmeckt völlig gleich, Hermine! Ich weiß wirklich nicht, warum du so ein Theater um einen Vanillepudding machst“, sagte er an Severus vorbei, doch Hermine lächelte nur geheimnisvoll und überlegte, ob sie ihm später von dem Trank erzählen sollte, der den Geschmackssinn verfeinerte und Gutes noch besser schmecken ließ.
Zuletzt geändert von Muggelchen am 25.01.2011 22:57, insgesamt 1-mal geändert.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
~ Muggelchen.net ~

Benutzeravatar
Muggelchen
EuleEule
Beiträge: 345
Registriert: 07.06.2008 22:29
Wohnort: Gemälde im 1. Stock

Beitrag von Muggelchen »

109 Gesetze der Zaubererwelt




Sonntagabend saß Kingsley Zuhause an seinem Schreibtisch und verbrachte wie üblich seine Freizeit damit, den neuen Gesetzestext, den freiwillige Helfer aufgrund seiner Vorgaben fertiggestellt hatten, durchzugehen und zu korrigieren. Für Werwölfe sollte weiterhin gelten, dass sie mit einem Tränkepass die Einnahme des Wolfsbanntranks bestätigen müssten. Weil die Infizierten jedoch meist finanziell benachteiligt waren, wollte man ihr Problem zu dem des Ministeriums machen, so dass sie den Trank auf Kosten der Regierung erhalten sollten. Als Arthur sich neulich einen Überblick über die Finanzen verschafft hatte, hatte er nämlich bemerkt, dass die vorherigen Minister alle ziemlich knauserig gewesen sein mussten, denn die Kassen waren voll und das trotz eines vorangegangenen Krieges. Arthur hatte gesagt, dass mit jeder Unterschrift, die ein Zaubertränkemeister auf dem Tränkepass eines Werwolfs hinterlassen würde, zwölf Galleonen auf dessen Konto fließen sollten. Demzufolge konnte sich jeder Werwolf selbst aussuchen, welchen Zaubertränkemeister er aufsuchen wollte oder er musste sich einfach ins St. Mungos begeben, um sich dort seine Tränke zu holen.

Die Arbeitsgesetze für Werwölfe waren ebenfalls geändert worden und nach den neuen Vorschriften sollte es keinem Werwolf mehr verboten sein, bestimmte Berufe auszuführen. Lediglich zur Zeit des Vollmondes und je einen Tag vorher und nachher sollten sie einer Beschäftigung nicht nachgehen dürfen. Weiterhin galt, dass diejenigen, die absichtlich oder unbeabsichtigt den Trank nicht einnehmen würden, mit einer lebenslangen Haftstrafe oder – je nach Schwere eines Falles – auch mit einer Todesstrafe zu rechnen hatten, womit man an das Gewissen und das Pflichtbewusstsein appellieren wollte.

Das Ministerium hoffte, mit dieser begünstigenden Regelung die bisher nicht gemeldeten Werwölfe aus ihren Verstecken zu locken; jene, die sich ihren Trank selbst oder aber heimlich von jemand anderem haben brauen lassen oder – was viel schlimmer war – niemanden hatten, dem sie sich bisher hatten anvertrauen können und damit monatlich eine Gefahr für Zauberer und Muggel darstellten, weil sie als ungebändigte Bestien die Wälder unsicher machten. Das erste Mal könnte man sich auf diesem Wege einen Überblick über die tatsächliche Population der Werwölfe verschaffen.

Die Eheschließung und Familiengründung eines Werwolf war eine Angelegenheit gewesen, der besonders Kingsley seine ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt hatte, denn es gab keinerlei Studien darüber, ob gezeugte Kinder die Infektion in sich tragen würden, was auch der Grund gewesen war, weshalb man damals die entwürdigenden Kastrationsgesetze erarbeitet hatte. Bevor Kingsley hier eine Entscheidung treffen wollte, musste er Nachforschungen betreiben, was den natürlich gezeugten Nachwuchs eines Werwolfs betraf. Das stellte jetzt schon ein Problem dar, denn sicherlich würde kein Werwolf zugeben, ein Kind zu haben, weil es gesetzlich verboten war und mit Askaban bestraft werden würde. Vielleicht gab es aber längst solche Kinder und mit denen könnte man beweisen, dass der Nachwuchs eines Werwolfs womöglich nicht automatisch infiziert sein würde.

„Ich werde Remus fragen müssen. Der kennt hoffentlich ein paar Werwölfe oder weiß, wo ich nachschauen muss“, sagte Kingsley zu sich selbst, bevor er diesen Punkt fett markierte und dann zum nächsten sprang.

Auf keinen Fall wollte er Ehe und Familienplanung einfach absegnen, falls die Kinder tatsächlich allein aufgrund ihrer Abstammung infiziert sein würden und man dank der unüberlegten Gesetzesänderung plötzlich einen enormen Populationsanstieg an Werwölfen verzeichnen würde. Er benötigte Studien, bevor er das zulassen durfte!

Bei den Gesetzen zu Vampiren konnte man kaum etwas ändern, denn sie waren durch ihre Unberechenbarkeit sehr gefährlich. Höchstens im Arbeitsrecht könnte man aufgeschlossener sein, doch man müsste leider weiterhin mit Übergriffen rechnen, weil nicht jeder Vampir seine Instinkte so gut beherrschen konnte wie Sanguini, der Kingsley bisher eine große Hilfe gewesen war. Wenn sogar Sanguini der Meinung war, dass man Vampire weiterhin an die kurze Leine nehmen müsste, dann dürfte Kingsley in diesem Punkt leider gar nichts ändern.

Das Gesetz über die Haltung von Hauselfen war noch nicht geändert worden, denn bisher war Kingsley noch nicht dazu gekommen, mit dem freien Hauself Dobby zu sprechen. Darüber hinaus wollte er auch die Meinungen von Hauselfen einholen, die bei Familien beschäftigt waren, doch die, mit denen er bereits eine Unterhaltung geführt hatte, hatten ihm nicht weiterhelfen können. Keine der Elfen konnte oder wollte negative Aspekte ihres Lebens nennen.

Die Zentauren würden sich hoffentlich freuen, dass man sich dazu entschlossen hatte, ihre Reservate zu vergrößern. Wenn Arthur es demnächst mit dem anderen Minister geklärt hätte und Albus mit den Zentauren sprechen würde, könnte man ihnen ein schönes Stückchen der Highlands geben: Ein dreieckig geformtes Gebiet zwischen Tomich, Levichie und Tomcrasky, welches über Wälder und Seen verfügte.

Kingsley stöhnte, denn diese Kleinigkeiten wie die Sache mit den Hauselfen hielten ihn auf, die neuen Gesetze fertigstellen zu können. Mit seinem Gewissen war es nicht zu vereinbaren, die Regelungen für die Elfen einfach so zu belassen wie sie waren. Sicherlich könnte er einfach niederschreiben, dass Hauselfen nicht herabwertend behandelt werden dürften, doch wenn sie niemals etwas gegen ihre Meister sagen würde, wäre das Gesetz völlig nutzlos.

„Harry“, sagte Kingsley zu sich selbst, denn Harry hatte einen Hauself, auch wenn er den bisher noch nie gesehen hatte. Vielleicht würde er Harry heute Abend auf dem Ordenstreffen sehen, denn beim letzten Mal hatten alle dafür gestimmt, dass zumindest Harry, Sirius und Severus den Versammlungen wieder beiwohnen sollten und Remus hatte verlauten lassen, dass man auch überlegen sollte, alle anderen wieder aufzunehmen, die Harry damals in den Orden gebracht hatte.

Am Abend apparierte Kingsley zum Grimmauldplatz Nr. 12 und er nahm all seine Unterlagen mit, an denen er arbeitete, um nach dem Treffen mit Arthur einige Punkte durchzugehen.

„Kingsley, komm rein, Junge“, sagte Alastor, der sich die Bezeichnung „Junge“ nur erlauben durfte, weil er älter war als Kingsley und sie sich sehr nahe standen.
„Guten Abend, Alastor. Schon jemand da?“, fragte Kingsley seinen Ordensbruder.
„Nur Molly, Arthur, Harry und Ginny, aber die waren schon vor einer Stunde gekommen. Von den anderen bin ich der Erste. Komm, wir setzen uns in die Bibliothek, bis das Treffen beginnt“, schlug Alastor vor.

Natürlich war Alastor wegen seines magischen Auges die dicke Mappe aufgefallen, die Kingsley unter seinem Umhang mit sich führte, weswegen er fragte: „Hast wohl deine Arbeit wieder mit nachhause genommen?“ Um seine Frage zu untermauern, klopfte er mit einem Knöchel auf die Stelle, an der Kingsleys Bauchmuskeln liegen müssten, doch man hörte einen dumpfen Ton. Alastor musste grinsen und Kingsley ließ sich davon anstecken, bevor er den unfertigen Gesetzestext unter seinem Umgang hervorholte.

Die beiden gingen an der Küche vorbei und Kingsley hörte die vertrauten Stimmen seiner Freunde, bevor sie gemeinsam in die Bibliothek gingen.

In der Küche hatte momentan Molly das Sagen, denn sie plante bereits: „Also, eure Hochzeit wird natürlich etwas größer ausfallen als die von Sirius. Ihr kennt ja auch viel mehr Leute.“

Sie blickte ihren Mann an und ihr schien ein ganz bestimmter Gedanke durch den Kopf zu gehen, den sie jedoch nicht ansprechen wollte. Für Harry sah es so aus, als wollte seine Schwiegermutter in spe Arthur dazu bringen, das Wort zu ergreifen, doch der nahm sich nur die Brille von der Nase und putzte sie, was für Ginny und Harry ein Zeichen dafür war, dass ihm die Situation unangenehm sein musste.

Die drei hatten geduldig darauf gewartet, bis Arthur mit dem Putzen seiner Brille fertig war, während der gehofft hatte, das Thema würde derweil gewechselt werden, aber diesen Gefallen hatte ihm niemand getan.

Er seufzte und erklärte dann widerwillig: „Na ja, Ginny ist ja meine Tochter und ich bin der Minister…“ Arthur beendete den Satz nicht, weswegen Molly ihn „versehentlich“ mit dem Ellenbogen an der Schulter streifte, als sie aufstand, um zum Herd hinüberzugehen. „Was ich also damit sagen möchte, ist…“
„Dad, bitte! Sag es einfach“, bat Ginny verzweifelt.
Gespannt lauschte Harry, als Arthur sagte: „Es wird euch nicht gefallen, aber es ist nun einmal so, dass ich Minister bin und wenn…“
„Hör nicht immer mitten im Satz auf“, nörgelte seine Tochter.
Wieder seufzte Arthur, bevor er endlich sagte: „Deine Heirat wird ein großes Ereignis für die Öffentlichkeit darstellen, gerade weil du Harry heiraten wirst, der ja auch nicht gerade… na ja… unbekannt ist.“
Harry öffnete bereits den Mund, doch Ginny kam ihm zuvor und meckerte: „Ihr wollt, dass wir eine öffentliche Sache draus machen mit Presse und Promis, richtig?“
Reumütig schüttelte Arthur den Kopf und erklärte: „Ich möchte das gar nicht, Liebes, aber es wird von mir erwartet. Man könnte es falsch verstehen, wenn…“ Plötzlich schlug er mit einer Faust auf den Tisch und sagte: „Wisst ihr was? Die können mich kreuzweise!“ Er lächelte zu Ginny und Harry hinüber und fügte hinzu: „Sollen die doch über mich schreiben, was sie möchten. Meine Tochter und mein Schwiegersohn dürfen so heiraten, wie sie es möchten und nicht, wie es von ihnen erwartet wird, basta!“

Es war nicht zu übersehen, dass Arthur sich trotzdem Gedanken darüber machte, was im Tagesprophet stehen könnte, sollte man nicht einmal die Presse zu so einem großen Ereignis laden. Es war nun einmal ein großer Event, denn es handelte sich immerhin um Harry Potter, der die Tochter des Ministers ehelichen würde.

„Habe ich dir doch gesagt“, warf Molly vom Herd hinüber, „dass man keine öffentliche Veranstaltung draus machen muss. Trotzdem kennen Harry und Ginny viel mehr Leute.“ Sie legte den Kochlöffel beiseite und nahm ein Handtuch, um den heißen Deckel wieder auf den Topf zu legen, bevor sie sich ihre Hände trocknete und zu Harry und Ginny sagte: „Ich brauche eine Gästeliste von euch!“
Ginny rollte mit den Augen, was Molly übersehen wollte und Harry grinste nur, bevor er fragte: „Willst du alles ganz alleine organisieren?“
„Ihr habt zugestimmt, dass ich darf!“, sagte sie mit erhobenem Zeigefinger.
Gelangweilt hob und senkte Ginny die Schultern und sagte zu Harry: „Dann haben wir wenigstens keinen Stress mit der Planung oder was meinst du?“
Er schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf, bevor er zu Molly sagte: „Gut, wir machen eine Liste fertig und schreiben ein paar Wünsche drauf und dann kannst du loslegen.“

Jetzt schien Molly wie von den Socken gehauen, denn sie wollte diese Aufgabe zwar an sich reißen, für ihre Tochter die Hochzeit organisieren zu dürfen, aber dass man es ihr tatsächlich überlassen würde, hatte sie so sehr überwältigt, dass sie eine Hand auf ihr Herz legen musste und dabei über das ganze Gesicht strahlte.

„Ich…“ Molly schluckte und begann nochmals: „Ich darf wirklich?“
Ginny musste aus vollem Hals lachen, während Harry einfach nur nickte und erwiderte: „Ja, warum nicht? Du wirst das schon machen!“
„Oh, das ist ja herrlich! Ich habe da schon so viele Ideen…“, murmelte Molly aufgeregt zu sich selbst. „So viele… Oh, ich muss es mir alles aufschreiben, bevor ich es vergesse! Das wird eine wunderschöne Hochzeit werden.“ Sie blickte zu den beiden hinüber und fragte: „So grob geschätzt: Wie viele Gäste werden es ungefähr werden? Nur, damit ich schon einmal nach Ort Ausschau halten kann.“
Harry und Ginny blickte sich fragend an, bevor sie unsicher sagte: „Ich denke, unsere Liste wird ähnlich sein wie die von Hermines Geburtstag; vielleicht ein paar mehr?“
„Ihr macht so schnell wie möglich die Liste!“, forderte Molly, bevor hinter ihr etwas überkochte und sie sich wieder dem Herd widmete.

Es klopfte an der Tür und Arthur stand auf, um die Gäste hineinzulassen. An der Tür staunte er nicht schlecht, als er Severus in Begleitung von Hermine sah.

„Guten Abend, ihr beide! Kommt doch rein.“ Als die beiden ihn gegrüßt hatten, sagte Arthur: „Es hat mich gewundert, dass Albus auch dich, Hermine, für heute eingeladen hat. Beim letzten Treffen wollte er das noch nicht.“
Severus verzog sein Gesicht. „Wollte er nicht? Na, vielleicht hat er bemerkt, dass der Andrang, in den Phönixorden aufgenommen zu werden, nicht mehr ganz so groß ist?“ Hermine musste kurz auflachen, bevor sich beide von Arthur in die Küche führen ließen.

Severus beobachtete, wie Hermine von Harry und der jungen Weasley mit je einem Kuss auf die Wange begrüßt wurde und auch Molly grüßte sie auf gleiche Weise. Ihm hingegen hielt man die Hand entgegen. Auf dem Flur hörte man Dielen quietschen und kurz darauf waren die Stimmen von Alastor und Kingsley zu hören, bevor sie kurze Zeit später die Küche betraten.

Nachdem sich alle begrüßt hatten, setzte sich Kingsley neben Harry und fragte, während die anderen ihren eigenen Gesprächen nachgingen: „Sag mal, Harry, du hast doch einen Hauself?“ Harry nickte und Kingsley rückte mit der Sprache heraus. „Würdest du ihn bitten, mich demnächst mal zu besuchen, damit ich mich ein wenig mit ihm unterhalten kann?“
„Klar, warum nicht? Über was genau willst du denn mit ihm reden oder ist das geheim?“, wollte Harry wissen.
„Geheim ist es wohl nicht, dass die Gesetze für unter anderem Tier- und Halbwesen geändert werden“, antwortete Kingsley und hier horchte Hermine auf, die kurz zuvor noch dem Gespräch über Hexenjäger gelauscht hatte, welches Alastor und Arthur geführt hatten. Sie blickte Harry und Kingsley an, um dort weiter zuhören zu können, was keinen der beiden störte.

„Du willst meinen Hauself fragen, was er für Gesetze haben wollen würde?“, fragte Harry und Kingsley nickte.
Hermine beteiligte sich an dem Gespräch über die Gesetzesänderungen und sofort, als Severus ihre Stimme neben sich vernommen hatte, verlor er das Interesse an der aufregenden Unterhaltung zwischen Alastor und Arthur, um ihr zuzuhören, als sie von Kingsley wissen wollte: „Wie weit bist du denn?“
„Bis auf wenige Punkte fast fertig. Die Hauselfen fehlen noch und einige Abmachungen zwischen Arthur und dem anderen Minister wegen der größeren Reservate für die Zentauren.“
Schwärmend sagte Hermine: „Ich würde die Entwürfe gern mal lesen.“
„Oh, da musst du Arthur fragen, aber ich denke nicht, dass er etwas dagegen haben würde.“

Weil Arthur seinen Namen gehört hatte, blickte er Kingsley an und mit nur wenigen Sätzen war geklärt, dass man Hermine Einsicht in den Entwurf gewähren wollte. Vielleicht könnte sie hier und da noch Ideen einbringen.

Seine Bedenken äußerte Severus sehr ruhig, denn er sagte: „Das ist eine langwierige Aufgabe. Woher wollen Sie die Zeit nehmen, Hermine?“
Gelassen zog sie ihre Augenbrauen hinauf, bevor sie schelmisch erwiderte: „Dann mach ich es einfach so wie Sie: Ich schlafe weniger!“
„Sollte es zu belastend werden…“
„Ich weiß schon, wann ich aufhören muss“, fuhr sie ihm über den Mund, denn es gefiel ihr gar nicht, dass er sie so bevormunden wollte.
„Wie Sie meinen“, waren seine letzten Worte zu diesem Thema.

Die meisten waren bereits eingetroffen: Arabella, Dädalus, Mundungus, Sturgis, Hestia und Hagrid. Es fehlten nur noch Minerva, Albus, Remus und Tonks und kaum hatte man von letzteren beiden gesprochen, standen sie auch schon im Türrahmen der Küche. Severus beobachtete Tonks dabei, wie sie die meisten sehr innig begrüßte, aber dass selbst Remus mit Küssen auf die Wange um sich warf, missfiel ihm. Der Werwolf steckte seine Nase sofort in den auf dem Herd stehenden Topf und er fragte Molly neugierig, was sie heute gekocht hatte.

Die Stimmung auf dem letzten Ordenstreffen, welches er vor seiner Flucht noch besucht hatte, war sehr bedrückend gewesen. Diese düstere Stimmung war heute nicht mehr zu erkennen und wohnte offenbar nur noch in seinem tiefsten Innern. Die Treffen des Ordens hatte Severus bisher immer nur mit negativen Dingen in Zusammenhang bringen können. Es waren damals andere Zeiten gewesen; Zeiten, in denen Voldemort die Welt bedroht hatte. Die Furcht vor einer Niederlage hatte jedem so sehr in den Knochen gesessen, dass selten eine ausgelassene Stimmung zustande gekommen war.

Heute war es anders.

Am heutigen Abend unterhielten sich die Anwesenden vor dem eigentlichen Beginn des Treffens nicht über die bevorstehenden Gefahren eines Angriffs von Todessern, sondern über Hochzeitsvorbereitungen, Gesetzesänderungen und über Kochrezepte.

Als würde er nicht dazugehören blickte sich Severus unmerklich um, damit er die Leute betrachten konnte. Remus und Molly unterhielten sich, während er ihr beim Kochen zur Hand ging, über den Job, den er bei Madam Rosmerta bekommen hatte. Tonks, Ginny und Harry schmiedeten Pläne zur bevorstehenden Hochzeit und unterhielten sich über die vergangene von Sirius und Anne, wo Severus heraushören konnte, dass Tonks den Brautstrauß gefangen haben musste. Weiter hinten sitzend tauschten Arabella, Hagrid und Hestia unterhaltsame Geschichten über die Dinge aus, die ihre Haustiere in letzter Zeit angestellt hatten, während Mundungus, wie üblich, den vorhandenen Wein für später bereits „verkostete“.

Kingsley und Hermine hatten sich in ein Gespräch über Hauselfen vertieft und Severus konnte erkennen, wie sehr seine Schülerin von diesem Thema fasziniert war. Als sein Blick auf Arthur fiel, der bereits über Robert Hopkins sprach, bemerkte Severus, dass dessen Gesprächspartner Alastor mit seinem magischen Auge auf ihm verweilte. An Alastor und seiner Abneigung ihm gegenüber hatte sich offensichtlich gar nichts geändert und es war eine Erleichterung, dass dieses Ordenstreffen zumindest eine kleine Vertrautheit mit sich brachte, auch wenn die nur daraus bestand, von Alastor im Auge behalten zu werden.

Alastors magisches Auge wandte sich plötzlich von ihm ab, ohne dass der Mann seinen Kopf bewegte. Severus folgte dem Blick und sah an der Küchentür Albus und Minerva stehen, die sich an den Händen hielten und sich offensichtlich einen Überblick über die anwesenden Gäste verschafften. Alle Anwesenden wurden über deren Präsenz informiert, als Alastor die beiden grüßte. Jeder drehte seinen Kopf zur Tür und manche sahen noch, wie Albus und Minerva gerade ihre Hände losließen.

Während Minerva einen Platz neben Arthur wählte, blieb Albus stehen und sagte in die Runde: „Liebe Freunde, wie ihr seht, dürfen wir heute vier bekannte Gesichter begrüßen.“ Albus ging zu einem leeren Tischende, blieb dort stehen und fragte: „Sirius?“
Harry übernahm die Antwort und erklärte: „Der ist mit Anne auf Hawaii!“
„Oh, eine gute Wahl“, sagte Albus mit fröhlich funkelnden Augen, bevor er einmal zu Minerva hinüberblickte. „Gut, da ihr vier den letzten Treffen nicht beigewohnt habt…“
Severus murmelte: „Weil wir nicht geladen waren.“
Davon unbeeindruckt fuhr Albus fort: „…werden wir es am besten so handhaben, dass wir zunächst wie gewöhnlich die Dinge besprechen, die wir erfahren konnten. Wenn ihr“, Albus nahm sich die Zeit, alle vier einmal anzublicken, „Fragen habt, dann werden wir diese entweder währenddessen oder am Ende besprechen.“ Da Harry, Ginny, Hermine und Severus wortlos zugestimmt hatten, setzte sich Albus endlich an das Tischende, bevor er Arthur fragte: „Was hat das letzte Treffen mit dem anderen Minister ergeben, Arthur?“
Arthur räusperte sich, bevor er stolz erzählen konnte: „Arnold Roth konnte festgenommen werden, da er mit illegalen Dingen gehandelt hatte.“

Unmerklich zuckte Mundungus zusammen, was durchaus als Sympathie für Arnold Roth zu deuten war, denn er selbst machte häufig sein Geld mit dem Verkauf von Diebesgut.

„Seinem Bruder Alex konnte man in der Muggelwelt leider nichts nachweisen, doch er ist, wie es aussieht, nach der Festnahme von Arnold untergetaucht“, fuhr Arthur fort.
Für die „Neuen“ erklärte Albus kurz: „Diese Brüder, beides Squibs, haben Mr. Hopkins auf unsere Welt aufmerksam gemacht und Mr. Alex Roth ist nun der Einzige, der für Hopkins noch magisch verborgene Orte aufspüren kann.“

Nachdem diese Information gesackt war, denn besonders Harry und Hermine waren darüber schockiert, dass Squibs diesem Hexenjäger zur Hand gehen würden, erklärte Arthur: „Dieser zweite Wohnsitz von Hopkins in der Nähe des Verbotenen Birkenwalds ist kein Haus, sondern es gleicht einem Schloss, wie Kingsley herausgefunden hat. Es ist ein sehr großes Anwesen; eine Festung! Von außen kann man nichts als Stein sehen. Der andere Minister hat mir einen Grundriss gegeben und darauf ist zu erkennen, dass es eine Art Turm im Innern gibt. Möglicherweise wurden oder werden dort noch immer Zauberer und Hexen gefangen gehalten. Problematisch sind jedoch, wie Kingsley bestätigen wird, die Schutzmaßnahmen, die Hopkins seit ungefähr einem Jahr trifft. Noch immer ist er dabei, seinen Wohnsitz mit Muggeltechnik zu sichern und ich vermute, dass er mit einem Angriff unsererseits rechnet.“

Harry hielt nichts mehr und er fragte einfach drauf los: „Aber warum denkt Hopkins, dass wir ihn überfallen wollen? Was ist mit der potenziellen Gefahr, dass er mit seinen Leuten irgendwann Hogwarts angreifen könnte? Und warum rüstet der wie ein Wahnsinniger auf?“
„Gute Fragen, Harry“, bestätigte Arthur, „wirklich gute Fragen! Wie es aussieht, ist Hopkins nämlich tatsächlich nicht ganz zurechnungsfähig. Mundungus hat in einem Pub ein Gespräch zwischen Hopkins und einem seiner Vertrauten belauscht; später dann ein Gespräch zwischen zwei von Hopkins Männern und selbst die zweifeln langsam an ihrem so genannten Vorbild.“
„Mundungus hat in einem Pub gelauscht? Einem Muggel-Pub?“, fragte Ginny verdutzt.
Hier wollte Mundungus antworten und da er schon einige Gläser Wein genossen hatte, schilderte er lallend: „Ja, ich hab mich als Muggel verkleidet. Die hab’n mich nich’ erkannt. Konnte alles hören“, er musste aufstoßen, „was die so geplaudert hab’n. Ich habe nämlich so getan, als wär’ ich betrunken.“
Severus konnte es sich nicht verkneifen, völlig trocken zu kommentieren: „Das glaube ich Ihnen aufs Wort, denn Sie spielen Ihre Rolle ja weiterhin sehr überzeugend.“

Harry hielt sich eine Hand vor den Mund, damit die anderen nicht sehen konnten, dass er grinsen musste. Remus hingegen blickte einfach in seinen Schoß und versuchte, die Lippen zu spitzen, damit auch er nicht anfangen musste zu lachen.

Es war Hermine, die laut vermutete: „Wir müssten also eigentlich nur diesen Alex Roth in die Finger bekommen und schon hätte Hopkins niemanden mehr, der für ihn magisch verborgene Orte aufspüren kann.“
„So einfach wird das nicht sein“, sagte Albus. „Wenn nämlich Mr. Hopkins weiterhin Zauberer und Hexen entführen sollte, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass diese Menschen ihm in ihrem Schmerz ebenfalls Informationen anvertrauen, die sie ihm sonst niemals überlassen würden.“

Hermine überlegte und wurde derweil von Minerva beobachtet, die sehr viel Wert auf die Meinung ihrer ehemaligen Schülerin legte. Hermine benötigte jedoch mehr Informationen, bevor sie die Fakten kombinieren konnte, so dass sie fragte: „Weiß man denn, wie viele Zauberer und Hexen auf Hopkins’ Konto gehen?“
Mit den Fällen vertraut antwortete Kingsley: „Nicht genau. Was wir dokumentiert haben, sind 95 Fälle von Opfern, die man tot oder sterbend aufgefunden hatte. Die meisten wiesen ähnliche Verletzungen auf, die wir als das Resultat einer Folter sehen müssen. Von keinem der Männer und Frauen haben wir Zauberstäbe finden können, was uns vermuten lässt, dass Hopkins zumindest im Besitz einiger Stäbe sein könnte.“
„Was bedeutet…?“, fragte Harry naiv.
Das Wort ergriff Arthur. „Falls es möglich sein sollte, einen Muggel magisch verborgene Orte sehen zu lassen, nur weil er einen Zauberstab bei sich führt, dann wäre unsere Gesellschaft einer großen Gefahr ausgesetzt.“
Diese Theorie wollte Hermine widerlegen. „Wer behauptet denn, dass ein Muggel dazu imstande sein würde, nur weil er einen Zauberstab bei sich trägt?“
Es war Albus, der sich erst räusperte, bevor er sagte: „Ich gehe davon aus, Hermine.“
Davon völlig unbeeindruckt sagte sie direkt an Albus gewandt: „Es ist aber nicht bestätigt; es ist nur eine Theorie und bevor man das nicht getestet hat…“
Albus unterbrach Hermine und erklärte: „Miss Adair – oder jetzt besser: Mrs. Black – hatte einen Zauberstab mit sich geführt und konnte damit Hogwarts nicht nur sehen, sondern sogar betreten.“
„Das ist aber gar nicht geklärt, ob es an dem Stab gelegen hat. Meine Eltern konnten mit mir die Winkelgasse betreten, bevor ich einen eigenen Zauberstab besaß, denn den hatte ich ja dort erst gekauft!“, widersprach Hermine.

Ihr war nicht bewusst, dass heimlich jeder ihren Mut schätzte, sich auf eine Diskussion mit Albus einzulassen. Für sie handelte es sich lediglich um das Aufnehmen, Auseinanderpflücken und Kombinieren von Informationen.

Albus tauschte einige Blicke mit Minerva aus, bevor er seine ehemalige Schülerin fragte: „Und was schlagen Sie vor, Hermine?“
„Wir testen es einfach!“, war ihre knappe Antwort.
„Testen?“, fragte Harry nach. „Ja klar, wie schnappen uns einfach einen Muggel, drücken dem einen Zauberstab in die Hand und schubsen ihn in Richtung Hogwarts.“ Harry hatte es sarkastisch gemeint, doch Hermine ging ernsthaft drauf ein.
„Genau das meine ich! Der Muggel soll uns dann sagen, ob er eine Ruine oder ein Schloss sieht. Kann doch nicht so schwer sein. Man kann auch mehrere Tests durchführen, um ein paar Daten zu sammeln. Wir müssen wissen, ob beispielsweise die Zauber zur Muggelabwehr wirken, die einen Muggel daran hindern sollen, näher an Hogwarts heranzutreten“, sagte Hermine abschließend.
Alastor äußerte seine Bedenken und empfahl: „Dann muss aber ein Vergissmich dabei sein, der dem Muggel danach die Erinnerung nehmen kann, falls der tatsächlich magisch verborgene Orte sehen konnte.“
„Nein!“, widersprach Hermine erbost. „Das kann man sicherlich anders regeln.“
Eine tiefe ruhige Stimme meldete sich zu Wort, denn Kingsley warf ein: „Es wäre eine Gefahr, wenn wir jetzt auch noch diejenigen wären, die damit anfangen würden, Muggeln unsere versteckten Gebäude zu zeigen.“
Aufgebracht schüttelte Hermine den Kopf, bevor sie dagegen argumentierte: „Tut mir Leid, Kingsley, aber das ist Unfug. Nicht jeder Muggel hätte einen Hass auf uns, wenn er erst einmal von uns wüsste.“
Alastor und Kingsley öffneten zeitgleich den Mund, doch es war Arabella, die schneller war und sagte: „Ich muss Hermine an dieser Stelle zustimmen. Mrs. Goldthal, eine Nachbarin von mir, mit der ich mich regelmäßig zum Bridge treffe…“ Jeder starrte sie an und flehte innerlich, Details dieser nachbarschaftlichen Beziehung auszulassen. „Wie auch immer“, fuhr sie fort, nachdem sie die Blicke auf sich gespürt hatte. „Mrs. Goldthal und ich unterhalten und sehr häufig über Übersinnliches und sie hat mehrmals gesagt, dass es ihr größter Traum wäre, einmal in ihrem Leben einen Geist zu sehen. Ich bin mir sicher, dass sie überwältigt wäre, sollte das einmal geschehen. Sie würde keine Gefahr für die Zaubererwelt darstellen, wenn sie Hogwarts oder einen anderen Ort gesehen haben sollte, der nicht für ihre Augen bestimmt ist. Für die Frau lege ich meine Hand ins Feuer!“
„Das sehe ich anders, Arabella“, sagte Alastor grantig.
„Wie alt ist Mrs. Goldthal?“, wollte Hermine wissen.
„Die Gute wird Mitte des Monats 83 Jahre alt“, antwortete Arabella.

Es herrschte einen Moment Stille und jeder überlegte, ob eine 83 Jahre alte Dame eine Gefahr darstellen könnte, sollte die von der Zaubererwelt wissen.

Arabella fügte noch hinzu: „Ich als Squib kann nur Orte sehen, die mir ein Zauberer gezeigt hat, wie zum Beispiel dieses Haus, das ja unter Fidelius steht. Da frage ich mich, ob auch ein Muggel vom Geheimniswahrer eingeweiht werden könnte? Die Dementoren damals konnte ich ja nicht sehen, aber fühlen. Vielleicht hätte ich sie sogar sehen können, hätte ich einen Stab bei mir gehabt, aber wer weiß das schon genau?“

Diese ganzen Informationen über Hermines Eltern, die als Muggel in Begleitung ihrer Tochter die Winkelgasse betreten konnten und über Arabella, die als magisch Benachteiligte trotzdem in der Lage war, den Grimmauldplatz betreten zu können, beschäftigten die Anwesenden, so dass für einen langen Moment Stille herrschte.

Die Stille unterbrach Alastor. „Was reiten wir überhaupt auf diesen Theorien herum? Wir sollten langsam mal zum eigentlichen Thema kommen und das ist Hopkins!“
„Ja“, sagte Hermine, „der ist natürlich ein Problem, aber wenn wir nicht wissen, ob er oder seine Männer durch die Zauberstäbe…“
Bisher hatte Arthur sich noch nicht zu Wort gemeldet, doch jetzt hielt er nicht zurück, denn er sagte sehr ergriffen: „Wir würden gegen das ’Abkommen zur Geheimhaltung der Zauberei’ verstoßen, sollten wir Muggel an Hogwarts heranführen, um ’Tests’ mit ihnen durchzuführen. Ich kann das nicht befürworten, auch wenn das Ergebnis sehr interessant wäre.“
„Wer ist hier Minister, Dad?“, fragte Ginny ein wenig sarkastisch, aber gleichzeitig auch beruhigend.
„Vielleicht“, warf Albus ein, „sollten wir zunächst wirklich über die Informationen sprechen, die jeder über Hopkins sammeln konnte.“ Er wandte sich an Hermine und sagte: „Am Ende können wir gern noch über einige Theorien sprechen.“

Innerlich konnte Severus nur mit dem Kopf schütteln. Früher waren die Themen eines Treffens geplant, aber vor allem waren sie wichtig. Er bereute es, jetzt nicht in seinem Labor zu sein und über einem Kessel zu hocken. Die zusammengetragenen Informationen über die Hexenjäger waren zudem nicht nur spärlich, sondern seiner Meinung nach unbrauchbar.

Von Mundungus wusste man nur, dass sich Hopkins’ Männer ihrer Sache nicht mehr sonderlich sicher zu sein schienen. Arthur zeigte den Grundriss der Festung herum, in welcher sich Hopkins aufhalten sollte, während Sturgis gleich im Anschluss davon berichtete, dass die Sekte in der Muggelwelt kaum Anhänger gefunden hätte und es so aussehen würde, als hätte Hopkins einfach nur versucht, mehr Leute auf seine Seite zu ziehen, womit er offensichtlich kläglich gescheitert war.

Nach diesen kargen Informationen, die Severus gelangweilt zur Kenntnis genommen hatte, fragte Albus ihn: „Severus, was ist deine Meinung?“
Erstaunt darüber, dass Albus gerade ihn nach seiner Meinung fragte, antwortete er mit gelangweilter Mimik: „Wenn ich ehrlich sein darf: Das ist Kinderkram! Wo ist die straffe Organisation geblieben, die ich vom Orden gewohnt bin?“

Es war Alastor anzusehen, dass er dagegenhalten wollte, doch mit einem einzigen Blick hatte Albus ihm den Mund verboten, so dass Severus fortfahren konnte: „Wie lange beschäftigt sich der Orden mit diesem Thema? Einige Monate? Ein Jahr?“ Er blickte in die Runde, ohne eine Antwort zu erwarten, bevor er enttäuscht klingend anfügte: „Wir haben es nur mit ein paar Muggeln zu tun, die eine vage Vorstellung von unserer Welt haben und sich aufführen, als könnten sie uns gefährlich werden.“
„Und was schlägst du vor?“, wollte Albus wissen.
Severus hob beide Augenbrauen und sagte nüchtern: „Wir gehen hin, klopfen an und stürmen die Festung!“ Als Proteste eingeworfen wurden, fügte er boshaft und respektlos hinzu: „Ich bin mir sicher, dass diese Festung sogar von ein paar Erstklässlern erfolgreich eingenommen werden könnte.“
„Jetzt ist es genug, Snape!“, fauchte Alastor. „Das ist eine ernste Angelegenheit und sie hat schon etliche Menschen das Leben gekostet.“
Blitzartig erhob sich Severus von seinem Stuhl und stützte sich mit beiden Händen auf dem Tisch ab, damit er sich zu Alastor nach vorn beugen konnte. Leise zischend und mit zusammengekniffenen Augen sagte er: „Wenn die Sache so ernst ist und bereits so viele Menschen gestorben sind, warum wurde bis jetzt noch niemand in diese Bande eingeschleust?“ Alastor hatte keine Antwort parat, so dass Severus noch hinzufügte: „Warum werden diese Leute nicht tagein, tagaus beschattet? Wie es aussieht, wurde nicht einmal ein Verfolgungszauber auf Hopkins gelegt? Wieso werden seine Männer nicht von fachkundigem“, Severus blickte verachtend zu Mundungus und wieder zu Alastor, „Mitgliedern ausspioniert?“ Niemand antwortete ihm, nicht einmal Albus und deshalb brachte Severus es auf den Punkt: „Kann es sein, dass es möglicherweise an der Anwesenheit unseres Regierungsoberhauptes liegt?“ Er blickte auf Arthur und fuhr in normalem Tonfall fort, der einen Hauch Verständnis mitschwingen ließ: „Du darfst bestimmte Vorschläge nicht umsetzen, weil sie gegen die Gesetze verstoßen, nicht wahr? Daher keine Beschattung, keine Tests mit Muggeln, kein Stürmen der Festung.“ Severus setzte sich wieder, bevor er weniger ernst vorschlug: „Werfen wir Arthur und die anderen Ministeriumsangehörigen einfach aus raus, damit wir wieder so wirkungsvoll arbeiten können wie eh und je! Bedenken, Mitglieder aus dem Phönixorden auszuschließen, hat man ja nicht, wie die Vergangenheit bewiesen hat.“
„Severus“, sagte Albus gekränkt.

Was Severus gesagt hatte, leuchtete Harry ein, aber auch Hermine und Ginny konnten dem nur zustimmen. Mit dem Minister als Mitglied konnte der Orden nicht mehr auf eigene Faust handeln, denn Arthur selbst war mit sich im Zwiespalt. Die Gesetze, an die er sich halten musste, bremsten fast jede Aktion des Ordens, die einen Fortschritt bewirken könnte, von vornherein aus. Doch natürlich wollte niemand ihn einfach aus dem Orden hinauswerfen, denn dann würde Arthur erst recht in der Zwickmühle sitzen. Als Minister allein schon von einem geheimen Orden zu wissen, war schon riskant. Dass die Mitglieder dieses Ordens aber auch noch gegen Gesetze verstoßen würde und sich der Probleme der Zaubererwelt auf eigene Faust annehmen wollten, konnte er nicht zulassen – schon gar nicht, wenn nicht gerade wenig Angestellte des Ministeriums dem Orden angehören würden. Sollte darüber nämlich jemals auch nur ein einziges Wort an die Öffentlichkeit gelangen – und es war nicht abzusehen, inwiefern Mundungus in einem berauschten Zustand geheime Dinge für sich behalten konnte –, würde das für Arthur eine sehr schwere Zeit mit sich bringen. Mit oder ohne Arthur konnte der Orden nicht mehr effektiv arbeiten und darum hatte man Hopkins auch noch nicht das Handwerk legen können. An Arthurs Gesicht konnte man erkennen, dass selbst er dem zustimmen musste, was Severus gesagt hatte. Jeder wusste, dass Severus es auf den Punkt gebracht hatte.

Nachdem sich Severus von seinem Stuhl erhoben hatte, sagte er: „Bitte entschuldigen Sie, aber ich habe noch etwas im Labor zu erledigen.“
Hermine und Harry waren überrascht, dass Severus das Treffen nicht einmal bis zum Ende verfolgen wollte, denn offensichtlich hielt er es für Zeitverschwendung.
Verdattert fragte Molly: „Bleibst du denn nicht zum Abendessen?“
„Seit wann bleibe ich zum Abendessen?“, stellte er spöttisch als Gegenfrage, bevor er sich verabschiedete und den Grimmauldplatz verließ.

Erst jetzt fanden die anderen ihre Sprache wieder und Alastor schimpfte aufgebracht: „Ich habe doch gleich gesagt, dass es ein Fehler wäre, Snape einzuladen.“ Dass er Severus noch immer sehr skeptisch betrachtete, war für die anderen nichts Neues und niemand versuchte, ihn vom Gegenteil überzeugen zu wollen.

Die folgenden Diskussionen führten nirgendwo hin und weitere Informationen waren ebenso nutzlos wie vorhergegangene. Hermine seufzte, denn hier zu sitzen war tatsächlich Zeitverschwendung. Man konnte ahnen, dass Arthur damals dagegengehalten und das Schlimmste verhindert haben musste, als Albus gegen Harry mobil gemacht hatte und das war wieder ein erleichternder Gedanke. Niemand wusste, was Albus noch alles getan hätte, um sich selbst davon zu überzeugen, dass Harry kein neuer dunkler Lord werden würde.

Nach dem Abendessen, einem Bohneneintopf, verabschiedeten sich einige Mitglieder und nur der feste Kern blieb zurück. Während Tonks, Remus, Arthur, Molly und Alastor die Köpfe zusammensteckten und miteinander sprachen, saßen Albus und Minerva nebeneinander und betrachteten abwechselnd die beiden Grüppchen, die sich gebildet hatten.

Hermine führte erneut ein sehr interessantes Gespräch mit Kingsley über die Gesetzesänderungen. Während sie sich mit ihm unterhielt, kam ihr Alastors Kommentar mit den Vergissmich in den Kopf, weswegen sie Kingsley vorschlug: „Ich bin der Meinung, dass in den Gesetzen die Muggel betreffend auch Änderungen vorgenommen werden müssen.“ Kingsley war persönlich vor Ort gewesen, kurz nachdem Anne von den Vergissmich überfallen worden war und so hörte er sich Hermines Vorschläge an, denn sie sagte: „Die neuen Gesetze müssen bahnbrechend sein, wenn man wirklich etwas verändern will. Denk doch nur mal an die Sklaverei, die vor mehr als hundert Jahren in den USA gesetzlich verboten wurde! Das sollte man unbedingt im neuen Gesetz für die Hauselfen berücksichtigen, denn das ist nichts anderes als Sklaverei. Am besten wäre es, wenn man Gesetze schaffen würde, die für alle magischen Wesen oder Tierwesen gleichermaßen gültig wären. Arthur hat es doch mit der Neugestaltung des Brunnens im Ministerium schon vorgemacht und jetzt müssen die Gesetze nachziehen: Stellt Zauberer, Kobolde, Hauselfen, Zentauren und so weiter auf eine Stufe! Mit größeren Reservaten für Zentauren ist es einfach nicht getan. Lasst sie auf ihre Weise leben. Wenn man ihnen das gestattet würde, dann würden sie sich sicherlich hüten, sich den Muggeln zu zeigen, denn die Zentauren sind ja nicht dumm! Hauselfen sollten ihre Freiheit bekommen und für ihre Dienste entlohnt werden. Führt Strafen für Hexen und Zauberer ein, die anderen Lebewesen Leid zufügen, denn darunter werden auch die Hauselfen fallen. Ein Gesetz für alle! So etwas wie ’Grundrechte’ meine ich. Das Problem wird nämlich sein, dass sich kein Elf jemals darüber beschweren würde, von seinem Meister bestraft worden zu sein und dem kann man nur entgegenwirken, wenn es für die Meister von Hauselfen Gesetze geben würde, an die sie sich halten müssen; Gesetze, die ihm verbieten, seinen Hauself schlecht zu behandeln!“

Kingsley musste erst einmal kräftig schlucken, bevor er sagte: „Aber dann müssten wir ja ganz von vorn anfangen.“
„Nein“, beruhigte Hermine ihn, „müsst ihr nicht. Die Gesetze für jede Spezies können und müssen natürlich bleiben, denn bestimmten Gattungen darf man keinen gesetzlichen Freibrief geben. Wenn ich zum Beispiel an Werwölfe denke, dann müssen diese weiterhin dazu angehalten werden, den Wolfsbanntrank einzunehmen, aber trotzdem dürfen sie nicht als gesellschaftlich minderwertig gesehen werden.“

Nachdem Remus das Wort „Werwölfe“ vernommen hatte, setzte er sich hinüber zu Kingsley und Hermine und auch Harry lauschte diesem Gespräch jetzt aufmerksamer. Er selbst hatte seinerzeit Mitleid mit Dobby gehabt, weil der von Malfoy so schlecht behandelt worden war, so dass er ihm mit einem Trick seine Freiheit geschenkt hatte. Hermines ins Leben gerufenen „Bund für Elfenrechte“ hatte er damals zwar belächelt, doch heute musste er ihr einfach zustimmen. Wieder einmal war ihm klar geworden, dass Hermine schon als Kind wesentlich reifer gedacht und gehandelt hatte als so manch Erwachsener.

Sich zunächst räuspernd fragte Kingsley hoffnungsvoll: „Hermine, würdest du mir vielleicht einige Vorschläge für so ein Basisgesetz schriftlich geben? Ich wüsste nämlich nicht, wo ich da anfangen sollte.“
„Kein Problem! Ich werde da auch nichts frei erfinden, sondern mich an die Gesetze verschiedenster Länder halten, um daraus etwas zusammenzufassen. Natürlich haben wir mehr zu beachten, denn es gibt bei uns ja nicht nur Menschen, für die diese Gesetze gelten sollen. Ich werde mich morgen gleich ranmachen“, bestätigte sie ihm zuversichtlich lächelnd, während sie die eben magisch angefertigte Kopie von Kingsleys Unterlagen in ihre große Tasche stopfte.
Zuletzt geändert von Muggelchen am 25.01.2011 22:57, insgesamt 1-mal geändert.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
~ Muggelchen.net ~

Benutzeravatar
Muggelchen
EuleEule
Beiträge: 345
Registriert: 07.06.2008 22:29
Wohnort: Gemälde im 1. Stock

Beitrag von Muggelchen »

110 Dunkle Verführung




Am Abend, nachdem Harry, Ginny und Hermine sich nach dem Treffen des Phönixordens von ihren Freunden verabschiedet hatten, verbrachten sie noch ein wenig Zeit zusammen. Sie waren in Harrys Wohnzimmer angekommen und Ginny kümmerte sich zunächst um Nicholas, während Harry und Hermine bereits das Ordenstreffen auseinander nahmen.

„Ich weiß nicht, Harry. Das Treffen hat zu nichts geführt! Ich frage mich, warum die sich überhaupt noch zusammenraufen“, sagte Hermine, bevor sie sich auf die Couch fallen ließ.
Harry öffnete die Packung eines Schokoladenfrosches, während er sagte: „Was Severus gesagt hat stimmt schon. Als ich von Remus gehört hatte, dass der Orden wieder aktiv geworden war, da habe ich gleich dran denken müssen, ob das überhaupt möglich wäre, wo Arthur doch jetzt Minister ist. Es leuchtet mir schon ein, dass er dem Phönixorden nicht einfach freie Hand gewähren kann. Es wird nie mehr so sein können wir früher.“
Ginny, die mit dem Stillen fertig war und gerade aus dem Schlafzimmer kam, schlug schelmisch vor: „Dann muss es eben eine andere Vereinigung sein, die gegen Hopkins angeht, wenn dem Phönixorden die Hände gebunden sind!“
„Ich hab dran gedacht“, sagte Hermine, „aber ich wollt es nicht sagen.“
„Was nicht sagen?“, fragte Harry mit großen Augen.
Ginny antwortete an ihrer statt und sagte: „Eine Gruppe wie ’Dumbledores Armee’ könnte Hopkins überwältigen, ohne dass mein Dad oder Kingsley und Tonks ein schlechtes Gewissen haben müssen.“
„Das meint ihr beide nicht ernst?“
„Doch!“, bestätigte Hermine. „Wir meinen es ernst, Harry. Allerdings sehe ich momentan keine Veranlassung, überschnell handeln zu müssen. Arthur hat ja gesagt, dass es um Hopkins ruhig geworden zu sein scheint. Es gab keine Anschläge oder Todesfälle in den letzten Monaten. Der letzte verzeichnete Anschlag war der in Spanien; in Schottland war es der, bei dem die Schülerin verletzt worden war. Ich bin trotzdem der Meinung, dass Hopkins für das, was er bereits getan hat, zur Verantwortung gezogen werden muss und wenn weder unser Minister noch der andere etwas gegen ihn ausrichten kann, dann müssen andere es versuchen.“

Das alles ließ Harry sich durch den Kopf gehen, bevor er ihn schüttelte und dagegenhielt: „Ich weiß nicht… Ich weiß wirklich nicht. Ich will nicht mehr so viel Aufregung in meinem Leben haben.“
„Hey, du wirst eine Weasley heiraten“, warf Ginny lächelnd ein, „und das bedeutet pure Aufregung, mein Schatz.“
Harry musste kurz auflachen, doch er wurde schnell wieder sehr ernst. „Ich will nur nicht, dass irgendjemandem, den ich kenne, etwas Schlimmes passiert. Ich will das nicht mehr.“

Ginny setzte sich neben Harry und ergriff mitfühlend seine Hand, als es plötzlich klopfte. Severus trat ein, nachdem Harry dazu aufgefordert hatte.

„Ah, das Treffen ist also zu Ende. Ich vermute zwar, dass ich mir umsonst den Weg nach oben gemacht habe, aber ich wollte nachfragen, ob ich womöglich doch etwas Wichtiges verpasst haben könnte“, sagte Severus, der sich derweil den dreien genähert hatte.

Wegen Severus ließ Ginny Harrys Hand los, weil die Anwesenheit ihres Lehrers ihr unangenehm war. Mit einer Handbewegung bot Harry seinem Kollegen einen Platz an und nachdem der sich gesetzt hatte, sagte Harry: „Es gab nichts Interessantes mehr, über das wir gesprochen hatten.“
Severus kniff die Lippen zusammen und fragte gleich darauf leicht erbost: „Warum sollte ich mich dann erst setzen?“
Es war Hermine, die ihn aufklärte. „Wir überlegen, ob wir selbst aktiv werden sollten und…“
„Wie bitte? Den Phönixorden hintergehen und Hopkins selbst in die Schranken weisen? Ich hoffe doch, dass Sie alle nicht unüberlegt handeln werden“, unterbrach Severus.
„Das war nur eine erste Idee“, beschwichtigte Harry ihn. „Wir haben überhaupt nichts Konkretes besprochen, aber der Gedanke ist natürlich aufgekommen.“
„Aber was sollte man als Erstes tun?“, fragte Ginny.
„Informationen sammeln“, kam von Severus wie aus der Pistole geschossen.
Ginny stutzte, bevor sie eine Idee preisgab: „Man könnte sich einfach mit einem Tarnzauber belegen und sich in die Höhle des Löwen wagen.“
Von Hermine kam ein Einspruch, denn sie rief allen ins Gedächtnis: „Was, wenn diese Leute Wärmesensoren benutzen? Oder womöglich Infrarotkameras? Wie wir ja wissen rüstet Hopkins auf und so viel Geld, wie der hat, kann der sich die beste Muggeltechnik leisten, die es gibt. Mit Tarnzaubern kommen wir nicht durch, wenn er…“
Severus unterbrach diesmal. „Das meinte ich mit Informationen sammeln. Man muss Wege finden, solche Dinge herauszubekommen. Ich möchte an dieser Stelle nicht suggerieren, dass sich jemand dieser Sekte anschließen sollte, aber man könnte diesen Pub aufsuchen, in welchem Mundungus die Gespräche belauscht hatte. Es scheint ja so, als würden sich Hopkins und seine Männer dort regelmäßig treffen.“
„Wir sollen nur lauschen?“, fragte Ginny.
Severus rollte mit den Augen, bevor er empfahl: „Wie wäre es mit stab- und wortloser Legilimentik? Aber das beherrscht ja keiner von Ihnen. Man könnte es Hopkins natürlich nachmachen und einen seiner Leute entführen, um ihn mit Veritaserum zu füttern. Allein die Drohung damit hatte ja, wie ich gehört habe, bei Mr. Abello wahre Wunder bewirkt!“
„Severus!“, sagte Harry wütend und durch die Zähne zischend, um seinen Kollegen zurechtzuweisen.
Ginny hatte ihren Lehrer jedoch sehr wohl verstanden und fragte verdattert nach: „Pablo Abello? Was ist mit ihm? Wer hat ihm mit Veritaserum gedroht?“
„Ah, man hat Sie darüber offensichtlich nicht in Kenntnis…“
Harry stand auf und mahnte Severus: „Was fällt Ihnen ein?“
An seinem Arm fühlte er plötzlich Ginnys Hand, die ihn wieder auf die Couch zog, bevor sie Severus mit unsicherer Stimme fragte: „Was wissen Sie über Pablo?“
Severus schaute erst Harry an, der ihm seinen bösesten Blick zuwarf, doch daran störte er sich nicht, denn er antwortete: „Er sitzt noch immer im Ministerium in einer Untersuchungszelle und wurde bereits von Kingsley und Ihrem werten Vater verhört, denn es handelt sich bei Mr. Abello um einen treuen Anhänger von Hopkins, der absichtlich auf Sie, Miss Weasley, angesetzt worden war.“

Während Ginny der leisen Stimme ihres Zaubertränkelehrers lauschte, beschleunigte sich ihre Atmung und ihr Herz schlug wie wild, denn ihre Eltern hatten ihr davon überhaupt nichts erzählt. Harry hatte sie ebenfalls ein wenig enttäuscht, denn wie es aussah, wusste auch er davon und er hatte ihr nichts gesagt, weil er sie in dieser Angelegenheit schonen wollte.

„Auf mich angesetzt?“, fragte sie mit zitterndem Stimmchen nach. Nachdem Severus genickt hatte, fragte sie genauso leise: „Warum?“
„Weil man sich erhofft hatte, dass Mr. Abello aufgrund seiner Ähnlichkeit mit Harry bei Ihnen Anklang finden würde“, antwortete Severus ehrlich.

Vor lauter Scham wurde ihr Gesicht ganz heiß und sie ahnte, dass sie rot glühende Wangen haben musste. Sie blickte in ihren Schoß, fragte jedoch: „Woher wussten die, dass sie damit Erfolg haben könnten?“
Mit ungewohnt ruhiger Stimme erklärte Severus: „Ich nehme an, sie wussten aus dem Tagespropheten, dass Sie und Harry…“ Er beendete den Satz nicht, denn jeder konnte es sich denken, was gemeint war.
Ginnys Unterlippe begann zu zittern, doch das hinderte sie nicht daran, weitere Fragen zu stellen, denn sie wollte wissen: „Was haben die sich davon versprochen, mir Pablo auf den Hals zu hetzen?“
„Ah, das sind nur Vermutungen, Miss Weasley. Womöglich wollte man einfach nur etwas mehr über unsere Welt erfahren und mit Ihrem Vater als Minister konnte man durch Sie doch wunderbar an ihn heran“, erklärte er. Im Hintergrund begann Nicholas zu weinen, was Severus zum Anlass nahm hinzuzufügen: „Aber der Verlauf Ihrer Beziehung mit Mr. Abello schien Mr. Hopkins gar nicht gefallen zu haben.“ Demonstrativ blickte Severus an Ginny vorbei zur Schlafzimmertür, aus der das Babygeschrei kam.

Ginny schluckte und entschuldigte sich, bevor sie das Wohnzimmer verließ und die Schlafzimmertür hinter sich schloss.

Wütend fragte Harry mit gedämpfter Stimme: „Warum haben Sie das getan? Ginny wusste bisher nichts davon und es hätte auch so bleiben sollen. Warum haben Sie ihr das alles gesagt?“
Mit ruhiger Stimme rechtfertigte sich Severus. „Wäre ich an Miss Weasleys Stelle, dann hätte ich es wissen wollen!“
Hermine schnaufte aufgebracht und zeterte: „Und da haben Sie gedacht, es wäre allein Ihre Pflicht, ihr davon zu erzählen?“ Sie wurde sarkastisch und sagte: „Immerhin haben Sie eine so äußerst feinfühlige Art an sich, nicht wahr?“
„Ich habe nie eine Notwendigkeit darin gesehen, Wahrheiten behutsam mitzuteilen. Man muss Miss Weasley nicht in Watte packen. Sie mag eine weiche Schale haben, aber ich bin mir sicher, dass sie einen harten Kern besitzt“, antwortete er nüchtern.
„Mag sein, Severus. Bei Ihnen scheint das ja genau umgekehrt zu sein…“

Erschrocken hielt Hermine inne, weil Severus aufgesprungen war und sich bedrohlich über ihr auftürmte. Plötzlich schoss er nach vorn und ergriff mit beiden Händen die Rückenlehne der Couch, auf welcher Hermine saß, so dass er nahe an ihrem Gesicht sagen konnte: „Hüten Sie Ihre Zunge und wagen Sie es nicht noch einmal, mich in der Anwesenheit anderer lächerlich zu machen.“
Hermine blieb, sofern es ging, ruhig und konterte: „Ich mache Sie nicht lächerlich und außerdem ist es ja nur Harry, der noch hier ist.“ Er reagierte nicht, sondern hielt sich weiterhin so dich bei ihr auf und starrte sie an. Weil er sowieso schon wütend war, riss sie sich zusammen und sagte völlig unverhofft mit flüsternder Stimme: „Ihre Augen sind seit mehreren Wochen braun, Severus. Immer, wenn Harry oder ich in Ihrer Nähe sind, verändern sie ihre Farbe!“

Minimal riss Severus wegen dieser Erkenntnis die Augen auf und Hermine bemerkte, dass er verwirrt schien. Bevor sie jedoch irgendetwas fragen konnte, richtete er sich wieder auf, aber er schaute sie weiterhin verdutzt an. Wie er auf diese Information reagieren sollte, war ihm ein Rätsel. Er war gleichermaßen irritiert und entsetzt.

Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete Harry seinen Kollegen, der von Hermines Worten wie vom Blitz getroffen schien. Mutig fragte er: „Severus? Warum ist das so?“

Seinen Blick wandte Severus von Hermine ab, um zu ihm zu schauen. Harry war sich sicher, dass er Severus’ jetzige Mimik schon einmal gesehen hatte, nämlich an dem Tag, an dem die Presse Hogwarts besuchte; an dem Tag, an dem Severus seine rätselhafte Anspielung gemacht hatte.

Zu Boden blickend verweilte Severus ruhig auf dem Fleck und er schien sehr angestrengt nachzudenken, bevor er mit leiser Stimme antwortete: „Ich weiß nicht, was es zu bedeuten hat.“
„Was ist damals passiert?“, wollte Hermine wissen, doch sie hatte wieder einmal den falschen Moment erwischt. Severus war nicht bereit zu antworten.
Harry versuchte es noch einmal und sagte, an die Worte seines Kollegen denkend: „Sie sagten einmal, dass jedes Gefühl vor zwanzig Jahren für immer begraben worden war.“

Severus blickte verschreckt auf, denn er war völlig aus der Fassung, dass Harry sich diese Aussage so gut gemerkt hatte.

Trotzdem oder gerade deshalb schien Severus nicht freiwillig antworten zu wollen, so dass Harry in seinen Erinnerungen wühlte und anfügte: „Und irgendjemand hätte gesagt, dass alles für immer verloren wäre.“ Harry stand von der Couch auf und blickte seinem dunkel gekleideten Gegenüber in die Augen, bevor er wissen wollte: „War es Albus? Hat der das damals gesagt?“
Kaum vernehmlich hörten Harry und Hermine die vertraute Stimme gedankenverloren antworten: „Es gab keinen anderen Weg.“

Es war zu erahnen, dass Severus mit sich selbst gesprochen hatte, denn wieder blickte er zu Boden und schien seinen Geist von Erinnerungen einnehmen zu lassen.

Nicht geschmeidig wie sonst, sondern schwunglos, als würde er ein enormes Gewicht hinter sich herziehen, ging Severus zur Tür hinüber, doch Hermine hielt ihn auf. „Severus, warten Sie. Ist alles in Ordnung? Soll ich vielleicht mitkommen?“
Severus drehte sich zu den beiden um. Er blickte Hermine und dann Harry an, bevor er mit noch immer unsicherer Stimme erwiderte: „Nicht notwendig. Wir sehen uns morgen.“

Morgen würde er Harry wie üblich in der großen Halle beim Essen sehen, vielleicht auch mal während der Pausen, wenn sie gemeinsam ein Auge auf die Schüler werfen würden und Hermine würde er antreffen, wenn er nach seinem Unterricht in sein Büro gehen würde. Mit einem leisen „Bis Morgen“ verabschiedete er sich, bevor er Harrys Wohnzimmer verließ.

Harry und Hermine blickten sich eine Weile an, bevor sie sich wieder setzten und jeder für sich über Severus nachdachte und über das, was ihm vor zwanzig Jahren widerfahren sein konnte.

„Hermine?“, sagte Harry, damit sie ihn anschauen würde. Sie hob jedoch nicht nur ihren Kopf, sondern veränderte ihre Sitzposition, so dass sie ihm zugewandt neben ihm saß. „Ich glaube, du könntest mit deiner Theorie Recht haben. Es muss ein Fluch oder ein Trank gewesen sein, der ihn so gemacht hat.“
Sie nickte zaghaft und fügte hinzu: „Ich denke aber auch, ich liege damit richtig, dass Albus davon weiß.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass er davon wusste oder es sogar unterstütz hatte, Hermine. Warum Albus?“, wollte Harry wissen.
„Gerade Albus, Harry!“, antwortete sie ihm. Sie holte einmal tief Luft, bevor sie flüstern anhängte: „Wenn nötig geht Albus über Leichen, auch wenn es nur seine eigene ist.“

Während seines Weges in die Kerker gewann Severus wieder an Beweglichkeit. Je weiter er sich von Harry und Hermine entfernte, desto klarer wurde sein Kopf. Der Abstand zu beiden ließ ihn wieder sein vertrautes Ich erlangen und er fragte sich, warum es jetzt nicht mehr nur Harry war, der dafür sorgen konnte, dass es ihm wie aus heiterem Himmel schlecht ging.

In seinem Schlafzimmer angelangt griff er sich zwei Bücher aus einem mit drei Zaubern geschützten Schrank, mit denen er sich in sein Büro begab. Im Büro selbst legte er beide Bücher auf sein Pult und er begann in der neu aufgeflammten Hoffnung in ihnen zu blättern, womöglich doch eine Lösung finden zu können oder aber die Bestätigung dafür, dass es keine geben würde.

Es blieb nicht bei den beiden Büchern, denn er musste andere zu Rate ziehen, so dass er sein Pult verließ, um sich des Platzes wegen auf einem der größeren Tische im Labor auszubreiten. Fünf aufgeschlagene Bücher lagen für seine Recherche bereit und immer wieder sprang er zwischen ihnen hin und her, um Verknüpfungen zu finden, wenn es denn welche geben sollte.

Acht Bücher, zwei davon über dunkelmagische Vorgänge, waren es bereits geworden, als ihn um drei Uhr nachts das Verlangen nach einer Tasse Kaffee überkam, die er bei einem müden Hauself bestellte. Um halb fünf in der Früh hatte der gleiche Hauself, nur diesmal mit einem grimmigen Gesichtsausdruck, dem Professor eine Kanne mit eineinhalb Litern frisch gebrühten Kaffees gebracht, während Severus zwischen elf Büchern hin und her wechselte und sich immer wieder Notizen machte.

Morgens um halb acht legte er die Feder beiseite und sagte zu sich selbst mit entmutigter Stimme: „Es ist zwecklos.“ Es war zwecklos, denn den gleichen Eifer hatte er damals schon an den Tag gelegt. Er hatte die gleichen Bücher konsultiert, die gleichen Gedankengänge gehabt, sich die gleichen hoffnungsvollen Notizen gemacht, nur um am Ende feststellen zu müssen, dass er so weiterleben musste wie bisher, denn es gab für seine Situation keinen Ausweg.

Durch den nächtlichen Kaffee machte er sich mit genügend Antrieb daran, sein Badezimmer aufzusuchen, um wie üblich zu duschen und sein Haar mit dem schützenden Balsam zu benetzen, denn gleich nach dem Frühstück würde er die Erstklässler unterrichten: Slytherin und Gryffindor. Da benötigte er jeden Schutz, den man sich nur denken konnte.

Die Unordnung in seinem Labor längst vergessen stürzte sich Severus ins Tagesgeschehen, welches mit dem vertrauten Frühstück neben Harry und Hermine in der großen Halle beginnen würde.

Seine letzte Unterrichtsstunde des Tages sollte um 13 Uhr beginnen. Überpünktlich hatte Severus den Klassenraum erreicht und innerlich stöhnte er, denn die jetzigen Schüler bestanden aus den Siebtklässlern; wieder Slytherin und Gryffindor. Alle Schüler hatten sich bereits vor ihm im Klassenraum versammelt, so dass er gleich mit dem Unterricht beginnen konnte, doch bevor er den heutigen Stoff ansprechen konnte, trat Miss Weasley an sein Pult heran. Gerade wollte er seinen Mund öffnen, um Punkte abzuziehen, da hielt sie ihm ein Stück Pergament vor die Nase, welches er entgegennahm, entfaltete und in Gedanken las.

„Lieber Severus,

bitte vergiss nicht unsere Verabredung heute um 15 Uhr in meinem Büro.

Albus“

Diesmal stöhnte Severus hörbar, denn vergessen hatte er den Termin zwar nicht, den Albus ihm nach dem Vorfall an Halloween gegeben hatte, doch er hatte gehofft, dass der alte Mann ihn vergessen hätte.

„Danke, Miss Weasley. Setzen Sie sich“, sagte Severus, bevor er noch vor 13 Uhr mit dem Unterricht begann.

Um Punkt ein Uhr stand Draco ohne Schuluniform bekleidet vor Dumbledores Büro, doch er musste nicht einmal die Hand heben, um zu klopfen, denn der Direktor öffnete ihm bereits.

„Mr. Malfoy, bitte treten Sie doch ein“, grüßte der Direktor freundlich.
Draco trat ein und bevor er sich selbst bremsen konnte, schaffte eine ehrliche Entschuldigen den Weg über seine Lippen, denn er sagte: „Es tut mir Leid, Sir, dass ich für Unruhe auf dem Fest gesorgt habe.“
Albus legte eine Hand auf Dracos Schulter und führte ihn zu einem kleinen Tisch hinüber, auf welchem bereits ein Teeservice und Gebäck zu finden war, während er sagte: „Es war ein Glück, Mr. Malfoy, dass keiner der anwesenden Lehrer überschnell reagiert hat. Das hätte für Sie böse enden können, nicht wahr?“ Draco nickte, doch nachdem ihm ein Platz angeboten worden war, fügte der Direktor amüsiert klingend hinzu: „Doch es ist ja nichts geschehen und die Schüler haben den kleinen Schrecken schnell überwunden. Es war immerhin Halloween und an so einem Tag muss man mit Streichen rechnen.“

Für Draco klang es so, als hätte Dumbledore ihm diesen üblen Scherz längst vergeben und er wusste nicht, was er noch zu sagen hatte. Schon einmal saß Draco hier, weil der Direktor mit ihm hatte reden wollen, doch damals war kein Wort über seine Lippen gekommen und das Gespräch war vorzeitig beendet worden, weil er ein Einschreibekäuzchen von Susan erhalten hatte. Während er an Susan dachte, formte sich ein zufriedenes Lächeln auf seinen Lippen.

Der Direktor schenkte ihm von einem fruchtig duftenden, bernsteinfarbenen Tee ein, bevor er fragte: „Hätten Sie lieber Schokoladenkuchen oder etwas von der Zitronenschnitte?“
„Zitronenschnitte“, war die knappe Antwort und während der ältere Mann ihm ein Stückchen auftat, griff Draco zu seiner Teetasse und atmete den aromatischen Duft ein.

Ganz plötzlich hörte er in seinem inneren Ohr eine der Lektionen seines Patenonkels, der einmal gesagt hatte „Trinke niemals etwas, von dem du nicht hundertprozentig sicher bist, dass es dir keinen Schaden zufügen wird!“.
Da Draco keinen Schluck genommen hatte, versicherte ihm der Direktor: „Dem Tee ist nichts beigemischt, Mr. Malfoy. Kein Veritaserum und auch kein Beruhigungsmittel.“ Der ältere Zauberer blickte Draco an und sagte mit funkelnden Augen: „Es ist nicht einmal Zucker drin!“ Draco musste lächeln und nahm gleich darauf einen Schluck Tee.

Während Draco von seiner Zitronenschnitte naschte, sagte Dumbledore: „Ihre Verkleidung als Todesser haben Sie gewählt, weil Sie der Ansicht sind, jeder Schüler – womöglich sogar einige Angehörige des Lehrpersonals – würde in Ihnen nichts anderes sehen?“
Draco brauchte nicht lange in sich zu gehen, sondern antwortete sofort: „Ja, Sir. Na ja, vielleicht nicht alle Schüler, aber viele.“
Der Direktor blickte ihn an und fragte sehr ernst: „Sehen Sie selbst sich auch so, Mr. Malfoy?“
Tief einatmend dachte Draco nach und kam zu einem Schluss, den er mitteilen wollte. „Wie sonst sollte ich mich sehen, wenn ich jeden Tag daran erinnert werde? Ich verstehe manchmal nicht, wie andere Menschen darüber hinwegsehen können.“

Er dachte in diesem Moment nicht nur an Susan, sondern sogar an Harry und all die Leute, die ihm auf Hermines Geburttagsfeier nicht ablehnend gegenübergetreten waren, obwohl sie von ihm und seinem Vater wussten.

„Das wird damit zu tun haben, Mr. Malfoy, dass die meisten wissen, weil sie es vielleicht sogar selbst einmal erlebt haben, dass Menschen sich ändern können. Jüngeren Menschen hingegen fehlt es in dieser Hinsicht häufig noch an Erfahrungswerten, aber bei Weitem nicht immer. Ich weiß zum Beispiel, dass ein Schüler Ihres Hauses keine Berührungsängste hat, nur weil Sie das dunkle Mal tragen und zwei Schülern aus Hufflepuff ist dies ebenfalls schnurz“, erklärte Albus.

Wegen des benutzten Wortes musste Draco wieder lächeln, denn es erinnerte ihn an die sehr alberne Rede, die der Direktor zu seiner Einschulung gehalten hatte.

„Während einer Lehrerversammlung habe ich von Harry von einem Vorfall während einer Unterrichtsstunde erfahren, in welcher Mr. Smith sie bloßgestellt haben soll“, sagte der Direktor und Draco nickte lediglich, während er sich daran erinnerte, wie Shaun gesagt hatte, als Todesser müsste er ja am besten wissen, wie man einen Avada oder Cruciatus anwenden könnte. „Mr. Smith, müssen Sie wissen, hat genauso viel Leid während des Krieges erfahren müssen wie viele andere auch. Jeder Schüler und jeder Lehrer, selbst Hausmeister Filch, hat Verluste erleiden müssen und jeder versucht auf seine eigene Art und Weise, mit der Trauer umzugehen. Für Mr. Smith scheint die Bewältigung seines Seelenschmerzes eine unüberwindbare Hürde darzustellen, denn er hatte zuvor in seinem Leben nie einen lieben Menschen verloren.“ Bevor Draco fragen konnte, um wen Shaun trauern würde, stellte Dumbledore klar: „Er war für die Sicherheit seiner beiden jüngeren Schwestern verantwortlich. Die ältere von beiden wäre in diesem Jahr eingeschult worden.“

Draco musste kräftig schlucken und er fragte sich, warum ihn das Schicksal dieses nervigen Gryffindors überhaupt so nahe ging. Vielleicht berührte es ihn, weil er sich mittlerweile in andere Menschen hineinversetzen konnte. Er selbst hatte keine Todesfälle zu betrauern, konnte sich aber vorstellen, wie schrecklich dies sein müsste.

„Und Sie, Mr. Malfoy, haben auch mit Verlusten zu kämpfen“, sagte der Direktor, bevor er noch etwas Tee nachschenkte.
Den Kuchenteller auf den Tisch abstellend sagte Draco: „Ich habe niemanden, um den ich trauern muss. Nicht einmal um meine Tante habe ich weinen müssen.“
„Ich sagte ja auch, dass Sie mit ’Verlusten’ zu kämpfen haben und nicht, dass Sie jemanden betrauern“, stellte Dumbledore richtig. Da sein Gast nicht zu verstehen schien, fügte er hinzu: „Ihre Verluste bewegen sich in anderen Dimensionen, Mr. Malfoy. Zum einen sind das der Verlust Ihres Familienlebens und der Ihres Ansehens. Möglicherweise auch der Verlust von Freundschaften und der Ihrer Selbstwertschätzung. Severus hatte mir an dem Abend, an welchem Voldemort“, Draco verzog das Gesicht, „besiegt worden war, von sich und Ihnen erzählt. Sie hatten sich aufgegeben, Mr. Malfoy, und ich darf heute beruhigend feststellen, dass Sie zumindest die Freude am Leben wiedergefunden haben.“

Draco war bewegt, weil die ganzen Erinnerungen zurückgekommen waren. Erinnerungen daran, wie er während der Zeit, in welcher er mit Severus vor Todessern und Auroren fliehen musste, ständig weinend aufgewacht war, weil er von seinem Vater oder seiner Mutter geträumt hatte. Erinnerungen an die Angst, jeden Tag um das eigene und das Leben seines Patenonkels fürchten zu müssen, der ihn unter seine Fittiche genommen hatte. Gedankenfetzen an das Verhör im Ministerium drängten sich in den Vordergrund; Bilder von Susan machten sich breit sowie Erinnerungen daran, wie er mit Harrys Hilfe seine Mutter gefunden hatte.

„Sie haben den richtigen Weg eingeschlagen, Mr. Malfoy, und Ihnen bleibt die Möglichkeit, Ihre Verluste zu ersetzen.“ Der Direktor legte ihm wortlos ein Stück Schokoladenkuchen auf den Teller, der ihn plötzlich an den Moment im Krankenflügel erinnerte, als ein unsicherer Harry mit einem Kuchentablett in der Hand eingetreten war, um Kontakt zu knüpfen. Ohne es zu bemerken, hatte sich ein zufriedener Ausdruck auf seinem Gesicht niedergelassen.

„Was ich fragen wollte, Mr. Malfoy: Wie geht es Miss Bones eigentlich?“, wollte der Direktor wissen und da wurde Draco klar, dass er mit Susan bereits einen Verlust wieder hatte ausgleichen können, nämlich das ihm so wichtige und verloren geglaubte Familienleben.
„Es geht ihr gut, Sir, danke der Nachfrage“, antwortete Draco und erst an seiner eigenen Stimme erkannte er, wie sehr ihn dieses Gespräch mit dem Direktor berührte. Er wollte mehr erzählen; sich zumindest einmal öffnen und das verpatzte erste Gespräch, welches er damals schon mit Dumbledore hätte führen sollen, heute nachholen, so dass er sagte: „Mit der Schwangerschaft läuft auch alles bestens. Ich hatte schon befürchtet, dass meine Erbanlagen Ärger machen könnten oder die schlechten Tränke, die sie genommen hatte, aber es läuft alles prima.“
„Das freut mich, Mr. Malfoy. Wie geht es eigentlich mit Ihrer eigenen Behandlung voran?“, fragte der Direktor nebenbei.
Er wusste nicht, wie gut Dumbledore informiert war, doch es war er selbst gewesen, der seine Erbanlagen eben erwähnt hatte und deshalb antwortete er: „Ich muss nur noch zweimal ins Mungos und dann dürfte die Gefahr gebannt sein, später einmal zu erblinden oder eine Sonnenallergie zu bekommen.“ Ohne dass er aufgefordert werden musste, fügte Draco hinzu: „Meine Mutter muss die Behandlung länger über sich ergehen lassen, aber sie muss nur zweimal im Monat ins Krankenhaus.“
„Ja“, sagte Dumbledore, „das hat sie mir selbst erzählt.“ Der Direktor blickte ihn an. „Ihre Mutter benötigt besonders jetzt viel Unterstützung, aber nicht nur von Ihnen. Ich bin froh, dass Ihre Tante zu denen gehört, die aufgrund ihrer Erfahrungswerte wissen, dass Menschen sich ändern können. Das Geschenk eines Neuanfangs kann leider nicht jedem gemacht werden.“

Dass das fröhliche Zwinkern in den Augen des Direktors während des letzten Satzes plötzlich verschwunden war, ließ Draco stutzig werden, denn er selbst konnte damit nicht gemeint sein und er fragte sich, warum jemandem die Chance auf einen Neuanfang verwehrt bleiben sollte. Wie vom Blitz getroffen gab sein Slytherin-Verstand die einzig mögliche Antwort preis, denn es konnte sich nur um Severus handeln.

Wie gebannt starrte Draco dem Direktor in die Augen, doch er wagte nicht zu fragen, was es mit seinem Patenonkel auf sich hatte. Dumbledore hingegen schien seinen brennenden Wissensdurst zu vernehmen. Dumbledore stellte die rhetorische Frage: „Wenn die innigsten Wünsche und Ziele, die im tiefsten Innern schlummern, für einen selbst keine Bedeutung mehr haben, was hat das Leben dann noch für einen Sinn?“

Wieder war Draco der Meinung, dass Dumbledore über Severus sprechen musste, doch die Worte wollten einfach keinen Sinn ergeben. Aus eigener Erfahrung wusste Draco, dass Melancholie einem die Hoffung rauben konnte und er wusste ebenfalls, dass – wie er selbst – auch Severus zumindest während ihrer Flucht sehr niedergeschlagen gewesen war. Manchmal, so hatte Draco geglaubt, hatte sich an Severus’ Zustand nichts geändert, doch sein Patenonkel war immer schwer zu durchschauen gewesen.

„Mr. Malfoy“, sagte Dumbledore ablenkend. „Es wird Sie nicht überraschen, dass ich Sie heute auch dazu eingeladen habe, um über Ihre Entscheidung zu sprechen, die Schule verlassen zu wollen.“
Draco nickte. „Ja Sir, das habe ich mir gedacht. Ich wollte Sie fragen, ob es eine Möglichkeit geben würde, die Prüfungen außer der Reihe abzulegen, aber andererseits…“

Er hielt inne und dachte daran, wie Susan gesagt hatte, dass alle Schüler ihn in Todesserrobe in Erinnerung behalten würden, sollte er sich am schulischen Alltag nicht mehr beteiligen.

„Andererseits?“, hakte der Direktor nach.
„…andererseits möchte ich nicht, dass mich jeder mit einem Todesser in Verbindung bringt und das werden sie, wenn auch nur unbewusst, weil es das Letzte war, was sie von mir gesehen haben“, antwortete Draco.

„Nun, Mr. Malfoy, es ist Ihre Entscheidung. Ich persönlich würde es sehr begrüßen, Sie weiterhin einen Schüler von Hogwarts nennen zu dürfen“, sagte Dumbledore freundlich. „Wenn Sie sich die Einschulungs-Zeremonie ins Gedächtnis zurückrufen, dann könnten Sie Hinweise darauf erhalten, wie Sie Ihre Zeit mit den Schülern friedvoll gestalten könnten.“
Der Sprechende Hut, der oben auf einem der Schränke lag, fragte enthusiastisch: „Soll ich es noch einmal singen? Nur, falls Sie sich nicht mehr daran erinnern können!“
„Dein Angebot ist sehr freundlich“, sagte der Direktor, „aber es wird nicht notwendig sein.“ Er wandte sich wieder Draco zu. „Ich denke, Mr. Malfoy weiß genau, was ich damit sagen wollte.“

Nachdem Draco auch den Schokoladenkuchen verputzt hatte und er sich richtig satt fühlte, fragte der Direktor: „Möchten Sie darüber nachdenken oder haben Sie bereits eine Entscheidung getroffen?“
Ermutigt antwortete Draco: „Ja, ich möchte die Schule fertigmachen.“
„Das ist wunderbar, Mr. Malfoy! Wenn Sie Fragen haben sollten oder etwas Sie bedrückt, dann sind Sie jederzeit willkommen“, versprach Albus, bevor er ihm die Hand reichte und ihn zur Tür begleitete. „Für den Unterricht, dem Sie heute ferngeblieben sind, sind Sie natürlich entschuldigt. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag“, sagte Dumbledore, bevor er die Tür zu seinem Büro von innen schloss.

Unten an dem steinernen Wasserspeier verweilte Draco einen Moment, um sich noch ganz frisch die Worte der Unterhaltung ins Gedächtnis zurückzurufen. Natürlich verstand Draco, dass er seine Verluste ersetzen konnte und damit, dass er mit Susan eine Familie gründete, war ein erster Schritt bereits getan. Sein Ansehen könnte er nur ändern, wenn er sich anderen gegenüber freundlich und zuvorkommend verhalten würde, was auch ganz mit dem Inhalt des Liedes zu vereinbaren war, welches der Hut zur Einschulung gesungen hatte. Was ihm jedoch Kopfzerbrechen bereitete war die Aussage, er hätte Freundschaften verloren, denn Draco war der Meinung, niemals eine echte Freundschaft besessen zu haben. Susan konnte nicht gemeint sein, denn die zählte Draco jetzt bereits zu seiner Familie. Dann erinnerte er sich, wie schon während des Gesprächs mit dem Direktor, sehr lebhaft an den Abend, an welchem er mit Harry zusammen das unter dem Fidelius-Zauber liegende Versteck gefunden hatte. Seine Mutter hatte Harry als den Freund ihres Sohnes betrachtet und das tat sie auch heute noch.

„Mr. Malfoy, was haben Sie hier zu suchen?“, fragte eine wohlbekannte, schmierige Stimme.
Seit Halloween vor drei Tagen hatte Draco nicht mehr mit seinem Patenonkel gesprochen, doch er wusste, dass er ihn in der Öffentlichkeit nicht persönlich anreden durfte, weswegen er erwiderte: „Guten Tag, Professor Snape. Ich komme gerade von einer Unterhaltung mit dem Direktor.“
„Muss ich Ihrer verwirrten Mimik entnehmen, dass Sie der Unterredung nicht ganz folgen konnten?“, fragte Severus spottend.
Draco hob arrogant eine Augenbraue und erwiderte: „Im Gegenteil, Sir. Das Gespräch war sehr erleuchtend.“
Den Mund angewidert verzerrend fragte Severus: „Sind Sie hier weiterhin Schüler oder darf man damit rechnen, Sie nicht mehr zu Gesicht bekommen zu müssen.“
Die Worte verletzten Draco, doch er kannte seinen Patenonkel so gut, um zu wissen, dass der sich nur Luft machen wollte, weswegen er unberührt erklärte: „Es wird Sie hoffentlich freuen zu hören, dass ich weiterhin ein Schüler Ihres Hauses sein werde.“
Severus machte ein Gesicht, welches zeigen sollte, dass er von dieser Information gar nicht angetan war, doch er sagte lediglich: „Dann gehen Sie schon und suchen Sie einen Klassenkameraden, der Ihnen den Stoff und die Aufgaben des heutiges Tages näher bringen kann. Wir möchten doch nicht, dass Ihnen wegen fehlender Hausaufgaben Punkteabzug droht.“
„Ja, Sir“, sagte Draco bevor er ging und Severus allein vor dem Wasserspeier zurückließ.

Seufzend, weil Severus jetzt überhaupt keine Lust verspürte, mit Albus bei Kaffee und Kuchen zusammenzusitzen und miteinander zu reden, brummte er genervt das Passwort: „Türkischer Honig.“ Der Wasserspeier ließ ihn gewähren und oben, wie üblich, öffnete Albus die Tür zu seinem Büro, bevor Severus klopfen konnte.

„Tritt ein, mein Freund“, sagte Albus mit fröhlich funkelnden Augen.
„Ich bitte dich, es heute kurz zu machen“, brachte Severus es auf den Punkt.
„Warum das?“, fragte Albus belustigt. „Noch etwas Wichtiges vor?“
„Ich habe immer etwas Wichtiges zu erledigen und besonders an den Tagen, an denen du mit mir reden möchtest“, giftete Severus ihn an, doch all seine vorgetäuschte Ablehnung traf bei Albus auf taube Ohren.
„Du siehst müde aus, mein Guter. Wie wäre es mit einer heißen Tasse schwarzen Kaffees?“, fragte Albus und er schenkte bereits eine Tasse ein, die Severus dankend entgegennahm.

Die ganze Nacht über hatte er gelesen, nachgedacht und sich Dinge notiert und Kaffee war das Einzige, das ihn jetzt noch wach halten würde.

„Du magst doch Nougat?“, redete Albus ihm ein, während er ihm bereits ein Stück Kuchen auf den Teller gab.
„Albus, warum bin ich heute hier?“, wollte Severus wissen.
Der Direktor setzte sich Severus gegenüber und schenkte sich selbst von dem bernsteinfarbenen Tee ein, während er sagte: „Zu allererst eine Schelte von mir, Severus. Körperliche Züchtigung, auch wenn es sich dabei um so etwas wie das Ziehen am Ohr handelt, dulde ich nicht.“

Severus verzog den Mund, sagte jedoch nichts, denn er war sich seiner Schuld bewusst. Er hatte Draco vor versammelter Schülerschaft am Ohr gepackt und vor die Flügeltür manövriert.

„Bedauerlicherweise nicht“, murmelte Severus.
„Na na, Severus. Kein Schüler hat so eine Behandlung verdient, auch nicht, wenn er so wie Mr. Malfoy über die Stränge…“
Severus unterbrach ihn und zeterte: „Mr. Malfoy scheint sich wohl nicht im Klaren darüber gewesen zu sein, dass sein Auftritt als Todesser ihn auch das Leben hätte kosten können!“
„Es ist ja alles noch einmal gut gegangen. Mr. Malfoy bereut seinen Scherz“, sagte Albus beschwichtigend, doch das trieb Severus eher auf die Palme.
„Ah ja, mit Scherzen jedweder Art bist du ja schon immer sehr nachsichtig umgegangen“, warf Severus ihm in kühlem Tonfall vor.
Albus schien daraufhin für einen Moment gekränkt zu sein, doch er schüttelte dieses Gefühl von sich ab und fragte nebenher: „Möchtest du den Kuchen nicht probieren?“
„Ich bin nicht hier, um mich an Nougat-Torten gütlich zu tun. War das alles, was du mir zu sagen hattest? Ich bin nicht begriffsstutzig und habe sehr wohl verstanden, dass ich Mr. Malfoy nicht angemessen behandelt habe und ich verspreche, dass so etwas nicht wieder vorkommen wird! Darf ich jetzt gehen?“
„Das Gespräch mit Mr. Malfoy war sehr erleichternd und aufschlussreich“, sagte Albus, ohne auf Severus’ Wunsch einzugehen, das Gespräch zu beenden.
„Erleichternd und aufschlussreich für dich oder für ihn?“
„Ich denke, für uns beide, aber für ihn hat es wesentlich mehr Bedeutung. Wie geht es dir so, Severus?“, wollte sich der Direktor erkundigen.
„Wie soll es mir schon gehen? Tagtäglich unterrichte ich Dummköpfe und bringe ihnen bei, was man zu beachten hat, damit ein Kessel nicht schmilzt, nur um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass mir niemand zugehört zu haben scheint“, zeterte Severus.
Albus seufzte. „Ja, ich habe von dem heutigen Vorfall mit der Erstklässerin gehört. Sie ist elf Jahre alt, Severus. Sei ein wenig duldsam.“
„Ich habe mit elf Jahren keine Kessel zum Schmelzen gebracht!“
„Du bist ja auch mit einem äußerst bemerkenswerten Scharfsinn ausgestattet, mein Guter. Ich würde sogar behaupten, dass dir noch nie ein Kessel unter den Händen weggeschmolzen ist“, sagte Albus amüsiert, woraufhin Severus jedoch nichts erwiderte. „Dein Tag besteht ja nicht nur darin, den Kindern etwas beizubringen, Severus. Hast du momentan irgendwelche Projekte? Ich habe erfahren, dass Mr. Worple und Mr. Sanguini neulich…“
Severus hielt eine Hand in die Höhe und forderte den Direktor auf, den Satz nicht zu beenden, so dass er einwerfen konnte: „Das war lediglich ein Besuch rein freundschaftlicher Natur.“

Natürlich hatte Severus die Ahnung, dass Albus von seinen nicht ganz legalen Experimenten wusste, doch man musste es nicht aussprechen, schon gar nicht vor den ganzen Gemälden, die hier hingen.

„’Freundschaftlicher Natur’, so so…“, wiederholte Albus, während seine Augen einmal aufblitzten. „Wie sieht es mit anderen einträchtigen Verbundenheiten aus?“

Severus schwieg.

„Mir ist nicht entgangen, dass Harry und du halbwegs erträglich miteinander auskommt oder irre ich da?“ Fragend hob Albus beide Augenbrauen.
Mit säuselnder Stimme erwiderte Severus: „Nein, du irrst nicht! Wie auch? Du hast doch immer Recht! Zumindest sehr häufig, wenn ich an deine Fehleinschätzung bezüglich Harry denke und die fatalen Eigenschaften, die du ihm zusprechen wolltest, aber das hat sich ja glücklicherweise geklärt, nicht wahr?“
Albus seufzte und versuchte zu erklären: „Ich habe niemals von mir behauptet, die Vollkommenheit innezuhaben, ganz und gar ohne Fehler zu sein, Severus. Das beweist nur, dass ich menschlich bin.“
Severus starrte in die Schwärze seine Kaffeetasse, als er murmelte: „Du hattest auch einmal gesagt, es wäre für immer verloren.“
Genauso leise antwortete Albus: „Ich glaubte das, Severus, denn ich war nie und werde niemals so mächtig sein, Verlorenes zurückbringen zu können.“

Das Geständnis des älteren Zauberers machte Severus einerseits wütend, doch andererseits hatte Albus damit angedeutet, dass es möglicherweise jemanden geben würde, der mächtiger war und demzufolge dazu imstande sein konnte, etwas zu vollbringen, wozu Albus nicht in der Lage war und das konnte nur einer sein. Severus schloss die Augen und bemerkte erst an einem klingelnden Geräusch des Löffels, dass seine Hände, die sich an die heiße Tasse klammerten, zu zittern begonnen hatten.

Während Albus und Severus noch über alles Mögliche sprachen, wartete Hermine in Severus’ Büro und als er schon Viertel nach drei geworden war, ging sie hinaus vor die Tür und traf zufällig auf Draco.

Der Slytherin blieb stehen und grüßte höflich: „Hallo Hermine.“
Den Gruß erst erwidernd fragte sie im Anschluss: „Du weißt nicht zufällig, wo…“
„Er hat ein Gespräch mit dem Direktor; habe ihn eben dort getroffen. Bei mir hat es knapp zwei Stunden gedauert. Offensichtlich hat er dir nicht Bescheid gegeben“, stellte er fest.
Hermine schüttelte den Kopf. „Nein, hat er nicht. Ich werde dann einfach mal mit ein paar Kleinigkeiten anfangen.“
„Was…“, hörte sei ihn sagen, so dass sie sich ihm nochmals zuwandte. Als sie ihn anblickte, begann er erneut: „Was genau macht ihr beide eigentlich so? Ich kann mir nichts drunter vorstellen außer dem, was man auch im Zaubertränkeunterricht macht. Habt ihr eine Liste vom Ministerium, die ihr abarbeiten müsst, damit du deinen Meister machen kannst?“
Sie lachte und schüttelte den Kopf. „Nein, eine Liste gibt es nicht. Ich muss bestimmte Kenntnisse erlangen und mir auch einige Fertigkeiten aneignen. Nach den drei Jahren wird Severus eine Art Bericht über das abgeben, was er mir alles beigebracht hat. Damit sind aber nicht unbedingt Tränke gemeint, sondern besonders die Fähigkeit, alle möglichen Zutaten auf verschiedenste Weisen verarbeiten zu können.“ Sie lächelte, bevor sie als Beispiel nannte: „Mit Dracheneierschalen gearbeitet zu haben wird richtig Eindruck schinden, meinte er.“
„Forscht ihr auch ein bisschen oder braut ihr nur Altbewährtes?“, wollte Draco noch wissen.
„Oh ja, wir forschen auch!“, bestätigte sie, doch als Beispiel wollte sie nicht von Severus’ Trank sprechen, also nannte sie den ihren. „Ich habe einen Trank entwickelt, der die Magie einer Person sichtbar machen kann!“ Weil Draco ganz große Augen machte, fragte sie scherzend: „Willst du meine Testperson sein?“
Er kniff die Augen zusammen und fragte weniger ernst: „Was springt dabei für mich raus?“
Nur kurz musste Hermine überlegen, bevor sie sagte: „In meiner Abschlussarbeit über den Trank werde ich dich in der Spalte mit der Überschrift ’Testperson 3’ erwähnen, gleich unter Harry.“
Ein Mundwinkel zog sich nach oben, so dass Draco schief grinste. „Gleich unter Harry also?“ Er spitzte seine Lippen, bevor er unverhofft sagte: „Okay, ich bin deine Testperson.“
Jetzt war es Hermine, die beide Augen weit aufriss und sie fragte: „Das meinst du jetzt ernst?“
„Natürlich! Wer kann da schon widerstehen, gleich nach Harry Potter genannt zu werden?“, sagte er grinsend, während er bereits einen Schritt auf sie zuging.
Sie öffnete die Tür zu Severus’ Büro, damit Draco eintreten konnte und sagte, während er hineinging: „Na gut, wenn du möchtest. Du musst nicht viel machen: Nur einen Schluck von dem Trank nehmen und dich von mir beobachten lassen.“

Drinnen blickte er sich um, bevor er Hermine anschaute und sagte: „Ich glaube, ich fühle mich dieser Aufgabe gewachsen.“
Hermine war ganz aufgeregt, tatsächlich und auch noch durch Zufall eine Testperson für ihren Trank gefunden zu haben, so dass sie aufgebracht schilderte: „Also, ein Trank – mein ursprünglicher – der macht die Farben nur für wenige Minuten sichtbar, aber der, den ich mit Severus verbessert habe, der zeigt die Farben ungefähr eine halbe Stunde lang.“
„Und welchen nehmen wir?“, fragte er nach.
„Kommt drauf an, wie viel Zeit du hast. Ich richte mich da völlig nach meiner Testperson“, erwiderte sie lächelnd.
„Nehmen wir den 30-Minuten-Trank. Severus wird sich sowieso nicht viel früher von Dumbledore losreißen können, also nutzen wir die Zeit“, sagte er gelangweilt klingend, doch sie hörte heraus, dass er gespannt auf das kleine Experiment war.

Hermine, dicht gefolgt von Draco, öffnete die Tür zum Labor und machte Licht, doch gleich darauf blieb sie wie angewurzelt stehen.

Das hier herrschende Chaos nahm Draco als selbstverständlich hin, weil er diesen Raum niemals zuvor gesehen hatte, und er sagte erstaunt: „Dass ihr euch hier überhaupt noch zurecht findet... Herrscht hier immer so eine Unordnung?“ Sie schluckte und konnte nichts erwidern, so dass Draco sie anblickte und fragte: „Hast du irgendwas?“

Langsam lief sie um den großen Tisch herum und betrachtete die aufgeschlagenen Bücher im Vorbeigehen und Draco machte es ihr gleich, nur dass er auch den Mut besaß, in einem Buch ab und an zu blättern, ohne jedoch die Stelle zu verlieren, an welcher es aufgeschlagen war.

„Das“, sagte Hermine stutzend, „sah hier noch nie so aus. Das ist ungewöhnlich, Draco. Scheint fast so, als hätte er…“ Sie hielt inne, weil sie seine Notizen gefunden hatte und eines der Pergamente in die Hand nahm. Sie hatte nur einige seiner aus den Büchern abgeschriebenen Sätze gelesen, doch sie verstand, was es bedeutete, so dass sie sagte: „Sieht aus, als würde Severus etwas suchen.“
„Ja, sieht mir auch so aus“, sagte er, während er in die Nähe eines bestimmten Buches kam, welches ihn auf magische Weise anzuziehen schien, so dass er es in die Hand nehmen musste, um darin zu lesen.

Hermine blickte auf, als sie ihn erschreckt einatmen hörte und sie sah noch, wie Draco das Buch auf den Tisch warf und sich die Hände am Umhang abwischte, als wären sie schmutzig.

„Das ist schwarze Magie!“, stellte er entsetzt fest. „Das ist…“, er wollte sich nicht wiederholen und außerdem war seine Kehle wie zugeschnürt, so dass der Rest des Satzes ihm nicht noch einmal über die Lippen kam. „Ich bin weg!“, sagte der Blonde plötzlich entschlossen und stürmte zur Tür hinaus.
„Draco warte, was ist aus unserem Experi…“
Er fuhr ihr über den Mund und sagte mit blassem Gesicht und bebender Stimme: „Die Bücher dort sind schwarzmagisch! Damit will ich nichts zu tun haben!“ Schon war er aus dem Labor direkt auf den Flur gegangen und ließ Hermine mit den vielen aufgeschlagenen Büchern allein.

Noch immer hielt sie eines der Pergamente in der Hand, auf welchem Severus Notizen gemacht hatte. Ihr Weg führte sie zurück an die Stelle des Tisches, an der Severus sich Tintenfass, Feder und Pergamente zurechtgelegt hatte, um die Dinge, die er für wichtig erachtete, festhalten zu können. Sie setzte sich auf seinen Platz und ging die Notizen von vorn durch.

Seine winzige Handschrift ließ die übliche Ruhe vermissen, die sie von seinen sonstigen Arbeiten kannte, denn er hatte offensichtlich sehr zügig geschrieben oder er war sehr aufgewühlt gewesen – womöglich beides. Bestimmte Worte oder Satzteile waren umrandet oder unterstrichen. Die Nummerierungen der einzelnen Textstellen, die er abgeschrieben hatte, fanden sich manchmal an anderer Stelle wieder, so dass sie ahnte, er hätte mit den Markierungen womöglich seine Vermutung über eine mögliche Verbindung zueinander kennzeichnen wollen.

Von den zwölf Seiten Pergament wollte sie sich nicht verwirren lassen und so nahm sie das oberste in die Hand und widmete sich dem ersten Punkt. Buchtitel und Seitenzahl war notiert, so dass sie aus den ganzen aufgeschlagenen Büchern das entsprechende Buch heraussuchte, die Seiten aufschlug und nachlas. Er hatte Wort für Wort aus dem Buch kopiert. Es handelte sich um einen änderbaren Zauber, um verlorene Dinge wieder zu finden. Hinter seinem ersten Punkt stand in einem kleinen Kreis eine „32“ und so blätterte sie in den Pergamenten, bis sie den Punkt 32 fand, der wieder aus einem anderen Buch stammte.

Sie las laut: „Verloren Geglaubtes muss existent sein, um es mit einem der folgenden Zauberspruchkombinationen finden zu können.“ Sie blätterte zurück zu Punkt 1 und las: „Einen abhanden gekommenen Gegenstand kann man wieder erlangen, selbst wenn nur noch Überreste von ihm vorhanden sind.“ Hermine erkannte die Zusammenhänge und um alles besser verstehen zu können, wollte sie seine Notizen quer lesen, also sofort die Verweise berücksichtigen und nicht erst die Punkte chronologisch abarbeiten.

Was ihr während des Lesens auffiel, war, dass Severus Bücher aus verschiedensten Sparten zu Rate gezogen hatte. Zauberkunst, Kräuterkunde, Tränkebücher, historische Abhandlungen und, da hatte Draco Recht gehabt, schwarzmagische Bücher; zwei, um genau zu sein. Über einige lateinische Texte war sie weniger erfreut, doch auch diese las sie und übersetzte sie zeitgleich im Kopf, denn hätte sie erst einmal seine Notizen bis zum Ende durchgearbeitet, dann würde sie sicherlich wissen, nach was er so verzweifelt suchte, denn nur dann würde sie ihm helfen können.

Die beiden schwarzmagischen Bücher mied sie und sie las stattdessen nur die äußerst interessanten Auszüge aus ihnen, die Severus niedergeschrieben hatte. Laut seinen Notizen kam sie zu dem Schluss, dass er nicht nur etwas suchte, das er verloren glaubte, sondern es auch wieder zusammenfügen wollte, sobald er es gefunden haben sollte, doch was könnte das sein?

Die Ausmaße des Wissens, welches sich ihr hier offenbarte, waren kaum zu messen. Die Bibliothek von Hogwarts war zwar gut ausgestattet, doch Hermine bezweifelte, dass diese Art von Büchern in ihr zu finden wäre. Ihres Erachtens bewegten sich die meisten Bücher am Rande der dunklen Magie, wie jenes, welches Severus ihr einmal zu lesen gegeben hatte. „Nicht ganz so schwarzmagische Elixiere und Tinkturen – Zaubertränke im Zwielicht“ war der Titel des Buches gewesen, welches sie in einem unglaublichen Tempo verschlungen hatte. Manchmal vergaß sie seine Notizen und blätterte einfach in einem Buch, um sich einen Überblick über magische Möglichkeiten zu verschaffen, von denen sie bisher keinen blassen Schimmer gehabt hatte.

Mit einigen der Sprüche, über die sie gestoßen war, sollte es ihr sogar möglich sein, die Überreste von Severus’ altem Zauberstab herbeizuschaffen, selbst wenn es sich dabei nur noch um Asche handeln sollte. Buch für Buch nahm sie in die Hand, um Severus’ notierten Auszüge selbst nachzulesen und darüber hinaus noch etwas weiterzublättern.

Einige Sprüche konzentrierten sich darauf, verschollene Menschen aufspüren zu können, selbst wenn diese bereits das Zeitliche gesegnet haben sollten. Hermine fand im gleichen Zusammenhang auch tatsächlich einen Zauberspruch, der erklären würde, wie die Karte der Rumtreiber funktionieren könnte, die jede Person anzeigen konnte, die sich in Hogwarts aufhielt.

Die Stellen, die sich mit dem Wiederherstellen von zerstörten Gegenständen beschäftigten, schilderten alles andere als den bekannten „Reparo“, mit dem Hermine mehrmals schon Harrys Brille hatte reparieren können. Gegenstände, die zum Beispiel einem Feuer zum Opfer gefallen waren, konnten mit manchen Sprüchen in ihren tadellosen Zustand zurückversetzt werden und so etwas war mit einem Reparo nicht zu schaffen.

Die magischen Mittel und Wege, die sich ihr mit dem Lesen der Notizen und dem Studieren der Bücher auftaten, ließen ihr manchmal einen Schauer über den Rücken laufen und dann, ohne es bemerkt zu haben, hatte sie nach einem der schwarzmagischen Bücher gegriffen und sie versank in den finsteren, befremdlichen Worten einer längst erloschenen Philosophie, die ihren gescheiten Geist mit einem unsäglichen Feuer zu entzünden hofften. Hermines Gelehrsamkeit machte keinen Halt vor den dunklen Schriften, die an ihren Wissensdurst appellierten und aus diesem Grunde wurde sie erfolgreich und von ihr unerkannt in deren Bann gezogen. Die unheilvollen Buchseiten gewährten ihr Einblick in unergründliche Zaubersprüche und unirdische Künste und sie bemerkte nicht einmal, wie sich ein dunkler Schatten auf ihre Seele legen wollte, um ihr die Sicht auf jedweden hellen Schimmer zu versperren.

Hermine war sich nicht darüber bewusst, ob ihre Stimme die schwarzen Texte laut wiedergab oder sie diese nur in ihrem vernebelten Geiste vernehmen konnte, aber sie las nichtsdestotrotz aus dem Buch vor: „Wie ’Schlafes Bruder’ ist auch jener Verwandter von ’Felix Felicis’ nicht den Glücksbringern zuzuordnen. Mit einem Trank wie auch mit einem Fluch lassen sich gelenkte Schicksalsschläge für verhasste Mitmenschen gezielt herbeirufen. Während bei einem Trank die eingenommene Menge ausschlaggebend für entweder kleine Missgeschicke oder große Unglücke ist, kann ein Zauberspruch das angewandte Pech auch aus der Ferne bis ins Unerträgliche steigern und auf Wunsch sogar mit dem Tode enden lassen.“

Von der Wirkung, die das Buch auf sie ausübte, war Hermine völlig ahnungslos und so blätterte sie weiter und las noch einige der unseligen handschriftlichen Überlieferungen wahllos und verklärt vor: „An unerwiderter Liebe muss man nicht vergehen. Der ’Amortentia’ mag allgemein als stärkster Liebenstrank gelten, doch er ist nur eine Erfrischung im Vergleich zum ’Cogamor’ (’cogere’, ’amor’), dessen Wirkung ein Leben lang anhalten wird. Unbemerkt von ihren Mitmenschen wird die auserwählte Person allein dem Hersteller des Trankes verfallen und die Loyalität dem Brauer gegenüber wird nach einmaliger Einnahme so sehr gewachsen sein, dass die Person ihm auch bedingungslos in den Tod folgen wird. Das Geheimnis dieses Trankes ist unter anderem seine Kombination mit dem unten aufgeführten Zauberspruch, der ähnlich wirkt, wie eine gekonnte Mischung aus Legilimentik und dem Imperius. Liebe und Treue wird ihnen bis ans Ende ihres Lebens gewiss sein.“

Eine unerwartete Verzückung breitete sich in Hermine aus, denn allein das Wissen darüber, dass solche Dinge machbar waren, ließ ihr Herz höher schlagen. Hinweg waren all ihre rechtschaffenen Gedanken und sogar die Furcht vor üblen Nebenwirkungen der abscheulichen Wege dunkler Magie war verflogen. Sie wollte nur noch lesen und lernen; Abarten der Magie erkunden und vielleicht sogar die ihrer eigenen Seele.

Plötzlich spürte Hermine eine Hand an ihrer Schulter, die sie fest am Umhang packte und vom Stuhl riss. Ihr Rücken kollidierte mit der Wand und nun waren es zwei Hände, in ihrem Umhang zu Fäusten geballt, die sie gegen die Wand drückten.

Severus war von seinem Gespräch mit Albus zurückgekommen und er hatte Hermine in seinem Labor vorgefunden; auf seinem Stuhl. Doch er war es gewesen, der die Bücher nicht weggeräumt hatte und so war er nicht zornig, dass sie hier saß und wahrscheinlich wahllos eines der Bücher gegriffen hatte, um bis zu seiner Rückkehr zu lesen. Weil sie ihn jedoch nicht zu hören schien, als er mit ihr sprach, da trat er an sie heran. Erst in diesem Moment fiel sein Blick auf das Buch, in welchem sie versunken war und es war eines der beiden schwarzmagischen. Wut war in ihm aufgestiegen, jedoch nicht, weil sie ungefragt in seinen Büchern las, sondern weil er allein die Schuld daran trug, dass sie sich eine Lektüre zu Gemüte führte, die mit Leichtigkeit selbiges zerstören könnte.

Während er sie gegen die Wand presste und er ihre von der kalten Sprache der Dunkelmagie ganz lüstern glitzernden Augen betrachtete, schimpfte er: „Sind Sie wahnsinnig geworden? Wie kommen Sie dazu, so ein Buch auch nur anzurühren?“

Fiebrig schaute sie an ihm vorbei auf den Tisch und ihr Verlangen, nur noch ein paar Seiten lesen zu dürfen, war so groß geworden, dass sie sich unter seinem eisernen Griff ganz unruhig wie ein Aal zu winden begann.

Spöttisch fragte er: „Was haben Sie? Sind Sie von ein paar Seiten schon ganz fickerig geworden, dass Sie an nichts anderes mehr denken können als daran, die nächste Seite aufzuschlagen?“ Noch immer reagierte sie nicht auf ihn und da festigte er seinen Griff an ihrem Umhang, damit er sie einmal in der Hoffnung gegen die Wand drücken konnte, sie aus ihrer Bewusstseinstrübung zu befreien.

Nachdem ihr Rücken auf die Wand geprallt war und ein hervorstehender Stein sich schmerzhaft in ihre Schulter gedrückt hatte, erwachte sie halbwegs aus ihrem verklärten Zustand und sie blickte ihn mit noch immer hitzigen und gleichzeitig getrübten Augen an.

„Ich habe nur gelesen“, verteidigte sie sich mit einer erschreckend schwacher Stimme, so dass Severus seine grobe Behandlung im ersten Moment bereute, doch ohne sie hätte er Hermine vielleicht gar nicht mehr zurückholen können.
„’Nur gelesen’ in einem Buch, welches für Ihre Augen niemals bestimmt war!“, zeterte er aufgebracht.
Sich rechtfertigend sagte sie, im Geiste noch immer von dem Hauch dunkler Magie eingenommen: „Es ist doch nur ein Buch, warum also die Aufregung?“
Mit zusammengekniffenen Augen und bedrohlich leiser Stimme spottete er: „Nur ein Buch, ja? Sie sind sich der Gefahren doch überhaupt nicht bewusst, was allein schon das Aufklappen des Buchdeckels für Auswirkungen haben kann, meine Gute.“ Seine Stimme wurde noch viel leiser und es war ihr nur schwer möglich, das Pochen ihres eigenen Herzens zu ignorieren, um ihn verstehen zu können, als er wispernd erklärte: „Sie befällt einen unbemerkt, diese Begierde; sie kraucht eiskalt bis in Ihr tiefstes Innere und heuchelt derweil lodernde Flammen vor, die das Blut in Wallung geraten lassen.“ Er zog sie an ihrem Umhang zu sich und flüsterte nahe an ihrem Mund, während er ihr weiterhin in die Augen blickte: „Die Tücke der dunklen Magie besteht darin, Sie in Sicherheit zu wiegen; Sie innig wie ein Kind zu herzen und Sie an ihrer Brust zu nähren, um Sie Schluck für Schluck mit dem Abschaum menschlichen Gedankenguts zu vergiften, welches Sie in Ihrer Naivität arglos als ’Wissen’ bezeichnen. Sie sitzen nur da und lesen, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass jedes einzelne Wort Sie in ein verderbliches Labyrinth zu zerren versucht, aus welchem Sie nicht mehr herausfinden werden. Nun aber haben Sie bereits gekostet, Hermine, und es wird ein immerwährender Eindruck zurückbleiben, doch es liegt an Ihnen zu beurteilen, wie es Ihnen geschmeckt hat.“

Er hatte wieder ein wenig Abstand zwischen ihre Gesichter gebracht, so dass sie ihn betrachten konnte. Sein Blick war trotz der braunen Augen finster und sein Gesicht war von kleinen Fältchen übersät, die Hermine nur selten hatte erspähen dürfen, denn es handelte sich um Sorgenfalten und nicht um die des Zornes. Seine Worte hatten ihre Überzeugungskraft nicht verfehlt und in ihrem Herzen wusste sie, dass er mit alledem Recht hatte, doch gegen den Drang, nur noch ein einziges Kapitel lesen zu wollen, hatten sie noch nicht ankommen können. Weiterhin hielt er sie am Umhang fest als wollte er ihr Halt geben und selbst, als sie seine Fäuste mit ihren zittrigen Händen berührte, ließ er nicht von ihr ab.

Sie schluckte und versicherte mit festerer Stimme: „Ich weiß, wie weit ich gehen kann und dass ich es nicht auf die leichte Schulter…“
Er unterbrach mit bedrohlich zischender, leiser Stimme. „Nichts wissen Sie! Sie trachten danach, die dunkle Magie mit offenen Armen zu empfangen, weil Sie sich der Gefahr, die von ihr ausgeht, einfach nicht bewusst sind. Oder wollen Sie sich ihr nicht bewusst sein? Sich von etwas Dunklem verführen zu lassen, indem man die Unschuld vom Lande spielt, würde Sie natürlich zu einem bemitleidenswerten Opfer werden lassen, aber mit meinem Mitleid brauchen Sie nicht zu rechnen. Ich weiß, dass ein scharfer Verstand in Ihrem Dickschädel wohnt. Ich befürchte nur, dass Ihr Kopf durch Ihren Hochmut so sehr angeschwollen sein wird, dass Sie nachher womöglich nicht einmal mehr durch die Tür passen werden, selbst wenn ich Sie hinausschmeißen wollte.“

Erleichtert bemerkte er eine Träne, die sich in einem ihrer hübschen Augen bildete und da wusste er, dass er zu ihr durchdringen könnte, wenn er ihr die drohende Gefahr nur verständlich machen konnte.

Ernsthaft fragte er: „Was fasziniert Sie daran? Was hat so sehr Ihr Interesse geweckt, dass Sie Ihren Verstand blindlings ausschalten und Sie sich unüberlegt dem Verwerflichen hingeben wollen?“ Er blickte sie von oben herab an und fragte im Anschluss gehässig: „Für ein wenig belangloses Wissen lassen Sie einfach Ihren Geist verderben? Ich bin erstaunt, Hermine.“

Eines seiner Augen zuckte nervös. Obwohl er seine fiese Maske aufrecht erhalten konnte, so fühlte er doch mit ihr und er hoffte er innig, sie erfolgreich vor dem bewahren zu können, was einst beinahe ihn selbst mit Haut und Haaren verschlungen hätte. Es hatte nicht mehr viel gefehlt und er hätte sich damals um Haaresbreite seiner Leidenschaft für die dunklen Künste hingegeben, denn er hatte niemanden gehabt, der ihn aus diesem Verderben bringenden Strudel hatte herausziehen können. Wie verstohlen die dunklen Künste auf den menschlichen Verstand einwirkten und mit welcher List sie sich in den eigenen Geist einfraßen, um sich wie schmarotzendes Ungeziefer an den magischen Kräften zu nähren, hatte er selbst am eigenen Leib erfahren und erlernen müssen. Er musste Hermine vor Augen halten, wie sie enden würde, würde sie jetzt nicht den richtigen Weg einschlagen.

„Sie kannten doch Bellatrix Lestrange, wenn auch nicht sehr gut, aber Sie wissen, wie diese Frau gewesen war, richtig?“, wollte er wissen. Hermine nickte. Ihre Unterlippe begann zu zittern und in ihrem anderen Auge bildete sich nun auch eine Träne, während sich in ihren Gedanken Szenen abspielten, in denen ihre Freunde und sie dieser wahnsinnigen Frau hatten gegenüberstehen müssen. Severus grinste fies, nachdem er ihre bebenden Lippen bemerkt hatte, bevor er übertrieben freundlich fragte: „Konnten Sie Mrs. Lestrange gut leiden?“ Hermine schüttelte den Kopf und nur durch die Bewegung hatten sich die Tränen aus ihren Augen gelöst und sie bahnten sich nun einen Weg über ihre rosigen Wangen.

Endlich ließ Severus von ihrem Umhang ab, doch seine linke Faust vergrub sich in den dichten, lockigen Haaren an ihrem Nacken, während er seine rechte hob, um mit Daumen und Zeigefinger einen kleinen Abstand von nicht mehr als zwei Zentimetern zu zeigen. Während Hermine seine rechte Hand beobachtete, sagte Severus: „Es ist bedauerlich, dass Sie Mrs. Lestrange nicht leiden konnten, wo sie doch nur noch so weit“, er blickte auf seine rechte Hand, „davon entfernt sind, genauso zu werden wie sie!“

Hermines Gesicht verzog sich vor Furcht und Zorn und sie schlug die Hand ihres Professors weg, bevor sie losrannte und dabei einige Haare lassen musste, da Severus sie noch immer am Schopfe gepackt hatte. Doch sie hatte sich befreien können und sie lief und lief; die Treppe hinauf und einen Gang entlang. Sie rannte vorbei an Lehrern und Schülern, die für sie momentan nur gesichtslose Menschen waren. Einzig die Erkenntnis darüber, beinahe den dunklen Künsten verfallen zu sein, hätte Severus ihr nicht einen Spiegel vor Augen gehalten, gab ihr den Antrieb zu fliehen; vor der Dunkelheit und ihrer eigenen Schwäche.

Erst an einer Brücke stoppte sie, weil sie Seitenstechen bekommen hatte. Es musste bereits sehr spät am Nachmittag sein, denn es war nicht mehr besonders hell. Trotzdem wollte Hermine noch ein Stück gehen; einfach etwas Zeit draußen an der frischen Luft verbringen. Ihr Weg führte sie über die Brücke hinüber und nach einigen Minuten konnte sie Hagrids Hütte sehen. Die Option auf eine heiße Tasse Tee und eine warme Umarmung schien angenehm, doch Hagrid würde viel zu viele Fragen stellen und so spazierte sie ziellos umher. Sie bedauerte es, den Hund nicht bei sich zu haben, denn der würde sie ablenken können. Er würde heute sowieso noch einmal Auslauf benötigen und sie hoffte, dass Harry es übernehmen würde, denn heute wollte sie niemanden mehr sehen und damit meinte sie wirklich niemanden, nicht einmal ihre beste Freundin Ginny.

Was würden ihre Freunde wohl von ihr denken, würde sie erzählen, dass sie sich auf die dunklen Künste eingelassen hatte? Schon während des Buches über nicht ganz so schwarzmagische Elixiere war ihr aufgefallen, dass ihr Interesse geweckt worden war und sie sich Fragen dazu gestellt hatte, wozu die tatsächlich schwarze Magie wohl fähig sein könnte.

Sie verstand nun auch, warum Draco vorhin so stark reagiert hatte, nachdem er das Buch, das er gehalten hatte, als eines der schwarzmagischen erkannt hatte. Es war das wahrnehmbare Gefühl, etwas Böses berührt zu haben, weswegen er seine Hände an seinem Umhang abgewischt hatte. Ihr selbst ging es jetzt nicht anders, denn sie fühlte sich beschmutz. Nicht nur ihre Hände, sondern auch ihr Verstand waren beschmutzt worden und ob dieses Gefühl der Unreinheit jemals wieder vergehen würde, stand in den Sternen. Severus hatte vorhin gesagt, dass ein immerwährender Eindruck zurückbleiben würde und wahrscheinlich meinte er genau dieses Gefühl der Verunreinigung des Geistes.

Sie war in den Verbotenen Wald hineingegangen, doch nicht sehr weit und sie setzte sich an einen Baum, um einen Moment nachdenken zu können.

Nachdem Hermine sein Labor verlassen hatte, hatte Severus sich gleich auf den Weg zu Harry gemacht und er war ohne zu klopfen bei seinem Kollegen eingetreten, nur um gleich darauf peinlich berührt eine Entschuldigung hervorzukrächzen, bevor er sich schon wieder aus dem Wohnzimmer entfernen wollte, doch Harry hielt ihn auf.

„Schon gut, kommen Sie rein, Severus“, sagte Harry, der sich gerade von der Couch und auch von Ginny erhob, die unter ihm auf der Couch lag.
„Es tut mir… Ich dachte…“
Severus stotternd zu erleben war etwas Einzigartiges, weswegen Harry grinsen musste, bevor er sagte: „Ich schlage vor, dass wir in Zukunft wieder auf das Anklopfen zurückkommen sollten.“
Severus nickte beschämt, bevor er fragte: „Wenn ich einen Moment mit Ihnen reden dürfte, Harry?“

Harry blickte zu Ginny, die noch immer auf der Couch lag und sich durch den plötzlichen Gast gestört zu fühlen schien. Er erhoffte sich von ihr eine wortlose Zustimmung, doch den Gefallen tat sie ihm nicht, denn sie sagte gelangweilt: „Sofern mir kein Punkteabzug droht, kann er ruhig bleiben.“
Severus kniff den Mund zusammen, schluckte jedoch jeden bösen Kommentar hinunter, so dass er zu Harry sagte: „Ich weiß, dass Sie sie haben und ich bitte Sie, einen Blick auf die Karte werfen zu dürfen.“ Harry stutzte, so dass Severus deutlicher wurde: „Die Karte der Taugenichtse meine ich.“
Harry verbesserte: „Die Karte der Rumtreiber.“
„Ist doch das Gleiche! Ich brauche die Karte sofort“, sagte Severus mit Nachdruck.
„Kann aber einen Moment dauern.“
„Was ist aus dem guten altbewährten Aufrufezauber geworden?“, stichelte Severus.
„Aufrufezauber funktionieren aber nicht, wenn der aufzurufenden Gegenstand in einer verschlossenen Kiste liegt“, sagte Harry langsam und lehrerhaft. „Ich weiß nicht, in welcher Kiste die Karte ist, also bitte ich um ein wenig Geduld.“

Nachdem Harry im Schlafzimmer verschwunden war, verweilte Severus wie angewurzelt im Wohnzimmer und es störte ihn nicht im Geringsten, dass Harrys Verlobte ihn zu ignorieren versuchte.
Zuletzt geändert von Muggelchen am 28.04.2010 04:11, insgesamt 4-mal geändert.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
~ Muggelchen.net ~

Benutzeravatar
Muggelchen
EuleEule
Beiträge: 345
Registriert: 07.06.2008 22:29
Wohnort: Gemälde im 1. Stock

Beitrag von Muggelchen »

Fortsetzung von Kapitel 110




Während Harry seine Kisten nach der Karte der Rumtreiber durchsuchte, saß Hermine weiterhin an dem Baum und hoffte innig, dass sie nicht noch einmal von den dunklen Künsten verführt werden würde, denn sie bezweifelte, das nächste Mal ungeschoren davonzukommen. Einen Vorgeschmack hatte sie bereits erhalten, denn hätte Severus nicht den erschreckenden und wachrüttelnden Vergleich zu Bellatrix Lestrange gezogen, dann wäre sie wohl schon jetzt verloren gewesen. Morgen würde sie Severus alles erklären wollen; ihm schildern, wie es überhaupt dazu gekommen war, dass ihr dieses Buch in die Hände gefallen war. Und sie wollte ihn natürlich auch fragen, nach was er suchen würde, denn während sie seine Notizen gelesen hatte, waren ihr natürlich einige Gedanken und Theorien durch den Kopf gegangen, doch sie musste wissen, um was es sich handelte, das er verloren glaubte, damit sie in der richtigen Richtung weiterdenken konnte. Sie hoffte innig, dass Severus sie jetzt überhaupt noch als Schülerin haben wollen. Es war gut möglich, dass ihr heutiges Verhalten dazu führen könnte, seinen Vertrag mit ihr zu kündigen. Hermine versuchte, sich an den einen Passus zu erinnern, der Severus ermöglichen würde, ihr Ausbildungsverhältnis vorzeitig zu beenden, doch ihre Gedanken waren noch zu sehr von dem eben geschehenen Ereignis vereinnahmt. Sie legte entmutigt und vor lauter Scham ihren Kopf in die Hände, um still zu weinen.

Hermine hatte sich gerade dazu entschlossen, sich ihrem Selbstmitleid voll und ganz hinzugeben, da hörte sie es knacken und sofort war sie auf der Hut. Dieser Wald beherbergte viele Gefahren und sie kannte einige: Acromantulas, Zentauren, Trolle und Werwölfe. Um letztere brauchte sie sich keine Sorgen zu machen, denn weder war es Nacht noch schien der Vollmond; der würde erst in einigen Tagen, am neunten November, am Nachthimmel erscheinen. Was aber hatte das Geräusch verursacht?

Sie wagte es nicht, sich vom Boden zu erheben, weil sie sicherlich Äste zum Knacken bringen würde, also verweilte sie weiterhin mit einer Hand an ihrem Zauberstab an dem Baum und lauschte dem Rascheln, welches langsam näher zu kommen schien. Auf einmal sah sie das Wesen, welches das Geräusch verursachte und Hermines Augen füllten sich erneut mit Tränen.

Ein Fohlen mit goldenem Fell trottete unbefangen auf sie zu und als es genau vor ihr stand und sie neugierig beäugte, da streckte Hermine ganz vorsichtig eine Hand aus. Das Tier kam tatsächlich näher und stupste sie mit der Nase. Die Nüstern flatterten aufgeregt, als das junge Einhorn Hermines Hand beschnupperte, doch mit der Hand wollte es sich nicht zufrieden geben, so dass Hermine sich einen Moment später Wange an Wange mit dem Fohlen wiederfand, welches seine Nase in ihrem Haar vergraben hatte.

Hermine lachte auf und weinte gleichzeitig, bevor sie sagte: „Nicht meine Haare fressen. Das bekommt dir nicht.“

Sie streichelte das Fohlen und fuhr ihm durch die widerspenstige Mähne. Mit jeder Berührung fiel Hermine ein weiterer Stein vom Herzen, denn das Gefühl der Unreinheit verging und darüber hinaus war sie sich sicher, dass das junge Tier sich nicht von ihr berühren lassen würde, wären ihre Hände durch dunkle Magie besudelt. Das Fohlen steckte seinen kleinen Kopf neugierig in Hermines Umhang, fand aber nichts Interessantes, so dass es noch einmal aufblickte und sich am Kopf kraulen ließ.

„Danke“, hauchte Hermine erleichtert. Sie war unendlich dankbar dafür, dass sie ihre Hände am goldenen Fell des jungen Einhorns wieder hatte reinwaschen können, auch wenn es sich womöglich nur um das Gefühl gehandelt hatte, schmutzig zu sein. Nachdem das Fohlen fröhlich umherhüpfend den gleichen Weg zurückging, verließ Hermine erleichtert und innerlich gestärkt den Wald, um sich doch noch ein wenig Trost von Harry und Ginny zu holen und um ihnen von ihrer Schwäche zu berichten.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
~ Muggelchen.net ~

Benutzeravatar
Rhea
HauselfHauself
Beiträge: 277
Registriert: 05.09.2006 15:28

Beitrag von Rhea »

Hallo Muggelchen!!

Ich finde die Geschichte mit dem Einhorn toll... darf ich annehmen, dass wir es nicht zum letzten Mal gesehen haben??

LG
Rhea

Benutzeravatar
Muggelchen
EuleEule
Beiträge: 345
Registriert: 07.06.2008 22:29
Wohnort: Gemälde im 1. Stock

Beitrag von Muggelchen »

Hi Rhea,
das Thema "Einhorn" zieht sich duch die ganze FF: Severus' Traum, der Stabkern, Hermines Begegnung ... Man könnte meinen, es hätte eine Bedeutung ;)

Nun zu was anderem. Ich habe vom "Fanfiction Emmy" erst erfahren, als ich die Nachricht bekam, dass eine meiner FFs nominiert wäre. Die Nominierungsphase habe ich verpasst, aber ihr Leser offensichtlich nicht. Ihr habt die Schatten-FF in der Kategorie „Harry Potter - Fanfictions in Arbeit“ gleich für zwei Unterkategorien vorgeschlagen. Besonders schön finde ich, dass auch andere FF-Bereiche honoriert werden, wie „Herr der Ringe“ oder „Biss“, aber schaut selbst mal rein. Vielleicht stoßt ihr auch auf andere Geschichten, die euer Interesse wecken könnten. Das Voting hat erst begonnen und endet am 18.06.09 um 23:59 Uhr.
Auf jeden Fall danke ich den Lesern, die ihre Begeisterung zur Geschichte bereits mit einer Nominierung zum Ausdruck gebracht haben.

Liebe Grüße,
Muggelchen Bild





111 Auf kaltem Wege




Severus seufzte leise, während er weiterhin im Wohnzimmer seines Kollegen stand und darauf wartete, dass Harry endlich die Karte der Rumtreiber finden würde. Ginny saß still auf dem Sofa und beobachtete ihn, während sie den von Harry verursachten Geräuschen aus dem Schlafzimmer lauschte. Ihr Professor schien, was man selten genug sehen konnte, sehr aufgewühlt und es brannte ihr auf der Zunge zu fragen, warum er so unruhig auf und ab ging und weshalb er besorgt mit seinen langen Fingern spielte.

Plötzlich sagte Ginny: „Professor Snape?“ Er blickte sie an und wartete darauf, was sie ihm mitteilen wollen würde und nachdem sie sorgfältig Worte gewählt hatte, sagte sie: „Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, dass Sie es mir gesagt haben.“ Fragend kniff er seine Augen zusammen, so dass sie deutlicher wurde: „Ich meine das mit Mr. Abello.“
„Ah“, war sein einziger verbaler Kommentar, bevor er ihr einmal zunickte. Ginny war froh gewesen, dass zumindest einer die Courage besessen hatte, sie über die Verstrickungen ihres Ex-Freundes aufzuklären.

Nervös im Wohnzimmer umherlaufend fragte er sich selbst, wo Hermine jetzt wohl sein könnte. Die Sorge darüber, dass sie sich etwas antun könnte, war groß. Er wusste um die verderbliche Sehnsucht, die besonders jenes Buch, in welchem sie gelesen hatte, in einem auslösen konnte. Das war auch der Grund gewesen, weswegen er das Buch zusammen mit dem anderen sofort wieder in seinem Schlafzimmer verstaut hatte und seine kleine Sammlung an schwarzmagischen Künsten mit etlichen Sicherheitszaubern versehen hatte.

Endlich kam Harry mit einem zusammengefalteten Pergament in der Hand zurück ins Wohnzimmer. Severus griff nach der Karte und entfaltete sie, doch sie war leer.

Harry berührte mit der Spitze seines Zauberstabes die Oberfläche der Karte und sagte: „Ich schwöre feierlich, ich bin ein Tunichtgut!“
Severus rollte genervt mit den Augen, bevor er murmelte: „Tunichtgut ist ein Synonym für Taugenichts.“ Harry musste daraufhin lächeln und ließ sich die Karte von seinem Kollegen aus der Hand nehmen, der sie sofort auf dem Couchtisch legte und entfaltete.

„Nach wem suchen Sie?“, wollte Harry wissen.
Ohne seine Augen von der Karte abzulassen erwiderte Severus: „Nach Ihrer besten Freundin.“
Ginny fand ihre Sprache wieder und fragte: „Nach Hermine? Was ist denn passiert?“
„Haben Sie wieder gestritten?“, fragte Harry vorsichtig.
„Wir streiten nicht! Wir diskutieren höchstens“, stellte Severus klar, bevor er seufzte, denn die Karte war riesig, genau wie Hogwarts und er hatte seine Schülerin bisher noch nicht gefunden. Plötzlich setzte sich Harry neben ihn und suchte mit und selbst die junge Weasley kniete sich neben den Tisch, um ein Auge auf die Karte zu werfen.

Nach etlichen Minuten tippte Ginny auf die Karte, wo der Name „Hermine Granger“ aufgetaucht war und sie sagte: „Hier, sie kommt gerade über den Hof, hat aber nicht die Treppe in die Kerker genommen.“
Severus blickte den sich bewegenden Punkt auf der Karte kurz an und sagte: „Sie kommt hierher, zu Ihnen.“ Die Karte zusammenfaltend legte er Harry nahe: „Kümmern Sie sich um sie!“ Er blickte kurz auf die Schlafzimmertür, die noch vor kurzem Black zu Sirius’ Räumen geführt hatte und sagte: „Das Zimmer dort ist ja jetzt wohl frei. Lassen Sie Hermine heute hier übernachten.“
„Aber warum?“, fragte Harry besorgt.
Severus erhob sich von der Couch und ging bereits zur Tür, bevor er erklärte: „Sie hatte heute ein sehr aufwühlendes Erlebnis und mir wäre wohler bei dem Gedanken, sie nicht allein zu wissen.“

Nachdem Severus gegangen war, blickten Harry und Ginny sich einen Moment fragend an, doch besonders Harry wollte Severus’ Ratschlag folgen. Nur wenige Minuten später klopfte es und es war, wie erwartet, Hermine, die begrüßt wurde, als hätte man nicht mit ihr gerechnet.

„Mine, komm rein! Schön, dich zu sehen. Möchtest du was trinken?“, sagte Harry fröhlich, obwohl er selbst dachte, seine Sorge müsste ihm eindeutig ins Gesicht geschrieben stehen.
„Hallo Ihr beide“, sagte sie lächelnd, doch Harry und auch Ginny sahen ihr an, dass sie geweint haben musste.
Ginny klopfte neben sich auf den Platz, damit Hermine sich setzen würde und dann fragte sie mitfühlend und leise, während Harry bei Wobbel eine kleine Bestellung aufgab: „Du bist kreidebleich, Hermine. Was stimmt nicht?“

Mit großen Augen blickte Hermine ihre beste Freundin an und sie überlegte, ob sie die Wahrheit sagen durfte, ohne ihre innige Beziehung zu Harry oder Ginny aufs Spiel zu setzen. Doch dann erinnerte sie sich an die Zeiten, in denen sie über die intimsten Themen völlig ungeniert gesprochen hatten. Es hatte nichts gegeben, über das sie nicht mit den beiden hätte reden können und so seufzte sie, während sie Harry dabei zusah, wie der die schnelle Lieferung von Wobbel begutachtete. Harry fühlte ihren Blick auf sich und schaute auf. Seine Augen versicherten ihr, ihm alles sagen zu können, was ihr auf dem Herzen lag. Sie blickte wieder zu Ginny und auch hier erkannte sie die gleiche Botschaft, so dass sie einmal tief Luft holte, bevor sie von ihrem schrecklichen Fehler berichten wollte.

Ihre beschämt klingende Stimme war kaum zu vernehmen, als Hermine sagte: „Ich habe es mir nie vorstellen können, aber heute habe ich es selbst erleben müssen.“
„Was?“, fragte Ginny und sie rügte sich in Gedanken dafür, Hermine mit ihrer Neugierde zu bedrängen.
„Wie es ist“, Hermine schluckte kräftig, „wenn man sich in Lektüre vertieft, die einen schlechten Einfluss auf einen hat.“
Harry kniff die Augen zusammen und überlegte, bevor er vorsichtig fragte: „Du meinst hoffentlich nicht das, was ich jetzt denke?“
Auf den Kopf gefallen war Ginny auch nicht, denn sie fragte: „Dunkle Künste?“ Als es ausgesprochen war, schlug sich Hermine beide Hände vors Gesicht, bevor sie nickte.
Aufgebracht tigerte Harry im Wohnzimmer hin und her und zerwühlte dabei seine eh schon strubbeligen Haare mit einer Hand, bevor er wütend fragte: „Hat er dir das zu lesen gegeben?“

Würde sie die Antwort bejahen, dann würde ihn nichts halten können, denn er würde sofort mit gezücktem Zauberstab zu Severus stürmen, um ihn zur Rede zu stellen, doch Hermine verneinte, was man kaum hören konnte. Noch immer hatte sie ihr Gesicht in den zittrigen Händen vergraben. Ginny blickte zu Harry und schüttelte zaghaft den Kopf, um Hermines Antwort an ihn weiterzugeben.

„Wie bist du denn nur dazu gekommen?“, fragte er sauer. „Gerade du, die mir heute manchmal noch vorwirft, dass ich es dazu habe kommen lassen, mich vom Spiegel Nerhegeb so einnehmen zu lassen und der war nicht einmal schwarzmagisch! Du bist doch sonst immer so schlau, Hermine! Was hat dich da nur geritten?“

Harrys Worte taten weh und sie bereute es, den beiden von ihrem Fehler erzählt zu haben, denn sie war ja eigentlich dafür bekannt, keine Fehler zu machen. Ihr ganzes Leben lang, schon als Schülerin, hatte sie Angst davor gehabt, solche Patzer zu begehen, weswegen sie immer fleißig gelernt hatte, um zumindest in der Theorie vorausschauend handeln zu können, damit sie Fehler vermeiden konnte. Niemand aus ihrem Freundeskreis hätte damit gerechnet, dass gerade sie in den Bann der dunklen Künste gezogen werden könnte und jetzt, nachdem sie das Geständnis gemacht hatte, hatte sie ihre Freunde enttäuscht, aber auch sich selbst. Plötzlich spürte sie einen Arm um ihre Schulter. Ginny drückte sie an sich und sie schien nicht enttäuscht zu sein. Ihre beste Freundin umarmte sie und gab ihr den Halt, den sie hier erhofft hatte.

„Oh ja, tröste sie nur. Das hat sie überhaupt nicht ver…“
Ginny fuhr Harry böse an und unterbrach: „Halt den Mund, Harry!“ Bevor er etwas sagen konnte, sagte sie spöttisch: „Du hast wohl nie Fehler in deinem Leben gemacht.“
„Es tut mir Leid“, wimmerte Hermine. Sie wiederholte: „Es tut mir Leid, dass ihr euch wegen mir in die Haare bekommt. Das möchte ich wirklich nicht.“ Sie löste die Umarmung mit Ginny und sagte niedergeschlagen, während sie sich von der Couch erhob: „Ich werde besser in mein Zimmer gehen und…“
Harry versperrte ihr den Weg und sagte diesmal mit ruhiger Stimme, weil er sich an Severus’ Bitte erinnerte: „Nein, bleib hier.“ Er schenkte allen dreien eine Tasse Tee ein und reichte eine davon Hermine, so dass sie sich wieder setzte. „Erzähl mir, wie es dazu gekommen ist, Mine. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du es mit Absicht gemacht hast.“
„Habe ich auch nicht, wirklich nicht! Ich…“, sie schüttelte den Kopf, um die heutigen Ereignisse zu sortieren. So begann sie von vorn und erklärte: „Severus war vorhin noch nicht da. Ich hatte Draco getroffen und der sagte, dass Severus ein Gespräch mit Albus hätte und es länger dauern könnte. Wir haben uns ein wenig unterhalten und er hat zugestimmt, meinen Farbtrank zu testen.“ Harrys Augenbrauen schossen vor lauter Staunen in die Höhe, doch er ließ Hermine ihre Geschichte ohne Unterbrechung schildern. „Ich bin mit Draco ins Labor gegangen und da war diese Unordnung.“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf und erklärte: „Das war so untypisch, Harry. Da lagen überall Bücher auf den Tischen und Notizen von Severus. Nach dem Gespräch, das wir beide gestern mit ihm gehabt hatten, habe ich geglaubt, ich könnte seinem Geheimnis auf die Spur kommen.“ Sie nahm einen Schluck Tee, bevor sie beichtete: „Dracos Reaktion auf eines der Bücher hätte mich warnen müssen. Er ist gegangen, weil er mit der Dunkelmagie nichts zu tun haben wollte und als ich allein war, da habe ich diese beiden schwarzen Bücher auch gemieden.“ Sie schluckte, bevor sie offenbarte: „Severus’ Abschriften aus diesen Büchern waren so… Ich kann es gar nicht beschreiben. Ich wollte mehr wissen und habe nicht bemerkt, dass ich plötzlich in einem dieser Bücher gelesen habe.“ Ihre Stimme wurde leiser, während sie sagte: „Ich habe nur gefühlt, wie meine Begeisterung immer größer geworden war. Es war wie eine Sucht, Harry und wäre Severus nicht gekommen, um mir die Leviten zu lesen, dann weiß ich nicht, was geschehen wäre.“

Harry kniff die Lippen zusammen, konnte aber nicht unterdrücken zu sagen: „Ich glaube einfach nicht, dass du das nicht bemerkt haben willst.“
„Harry, es langt!“, sagte Ginny energisch. „Du bist hier der Lehrer für ’Verteidigung gegen die Dunklen Künste’ oder? Vielleicht solltest du dir mal eines dieser Bücher zu Gemüte führen, damit du nachvollziehen kannst, wie sich diese dunkle Magie auf einen auswirkt!“
„Ich habe jahrelang gegen Voldemort gekämpft und du willst mir erzählen, dass ich keine Ahnung davon hätte?“, fragte Harry aufgebracht.
Ginny versuchte mit ruhiger Stimme zu erklären: „Du warst Voldemorts Angriffen ausgesetzt gewesen und hattest durch ihn Albträume; hast mehrmals gegen ihn kämpfen müssen und hast ihn am Ende zum Glück auch besiegt, aber du warst niemals einem Gegenstand ausgesetzt gewesen, der völlig harmlos schien und deinen Geist überrannt hat.“ Ginny legte erneut einen Arm um Hermine und sagte zu ihr, so dass Harry alles verstehen konnte: „Ich weiß genau, was du gefühlt haben musst, denn es kann nicht viel anders gewesen sein als das, was ich gefühlt habe, als ich mich von Riddles Tagebuch habe hinreißen lassen.“ An Harry gewandt erklärte Ginny: „Du hast es zwar auch in den Händen gehalten und Voldemort hat dir Dinge gezeigt, aber du warst nicht durch die dunkle Kraft des Buches besessen wie ich. Du hast dich nicht plötzlich irgendwo wiedergefunden, ohne zu wissen, wie du dorthin gekommen warst.“ Sie seufzte und sagte im Anschluss: „Dad kann da Geschichten erzählen, sage ich euch. Nicht einmal die erfahrensten Auroren sind davor gefeit, berühren sie versehentlich einen schwarzmagischen Gegenstand. Was meint ihr, warum während einer Razzia niemals einer alleine durch die Zimmer streifen darf? Das war auch so, als man bei Malfoy nach schwarzmagischen Gegenständen gesucht hat. Immer zwei, die gemeinsam durch die Zimmer gehen, denn alleine wäre man ganz schnell verloren.“ Ginny blickte Hermine an und lächelte, während sie lobend sagte: „Hermine hat große Stärke bewiesen, dass sie davon hat ablassen können, auch wenn der Drang noch so groß gewesen war.“

Die drei verbrachten den ganzen Abend miteinander und Harry verabschiedete sich zwischendurch kurz, um auf Hermines Hinweis hin mit Severus’ Hund auszugehen, weshalb er in die Kerker gegangen war. Er war sich sicher, dass die beiden Frauen nun etwas anders miteinander reden würden; Frauengespräche führen würden.

Ohne Severus zu grüßen leinte er den Hund an und ging. Auch wenn Hermine beteuert hatte, dass es nicht Severus’ Schuld gewesen war, so war Harry doch sauer auf ihn. Wie üblich war er zwanzig Minuten mit Harry draußen und als er den Hund wieder bei Severus abgab, da fragte er ihn stoffelig: „Warum gehen Sie mit dem Hund eigentlich nicht selbst raus?“
Severus stieß Luft durch die Nase aus, bevor er hämisch sagte: „Das würde meinen Ruf an der Schule zunichte machen. Stellen Sie sich nur vor: Der grantige Zaubertränkelehrer, der fürsorglich mit seinem Hund spazieren geht.“
„Von wegen… Das würde den Schülern nur bestätigen, dass Sie einen Hund besser behandeln“, konterte Harry bösartig, denn in seinem Innern hatte er Severus dafür verantwortlich gemacht, dass Hermine überhaupt Zugriff auf solche Bücher gehabt hatte.
„Sein Sie nicht so frech!“, schimpfte Severus, der von seiner Couch aufgestanden war, damit er bedrohlicher wirken konnte, doch Harry ließ sich nicht einschüchtern.
„Wie konnten Sie solche Bücher nur herumliegen lassen?“, wollte er wissen. „Es ist schon schlimm genug, dass Sie so etwas überhaupt besitzen. Weiß Albus davon?“
„Wollen Sie mir etwa drohen?“, fragte Severus mit zusammengekniffenen Augen, so dass Harry bereuend den Kopf schüttelte. „Es war nicht von mir beabsichtigt, dass Hermine die Bücher finden sollte. Ich habe schlichtweg keine Zeit gefunden, sie wegzuräumen“, rechtfertigte sich Severus. Damit wollte sich Harry zunächst zufrieden geben, so dass er lediglich nickte und eine gute Nacht wünschte, doch Severus hielt ihn auf und bat ihn: „Seien Sie so freundlich und unterrichten Sie Hermine davon, dass sie sich um ihr Haustier keine Sorgen machen muss.“ Severus blickte auf den Korb, in welchem sich der weiße Hund bereits niedergelassen hatte. Harry folgte seinem Blick und entdeckte dort Hermines Kniesel. Erklärend fügte Severus hinzu: „Da Hermine bei Ihnen übernachten wird, war ich so frei und habe das Tier zu mir genommen. Sie können ihn natürlich auch mitnehmen, aber ich dachte, wegen dem Kind...“
„Ich sag’s ihr. Gute Nacht, Severus“, sagte Harry und verließ seinen Kollegen.

Am späten Abend, als Hermine gehen wollte, da bot Ginny an, dass sie hier übernachten sollte.

„Das kann ich nicht. Fellini wartet auf mich“, sagte sie.
„Ähm, nein. Ich soll dir von Severus ausrichten, dass er ihn hat. Ihm geht’s gut. Bleib heute Nacht einfach hier. Ich würde mich dann wohler fühlen“, sagte Harry.
Hermine lächelte dankbar und sagte: „Das ist genau das, was ich jetzt brauche. Das Gefühl, nicht allein zu sein. Danke für das Angebot.“

Spät in der Nacht saß Severus auf seiner Couch und dachte daran, wie es seiner Schülerin jetzt wohl gehen würde. Das Verlangen, dass sich durch ihren kurzen Einblick in die dunklen Künste in ihre Seele eingebrannt hatte, würde ihr heute Nacht schreckliche Albträume bescheren. Er seufzte und rügte sich wieder und wieder, die Bücher nicht weggeräumt zu haben. Sein Büro und sein Labor waren schon lange nicht mehr nur sein Lebensraum, denn er teilte sie mit Hermine wie er auch sein Wissen mit ihr teilte und gerade daran hätte er denken müssen. Mit ihr hatten seine Räume sogar ihre Trostlosigkeit verloren, denn wenn er allein in seinem Labor arbeitete, war ihre Präsenz für ihn immer spürbar, selbst wenn sie gar nicht bei ihm war. Wenn er zum Vorratsschrank schaute, dann rief der Anblick der grauen Holztür Erinnerungen daran wach, wie Hermine sorgfältig mit Pergament und Feder eine Inventur der Zutaten vorgenommen hatte. Blickte er zu seinen Reagenzgläsern und Phiolen, dann sah er sie damit hantieren, während sie ihm Geschichten erzählte. Einfachsten Gegenständen hatte Hermine bereits Leben einhauchen können, weil sie sich mit seinen Erinnerungen an einen Menschen verknüpft hatten, den er einen Freund nannte. Selbst hier in seinem Wohnzimmer hatte diese Lebendigkeit bereits Einzug gehalten. Er wollte gar nicht daran denken, wie sein Umfeld nach drei Jahren auf ihn wirken könnte, wenn Hermine nach vollendeter Ausbildung ihrer eigenen Wege gehen würde und die Räume, denen sie Leben eingehaucht hatte, mit dem dumpfen Gefühl vergangener Geselligkeit zurücklassen würde. Seine heute noch erfreulichen Erinnerungen würden sich wahrscheinlich umkehren in schmerzhafte, so wie der Anblick von Harrys Augen in ihm manchmal unerwartet eine längst erloschene Trauer wieder auflodern ließ, die er nie mehr in vollem Umfang spüren wollte.

Im Erdgeschoss hatten sich alle zur Nachtruhe begeben. Hermine lag eine ganze Weile wach in dem Bett, welches Sirius noch vor seiner Hochzeit dann und wann belegt hatte. Immer wieder dachte sie an das, was ihr die schwarzmagischen Bücher vermittelt hatten.

Hermine fand sich mitten in der Nacht unverhofft in den kühlen Gängen Hogwarts wieder und ihre nackten Füße trugen sie in die Kerker direkt in Severus Labor. Kein einziges Buch fand sie vor, doch sie wollte eines lesen – nur noch einmal hineinblicken. Sein Schlafzimmer wäre das beste Versteck, dachte sie, weil sie es so gut wie nie betreten würde und so ging sie zu seinen privaten Räumen, durchkreuzte leichtfüßig sein dunkles Wohnzimmer und öffnete seine Schlafzimmertür. Severus lag im Bett auf seiner Seite und schlief ruhig und so betrachtete sie die vielen Bücherregale und fand jenen schwarzen Band, der sie zu rufen schien. Mit großen Augen, in denen unheilvolle Flammen loderten, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und griff nach dem Buch, doch als ihre Handinnenfläche den Buchrücken berührte, da durchfuhr ein feuriger Schmerz ihre Glieder. Sie schrie auf und ließ das Buch fallen. Gleich darauf war Severus’ Schlafzimmer durch Kerzen erhellt, doch sie blickte nicht zum Erwachten hinüber, sondern auf ihre Handfläche.

„Haben Sie sich verbrannt?“, fragte seine Stimme, die so fremdartig klang. Sie nickte, aber blickte nicht einmal zu ihm auf, als sie seine Hand an ihrer Schulter spürte. „Zeigen Sie“, sagte er mit beängstigend verzerrter Stimme, wie Hermine sie noch nie vernommen hatte. Seine Hand umfasste die ihre. Seine immer so spürbare Gefühlskälte, die von ihm ausging, schien ihre Wunde zu betäuben und während der Schmerz nachließ, führte er sie hinaus in sein Wohnzimmer. Dort erblickte sie Fellini, doch er war nicht mehr nur schwarz, sondern hatte weiße Punkte. Hermine stutzte und als ihr logischer Verstand die Situation zu deuten versuchte, da wurde sie abgelenkt, weil Fellini zu Severus lief und der ihn auf den Arm nahm und streichelte. Sie näherte sich ihm und streichelte Fellini ebenfalls, doch Severus bedeutete ihr, von ihm wegzugehen, so dass sie sich einige Schritte von ihm entfernte. Dann zog er plötzlich seinen neuen Zauberstab, richtete ihn auf sie und flüsterte: „Incendio.“

Hermines Nachthemd fing Feuer und sie schrie wie am Spieß, bis die heißen Flammen ihr die Luft nahmen und sie plötzlich einen starken Schmerz an der Wange verspürte.

„Hermine! Wach auf, Hermine!“, sagte Ginny, die ihrer besten Freundin eben eine Ohrfeige gegeben hatte, weil sie mit etwas Rütteln einfach nicht wach zu bekommen war, doch selbst das schien nicht geholfen zu haben.
Heftig atmend und schluchzend winselte Hermine mit geschlossenen Augen: „Ich brenne! Das tut so weh.“ Ihre Hände verkrampften sich zu Krallen und ihr Gesicht war schmerzverzerrt und Ginny kam zu der Überzeugung, dass Hermine noch immer in ihrem Albtraum gefangen war.

Sie griff nach dem Glas Wasser auf dem Nachttisch und schleuderte den Inhalt in Hermines Gesicht.
Endlich war Hermine wach und sie blickte sie orientierungslos im Zimmer um, bevor sie Ginnys warme Augen bemerkte, die jede ihrer Bewegungen gelassen beobachtete.

„Du hast schlecht geschlafen“, sagte Ginny ruhig, bevor sie ihren Zauberstab zog, um die Stellen zu trocknen, die das Wasser benetzt hatte, doch da zuckte ihre beste Freundin zusammen.
„Bitte nicht!“, wimmerte sie mit angstvollem Gesicht, doch Ginny schwang einfach den Stab und beseitigte die Nässe, während Hermine mit dem Schlimmsten zu rechnen schien.
„Schon gut, Hermine“, sagte Ginny, „du hattest nur einen bösen Traum. Das kann passieren.“
Langsam begriff Hermine, dass sie nicht eben in Flammen aufgegangen war und sie alles nur geträumt hatte. „Willst du drüber reden?“, fragte Ginny mit vertrauter Stimme.

Hermine atmete mehrmals tief durch und versuchte, den Geruch verbrannten Fleisches, den sie noch immer wahrnehmen konnte, zu vergessen. Sie berührte mit einer Hand über den Unterarm, dessen Haut vor kurzem noch Blasen geschlagen hatte und danach fuhr sie sich durchs Haar, welches den Flammen als erstes zum Opfer gefallen war. Noch immer war ihr Hals ganz rau durch den vielen Rauch, den sie eingeatmet hatte.

„Es war so echt“, sagte Hermine flüsternd. „Mir tut noch immer alles weh.“ Ginny nickte verständnisvoll und wartete geduldig, bis Hermine reden würde. „Es war so echt“, wiederholte sie leise, denn es war kein normaler Traum gewesen. Sie hatte den kalten Boden an ihren Füßen gespürt, die schmerzende Hand, nachdem das Buch sie verbrannt hatte und sogar Fellinis Fell hatte sich zwischen ihren Fingern so wirklich angefühlt.
„Dad sagt, dass die dunkle Magie jedem Menschen Träume schickt, der mit ihr in Berührung gekommen ist. Diejenigen, die gewonnen werden können, bekommen verführerische Träume, doch die, die einen festen Willen zeigen, so wie du, Hermine, denen will die dunkle Magie zeigen, welche Kraft sie innehaben kann“, erklärte Ginny ruhig. Plötzlich lachte sie auf, bevor sie sagte: „Und Fred ist der Meinung, dass Träume sowieso nur der Stuhlgang der Seele sind, von dem man sich befreien muss, bevor man ihn wegspült.“
Hermines Mund formte unabhängig von ihrer momentanen Stimmung ein Lächeln, bevor sie nickte und sich selbst aufmuntern wollend sagte: „Ich glaube, dass Fred Recht hat.“
„Willst du über den Traum reden?“, fragte Ginny.
Hermine war ergriffen davon, dass ihre beste Freundin sich mitten in der Nacht Zeit für sie nahm und ihr ein offenes Ohr anbot. Sie nickte, bevor sie erzählte: „Severus hat mich verbrannt und ich habe alles gespürt.“
„Verbrannt?“, fragte Ginny nach.
Nickend bestätigte Hermine: „Mit einem Incendio.“
„Das war der ganze Traum? Ist nichts sonst passiert?“
„Doch schon, aber das war das Schlimmste“, antwortete Hermine erschöpft.
Ginny nickte verständnisvoll und sagte: „Du kannst mir ja morgen alles erzählen, wenn du möchtest. Du solltest jetzt wieder schlafen, aber tu mir den Gefallen und nimm keinen Schlaftrunk.“
„Warum nicht?“, wollte Hermine wissen.
„Weil diese Tränke meistens die Träume unterdrücken, aber du musst dich von dem befreien, was du erlebt hast, Hermine. Vielleicht hast du die ganze Nacht über schlechte Träume, aber es ist besser, das hinter dich zu bringen. Deine Seele muss eine Möglichkeit finden, sich zu entgiften“, erklärte Ginny.

Bevor Ginny wieder ging, umarmte sie Hermine und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Sie deckte sie sogar zu, weswegen Hermine scherzend fragte: „Möchtest du mir noch eine Gute-Nacht-Geschichte erzählen?“
„Möchtest du eine hören?“, neckte Ginny.

Ginny ließ ein kleines Licht in Hermines Zimmer an und ging dann zurück in ihr Schlafzimmer. Harry war erstaunlicherweise wach und nörgelte gleich: „Ich bin aufgewacht, weil es neben mir nicht mehr so schön warm war.“ Er schob seine Unterlippe nach vorn und schmollte, so dass Ginny lachen musste.
„Hermine hatte einen Albtraum. Ich war nur kurz bei ihr“, erklärte sie, während sie wieder ins Bett stieg. „Oh, das Bett ist ja ganz schön kalt geworden.“
Harry grinste frech und sagte: „Dann musst du näher zu mir rutschen; hier ist’s warm.“ Er ließ frech die Augenbrauen tanzen, so dass Ginny breit grinsend zu ihm hinüberrutschte, um sich anzukuscheln.

„Hat sie erzählt, was sie geträumt hat?“, wollte er wissen.
„Nicht alles, aber vielleicht erzählt sie mir morgen den Rest. Sie hatte nur gesagt, dass Severus sie mit einem Incendio verbrannt hatte und es war wohl leider ein sehr echt wirkender Traum“, antwortete sie.
„Hat das mit dem Buch zu tun?“
Ginny nickte und sagte: „Ich denke schon. So ein überwältigendes Gefühl, das man beim Lesen der schwarzen Künste erfährt, kann die Träume genauso beeindruckend gestalten.“ Etwas eingeschnappt fügte sie hinzu: „Ich hab ihr angeboten, ihr eine Gute-Nacht-Geschichte zu erzählen, aber sie wollte nicht.“
Harry musste lächeln, sagte dann jedoch so ernst wie nur möglich: „Erzählst du mir eine?“
Ginny machte ganz große Augen, bevor sie drauf einging und fragte: „Hast du denn einen besonderen Wunsch?“ Weil er mit den Schultern zuckte, nahm sie ihn einfach in den Arm, legte seinen Kopf unter ihr Kinn und begann zu erzählen: „Es war einmal eine Prinzessin, die wurde von einem Drachen in einem…“
Harry legte sein Veto ein: „Nein, nichts mit Drachen, die man erlegen muss. Auch nichts mit schwarzen Rittern, die sich einem in den Weg stellen oder mit bösen Zauberern.“
„Mmmh“, machte Ginny. „Dafür, dass du keinen besonderen Wunsch hattest, sind das jetzt recht viele Einschränkungen, meinst du nicht? Wie sollen Märchen ohne das noch funktionieren?“
„Na, dann mach doch einfach da weiter, nachdem der Held die Prinzessin gerettet hat!“
„Aber das ist ja schon das Ende jeder Geschichte, Harry“, warf sie ein.
Harry stützte sich auf einen Ellenbogen, um Ginny ansehen zu können, bevor er mit einer Strähne ihres roten Haares spielte und vorschlug: „Dann erfinde für mich einfach das, was nach dem Kuss kommt. Ich will von dem ganzen Glück hören, das die Märchenonkel immer nur mit einem einzigen Satz abhandeln. Ich möchte von all den schönen Momente erfahren, die hinter den Worten ’Und sie lebten glücklich bis an ihr Ende’ verborgen sind.“ Er küsste sie zaghaft auf die Lippen und flüsterte ihr danach zu: „Ich möchte wissen, warum sie zusammen glücklich waren.“
„Ach Harry“, sagte sie, bevor sie theatralisch seufzte. „Das wird aber keine jugendfreie Geschichte werden. Es muss ja einen Grund gehabt haben, warum die Märchen gleich nach dem Kuss so abrupt beendet wurden.“ Sie lehnte sich selbst auf den Ellenbogen, so dass ihre Gesichter ganz dicht beieinander waren und sagte leise, während ihre Lippen über seine fuhren: „Ich glaube, das beste wird sein, wenn ich es dir einfach zeige!“

Harry freute sich wie ein Schneekönig auf Ginnys Interpretation von „’Und sie lebten glücklich bis an ihr Ende.“.

Derweil lag Hermine in ihrem Bett und dachte so viel nach, dass sie hoffentlich nicht mehr einschlafen würde, doch sie fiel erneut ins Land der Träume und fand sich abermals an dem Regal in Severus’ Schlafzimmer wieder. Ihre Augen fielen auf den schwarzen Band und da plötzlich wusste sie, dass sie einen schlechten Traum haben musste, doch der wollte einfach nicht vorübergehen, bevor sie das Buch nicht aus dem Regal nehmen würde. Sie wollte sich zwingen zu erwachen, doch sie fand keinen Weg. Missmutig starrte sie auf das Buch und ließ einen Moment vergehen, bis sie sich dazu aufgerafft hatte, es in die Hand zu nehmen. Diesmal verbrannte sie sich nicht, so dass sie das Buch auf eine Ablage legen konnte. Noch immer hoffte sie aufzuwachen oder dass der Traum eine andere Richtung einschlagen würde. Hoffnungsvoll blickte sie auf Severus’ schlafenden Körper, doch der regte sich nicht, um sie vor einem Fehler bewahren zu können. Sie öffnete den Mund, um ihn zu wecken, aber kein Ton kam über ihre Lippen, so dass sie zu der Ansicht kam, den Traum durchleben zu müssen, um ihn beenden zu können.

Mit zittrigen Händen berührte sie den Buchdeckel und schlug ihn auf. Hermine wich sofort zurück, weil sich eine rotschwarze Schlange auf den Seiten räkelte. In dem kleinen Teil ihres wachen Geistes merkte sich Hermine jedes Detail, denn vielleicht könnte eine Analyse später Licht ins Dunkel bringen und während sie sich alle Dinge zu merken versuchte, da biss die Schlange sie in die Hand. Der Schmerz war für einen Traum viel zu real, dachte Hermine. Mit Tränen in den Augen hielt sie sich die verletzte Hand und hoffte innig, diese Schlange wäre nicht giftig, doch schon in der Muggelschule hatte sie gelernt, dass die ganz besonders auffällig gezeichneten Reptilien meistens giftig waren. Ein starkes brennendes Gefühl schlich an ihrem Arm hinauf bis in die Schulter. Gerade als Hermine davon ausging, dass sie in diesem fürchterlichen Traum den Vergiftungstod erleiden müsste, da wuchs die Schlange plötzlich an. Bevor Hermine fliehen konnte, fand sie sich bereits von einem Schlangenkörper umgeben, der ihr die Luft aus dem Körper presste. Benommen ging Hermine zu Boden, während die Schlange sich immer enger um sie legte. Mit flatternden Augen blickte sie zu Severus hinüber, der noch immer selig schlief und wieder öffnete sie ihren Mund, um ihn zu rufen, doch da kroch der Kopf der Schlange in ihren Rachen und Hermine erstickte.

Mit einer Hand an ihrer Kehle schreckte Hermine auf. Obwohl sie gewusst hatte, dass sie träumen musste, war dieses Erlebnis nicht minder schlimm gewesen wie das vorhergehende. Ihr Arm, durch den das Gift der Schlange geflossen war, schmerzte noch immer und ihre Kehle fühlte sich rau an, so dass Hermine erst einmal einen Schluck Wasser zu sich nehmen musste. Ihr Glas auf dem Nachttisch war leer, doch mit einem Aguamenti war das Problem behoben. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es erst halb vier morgens war. Noch einen oder zwei Träume dieser Art wollte sie nicht mehr erleben. Hermine war hellwach und mit einem Male kam die Neugierde in ihr auf, in Erfahrung zu bringen, was die Träume bedeuten könnten, doch viel willkommener war der Gedanke, sich die Nacht um die Ohren zu schlagen, nur um nicht mehr schlafen zu müssen. Sie kleidete sich still an und verließ die Räume ihrer beiden Freunde, um sich auf den Weg in die Bibliothek zu machen.

Wie schon einmal erstaunte es sie, dass die Bibliothek nicht geschlossen war. Sie besorgte sich sofort das Buch „Oneirologie“, welches sie wegen Severus’ Traum schon konsultiert hatte und setzte sich an ihren Stammplatz. Hermine atmete ruhig, schloss die Augen und versuchte, sich den ersten Traum ins Gedächtnis zu rufen. Er war bereits etwas verblasst, da sie noch einmal eingeschlafen war, aber weil sie wegen dem kurzen Gespräch mit Ginny bereits bewusst über ihn nachgedacht hatte, fielen ihr die wichtigen Symbole wieder ein.

Ein „Buch“ war das Symbol für Wissen und Weisheit, was Hermine nicht überraschte. Sie las still: „Ein Buch bedeutet nicht nur, dass Sie im Begriff sind, in sich selbst zu lesen, sondern es gibt Ihnen den Hinweis, allen anderen Symbolen Ihres Traumes eine besondere Bedeutung beizumessen.“ Als nächstes wollte sie nachsehen, was eine verletzte Hand bedeuten könnte und sie las: „Sie scheinen selbst im Wachleben handlungsunfähig zu sein, sollten Sie sich im Traum Ihre Hand verletzt haben.“

Hermine seufzte, bevor sie sich das Ende des Traumes in Gedanken wiederholte, als Severus sie angezündet hatte, doch dann erinnerte sie sich daran, dass Severus Fellini gestreichelt hatte und sie es ihm gleichgemacht hatte. Da der Anfang der Traumdeutung ihr nahe gelegt hatte, allen Symbolen eine besondere Bedeutung zukommen zu lassen, wollte sie diesen Teil nicht übergehen. Fellini hatte in ihrem Traum ein schwarzes Fell mit weißen Flecken gehabt und laut Buch bedeutete eine Katze mit geflecktem Fell, dass man leidenschaftliche Gefühle empfindet. Hermine las leise: „Das Streicheln einer Katze bedeutet, dass Sie gut zu einem Menschen sind, der es verdient.“

Sie wollte gerade unter dem Begriff „Feuer“ nachsehen, da fühlte sie eine Präsenz hinter sich und im ersten Augenblick dachte sie, es könnte sich nur um Severus handeln. Es war jedoch eine bedrohliche Präsenz, die sie am ganzen Leib verspürte. Severus hingegen hatte sie damals nie wahrnehmen können, als er sie in der Bibliothek beobachtet hatte und deswegen bekam Hermine es mit der Angst zu tun. Jemand war hier und die finstere Anwesenheit dieser Person war so fühlbar und real, dass sich ihr sämtliche Körperhaare aufrichteten. Hermine täuschte vor, in dem Buch zu lesen, während sie sich voll und ganz auf ihr Gehör konzentrierte und tatsächlich hörte sie es rascheln; hörte Stoff an Stoff reiben. Mit pochendem Herz hielt Hermine die Luft an, doch als sie hörte, wie jemand ausatmete, da wurde sie von purer Angst überfallen.

Mit einem Male sprang Hermine von der kleinen Bank auf, drehte sich und zog gleichzeitig ihren Zauberstab. Als sie die große, dürre Person hinter dem Bücherregal sah, da gefror ihr das Blut in den Adern. Hermine war unfähig, sich zu bewegen oder klar zu denken und diesen Moment nutzte die Person, um sich ihr zu nähern. Die dunkel gekleidete Figur zog ihre Kapuze hinunter und es kam schwarzes, wirres Haar zum Vorschein und auch das blasse Gesicht war zu erkennen. Schwere Augenlider hoben sich langsam und offenbarten finstere Augen. Hermine konnte ihren Zauberstab einfach nicht benutzen und vermutete, dass man sie verzaubert haben musste.

Unerwartet und flüsternd sprach eine dunkle raue Frauenstimme: „Oh nein, mein Schatz. Ich habe dich nicht verzaubert. Du willst mich nur nicht angreifen; das ist alles.“ Hermine schüttelte panisch den Kopf und versuchte, irgendetwas zu sagen – oder zu schreien. Sie wollte die Schüler warnen und den Direktor informieren, aber wie in einem ihrer Träume von heute Nacht war sie unfähig zu sprechen. Die dünne Gestalt kam näher und näher, doch Hermine konnte nicht weglaufen, so sehr sie es auch wollte.

Als sich die beiden Aug in Aug gegenüberstanden, lachte die Frau schrill und hysterisch, während sie ihren Kopf nach hinten warf und eine vor Angst ganz bewegungsunfähige Hermine fest in ihre Arme schloss. Plötzlich drückte die Dunkelhaarige noch fester zu und gab Hermine einen Kuss auf die Stirn. Gleich darauf hauchte die Frau: „Hallo…“, ihre fahle Hand berührte Hermines Wange, „…Schwester!“
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
~ Muggelchen.net ~

Benutzeravatar
Muggelchen
EuleEule
Beiträge: 345
Registriert: 07.06.2008 22:29
Wohnort: Gemälde im 1. Stock

Beitrag von Muggelchen »

112 Innenwelt




Mitten in der Nacht – oder eher am sehr frühen Morgen – war Harry von Ginny rabiat geweckt worden, indem sie ihm einfach die warme Decke weggerissen hatte und ihn solange auf der Matratze wie einen Ball springen ließ, bis er die Augen öffnete und sich über die grobe Behandlung beschwerte.

„Hermine ist nicht mehr in ihrem Bett!“, sagte sie aufgebracht, während sie sich bereits eine Jeans über die schlanken Beine zog.
Mit einem Satz war Harry aus dem Bett gesprungen und griff nach seiner Hose und während er sie anzog, fragte er nach: „Was ist los? Hermine…“
„Sie ist nicht mehr da, Harry. Wir müssen sie suchen“, sagte Ginny hektisch, aber dennoch leise, damit Nicholas nicht gleich nach dem Stillen wieder aufwachen würde.

Einige Kleidungsstücke nahmen sie mit ins Wohnzimmer, um sich dort weiter anzuziehen. Harry war noch nicht dazu gekommen, seinen Pullover überzuziehen, da schnappte er sich bereits die Karte der Rumtreiber und sagte den Zauberspruch, damit sie Hogwarts und seine Bewohner anzeigen würde, während er sich zur gleichen Zeit mit einer Hand eine Socken über den Fuß streifte. Auch Ginny blickte auf die Karte und band sich nebenbei die Schnürsenkel.

„Verdammt, ich wusste es!“, sagte sie aufgebracht und deutete auf einen bestimmten Punkt. „Sie ist in der Bibliothek und ich möchte wetten, sie liest ein Buch, das ihr jetzt gar nicht gut bekommen wird.“
„Was, wenn wir damit nicht umgehen können? Was, wenn wir es nicht schaffen, Hermine zur Vernunft zu bringen?“, fragte Harry, der jetzt fast fertig angekleidet war.

Wobbel hatte den Auftrag bekommen, auf Nicholas zu achten und Harry raufte sich die Haare, dass er nicht schon vorher darauf gekommen war, seinen Hauself auf Hermine aufpassen zu lassen.

„Harry, du gehst in die Bibliothek und hältst Hermine von den Büchern fern und ich hole Snape zu Hilfe“, sagte Ginny.
„Severus? Du willst ihn um vier Uhr fünfundvierzig wecken? Bist ganz schön mutig“, scherzte Harry ohne den Hauch von Humor in der Stimme, denn er war innerlich zu Tode erschrocken und konnte sich nicht einmal selbst die Angst nehmen, seiner besten Freundin könnte etwas Schlimmes widerfahren.
„Was heißt hier ’mutig’?“, konterte Ginny, bevor sie von der Couch sprang und startbereit an der Tür stand. „Eines sage ich dir, Harry: Wenn Snape mir heute Punkte abzieht, dann bekomme ich die von dir wieder und zwar alle!“
„Kein Problem“, versicherte er ihr, bevor beide auf den Flur gingen und Ginny in Richtung Kerker rannte, während Harry in den vierten Stock hechtete.

Im dritten Stock machte Harry sich eine gedankliche Notiz, in Zukunft wieder mehr Sport treiben zu wollen, denn seine Kondition ließ sehr zu wünschen übrig.

Endlich war er im vierten Stock angekommen und er zückte vorsichtshalber seinen Zauberstab, bevor er die Tür leise öffnete. In der Bibliothek gab es nur eine einzige Lichtquelle und der näherte er sich Schritt für Schritt, derweil immer auf der Hut, möglicherweise von einer verdrehten Hermine angefallen zu werden.

Harry fand sie dort, wo er sie sonst auch immer angetroffen hatte. Ihr Gesicht war von ihren buschigen Haaren verdeckt, doch er konnte erkennen, dass ihr Kopf auf einem Buch lag. Sie war ganz offensichtlich beim Lesen eingeschlafen. Er streckte eine Hand aus, um Hermine an der Schulter zu berühren, doch bevor er sie auch nur an angefasst hatte, wimmerte sie und ihr Kopf schlug wild von links nach rechts.

„Hermine, du träumst“, sagte er viel zu leise, weil er es gewohnt war, in der Bibliothek die Stimme nicht erheben zu dürfen. Endlich packte er sie an der Schulter und Hermine schreckte hoch. Für den Bruchteil einer glaubte er, ein wahnsinniges Funkeln in ihren Augen wahrzunehmen, doch nachdem Hermine einmal geblinzelt hatte, war es wieder verschwunden. Sie erblickte ihn und schien sich zu fürchten, weswegen er ruhig sagte: „Ich bin es nur, Hermine. Ich bin es, Harry.“ Er streckte seine Hand erneut nach ihr aus, aber sie verließ erschrocken ihren Platz, nur um schlaftrunken und orientierungslos hin und her zu torkeln.

Zur gleichen Zeit klopfte Ginny einige Stockwerke tiefer an den Rahmen neben dem Gemälde von Salazar Slytherin und zu ihrem Erstaunen wurde ihr abrupt geöffnet. Als Snape sie sah, begann er zu sagen: „Fünfzig Punkte Ab…“
„Hermine ist abgehauen und ist jetzt in der Bibliothek. Harry ist schon hingegangen, aber er wollte, dass Sie auch kommen, falls…“
Diesmal unterbrach Severus und er sagte beruhigend: „In der Bibliothek wird sie nichts Derartiges finden, Miss Weasley, denn Hermine ist nicht im Besitz des Passworts, um an die“, er wählte seine Worte mit Bedacht, „’anderen’ Bücher zu gelangen.“
Sie zog eine Augenbraue in die Höhe und konterte: „Hermine hat bisher noch alles aufbekommen, was sie aufbekommen wollte!“

Nur für wenige Sekunden wägte Severus die Antwort seiner Schülerin ab, bevor er ihr innerlich zustimmen musste und an ihr vorbei in Richtung Bibliothek eilte. Ginny folgte ihm, konnte jedoch nicht mit ihm Schritt halten.

Severus war laut der Karte der Rumtreiber, die er mitgenommen hatte, noch zwei Stockwerke von der Bibliothek entfernt und Harry hoffte innig, dass er bald auftauchen würde, denn Hermine kam ihm so fremd vor.

„Hermine“, sagte Harry vorsichtig. Er blickte hinüber zu dem aufgeschlagenen Buch, bevor er sich wieder an Hermine wandte, die mittlerweile auf dem Boden kauerte und sich vor Furcht nicht zu helfen wusste. „Hermine“, sagte er mit viel weicherer Stimme. Seinen Zauberstab legte er auf den Tisch, bevor er in die Hocke ging, um sich seiner Freundin zu nähern. Die betrachtete ihn aus Angst erfüllten Augen, bis er genau vor ihr kniete. Seine Hände hob er ganz langsam, damit sie vor keiner seiner Bewegungen erschrecken würde und er legte sie an ihre Oberarme, um sie zu sich zu ziehen. Sie zögerte, kroch dann jedoch auf Harry zu und ließ sich in den Arm nehmen.

Das Gefühl der plötzlichen Wärme um sie herum ließ sie wissen, dass sie in Sicherheit war. Sie schluchzte, bevor sie ihre eigenen Arme um Harry schlang und fest zudrückte. Sie hielten sich einen Moment, bevor Harry sie leicht von sich wegdrückte. Er sah ihr tief in die rehbraunen Augen und wurde sich darüber bewusst, wie viel er wirklich für sie empfand. Verlieren wollte er sie niemals; nicht in Aberdeen und schon gar nicht an dunkle Mächte.

Bevor er Worte des Trosts sprechen konnte, spürte er plötzlich ihre Lippen auf seinen. Um ihrer Freundschaft Ausdruck zu verleihen hatten sie sich schon oft auf den Mund geküsst, doch diesmal war es anders; es war feuriger als sonst. Er spürte Hermines heißen Atem an seiner Wange und fühlte, wie sie sich wie ein verlorenes Kind an ihn klammerte. Ihre Lippen verweilten auf seinen und die ihren öffneten sich. Wie in Trance ahmte er ihre Bewegung nach und auch, als er ihre Zunge schmeckte, machte er es ihr gleich, so dass sie ihre gemeinsame Freundschaft mit dieser kleinen Veränderung jetzt ein wenig Leidenschaft hinzufügten. Der Kuss wurde inniger, die Umarmung wurde fester und ihre Münder öffneten sich noch weiter und beide gaben sich einem nie zuvor erforschten Verlangen hin.

Harry dachte an nichts anderes mehr als daran, Hermine für immer beschützen zu wollen, während Hermine bei ihm etwas zu finden hoffte, was sie bei Ron verloren wusste. Mit diesem Kuss erlangte Hermine die Wärme und Zuneigung, die sie so lange vermisst hatte, doch dann wurde ihr schlagartig klar, dass Harry für sie nichts anderes war wie Ron, nämlich nur ein Freund. Harry schien dies im gleichen Moment gedacht zu haben, denn sie ließen zeitgleich erschrocken voneinander ab und blickten sich verwirrt an. Sie versuchten, in den Augen des anderen eine Erklärung für das zu finden, was eben geschehen war. Harry suchte nach der Hermine, die er kannte und Hermine wollte wissen, was Harry jetzt von ihr denken würde.

Als Harry plötzlich auf dem Boden von ihr wegrutschte, da überkam sie die Furcht, ihn als Freund verloren zu haben und ihr Schmerz spiegelte sich in ihrem verweinten Gesicht wider. Sie begann zu schluchzen und wimmerte hilflos: „Harry, es tut mir so Leid.“ Er entfernte sich noch weiter von ihr, weshalb sie reumütig den Kopf schüttelte und mit feuchten Augen flehte: „Bitte wende dich nicht von mir ab. Harry, bleib bei mir!“ Sie schloss ihre Augen und senkte den Kopf, bevor sie sagte: „Ich will dich nicht verlieren.“

In diesem Moment schossen Harry ebenfalls die Tränen in die Augen, als er das Häufchen Elend sah, unter welchem er seine beste Freundin verborgen wusste. Sie wiederholte winselnd: „Ich will dich nicht auch noch verlieren. Lass mich bitte nicht allein!“ Sie legte beide Hände über ihren Mund und schluchzte, während ihr Körper von einem Zittern übermannt wurde.

Harry kroch zu ihr hinüber und nahm sie erneut in den Arm; rein freundschaftlich. Er vergrub sein Gesicht in ihrem dichten, lockigen Haar und sagte, nachdem er kräftig geschluckt hatte: „Du bist nicht allein, Mine. Mich wirst du nicht verlieren.“ Er gab ihr einen Kuss auf die feuchten Wangen, bevor er sie abermals an sich presste und das aussprach, von dem er glaubte, dass es Hermine belasten würde: „Und Ron hast du auch nicht verloren. Er hat nur wenig Zeit, Mine.“
„Ich vermisse ihn“, krächzte sie fast unhörbar hervor.
Harry rieb ihr tröstend den Rücken und versicherte mit zittriger Stimme: „Ich werde es einrichten, dass wir uns wieder häufiger sehen, ja?“ Sie nickte heftig wie ein Kind, welches ehrfürchtig jedem Wort des Weihnachtsmannes Glauben schenkte. „Vielleicht könnten wir uns alle mal zum Quidditch treffen, wie er es vorgeschlagen hatte?“ Wieder nickte sie, so dass er seine Pläne weiter schmiedete: „Und danach gehen wir alle schick essen. Wie hört sich das an?“
Ihre Tränen glühten und wollten bei den guten Aussichten gar nicht mehr versiegen, doch sie konnte noch zustimmend sagen: „Oh, das wäre schön, Harry. Das wäre schön…“

Die Tür der Bibliothek öffnete sich und Severus kam hereingestürmt. Harry blickte auf und sah seinen Kollegen näher kommen. Nur kurz betrachtete Severus, wie Harry Hermine am Boden kauernd in den Armen hielt und wiegte, doch gleich darauf fiel sein Blick auf das aufgeschlagene Buch an Hermines Stammplatz. Er stürzte an Harry vorbei zum Tisch und schlug das Buch mit einem Wink seines Zauberstabes zu, um den Titel lesen zu können und der lautete schlichtweg „Oneirologie“. Erleichtert wandte er sich wieder um und diesmal konnte er Hermines vor Kummer gezeichnetes Gesicht sehen. Der Anblick versetzte ihm einen Stich im Herzen und er glaubte, dass dies ein Schuldgefühl sein müsste, weil er diese verdammten Bücher nicht vor ihr verborgen hatte.

Die Tür ging ein weiteres Mal auf, als Ginny endlich angekommen war. Sie blieb kurz stehen und stützte sich auf ihren Knien ab, denn immerhin war sie von den Kerkern bis in den vierten Stock hinauf gerannt. Mit zittrigen Knien kam sie auf Harry und Hermine zu und kniete sich einfach neben die beiden, um sie in den Arm zu nehmen.

„Ich möchte Ihre Trinität wirklich nur ungern stören, aber es wäre an der Zeit, sich wieder voneinander zu lösen“, sagte Severus ruhig ohne einen sarkastischen Unterton. Ginny war die Erste, die wieder aufstand, während Harry ihr nur zögerlich folgte. Harry hielt Hermines Hand und wollte ihr aufhelfen, aber Severus half ihr viel schneller auf die Beine, denn er umfasste sie von hinten an der Taille und richtete sie einfach auf.

„Können Sie stehen?“, fragte er, ohne sie loszulassen. Erst nachdem sie genickt hatte, ließ er von ihr ab. Die ganze Zeit über hatte Hermine ihre Augen auf den Boden gerichtet, während Harry sie scheu anblickte. Als sie aufsah, blickte er beschämt zu Boden. Ginny hatte das seltsame Verhalten der beiden bemerkt, äußerte sich jedoch nicht dazu.

„Nehmen Sie Ihr Buch, Hermine“, forderte Severus, doch als sie sich nicht bewegte, nahm er sie zaghaft am Arm und führte sie zum Tisch, bevor er wiederholte: „Nehmen Sie Ihr Buch mit.“ An Harry und Ginny gerichtet sagte er: „Sie können sich zurückziehen. Ich werde mich um sie kümmern.“
Harry blickte auf das Buch und fragte: „Was für ein Buch ist das?“ Er hatte es sich nicht angesehen, sondern war davon ausgegangen, dass es ein schwarzmagisches sein musste.

„Zeigen Sie es ihm“, forderte er Hermine auf und Harry bemerkte, dass Hermine so eingeschüchtert und peinlich berührt war, dass es momentan das Richtige zu sein schien, ihr zu sagen, was sie tun sollte.

Hermine zeigte ihm den Titel und Ginny bemerkte ganz richtig: „Traumdeutung! Hermine? Wolltest du den Traum deuten, von dem du mir erzählt hattest?“ Die Antwort musste „Ja“ sein, denn warum sonst wäre sie mitten in der Nacht in die Bibliothek gegangen, um in diesem Buch zu stöbern? Hermine nickte lediglich, ohne auch nur einen der drei anzusehen.

Mit einem Kopfnicken verabschiedete sich Severus von Ginny und Harry, bevor er Hermine leicht am Arm nahm und sie an seiner Seite hinausführte.

In den Kerkern setzte Severus sie auf seine Couch. Er bemerkte, dass sie das Buch wie einen Schutzschild vor sich hielt, so dass er sich dazu aufgefordert fühlte zu sagen: „Legen Sie das Buch auf dem Tisch ab.“ Sie kam seiner Aufforderung wie in Zeitlupe nach. Seufzend entledigte sich Severus seines Umhangs, seines Gehrocks und seiner engen Weste, um leger nur mit einem weißen Hemd bekleidet, welches man ansonsten nie unter den vielen Lagen Stoff zu Gesicht bekam, neben ihr auf der Couch Platz zu nehmen. Hermine rührte sich nicht und er dachte nach, bis ihm eine Idee kam. Er stand wieder auf und holte Pergament, Tintenfass und Feder und er legte es neben dem Buch auf den Tisch. Gleich darauf, weil ihm danach war, ging er zu seinem Spirituosenschränkchen, nahm zwei Gläser und eine angebrochene Flasche Feuerwhisky heraus und kam damit zum Tisch zurück, bevor er sich erneut neben sie setzte.

Sie hatte zwar alles beobachtet, was er getan hatte, doch in die Augen gesehen hatte sie ihm nicht. Es war ihr unangenehm, dass sie so sehr die Kontrolle über sich verloren hatte. Als er sich nach vorn beugte und die untersten Knöpfe an seiner Hose öffnete, damit er sich die altmodischen Schuhe aufknöpfen konnte, betrachtete sie ihn ganz fasziniert. Er zog den rechten Schuh aus und wiederholte die Prozedur mit der linken Seite. Als er alle einengenden Kleidungsstücke abgelegt hatte, lehnte er sich erleichtert seufzend zurück, während sie ihre Augen nicht von seinen Füßen nehmen konnte.

„Was erstaunt Sie so?“, fragte er belustigt.
Endlich blickte sie ihm in die Augen, bevor sie völlig perplex, wenn auch noch etwas geschwächt klingend antwortete: „Sie tragen dunkelgraue Muggelsocken!“
„Und?“, fragte er mit einem leicht hochgezogenen Mundwinkel.
Sie hob uns senkte die Schultern, bevor sie leise sagte: „Das ist ungewöhnlich.“
„Im Gegensatz zu vielen Herren der Zauberergesellschaft empfinde ich Strumpfhalter als sehr störend“, erklärte er schmunzelnd.
Mit großen Augen fragte sie verdutzt: „Strumpfhalter? Diese Dinger, die Männer unterm Knie tragen und…?“ Er nickte, so dass sie fragte: „Wer trägt denn bitte so etwas?“
„Albus“, war die knappe Antwort. „Aber auch andere Herren, die Sie kennen, doch genug über Herrenbekleidung. Ich denke, Sie sollten sich daran machen, Ihre Träume zu deuten, wie Sie es ganz offensichtlich vorhatten. Sie hatten schlechte Träume oder?“ Wieder blickte sie in ihren Schoß, so dass er forderte: „Sehen Sie mich an!“ Sie kam seiner Aufforderung nicht nach und diesmal bat er: „Bitte, Hermine, sehen Sie mich an.“ Sie blickte auf und er hielt den Augenkontakt, während er fragte: „Die Auswirkungen des Erstkontakts zur dunklen Magie zeigen sich bei jedem anders, aber sie ähneln sich. Sie haben schlecht geträumt. Was war es? Haben Sie eine Gliedmaße verloren?“ Sie schüttelte den Kopf. „Dann sind Sie auf andere Weise schwer verletzt worden.“
Sie nickte, bevor sie mit leiser Stimme sagte: „Ich habe das Buch angefasst und meine Hand…“ Sie blickte auf die Innenfläche ihrer rechten Hand.
„Sie werden auch von anderen Personen geträumt haben. Häufig sind es Personen, die der Träumer mit der dunklen Magie in Zusammenhang bringt. Weil ich eine gewisse Person erst gestern erwähnt hatte, nehme ich an, dass es sich um Bellatrix Lestrange gehandelt haben muss?“, wollte er wissen.
„Ja, auch…“, sagte sie, ohne anzufügen, dass sie auch von ihm geträumt hatte.
„Von wem noch?“, kam die fordernde Frage und es schien unmöglich, ihm die Antwort zu verweigern.
„Von Ihnen“, offenbarte sie flüsternd.
Er schien damit gerechnet zu haben, denn er reagierte nicht empört, sondern wollte lediglich wissen: „Was habe ich in dem Traum getan?“
„Sie haben“, Hermine schluckte, „mich verbrannt.“
„Ah“, machte er zunächst. „Nun, dort“, er zeigte auf den Tisch, „liegt alles, was Sie benötigen. Deuten Sie die Träume, die Sie gehabt haben. Es würde Ihnen sowieso keine Ruhe lassen, so wie ich Sie kenne.“
Erstaunt schaute sie ihm in die Augen, bevor sie fragte: „Und Sie…?“
Er unterbrach und erklärte: „Ich bleibe einfach hier und verhalte mich ruhig. Wir möchten doch nicht, dass Sie einschlafen, bevor Sie eine Antwort erhalten haben.“

Severus schenkte zwei Gläser Feuerwhiskey ein, jedoch nicht viel, bevor er bei einem Hauself Tee, Kaffee und Frühstück bestellte. Hermine nahm einen Schluck Whiskey und begann gleich darauf kräftig zu husten, so dass Severus einen Zauber sprach, der den Hustenreiz milderte, bevor er sagte: „Passen Sie mit dem Whiskey auf.“ Schelmisch fügte er hinzu: „Der ist wesentlich älter als Sie!“

Das Glas stellte sie auf dem Tisch ab, doch bevor sie zur Feder griff, fragte sie leise: „War es bei Ihnen auch so?“ Er antwortete nicht, weswegen sie ihn anblickte, um ihre Frage wiederholen zu können, doch die hatte er verstanden.
„Ja, das ist bei jedem so“, gab er leise zur Antwort. „Ich werde morgen Albus darüber berichten und Sie…“
„Nein, bitte nicht!“, unterbrach sie aufgebracht.
„Es ist meine Pflicht, Hermine. Ich muss…“
„Sie müssen nicht! Bitte nicht!“, flehte sie.
„Wovor haben Sie solche Angst? Glauben Sie, Albus würde Sie vierteilen? Gerade er wird es verstehen“, versicherte er ihr.
„Ich möchte aber nicht… Er wird denken…“ Keinen ihrer Sätze konnte sie zu Ende bringen. Sie wusste, dass sie etwas Schlimmes getan hatte und dafür würde sie sicherlich hart zurechtgewiesen werden.
„Ich werde Ihnen sagen, Hermine, was Albus tun wird“, sagte er einleitend. Sie blickte ihn an und lauschte, als er aufzählte: „Zu allererst wird er Sie mit Tee und Süßigkeiten mästen. Dann wird er sich alles anhören, was Sie zu sagen haben und er wird Ihnen Dinge entlocken, die Sie wahrscheinlich niemals irgendeiner Person preisgeben würden. Im Anschluss wird er Ihnen als Gegenleistung sehr hilfreiche Ratschläge mit auf den Weg geben und Ihnen dabei helfen, Ihre Ängste zu beherrschen.“

Als sie das, was er gesagt hatte, im Kopf nachspielte, schien ein bevorstehendes Gespräch mit Albus nicht mehr so beängstigend zu sein.

„Severus? Sie hatten eben gesagt, gerade Albus wird es verstehen können. Hat er…“
„Wie soll man etwas bekämpfen, von dem man nichts versteht, Hermine? Natürlich ist Albus mit den dunklen Künsten vertraut“, machte er ihr klar. Sie blickte wieder in ihren Schoß und Severus fühlte sich genötigt, ihr eine Sache zu verinnerlichen, denn er sagte: „Versprechen Sie mir, dass Sie nie wieder so ein Buch…“
Sie unterbrach ihn und schwor: „Ich lese nie wieder eines!“
„Lassen Sie mich bitte ausreden“, forderte er und er bereute sofort seinen harten Tonfall. Mit ungewohnt warmer Stimme wiederholte er: „Versprechen Sie mir, dass Sie nie wieder so ein Buch lesen werden, wenn ich nicht anwesend bin!“
Erstaunt blickte sie auf und fragte mit leiser Stimme: „Aber es ist doch verboten.“

Allein die Option, noch einmal in dieses Buch schauen zu können, ließ ihr eine Gänsehaut den Rücken hinunterlaufen. Sie würde so gern mehr über die dunklen Künste erfahren, doch sie wollte ihnen um nichts in der Welt verfallen.

„Es gibt Möglichkeiten, solche Bücher zu lesen, ohne dass sie auf den Leser einwirken können“, erklärte er. Als Beispiel nannte er: „Einige Auroren werden darin unterrichtet, auch wenn das natürlich niemals an die Öffentlichkeit gelangen wird. Es ist notwendig, ’den Feind’ zu kennen, ihn zu verstehen, um gegen ihn zu Felde ziehen zu können.“
„Was denn für Möglichkeiten?“, wollte sie wissen.
„Später, Hermine. Zunächst entschlüsseln Sie Ihren verdrehten Geist, damit Sie ihn wieder gerade rücken können.“ Er schmunzelte zuversichtlich, bevor er anfügte: „Dann reden Sie morgen“, er schaute auf die Uhr und verbesserte, „heute mit Albus. Sie können den Tag freihaben. Ich denke, selbst ich werde heute froh sein, wenn der Unterrichtstag sein Ende gefunden haben wird.“

Während Hermine zunächst stichpunktartig und chronologisch ihre Träume niederschrieb, aß sie nebenbei etwas vom Frühstück, welches der Elf gebracht hatte. Sie war so sehr in ihre Arbeit vertieft, dass sie Severus’ Anwesenheit völlig vergessen hatte. Nachdem sie die Träume auf Papier gebracht hatte, begann sie damit, wie schon damals bei Severus’ Traum, die Bedeutungen der Symbole herauszusuchen. Sie wollte eigentlich gar nicht wissen, was sie zu bedeuten hatten, doch es war eine ablenkende Aufgabe, die sie vom Schlafen abhalten würde.

Sie begann mit der Kälte und dem Gefühl des Frierens, die sie auf dem Flur bemerkt hatte, auch wenn dies ein Teil des Traums gewesen war, den sie für echt gehalten hatte. Die Bedeutung gefiel ihr gar nicht, denn sie schrieb auf das Blatt und las in Gedanken mit: ’Die spürbare Kälte kann ein Appell daran sein, Gefühle nicht mehr unterdrücken zu dürfen. Sie kann sie auch ermahnen, von Herzenskälte oder Gefühllosigkeit abzulassen.’ Unter dem Begriff „frieren“ stand ähnliches, nämlich dass Gefühle nicht länger so sehr kontrolliert werden sollten, weil man sonst Gefahr laufen könnte, seelisch zu erfrieren. Hermine stutze, denn gerade sie konnte man schwerlich mit Herzenskälte in Verbindung bringen, doch was für unterdrückte Gefühle sollten dann gemeint sein, fragte sie sich selbst? War damit der Drang nach dem Lesen dunkler Bücher gemeint, dem sie nachgeben wollte?

Hermine schüttelte ihren Kopf frei und begann weiter mit der Symbolik, denn es folgte die „Suche“ nach dem Buch und sie schrieb: ’Sie sind sich im Klaren darüber, sich auf eine Furcht einflössende Aufgabe einzulassen, damit sie ihren Weg gehen können und es ist ein Hinweis auf ein strapaziöses Leben, mahnt jedoch gleichzeitig zur Ausdauer.’

Sie seufzte, denn so richtig konnte sie damit nichts anfangen, so dass sie einfach zum nächsten Punkt überging, damit sie am Ende alles noch einmal lesen konnte, in der Hoffnung, dass es dann einen Sinn ergeben würde.

Im Traum hatte sie im Wohnzimmer nichts gefunden, weswegen sie in Severus’ Schlafzimmer gegangen war, was ihr nächstes Symbol darstellen sollte. Hermine las nochmals in Gedanken aus dem Buch: ’Unter den Wohnräumen repräsentierte das Schlafzimmer Sicherheit, aber auch einen Ort, an dem Sie Entspannung finden können. Dieser intimste Innenraum eines Gebäudes versinnbildlicht…’ Hermine hielt mit großen Augen inne und blätterte aufgebracht im Quellverzeichnis des Buches, bevor sie genervt stöhnte und dachte: ’Sigmund Freud! War ja klar, dass der in diesem Buch mit seinen Deutungen auch vertreten ist.’ Sie seufzte und las abermals still den Satz: ’Dieser intimste Innenraum eines Gebäudes versinnbildlicht die Sexualität oder möchte Sie auf eine unbewusste Lebensweise aufmerksam machen; letzteres besonders dann, wenn der Träumende einen Schlafenden im Raum bemerkt.’

Einen Schlafenden hatte sie bemerkt, nämlich Severus, doch was mit einer unbewussten Lebensweise gemeint war, wusste Hermine nicht. ’Wie auch?’, dachte sie. ’Wenn die Lebensweise unbewusst sein soll, wie soll ich denn je drauf kommen, was damit gemeint sein könnte?’ Die Deutung wurde wieder klarer, als sie in Gedanken die Erklärung über das Wort „Bücherregal“ las: ’Als Hinweis auf Lebenserfahrung und Intellekt ist das Bücherregal zu sehen.’ Hermine schrieb sich alles auf und dachte derweil: ’Schön, dass ein Buch mir sagt, dass ich erwachsen bin und dazu noch klug.’

Mittlerweile fand sie es albern, ihren eigenen Traum zu durchleuchten, denn in ihren Augen war das nicht so spannend wie die Deutung von Severus’ Traum. Sie zwang sich jedoch dazu weiterzumachen, denn was sie erst einmal begonnen hatte, brachte sie auch zu Ende, auch wenn sie sich gerade so fühlte, als würde sie Hausaufgaben im Fach „Wahrsagen“ für Trelawney nachholen.

Sie hatte vorhin schon gelesen, dass das Sehen eines Buches nicht nur Weisheit und Wissen darstellen würde, sondern auch dazu anhalten sollte, den anderen Symboliken des Traumes eine größere Bedeutung beizumessen, denn immerhin „las sie in sich selbst“. Den schwarzen Lederband, den sie im Traum berührt hatte, konnte natürlich nur „Finsternis“ bedeuten und galt hinzu noch als Mahnung, das eigene Leben umzustellen. ’Komisch’, dachte sie spöttisch, ’ich dachte, das hätte ich längst getan!’

Den Hinweis darauf, im Wachleben „handlungsunfähig“ zu sein, hatte sie ebenfalls schon vorhin überflogen und eine verbrannte Hand wollte vor Risiken warnen, die man selbst nicht abwägen könnte. Chronologisch gesehen kam nach der Verbrennung der Handinnenfläche ihr Schrei, der Severus geweckt hatte. ’Stößt man selbst einen Schrei aus, handelt es sich um einen Glück verheißenden Traum.’ Hermine schüttelte den Kopf, denn wieder einmal stand für sie fest, dass Träume keine wirkliche Bedeutung haben konnten, wenn sie von ihrer Deutung her urplötzlich von „Finsternis“ auf „Glück verheißend“ umschlugen. Sie musste lachen, weil sie sich an Rons Versuch erinnerte, in der dritten Klasse aus Harrys Teetasse seine Zukunft zu lesen.

Jetzt kam Severus mit ins Spiel und sie überlegte, wie sie ihn sah. Er war ihr Lehrer – wieder – aber musste sie daher bei dem Wort „Lehrer“ nachschauen? Sie schlug nach, nur um vorsichtshalber alles Wichtige zu notieren. Sie las in Gedanken: ’Allgemein hilft ein Lehrer, sich selbst besser wahrnehmen zu können oder bestimmte Situationen erfolgreich zu meistern. Sehen Sie ihn nur, warnt er vor unüberlegten Taten, doch sprechen Sie mit ihm, werden Sie während Suche nach einer Problemlösung Vorteile und Freude haben; auch unerledigte Probleme können geklärt werden.’

Das sollte jedoch nur in berücksichtig werden, dachte Hermine, wenn sie ihn tatsächlich als Lehrer sehen würde. Sollte sie ihn im realen Leben als Freund sehen, dann wäre dieser Punkt identisch mit einem Punkt in Severus’ Traum, denn der sah Harry im realen Leben als Freund, was auch die gleiche Bedeutung im Traum gehabt hatte.

Die Hand, die Hermine im Traum auf ihrer Schulter gespürt hatte, war ein Symbol für Kraft und Stärke und die Berührung an sich durfte als freundschaftliche Beziehung geknüpft werden, las Hermine still, was ihr wiederum vor Augen hielt, dass sie Severus offensichtlich nicht als Lehrer sehen würde. Er hatte ihr im Traum den Schmerz genommen und Hermine rollte mit den Augen, nachdem sie ganz offensichtlich wieder eine von Freuds Deutungen vor sich hatte, denn die lautete: ’Schmerz: Eine günstige Zeit für Liebende, um ihre Angelegenheiten voranzutreiben.’

Hermine wurde das Gefühl nicht los, dass Freud ein sexbesessener Psychoanalytiker gewesen sein musste. Warum hatte es in Severus’ Traum nicht solch heiklen Deutungen gegeben? Sie gab sich nicht mehr sonderlich Mühe, denn sie würde am Ende ja nicht mit einer schlechten Note rechnen müssen.

Im Traum war sie vom Schlaf- ins Wohnzimmer gegangen und dieser Raum stand für die Entspannung, die man in Gesellschaft finden würde; in einem „öffentlichen“ Raum.

Etwas aufmerksamer las Hermine die Deutung, weil jetzt Fellini jetzt vorkam. Natürlich stand in dem Buch nichts über Kniesel, aber über Katzen und da ihr Haustier halb Katze, halb Kniesel war, könnte sie die Deutung vielleicht sogar gebrauchen. Dass Katzen die launische Seite einer Frau verkörperten, hatte sie woanders schon einmal gelesen. Im Traum war Fellini nicht nur schwarz, sondern trug weiße Punkte auf dem Fell und eine gefleckte Katze bedeutete…

Hermine rollte erneut mit den Augen. Sie schnaufte aufgebracht und meckerte leise vor sich hin, doch da rief sich ins Gedächtnis zurück, dass sie ja nicht allein in diesem Zimmer war. Sie rechnete bereits mit einem Kommentar von Severus, der neben ihr auf der Couch saß und darauf achten wollte, dass sie nicht über dem Buch einschlafen würde. Als seinerseits jedoch keine Äußerung kam, blickte sie kurz hinüber, nur um zu sehen, dass sein Kopf nach hinten gefallen war und er fest zu schlafen schien. Sie schmunzelte und las dann in Gedanken den Teil, den sie zuvor verachtend abgebrochen hatte: ’Eine gefleckte Katze bedeutet, dass Sie leidenschaftliche Gefühle für jemanden empfinden.’ Sie las weiter: ’Sollten Sie im Traum eine Katze streicheln, dann sind Sie im realen Leben gut zu einem Menschen, der es verdient.’

Kurz nachdem sie im Traum die Katze gestreichelt hatte, war sie von Severus verbrannt worden. Das Verbrennen war ein Hinweis darauf, dass man sich die Finger an einer Sache verbrennen würde, der man nicht gewachsen war, womit in Hermines Augen nur die Bücher und die dunkle Magie an sich gemeint sein konnte. Da sie im Traum jedoch die Hitze so intensiv gefühlt hatte, durfte diese Deutung nicht unter den Tisch fallen, denn das wiederum sollte für starke Gefühle stehen, die man nicht selbst, sondern von jemand anderen wahrnehmen würde.

Hermine hasste das Fach Wahrsagen, hasste es, in Teeblättern oder Kaffeesätzen zu lesen, hasste das Kartenlegen und jetzt noch viel mehr – auch wenn es einen psychologischen Touch mit sich brachte – die Traumdeutung.

Beim zweiten Traum schrieb sie schon nicht mehr mit, sondern überflog nur noch wütend die Bedeutungen im Buch. Sie las still: ’Schlange: Ein Zeichen der Angst vor der mangelnden Fähigkeit, andere verführen zu können. Rot und schwarz gemusterte Schlagen stellen Ausgeburten der Hölle dar und stehen für finstere Kräfte.’ Im Traum hatte die Schlage sich auf dem aufgeschlagenen Buch geräkelt und sie las bei den einzelnen Stichpunkten nach: ’Buchseiten: Ihr Wissensdurst ist erwacht! Schlangenbiss: Er zeigt eine Störung Ihres erotischen Lebens; womöglich durch Sie selbst? Gift: Ein schlechtes Gewissen quält Sie und Sie befürchten, jemand könnte Ihnen auf die Spur kommen.’ Die Schlage war ihr in den Mund gekrochen, weswegen sie nachschlug und in Gedanken rezitierte: ‚Mund: Wird er Ihnen ’gestopft’, fehlt es Ihnen an sozialer Kommunikation.’

Jetzt wurde Hermine auch noch wütend, weil das Buch ihr einreden wollte, einsam zu sein, aber letztendlich war sie das. Sie war einsam, denn sonst hätte sie niemals Harry geküsst. Innerlich erschrak sie, als sie sich an diesem Moment vor wenigen Stunden erinnerte. Sicherlich würde Harry das nicht jedem erzählen, aber zumindest Ginny würde er davon berichten oder? Müsste sie Albus auch davon erzählen? Oder zählte dies zu den Dingen, die er aus ihr herauskitzeln würde, obwohl sie es nie jemanden anvertrauen wollte? Ihr getrübter Zustand war ihr so peinlich und jetzt, wo sie wieder einen klaren Kopf bekommen hatte, war es doppelt so unangenehm zu wissen, was sie getan hatte. Wollte sie den dritten Traum, in welchem sie Bellatrix Lestrange gesehen hatte, jetzt noch wirklich deuten? Er war ja sehr kurz gewesen.

Hermine seufzte, bevor sie erneut das Buch zur Hand nahm und nachschlug. Sie las wortlos: ’Haben Sie das Gefühl, beobachtet zu werden, dann könnten Sie wegen des starken Interesses eines Menschen an Ihrer eigenen Person Berührungsängste haben.’ Es war Hermine klar, dass sie unbewusst in der Bibliothek eine Assoziation zu Severus gehabt hatte, nur dass es im Traum Bellatrix gewesen war, die sie beobachtete. Das fiese Lachen der verstorbenen Todesserin sollte bedeuten, dass der Träumer mit einer Demütigung rechnen könnte und Hermine hoffte innig, dass dies nicht eintreten würde, denn das würde sie nur noch mehr deprimieren. Von jemandem umarmt zu werden könnte bedeuten, dass jemand oder etwas Besitz von einem ergreifen wollte und das konnte Hermine hundertprozentig den dunklen Künsten zuschreiben, denn die hatten sie gepackt; nicht die schwarze Magie an sich, sondern das ganze Wissen, welches sie beherbergte.

Der Kuss, den Bellatrix ihr unerlaubt gegeben hatte, wurde im Buch als Falschheit symbolisiert, was Hermine klar machte, dass die dunklen Künste sie hinterhältig hatten einnehmen wollen. Da Hermine in Bellatrix einen Feind sah, blätterte sie zum Buchstaben „F“ und las still für sich: ’Ein Feind steht für gewisse Eigenschaften, die Sie selbst innehaben, jedoch nicht an sich mögen. Das können Eigenarten, Ansichten oder Gefühle sein, die Sie an Ihrer eigenen Person sehr negativ betrachten.’ Diese Bedeutung sprach für sich, denn Hermine war von ihrer großen Begeisterung für die schwarzen Texte nicht sehr angetan.

Tief durchatmend schloss Hermine das Buch und legte es auf den Tisch. Ihre eigene Traumdeutung war verwirrend und hatte weder nur mit dem einen noch mit dem anderen zu tun. Es schien, als hätte sie in den Träumen nicht nur ihr Erlebnis mit den dunklen Künsten verarbeitet, sondern noch etwas anderes; etwas Privates. Hermine lehnte sich zurück und blickte zur Seite, wo Severus selig schlief. Diese Seite an ihm hatte sie noch nicht kennen gelernt und so betrachtete sie ihn neugierig, denn er sah jetzt so anders aus. Sein Gesicht war entspannt und die typischen Falten, die sich wegen seines häufigen, fiesen Grinsens um den Mund herum bildeten, waren verschwunden. Er wirkte geradezu friedlich.

Sie blieb noch eine ganze Weile still auf dem Sofa sitzen und vertrieb sich die Zeit damit, Fellini zu kraulen, an die dumme Traumdeutung zu denken, Harry zu streicheln und Severus zu beobachten, bis sie sich um halb neun dazu entschloss, ihn zu wecken. Sie berührte ihn sanft am Oberarm und drückte, während sie seinen Namen mehrmals wiederholte. Er brummte und drehte seinen Kopf, öffnete jedoch nicht die Augen, so dass sie einfach weitermachte.

„Severus? Sie sollten langsam aufwachen. Severus?“
Er knurrte missgelaunt und öffnete die Augen. Einen Moment lang musste er sich zunächst orientieren, wo er war, bis er Hermine erblickte.
„Oh“, war die umfassende Aussage, die auch hätte lauten können „Ich bin wohl eingeschlafen.“, doch da dies offensichtlich gewesen war, sparte er sich diese Bemerkung. „Wie spät…?“
„Halb neun durch“, informierte sie ihn.
„Dann werde ich mich frisch machen und zum Frühstück zur großen Halle gehen. Möchten Sie mitkommen?“, fragte er höflich, doch sie schüttelte nur den Kopf. „Ich werde Albus sagen, dass Sie mit ihm reden möchten. Ich denke, ein Termin am Nachmittag wäre angemessen, damit Sie vorher vielleicht etwas Schlaf finden können.“
„Ich weiß nicht, ob ich schlafen möchte“, sagte sie ehrlich. „Ich werde mit dem Hund rausgehen. Frische Luft wird mir sicherlich gut tun.“
Er stimmte ihr nickend zu und sagte: „Ja, das wäre möglich. Wenn Sie mich entschuldigen würden?“ Sie nickte und er ging daraufhin ins Schlafzimmer, während sie auf dem Sofa sitzen blieb, wo sie von beiden Haustieren jede Menge Aufmerksamkeit erhielt.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
~ Muggelchen.net ~

Antworten