Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - BEENDET

Hier könnt ihr eure Fanfictions und Gedichte zu Harry und seiner Welt vorstellen.

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Muggelchen
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Beitrag von Muggelchen »

181 Lohn der Arbeit




Schon um 15 Uhr, eine Stunde zu früh, traf Severus am Samstag bei Hermine ein, obwohl sie erst um 16 Uhr den Laden schließen würde. Er hatte seinen Hund mitgebracht.

„Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus.“ Sein Blick fiel auf Harry, der freudig erregt mit dem Schwanz wackelte und an seiner Leine zerrte, nachdem er Fellini entdeckt hatte.
„Nein, er kann hier frei rumlaufen.“

Nach ihrem Einverständnis ließ er den Hund von der Leine, der sofort hinüber zum schwarzen Kniesel lief, von dem er herzlich schnurrend empfangen wurde. Die Tiere spielten miteinander und verschwanden nach oben in die Wohnung.

Severus half in der Stunde vor Ladenschluss bei Kleinigkeiten, zum Beispiel beim Ernten der Schoten des Kartoffelbauchpilzes, den Hermine dank Nevilles Anweisungen und seines selbst erfundenen Düngers in dem kleinen Garten hinter der Apotheke in einem Miniaturgewächshaus züchtete. Schon in der dritten Klasse hatte man in Kräuterkunde gelernt, wie man diese zarten und empfindlichen Schoten von der Pflanze trennen konnte, ohne dass sie platzten. Als nächstes widmete er sich dem angelieferten Sack mit Vogel-Knöterich, der auch als "Blutkraut" bekannt war und in Severus' Trank gegen den Durst der Vampire vorkam. Er sortierte die in der Lieferung vorhandenen Blätter aus, weil die schnell faulen und damit auch die Blüten – die eigentliche Zutat – verderben konnten. Die kleinen weiß bis rosafarbenen Blüten strömten einen lieblich süßen Duft aus, der Severus benebelte. Hinter sich hörte er, wie sich die Tür öffnete.

„Ich habe den Laden zugemacht“, sagte Hermine und fügte gleich hinzu, „möchten Sie erst etwas essen?“
„Kochen Sie selbst?“ In seiner Frage schwang hörbar Skepsis mit.
„Ich ...“ Sie hielt inne, weswegen er sich umdrehte. Mit zusammengekniffenen Augen blickte sie ihn an. „Warum fragen Sie? Hat Harry Ihnen etwa erzählt, dass ...?“ Mit einem Male schossen ihre Augenbrauen in die Höhe. „Hat er, oder? Dass ich nicht kochen kann, hat er Ihnen erzählt?“
„Er hat es vielleicht mal beiläufig erwähnt“, wiegelte Severus ab, obwohl er sich sehr lebhaft an Harrys Schilderung erinnern konnte, wie er beim Verzehr eines von ihr selbst gebackenen Kekses um seine Vorderzähne gebangt hatte.
„Nudeln bekomme ich allemal hin.“
„Auch Bandnudeln mit Zucchini in Safransauce?“
„Tomatensauce reicht völlig!“, entgegnete sie gekränkt.
Severus verzog bei diesem Gericht das Gesicht. „Für mich nichts, danke.“

Ein Moment war Ruhe. Sie betrachtete die zarten Blüten, in denen seine gelblichen Finger behutsam die Blätter herauspickten. Jeder angewandte Sortierzauber könnte sich später auf die Inhaltsstoffe auswirken.

„Wollen Sie das noch zu Ende machen?“
„Ja, zehn Minuten noch.“
Nach einem Augenblick äußerte sich Hermine erneut. „Darf ich Sie einen Moment hier allein lassen? Ich bin gleich zurück.“ Sie war gegangen.

In dem großräumigen Labor fühlte sich Severus sehr wohl. Heute schien die Sonne, deren Strahlen den Raum erhellten. Die vielen Zutaten wirkten bei Tageslicht anders als er sie gewohnt war. Die seidige Beschaffenheit der Blüten, die seine Haut streiften, und ihr betörender Duft machten die Arbeit angenehm. Gerade hatte Severus das letzte grüne und schon leicht faulige Blatt herausgepickt, hörte er auch schon die Tür zum Verkaufsraum, die Hermine wieder von innen schloss. Das Rascheln von Tüten war zu vernehmen. Ihr Weg führte sie am Labor vorbei in die Küche. Severus brachte die Blüten in Holzgefäße unter, damit sie gut trocknen konnten, und wusch sich danach gründlich die Hände.

Schon auf dem Flur auf den Weg zur Küche stieg ihm der Duft von Minzsauce in die Nase. Vom Türrahmen aus beobachtete er Hermine, wie sie auf zwei Tellern gerade das Essen anrichtete, dass sie eben in einem Restaurant in London gekauft haben musste. Der Werbeaufdruck auf den Tüten zeugte davon.

„Oh“, machte sie überrascht, als sie ihn zufällig an der Tür stehen sah. „Ich hoffe, Sie mögen Lammfleisch mit Minzsauce?“

Bei jedem anderen Menschen hätte er abgewinkt und gesagt, er hätte heute in Hogwarts zu Mittag gegessen, doch er konnte sich nicht einmal daran erinnern, was oder ob er überhaupt etwas gegessen hatte. Außerdem regte der Duft seinen Appetit an. Oder lag es an der Geselligkeit? Ohne auf ihre Frage zu antworten betrat er die Küche und setzte sich an den Tisch, nachdem sie ihm mit einem Wink ihrer Hand einen Platz angeboten hatte. Sie hatte sogar zwei Flaschen Muggelbier gekauft, das zu diesem Gericht geschmacklich sehr gut passte. Nachdem sie Severus das Bier in ein Glas eingeschenkt hatte, nahm sie ihm gegenüber Platz.

„Ich mag eigentlich überhaupt nicht, wenn alles in Minzsauce gebraten wird, aber das hier“, sie deutete auf das dampfende Gericht auf dem Teller, „ist wirklich lecker.“

Er war froh, dass sie während des vorzüglichen Essens Konversation betrieben. Dass er Hunger hatte, spürte er erst nach dem ersten Bissen. In letzter Zeit hatte er es mit der Nahrungsaufnahme nicht so eng gesehen.

„Was haben Sie für Montag noch für Vorbereitungen zu treffen?“, fragte er nebenher.
„Ich habe fünf Bestellungen. Ein Kunde möchte einen Felix Felicis haben, den er verschenken möchte.“ Sie lächelte. „Ist für seinen Neffen, der bald heiraten wird.“
„Solche Geschenke sind traditionell. Alles, was mit Glück zu tun hat, auch wenn es sich um einen Trank handelt. Was haben Sie noch für Aufträge erhalten?“
„Ach, das Übliche: Gripsschärfungstrank, Stachelschweinpastillen, ein Trunk des Friedens und, ähm, Verhütungstränke.“ Ihr wurde plötzlich ganz warm. „Einer wollte doch tatsächlich einen Amortentia haben. Als ich fragte, ob er sich im Klaren darüber ist, dass sich das am Rande der Legalität bewegen würde, ist er gegangen.“
„Sie sollten weniger Fragen stellen, Hermine.“
„Und zulassen“, begann sie erbost, „dass irgendeine arme Frau auf diese Weise manipuliert wird? Nein!“
„Vielleicht wollte der Mann nur seine Ehe retten?“, warf Severus lax ein.
„Vielleicht sollte er einfach nur mal offen mit seiner Frau reden!“
Severus verdrehte die Augen. „Warum stochern wir in dem Leben zweier uns völlig fremder Menschen herum?“
„Wäre es Ihnen lieber, wenn wir in Ihrem Leben ...?“ Sein Blick ließ sie das Thema wechseln. „Wie läuft es in Hogwarts?“
„Es ist eintönig wie eh und je.“
„Eintönig?“, fragte sie verdutzt nach. „Ach ja, ich vergaß, dass die Arbeit Ihnen keinen Spaß macht. Vielleicht sollten Sie sich etwas anderes suchen?“

Von ihrer Anmerkung aufgescheucht blickte er sie in der Hoffnung an, ihrem Gesicht die wahre Bedeutung zu entnehmen, die er hinter ihren Worten vermutete. Sie lächelte selig, während sie den Happen Lamm kaute.

Nach dem gemeinsamen Essen gingen sie nach oben ins Wohnzimmer. Kaum befand sich Hermine in der gemütlichen Wohnung über dem Geschäft, wurde sie müde. Die Belastung der letzten Tage forderte ihren Tribut. Sie wollte sich am liebsten hinlegen und bis morgen Mittag durchschlafen, doch Severus erwartete, dass sie die Rede übte.

Mit den Pergamenten, die er ihr per Eule hatte zukommen lassen, setzte sie sich neben ihn.

„Nein, Hermine: Sie stehen!“
„Wie bitte? Warum darf ich nicht sitzen?“
„Weil Sie die Rede im Stehen vortragen werden. Ihre Körpersprache soll zum Ausdruck kommen.“

Sie seufzte, beugte sich aber seinem Wunsch, die Rede im Stehen zu halten. Sie begann mit der Begrüßung, die er bestens ausformuliert hatte, doch da hatte er den ersten Einwand.

„Wenn Sie die Tränkemeister und -meisterinnen begrüßen, dann blicken Sie vom Papier auf.“

Mit verzogenem Mund nahm sie die Kritik zur Kenntnis und machte es gleich noch einmal. Diesmal hatte er nichts auszusetzen. Sie begann zu lesen, stutzte dann und fragte: „Warum ist hier mitten im Satz ein Absatz?“
„Es werden noch mehr folgen. Die habe ich eingebaut, damit Sie in diesen Momenten in die Menge schauen. Um nicht die Zeile zu verlieren, habe ich Absätze gemacht, so dass Sie ganz leicht mit dem Daumen die Stelle markieren können.“
„Ach so, dann mach ich mal weiter.“

Hermine fand, dass die von ihm eingefügten kleinen Pause perfekt zur Rede passten. An manchen Stellen machten sie neugierig, an anderen unterstrichen sie den wichtigen Inhalt des vorangegangenen Textes.

„An dieser Stelle“, unterbrach er, „sollten Sie mehr Körpersprache anwenden.“
Sie runzelte die Stirn. „Mehr Körpersprache?“
„Ja, und damit meine ich keinen verwirrten Blick wie den, den Sie jetzt in Perfektion zum Besten geben.“ Sie zog einen Flunsch, was ihn amüsierte.
„Was meinen Sie mit 'mehr Körpersprache'?“
„Untermalen Sie das Gesagte mit Bewegungen Ihrer Hand oder Ihres Armes, natürlich nicht zu aufdringlich, aber dezent Text begleitend.“ Als sie nicht zu verstehen schien, stöhnte er. „Nur ungern greife ich auf Beispiele wie Folgendes zurück, aber vielleicht begreifen Sie dann, was ich meine. Nehmen Sie Sibyll: Würde man ihr die Hände fesseln, wäre sie vermutlich stumm.“

Für einen Moment stellte sich Hermine vor, wie sie selbst am Rednerpult stand und wie wild mit den Armen gestikulierte, während sie ihren Text vortrug.

„Das war natürlich ein übertriebenes Beispiel“, stellte er klar, „aber ich denke, Sie wissen nun, was ich meine.“

Dass das Üben einer Rede so kräftezehrend sein könnte, hätte sie niemals gedacht. Noch anstrengender war es, Severus' Vorschläge nicht nur ernst zu nehmen, sondern auch umzusetzen. Am Ende der Rede verlangte er, dass sie nochmals beginnen sollte.

„Können wir nicht eine Pause einlegen? Ich möchte gern was trinken.“
„Nur zu, trinken Sie etwas. Ich hätte gern einen Schluck Rotwein.“
Hermine ging zu einem Schränkchen hinüber. „Muss ich erst einmal sehen, was ich überhaupt habe.“ Sie beäugte die Flaschen. „Einen Weißen hätte ich, dann noch Sherry und Pernod.“
„Ich nehme den Sherry, wenn Sie keinen ...“
„Rotwein! Hab ich doch noch einen.“

Obwohl Hermine etwas gegessen hatte, machte sich der Rotwein schnell bemerkbar. Sie war nicht nur etwas lockerer, sondern ihr wurde auch sehr warm. Letzteres konnte auch daran liegen, dass sie in ihrem leicht ungehemmten Zustand erneut seine Wange ins Visier genommen hatte.

„Sie sollten den Zuhörern in die Augen sehen, Hermine“, mahnte er, denn auch ihm war aufgefallen, dass ihr Blick woanders landete.
„Da werden nächste Woche so viele Augenpaare sein ... Ich werde gar nicht wissen, wo ich hinschauen soll.“
„Tragen Sie weiter vor“, empfahl er, „damit wir verbale Stolpersteine entfernen können.“

Hermine las, setzte entsprechende Pausen ein und untermalte das Gesagte mit Bewegungen ihrer Hand.

„Es sollte weniger so aussehen“, er schmunzelte, „als wollten Sie eine Angel auswerfen.“
„Waren Sie schon mal angeln?“, fragte sie interessiert, weil sie sich schwerlich vorstellen konnte, wie Severus gemächlich in einem Boot saß und auf einen Fisch wartete.
„Lenken Sie nicht ab. Bringen Sie lieber Ihre Gestik unter Kontrolle, sonst machen Sie Sibyll noch Konkurrenz.“

Immer wieder trank Hermine nebenbei ein Schluck Wein. Die Gläser hatte sie nicht gezählt und das wollte sie auch gar nicht. Sie fühlte sich wohl, ihr war angenehm warm und die Gesellschaft genoss sie ebenfalls.

„Sie lallen!“
Diesen Vorwurf wollte sie nicht auf sich sitzen lassen. „Ich lalle übernicht! Ich meine, überhaupt nicht.“
Die Mühe, sein Schmunzeln zu verbergen, machte er sich nicht einmal. „Es ist in Ordnung. Auf diese Weise können wir den Text viel runder machen, denn wenn Sie über Wörter oder Satzstellen im angetrunken Zustand schon nicht mehr straucheln, dann werden diese Ihnen im nüchternen Zustand auch keine Proble...“
„Angetrunken? Ich bin nicht angetrunken, Severus, wirklich nicht!“
„Was ist dann der Grund, dass Sie sich bei bestimmten Worten auf dem 'L' oder 'S' so lange ausruhen?“
„Wollen Sie mir jetzt zuhören oder mich weiter veralbern?“
„Beides ist in gewisser Weise amüsant. Ich halte Sie nicht auf. Lesen Sie weiter.“

Hermine bemerkte selbst, dass er Recht behielt. Bei einigen Buchstaben zog sie das Wort ungewollt in die Länge, was sie zum Lachen brachte. Er monierte diese Stellen nicht, denn er wusste, dass sie diese in einer Woche normal aussprechen würde.

Endlich war sie fertig und sank kraftlos neben ihn auf die Couch nieder. Ab und an musste sie noch kichern, wenn sie sich bestimmte Worte ins Gedächtnis zurückrief. Das Wort Affodillwurzel hatte sie mit gefühlten fünf „L“ vorgelesen.

„Ich frage mich“, Severus blickte neben sich, „ob es nicht besser wäre, Ihnen vor der Rede ein Schluck Wein zu verabreichen. Ihre Stimme hat dann etwas besänftigend Paralysierendes an sich.“
„Die Zuhörer sollen aber auch den Inhalt verstehen und nicht nur auf die Stimme achten.“
„Der Inhalt wird jeden, der durch vorangegangene Vorträge bereits eingelullt auf seinem Stuhl sitzt, mit einem Schlag wieder aufmerksam werden lassen. Ich nehme sehr stark an, Hermine, dass Ihr Thema noch Wochen später für eine Menge Gesprächsstoff und auch Diskussionen sorgen wird.“
„Machen Sie mir keine Angst, Severus!“
„Ich bereite Sie nur auf das vor, was Sie zu erwarten haben und das ist Widerspruch. Und zwar in hohem Maße. Sehen Sie es locker. Sie wären nicht die Erste, die ins Kreuzfeuer der gespaltenen Zaubertränkevereinigung gerät.“
„Wie beruhigend!“ Hermine ließ ihren Kopf nach hinten fallen und schloss die Augen. „Wären Sie so nett“, sagte sie in dieser Position, „und würden den Yorkshire-Pudding holen, den ich vorhin nicht mehr geschafft habe?“

Er entschloss sich dazu, keinen Aufrufezauber zu verwenden, sondern hinunterzugehen. Auf diese Weise konnte er sich an die neue Gegend gewöhnen, die er in Zukunft häufiger aufzusuchen hoffte. Als er zurück ins Wohnzimmer kam, lag ihr Kopf noch immer auf der Rückenlehne, die Augen waren weiterhin geschlossen.

„Hermine?“, fragte er leise, aber sie rührte sich nicht. Er stellte das Gericht aus Eierkuchenteig auf dem Tisch ab, bevor er sich zu ihr hinunterbeugte. „Hermine?“
„Mmmh“, machte sie unbewusst.
„Sie wollen doch nicht hier schlafen?“ Keine Antwort. Sie schlief bereits, aber ihre Position sah äußerst ungemütlich aus. „Sie werden einen steifen Nacken bekommen.“

Severus ging die Möglichkeiten durch, die ihm blieben. Er könnte sie wecken, was er nur ungern tun würde, denn ihm war nicht entgangen, wie sehr sie den Schlaf benötigte. Sollte sie erwachen, könnte sie sich womöglich dazu aufraffen, wieder bis spät in die Nacht zu arbeiten. Sie hier auf der Couch zu lassen wäre sadistisch von ihm, denn eine Verspannung im Nacken war mit der momentanen Körperhaltung vorprogrammiert. Ihr Bett wäre die beste Möglichkeit, doch das müsste er erst einmal finden.

Es gab oben nur noch vier weitere Türen. Hinter einer davon verbarg sich das Badezimmer, eine andere offenbarte einen leer stehenden, großen Raum und die dritte ein Arbeitszimmer. Die letzte Tür, die offen stand, führte zum Schlafzimmer. Auf dem Bett, am Fußende zusammengerollt, lag Fellini, der sofort zu schnurren begann, als er erwachte. Er schaute auf und gähnte, blieb aber liegen. Harry war so anständig gewesen, nicht auf das fremde Bett zu springen, denn der Hund lag auf dem Boden. Severus griff nach der Bettdecke und zog sie beiseite.

Zurück im Wohnzimmer zückte er seinen Zauberstab, doch er brachte es nicht fertig, sie mit einem Mobilcorpus schweben zu lassen. Gegen Zaubersprüche, die einen Körper in die Luft beförderten, hatte er eine ausgeprägte Abneigung.

„Hermine?“, versuchte er es nochmals. Wieder brachte sie nur murmelnde M-Laute hervor, weswegen er seine Hand auf ihre Schulter legte. „Sie sollten ins Bett gehen“, sagte er leise. Wenn überhaupt, dachte er, würde sie seine Stimme nur als ein fernes Rauschen wahrnehmen. „Soll ich Ihnen hinüberhelfen?“
„Mmmh.“

Diese Aussage fasste er als Zustimmung auf. Es waren nur ein paar Meter, beruhigte er sich. Die Hand an ihrer Schulter wanderte zu ihren Schulterblättern, die andere unter ihre Knie. Im Nu hatte er sie im Arm, war die paar Schritte hinaus auf den Flur gegangen und hinein ins Schlafzimmer.

„Sie tragen mich ja“, murmelte sie dösig und er fühlte sich tatsächlich ertappt.
Leise fragte er zurück: „Hätte ich Sie wie ein Möbelstück hinter mir herschweben lassen sollen?“

Er fühlte an seinem Oberarm, wie sie ihren Kopf schüttelte. Behutsam hatte er sie aufs Bett gelegt. Die Schuhe zog er ihr mit einem Zauberspruch aus, die Hose ebenfalls, aber erst, nachdem er sie zugedeckt hatte.

„Gute Nacht“, sagte er ruhig in den Raum hinein, doch nur der Kater und der Hund schienen ihn gehört zu haben.

Mit dem Hund zurück in Hogwarts machte Severus noch einen langen Spaziergang, um an der frischen, wenn auch sehr kühlen Winterluft einen klaren Kopf zu erlangen. Hermines Apotheke hatte ihm vor Augen geführt, wie ein Leben außerhalb der schulischen Mauern aussehen könnte. Er war ein wenig neidisch auf das, was sie erreicht hatte. Ihr Lebensweg schien geebnet zu sein, war ohne eine einzige Hürde, wie er es aus seinem Leben kannte. Andererseits war es nicht ihr Verdienst allein, was sie alles in so kurzer Zeit bereits aufgebaut hatte, denn von allen Seiten wurde sie unterstützt. Ihre Eltern haben in finanzieller Hinsicht unter die Arme gegriffen, ihre Freunde haben ihr beim Umzug, Albus bei den Möbeln und die Zwillinge bei der Werbung geholfen. Selbst seine Mithilfe hatte Hermine gern angenommen, aber anstatt, wie er es vermutet hätte, peinlich berührt zu sein, weil sie es nicht allein geschafft hatte, war sie glücklich darüber. Vielleicht, dachte Severus, war es gar nicht so schlimm, sich von anderen helfen zu lassen.

Vor dem Einschlafen grübelte er darüber nach, wie es wäre, wenn er Hogwarts den Rücken kehren und ein eigenes Leben aufbauen würde. Das Geld hatte er. Allein schon die 25.000 Galleonen, die er zum Merlin erhalten hatte, stellten ein nicht zu verachtendes Startkapital dar. Nur eine Sache störte ihm beim Gedanken an die Selbstständigkeit, denn er wollte für Hermine keine Konkurrenz darstellen. Seine fiktiven Zukunftsszenarien ließen ihn noch eine Weile wach im Bett liegen.

Wer in der Nacht zum Sonntag noch lange nicht an Schlaf denken konnte war Kingsley, denn er saß bis spät abends an seinem Schreibtisch und verfasste den Bericht für den Minister, den dieser am Morgen des nächsten Tages, am liebsten jedoch noch heute Nacht, von ihm erwartete. Der hiesigen Presse war nicht entgangen, dass im Laufe des heutigen Vormittags eine gezielte Aktion gegen eine Reihe von bislang flüchtigen Todessern durchgeführt worden war und dass es dabei Tote gegeben hatte. Auf beiden Seiten. Mit den Mitwirkenden hatte er bereits gesprochen. Als es an seiner Tür klopfte, rief er den späten Gast herein. Tonks betrat mit gesenktem Kopf das Zimmer des Aurorenleiters. Sie war entkräftet, hielt sich aber weiterhin tapfer auf den Beinen. Sie hatte wenigstens noch welche.

„Ich bin sehr stolz auf dich, King“, sagte sie leise und er blickte auf.
„Was hätte ich denn sonst machen sollen?“ Er sprach das Treffen mit seinen Leuten an, das vor einigen Stunden stattgefunden hatte. „Ich konnte ihnen ja schlecht sagen, dass das Chaos zusammen mit dem verursachten Blutbad, das sie da angerichtet haben, nicht den Vorschriften entspricht. Also gab es Schulterklopfen, ein Lächeln, ein paar aufmunternde Worte wie 'Gute Arbeit, Leute!' und sonst nichts. Dieser zusammengewürfelte Haufen hat ein Schlachtfeld hinterlassen, fast schlimmer als im Krieg!“ Kingsley schüttelte den Kopf. „Aber hätte ich es nicht wissen müssen?“, murmelte er. „Wissen, dass die jungen Leute noch nicht soweit waren, an so einem Einsatz teilzunehmen? Dass sie sich von ihren früheren Erfahrungen übermannen lassen und ihre Verantwortung für die Zaubererwelt vergessen würden? Dass sie sich am Ende genauso grausam und rücksichtslos verhalten würden, wie die Todesser, derer sie habhaft werden wollten?“ Er seufzte und blickte ihr gleich darauf in die Augen. „Hast du, worum ich dich gebeten habe?“

Tonks reichte ihm ein Pergament. Ihr fehlten die Worte. Sie fragte sich, ob man jemandem, der von Selbstzweifeln geplagt war, überhaupt Trost spenden konnte.

„Setz dich.“ Er deutete auf einen Stuhl und Tonks folgte seiner Aufforderung, während er das Papier überflog. „Fünf tote Auroren, davon zwei Veteranen und drei aus Kevins Jahrgang. Ich habe gesehen, wie er sich um den einen Jungen bemühte, nachdem es vorbei war.“ Er atmete tief durch. „Sie schienen sich gekannt zu haben. Wie geht es Kevin und Tracey?“
„Beide halten sich gegenseitig aufrecht. Ich hab sie nach der Besprechung für drei Tage nachhause geschickt. Ist doch okay?“

Kingsley nickte und dachte derweil an das zurück, was er von dem zersplitterten Fenster aus verfolgt hatte. Tracey war mit den Nerven am Ende gewesen, weil sie Kevin tot geglaubt hatte. Dawlish war bei ihr geblieben, hatte sich um sie gekümmert. 'Gerade der', dachte Kingsley. Sein Kollege war nicht gerade jemand, dem man viel Mitgefühl zusprechen würde. Die tote Schneeammer war ein Vogel aus dem Schwarm gewesen, der zur falschen Zeit am falschen Ort nach Nahrung suchte. Die Glasscherben hatten den kleinen Körper wie aus heiterem Himmel durchbohrt. Als das Vögelchen auf den Boden aufgeschlagen war, hatte es schon nichts mehr gespürt. In der Hitze des Gefechts war Tracey so aufgebracht gewesen, dass sie nicht mehr klar denken konnte und deswegen den Vogel für Kevin gehalten hatte.

Die Bilder aus seinem Kopf verbannend schaute er wieder auf den Bericht. „Fünfzehn sind im Mungos in der Abteilung für Fluchschäden für ein paar Tage bis“, hier stockte King der Atem, „zum Rest ihres Lebens.“ In Gedanken fügte er hinzu, dass diese wohl demnächst Lockhart bei dessen Autogrammpost helfen würden, aber sonst in ihrem Leben nichts mehr tun könnten.

'Kollateralschäden müssen immer einkalkuliert werden', hörte er Alastors Stimme in seinem Kopf sagen. Obwohl er es nicht gern zugab, hatte der alte Haudegen mit seiner Bemerkung Recht.

Kingsley widmete sich erneut dem Bericht, der zwar sachlich verfasst war, ihn aber keinesfalls unberührt ließ.

„Die meisten werden relativ schnell wieder ihren normalen Dienst aufnehmen können. Gut! Zehn Todesser hat es durch die Auroren erwischt, sechs zogen es vor, den Stab gegen sich selbst zu richten und weitere 54 Personen konnten dingfest gemacht und nach Askaban gebracht werden. Unter denen befand sich auch Rodolphus Lestrange. Seinen Bruder hat es buchstäblich zerrissen.“

Die genauen Einzelheiten hatte er erst jetzt mit diesem Bericht erfahren. Da es sich um einen Kampf gegen einen zahlenmäßig überlegenen Gegner handelte, standen Kingsley und seine Auroren gar nicht so schlecht da. Trotzdem waren solche Berichte das, was er am meisten an seiner Arbeit hasste: Die bürokratische Aufarbeitung der Einsätze, denn da wurde ihm noch einmal das ganze Grauen in seiner vollen Größe offenbar. Es wäre nicht die erste Nacht, in der ihn die Schreie der Sterbenden verfolgen würden und auch nicht die letzte. Der Trank für den traumlosen Schlaf war schon lange sein ständiger Begleiter und er war froh, dass er jetzt nicht wie sonst allein war, denn Tonks blieb an seiner Seite. Regungslos und vollkommen still war sie einfach nur da und sah zu, wie er den Bericht für den Minister fertigschrieb. Er war ihr dafür unendlich dankbar. Vermutlich ging es ihr genauso wie ihm.

Am nächsten Morgen gab es im Ministerium ein heillosens Durcheinander. Die Presse hatte sich schon bei Malfoys Fall sehr präsent verhalten, doch jetzt, mit Namen wie Rodolphus Lestrange, Valdemar Nott und Augustus Rookwood, verhielt sich die Menge mit ihren Schreibfedern und den Kameras unangenehm aufdringlich. Natürlich wusste jeder etwas und keiner alles. Der Minister hatte noch in der Nacht eine öffentliche Pressekonferenz anberaumt, in der er eine Erklärung verlesen hatte, die die Aktion des vorangegangenen Tages in Stichpunkten zum Inhalt hatte. Die morgendliche Schlagzeile des Tagespropheten war eindeutig positiv und es war nicht zu leugnen, dass die Euphorie der Zaubererwelt in ihr festgehalten worden war.

„Todesser-Bande in den frühen Morgenstunden verhaftet – Minister greift durch. Ein Bericht von Rita Kimmkorn.“

Der Artikel von Kimmkorn war trotz der erst spärlichen gegebenen Informationen so aufgebauscht worden, dass er gut drei Seiten füllte.

Arthur Weasley klappte die Zeitung wieder zusammen. So sehr er sich diesen Tag herbei gewünscht hatte, so sehr fürchtete er ihn auch, denn so, wie sich sein Informant verhalten hatte, musste er nun ebenfalls Wort halten, auch wenn es ihm nicht gefiel.

In den letzten Verhandlungstagen, bevor der Fall Malfoy stillgelegt worden war, hatte Sid Duvall keinen Moment verstreichen lassen, um das Gamot mit Einwänden, Anträgen und Beweisen zu bombardieren, damit er die Schuld oder Unschuld, Beweisfähigkeit oder -unfähigkeit seines Mandanten belegen konnte. Er hatte eigene Zeugen benannt und die Beweise des Gamot auseinander genommen.

Im Büro des Ministers kündigte die Vorzimmerdame gerade das Eintreffen der Gamotvorsitzenden an, die trotz der vorangeschrittenen Stunde noch einiges im Ministerium zu erledigen hatte. Arthur erhob sich und ging zur Tür hinüber, um sie persönlich in Empfang zu nehmen.

„Rosalind, ich bin erfreut, Sie zu sehen, auch wenn die Umstände vielleicht nicht die Günstigsten sind.“
„Und das ist noch milde untertrieben, Arthur.“
„Aber setzen wir uns, Sie werden ja nicht aus reinem Vergnügen hergekommen sein. Also, was kann ich für Sie tun?“, fragte er interessiert, obgleich er sich schon denken konnte, warum sie gekommen war. Es ging um den Fall Lucius Malfoy oder besser, um seinen Beistand, dessen Handlungen nicht nur ihr Kopfzerbrechen bereitet hatten.
„Vielleicht wäre es besser gewesen, das Beistandsystem erst nach der Aburteilung von Lucius Malfoy einzuführen? So hätten wir ihn ohne Schwierigkeiten nach Askaban schicken können, ohne uns diese Farce antun zu müssen.“
„Ja vielleicht, Rosalind, aber so ist es nun einmal nicht gelaufen. Wenn Malfoy nicht der Erste gewesen wäre, der vom Beistandssystem profitiert hätte, dann hätte er später nur einen von vielen dargestellt, dessen Fall neu aufgerollt worden wäre. Ich sehe aber das Problem. Wir müssen aufpassen, nicht von unseren eigenen Neuerungen überrollt zu werden. Keiner von uns hat mit einem Mr. Duvall gerechnet; jemandem, der sich bereits in den neuen Gesetzen mehr als nur gut auskennt. Wie ich hören musste, verging kein Tag, an dem er euch nicht vorgeführt hat. Was also schlagen Sie vor, Rosalind?“, fragte Arthur erneut, der in dieser Angelegenheit bereits für sich eine Entscheidung getroffen hatte.

Rosalind machte keinen Vorschlag, hoffte jedoch, der Minister hätte einen. Er ging zu seinem Schreibtisch hinüber und nahm das vor wenigen Minuten geschriebene Pergament an sich, mit dem er zu ihr zurückkehrte.

Bevor er ihr das Pergament in die Hand drücken konnte, ahnte sie schon etwas, weswegen sie resignierend sagte: „Nach der aktuellen Beweislage und den Zeugenvernehmungen müssen wir Malfoy gehen lassen. Viele Anklagepunkte mussten dank Mr. Duvall fallengelassen werden. In dreien würde er jeweils mit einer Geldstrafe davonkommen. Ich werde das Gefühl nicht los, Arthur, dass wir die Sache falsch angefangen haben und jetzt den Preis dafür bezahlen. Wir müssen uns unseren eigenen Regeln unterwerfen.“

Arthur konnte sehen, dass ihr dies ganz und gar nicht gefiel. Sie machte ein verbissenes Gesicht, schluckte kräftig.

„Ja, das sehe ich genauso.“ Ein schelmischer Ausdruck legte sich über seinen Mund. „Aber vielleicht, und darin liegt meine Hoffnung, ist gerade diese Freiheit die eigentliche Strafe für ihn. Denn sehen Sie, seine Vergangenheit ist tot. Seine Welt ist tot. Sein Sohn hat eine Frau geehelicht, die ganz und gar nicht in sein traditionell rassistisches Weltbild passt. Sein größter Gegner Harry Potter ist der Pate seines Enkels. Von der Herkunft der Trauzeugin seines Sohnes mal ganz zu schweigen. Das ist die Welt, in die wir ihn entlassen. In ihr wird er hoffentlich seine tatsächliche Strafe finden und die ist lebenslänglich. Ich bin mir sicher, er würde Askaban dem vorziehen.“

Auch wenn man es Arthur nicht ansehen konnte, erfüllte ihn diese Tatsache mit diebischer Freude. Es sollte ihm gelungen sein, die noch ausstehenden Zweifel von Rosalind zu beseitigen. Auf den unangenehmen Aspekt namens Duvall würde er jetzt nicht mehr eingehen. Arthur hatte seine Pläne.

„Setzen Sie für morgen Nachmittag einen Verhandlungstag an und sprechen Sie Malfoy frei. Ich weiß, morgen ist Sonntag, aber es handelt sich nur um eine kurze, formelle Angelegenheit. Danach wird er von Kingsley und einigen anderen Auroren in aller Stille durch die Hintertür hinausbegleitet. Die Presse wird in den nächsten Tagen und womöglich noch viele Wochen mit Lestrange und seiner Bande von Todessern beschäftigt sein. Wir werden den Tagespropheten mit genügend Details versorgen, damit das auch so bleibt. Wenn es sein muss, werde ich auch ein Fotografen-Team nach Askaban schicken.“

Rosalind vermutete, dass es sich um eine abgekartete Sache handelte, sagte aber nichts, denn ihr eigener Kopf steckte ebenfalls in der Schlinge. Sie hatte selbst keinen brauchbaren Ausweg aus der Misere. So war sie insgeheim mit der Lösung des Ministers zufrieden, daher verbot sie sich jede weitere Anmerkung zu dem Thema und verabschiedete sich zähneknirschend, aber in gewisser Weise auch zufrieden.

Nachdem Rosalind das Büro verlassen hatte, war Arthurs Terminkalender noch lange nicht abgearbeitet. Kingsley wartete bereits vor der Tür und er gab sich mit Rosalind quasi die Klinke in die Hand. Man begrüßte sich kurz, danach verschwand die Gamotvorsitzende auf der Treppe und Kingsley schloss die Bürotür hinter sich.

„Was für ein Tag, Kingsley“, sagte Arthur und nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz, während sein Freund ihm zustimmte und sich ihm gegenüber setzte.
„Wie hat sie es aufgenommen?“, fragte er nach.
„Mit Fassung. Sie wird über unsere Lösung nicht ganz unglücklich gewesen sein. Lediglich die Tatsache, dass sie ihn nicht nach Askaban schicken durfte, stimmte sie etwas verdrießlich, was auch nachvollziehbar ist. Geht mir nicht anders. Ansonsten werden wir wie besprochen verfahren. Ich möchte, dass Mr. Duvall dabei ist, wenn wir Malfoy vor Tür setzen.“

Arthur konnte Kingsley ansehen, dass ihm noch etwas auf der Zunge brannte. Der Fall Malfoy war mit der Dauer der Verhandlung auch zum Fall Duvall geworden.

„Es geht dir um Duvall oder?“, sprach Arthur die Gedanken seines Gegenübers aus. Kingsley bejahte wortlos. „Du möchtest, dass wir ihn gleich mit vor die Tür setzen. Das Problem daran ist, King, dass wir dieses Beistandsystem geschaffen haben. Wir haben ihn dazu bestimmt, dieser Beistand für Malfoy zu sein. Das heißt, der Mann hat nichts weiter als seine Arbeit getan, wofür er vom Ministerium seine Galleonen bekommt. Wir wissen aber, dass ihm aus seiner eigenen Abteilung nicht erst seit dem Fall Malfoy ein ganz schöner Gegenwind frontal ist Gesicht bläst. Ich will damit sagen, dass ich vermute, er möchte uns nach Abschluss des Falles ebenfalls verlassen und zwar freiwillig. Ob das jetzt gut ist oder schlecht, lasse ich einmal dahingestellt. Fakt ist, dass den hier keiner haben will, offengestanden ich auch nicht.“

Allerdings, und das fügte Arthur jetzt nur in Gedanken hinzu, wäre ein Mann mit solchen Fähigkeiten geradezu prädestiniert dafür, neue Gesetzesvorlagen wasserdicht auszuarbeiten. Er würde darüber noch eingehender nachdenken, doch im Augenblick wäre eine solche Entscheidung, sogar die laut ausgesprochene Überlegung politisch sehr unklug.

„Wie sieht es eigentlich mit den Gesetzesvorlagen aus? Kommst du mit Hermine gut voran?“, wechselte Arthur das Thema.

Während Kingsley sich rechtfertigte, warum er noch nicht so weit war, wie er eigentlich sein wollte, und erklärte, dass Hermine ihm gute Vorschläge gemacht hatte, ihre Zusammenarbeit aber nicht ganz so eng war wie erhofft, diskutierte Sid mit Lucius im St. Mungos bereits die Umstände seiner plötzlichen Freilassung. Was Lucius gar nicht behagte war die Tatsache, dass man ihn nicht zur Vordertür hinausspazieren lassen wollte. Er hatte sich schon so darauf gefreut, in die Rolle des Unschuldslamms zu schlüpfen, das man zu Unrecht festgehalten hatte. Auch sein Plan, Arthur in einem geeigneten Moment über den Weg zu laufen, um sich von der Presse mit dem überraschten Minister ablichten zu lassen, ging in Rauch auf.

„Sie wollten was?“, fragte Sid empört, nachdem Lucius ihm nebenher von seiner geplanten Stichelei mit dem Minister erzählt hatte. Sid konnte kaum fassen, was er da gerade von Lucius hatte hören müssen. „Sie leiden nicht zufällig unter einer späten Todessehnsucht, Mr. Malfoy? Hat Sie Ihre Arroganz wirklich so blind gemacht? Einer der Lestrange-Brüder lebt noch! Was denken Sie, wie lange es dauern würde, bis der eins und eins zusammengezählt hat? Sie werden nichts dergleichen tun!“ Sid schüttelte erbost den Kopf und murmelte: „Ein Foto mit dem Minister deichseln.“ Lucius anblickend machte er ihm klar: „Wir haben gewonnen! Morgen am späten Nachmittag werden Sie frei sein, Mr. Malfoy. Sie sollten sang- und klanglos verschwinden und die Presse meiden, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!“

Mit diesen Worten stand Sid auf und teilte Lucius mit, dass er ihn am nächsten Tag im Gamot wiedersehen würde, weil er nun, da der Fall nahezu abgeschlossen war, mit seinem Abschlussbericht beginnen musste, doch er wusste auch, dass dies nicht das Einzige war, mit dem er abzuschließen hatte. Sid war sich im Klaren darüber, dass auch er für diesen Sieg einen Preis zu zahlen hatte. Die Umstände waren verzwickt, dennoch glaubte Sid, eine Lösung für das Problem gefunden zu haben und die musste durchdacht und vorbereitet werden.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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Rest von Kap. 181

Der Sonntagmorgen begann im Gegensatz zu dem wirren Haufen im Ministerium, der an einen Schwarm aufgebrachter Hummeln erinnerte, in der Winkelgasse sehr gemächlich. Hermine erwachte um kurz nach neun und war – sie konnte es kaum fassen – ausgeschlafen! Sie tat es Fellini gleich und räkelte sich im Bett, döste noch ein wenig, streckte sich nochmals und stand endlich auf.

Die Erinnerung an gestern Abend, an den Spaß, den sie hatte und an seine liebenswerte Geste, sie ins Bett zu bringen – zu tragen, verbesserte sie sich selbst – beschwingte sie. Gut gelaunt machte sie sich Tee und während das Wasser bereits zu kochen begann, wurde sie sich beim Schneiden des Brotes darüber bewusst, dass sie allein frühstücken würde. Sie hielt inne. Die gute Laune verflog auf der Stelle. Sie war kurz davor, Severus anzuflohen, um ihn zu sich einzuladen, da erinnerte sie sich daran, dass Harry und Ginny heute vorbeikommen wollten.

Mit der Scheibe lieblos geschmierten Marmeladenbrotes und dem Tee nahm sie allein auf der Sitzbank in der Küche Platz. Sie ertappte sich dabei, vor ihrem inneren Auge Severus gegenüber sitzen zu sehen, wie er sein Lammfilet mit Minzsauce genoss. Als sie sich ins Gedächtnis zurückrief, wie er sie angeschaut hatte, als sie vorschlug, er sollte sich vielleicht beruflich umorientieren, da begann sie zu lächeln.

Eine Stunde später kamen Ginny und Harry. Hermine erwartete sie bereits im Wohnzimmer. Nach der stürmischen Begrüßung ließ sie die beiden sich umsehen.

„Etwas karg eingerichtet oder?“, fragte Harry vorsichtig, falls er damit ihren Geschmack kritisieren sollte.
„Wieso?“ Ginny blickte sich um. „Reicht doch völlig. Gemütliche Sitzgelegenheiten, eine Menge Bücher“, Harry verzog das Gesicht, „außerdem noch ein hübsches Schränkchen.“ Ginny schaute zu Hermine hinüber. „Kirschholz?“
„Ja, stand auf dem Dachboden in Hogwarts.“

Ginny gefiel das Wohnzimmer, doch sie wollte auch die anderen Räume sehen. Während sie das Arbeitszimmer betrachteten, sagte Ginny unverhofft: „Ach Hermine, ich habe Ron Bescheid gegeben, wo wir heute sind und er wäre in einer halben Stunde hier. Ich hoffe, das ist in Ordnung.“
„Aber natürlich. Kommt Angelina auch?“
Harry nickte. „Die Flugbesenschule hat heute geschlossen und sie würde gern mitkommen und außerdem ...“
Weil Harry mitten im Satz stoppte, übernahm Ginny den Rest des Satzes: „Außerdem hat Harry Neville auch erzählt, dass wir dich heute besuchen kommen und da hat er gefragt, ob er und Luna wohl auch kommen könnten.“
Ein Lächeln kroch über Hermines Lippen. „Dann habe ich ja ein volles Haus. So viel habe ich gar nicht zu essen da.“
Harry winkte ab. „Angelina und Luna machen was, sozusagen als Entschädigung, dass sie dich überrumpeln.“
„Ist schon in Ordnung. Ich bin ganz froh, wenn jemand hier ist. Es ist ...“ Diesmal brachte Hermine den Satz nicht zu Ende, weil sich ihr die Kehle zuschnürte.
Ginny wanderte bereits wieder in den Flur hinaus, um das nächste Zimmer zu inspizieren, da sagte Harry leise: „Es ist einsam hier.“ Für ihn war es eine Tatsache. „Du solltest jemanden einstellen. Fred und George haben damals auch ganz schnell eine Verkäuferin gefunden.“
„Ich weiß nicht, ob ich jetzt schon jemanden bezahlen kann. Erst einmal muss ich über einen gewissen Zeitraum Buch führen, um zu sehen, ob ich überhaupt Gewinn mache.“
„Dir bleibt dann aber kaum Zeit, mal ein wenig rauszugehen, unter Leute, meine ich. Du machst hier alles selbst, Hermine. Brauen, verkaufen, bestellen, Buchführung, du machst sogar selber sauber.“
„Momentan bekomme ich das noch hin“, rechtfertigte sie sich.
„Ja, aber für wie lange?“
Vom Flur hörte man Ginny rufen: „Was hast du denn mit dem leeren Zimmer vor?“
„Übernimm dich nicht, Mine.“

Harry warf Hermine einen bedeutungsschwangeren Blick zu, bevor er nach draußen ging und sich zu Ginny gesellte. Die mögliche Verwendung des ungenutzten Raumes wurde im Laufe des Tages nicht geklärt. Stattdessen wurden Luna und Neville, ein wenig später auch Ron und Angelina herzlich begrüßt. Man hatte sich die Verpflegung von sieben Personen einfach gemacht. Luna hatte Mengen an Kuchen mit, während Ron und Angelina Fisch und Gemüse für das Abendessen besorgt hatten, aber zuerst nahmen sie gemütlich im hell eingerichteten Wohnzimmer Platz.

Bevor sich das momentane Gesprächsthema beim Quidditch festfahren konnte, versuchte Harry, die Kurve zu kriegen und die anderen auf Hermines bevorstehende Präsentation aufmerksam zu machen.

„War Severus gestern hier?“, begann Harry unüberlegt, denn die Erwähnung seines ehemaligen Zaubertränkelehrers hatte Ron sofort das Thema Sport vergessen lassen.
Der Rothaarige rümpfte die Nase. „Snape? Was hat der hier verloren?“
„Wir sind zusammen die Rede durchgegangen. Ich habe doch kommende Woche meine ...“
Ron fiel ihr ins Wort. „Aber was hat er damit zu tun? Wirklich Hermine, du bist auf ihn nicht angewiesen.“
„Ähm ...“ Harry war um Worte verlegen, aber zum Glück schritt Neville ein.
„Soweit ich weiß, hat er die Rede für Hermine geschrieben“, er blickte unsicher zu ihr hinüber, „oder?“
„Ja, hat er und sie ist sehr gut geworden“, verteidigte sie Severus. „Gestern haben wir die Rede geübt. Ich glaube, ich werde damit richtig Eindruck schinden.“
„Das wäre klasse, Hermine!“ Harry freute sich für sie. „Würde ich mir gern anhören.“
Skeptisch zog Hermine eine Augenbraue in die Höhe. „Ich glaube nicht, dass das etwas für euch ist. Das sind alles Zaubertränkemeister, Alchimisten und Menschen, die irgendwie mit Tränken, Zutaten und was weiß ich noch alles zu tun haben. Ich befürchte, ihr könntet nicht folgen.“ Sie warf Ron einen schelmischen Blick zu, den er mit einem übertriebenen Grinsen beantwortete. „Selbst meine Rede ist jetzt so formuliert, dass sie sehr fachlich klingt.“
„Mich kriegen da keine zehn Pferde hin“, versicherte Ron sehr von sich überzeugt. „Das wäre für mich wie Nachsitzen in Zaubertränken.“
Neville stimmte ihm wortlos zu, gab aber zu bedenken: „Da werden bestimmt eine Menge toller Sachen vorgestellt. Wenn mein Dünger so weit ist, werde ich ihn auf der Tagung der Kräuterkundler vorstellen.“
Ron und Harry entgleisten sämtliche Gesichtszüge. „Es gibt eine Tagung der Kräuterkundler?“, fragte beide fast zeitgleich.
„Natürlich! Pomona ist da immer zu Gast. Jedes Fach hat eine Interessengemeinschaft, die sich regelmäßig über Neuerungen austauschen will.“
Mit neutral gehaltenem Gesicht – nur die Augen lachten – fragte Ron seinen besten Freund ganz ernst: „Gibt es auch im Bereich der Dunklen Künste eine Interessengemeinschaft?“
„Nö“, kam von Harry wie aus der Pistole geschossen. „Die Interessenten sind fast alle erledigt. Und bei dir? Gibt es eine Quidditch-Interessengemeinschaft?“
„Wenn man den Pub-Besuch nach einem gewonnenen Spiel mit dazuzählt, dann ja.“

Während Ron und Harry noch herumalberten, fragte Neville die Gastgeberin sehr interessiert: „Wie wächst der Kartoffelbauchpilz?“
Ihre Augen glänzten. „Ganz wunderbar, Neville! Danke dir vielmals für den Dünger. Die Schoten hat Severus gestern schon ernten können, so schnell sind die gewachsen.“

Rons Kopf schnellte herum, doch er verkniff sich jeden Kommentar. An seinem Gesichtsausdruck konnte man jedoch ablesen, dass er der Situation nicht traute und sich zu fragen schien, was Snape hier zu suchen hatte. Luna bekam von alledem augenscheinlich nichts mit, denn sie hatte sich in das Prospekt vertieft, dass Hermines Apotheke anpries.

„Geniale Idee“, hauchte die Blonde, womit sie Nevilles Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie reichte ihm das Prospekt. Der Duft von Vanille schlug ihm entgegen.
„Das war Georges Idee“, erklärte Hermine. „Er hat das Informationsblatt gestaltet und hatte den Einfall mit dem Vanilleduft.“
Mit in Falten gelegter Stirn roch Ron an der Werbung. „Ist immerhin besser, als diese singenden Flugblätter. Die nerven mit der Zeit wirklich!“
„Severus wollte gleich einen ganzen Stapel von den Prospekten haben. Keine Ahnung, wem er die geben will.“

Nicht zum ersten Mal an diesem Tag nahm Ron Hermines Aussage mit sichtbarer Skepsis zur Kenntnis. Ginny und Harry kannten ihn so gut, dass sie davon ausgingen, er würde Hermine im nächst möglichen Moment zur Seite nehmen, um zu fragen, ob sie unter einem Fluch leiden würde.

„Bezaubernd.“ Luna lächelte verträumt. „Ich werde mal sehen, ob ich eine günstige Anzeige in der Muggelpost für dich arrangieren kann. Sind eigentlich viele gekommen? Viele Werwölfe?“
„Oh ja!“ Der ganze Stress der letzten Tage war in diesen zwei Worten untergekommen, doch Hermine wurde noch detaillierter. „Es waren erst sieben, dann 21 und am letzten Tag 51, plus/minus drei.“
Angelina machte ganz große Augen. „So viele?“
„Ich wusste nicht einmal“, warf Neville ein, „dass es überhaupt so viele von denen gibt.“
„Na ja ...“

Erst wollte Harry sich selbst bremsen, um die Stimmung nicht zu drücken, aber irgendwann musste man über den Krieg offen reden können. Gerade nach der heutige Schlagzeile des Tagespropheten, die jeder gelesen haben musste, aber niemand ansprach, hielt er den Zeitpunkt für den richtigen.

„Greyback hat es sich am Ende zur Aufgabe gemacht, immer mehr Menschen zu infizieren, meist Muggel. Er hat früher nie den Wolfsbanntrank genommen, in den paar Jahren vor Kriegsende aber schon.“
Ron nickte zustimmend. „Das hat uns einer unserer Gewährsmänner gesteckt.“
Ginny wusste, von wem sie sprachen und nannte seinen Namen: „Prospero.“
„Ja, genau!“, bestätigte Ron.
Harry erzählte weiter. „Greyback fand Gefallen am Wolfsbanntrank, weil er seine Bluttaten am nächsten Morgen nicht mehr nur als vage Ahnung empfand, sondern sie bewusst erlebt hat. So konnte er auch besser steuern, wen er tötet und wen er 'nur' infiziert.“
„Hat ...“ Nevilles Stimme brach, weswegen er sich räuspern musste. „Hat man ihn auch erwischt?“

Neville hatte den langen Artikel im Tagespropheten, der die Verhaftung so vieler Todesser behandelte, ganz sicher gelesen, dachte Harry. Ron, Hermine, Ginny und Harry schüttelten aufgrund von Nevilles Frage den Kopf.

„Die Auroren vermuten ihn im Verbotenen Birkenwald, aber der ist groß. Man wird ewig brauchen, ihn zu kriegen.“
„Wir können ja auf Greyback-Jagd gehen!“, schlug Ron viel zu ernst vor. „Die ganze DA! Wir durchkämmen den Birkenwald und ...“
Hermine legte sofort ihr Veto ein. „Hast du den Verstand verloren? Du weißt, dass das ein Reservat für Zentauren ist und zwar für Zentauren, die nicht so nett sind wie Firenzes Freunde.“
„Die waren doch nicht nett!“, widersprach Ron.
Harry legte den Kopf schräg und hob eine Augenbraue an. „Zu uns schon. Aber wo du gerade von der DA sprichst: Ich glaube nicht, dass die noch einmal zusammenkommen wird.“
Der Ruhigste von allen – Neville – ergriff das Wort. „Ich hab meine Galleone immer in der Tasche!“ Um seine Aussage zu untermauern, griff er in die Hosentasche und zog seine mit einem Proteus-Zauber versehene Galleone heraus. „Wann immer die glühen sollte ...“ Er wäre zur Stelle.
An ihrem Kragen fummelte Luna so lange herum, bis sie eine Kette unter der Bluse hervorgeholt hatte. An ihr baumelte eine durchstochene Galleone. „Ich hab sie auch immer dabei.“

Harry war sprachlos, doch Neville und Luna waren ganz offensichtlich nicht die Einzigen, die an diesem Stück Vergangenheit hingen. Ron fischte aus seiner Gesäßtasche die entsprechende Galleone heraus, Hermine aus der vorderen Hosentasche.

„Bin ich der Einzige“, fragte Harry verwirrt, „der sie nicht mehr ständig mit sich führt?“
„Das macht nichts“, beruhigt ihn Ginny. Sie öffnete den Verschluss ihrer Muggel-Armbanduhr, die ein Geschenk von Hermine gewesen war. Die Unterseite der Uhr war durch die Galleone ersetzt worden. „So hab ich sie immer dabei und wenn du sie mal brauchst, dann nimmst du meine.“

Jeder blickte Angelina an, die auch seit Anfang an Mitglied der DA war, bisher aber ihre Galleone nicht gezeigt hatte.

„Oh“, machte sie, als sie verstand, was ihre Freunde von ihr erwarteten. „Ich hatte eine ähnliche Idee wie Ginny.“ Die dunkelhäutige Schönheit zog den Ärmel ihres Pullovers hoch und präsentierte ihren Schmuck: Ein Armreif, an dem kleine Perlmutt-Plättchen hingen, zwischendrin glitzerte etwas Goldenes – die Galleone.

Am frühen Nachmittag standen die sieben Freunde in der Küche und kochten gemeinsam, unterhielten sich angeregt und hatten zusammen ihren Spaß.

Weniger Spaß hatte Sid, als er mit den ganzen Akten unter dem Arm im Saal des Gamots erschien. Bis auf Lucius waren alle bereits anwesend. Der Gefangene wurde als Letztes hereingebracht. Die Gamotvorsitzende erhob sich und ließ ihren Blick auf dem Blonden ruhen, bis der sich endlich gesetzt hatte. Mit einer nahezu versteinerten Mine verlas sie den Rechtsspruch.

"Im Namen der Zaubererwelt ergeht folgendes Urteil: Lucius Malfoy, Sie werden in vier Anklagepunkten freigesprochen. In dreien wird Ihnen eine Geldstrafe von insgesamt 6.150 Galleonen auferlegt, die sich wie folgt zusammensetzt: Zehn Prozent des Glasschadens in der Mysteriumsabteilung, der sich insgesamt auf 45.000 Galleonen berechnen ließ, zudem die höchste Geldbuße für die 'Störung der Öffentlichen Ordnung', die mit 1.500 Galleonen angesetzt wurde und“, Rosalind biss die Zähne zusammen, „150 Galleonen für den 'Besitz schwarzmagischer Gegenstände'.“ In ihren Augen viel zu wenig. „Ihnen wird ein Verlies-Schein von Gringotts ausgehändigt, mit dem Sie den Gesamtbetrag innerhalb der nächsten sieben Tage als Spende an“, Rosalind blickte auf und grinste fies, „das Waisenhaus für muggelgeborene Hexen und Zauberer überschreiben werden. Der Freispruch in den anderen Anklagepunkten erfolgt aus Mangel an nach gültigem Recht verwertbaren Beweisen.“ Das Pergament legte Rosalind nieder, um nun Lucius persönlich anzusprechen. „Es mag sein, Mr. Malfoy, dass Sie einem schärferen Richterspruch durch das Gamot mit List und Tücke Ihres Beistandes entgangen sind, dennoch habe ich keine Zweifel, dass selbst der Freispruch und die damit verbundene Entlassung in eine Welt des Friedens Strafe genug sein wird. Haben Sie noch irgendwelche Fragen, Mr. Malfoy?“
„Ja“, sagte er zum Erstaunen aller Anwesenden, selbst Sid fasste sich an die Stirn und flehte leise zu fernen Göttern, er möge den Mund halten.
Rosalind kniff ihre Augen zusammen. „Was?“
Mit arrogant erhabenem Gesichtsausdruck wollte er wissen: „Was genau meinen Sie mit Ihrer letzten Aussage? Ich habe das Gefühl, dass Sie mir drohen wollten.“
Neben sich hörte er seinen Beistand zischeln: „Halten Sie Ihren Mund!“
„Was das zu bedeuten hat“, begann Rosalind selbstsicher, „werden Sie ganz für sich allein herausfinden müssen, Mr. Malfoy. Und seien Sie sich sicher, dass ich nicht so töricht bin, Ihnen vor dem versammelten Gamot zu drohen. Ich“, sie hatte deutlich betont, „würde so etwas niemals wagen.“
„Nun, da bin ich aber beruhigt.“
„Die Sitzung ist geschlossen.“

Mit ihrem Richterhammer schlug Rosalind auf den Tisch, so dass es einen heftigen Knall gab. Damit war das Verfahren gegen Lucius Malfoy heimlich, still und leise beendet. Keine Zuschauer, keine Presse.

„Mr. Malfoy, Mr. Duvall. Wenn uns die Herrschaften nun bitte folgen wollen?“ Einige Auroren waren neben ihn und seinen Beistand getreten und machten klar, in welcher Richtung der Sitzungssaal zu verlassen war. Sid nickte und die beiden folgten den anderen durch einen Seitenausgang des großen Saales hinunter ins Erdgeschoss und einen langen Gang entlang, bis sie in ein kleines Zimmer geführt wurden.

Unformell bekam Lucius sein Hab und Gut wieder, das ihm bei der Verhaftung abgenommen worden war. Darunter waren ein schwarzer Umhang und zerschlissene Kleidung sowie sein mit einem Schlangenkopf verzierten Gehstock und ...

„Wäre es Ihnen wohl möglich, das hier“, Lucius deutete mit dem Knauf seines Stockes auf die Todessermaske, „zu vernichten? Ich habe keine Verwendung dafür.“
Aus irgendeiner Ecke hörte man einen der Auroren murmeln: „Nicht mehr.“
„Was ist mit der Kleidung?“ Ein Auror hielt ihm Hose, Weste und Jacke unter die spitze Nase, welche er sogleich rümpfte.
„Weg damit.“ Er wollte nicht mehr an den Tag der letzten Schlacht erinnert werden. „Nur den Umhang, den können Sie mir noch aushändigen.“ Damit konnte er wenigstens die Krankenhauskleidung verbergen, die er heute anstatt der üblichen Sträflingskluft hatte tragen dürfen. Das führte Lucius vor Augen, dass man nicht vorgehabt hatte, ihn der Presse vorzuführen, wie man es am Tag der ersten Verhandlung getan hatte: mit gefesselten Händen und der Kleidung aus Askaban.
„Wenn Sie hier unterzeichnen würden, dass Sie alles zurückerhalten haben?“

Lucius unterschrieb das Pergament und warf sich den Umhang über, der ihn komplett von oben bis unten einhüllte und nichts von der billigen Kleidung darunter preisgab. Allein schon der dunkle Umhang und sein kostbarer Gehstock mit integriertem Zauberstab ließ ihn wie früher wirken. Einzig sein Äußeres zeugte von einer Veränderung. Lucius war abgemagert, sah abgekämpft aus. Man drückte ihm den Schein von Gringotts in die Hand, mit dem er seine Geldstrafe begleichen konnte.

Sie betraten erneut den langen Gang. Hier bedeutete ihnen ihre Begleitung, von jetzt an allein weitergehen zu müssen, denn man würde sie am Ende des Ganges bereits erwarten. Und so war es dann auch. Lucius Mundwinkel zuckte. Sie wurden von Arthur und Kingsley empfangen. Allein.

Mit schmierigem Lächeln fragte Lucius in jovialem Tonfall nach dem werten Befinden des Ministers und seiner Familie.

„Mir ist nicht nach Konversation mit dir, Lucius. Es ist Zeit, dass du uns verlässt und wir sind beide gekommen, um dich auch wirklich gehen zu sehen.“
„Es war mir ein Vergnügen, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Herrschaften“, gab er schneidend zurück. Er wandte sich an seinen Beistand. „Was ist mit Ihnen, Mr. Duvall? Kommen Sie doch mit mir! Jemanden wie Sie könnte ich gut brauchen.“
„Mr. Malfoy, um eines ganz klar zu stellen: Sie und Ihr Fall waren ein Teil meiner Arbeit, nicht mehr und nicht weniger. Meine Aufgabe bestand darin, in einem Prozess gegen Ihre Person Ihren Beistand darzustellen. Diese Pflicht habe ich erfüllt. Meine Aufgabe sehe ich somit als beendet.“ Mit gleicher, würdevoller Mimik betrachtete Sid seinen ehemaligen Klienten. „Ich bin ein Angestellter des Ministeriums und ich werde nicht für Sie arbeiten, falls Sie das in Betracht gezogen haben sollten. Auch dann nicht, wenn meine Dienste hier nicht länger gebraucht werden. Weder meine Familie noch ich nagen am Hungertuch und selbst wenn es jemals anders sein sollte, verbietet mir schon allein mein Ehrgefühl, in Ihre Dienste zu treten. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Leben Sie wohl.“

Höflich hielt Sid ihm die Hand zum Abschied entgegen, doch Lucius, brüskiert und tief beleidigt in seinem Stolz, nahm diese nicht. Stattdessen nickte er Kingsley und dem Minister flüchtig zu. Mit einer Hand deutete Kingsley auf eine einzelne Telefonzelle, die in diesem Gang stand.

„Was denn? Darf ich nicht einmal nachhause flohen?“
„Sie, Mr. Malfoy“, warf Kingsley ein, „sollten zunächst überprüfen, ob Sie noch ein Zuhause das Ihre nennen dürfen.“
„Wie darf ich das verste...?“
„Leben Sie wohl!“, verabschiedete sich Kingsley, der die Tür geöffnet hatte und Lucius in die Telefonzelle zwängte. Auf diesem Wege würde er, das wusste Lucius, irgendwo in Muggellondon auftauchen. Als die Tür sich schloss und der Fahrstuhl bereits gen Erdoberfläche schoss, hoffte Lucius, zumindest ein ruhiges Plätzchen zum Apparieren zu finden.

„Mr. Shacklebolt, Herr Minister. Ich darf mich verabschieden. Sie werden meinen detaillierten Abschlussbericht in den nächsten Tagen erhalten. Bis dahin wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag“, sagte Sid höflich. Arthur ließ ihn gewähren, obwohl ihn Kingsley gleich mit zur Rechenschaft ziehen wollte. Dem fragenden Blick seines dunkelhäutigen Freundes wollte er antworten.

„Ich möchte noch seinen Bericht abwarten“, erklärte Arthur kurz und knapp. Danach trennten sich die Wege der Männer. Während der Minister zurück in sein Büro ging, marschierte Sid in seine Abteilung, wo er, wie er es schon erwartet hatte, nicht mit offenen Armen empfangen wurde. Zum Glück konnten Blicke nicht töten, dachte Sid, jedenfalls nicht ohne den Einsatz von Dunklen Künsten. Er beschloss, nicht seinen direkten Vorgesetzten aufzusuchen, sondern seinen Bericht kurzerhand in seinen eigenen Räumlichkeiten zu verfassen, den er nach der Fertigstellung lediglich abgeben wollte.

Seine Entscheidung ließ ihm noch einigen Spielraum, um privaten Dingen nachzugehen. Er wollte sich auf jeden Fall von Miss Amabilis – Schwester Marie – verabschieden. Sid hoffte, dass es kein Abschied für immer sein würde, denn er mochte die nette, aufopferungsvoll arbeitende Hexe. In ihr sah er, verbunden mit dem Fall, einige Parallelen zu sich selbst, doch wollte er das nicht überbewerten. Das erste Mal in seinem Berufsleben verließ er das Büro, ohne einem Vorgesetzten Bescheid zu geben. Er flohte direkt ins St. Mungos, nur um dort zu erfahren, dass Schwester Marie ihren Dienst am heutigen Tag bereits beendet hatte. Man versicherte ihm, dass sie Morgen wieder zur Frühschicht anwesend sein würde. Sie hätte sich bereit erklärt, sagte man ihm, die wenigen persönlichen Gegenstände, die Mr. Malfoy während seines Krankenhausaufenthalts angesammelt hatte, wegen der erfolgten Verlegung des Patienten persönlich zu packen. Sid zog amüsiert die Augenbrauen nach oben und grinste in sich hinein.

'So so, Verlegung nannte man es hier', dachte er sich auf dem Rückweg ins Büro. Es sollte ihm Recht sein. Je weniger Schwester Marie von den realen Umständen mitbekam, desto besser war es für ihn selbst.

Vom Ministerium aus hatte Kingsley Susan Bescheid gegeben, dass sie mit Lucius rechnen müsste, da der vor wenigen Minuten freigesprochen worden war. Draco war zwar übers Wochenende in Malfoy Manor, doch zu dem Zeitpunkt, als Susan den Ruf über den Kamin erhalten hatte, war sie mit Narzissa allein im Haus.

Im Musikzimmer fand Susan ihre Schwiegermutter, die ihr schon vor der Hochzeit die persönliche Anrede gestattet hatte. Narzissa schien abwesend, während sie einige Tasten am Spinett betätigte. Der Artikel der Morgenzeitung hatte ihr sehr zugesetzt, denn er hatte schlimme Erinnerungen aufwallen lassen.

„Narzissa!“ Susan war überglücklich, sie endlich ausgemacht zu haben.
„Susan, warum so aufgebracht?“
„Mr. Malfoy ...“ Sie verbesserte. „Dein Mann ist eben freigesprochen worden. Er wird vermutlich jeden Moment hier eintreffen.“
Narzissa blinkte einmal ungläubig, dann ein weiteres Mal. „Mein Mann? Er kommt hierher?“
„Ich vermute ja.“

Wie von der Tarantel gestochen sprang sie von dem kleinen Höckerchen auf, das vor dem Hausinstrument stand und betastete ihr Haar, fuhr sich mit einer Hand über die Wange. Ihr schienen so viele Worte auf der Zunge zu liegen, dass sie stumm blieb, weil sie sich für keines entscheiden konnte.

„Wo ist Draco?“, wollte Susan wissen.
„Bei den Ställen. Er wollte eine Liste machen.“ Die dort untergebrachten schwarzmagischen Gegenstände wollte Draco schriftlich festhalten, denn demnächst wollte er sie veräußern. „Wir müssen ihm Bescheid geben.“
„Ich schicke ihm meinen Patronus!“

Mit Hilfe ihres Stabes erschuf sie die silberfarbene Löwin, die Draco die Nachricht über die zu erwartende Ankunft seines Vaters übermitteln sollte. Wie erhofft war Draco in Windeseile zurück.

Er war, obwohl er nicht rennen musste, sondern appariert war, völlig außer Atem. „Vater kommt?“
„Hat mir Shacklebolt eben mitgeteilt“, bestätigte Susan, während sie mit ihren unruhigen Fingern spielte.
„Okay!“ Seine Hände hielt er in beschwichtigender Geste nach oben, doch nicht die Frauen, sondern sich selbst wollte er damit beruhigen. „Susan, du bleibst bitte vorerst mit Charles in unserem Zimmer.“ Sie nickte zustimmend, so dass er sich an seine Mutter wandte. „Ich möchte als Erstes mit ihm reden. Bitte bleib im Hintergrund. Tust du das für mich, Mutter?“ Auch sie nickte. „Gut, gut.“ Er war kurz davor, zu hyperventilieren, so schnell atmete er. Narzissa machte sich Sorgen, denn so aufgewühlt hatte sie ihren Sohn lange nicht mehr gesehen.
„Beruhige dich, mein Schatz.“
'Leicht gesagt', dachte Draco.

Das erwartete Familienmitglied war bereits mit einem Zwischenstopp vor das Grundstück Malfoy Manor appariert. Der Anblick des hergerichteten Hauses ließ sein Herz höher schlagen. Die Heimkehr berührte einen Punkt ihn ihm, den er für so lange Zeit verloren glaubte. Für einen Moment betrachtete er wie verzaubert das Gebäude und schwelgte in glücklichen Zeiten. Der Gedanke an seine Frau trieb ihn durch das schwere Eisentor, das ihn als Familienmitglied erkannte und ihm durch einen Zauber Einlass gewährte. Den weiten Weg bis zum Haus genoss er zu Fuß. Überall lag noch Schnee, was der mit Bäumen angereicherten Umgebung ein märchenhaftes Aussehen verlieh. Der kalte Wind pfiff ihm ums Gesicht, nichtsdestotrotz ließ er sich einen Moment Zeit. Endlich daheim! Er hätte auch direkt hineinapparieren können, aber sein Haus wollte er unbedingt durch die Eingangstür betreten.

Da stand er vor der dunklen Doppeltür des Herrenhauses, in dem er aufgewachsen war; welches bereits seit mehreren Generationen seiner Familie gehörte. Ohne Probleme ließ sich die Tür öffnen.

'Ich bin willkommen', dachte er beruhigt. Shacklebolt hatte ihm nur einen Schrecken einjagen wollen. Seine Frau würde ihn um nichts in der Welt ausgrenzen, dessen war er sich sicher.

Nachdem sich die Tür vollends geöffnet hatte, war das Gefühl, das alte Zuhause zu betreten, für einen Moment getrübt, denn nicht der schwarzrote Marmorboden begrüßte ihn, sondern ein weißer mit gelblicher Färbung. Diese erste Veränderung, die er wahrnahm, biss sich mit seinen Erinnerungen und er hoffte, dass das die einzige Neuerung war, mit der er rechnen musste.

Kaum war er drinnen, schloss sich die Tür von allein. Lucius ging ein paar Schritte. Das klackende Geräusch seiner Schuhe und des Gehstocks hallten in der Eingangshalle wider. Ein ähnliches Geräusch ließ ihn innehalten. Sein Blick wanderte zu einer der geschwungenen Treppen, auf der hoheitsvoll sein in einen dunkelblauen Gehrock aus edlem Brokat mit besticktem Pfauenmotiv gekleideter Sohn herabstieg. An seinem Arm führte er ...

„Narzissa“, hauchte Lucius so sehnsuchtsvoll und leise, dass niemand ihn hören konnte.

In seine Augen war sie keinen Tag gealtert. So viele Jahre hatten sie sich nicht gesehen; fast acht. Nachdem sein Sohn damals an der Seite von Severus geflohen war, hatte sich auch Narzissa im Verborgenen gehalten. Sie war anmutig wie eh und je. Ihr Haar, das er immer besonders mochte, war nach oben gesteckt und wurde durch einen goldenen Kranz aus geflochtenen Strähnen gehalten. Lucius hatte nur Augen für sie, doch das änderte sich, als sein Sohn ihre Hand von seinem Arm nahm und sie zurückließ, um sich ihm zu nähern.

Draco war, das musste Lucius zugeben, ein groß gewachsener, gutaussehender junger Mann geworden, der die gleiche erhabene, tonangebende Ausstrahlung wie sein alter Herr aufwies. Was Lucius störte war die Tatsache, dass Draco ihm gegenüber diese unverschämte Blasiertheit an den Tag legte.

Nach ein paar Schritten hatte Draco seinen Vater erreicht. Narzissa blieb im Hintergrund. Von seinem Sohn musste sich Lucius einmal von oben bis unten betrachten lassen. Es lag ihm schon auf der Zunge, seinen Spross zurechtzuweisen, da blitzte große Entschlossenheit in Dracos Augen auf, als der das Kinn hob und unmissverständlich die ersten Worte sagte.

„Willkommen in meinem Haus, Vater!“
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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182 Generationen




'Willkommen in meinem Haus, Vater!', echote es in der großen Halle von Malfoy Manor wider.

Wie in einem Traum gefangen beäugte Lucius stillschweigend seinen Sohn, dessen Begrüßung nicht ganz dem entsprach, wie er sie sich nach all der Zeit ausgemalt hatte. Den Satz wiederholte er ständig in Gedanken – 'Willkommen in meinem Haus, Vater!'. 'Meinem Haus!'.

Dem strengen väterlichen Blick beugte sich der junge Mann nicht, stattdessen hielt er das Haupt stolz erhoben und die Hände hinter dem Rücken verschränkt – ganz so, wie ein hochgeborener Hausherr es tun sollte, um Eindruck zu schinden. Zu lange wollte Lucius sich dem Schrecken der Unwissenheit nicht ergeben, welcher Wandel ihn hier wohl erwarten würde.

„Ist das eine angemessene Art“, die Oberlippe legte für einen Moment die Zähne frei, „mich nach all den Jahren Daheim willkommen zu heißen?“
„Ja“, erwiderte sein Spross blitzschnell, zuckte dabei nicht einmal mit der Wimper. „Es wird dir sehr bald auffallen, Vater, dass sich einige Situationen geändert haben.“
„Die du hoffentlich nicht jetzt alle aufzählen möchtest.“
Eine Augenbraue war in dem jugendlichen Gesicht arrogant nach oben gewandert. „Natürlich nicht. Du kannst dich ein wenig ausruhen, dich frischmachen. Vor dem gemeinsamen Abendessen möchte ich allerdings ein Wort mit dir wechseln. Ich erwarte dich gegen halb sieben im grünen Salon.“ Lucius bemerkte den Blick, den Draco seiner Mutter zuwarf. Wieder an ihn gewandt sagte sein Sohn: „Du möchtest sicherlich die ersten Stunden in diesem Haus mit Mutter verbringen.“

Seine Augen wanderten zu Narzissa hinüber. Ihr Anblick verschlug ihm die Sprache, so dass er lediglich nickte. Sein Sohn ließ sie allein.

Wie der Anblick eines geliebten Menschen einem mit einem Schlag die Sprache verschlagen konnte, war immer wieder ein erstaunliches Erlebnis für Lucius. Doch nicht nur seine Sprache verlor er, sondern erneut sein Herz. Leise, kaum hörbar, hauchte er das Einzige, was sein Atem hergeben konnte.

„Meine Narzissa.“

Mit ausgestreckten Armen wartete er darauf, dass seine Gattin ihn nun inniger begrüßen würde und das tat sie. Ihre zarte Gestalt in seinen Armen gab ihm ein Teil von dem zurück, was er in der letzten Zeit in Askaban, beim Dunklen Lord und später im Mungos verloren hatte. So lange hatte er sich nach ihr gesehnt, nach der weichen Haut mit ihrem sinnlichen Duft, nach den Haaren, die so golden waren, als seien sie aus den Strahlen der Sonne gewebt. Ihre Arme umschlossen ihn. Nur am Rande vernahmen beide das Geräusch des auf den Boden aufschlagenden Gehstocks, der aus Lucius Händen geglitten war, als er sie an sich drückte. Ihre Lippen auf den seinen waren das Feuer, nach dem sein Innerstes gedürstet hatte. Der erste Kuss seit fast acht Jahren, doch in seiner Wirksamkeit dem Elixier des Lebens sehr ähnlich. Lucius wurde springlebendig. Die Wärme ihrer Haut, die Lippen, der salzige Geschmack.

Lucius stutzte und beendete den Kuss langsam, um sie anzuschauen. An ihren Wangen liefen Tränen herab. Sie weinte lautlos.

„Nicht doch, meine Liebe, nicht.“ Die Suche nach einem Taschentuch blieb erfolglos, so nutzte er seine Küsse, um ihre Tränen zu trocknen.

Im ersten Stock hielt sich Draco noch immer am Pfosten des Bettes fest. Mit einer Hand rieb er seine Augen. Susan strich ihm besorgt über den Rücken, im anderen Arm hielt sie Charles.

„Draco, ist etwas Schlimmes vorgefallen? Sag schon, wie ist es gelaufen?”
Er atmete zittrig aus, bevor er sich aufs Bett setzte. „Ich weiß nicht. Nachher werde ich mit ihm reden. Ich muss mir noch ein paar Dinge überlegen, die ich geklärt haben will.” Schweiß glitzerte auf seiner Stirn.
„Möchtest du, dass ich dabei bin?”
Resignierend schüttelte er den Kopf. „Manche Dinge muss ich allein machen. Es würde einen schlechten Eindruck hinterlassen, wenn du oder Mutter dabei wärt. Ich muss gegen ihn ankommen. Wenn das erledigt ist, wird das Leben mit ihm nur halb so schwer. Ich werde ihm einen Bären aufbinden müssen.”
„Wie meinst du das?”
Trotzdem es nicht zu leugnen war, dass die Situation ihm sehr zusetzte, schnaufte er amüsiert. „Was glaubst du wohl würde er tun, wenn ich ihm erzähle, ich hätte Harry aus purer Freundschaft zum Paten gemacht? Oder die Heirat mit dir? Für ihn scheinen Gründe wie”, er blickte Susan in die Augen, „Liebe nicht zu zählen, jedenfalls nicht bei allen anderen Menschen außer ihm.”
„Ich ...” Sie blinzelte einige Male. „Draco, ich verstehe nicht.”
„Ich werde meine gesamte Situation vor ihm offen legen, aber die Gründe werde ich ein wenig abändern. Er soll ruhig wissen, dass ich durchaus noch sein Sohn bin, auch wenn er es sein wird, den ich ein wenig an der Nase herumführe und nicht die anderen, wie ich es ihm weismachen werde.”
„Wenn das mal nicht daneben geht.”
„Susan, mal eine ernst gemeinte Frage: Willst du Hausfrieden? Denn wenn ich meine Pläne nicht umsetze, wird es hier die Hölle werden.”
„Dann schmeiß ihn raus! Bei Merlin, es ist dein Haus und nicht mehr seins. Deine Mutter hat alles auf dich überschrieben.”

Nickend stimmte er ihr zu, doch sollte er ihrem Vorschlag nachkommen, würde noch etwas ganz anderes geschehen, dessen war er sich sicher.

„Ich möchte nicht, dass Mutter mit ihm geht und sie möchte uns auch nicht zurücklassen, aber ich weiß, wie sie sich entscheiden würde, sollte es so weit kommen. Wir wären dann keine Familie mehr. Wir wären zwei Familien: das Ehepaar mittleren Alters und die junge Familie mit Kind. Das ist nicht das, was ich mir wünsche, Susan.”

Eine ganze Weile saßen sie nebeneinander auf dem Bett. Der Einzige, der den Mund nicht halten konnte, war Charles, denn er hatte gerade seinen Speichel als interessantes Spielzeug entdeckt und brabbelte wild drauf los, dass die kleinen Blubberbläschen an seinem Mund nur so platzten. Schmunzelnd betrachtete Draco den fröhlichen Jungen auf Susans Arm.

„Was wird denn das?”, fragte er den Kleinen, sein Tonfall war dabei etliche Oktaven höher.
„Er sammelt Speichel”, warf Susan ein, „um auf seinen Großvater spucken zu können, sollte der ihm Wörter wie 'Schlammblut' an den Ko...” Sie atmete einmal hektisch aus und wieder ein, unterdrückte ihre Tränen, die die Wut ihn ihr aufkommen ließen. „Wenn er auch nur ein einziges Mal ...”
„Wird er nicht, Susan, ganz bestimmt nicht. Es mag nicht so gelaufen sein, wie mein Vater es sich für mich gewünscht hat, aber ich werde ihm klarmachen, dass es mich nicht besser hätte treffen können.”

Um Punkt halb sieben öffnete Lucius die Tür zum Salon. Kaum war er vorhin in seine samtene Garderobe geschlüpft, die nach all den Jahren ein wenig zu groß war, fühlte er sich wieder wie Zuhaus, als wäre er nie fort gewesen. Er würde mehr essen müssen, hatte Narzissa vorhin im Bett gesagt, dann wäre er wieder ganz der alte. Vom Gefühl her war er das längst. Er war in seiner vertrauten Umgebung, hatte seine Frau an der Seite. Über die kleinen Veränderungen im Haus konnte Lucius hinwegsehen, auch wenn das bei dem hellen Marmorboden in der Eingangshalle schwerfiel.

„Vater, setzt dich doch.” Sein Sohn bot ihm in seinem eigenen Haus einen Platz an, doch Lucius blaffte ihn nicht an, biss sich stattdessen auf die Zunge. „Ich hoffe, du wirst dich schnell einleben.”

Mit einer Bemerkung hielt sich Lucius zurück. Er wollte zunächst hören, was sein Sohn zu sagen hatte. Das letzte Mal, als sie sich gesehen hatten, war er noch in Askaban gewesen und Draco hatte ihm von Miss Bones erzählt, dachte Lucius grimmig. Damals hatte er seinem Sohn eine Ohrfeige gegeben, trotzdem er blind gewesen war. Miss Bones und das Balg müssten hier irgendwo im Haus sein.

Draco setzte seinen gefühlskältesten Gesichtsausdruck auf. „Meine Begrüßung war angemessen, Vater. Ich möchte kein Geheimnis draus machen: Das Malfoy-Anwesen und alle Verliese unserer Familie gehören mir. Als es Mutter noch nicht so gut ging, hat sie all den Besitz eigenständig an mich abgetreten.”
Jetzt hielt Lucius nichts mehr. „Beschwatzt hast du sie! Wie kannst du es wagen, deiner eigenen Mutter ...?”
„Nein, Vater”, Draco stoppte ihn mit einer Geste seiner Hand, „sie hat mich damit überrascht. Frag bei Gringotts nach. Sie war allein dort und hat alles geregelt. Ich wusste von nichts, bis sie mir die Papiere überreicht hat.”
Missgelaunt kniff Lucius die Augen zusammen. Seine Lippen verzogen sich, als hätte er in einen zu sauren Apfel gebissen. „Was willst du mir damit sagen?”
„Was denkst du?”, gab Draco frech zurück.
„Ich habe keine Lust auf deine Spielchen, mein”, er verzog das Gesicht, „'Sohn'. Willst du mich des Hauses verweisen, dann nur zu, aber ich rate dir, mach mir ja nichts vor.”
„Warum sollte ich dich hinauswerfen? Bisher hast du dir hier nichts zu Schulden kommen lassen und ich verlange”, mit einem einzigen Blick untermalte er die Ernsthaftigkeit seiner Aussage, „dass das auch so bleibt!”
„Ah, verstehe!” Lucius schnaufte wild und ging einen Schritt auf das Schränkchen mit den Spirituosen zu, um sich einen kräftigen Drink einzuschenken. „Willst deinem alten Herrn ein paar Regel auferlegen, liege ich richtig mit der Annahme?”
„Und wenn es so wäre?”, fragte Draco unschuldig.
„Ich kann mir schon gut denken, welche Richtlinien du mir ans Herz legen willst.” Das Glas Feuerwhisky war mit drei Schlucken leer. „Deine Gattin, nicht wahr? Die ehemalige Miss Bones.” Verständnislos schüttelte Lucius den Kopf und flüsterte dabei etwas, was Draco nicht verstehen konnte. Der Feuerwhisy wurde erneut ins Glas eingeschenkt. „Ich verstehe nicht, warum es dir nicht einleuchten wollte, dass eine Hochzeit mit Miss Parkinson gesellschaftlich wie auch finanziell deine Zukunft gesichert hätte. Glaube mir, Draco, wenn ich sage, dass Zweckehen einen gewissen Vorteil mit sich bringen“, sagte Lucius ausgesprochen kühl.
„Ich denke, Vater“, begann Draco in einem arroganten Tonfall, „dass ich ohne Familie Parkinson eine viel besser Chance auf all das habe, was du dir von meiner Ehe versprichst.“
„Was willst du damit sagen?“ Über den Tonfall seines Sohnes war er mehr als nur erbost.
Draco behielt seine arrogante Stimme bei und imitierte damit perfekt seinen Vater. „Mrs. Parkinson ist vermisst und deine Lieblingsschwiegertochter war ebenfalls für lange Zeit verschollen.“
„Aber das Vermögen ist noch da!“, entgegnete sein Vater trocken, als sei dies Grund genug gewesen, eine Ehe mit Pansy vorzuziehen.
„Da muss ich dich enttäuschen, Vater. Mr. Parkinson liegt seit Jahren im Mungos und ist arm wie eine Kirchenmaus“, erklärte Draco. „Die Familie, in der ich mich jetzt bewege, hat nicht nur ein unglaublich hohes Ansehen in der Gesellschaft, sondern sie ist darüber hinaus auch noch sehr reich, doch beides ist mir völlig egal, denn für die Frau, die ich geheiratet habe, empfinde ich eine so tiefe Zuneigung, dass mir all deine Lehren über die Erhaltung der Reinblütigkeit nichts mehr bedeuten. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie es sein muss, mit jemandem in den Stand der Ehe zu treten, den man nicht ausstehen kann, nur weil es dem Geldbeutel und dem Blut gut tun könnte. Du magst das Glück gehabt haben, die Frau ehelichen zu können, die du begehrt hast oder war das etwa auch eine von Großvater arrangierte Hochzeit gewesen?“

Aufgebracht stürmte Lucius auf seinen Sohn zu, doch er blieb einen Meter vor ihm stehen, obwohl er ihm für dieses dreiste Benehmen unbedingt eine Ohrfeige verpassen wollte. Es war die Furchtlosigkeit, die sein Sohn ihm entgegenbrachte, die ihn innehalten ließ. Draco war erwachsen und er zeigte keine Angst mehr vor seinem Vater, ließ sich nicht einmal mehr einschüchtern.

Natürlich hatte Draco bemerkt, dass sein Vater ihn für diese Frechheit hatte bestrafen wollen. Tatsächlich bereute er, was er gesagt hatte. „Ich weiß, dass du Mutter liebst und sie liebt dich. Es tut mir Leid, dass ich eure Verbundenheit mit der Erwähnung einer Zwangsehe in den Schmutz gezogen habe.“ Die Gesichtszüge seines Vaters zeichneten sich wieder weicher, so dass Draco noch mutig hinzufügte: „Gerade deshalb dachte ich, du würdest meine Entscheidung verstehen, Vater. Susan bedeutet mir genauso viel wie Mutter für dich.“

Ein Muskel unter Lucius' linkem Auge zuckte nervös. Mit starrem Blick musterte er seinen Sohn, um ihn zu durchschauen, doch offenbar war Draco viel zu viele Jahre mit Severus zusammengewesen. Sein Junge war für ihn kein offenes Buch mehr, sondern eines mit sieben Siegeln.

„Was hast du erwartet, Vater? Das ich mich reumütig neben dich stelle und zusehe, wie unser Haus weiterhin in den Schmutz gezogen wird? Ist es das, was du erwartet hast?”
„Du bist derjenige, der das Haus besudelt hat, Draco! Musste Harry Potter unbedingt der Pate deines Kindes werden?”
„Ich habe das Haus besudelt? Nun, ich will dieses eine Mal noch versuchen zu erklären, warum ich bestimmte Entscheidungen so getroffen habe. Das Haus Malfoy führe von jetzt an ich, wie ich es dir bereits zu verstehen gegeben habe. Du kannst dich gern in deine Vergangenheit zurückziehen, wenn es dir beliebt, aber steh' mir auf keinen Fall im Weg!” Gelassen ging Draco ein paar Schritte auf seinen schockiert dreinschauenden Vater zu, die Arme derweil herrisch vor der Brust verschränkt. „Ich bin das, was du aus mir gemacht hast, werde damit fertig. Harry Potter ist der mächtigste Zauberer unserer Zeit. Er denkt stets an andere zuerst und dann an sich selbst. Sag, Vater, gibt es eine bessere Wahl für den Paten meines Sohnes?”
„Aber unsere Familie ... Was werden die Anderen denken?” Sein Sohn war ihm mit einem Male so fremd.
„Welche anderen meinst du? Diejenigen, die in Askaban sitzen und höchstens durch ein Stückchen Tagesprophet etwas von uns erfahren, bevor sie sich damit den Allerwertesten säubern? Oder meinst du diejenigen, die denken, dass ich mich geändert habe und dass ich ein besserer Mensch geworden bin? Ein besserer, als du es jemals warst! Sie tun genau das, was ich will und sie denken das, was ich möchte. In dieser neuen Welt, mein lieber Vater, gelten deine Ideale nichts mehr, denn es gibt neue Herrscher. Ich schließe Bündnisse mit den neuen Machthabern, um selbst mächtiger zu werden. Gefällt dir der Gedanke etwa nicht? Dabei dürfte dir das doch sehr bekannt vorkommen, oder? Meine Methoden mögen andere sein als die deinen, doch das Ziel ist das Gleiche.”

Ganz wohl war Lucius bei dem, was er hören musste, nicht. War das sein Sohn? Hatte er sich wirklich gerade diese Eigenschaften von ihm angenommen? In Lucius' Kopf purzelten viele Fragen auf einmal umher, bis er glaubte, verstanden zu haben.

„Ah, dann ist diese Hochzeit mit dem Halbblut nur ein Vorwand für deine wirklichen Absichten? Du kannst dir ja nebenbei eine reinblütige Mätresse nehmen, um die Schande, die du mir zugefügt hast, etwas abzumildern.”
„Schande, Vater?” Draco war erbost. „Du sprichst von Schande? Ja, natürlich”, sein Tonfall wurde sarkastisch, „du hast Recht. Ich hätte mir auch ein Reinblut nehmen können. Ganz ohne Zweifel wäre ein Kind aus dieser Verbindung gleich mit genetischen Defekten zur Welt gekommen. Es wäre vielleicht blind, wie es ja in unserer Familie zu liegen scheint oder vielleicht sogar ein Squib, aber was macht das schon? Die Hauptsache wäre doch, dein Sohn gibt sich nicht mit einem 'dreckigen Halbblut' ab. Im Übrigen solltest du etwas vorsichtiger mit deinem Urteil über Halbblüter sein, Vater, denn immerhin war dein Dunkler Lord ebenfalls eines.”

So einen Fehler vom eigenen Sohn vorgehalten zu bekommen, brachte Lucius zum Kochen, doch Draco wollte noch ein wenig in dieser offenen Wunde stochern.

„Tom Riddle senior war ein Muggel und seine Mutter fast eine Squib. Ich weiß es und weißt du, von wem? Vom Patenonkel meines Kindes! Und nein, es sind keine Lügenmärchen. Du kannst selbst Nachforschungen anstellen, wenn du mir nicht glaubst.” Mit Beispielen zu Halbblütern hielt Draco nicht zurück und zog auch seinen eigenen Patenonkel heran. „Was ist mit Severus? Sag mir nicht, du hättest es nicht gewusst, bevor ihr ihn zu meinem Paten bestimmt habt. Der Vater ein Muggel, die Mutter eine Hexe mit dem Namen Prince.”
Um sich zu rechtfertigen, herrschte er seinen Sohn an: „Das war die Idee deiner Mutter!”
„Dann hat sie schon früher bewiesen, dass es ihr in gewissen Belangen egal ist, welcher Abstammung jemand ist, nicht wahr? Vielleicht dachte sie über Severus als Paten genauso, wie ich über Harry denke? Zum Wohle des Kindes nur das Beste!”

Das dritte Glas Feuerwhisky wollte gefüllt werden. Durch bebende Nasenflügel atmete Lucius den scharf würzigen Geruch ein, bevor er das Glas leerte und erbost auf das Tablett donnerte.

„Es mag sein”, keifte er seinen Sohn an, „dass deine Mutter bei Halbblütern auch mal ein Auge zudrücken konnte, je nachdem, wie angesehen der reinblütige Elternteil war, aber sag mir, Draco, was zum Teufel du mit Schlammblütern zu schaffen hast?”
„Wie schon erwähnt schließe ich Bündnisse, um meinen und natürlich auch den Status meiner Familie neu zu begründen und zu festigen. Dafür, dass ich erst vor einem guten halben Jahr damit angefangen habe, ist es mir doch schon ganz gut gelungen, meinst du nicht? Du hast sicher den Artikel von einer Dame namens Luna Lovegood im Tagespropheten gelesen. Auch solche Berichte tragen dazu bei, unsere Familie ins rechte Licht zu rücken. Ich werde nicht dulden, dass du dies mit deinen veralteten Ansichten zunichtemachst. Auch wenn du es vielleicht nicht gern zugeben möchtest, Vater, sind wir uns doch sehr ähnlich. Viel ähnlicher als mir vielleicht lieb ist. Ich habe das erkannt und ziehe meine Vorteile daraus, allerdings nicht ganz so eigennützig wie du.”

So oft wie an diesem Abend war Lucius schon lange nicht mehr drauf und dran, gegen jemanden die Hand zu erheben, doch er hielt sich zurück. Die Worte seines Sohnes wiederholte er in Gedanken, bis er irritiert die Augen zusammenkniff.

„Dann bist du gar nicht auf deren Seite?”
„Ich bin auf meiner Seite, Vater”, sein Mund umspielte ein freches Grinsen, „aber ich breche auch Lanzen für andere, von denen ich das Gleiche erwarten darf.”

Das sollte gereicht haben, dachte Draco, um seinem Vater etwas zum Nachdenken zu geben. Die Loyalität zur eigenen Familie, zu der auch Familie Bones gehörte, stand für ihn im Vordergrund und das würde er sich nicht einmal von Harry nehmen lassen, doch der war sein Freund, ein aufrichtiger noch dazu. Wie es wirklich um sein Herz stand, musste sein Vater nicht wissen. Sicher war er sich jedoch, dass sein Vater sich aus seinen geschäftlichen Angelegenheiten, die mittlerweile gut anliefen, heraushalten würde. Eintracht Pfützensee gehörte praktisch schon ihm allein. Alte Geschäftsfreunde seines Vaters hatten sich in den letzten Wochen an Draco gewandt, um Geld zu leihen oder Geschäfte – legale – anzubieten, bei denen einiges an Gewinn herausspringen konnte. Diesen Menschen war egal, ob sie mit Draco oder Lucius Malfoy Geschäfte machten, denn denen waren nur die Galleonen wichtig. Draco hoffte innig, dass sein Vater die Situation so interpretierte, wie er es wünschte und in Zukunft auch so handeln würde, wie er es wollte.

Als er noch vor dem gemeinsamen Abendessen zu Susan ging, sah er sie grübelnd auf dem Bett liegen. Charles war neben ihr eingeschlafen. Er legte sich neben sie, so dass sie das Kind in die Mitte nahmen. Susan legte ihm ihre Hand auf die Schulter.

„Was hast du Draco?”, fragte sie ihn.
Sein Blick wanderte vom schlafenden Sohn hinauf zu ihren Augen. „Ich fühle mich schlecht, Susan. Ich habe alles verraten, an das ich glaube. Ich habe ihm gesagt, dass alles, was ich getan habe, nur aus Berechnung geschah. Dich zu ehelichen, Harry zum Paten und Hermine zur Trauzeugin zu machen. Alles.”

Als er den Kopf wieder hängen ließ, legte seine Frau eine Hand auf die Wange.

„Also hat er es wirklich geglaubt?”, fragte sie ihn ernst. In seine Pläne hatte er sie vorhin erst eingeweiht.
„Ich kann sehr überzeugend sein”, antwortete er matt.
„Ich weiß. Es war eine gute Taktik, Draco, ganz wie wir es besprochen haben. Du hast selbst gesagt, wir hätten ansonsten keine ruhige Minute mehr. Vielleicht hast du es geschafft und er setzt für den Rest seines Lebens eine Maske auf und wird nach außen hin ein erträglicher Mensch?”
„Eine Maske?” Draco seufzte. „Es wäre viel schöner, wenn er die Familie und die Gesamtsituation so annehmen würde, weil er es möchte. Er wird schon sehen, dass das Leben schön sein kann, wenn man freundlich zu Menschen ist. Seine Vergangenheit steht ihm aber im Weg, seine Ansichten. Die werde ich ihm nicht austreiben können.”
„Hoffen wir, dass er mit oder ohne Maske der liebenswerte Opa werden wird, den wir in ihm sehen möchten. Jemand, der nicht seine Todesser-Geschichten mit seinem Enkel teilen will, sondern von den schönen Dingen erzählt, die er zweifelsohne erlebt haben muss.” Susan dachte an Narzissa und wie sie sich jetzt wohl fühlen würde, ihren Mann nach knapp acht Jahren endlich wieder umarmen zu dürfen. „Ich werde ihm auf jeden Fall eine vorbildliche Schwiegertochter sein. Was er am Ende wirklich denkt, spielt keine Rolle mehr.”
„Stellst du dir das so einfach vor?”, fragte er ernst.
„Nein.” Diesmal seufzte sie. „Ich will nur keine Zänkereien haben. Das Haus und die Geschäfte führst du. Dein Kopf muss für wichtige Entscheidungen frei sein. Da ist einfach kein Platz für Familienstreitigkeiten, die dein Urteilsvermögen trüben und dich belasten”, gab sie ihm sanft zu verstehen und strich mit dem Handrücken über seine Wange.
„Einen Trumpf habe ich noch und zwar denselben, wie schon einmal.”
„Welchen Trumpf, Draco?”
„Mutter! Ich habe keine Ahnung, was für Pläne sie geschmiedet hat, aber ich weiß, dass sie sich in Bezug auf meinen Vater ebenfalls Gedanken gemacht haben muss.”

Gedanken machte sich auch jemand ganz anderes.

Hermine war die gesamte Woche über wegen des bevorstehenden Treffens der Tränkemeister am kommenden Samstag ganz aufgeregt. Am Mittwoch sagte sie zu einem Kunden, seine „Schwachelsteinpastillen” wären fertig. Der hatte über den Silbenverdreher natürlich herzhaft gelacht und nannte Hermine humorvoll. Sie hingegen hatte durch die Rede, die sie täglich übte, den Kopf voller Worte, weswegen ihr solche Fehler unterliefen. Solange es nicht auffiel und man ihre Zerstreuung als witzige Absicht deutete, war alles gut.

Dass es sich am Samstag um den Valentinstag handelte, war ihr völlig entfallen, aber würde sie daran denken, dürfte sie sowieso mit keinerlei Aufmerksamkeit rechnen. Die Tage waren vorbei, an denen man ihr jugendlich euphorische Liebesschwüre auf kitschigen Kärtchen zusteckte. Jeden Abend vor dem Zu-Bett-Gehen las sie ihre Rede, mal laut, mal leise. Sogar Ginny musste sich einmal alles anhören, obwohl die nur etwas in der Apotheke kaufen wollte. In Gedanken formulierte sie bereits ausgeklügelte Sätze, um ihre Arbeit gegen potenzielle Gegner ihrer Theorie zu rechtfertigen. Dank Severus rechnete sie nun ganz fest damit, dass man ihren Farbtrank in der Luft zerreißen würde. Je näher der Samstag kam, desto zittriger wurden ihre Finger, mit denen sie die Pergamente hielt. Vor einer möglichen Ablehnung hatte sie große Angst.

An der Tür ihres Geschäfts hatte sie eine Information angebracht, dass die Apotheke am Samstag geschlossen wäre. Ihre Kunden brachten Verständnis dafür auf. Viele haben gefragt, warum sie schließen würde. Dass Hermine vor der Körperschaft der Tränkemeister eine Neuheit vorstellen würde, hatte Eindruck geschunden. Es war ein schönes Gefühl, dass die Menschen sie wegen ihrer Leistungen achteten, doch andere Tränkemeister waren ihr gleichgestellt und würden sich nicht so leicht beeindrucken lassen. Die würden nicht einfach staunend „Ah!” und „Oh!” rufen, sondern ihre Theorie hinterfragen und – wie Severus es nannte – sie ins Kreuzfeuer nehmen.

Eines Morgens war es plötzlich so weit. Es war Samstag. Das Geschäft war geschlossen. Sie flohte wie abgemacht gegen Mittag zu Harry und Ginny und holte sich ein paar aufmunternde Worte ab. Nebenbei bat sie Ginny darum, die Bilder vom letzten gemeinsamen Urlaub herauszusuchen, denn von denen wollte sie endlich mal Abzüge haben. Gleich darauf ging sie hinunter zu Severus, um mit ihm die letzten Details für den Abend durchzugehen.

Hogwarts wiederzusehen war sehr angenehm, obwohl sie nicht einmal lange fort gewesen war. Die Schüler, die sie auf ihrem Weg in die Kerker antraf, waren alle noch die gleichen. Es war ein beruhigendes Gefühl. Bei Severus' privaten Räumlichkeiten angekommen klopfte sie recht zaghaft, doch er hatte sie gehört, denn die Tür wurde aufgerissen.

„Ah, Miss Granger!”
Sie erstarrte, verzog dann das Gesicht und äffte ihn nach. „Miss Granger? 'Miss'?” Irritiert schüttelte sie den Kopf, musste aber grinsen. „Was ist aus 'Hermine' geworden?”
Ein verlegenes Räuspern seinerseits, dann die Antwort: „Die steht vor mir und wird gerade hineingebeten.” Mit einer Hand machte er eine einladende Geste, so dass sie eintrat. „Ich habe mir gestattet, von den Hauselfen eine Mahlzeit bringen zu lassen.”
„Ich weiß nicht, ob ich was essen sollte. Nicht dass ich noch Magenprobleme bekomme.”
„Dagegen gibt es Tränke. Essen Sie was, sonst machen Sie im Laufe des Abends noch schlapp und das wollen wir beide doch wohl nicht.”

Sie gab nach und ließ sich bewirten. Die ganze Woche über hatte sie allein essen müssen und es war langweilig gewesen. Wenn man niemanden hatte, mit dem man zusammensitzen konnte, dann sah man regelmäßige Mahlzeiten nicht so eng. Es schien nur noch halb so wichtig. Für sich allein kochte Hermine gar nicht, nicht einmal Spaghetti. Nur selten kaufte sie etwas Warmes von einem Restaurant in London. Den angebotenen Lieferservice konnte sie schwerlich nutzen.

„Wir sollten nachher pünktlich bei der Veranstaltung erscheinen, um schon im Vorfeld die Lage zu erkunden.”
'Die Lage erkunden?', dachte Hermine. „Severus, das ist keine Spionagesache, wo Sie die Leute beobachten müssen.”
„Natürlich nicht, aber es wäre interessant zu erfahren, wer sich alles dort aufhalten wird. Ich werde den einen oder anderen Gast neugierig auf Ihren Beitrag machen und”, er blickte sie an, „Sympathien für Sie wecken.”
„Das wollen Sie tun?”
„Habe ich mich so missverständlich ausgedrückt?”

Sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln, das er nicht vergessen wollte. Während des gemeinsamen Essens redeten sie über andere Belange, nicht über den heutigen Abend, denn Hermine war so schon aufgeregt genug. Ihr war aufgefallen, dass er in der einen Woche, in der sie ihn nicht gesehen hatte, sehr blass geworden war. Sie tippte auf Schlafmangel, verkniff sich aber die Frage nach seinem Wohlbefinden.

„Ich hielt es für angemessen”, Severus erhob sich und ging zu einem Schrank hinüber, „Ihnen etwas für den heutigen Abend zu geben.” Aus dem Schrank zog er einen Bügel, an dem ein schlichtes, dennoch elegantes Kleid hing.
„Oh mein Gott!” Mehr brachte sie im ersten Moment nicht heraus, als sie das dunkelblaue langärmelige Kleid betrachtete. Der hoch geschlossene Kragen erinnerte an eines der Kleider, die Minerva so gern trug. Einen Moment später fragte sie: „Was ist an meinen Sachen auszusetzen?”

Nachdem sie aufgestanden war, betrachtete er sie von oben bis unten. Ihre dunkle Stoffhose und die beigefarbene Bluse schienen ihm zu missfallen.

„Die heute Anwesenden sind im Durchschnitt höheren Alters, Hermine. Eine Hose an einer Frau ...”
Barsch unterbrach sie ihn. „Und ich soll schön kuschen und mich so anziehen, wie die es von einer Frau erwarten?”
„Nein, Sie sollen sich so kleiden, wie es sich für eine traditionelle Gala gehört”, erklärte er gelassen.
„Eine Gala?”
„Haben Sie die Einladung überhaupt gelesen? Man geht da nicht nur hin, um einen Vortrag zu halten. Anfangs gibt es ein wenig Unterhaltung, auch ein großes Buffet. Nach den Vorträgen wird noch zum Tanz gebeten, aber ich denke, den Punkt können wir getrost auslassen.”
In ihren Augen bemerkte er ein keckes Blitzen. „Tanzen? Es ist eine Art Ball?”
„In gewisser Weise ...”
„Werden Sie mit mir tanzen?”
„Nein.”
„Dann zieh ich das Kleid nicht an”, nörgelte sie bockig.
„Hermine!”, brummte er bedrohlich. „Sie werden die Einzige sein, die eine Hose trägt!”
„Ist doch egal, wenn ich ja sowieso nicht tanzen werde.”
„Wollen Sie Aufsehen erregen, weil Sie einen bahnbrechenden Trank entwickelt haben oder weil Sie mit Traditionen brechen?”
„Hören Sie auf”, sagte sie weniger ernst, „von 'brechen' zu reden. Mir ist so schon schlecht wegen heute Abend!”

Ihre Anmerkung amüsierte ihn. Dass er lächelte, war selten genug, aber eben hatte sie es geschafft.

„Bitte tragen Sie das Kleid. Es passt sich Ihrer Größe an.” Vorsichtig legte er die festliche Kleidung auf die Rückenlehne seiner Couch.
„Es passt sich an?” Sie hob eine Augenbraue und sagte mit Bestimmtheit: „Dann war es sicher teuer.”
„Werden Sie es tragen?”
„Ich muss es aber nicht sofort anziehen oder? Ich möchte es nicht zerknittern.” Obwohl sie nicht mit dem Gedanken spielte sich umzuziehen, fanden ihre Hände wie von selbst zu dem seidenen Stoff. So ein ähnliches Kleid hatte eine Frau auf der Hochzeit von Draco getragen. Es war sehr stilvoll. Hermine würde damit Geschmack beweisen. „Ich werde es tragen, auch wenn ich nicht erleben werde, wie es um meine Beine schwingt, weil ich nicht einmal tanzen werde.”
„Sie werden sicherlich von jemand aufgefordert werden.” Ihrem Blick konnte er entnehmen, dass sie von keinem anderen aufgefordert werden wollte. „Bevor wir nachher losgehen, werde ich noch ein Buch aus der Bibliothek holen. Es ist möglich, dass ich jemanden treffen werde, der Interesse an dem Basiliskengift hat. Ich rechne sogar damit. In der Zwischenzeit können Sie sich hier gern umziehen.”
„In Ordnung.”

Viel Zeit blieb den beiden nicht mehr. Während Hermine sich für die Versammlung der Körperschaft der Tränkemeister zurechtmachte und Severus das Buch über die Arbeit von Callidita aus der Bibliothek holte, wanderte Sirius gut gelaunt über einen der Höfe Hogwarts'. Bevor er Remus aufsuchte, wollte er eine kleine Runde drehen. Das Schloss weckte Erinnerungen in ihm und die waren überwiegend wunderschön.

Da stand an der steinernen Mauer auf dem überdachten Schulhofgang eine Gruppe von drei Jungen aus dem Hause Gryffindor um ein hübsches Mädchen herum, was Sirius schmunzeln ließ. Wäre er erst siebzehn, wäre er mit Sicherheit der vierte Junge gewesen, der dem Mädchen den Hof machte. Nach der nächsten Abzweigung rannte ein Schüler in Sirius hinein. Der Junge hatte den Kopf so tief in einem Buch vergraben, dass er nicht auf den Weg geachtet hatte.

„Entschuldigen Sie bitte, Sir“, sagte der dunkelhaarige und Sirius' Meinung nach nicht gerade gutaussehende Schüler.
„Kein Problem.“

Sirius ging weiter und betrat das Schloss durch die große Eingangstür. Es brannten bereits überall Fackeln. Einen Moment an Ort und Stelle verweilend blickte Sirius nach oben. Die Decke war so hoch, dass man sie nicht sehen konnte. Er setzte einen Fuß auf die erste Stufe der gewaltigen Steintreppe, die er als Schüler unzählige Male betreten hatte. Für seinen Weg zu Remus ließ er sich Zeit. Die ganzen Gemälde waren alle noch an dem Platz, an denen sie früher schon hingen. Manche erkannten ihn sogar wieder, jetzt wo er es nicht eilig hatte und sich interessiert umblickte. Da war auch die niedliche Schäferin in ihrem Rahmen, mit der er schon früher gern geflirtet hatte. Keck zwinkerte Sirius ihr zu und erfreute sich daran, wie ihre Wangen rosig wurden.

Im vierten Stock marschierte er viel zielstrebiger zu Remus' Räumen. Sein Freund war über den unangekündigten Besuch erfreut, aber auch erstaunt.

„Sirius? Was machst du denn hier?“ Remus bat ihn herein und fand sich mit einem über das ganze Gesicht strahlenden Mann konfrontiert.
„Gute Neuigkeiten!“ Seinen Worten gab er Nachdruck, indem er beide Hände auf Remus' Schultern legte. Für einen Moment glaubte Remus, er würde gleich umarmt werden.
„Was denn für gute Neuigkeiten?“, fragte er seinen Freund verdattert.
„Es gab einen Zwischenfall bei Hermine. Ein Werwolf hatte keinen Pass. Wie es aussieht, hat er Kinder gezeugt, obwohl er schon unter dem Fluch litt. Die Kinder sind okay – kein Fluch! Ich hab mich zu Vollmond selbst davon überzeugt. Das bedeutet, es wird nicht vererbt!“

Sirius beförderte Remus zur Couch, denn es schien, als würde sein alter Freund sich nicht mehr lange auf den Beinen halten können. Er selbst blieb stehen. Momentan hatte er viel zu viel Energie, die im Sitzen gar nicht die Möglichkeit hätte, sich zu entfalten.

„Hermine hat den Mann überredet, sich an unsere Initiative zu wenden; genauer gesagt an mich. Ich werde der Vermittler zwischen ihm und Kingsley sein. Weißt du, was das bedeutet?“
„Die Gesetze ...“ Remus brachte kein weiteres Wort hinaus.
„Genau! Mann kann nun getrost die Gesetze für die Werwölfe ändern. Sie dürfen heiraten und“, er machte eine unanständige Bewegung mit seinem Becken, „Kinder machen!“
„Tonks ...“
Sirius legte den Kopf schräg und grinste frech. „Dachte ich mir, dass du gleich an sie denkst. Ich kann's dir nicht verübeln. Das Heiraten kann auch warten.“

Sein Glück konnte Remus kaum fassen. Er war überwältigt. Erfreulicherweise drückte Sirius ihm ein Glas mit Weinbrand in die Hand, den er in einem Zug leerte. Erst danach hatte er wieder einen einigermaßen klaren Kopf. Er betrachtete Sirius, der sich genauso sehr über diese positive Entwicklung zu freuen schien.

„Weiß du, was das bedeutet, Sirius?“
„Natürlich weiß ich das. Das bedeutet, dass du spitz bist!“ Das freche und von früher bekannte Lausbubenlächeln war zurück im Gesicht des einst so ausgelaugten Ex-Häftlings.
„Sirius!“ Remus' vorwurfsvoller Tonfall wurde von seinem eigenen Grinsen entschärft.
„Komm schon, reit im Ministerium ein, greif dir Tonks und dann ab nachhause!“
Unmerklich wich die Freude aus Remus' Gesicht. „Tonks ist bei ihren Eltern. Sie hat eine schwere Zeit hinter sich. Ich weiß nicht, ob sie im Moment für so eine Nachricht in Stimmung wäre.“
„Oh.“ Hinter dieser so kurzen Aussage steckte jede Menge Verständnis. „Na ja, vielleicht auch besser so. Ihr müsst euch noch etwas gedulden, die Gesetze sind ja noch nicht durch.“
„Wann wird es sie geben?“
„Ich schätze, noch vor Juni. Ich weiß, das sind noch ein paar Monate, aber dann, Remus, erwarte ich von dir, dass du der erste Werwolf bist, der nach den neuen Gesetzen heiraten wird UND all seine wichtigen Körperteile bei sich behalten darf.“

Vor wenigen Minuten noch hätte Remus ihn wegen so einer Bemerkung zurechtgewiesen. Diesmal konnte er nur darüber lachen. Sein Herz war mit einem Schlag entlastet worden. Seine Zukunft sah endlich rosig aus. Mit einem Mal hatte er überhaupt eine Zukunft, die auch die vielen schönen Dinge beinhaltete, die Tonks und er sich ersehnten. Tonks. Schon nur an ihren Namen zu denken entfachte in ihm eine enorme, selige Hingabe. Sie war die wegweisende Fackel in der Lichtlosigkeit seines Fluchs.

„Kommst du noch mit zu Harry?“

Erst beim zweiten Mal hörte Remus die Frage seines Freundes und stimmte zu.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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Rest von Kapitel 182


Im Flur des vierten Stocks wurden sie von Severus überholt. Er war gerade aus der Bibliothek gekommen und schien es eilig zu haben. Er hatte ein Buch unter dem Arm geklemmt und – aus Versehen oder absichtlich – mit dem Ellenbogen Sirius angestoßen.

„Hey, pass auf!“, meckerte Sirius hinterher. Abrupt blieb Severus stehen und drehte sich um. Sein Gesicht war blass. Er sah aus, als hätte er schlecht oder gar nicht geschlafen und das schon ein paar Tage lang.
„Oder was?“ Severus' Angriffslust vertrieb sogar die Graue Dame, die gerade in den Gang schweben wollte.
„Pass nur auf, wo du hinläufst!“
„Sirius“, flüsterte Remus, „lass es gut sein.“
„Warum?“, fragte Sirius bockig zurück. „Er kann sich gefälligst entschuldigen.“
Severus plusterte sich mit Hilfe seines weiten schwarzen Umhangs wie ein Kampfhahn auf. „Ich werde nichts dergleichen tun!“ Schon drehte er sich um und verschwand.
Die Stirn runzelnd fragte Sirius: „Was ist denn mit dem los?“
„Er ist ein wenig, ähm, ungehalten, seit ...“
Die Pause war Sirius definitiv zu lang. „Seit wann?“, hakte er nach.
„Seit Hermine nicht mehr hier wohnt.“

Erschrocken dachte Remus, seinem Freund würden gleich die Augen rausfallen, so weit hatte Sirius sie aufgerissen. Dann, als der Satz gesackt war, brach er in Gelächter aus.

„Das ist nicht dein Ernst?“ Sirius konnte sich kaum beruhigen. Das Lachen blieb ihm jedoch im Hals stecken, als er Remus' herbe Miene sah. „Das ist dein Ernst? Oh mein Gott! Das ist ...“ Sirius schüttelte den Kopf und wiederholte verdattert: „Oh mein Gott!“
„Reiß dich zusammen. Ich hätte das gar nicht sagen sollen“, schalt sich Remus selbst.
„Was sagen? Dass Severus eines seiner rabenschwarzen Augen auf unsere liebe Hermine geworfen haben soll? Das ist abartig! Weiß sie Bescheid?“ Sirius schien einen Moment zu überlegen. „Wir sollten sie warnen!“
„Du wirst nichts tun!“
Remus ging bereits weiter, um Harry die gute Nachricht von der anstehenden Gesetzesänderung mitzuteilen, da rief Sirius verdattert hinterher: „Das kannst du doch nicht gutheißen?“ Er holte auf, um neben Remus zu laufen.
„Ich hätte gar nicht sagen sollen“, warf sich Remus erneut vor. Er ahnte Böses, weswegen er Sirius gegenüber sehr deutlich wurde. „Du wirst nichts tun, verstanden? Nichts! Einmal in deinem Leben solltest du dich aus den Angelegenheiten anderer raushalten!“
„Remus?“ Sirius war wie vor den Kopf geschlagen. „Remus? Was läuft da?“
„Nichts, was nicht heißt, dass du ... Vergiss es einfach, okay?“
„Du kannst das nicht wollen. Das glaub ich nicht! Dieser“, seine Hände gestikulierten wild umher, „'böse schwarze Mann' und unser liebes Minchen? Nein!“

Sirius lachte auf und zwar auf eine Art und Weise, die Remus kannte; von früher kannte, wenn sein alter Freund sich etwas Hinterhältiges ausgedacht hatte. Ihm platzte der Kragen und er drückte Sirius an die Wand. Trotzdem Remus lächelte, war die Ernsthaftigkeit der Lage nicht zu leugnen.

„Mein lieber Sirius, wenn du es wagen solltest, irgendeinen üblen Streich zu spielen, dann ...!“
„Oha, was ist hier passiert? Bist du von einem Vergissmich besucht worden? Gerade du müsstest wissen, was damals ...“
Remus schnitt ihm das Wort ab. „Ja, gerade ich! Wie Recht du doch hast! Meinst du nicht, es ist langsam mal vorbei? Werd' erwachsen, Sirius! Ich bin es auch geworden.“
„Ah, verstehe. Er ist dein Kollege und du willst keinen Ärger. Brauchst dich nicht zu sorgen. Mir kann es gleich sein. Wir sind alle erwachsen.“ Nach dieser Aussage wurde er von Remus skeptisch beäugt, weswegen er versicherte: „Ja, selbst ich! Und soll ich dir was sagen?“
„Was?“
„Wenn du und Tonks was Kleines in die Welt setzt“, seine Augen glänzten, „dann machen Anne und ich mit – versprochen! Euer Mädchen soll doch jemanden zum Spielen haben.“ Sirius schlug ihm freundschaftlich auf den Rücken und forderte damit gleichermaßen auf, den Weg fortzusetzen.
Stolpernden Schrittes fragte Remus: „Unser Mädchen?“
„Ich wette 100 Galleonen, dass ihr ein Mädchen bekommt.“
„Warum?“
„Remus“, Sirius benutzte scherzhaft seine väterliche Stimme, als wollte er einem Kind die Welt erklären, „du bist ein Frauenversteher. Da kann nur ein Mädchen bei rauskommen!“
„Ach, meinst du?“ Remus hatte arge Schwierigkeiten, ernst zu bleiben.
„Ja, meine ich und jetzt lass uns zu Harry gehen.“

Das Klopfen an der Tür beantwortete Wobbel, denn Harry und Ginny saßen gemütlich auf der Couch beieinander und schauten sich Fotos an. Fotos von Reisen in ferne Länder. Harry wollte auch gern mit Ginny und Nicholas weit weg. Dorthin, wo ihn niemand kannte. Auf einem der Fotos betrachtete er Hermine, die mit Gabrielle, Fleurs Schwester, Beauxbatons besichtigte. Die Stimme seines Paten ließ ihn aufblicken.

„Sirius, Remus“, grüßte Harry ein wenig zurückhaltend. Ginny und er hatten ein wenig unter einer Decke gekuschelt, vielleicht auch etwas mehr. Der überraschende Besuch war ihm unangenehm. Aufstehen wollte er lieber nicht.

Sirius setzte sich ungefragt neben Harry, während Remus auf dem Sessel Platz nahm und mit einem abwesend glücklichen Lächeln zu den dreien hinübersah. Aufgrund Harrys konfusen Gesichtsausdruck sah sich Sirius dazu animiert, Remus' beglückten Zustand zu erklären. Er benutzte fast die gleichen Worte wie bei Remus, als er von dem Werwolf erzählte, der den Beweis dafür erbracht hatte, dass der Fluch nicht erblich übertragbar war. Harrys Augen wurden immer größer, sein Lächeln ebenfalls.

„Das ist ja fantastisch!“ Harry blickt zu Remus hinüber und lächelte verschmitzt. „Wann ist die Hochzeit?“
„Erst einmal braucht Tonks ein wenig Ruhe. Ich werde sie wohl überreden müssen, ein paar Tage Urlaub zu nehmen und hier bei mir zu wohnen.“
Davon war Ginny besonders begeistert. „Oh, das wird lustig werden!“

Während die drei sich unterhielten, nahm Sirius den Stapel Bilder aus Harrys Hand. Die Fotos waren beweglich. Auf einem war Hermine zu sehen, die mit Madam Maxime sprach und sich dabei fast den Kopf ausrenkte, als sie nach oben schaute. Nur nebenher lauschte Sirius den Plänen, die sich Remus ausmalte, während er das nächste Bild betrachtete. Hier war ebenfalls Hermine zu sehen. Sie saß auf den Stufen eines Korbflechters und schaute todunglücklich drein. Ginny bemerkte das Foto und beugte sich zu Sirius hinüber.

„Herrje, ist das Bild immer noch dabei? Hermine wollte, dass ich es wegwerfe.“
„Aber warum denn?“, fragte Sirius.
„Weil ihr da jemand kurz vorher auf den Fuß getreten ist, deswegen guckt sie so belämmert. Das nächste Bild ist besser geworden.“

Sirius nahm das vermeintlich nicht gelungene Bild vom Stapel und hielt es zum Vergleich gegen das zweite, auf welchem Hermine lächelte und in die Kamera winkte.

„Darf ich's haben?”

Ginny war über Sirius' Frage zwar erstaunt, nickte jedoch zustimmen, bevor sie sich wieder den anderen widmete. Sirius steckte das Bild, welches weggeworfen werden sollte, unauffällig in seinen Umhang. Vielleicht hing er zu sehr an der Vergangenheit, dass er nicht mit ansehen konnte, wie das Bild einer guten Freundin im Müll landete. Vielleicht tat er es aber auch aus einem Impuls heraus. Im Moment konnte er sich sein Handeln selbst nicht erklären. Eines wusste er jedoch: Das Bild war zu schade, um es wegzuwerfen.

„Weiß man denn offiziell schon, welche Todesser festgenommen worden wurden?“, hörte Sirius Harry fragen. Offenbar hatte man das Gesprächsthema gewechselt, ohne dass er es bemerkt hatte.
„Ja, unter anderem Rodolphus Lestrange, auch Rookwood und noch unzählige neue Todesser, von denen ich kaum was gehört habe.“
„Das wird aber auch Zeit!“, warf Ginny ein. „Tonks und Kingsley sind super Auroren. Früher oder später musste es passieren, dass sie die alten Hasen endlich einsacken. Ich wette, dass Alastor nicht weit war, wenn man da schon die beiden Lestrange-Brüder vermutet hat.“

Das Gespräch wechselte einige Male das Thema und irgendwann waren sie bei Hermine gelandet. Sirius hörte aufmerksam zu.

„Ich hoffe“, begann Harry, „dass Hermine heute Erfolg haben wird. Sie war vorhin hier und wir haben ihr noch viel Glück gewünscht.“
„Warum? Wo ist sie heute?“, fragte Sirius.
Ginny übernahm es, die Geschichte zu schildern. „Sie hat doch den Trank erfunden, der Magie sichtbar macht.“ Sirius nickte, denn er erinnerte sich daran, dass Anne eines von Hermines Testobjekten gewesen war. „Heute ist ihr großer Tag! Die Vorstellung ihres Trankes vor der Körperschaft der Zaubertränkemeister. Wenn sie da Interesse weckt, dann wird man ihre Forschung sponsern.“
Erstaunt hob Sirius die Augenbrauen. „Wow, das wusste ich gar nicht.“
„Doch, doch“, versicherte Harry, „Severus hat sie dazu gebracht. Er hat es ihr sogar abgenommen, für den Trank ein Patent anzumelden.“

Hier wanderten Sirius' Augenbrauen noch ein Stückchen höher. Ein Blick hinüber zu Remus bestätigte ihm, was er sich nun selbst denken konnte. Normalerweise waren Severus die Menschen um ihn herum egal. Bei Hermine schien das anders zu sein.

„Hermine hat für heute sogar eine Rede geschrieben, die sie halten wird“, sagte Remus, doch Ginny verbesserte.
„Nein, die hat Snape geschrieben. Sie hat sie mehrmals laut gelesen. Ich musste mir ihre Rede auch einmal anhören, obwohl ich nur was bei ihr kaufen wollte. Habe zwar kaum etwas von dem Fachchinesisch verstanden, aber sie hat sich wenigstens nicht ein einziges Mal versprochen. Ich denke, sie wird heute Abend mächtig Eindruck schinden.“ Ginny ließ ihren Blick schweifen und da bemerkte sie unter einer Fototasche, die auf dem Tisch lag, einen flachen, hölzernen Kasten. Sie sog erschrocken Luft ein, weswegen sich Harry zu ihr drehte.
„Was ist?“
„Hermines Schreibfederset! Das sucht sie seit dem Umzug. Es war zwischen den vielen Fotos, die ich für sie nachmachen lassen soll. Ich hoffe, sie braucht das heute nicht.“
„Ach, wenn sie was zu Schreiben braucht, wird man ihr bestimmt eine Feder geben.“

Das Thema wanderte erneut in eine andere Richtung, doch Sirius war noch immer mit seinen Gedanken bei Severus. Er war durchaus schon so erwachsen, dass er Severus sein Glück gönnte, aber er fragte sich, ob es unbedingt mit Hermine sein musste.

Severus hingegen wünschte Hermine für heute Abend alles Glück der Welt. Auf seinem Rückweg von der Bibliothek hielt er bei dem Gedanken an die Glückwünsche plötzlich inne und machte kehrt, um seinen persönlichen Vorratsschrank zu betreten. Albernes Zauberstabgefuchtel gab es bei ihm in Zusammenhang mit Zaubertränken nicht, also stieg er auf die Leiter und holte vom vorletzten Regal ein kleines Fläschchen mit einer goldenen Flüssigkeit, das er in der Innentasche seines Umhangs verstaute. Erst dann machte er sich auf den Weg zu Hermine, die sich bereits in seinen Räumen das Kleid angezogen hatte und nur noch auf ihn wartete. Bei ihrem Anblick setzte sein Herz einen Schlag aus. Er schien ein schwer zu deutendes Gesicht zu machen, weshalb sie ihn ansprach.

„Stimmt was nicht?” Kritisch schaute sie an sich hinunter, strich mit einer Hand über den seidenen Stoff.
„Nein, alles bestens. Kommen Sie?” Er deutete auf den Kamin und ließ ihr den Vortritt.

Das Erste, was Hermine ins Auge stach, nachdem sie den Kamin wieder verlassen hatte, war der beigefarbene Boden aus Kalkstein. Das Murmeln vieler Stimmen hallte durch den hohen Raum. Sie blickte auf und sah zwischen reich verzierten Rundsäulen mit kanneliertem Schaft unzählige Menschen aus aller Herren Länder, die in Grüppchen zusammengefunden hatten und sich bereits angeregt über das bevorstehende Programm unterhielten. Viele der geladenen Zaubertränkemeister und -meisterinnen hatten offenbar die gleiche Idee und waren überpünktlich zur Versammlung erschienen.

Mit wachem Auge überflog Severus die anwesenden Gäste, während er unbewusst seine Hand an ihren Oberarm führte. Bei so vielen Menschen bekam Hermine auf einmal wieder Versagensangst. Severus hingegen blieb ruhig und führte sie in eine schattige Ecke.

„Dort”, er nickte in eine Richtung, „der Herr in dem purpurfarbenen Gewand.” Hermine kniff die Augen zusammen und tatsächlich konnte sie die gesuchte Person besser ausmachen. Es war ...
„Mr. Heed?” Der Ladeninhaber von „Phantasmplantare”.
Über ihr Erstaunen amüsiert fragte Severus: „Wussten Sie nicht, dass auch er ein Tränkemeister ist?”
„Nein.” Hermine machte es Severus gleich und beobachtete die Menschen. Bisher war ihr niemand aufgefallen, den sie kannte, bis plötzlich ein Mann in Severus' Alter mit einer Dame am Arm durch die Menge in ihr Sichtfeld trat. „Da, Severus.”
„Sie müssen schon genauer werden. Wo?”
„Auf 9 Uhr!”, machte sie deutlicher, doch Severus schien nicht zu verstehen.
„Es ist gerade mal ...”
„Nein”, sie stieß ihn spielerisch mit dem Ellenbogen an, „ich meine links. Der Mann in dem dunkelgrauen Popeline-Umhang.” Severus hatte den Mann im Visier, aber ihm fiel kein Name ein, so dass sie ihm auf die Sprünge half: „Das ist Georgi Popovich, Ihr ehemaliger Mitschüler. Er hat mich geprüft.”
„Ah”, war der einzige Kommentar. Hermine bemerkte, dass Severus sich versteifte.
„Er ist nett, wirklich. Außerdem ist er mir sympathisch, weil”, sie lächelte Severus an, „er viel von Ihnen zu halten scheint.”
Leise, als würde Severus eigentlich gar nicht sagen wollen, erklärte er: „Wir teilen das gleiche Schicksal.”
„Wie soll ich das verstehen?”

Fragend schaute sie ihn an, doch weil er mit sich zu ringen schien, blickte sie wieder in die Menge und beobachtete die Leute. Sie hatte schon nicht mehr mit einer Erklärung gerechnet, da hörte sie Severus' ruhige Stimme.

„Georgi war mit einer Schülerin namens Pamela zum Weihnachtsball verabredet. Mr. Black war so frei, ihm die Begleitung auszuspannen und meine gleich noch mit dazu.”

Als Hermine zu ihm aufblickte wirkte es so, als hätte er eben gar nicht gesprochen, denn er schaute sich aufmerksam um und schien sie nicht zu beachten. Mutig hakte sie sich bei ihm unter und führte die andere Hand an seinen Oberarm. Irritiert betrachtete er ihre Arme, die sich besitzergreifend um den seinen gelegt hatten. Er konnte sich nicht dazu überwinden, ihr in die Augen zu schauen, doch er war noch weniger gewillt, sie von sich zu stoßen, also reagierte er gar nicht und ließ ihre Annäherung im stummen Einverständnis zu.

„Das gibt es doch nicht, da ist auch Professor Puddle! Bei ihm hatte ich im Mungos Unterricht.” Sie kräuselte die Nase. „Er ist etwas seltsam.” Aus dem Staunen kam sie kaum heraus, als sie noch andere bekannte Gesichter bemerkte. „Professor Junot! Sie ist unter anderem die Leichenbeschauerin. Bei ihr hatte ich das Fach 'Inaugenscheinnahme'.”
„Was für ein Fach war das?”, wollte er wissen, doch als ihm eine Ahnung überkam, stoppte er sie. „Nein, erzählen Sie es nicht, ich kann es mir denken.”

Diesmal hatte Severus wieder jemanden entdeckt, doch anstatt den Namen zu nennen, stöhnte er nur.

„Was haben Sie?”
Er atmete einmal tief durch. „Professor Slughorn! Ich hätte wissen müssen, dass auch er hierher kommen wird. Gar nicht mal wegen der vorgestellten Neuerungen, sondern lediglich, um seine Kontakte aufzufrischen.”
„Na, dann kann er doch gleich bei mir anfangen”, sagte sie übermütig. „Sagen Sie mal, Severus: Wie viele Leute sind heute eigentlich hier?”
„Der Veranstalter rechnet mit an die 600 Personen. Früher waren es mehr, bis zu 2.500 aus aller Welt, aber nach dem Krieg ...”
„Ja, ich verstehe. Waren Sie oft bei einer dieser Versammlungen?”, fragte sie neugierig.
„Nein, es ist mein erstes Mal.”
Wie in Zeitlupe entgleisten ihr die Gesichtszüge. Dann der Vorwurf ihrerseits. „Ihr erstes Mal? Warum schleppen Sie mich dann hierher, wenn Sie gar nicht wissen, wie das hier ablaufen wird?”
„Beruhigen Sie sich. Ich habe diese Veranstaltungen immer verfolgt, Hermine. Ich erhalte regelmäßig das Fachblatt der Körperschaft. Nach diesem Treffen wird es eine Sonderausgabe geben, in der auch Sie Erwähnung finden werden.”
Mit einer Hand an ihrer Brust versuchte sie, ihre Atmung unter Kontrolle zu bekommen. „Ich bin so aufgeregt, Severus. Ich werde mich lächerlich machen.”
„Unsinn!”

Noch immer hielt sie sich an seinem Arm fest und es war nicht von der Hand zu weisen, dass sie diesen Halt dringend benötigte. Er hätte ihr gern Mut machend eine Hand auf die Schulter gelegt, aber die Position ließ das nicht zu. So tätschelte er einfach eine ihrer zitternden Hände, die auf seinem Unterarm ruhte. Ihre Atmung normalisierte sich wieder, auch wenn ihre Gesichtsfarbe von dem Stress zeugte, dem sie momentan ausgesetzt war.

„Die werden mich zerreißen”, winselte sie.
„Das ist Unfug und das wissen Sie, Hermine. Warum halten Sie von Ihrer Arbeit so wenig, obwohl sie selbst mich überzeugt hat?”
Mit großen Augen blickte sie zu ihm auf. „Das haben Sie nie so gesagt.”
„Ich dachte, es wäre ersichtlich. Nun denn, wir sind hier und ich werde es allein Ihnen überlassen, ob Sie die Rede halten oder nicht. Ich würde es allerdings begrüßen, wenn der Abend so ablaufen würde, wie wir es geplant haben.”

„Professor Snape!”, hörten beide die Stimme eines älteren Mannes sagen. Hermine und Severus blickten auf einen kleinen Herrn in einem edlen Kimono. Die Enden seines weißen Oberlippenbarts kreuzten sich unterm Kinn, der Kopf hingegen war kahl. Der Mann musste über neunzig Jahre alt sein. Seine Begleitung, eine ältere Dame in einem aufwändigen Gewand, das an eine Jūnihitoe aus dem japanischen Kaiserhaus erinnerte, folgte ihm mit kleinen Schritten. „Professor Snape”, wiederholte der kleine Mann, der Hermine gerade mal bis zur Brust reichte und seine geringe Körpergröße auch als Ausrede zu nehmen schien, ihr auf dieselbe zu starren.
Severus streckte seine Hand aus. „Professor Takeda.” Er schüttelte die Hand des japanischen Tränkemeisters und stellte gleich darauf vor: „Hermine, darf ich vorstellen: Professor Kôji Takeda. Professor, das ist Miss Hermine Granger.”
„Ah ja, die junge Dame, die Sie mir empfohlen haben.” Der alte Mann gab ihr einen Kuss auf den Handrücken. Sein Bart kitzelte sie. Nach der Begrüßung schlang sie ihren Arm sofort wieder um Severus' Unterarm, was Takeda nicht entgangen war. „Nun verstehe ich gut, warum kein Ausbildungsvertrag zischen uns zustande kam.”

Severus folgte seinem Blick und wollte sich rechtfertigen, da ergriff Professor Takeda erneut das Wort und stellte die Dame an seiner Seite als seine Haushälterin vor. 'Wer's glaubt?', dachte Hermine.

Das schattige Plätzchen war nicht länger ein sicheres Versteck vor aufdringlichen Blicken. Hermine und Severus ließen sich von Takeda einigen Tränkemeistern vorstellen. Es dauerte gar nicht lange, da hatte Slughorn sie entdeckt. Der kräftig gebaute Mann begrüßte die beiden lautstark, so dass auch andere mitbekamen, um wen es sich bei der hübschen jungen Frau und dem dunkel gekleideten Mann handelte.

„Severus”, grüßte Slughorn sehr vertraut. Das Privileg, Kollegen in Hogwarts beim Vornamen nennen zu dürfen, hatte Slughorn auf ehemalige Kollegen ausgeweitet. „Wie geht es? Ich habe gehört, dass du das Problem im Mungos lösen konntest. Sag, woher hast du Basiliskengift?” Slughorn schlug ihm etwas zu heftig auf das Schulterblatt, bevor er lachte. „Hast du dich endlich zu einem Haustier durchgerungen?” Die umstehenden Menschen lachten über den mittelmäßigen Scherz. Durch das Thema aufmerksam geworden gesellten sich zwei Herren aus dem Mungos zu Severus, Hermine und Slughorn. Einer von ihnen hielt Severus die Hand entgegen.

„Mein Name ist Puddle. Es ist möglich, dass wir uns im Fall Parkinson kurz im Krankenhaus über den Weg gelaufen sind.”

Die entgegengehaltene Hand schüttelte Severus nur kurz, denn er erinnerte sich noch gut daran, wie man Hermine und ihn ignoriert hatte, obwohl sie den metallenen Splitter aus Pansys Schulter entfernt und die Wirkung von „Schlafes Bruder” somit aufgehoben hatten.

An Hermine gewandt erkannte Puddle ganz richtig: „Miss Granger! Wie geht es Ihnen?”
„Danke der Nachfrage, es könnte nicht besser gehen.”
„Wo arbeiten Sie jetzt? Ich habe damit gerechnet, dass Sie im Mungos vorstellig werden.”
Severus konnte Puddles schleimige Art nicht ausstehen und hielt dem Professor daher vor Augen: „Miss Granger war offenbar zu gut für ihr Haus. Sie wurde abgelehnt.”
Mit erstauntem Gesichtsausdruck fragte der Heiler nach: „Ist das wahr, Miss Granger? Das tut mir Leid! Wenn Sie möchten, könnte ich mit dem Personalbeauftragten ein Wörtchen ...”
„Nicht nötig”, unterbrach Severus, „Miss Granger steht auf eigenen Beinen.”

Mit einer Hand zog Severus etwas aus der Innentasche seines Umhangs und hielt es Puddle entgegen. Es war ein Werbe-Prospekt von der Granger-Apotheke, das Puddle neugierig annahm. Andere waren ebenfalls darauf aufmerksam geworden und fragten unverblümt, ob Severus noch eins hätte.

Nachdem einige versorgt waren, sagte Hermine Respekt zollend: „Dass Sie daran gedacht haben!”
„Sie waren so sehr von Zweifeln geplagt, dass Sie nicht auch nur einen Gedanken daran verschwendet haben, was für eine perfekte Werbeplattform diese Veranstaltung sein könnte.”
„Dafür habe ich ja Sie!” Sie schenkte ihm ein breites Lächeln und umgriff erneut seinen Arm, um ihn zu sich zu ziehen. „Danke, Severus.”
„Professor Snape!” Wieder eine Stimme von jemand, der den Zaubertränkelehrer Hogwarts' kannte.
„Mr. Worple, das ist eine Überraschung. Mit Ihnen habe ich nicht gerechnet.” Diesen Mann begrüßte Severus gern. Er war genau genommen ein Geschäftspartner, mit dessen Hilfe er in Zukunft ein eigenes Projekt vor der Körperschaft vorstellen könnte.
„Oh, ich bin nicht regelmäßig hier, aber dann und wann ...” Der freundliche Autor blickte sich mit einem breiten Lächeln um. Die Versammlung schien ihm sehr zu gefallen. „Ich habe nicht allzu viel mit Zaubertränken am Hut, habe damals aber meinen Meister gemacht, um ein besseres Verständnis für Ihre Arbeit aufbringen zu können. Sie verstehen schon ...” Der Bluttrank wurde angesprochen. „Ich darf Ihnen, Professor Snape, an dieser Stelle versichern, dass alles bestens läuft, ganz hervorragend sogar. Mr. Sanguini lässt Sie grüßen.”
„Gut zu hören.” Severus nickte Worple zu, der sich daraufhin Hermine zuwandte.
„Und Sie, Miss Granger, sind das erste Mal hier? Wann ist Ihre Ausbildung bei Professor Snape beendet?”
„Die ist schon beendet.”
Worple machte ganz große Augen. „Das ging aber fix. Sie sind offensichtlich eine mehr als nur gute Schülerin gewesen.”
„Ja”, stimmte Severus zu, „davon können Sie ausgehen. Miss Granger wird hier auch etwas vorstellen.”
„Tatsächlich?” Der rundliche Vampir-Experte fummelte das Programmheft aus seiner Jackentasche und schlug es auf. „Wann?”
„Um halb elf”, antwortete Severus wie aus der Pistole geschossen. Er wusste genau, wann Hermines Auftritt war.
„Halb elf, sagen Sie.” Mit einem Finger fuhr er über die Spalten mit den verschiedenen Vorträgen. „Ein Farbtrank, der Magie sichtbar macht? Das hört sich interessant an! Dann werde ich doch länger bleiben, als ich es vorgesehen hatte.”
„Miss Granger hat sich übrigens mit einer Apotheke selbstständig gemacht.” Mit Sicherheit nicht zum letzten Mal an diesem Abend zückte Severus ein Prospekt aus seiner Innentasche und reichte es Worple. „Falls Sie Wert auf Qualität legen oder eine spezielle Mixtur benötigen ...”
„Oh, vielen Dank!”

Worple wurde von einem anderen Gast gerufen, so dass er sich bei den beiden vorerst verabschiedete, Hermine aber noch alles Gute wünschte, bevor er die beiden verließ. Es dauerte nicht lange, da hatte sich Slughorn erneut zu ihnen gesellt. Er zog eine Traube geltungssüchtiger Bewunderer hinter sich her.

Ohne Vorwarnung umarmte er Hermine einmal und sagte dann voller Stolz zu der Gruppe von Fans: „Miss Granger verkehrte während ihrer Schulzeit auch in meinem Kreis.” Slughorn vermied das Wort „Slug-Club”, vielleicht weil es vor den ganzen Erwachsenen albern schien. „Sie war schon mit sechzehn ein sehr kluger Kopf, hat immer alles korrekt angepackt.” Er wandte sich an Hermine. „Ich hörte, Sie stellen hier eine Neuheit vor?”
„Ja, ich habe einen Trank entwickelt, der ...”
„Fantastisch, fantastisch!”, unterbrach er euphorisch, um sein Desinteresse zu überspielen. „Ich bin schon gespannt.” Slughorns Blick schweifte über die Menge und erspähte jemanden. „Oh, wenn das nicht ein guter, alter Freund ist. Ich darf mich verabschieden, möchte Ihnen aber für Ihre Rede alles Gute wünschen. Meinen Zuspruch haben Sie, Miss Granger!”

Slughorn stolzierte hinüber zu einer Person, die man aufgrund der vielen Menschen, die er wie ein Magnet hinter sich herzog, nicht erkennen konnte.

„Das war ja leicht.” Hermine war jetzt, wo Slughorn vor so vielen Menschen seine wohl gesinnte Begeisterung für ihre Arbeit kundgetan hatte, entspannt. Das war es, was Severus vorhin mit „Sympathien wecken” meinte. Wenn jemand einen bereits persönlich kannte, dann war die objektive Meinung über eine Sache längst Vergangenheit.
„Hermine, Severus!” Von hinten hörten sie die ihnen bekannte Frauenstimme.
„Poppy?”

Es war ein ungewohnter Anblick, die Heilerin des Krankenflügels in Hogwarts mal ganz ohne ihre Berufstracht zu erleben. Sie trug ein schickes Kleid, welches wesentlich teurer als das von Hermine zu sein schien. Ihre Haare waren nicht streng zu einem Knoten gesteckt, sondern zu einer üppigen Hochsteckfrisur gezaubert.

„Sie beide”, sagte sie fröhlich, „habe ich schon erwartet. Albus hat neulich verlauten lassen, dass Sie, Hermine, heute etwas vorstellen würden?” Hermine nickte. „Wunderbar! Ich bin gespannt darauf, was etwas frisches Blut in diesem alten Haufen von Tränkemeistern ...” Sie korrigierte schnell: „Lehrer von Hogwarts ausgeschlossen. Nein wirklich, ich bin sehr neugierig, was Sie für Gedanken und Ideen vorstellen werden.” Poppy blickte sich in dem großen Saal um. „Oh, Miss Junot. Eine alte Bekannte. Ich habe sie ewig nicht gesehen. Wenn Sie mich entschuldigen würden?”

Schon war Poppy verschwunden.

„Wie Sie bemerken, Hermine, wird diese Versammlung nicht nur dazu genutzt, neue Theorien an den Mann zu bringen, sondern in erster Linie, um alte Kontakte aufzufrischen oder neue zu knüpfen.”

Das war es auch, was Hermine mit Severus' Hilfe den ganzen Abend über machte: Kontakte knüpfen. Es gab kaum jemanden, der ihr unsympathisch war und sie hoffte innig, dass die anderen Menschen sie ebenfalls mochten. Es gab allerdings einen Herrn, der nicht sehr davon angetan war, Severus auf dieser Veranstaltung zu sehen. Was ein Todesser hier zu suchen hätte, hatten sie ihn erbost fragen hören. Die zwei anderen Herren, allesamt an die hundert Jahre alt, stimmten ihrem Freund loyal zu und ließen weitere, abfällige Bemerkungen über den schwarz gekleideten Tränkemeister fallen, der sehr wohl jedes einzelne Wort verstand. Hermine äußerte sich nicht zu den hörbaren Verleumdungen, sondern hakte sich bei Severus unter, um dieses Mal ihm Halt zu geben.

Irgendwann hatte Severus keine Prospekte mehr in der Tasche, was ein gutes Zeichen war. Er hatte sie nur denen gegeben, die wirkliches Interesse gezeigt hatten.

Die Vorträge begannen sehr spät, was daran lag, dass es nicht sehr viele Tränkemeister gab, die eine nie dagewesene Theorie, einen neuen Trank oder etwas anderes Bahnbrechendes vorstellten. Hermine und Severus saßen vorn, ganz an der Seite der Stuhlreihen und hörten sich die Thesen der anderen an. Keiner von ihnen hatte eine Rede vorbereitet, die so gut ausgearbeitet war wie die von Severus. Das Interesse der anwesenden Gäste konzentrierte sich eher auf das Buffet, so dass die meisten Plätze im Vortragsraum leer blieben.

„So viel Wind”, flüsterte Hermine, „für so wenig Zuhörer. Wir haben uns viel zu viel Mühe gegeben.” Sie schaute sich um. Von den knapp 600 Besuchern saßen zwischen dreißig und sechzig Meistern im Raum – je nachdem, wie sehr der Hunger oder die Langeweile sie zur angerichteten Verköstigung trieb.
„Sie sind nach dem Herrn dran. Wir sollten hinter die Bühne gehen.”

Severus stand auf und hielt ihr die Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen. Sie ergriff die Hand und ließ nicht mehr los, während er sie hinter sich herziehend durch eine Nebentür hinter die Bühne brachte. Dort wartete bereits ein Herr, der den Veranstaltungsplan zu koordinieren schien.

„Miss Granger?”, fragte der Mann. Sie nickte und bekam daraufhin die Anweisung: „Auf mein Zeichen gehen Sie raus, aber es dauert noch ein paar Minuten.”

Auch hinter der Bühne gab es einige Leckereien, von denen Hermine die Finger ließ. Für ihre Rede waren zwanzig Minuten eingeplant, was in ihren Augen viel zu viel war. Sie hatte immer zehn Minuten am Stück geredet, wenn sie geübt hatte und das war schon lang. Severus schenkte sich ein Glas aus einer Flasche Feuerwhisky ein. Die goldene Farbe deutete auf einen edlen und auch teuren Tropfen hin, den er genüsslich zu sich nahm. Hermine hatte auf einen Drink keine Lust. Sie war voll und ganz mit dem Mann beschäftigt, der auf der Bühne stand und gegen die Müdigkeit der Zuhörer anzukämpfen versuchte. Der Veranstaltungshelfer warf Hermine einen Blick zu und bedeutete ihr, dass sie jeden Moment dran sein würde.

„Hermine?”
„Nicht jetzt, Severus. Ich bin gleich dran!” Ihre Aufregung hatte ihren Tonfall harsch gemacht.
„Hermine”, kam es viel sanfter von ihm. „Nehmen Sie einen Schluck.”
Erst jetzt drehte sie sich um. Severus hielt ihr ein Glas mit einem winzigen Schluck goldfarbener Flüssigkeit entgegen. „Einen Schluck. Es wird Sie beruhigen.”
„Miss Granger, noch 30 Sekunden”, sagte der Koordinator, der eine magische Sanduhr im Auge behielt.
„Hermine, trinken Sie.”

Sie atmete einmal tief durch, nahm das Glas und trank den Schluck auf ex. Während sie ihm das Glas zurückgab, dafür die Pergamente mit ihrer Rede von ihm in die Hand gedrückt bekam, funkte ihre Zunge bestimmte Erkennungsmerkmale des Geschmacks an ihr Großhirn.

„Miss Granger, auf die Bühne, wenn ich bitten darf.”
Den Koordinator überhörend fragte Hermine echauffiert: „Was haben Sie mir da gegeben, Severus?”

Severus schob sie von sich weg, gab ihr einen leichten Stoß in Richtung Koordinator, der sie am Oberarm packte und bis zum Vorhang führte, den sie nun allein passieren musste.

Der Geschmack auf ihrer Zunge war eindeutig. Es schmeckte nach Glück.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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183 Die Feuerprobe




Mit dem Geschmack von Glück auf der Zunge steuerte Hermine sicheren Schrittes auf das Podium zu, das sie starr mit ihrem Blick fixiert hatte. Bei so wenigen Zuhörern, dachte sie, wäre es egal, ob sie sich verhaspeln würde. Wegen des Felix Felicis‘ würde sie mit Severus noch ein ernstes Wörtchen reden müssen. Dies hier war zwar kein Wettbewerb oder Leistungstest, bei dem ein Glückstrank verboten war, dennoch fühlte sie sich hintergangen. Sollte sie Erfolg haben, würde sie sich bis zum Rest ihres Lebens fragen, ob sie selbst es geschafft hatte oder nur der Trank dafür verantwortlich zu machen war.

Am Podium angekommen legte sie ihre Pergamente darauf ab und blickte das erste Mal nach vorn. Das Herz rutschte ihr in die Hose. Der Saal war voll. Unzählige Augenpaare ruhten auf ihr und erwarteten etwas Bahnbrechendes.

Wie sie es mehrmals geübt hatte, begrüßte sie die Zuhörer und blickte sie dabei an. Viele Köpfe nickten ihr grüßend zu. Eine Reaktion, die sie bei ihren Probelesungen natürlich niemals erhalten hatte. Severus mag selbst niemals einen Vortrag in dieser Art gehalten haben, aber er hatte Reden für seine Klassen vorbereitet, wusste daher genau, an welcher Stelle man die Stimmlage senken musste, wann man Pausen einzulegen hatte und an welcher Stelle man dem einen oder anderen Zuhörer in die Augen blickten sollte. Zumindest hatte das bei Erstklässlern immer wahnsinnig Eindruck geschunden.

Hermine verhaspelte sich kein einziges Mal, als sie von ihrem Trank sprach und den Experimenten. Die Zaubertränkemeister hingen ihr an den Lippen.

„Die Tests brachten aber auch noch ganz andere Ergebnisse hervor, nämlich dass die Magie nicht konstant um den eigenen Körper fließt, sondern auch eine Reaktion auf die Magie der Mitmenschen zeigt. Bei zwei Testpersonen, die den Trank intus hatten”, sie dachte an Harry und Draco, „wurde deutlich, dass die Magie die Umgebung abtastet, sich regelrecht dem anderen entgegenstreckt.” Sie kam Severus' Ratschlag nach, mehr Körpersprache einzusetzen und streckte die Hand, als wäre sie ein Teil ihrer Magie, die sich vom eigenen Körper abstieß, um die Gegend zu erkunden.

Ein erstauntes Raunen ging durch die Menge.

Nach ihrer geplanten Sprechpause fuhr sie fort und gab ihre Theorie preis, dass als Squib geborene Menschen vielleicht Magie innehaben könnten, sie jedoch aufgrund von Störungen des Magieflusses eventuell nicht in der Lage wären, sie zu nutzen. Hier horchten besonders die anwesenden Heiler auf. Professor Puddle verzog skeptisch das Gesicht, während man aus dem von Professor Junot und Poppy Begeisterung ablesen konnte.

Nun kam taktisch klug die Schilderung zu dem Experiment mit Anne, die einen Übergang zu der These darstellen sollte, dass manche Muggel ebenfalls Magie aufweisen würden. Aufgeregt war Hermine nicht. Noch immer war das Glück auf ihrer Seite, beziehungsweise in ihrem Magen und Severus stand hinter der Bühne und drückte ihr die Daumen, was genauso beruhigend war wie ein Felix Felicis. Sie spürte seine Augen auf sich. Es war ein angenehm warmes Gefühl, das sich in ihr ausbreitete.

„Bei einem Muggel, dem man eine Erinnerung gelöscht hatte, waren nach Einnahme des Trankes noch immer Spuren von Magie zu finden und zwar in Form einer farbigen, trägen Masse am Kopf – an der Stelle, an der der Vergissmichzauber eingesetzt worden war.”

Hermine blickte auf und kam aus dem Konzept, weil einige Zuhörer ihre Hand hoben und offensichtlich Fragen stellen wollten. Sie war sich nicht sicher, ob sie eine Pause einlegen sollte, um die Zwischenfragen zu beantworten. Lieber wollte sie darauf hinweisen, dass sie sich am Ende ihres Vortrags all den Fragen stellen würde. Die Entscheidung nahm ihr der Koordinator ab, der hinter der Bühne den Ablauf beobachtete und sehr wahrscheinlich von Severus dazu genötigt worden war einzuschreiten, der er kam hinter dem Vorhang hervor.

„Meine Damen und Herren”, sagte der Mann, „wenn Sie Ihre Fragen bitte behalten würden? Der Vortrag von Miss Granger nähert sich dem Ende. Danach steht sie Ihnen zur Verfügung.”

Ohne zu Murren verschwanden die erhobenen Hände. Die Gäste hörten weiterhin aufmerksam zu.

Bis jetzt, dachte Hermine, war alles bestens gelaufen. Sie hatte mit ihrem Vortragsthema einen vollen Saal, die Menschen waren ruhig und aufmerksam und sie hatte sich nicht einen einzigen Patzer erlaubt.

Der fließende Übergang war allerdings durch die Unterbrechung gestört. Es wäre perfekt gewesen, von Anne, einem Muggel, bei dem Magie nachweisbar gewesen war, auf ihre Eltern zu kommen, die als Muggel von Natur aus ebenfalls nicht frei von Magie waren. Die sanfte Kurve bekam Hermine nicht mehr hin und so wirkte es, als würde ihr letzter Punkt für sich allein stehen.

„Die Frage ist doch”, begann sie mit sicherer Stimme, „ob man die Vererbungslehre nicht auch auf die Magische Welt übertragen kann? Warum gibt es muggelgeborene Zauberer und Hexen? Woher kommt diese Magie?”

Sofort schossen Hände in die Luft, dabei wollte Hermine keine Fragen stellen, auf die sie Antworten erwartete. Die Hände verschwanden von allein wieder, als sich die Damen und Herren an das bevorstehende Ende des Vortrags zu erinnern schienen.

„Bei dem Experiment mit den Eltern eines Muggelgeborenen war offenkundig, dass beide Elternteile Magie in nicht gerade kleinen Mengen aufwiesen und ...”
„Das ist ja wohl die Höhe!” Es war jener ältere Mann gewesen, der sich schon im Laufe des Abends über Severus mokiert hatte. „Was für einen Stumpfsinn wollen Sie uns hier weismachen?”

Diese Unterbrechung nutzten die anderen, um über das Gehörte zu tuscheln oder dem weißhaarigen Herrn sogar zuzustimmen, doch das waren zum Glück nicht viele.

„Wenn Sie mir noch bis zum Schluss zuhören möchten, Mr. ...?”
„Sie wollen hier die Muggel”, der Alte schnaufte, „mit uns auf eine Stufe stellen? Das ist unerhört!” Der Zauberer stand auf, um besser gegen Hermine wettern zu können. „Bei dem Lehrer, den Sie hatten, Miss Granger, konnte ja nichts Besseres bei rauskommen.”
Einer der Freunde des alten Mannes stimmte zu. „Sie können die Muggel nicht mit so einem albernen Trank von heute auf morgen als gleichberechtigt dastehen lassen! Besonders nicht, wenn man bedenkt, welcher Gesinnung Ihr Meister ist.”
Hermine blieb trotz der Anfeindungen ruhig, doch immer, wenn sie etwas sagen wollte, schnitt ihr jemand anderes das Wort ab, in diesem Fall aber zu ihren Gunsten, denn Popovich giftete den älteren Herren an: „Ihre persönlichen Differenzen können Sie gefälligst Zuhause lassen, Ansus!”
„Ansus?”, fragte Hermine vom Podium herab, denn den Namen des alten Zauberers kannte sie bis jetzt nicht. „Mr. Ansus, wenn Sie so freundlich wären, Ruhe zu bewahren, damit ich den letzten Absatz ...”
„Dass man Sie überhaupt hierher eingeladen hat, ist mir unbegreiflich”, keifte Mr. Ansus. „Sie sind ja noch völlig grün hinter den Ohren.”
Poppy konnte sich einen Kommentar nicht verkneifen, denn sie sagte mit lauter Stimme, weswegen die Köpfe der Anwesenden sich zu ihr drehten: „Im Vergleich zu Ihrem hohen Alter, Kollege, sind wohl alle Anwesenden noch grün hinter den Ohren.”

Ein verhaltenes Kichern ging durch die Reihen, was Ansus nur noch mehr aufregte. Mit feurigen Augen blickte er die anderen Tränkemeister an.

„Die meisten aus diesem Land habe ich unterrichtet. ICH! Wie viele von Ihnen waren meine Schüler? Und jetzt kommt ein”, seine Hand winkte lax in Hermines Richtung, „Kind dahergelaufen und verbreitet Haarsträubendes, von dem Sie ganz Feuer und Flamme sind. Haben Sie Ihren Verstand eingebüßt oder kennen Sie die ganzen Hintergründe tatsächlich nicht?”
Eine mollige Frau Anfang vierzig erhob sich von ihrem Stuhl und fragte Ansus: „Was für Verschwörungstheorien brüten Sie jetzt schon wieder aus? Der Krieg ist vorbei! Niemand hier will Böses, also seien Sie bitte still!”
„Niemand will Böses? Das sehe ich anders, denn wenn das, was Miss Granger hier unüberlegt verbreitet, an die Öffentlichkeit gelangt, wird es sich nicht mehr nur um eine Revolution im Bereich der Tränkekunde handeln, das meine ich damit!”

Ansus hatte sich in Rage geredet, aber fertig war er noch lange nicht.

„Sind Sie denn alle blind?” Er wartete einen Moment, bevor er sich erklärte. „Miss Granger hier”, er deutete abermals auf die Bühne, „ist keine Avantgarde für ein epochales Novum! Sie will hier Politik machen und dagegen sollten wir uns auflehnen!” Völlig aufgebracht blickte er zu Hermine nach oben. „Vielleicht steht sie sogar unter dem Einfluss des Mannes, der sie ausgebildet hat?”
„Ich kann Ihnen versichern, Mr. Ansus, dass Ihre Beschuldigungen völlig unbegründet sind”, konnte Hermine endlich in einem vollständigen Satz herausbringen, ohne unterbrochen zu werden.
„Tatsächlich? Was für einen Grund gibt es dann, dass Ihre Ideologie eher einer Idiotie gleicht?”

Aufgrund von Ansus' Worten lachte aus ganzem Herzen eine kleine Gruppe von Tränkemeistern auf, die man als seine Anhänger betiteln konnte. Hermine hielt nichts mehr.

„Sie haben gut lachen, meine Herren”, sagte sie laut und deutlich, „Sie haben ja auch nur einen Idioten vor sich!”

Das Lachen verstummte auf der Stelle. Den Männern, allen voran dem alten Mr. Ansus, entgleisten die Gesichtszüge, während nun das spottende Gelächter der anderen Gäste zu hören war. Hermine hörte seitlich hinter sich ebenfalls jemanden lachen, wenn auch unterdrückt, aber das kehlige Geräusch kannte sie von Severus.

„Vielleicht”, hörte man Professor Takedas Stimme sagen, „möchte Mr. Ansus lieber am Buffet warten, damit die noch aktiv arbeitenden Mitglieder der Körperschaft den Vortrag zu Ende verfolgen können?” Ein verbaler Schlag ins Gesicht, den der Angesprochene nicht auf sich sitzen lassen wollte.
Ansus war noch immer wütend und schimpfte, während er sich durch die Stuhlreihe zum mittleren Gang vorkämpfte: „Und das muss ich mir von einem Mann anhören, der Jahr ein, Jahr aus seine Kenntnisse und Fähigkeiten damit vergeudet, die magischen Eigenschaften von Baumrinde zu untersuchen! Suchen Sie sich was Anständiges, Takeda und Sie”, Ansus wandte sich nochmals an Hermine, „gefälligst auch!”
„Ansus, bitte ...”, versuchte Slughorn den aufgebrachten alten Mann zu beschwichtigen.
„Horace, wie konnten Sie nur so eine abwegig denkende Frau unter Ihre Fittiche nehmen? Ich dachte, Sie würden nur die Besten zu Ihrem Kreis an Vertrauten zählen? Ich lege Ihnen nahe, in Zukunft ein Auswahlverfahren anzuwenden, damit nicht jeder dahergelaufene Muggelstämmige Ihrem albernen Club betreten kann.”
Slughorn war gekränkt, was nur diejenigen sehen konnten, die ihn lange und gut kannten, doch er überspielte seine Gefühle und lachte auf. „Keine Sorge, Ansus, ich gehe nach einem Auswahlverfahren vor. Sie würden beispielsweise nie Mitglied werden.”

Zwölf ältere Männer folgten dem wütend schnaufenden Ansus nach draußen. Die einstige Elite der Zaubertränkemeister kam mit ihren altmodischen Ansichten nicht gegen die jüngeren Generationen an. So wie jeder andere Gast verfolgte auch Hermine die älteren Herren mit den Augen, bis ihr jemand auffiel, an dem Ansus gerade vorbeischritt. Albus Dumbledore. Er schaute nicht zu den Männern, die den Saal verließen, sondern zur ihr hinauf und machte ihr mit seinen fröhlich aufblitzenden Augen Mut. Hermine lächelte. Alles war gut gelaufen und den letzten Abschnitt über das Experiment mit ihren Eltern, die beide eine kaum bewegliche, aber dennoch aufeinander reagierende Magie aufgewiesen hatten, brachte sie mit Leichtigkeit zu Ende.

Danach schossen die Hände in die Luft. Hermine nahm denjenigen heran, dem schon vorhin als Erster eine Frage auf dem Herzen brannte. Der Mann, etwa sechzig Jahre alt, erhob sich.

„Abraham Panagiotis”, stellte sich der Herr knapp vor. „Sie erwähnten vorhin, dass magische Überbleibsel bei einem Muggel zu finden waren, der einem Vergissmich ausgesetzt war.” Hermine nickte, so dass Panagiotis fortfuhr: „Haben Sie in dieser Richtung noch weitere Resultate erzielen können? Denn wenn das wahr ist, könnte das bedeuten, dass jeder Zauberspruch, der bei einem Muggel angewandt wird, nachweisbare Rückstände hinterlässt. Das ist ein Thema, das mich sehr interessiert.”
„Viele Resultate habe ich noch nicht vorzuweisen, Mr. Panagiotis. Eines ist jedoch sicher, nämlich dass die Magiefarbe von der Testperson auffrischte, nachdem ich einen einfachen Zauber an ihr angewandt hatte.”
„Was für einen?”
Hermine lächelte. „Es war lediglich ein Zauber zum Färben der Haare.” Einige Gäste waren darüber amüsiert. „Nichtsdestotrotz hat dieser einfache Zauber einen minimalen Rest an sichtbarer Magie zurückgelassen.”

Panagiotis nickte und setzte sich wieder. Ihre Antwort schien nur noch mehr sein Interesse geweckt zu haben. Eine weitere Hand, die zu der molligen Frau gehörte, begann mit den Fingern zu schnipsen. Hermine nickte der Frau zu, die sich daraufhin erhob.

„Adina von Gorsemoor”, stellte sich die Dame vor, bevor sie anfügte, „Leiterin des Gunhilda von Gorsemoor-Sanatoriums.” Deshalb kam ihr der Nachname so bekannt vor, dachte Hermine. Die Statue ihrer Vorfahrin Gunhilda von Gorsemoor stand in Hogwarts und verdeckte den Geheimgang zum Honigtopf. Die an den richtigen Stellen gepolsterte Leiterin einer der bekanntesten Heilstätten der Zaubererwelt war knapp über vierzig Jahre alt, gehörte demnach zu den jüngsten Mitgliedern der Körperschaft. „Sie sprachen davon, dass Squibs eventuell nur einen gestörten Magiefluss haben könnten. Konnten Sie den Trank an Squibs testen?”
„Bisher hatte ich nur unbefriedigende Ergebnisse mangels Testpersonen. Es ist wirklich nur eine Theorie, aber die stützt sich auf die Resultate, die ich bei Muggeln sammeln konnte. Meine ...” Sie hielt inne und fragte sich, ob sie ihre Testpersonen offenbaren dürfte, doch andererseits würde das die Verbundenheit mit der Vererbungslehre untermauern. „Meine Eltern sind beide Muggel. Beide können nicht zaubern, haben aber nach Einnahme des Trankes Magie aufgewiesen, die auch reagierte. In der Regel, das wissen Sie alle, können Muggel die magische Welt nicht sehen, aber dennoch begleiten Eltern ihre Kinder in die Winkelgasse. Wie geht das?” Ein neugieriges Flüstern ging durch Menge. „Oder nehmen wir die Dame, deren Haare ich gefärbt habe.” Die Zuhörer lächelten milde. „Sie ist ein Muggel, konnte aber einen Ort betreten, der mit Muggelabwehrzaubern versehen war. Sie trug einen Zauberstab mit sich, den sie gefunden hatte. Vielleicht war es die Magie des Stabes, vielleicht aber auch die Magie des vergangenen Vergissmich? Tatsache ist, dass sie das Gebäude betreten konnte, was nicht hätte möglich sein dürfen.”

Endlich konnte sie all die Fragen, die sich ihr im Laufe der letzten knapp 15 Monate gestellt hatten, an Menschen weitergeben, die genauso klug oder noch weitaus gescheiter waren als sie selbst. Vielleicht würde sie endlich Antworten bekommen, hoffte Hermine, wenn auch nicht sofort.

Mrs. von Gorsemoor hatte einen Gesichtsausdruck an den Tag gelegt, der jedem zeigte, wie sehr sie nachdachte, vielleicht sogar schon Theorien aufstellte, so wie Hermine es immer tat. Die Dame setzte sich, so dass Hermine den nächsten herannehmen konnte. Mr. Takeda. Er stellte sich nicht ihr vor, sondern den anderen Gästen, bevor er seine Frage stellte.

„Als jemand, der seine Zeit damit vergeudet, die magischen Eigenschaften von Baumrinden zu ergründen”, die Menge lachte belustigt auf Kosten des abwesenden Ansus, „interessiert mich in erste Linie, ob Sie auch Experimente an Pflanzen durchgeführt haben?”
Hermine strahlte über das ganze Gesicht. „Nein, Professor Takeda, das habe ich nicht, aber meinen Zuspruch haben Sie, Ihre Bäume mit meinem Trank zu wässern.”
„Dann warte ich nur noch darauf, bis nachher die Liste ausgelegt wird, auf der ich als Interessierter unterschreiben kann.” Mit einem zufriedenen Lächeln setzte sich Mr. Takeda wieder. Weitere Fragen würde er sicherlich nur noch unter vier Augen stellen wollen, vielleicht auch unter sechs, denn Hermine hätte gern Severus dabei.

Als nächstes nahm Hermine Mr. Worple ran, doch bevor der seine Frage stellen konnte, rief ein anderer Gast amüsiert: „Lassen Sie uns raten, Worple: Sie möchten wissen, ob der Trank an Vampiren ausprobiert wurde.”
Die Menge lachte, Hermine ebenfalls, denn selbst Worple fühlte sich auf scherzhafte Weise ertappt. Er griff sich an die Brust und sagte so ernst er konnte: „Bin ich so durchschaubar?” Worple war in erster Linie für seine Bücher über Vampire bekannt, nicht für seine Leistungen auf dem Gebiet der Trankbrauerei. An Hermine gewandt bestätigte er: „Genau das wäre meine Frage, Miss Granger.”
„Nein, der Trank wurde weder an Vampiren noch an Werwölfen getestet.” Das enttäuschte Tuscheln war Hermine nicht entgangen, daher spielte sie einen kleinen Trumpf aus. „Aber zwei Elfen haben sich freundlicherweise bereit erklärt, den Trank einzunehmen. Die Ergebnisse waren verblüffend.”
„Inwiefern?”, fragte eine gesichtslose Stimme aus der Menge.
„Die Elfen haben eine völlig andersartige Magie, die sich nicht im Entferntesten mit unserer vergleichen lässt. Sie fließt anders, hat eine intensivere Leuchtkraft und bündelt sich bei einem aufgeführten Zauber direkt in der Hand, während sich die Magie bei uns im Arm sammelt, bevor sie durch den Zauberstab fährt.”
„Haben Sie über Ihre Testreihe eine Abhandlung verfasst, die man sich zu Gemüte führen kann?”, fragte Popovich.
Sie nickte. „Jeder, der sich für den Trank interessiert, wird vor einem Vertragsabschluss einen vollständigen Bericht über bisherige Testläufe erhalten.”

Der Vortrag fand ein Ende, nicht jedoch die vielen Fragen. Es schien fast so, als würden die Interessierten sich in kleinen Gruppen um Hermine herum gedulden, bis sie an die Reihe kämen. So gut es ging beantwortete sie alle Fragen, war auch ehrlich, wenn sie etwas nicht beantworten konnte, doch wie Severus es vor einigen Wochen schon gesagt hatte, war es viel wichtiger, das Interesse der anderen zu wecken, damit die den Trank auf ihre Weise testen würden. Die Leiterin des Gunhilda von Gorsemoor-Sanatoriums war sehr angetan von der möglichen Anwendung des Farbtrankes zu Diagnosezwecken, während Takeda ganz erpicht darauf war, die Magie seiner Züchtungen sichtbar zu machen. Vielleicht ließen sich so potente von weniger potenten magischen Pflanzen unterscheiden, hoffte er. Immer wieder blickte sich Hermine um, aber Severus war nicht zu sehen, was sie schade fand. Sie wollte, dass auch er etwas von den anerkennenden Worten erhalten würde. Seine Mitarbeit war nicht gerade bescheiden gewesen.

Die Zeit, als der Hunger die meisten Gäste ans Buffet trieb, nutzte Hermine als Atempause. Doch ein Herr hatte geduldig gewartet, um sie allein sprechen zu können.

„Miss Granger, wenn ich einen Moment Ihrer Zeit rauben dürfte?”
„Mr. Abraham Panagiotis, richtig?” Sie hielt dem Mann, der vorhin als Erster eine Frage gestellt, die Hand entgegen. „Wie kann ich Ihnen helfen?”
Panagiotis blickte beschämt zu Boden. „Nun, wie soll ich das sagen?”
„Ich würde raten, einfach frei von der Leber weg.” Sie lächelte ihn an, weswegen er Mut fasste.
„Das Genesungsheim, das ich führe, verfügt über ein sehr geringes Jahresbudget. Dessen ungeachtet wäre Ihre Entdeckung ein Diagnosemittel, von dem ich mir Hilfe für die Patienten verspreche.”
„Darf ich fragen, auf was Ihr Heim spezialisiert ist?”
Er nickte. „Überfälle von Dementoren hatten in Zeiten des Krieges stetig zugenommen. Wir behandeln ...” Er räusperte sich. „Ich will ehrlich sein: Wir behandeln nicht, wir versuchen zu behandeln, doch gerade jene Patienten, die den Kuss erhalten haben, scheinen resistent gegen herkömmliche Heilmethoden zu sein. Ihr Trank wäre ein Strohhalm, an den wir uns klammern möchten. Die Hoffnung darf man nie aufgeben.”
Ein Schauer lief ihr über den Rücken. „Sie betreuen Menschen, denen die Seele fehlt?”
„Ich wollte Sie wirklich nicht erschrecken, Miss Granger. Dieses Thema ist leider noch immer ein Tabu, aber ...”
„Nein, Sie verstehen mich falsch. Mich interessiert sehr, was Sie alles bereits versucht haben. Wissen Sie, ich bin nicht nur Zaubertränkemeisterin, sondern auch ausgebildete Heilerin.”
„Tatsächlich?” Mr. Panagiotis war begeistert. „Sie haben eine ausgezeichnete Mischung an Bildung, Miss Granger. Das eine harmoniert bestens mit dem anderen.”
Sie schenkte ihm ein Lächeln. „Machen Sie sich keine Sorge um die Kosten. Es wäre ihrerseits Bezahlung genug, wenn ich ab und zu anwesend sein dürfte, wenn einer Ihrer Patienten den Trank einnimmt.”
„Das ließe sich einrichten. Ich werde mich in die Liste eintragen, wie jeder andere auch.”

Mr. Panagiotis schüttelte ihr dankbar die Hand und stürzte sich im Anschluss zum Buffet, um sich noch einen Happen der kulinarischen Köstlichkeiten zu sichern.

Severus hatte sie noch nicht gefunden, nicht einmal, als sie alle dunklen Ecken abgegangen war. Sie traf während ihrer Suche auf einen der Kellner, der ganz in weiß gehüllt war und ein leeres Tablett trug.

„Sagen Sie, Sir”, er stutzte bei Verwendung dieser Respekt zollenden Anrede, „wo könnte ich hier mal etwas frische Luft schnappen?”
Er führte sie durch eine Tür und zeigte den Gang hinunter. „Dort hinten finden Sie eine große Terrasse. Ich führe Sie hin, falls die Tür verschlossen sein sollte.”

Sie war nicht verschlossen. Hermine genoss den kühlen Februarwind, auch wenn sie keinen Umhang trug.

„Darf ich Ihnen etwas bringen? Vielleicht einen Champagner?”
Sie kräuselte die Nase. „Nach Tee zu fragen sieht komisch aus oder?”
Der Kellner lächelte. „Welche Sorte?”
„Irgendetwas Fruchtiges.”

Mit seinem Zauberstab befreite der Kellner einen weißen Gartentisch und die dazugehörigen Stühle von Laub, bevor er sein Tablett darauf abstellte und es mit dem Stab berührte. Ein nicht gerade kleiner Samowar materialisierte sich, dazu zwei Tassen aus feinstem Porzellan. Aufgrund ihres fragenden Blickes erklärte er: „Das ist Standard. Die Küche stellt immer zwei Tassen zur Verfügung. Ich werde eine ...”
„Nein, lassen Sie nur. Vielen Dank.”

Nach einem von innen wärmenden Schluck Erdbeertee ging Hermine hinüber zur Balustrade, um von der sandsteinernen Brüstung aus in den klaren Sternenhimmel zu schauen. Es tat sich etwas, auch wenn man es ohne Hilfsmittel nicht sehen konnte. Professor Sinistra war bestimmt aus dem Häuschen, dachte Hermine, denn ab dem 10. Februar regte sich bereits der Virginiden-Komplex, wenn das auch erst in der zweiten Nachthälfte gut zu beobachten wäre.

„Ist Ihnen nicht kalt?”, hörte sie Severus' Stimme. Überrascht hatte er sie nicht. Da sie ihn nicht gefunden hatte, war sie davon ausgegangen, dass er sie aufsuchen würde.
„Nein, im Moment nicht”, erwiderte sie, ohne sich umzudrehen. Schritte näherten sich. Dann spürte sie ein wenig Wärme an ihrem Rücken. Er stand direkt hinter ihr. „Ich hab Sie gesucht. Wo waren Sie denn?”
„Ich habe mich für einen Moment mit Mr. Worple zurückgezogen. Er fragte, ob er ein Buch über unsere Testreihe verfassen darf, was ich ihm leider ausreden musste. Es sollte ein Geheimnis bleiben, dass ich mit Blut experimentiert habe.”
„Aber es ist doch niemand zu Schaden gekommen. Am Ende haben Sie es geschafft, dass kein Blut mehr in Ihrem Trank verwendet werden muss.”
„Man kann auch den Imperiusfluch anwenden, ohne dass jemand zu Schaden kommt und trotzdem würde man dafür in Askaban landen. Nein Hermine, ich werde Stillschweigen darüber bewahren.”

Sie nickte verständnisvoll und ging unbewusst einen Schritt zurück, so dass sie sich mit dem Rücken an ihn lehnte. Es war angenehm warm.

Nahe an ihrem Ohr hörte sie seine ruhige Stimme sagen: „Der Mond beeinträchtigt die Beobachtungen. Erst ab dem nächsten Wochenende wird man eine geringe Meteoritenaktivität ausmachen können.”
Erstaunt drehte sie ihren Kopf und sah Severus das erste Mal aus einem völlig anderen Winkel. Er blickte nach oben, war sich aber bewusst darüber, dass sie ihn anschaute. „Sinistras Schüler tun mit ein wenig Leid”, sagte sie mit vorgeschobenem Beileid. „Die Leoniden sind schwer von den Virginiden zu unterscheiden.”
„Sie wird ihnen schon beibringen, wie man beide Meteoritenströme auseinander halten kann.”

Es war gemütlich, weil sie nicht über die Rede sprachen; weder den heutigen Abend noch die gesamte Veranstaltung zum Gesprächsinhalt hatten. Nein, sie sprachen über den Himmel, über Meteoriten und über das Mondlicht. Trotzdem wollte sie eine Sache in Erfahrung bringen.

„Warum haben Sie mir einen Felix gegeben?” Seine Antwort kam nicht sofort, aber sie drängelte auch nicht. Nach einem Moment hatte er sich gefasst.
„Ich war in dieser Hinsicht eigennützig. Schon im Vorfeld habe ich Ihnen zu Verstehen gegeben, dass meine Person eventuell unerwünscht sein könnte, was zweifelsohne auf Sie zurückfallen würde. Ich wollte Ihnen an diesem wichtigen Abend nicht im Wege stehen.”
„Die Dosis muss gering gewesen sein, sonst wäre das mit Mr. Ansus nicht geschehen.”
Er machte ein summenden Geräusch, bevor er vor Augen hielt: „Womöglich wäre die Situation ohne Trank viel mehr eskaliert? Der Felix Felicis hat diesen Moment abgeschwächt. Dank Ihrer zurechtweisenden Worte, für die ich Ihnen im Übrigen meine Hochachtung entgegenbringen möchte”, seine Stimme klang amüsiert, „haben Sie Mr. Ansus bloßgestellt; ihn mit seinen eigenen Waffen geschlagen.”
„Er hat nicht viele Anhänger oder?”
„Fast alle Tränkemeister lagen ihm damals zu Füßen. Ansus war ab dem 21. Lebensjahr ein Lichtblick in unserem Fachgebiet. Viele Neuerungen stammten von ihm. Er hat unter anderem Marcus Belby unterrichtet, der später den Wolfsbanntrank erfunden hat. Ansus' Zeit ist aber längst vorbei, doch anstatt sich im richtigen Moment zur Ruhe zu setzen, will er noch immer dazugehören, auch wenn er in der Forschung seit mindestens drei Jahrzehnten nicht mehr aktiv ist.” Severus seufzte und sein Atem streifte ihre Wange. „Anstatt mitzuerleben, wie unnütz man geworden ist, sollte man rechtzeitig abspringen und seinen Ruhm genießen.”
„Ich würd's so tun.” Hermine klang sehr selbstsicher. „Ich würde dreißig, vierzig Jahre lang forschen und mich dann auf meinen Lorbeeren ausruhen.”
„Solche Planungen gehen meist nicht auf. Es könnte etwas dazwischenkommen.”
Hermine nickte, so dass ihre Haare ihn am Kinn kitzelten. „Mir könnte morgen ein Drachen auf den Kopf fallen und alles wäre vorbei, aber was für ein Leben wäre das, wenn man immer nur an die schlimmen Dinge denken würde, die passieren könnten?” Sie atmete tief ein, seufzte im Anschluss. „Ein paar grobe Ziele sollte jeder haben und dann dreht man ein wenig am Steuerrad, um die Richtung einzuschlagen.” Nochmals eine Pause ihrerseits, dann die Frage: „Was haben Sie für Ziele?”
„Ich ...” Er hielt inne. Die Antwort lag so fern, dass er sie nicht geben konnte. Hermine drehte sich um und stand sehr dicht vor ihm. Sie betrachtete sein Gesicht, seine Wange, dann seine Augen.
„Jeder sollte Ziele haben, Severus.” Ihr Kopf legte sich zur Seite. „Wir könnten uns meine teilen.”

Dieses Angebot klang verlockend. Er selbst war sich seiner Zukunft unsicher, wusste nur, dass es in die Richtung gehen könnte, die Hermine eingeschlagen hatte. Er hatte nicht das Gefühl, dass er sich in ein gemachtes Nest setzen würde, denn dafür war Hermines berufliche Umorientierung noch zu frisch.

Gerade wollte er antworten, da hörte man eine vertraute Stimme.

„Ah, hier steckt ihr beide.” Albus betrat die Terrasse und war, nachdem er den Gartentisch entdeckt hatte, sofort angetan von dem Samowar. „Darf ich?”, fragte er und deutet auf die ungenutzte Tasse. Natürlich durfte er, weswegen Hermine nickte. Nach dem ersten Schluck schwärmte der Direktor: „Mmmh, das erinnert mich an unsere Erdbeerfelder.”

Hermine und Severus verließen die Balustraden und näherten sich Albus, der sich mit einem stetig milden Lächeln, das sich nicht mehr in seinen Augenwinkeln verborgen halten konnte, an dem Erdbeertee gütlich tat.

„Einige Gäste suchen Sie schon, Hermine. Der Tanz hat begonnen, wenn auch etwas spät, weil Ihr Vortrag die Menschen in seinen Bann gezogen hat. Dazu möchte ich Ihnen meine Glückwünsche aussprechen.” Er hielt ihr die runzelige Hand entgegen, die sie ergriff. Danach legte er eine Hand an Severus' Schulter. „Ich hatte auch das Vergnügen, mich mit einem ehemaligen Schüler zu unterhalten. Georgi Popovich, du kennst ihn sicher noch.” Severus presste die Lippen zusammen, nickte jedoch. „Es scheint, als würde er dich beneiden.”
„Mich beneiden?”, fragte Severus perplex zurück.
„Ja, ich konnte nur noch nicht ergründen, ob seine Andeutungen deiner entzückenden Begleitung galten oder deinem Beruf.” Albus kicherte in seinen Bart. „Aber es schien so, als würde er gern etwas haben, was dir gehört.” Erschrocken blickte Severus zu Hermine hinüber, doch Albus entschärfte seine möglichen Befürchtungen. „Ich würde es nicht zu eng sehen. Er ist kein Kämpfer, der sich einfach nimmt, was er will.” Albus stellte seine Tasse wieder auf das Tablett. „Ich werde wieder hineingehen. Poppy hat mir das Versprechen entlockt, mindestens einmal mit ihr zu tanzen.”

Die beiden schauten dem Direktor noch einen Moment hinterher. Hermine und Severus waren mit ihren eigenen Fragen beschäftigt, weswegen sie eine Weile damit verbrachten, dem Wind zuzusehen, wie er mit dem Laub spielte. Einen Versuch wollte Hermine doch noch wagen.

„Tanzen Sie mit mir?”, fragte sie flehend.
Es war nicht nur zu hören, sondern ihm auch anzusehen, dass seine Antwort mit Bedauern getränkt war. „Nein, Hermine.”
Sie seufzte, wollte jedoch nicht nachhaken, hakte sich stattdessen lieber bei ihm unter, was er als Entschädigung für den zweiten Korb, den er ihr an diesem Abend gegeben hatte, ohne Murren zuließ. „Begleiten Sie mich nachhause?”
„Selbstverständlich.”

Für die meisten Menschen war es mit Freude verbunden, endlich nachhause zu kommen, für Lucius war das ein wenig anders. Als er vergangenen Sonntag Malfoy Manor betreten hatte, war er von seinem Sohn auf eine Weise begrüßt worden, die ihm übel zugesetzt hatte. Jetzt, fast eine Woche später, hatte er sich noch immer nicht eingelebt. Seine Schwiegertochter war ihm gegenüber bisher stets höflich gewesen, ganz so, wie er es schon aus der Zeit kannte, in der sie ihn in Askaban, später im Mungos besucht hatte. Das Kind hatte er nur zweimal vage zu Gesicht bekommen. Beide Male in Situationen, in denen er kein Auge auf den Jungen werfen konnte. Einzig Narzissa machte ihm das Leben ein wenig leichter. Wo sie war, blühte er auf. Von ihrer Lebensfreude, vor allem aber von der Fähigkeit, dass sie mit diesem ungewohnten Alltag so unbeschwert zurechtkam, wollte er sich etwas annehmen, aber das war nicht einfach. Im Gegenteil. Es war schlicht undenkbar. Deswegen mied er, wenn es möglich war, seinen Sohn und seine Schwiegertochter. Gegen ihr gemeinsames Kind, seinen Enkel, konnte er sich diesen Samstagabend allerdings nicht wehren, denn Narzissa hatte sich des Buben angenommen, weil die jungen Eltern den ersten Tag nach Aufhebung des Mutter-Kind-Schutzes allein für sich haben wollten. Draco hatte Susan in ein Restaurant ausgeführt. Narzissa ging in der Rolle der liebevollen Großmutter auf.

„Er hat rote Haare”, sagte Lucius zähneknirschend, als er das schlafende Baby im Arm seiner Frau das erste Mal aus der Nähe beäugte.
„Es ist nur etwas rötlich, das kann sich noch geben.” Narzissa strich über besagtes Haar. „Weißt du noch”, begann sie in der Vergangenheit zu schwelgen, „wie Fulvius aussah?” Das war Mann der besten Freundin ihrer Mutter gewesen. „Rotgelbes Haar, die gleiche Farbe, wie sein Ehering.”
„An einem Finger mag es gut aussehen, aber nicht auf einen Kopf!”
„Lucius!”, zischte sie ihn mahnend an. Mit einem Male änderte sich ihr Gesichtsausdruck. Er wurde wieder sanft. „Nimmst du ihn bitte mal?” Schon drückte sie dem sich sträubenden Lucius den Säugling in den Arm. „Ich muss das Fläschchen machen.”
„Muss ich denn unbedingt in diese Tätigkeit involviert werden?”, fragte er nörgelnd, bevor er mit verzogenem Gesicht auf das Kind in seinem Arm hinabblickte, das eben erwacht war. Lucius seufzte, das Baby ebenfalls. „Du hast es doch gut!”, fuhr er Charles an, der ihm daraufhin mit einem Auge zuzwinkerte, was Lucius mit einem gemurmelten „Frechdachs!” kommentierte.

Narzissa wärmte die Flasche gerade mit einem Zauber, als Charles seine kleinen Finger ausprobieren wollte und nach Lucius langen blonden Haaren griff.

„Lässt du wohl los? Nein, tu das nicht!” Bevor er einschreiten konnte, hatte Charles die Strähne in den Mund genommen. „Oh, was für eine unappetitliche Angewohnheit du doch hast. Wart nur, bis du in einem Alter bist, in dem man dir Manieren beibr...”
„Hier, die Flasche”, unterbracht Narzissa das leise Gemurmel ihres Gatten.
„Du verlangst doch nicht etwa, dass ich ...?”
„Möchtest du nun deinen Mitternachtssnack oder nicht?”
„Natürlich!” Während des Abendessens mit Draco und Susan hatte er aufgrund des Gesprächsthemas nichts herunterbekommen, denn die beiden planten jetzt, wo der Mutter-Kind-Schutz vorbei war, eine gemütliche Soiree mit Gästen wie Potter, Granger und der kleinen Weasley. Er hatte Hunger. Und wie!
„Dann werde ich dir etwas machen.”

Sie reichte ihm die Flasche, die er lustlos entgegennahm, so dass sie in die Küche gehen konnte. An etwas im Haus hatte er sich noch gar nicht gewöhnen können und das waren die fehlenden Hauselfen. Zu besten Zeiten hatte die Familie zwei, jetzt allerdings gar keinen mehr. Die erste Tätigkeit, der sich Lucius in seinem neuen Leben gewidmet hatte, war das Ausfüllen des Formulars für die Anforderung eines Hauselfen. Eine Antwort kam schnell. Ein Mr. Thomas hatte den Antrag abgelehnt, weswegen Lucius einen bitterbösen Brief an die Abteilung für die Neuzuteilung von Hauselfen verfasst hatte, jedoch ohne Erfolg. Lucius hatte sich in seinem Leben noch nie das Essen selbst zubereitet. Er war sich nicht einmal sicher, ob er wusste, wie das ging. Ein Stück rohes Fleisch sah um einiges anders aus als im gebratenen Zustand. Steak und Schnitzel konnte er ungebraten nur schwerlich auseinanderhalten. Es war unter seiner Würde, in der Küche zu helfen, auch wenn sein Sohn ihm nahegelegt hat, wie auch die anderen Bewohner kleine Arbeiten im Haus zu erledigen. Narzissa hatte Spaß an der Arbeit in der Küche. Am meisten ärgerte es ihn, dass sie mit der Schwiegertochter so gut auszukommen schien, sie sogar beim Vornamen nannte. Susan. Von Miss Bones als Mrs. Malfoy oder sogar als Susan zu denken ging ihm gegen den Strich.

Aus seinen Gedanken wurde Lucius gerissen, als er ein quengelndes Wimmern hörte. Der Junge hatte seine Augen auf das Fläschchen in Lucius Hand gerichtet und schien es hypnotisieren zu wollen, damit es sich endlich nähern würde.

„Warum solltest du etwas zu essen bekommen, wenn ich hungern muss?”, fragte er die Handvoll Mensch in seinem Arm. Die wasserblauen Augen fixierten nun ihn, wenn auch nicht genau. Das Kind holte tief Luft und stöhnte von der Anstrengung des vorangegangenen Schlafes. Wie damals schon bei Draco fühlte er die Temperatur der Milch an seinem Handgelenk, bevor er den Sauger an die kleinen Lippen führte, die sich sofort öffneten. „Du siehst aus wie dein Vater”, dachte Lucius laut, woraufhin ihn die großen Augen neugierig anblickten. Der Junge legte eine kleine Pause ein und schien auf weitere Worte zu warten. „Ihm hab ich auch die Flasche gegeben.”

Erinnerungen an vergangene Tage flammten auf, als der Knabe wieder zu saugen begann. Nach den Fehlgeburten, die Narzissa erlitten hatte, hütete er Draco wie seinen Augapfel, nachdem der endlich unbeschadet das Licht der Welt erblickt hatte. Draco war ein Schreihals gewesen, ganz und gar nicht wie Charles, der ruhig schlief und nicht durch lautes Plärren sein Erwachen ankündigte, sondern durch ein leises Glucksen. Jedes Mal, wenn Draco geschrien hatte, waren die Hauselfen, wie auch Narzissa und er sofort am Kinderbett gewesen und hatten um das Leben des Jungen gebangt, der eigentlich nur seine Milch haben wollte. Er war nicht kränklich, wurde dennoch verwöhnt, als wollte man ihn damit belohnen, am Leben zu sein. Ein plötzlicher Kindstod wäre auch Narzissas Untergang gewesen.

Kaum war der Junge mit der Flasche fertig und hatte sein Bäuerchen gemacht, kam auch schon Narzissa ins Schlafzimmer zurück, in ihren Händen ein Tablett mit auserlesenen Köstlichkeiten.

„Wie wäre es, wenn wir im Bett essen?”, schlug sie mit einem Augenzwinkern vor. Während Lucius die vielen leckeren Dinge auf dem Tablett bestaunte, welches sie auf dem Bett abgestellt hatte, brachte sie den Jungen ins Kinderbett und zog den Vorhang zu.
Narzissa kam zurück und wurde von einem keck lächelnden Lucius gefragt: „Was gibt es zum Nachtisch?”

Seine Gattin löste die Schleife am Hals und ließ ihr seidenes Negligee zu Boden gleiten. Verzückt ergriff Lucius, noch immer sitzend, ihre Hand und küsste sie, bevor er seine Frau zu sich zog. Sie nahm auf seinem Schoß Platz, war in seinen Augen noch immer leicht wie eine Feder.

„Ich hab dich so vermisst.” Nicht sie hatte das gesagt, wie man es vermuten könnte. Er drückte sie an sich, vergrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge und atmete tief ein. „Ohne dich waren die Tage finster, die Sommer frostig.” Seine Stimme war leise und seine Worte nur für ihre Ohren gedacht. „Der süßeste Honig schmeckte fad.” Er küsste ihren Hals. „Der Nachthimmel war ohne Sterne.” Seine Hand fand in ihr offenes Haar und mit einer Mischung aus fieberhafter Leidenschaft und respektvoller Zurückhaltung lenkte er ihr Haupt, um von der Frucht zu kosten, die ihm so lange Jahre höchstens im Traum vergönnt war.

Der Himmel war voller Sterne, jedenfalls in dem Augenblick, als Hermine und Severus vor der Apotheke standen und nach oben blickten.

„Kommen Sie noch mit rein?” Ihr schüchterner Unterton wollte Severus verneinen lassen, doch sie war noch immer bei ihm untergehakt und ging die Stufen zur Apotheke hinauf, so dass er sich führen ließ. „Tut mir Leid, dass ich den Kamin gesperrt habe. Da habe ich gar nicht mehr dran gedacht.” Sie waren von der Versammlung aus appariert, das erste Mal Seit-an-Seit.
„Wenn Sie mir einen Kaffee anbieten, bleibe ich gern noch ein wenig.” Er ging davon aus, dass sie über den heutigen Tag sprechen wollte. Über die Menschen, die sie kennen gelernt hatte, über Ansus und vielleicht sogar über die Rede selbst.

Das Einzige, das Hermine wirklich gut kochen konnte, war Kaffee, obwohl man den eigentlich brühte und wahrscheinlich lag genau da der Hase im Pfeffer. Ihr „Geheimrezept” war ein Teelöffel Kakao, der dem Kaffee die besondere Note verlieh, die Severus zu schätzen wusste. Auch sie gönnte sich noch eine Tasse, an der sie sich die Hände wärmte, während sie auf dem Bänkchen direkt neben ihm Platz nahm und ihre eigene Küche betrachtete.

„Kommt es mir nur so vor oder ist die Küche gemütlicher, wenn es Abend ist?”, fragte sie mit verträumter Stimme.
„Ich verstehe nicht, was Sie meinen.”
Severus konnte mit ihrer Frage tatsächlich nichts anfangen, blinzelte aber ein paar Mal, als er ihren nächsten Satz einige Male in Gedanken wiederholte, denn sie vermutete: „Vielleicht ist es auch nur gemütlicher, wenn Sie hier sind.”

Mit leicht offen stehendem Mund lächelte sie ihn breit an, womit sie ihn ansteckte, doch als er an seine Zähne dachte, krumm und schief, dazu gelblich verfärbt, zwang er seine Lippen dazu, den unschönen Anblick wieder zu verdecken.

„Ich mag es, wenn Sie lächeln.” Sie war ehrlich gewesen, schien womöglich gerade deswegen verlegen. „Das ist ein Zeichen, dass Sie sich wohl fühlen.”

Diese Art Unterhaltung war er nicht gewohnt. Befangen klammerte er sich an seine Tasse und nahm aus lauter Hilflosigkeit einen Schluck des noch viel zu heißen Kaffees, doch besser die Zunge an einem Getränk verbrennen als an einem unüberlegten Wort.

„Wie wird es jetzt nach der Versammlung weitergehen?”, wollte sie wissen.
Mit einem Schlag war Severus wieder in seinem Element. „Sie werden Post erhalten und wie ich die Situation einschätze, nicht zu knapp. Die Interessierten wenden sich an die Körperschaft, die wiederum Kontakt zu Ihnen herstellt. Einige werden das Rezept erbitten, anderen werden den fertigen Trank haben wollen.”
„Den fertigen Trank? Aber dann kommt ja noch mehr Arbeit auf mich zu!”
„Das stand doch aber von vornherein fest, Hermine”, hielt er ihr vor Augen. Als sich Unsicherheit in ihrem Gesicht ausbreitete, schritt er ein und versicherte: „Den Trank werde ich mit Leichtigkeit brauen können.”
„Ja bitte! Ich gebe Ihnen auch einen kleinen Obolus als Dankeschön.” Als er abwertend schnaufte, schlug sie vor: „Oder soviel Kaffee, wie Sie trinken können.” Als einer seiner Mundwinkel sich nach oben begab, lehnte sie sich zufrieden zurück. „Wie lange kennen Sie Takeda eigentlich schon?”
„Bin ihm heute zum ersten Mal begegnet.”
Sie riss die Augen auf. „Wie bitte?”
„Wir standen zuvor nur schriftlich in Kontakt.”
Hermine nickte. „Und wie lange?”
„Siebzehn ...” Er korrigierte. „Nein, es sind schon achtzehn Jahre.”
„Wie ist der Kontakt zustande gekommen?”
Severus seufzte, doch er antwortete, obwohl ihm das Thema nicht gefiel. „Nach meiner Ausbildung bei Slughorn fragte ich nach einer Stelle bei ihm an.”
„Sie wollten nach Japan gehen?”
„Das Land war mir egal. Es ging um Professor Takeda. Seine Forschung, die übrigens nicht nur Baumrinde behandelt, hatte es mir angetan. Er ist mit Dunklen Künsten vertraut und ...”
„Warum überrascht mich das nicht?”
Auf ihren frechen Einwurf ging er nicht ein. „Er bot nur zwei Stellen an, eine davon wollte ich haben.”
„Warum hat es nicht geklappt?”
„Woran mag das wohl gelegen haben?”, gab er ein wenig schnippisch zurück, als würde die Antwort auf der Hand liegen. „Es lag am Geld. Takeda verlangt 5000 Galleonen für ein Jahr. Die Ausbildung umfasst drei Jahre.”
„Das ist aber ganz schön heftig!”
Er stimmte ihr zu. „Allerdings beinhaltet der Preis alles. Die An- und Abfahrt, Kost und Logis, Arbeitsmaterialien und -kleidung. Vier Wochen Urlaub pro Jahr. Japan ist ein teures Land, Hermine. Der Preis ist gerechtfertigt.”
„Es ist schade, dass Sie es nicht geschafft haben. Wäre das nicht noch immer was für Sie?”
„Ich denke nicht, dass ich jetzt noch unter Takedas Aufsicht lernen möchte.”
Gespielt machte sie ihm zum Vorwurf: „Ach, aber mich wollten Sie zu einem neunzig Jahre alten Herrn schicken, der mir nur auf die Brust starrt, wenn er mit mir redet.”
Severus blinzelte. „Was tut er?” Völlig entgeistert blickte er sie an, doch Hermine erklärte sich nicht, sondern grinste in ihre Kaffeetasse hinein.

So schnell hatte sie Severus noch nie einen Kaffee leeren sehen und so nahm sie beide Tassen und schenkte ihm an der Arbeitsfläche ungefragt noch einen weiteren ein, sich selbst auch.

Als sie an den Tisch zurückkam, fiel ihr Blick auf das aktuelle Kalenderblatt, auf dem eine rote „14” stand. Daneben und seitlich darunter waren bewegliche Herzchen und Küsse eingearbeitet, die verschwanden und wieder auftauchten, dabei Größe und Form änderten.

Zurückhaltend sagte sie, als sie ihm die volle Tasse reichte: „Das war der schönste Valentinstag, den ich je gehabt habe.”
„Heute war Valentinstag?” Er verzog das Gesicht, weil er ungewollt an Lockhart denken musste und er wurde von dem Wunsch übermannt, den Mann noch im Nachhinein für seine Dreistigkeit am Lehrertisch verhexen zu wollen, als er die Schüler dazu aufgefordert hatte, ihn nach Liebestränken zu fragen.
„Ich hab auch nicht dran gedacht. Habe eben das Kalenderblatt gesehen”, gab sie zu. Die Besonderheit dieses Tages hatte sie völlig verdrängt, aber es war zum Glück ein schöner Tag gewesen. „Haben Sie mir das Kleid eigentlich geschenkt?”, wollte sie auf einmal wissen, während sie über ihren seidigen Ärmel strich.
„Ja, aber nicht angesichts einer trivialen und geschmacklosen Festlichkeit, sondern wegen der Versammlung. Ich glaube mich daran zu erinnern, dass Sie wenig passende Kleidung für solche Zusammenkünfte besitzen.”
„Das ist wirklich sehr aufmerksam von Ihnen.”
„Sie trugen blau auf Dracos Hochzeit. Ich fand, das stand Ihnen.”
„Daran erinnern Sie sich noch?”

Er öffnete ein paar Mal den Mund, aber die Worte hatten sich in seiner Kehle verheddert und verstarben bei dem Versuch, nach draußen zu gelangen. Ein wenig fühlte er sich ertappt, aber weswegen, das war ihm ein Rätsel. Jeder hatte Hermine auf dieser Hochzeit gesehen, denn sie hatte vorn gestanden, für alle sichtbar, gleich neben dem Brautpaar. Würde nicht jeder wissen, welche Farbe ihr Kleid gehabt hatte?

Um die Stille zu verdrängen, räusperte er sich und entwirrte damit den Knoten in seinem Hals, bevor er etwas klären wollte, dass ihm seit vorhin im Kopf herumschwirrte.

„Haben Sie viel mit Popovich zu tun?”
„Was?” Sie wiederholte seine Frage im Kopf. „Nein, gar nichts. Er hat mich mit den anderen zusammen geprüft und mir die Ergebnisse ausgehändigt. Mehr nicht.” Sie zerbrach sich den Kopf darüber, warum er gefragt hatte, bis ihr plötzlich Albus' Worte einfielen. Aus dem Bauch heraus fragte sie: „Wollen Sie morgen zum Frühstück herkommen?”

Ihre Frage überrumpelte ihn auf eine angenehme Art und Weise. Es war ähnlich wie ein unerwarteter Erfolg während eines Experiments.

„Gern. Darf ich vorschlagen, dass ich von den Hauselfen etwas zusammenstellen lasse, das ich morgen mitbringen werde?”
„Das wäre sogar sehr schön, dann kann ich ein wenig ausschlafen.”
„Wann darf ich bei Ihnen erscheinen?”
„Ist halb zehn in Ordnung?”
Er nickte. „Halb zehn. Ich hoffe, Sie haben für Morgen noch Kaffee?”

Der Abend fand ein Ende und Hermine begleitete Severus nach oben ins Wohnzimmer, um den Kamin wieder zu öffnen. Es wäre leichter für ihn, von hier aus direkt in seine dunklen Räume in den Kerkern zu flohen, die ihm mehr und mehr wie ein Gefängnis vorkamen, aus dem er auszubrechen versuchte.

„Severus?” Sie hielt ihn auf, bevor er in den Kamin steigen konnte, indem sie ihre Hand an seinen Oberarm legte. Er näherte sich ihr einen Schritt.
„Ja?”

Dieses eine Wort war so leise, so schüchtern gesprochen, dass Hermine nicht anders konnte, als sich mit beiden Händen an seinen Schultern festzuhalten, damit sie auf den Zehenspitzen balancieren konnte, um die schon so lange anvisierte Wange mit dem zu beglücken, was ihr nach dem Glaube an das Schicksal zustand.

Der Kuss, trotzdem er so enthaltsam flüchtig geschenkt wurde, war von unermesslicher Tragweite für ihn und sie, denn er beinhaltete den Einblick in beider Herzen; in das verkümmerte und welke, wie auch in das junge und quicklebendige. Das Ausgedörrte von beiden bekam es mit der Angst zu tun. Es war von den Funken erschrocken, die sich an einer Wiederbelebung versuchten und hatte Furcht vor dem, was kommen und vielleicht nur vorüberziehen würde, anstatt für immer zu bleiben.

„Danke, Severus. Danke für alles. Für Ihre Unterstützung und für das Kleid, für ...” Sie seufzte. „Für alles.”
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Re: Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit (183)

Beitrag von saphira »

Also ich gestehe, ich hab deine Geschichte nicht kommplett gelesen. ABer mal blöde Frage. Wie viele Seiten sind dass denn in deinem Word (oder womit du eben arbeitest?)


Liebe Grü0ße Saph
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Beitrag von Muggelchen »

Hallo Saph

die Schatten-FF hat etwa 2.700 Seiten und ist mit 232 Kapiteln beendet. Hat ja "nur" dreieinhalb Jahre gedauert ;-)

Im Jahr 2009 wurde die Geschichte beim "Fanfiction General Award" von den Lesern mit zwei Auszeichnungen bedacht: "Beste Geschichte" und "Bester Erzählstil" in der Kategorie "Harry Potter - Fanfiction in Arbeit". Lesen lohnt sich :smile:

Liebe Grüße
Muggelchen
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Beitrag von Muggelchen »

184 Durch die Blume




Nachdem Hermine ihm einen Kuss auf die Wange gegeben hatte, konnte er sie nicht ansehen, stattdessen nickte er beschämt, um ihre dankenden Worte entgegenzunehmen, bevor er in den Kamin stieg und nach einem geflüsterten „Hogwarts, Severus Snape” in grünem Rauch eingenebelt verschwand. Hermine blickte auf den leeren Kamin und hielt sich eine Hand vor den Mund. Sie hatte das Gefühl, etwas Falsches getan zu haben, aber erst nachdem sie seine Reaktion gesehen hatte. Er schien von einer Sekunde zur anderen wieder so distanziert, weil sie womöglich eine Grenze überschritten hatte. Trotzdem bereute sie es nicht.

In der finsteren Lehrerunterkunft angekommen war der einzige Lichtblick Harry, der aus seinem Korb sprang und mit wedelndem Schwanz auf sein Herrchen zustürmte. Der Hund sprang ihn nur sehr behutsam an, wusste er doch, dass Severus so ein aufdringliches Verhalten nicht einmal bei einem Menschen duldete. Aufgeregt hechelnd rannte Harry zur Tür hinüber, um die Leine, die daneben an der Wand angebracht war, mit der Schnauze aus ihrer Halterung zu nehmen. Ein Spaziergang am späten Abend war eine gute Idee, denn wie schon mehr als nur einmal musste Severus seine Gedanken ordnen.

Die kalte Luft tat ihm gut, aber er vermied es, in den sternenklaren Nachthimmel zu blicken, weil es ihn zu sehr an sie erinnern würde. Wie ein kompliziertes Makramee verknüpfte er die Erinnerung vergangenen Momente miteinander, um am Ende aus den vielen einzelnen Fäden ein klares Bild zu erhoffen, dass ihm die Gesamtsituation erklären sollte, aber ...

„Snape, so spät noch wach?” Weil Severus so in Gedanken versunken war, war er dem Wildhüter genau in die Hände gelaufen, was er eigentlich vermeiden wollte.
„Nein Hagrid, ich schlafwandle nur”, gab er trocken zurück, bevor er den Hund von der Leine ließ. Fang war bereit, ein wenig zu balgen und so, wie Harry am ledernen Riemen zog, er auch.
„Sie schlafwandeln?”

Severus rollte mit den Augen. Bei Hagrid durfte er selten Scherze machen, denn weil sie von ihm kamen, dem griesgrämigen Zaubertränkelehrer, erkannte der Halbriese sie einfach nicht als solche.

„Wann gehen Sie eigentlich jemals schlafen, Hagrid?” Der Wildhüter zierte sich und spielte verlegen mit seinen enormen Finger. „Wenn ich hier vorbeikomme, ist entweder noch Licht zu sehen oder Sie sind nicht da, weil Sie im Verbotenen Wald 'Stöckchenwerfen' mit irgendwelchen Monstren spielen.”
„Ich hab in meinem ganzen Leben noch kein einziges Monster zu Gesicht bekommen!”, beteuerte Hagrid vollkommen davon überzeugt.
„Und was ist mit Fluffy?”
Hagrids voluminöser Bart bewegte sich nach oben – ein Zeichen dafür, dass Hagrid bis über beide Ohren lächeln musste, was in der Dunkelheit kaum anders auszumachen war. „Hab ihn eben besucht und 'n bisschen mit ihm gespielt. Er ist immerhin der Einzige seiner Art.”
„Zum Glück! Nicht dass wir hier noch dreiköpfige Welpen umherlaufen haben, die nach und nach die Schüler verschlingen.” Severus zog eine Augenbraue in die Höhe. „Andererseits ist der Gedanke daran gar nicht mal so erschreckend.”
„Kommen Sie, Snape, so schlimm sind die Schüler doch ganz bestimmt nich. Oder gibt es welche, die Ärger machen?”
„Sie meinen jemand wie Potter?”
„Ich dachte eher an einen jungen Mr. Malfoy oder schlimmer noch: beide zusammen.”

Wenn man ein einziges schnaufendes Geräusch bei Severus schon als Lachen zählen konnte, dann hatte er über diese Bemerkung eben tatsächlich gelacht. Wenn die beiden Jungen sich damals in den Haaren gehabt hatten, dann bebten die sonst so stabilen Mauern von Hogwarts. Heute sah einiges anders aus. Auch bei ihm selbst hatte sich eine ganze Menge entwickelt. Nur die Richtung war ihm noch nicht ganz klar.

„Harry hat Sie vorhin gesucht.”
Verwundert blickte er den Halbriesen an. „Hat er? Wann?”
„Vor 'ner Stunde ungefähr. Wollt sich wohl anhören, wie der Tag so war. Vielleicht können Sie morgen beim Frühstück fragen, was er wollte.”

Morgen Früh, dachte Severus mit einem seltsam spannungsreichen Prickeln im Magen, wäre er bei Hermine. Er hatte das Gefühl, seine Wange würde warm werden, weswegen er unbewusst seine Fingerspitzen auf die Stelle legte, an der er ihren herzlichen Dank erhalten hatte. Mehr als ein Dank war es nicht gewesen, machte er sich weis. Das hatten schon ihre Worte untermauert. Severus blickte zu Hagrid hinüber, der den Hunden beim Spielen zusah. Auch der Halbriese hatte schon einmal so einen Dank erfahren dürfen, wie auch die meisten Gäste im letzten September, als Hermine ihren 24. Geburtstag gefeiert hatte. Diese Geste durfte er nicht überbewerten, so gern er das auch tun wollte. Es war lediglich der Moment gewesen, in dem sie ihm gezeigt hatte, dass er ein fester Bestandteil ihres Freundeskreises war. Selbst der Gedanke daran, in Zukunft womöglich immer so begrüßt und verabschiedet zu werden, wollte ihn noch entflammen.

Nach einer Weile rief Severus den Hund zurück, ging dabei ein wenig um Hagrids Hütte herum, bis er dort einen Gegenstand fand, der ihn verwunderte.

„Was ist das?”
„Och, das is' Sirius' altes Motorrad. Seine Frau war heut hier, mit Remus. Sie haben gefragt, ob ich es noch habe.”
„Wieso hatten Sie dieses Ding überhaupt?”

Für Hagrid völlig ungewöhnlich schien er erst nachzudenken, bevor er den Mund aufmachte und das auch nur zögernd.

„Ich hatte es in der Nacht, als ich den kleinen Harry ...”

Severus begrüßte es, dass Hagrid innehielt, weil er zu schluchzen begann. An diese Zeit wollte er jetzt ganz bestimmt nicht erinnert werden, doch es war längst zu spät. Der von Hagrid nicht vollendete Satz machte sich in Severus' Kopf selbstständig, brachte Bilder in den Vordergrund, die er seit zwei Jahrzehnten in die finstersten Ecken seines Geistes verdrängt hatte.

„Meinen Sie, es ist eine gute Idee”, fragte Severus ernst, „Black genau das gleiche Gefährt wie damals zu überreichen? Denn wie ich es mir denken kann, soll es eine Überraschung werden. Wäre ich an Blacks Stelle, würde mich der Schlag treffen.”
„'s war ja nich meine Idee gewesen”, rechtfertigte sich Hagrid.
„Nein”, stimmte Severus zu und warf einen letzten Blick auf das Motorrad, „war es nicht. Und meine Meinung zählt auch nicht. Gute Nacht, Hagrid.” An den Hund gewandt rief er knapp „Harry” und endlich parierte das Tier.

In der Nacht wälzte sich Severus hin und her, pendelte vom wachen Zustand in den Schlaf, nur um kurz darauf wieder zu erwachen. Er war rastlos; sein Herz war unruhig. Mit seinem lauten Pochen wollte das vernachlässigte Organ alle Welt kundtun, dass es existierte und umsorgt werden wollte. Sein Geist gebot ihm Einhalt. Es folgte endlich ein tiefer Schlaf, keinesfalls jedoch ein traumloser.

Im Utopia seines Unterbewusstseins angekommen fand sich Severus bei strahlendstem Sonnenschein in einem weiten Meer aus tizianroten Blumen wieder, die ihm bis zur Hüfte wuchsen. Es waren duftende Astern, die Gestirne der Erde. Manche von ihnen, in naher Ferne, waren bis zu drei Meter hoch gewachsen und wiegten sich im Wind wie kleine Bäume, die sich am Leben erfreuten. Schnell hatte Severus verdrängt, dass es sich nur um einen Traum handeln konnte, denn der Ort sprach ihm zu. Eine Aufgabe für sich hatte er in dieser ruhigen Gegend schnell gefunden: Er wollte Beeren suchen – Himbeeren. Von dem süßen Duft der Blumen ganz hingerissen fand er nach einer ganzen Weile endlich unter einem mächtigen Apfelbaum, der seine weißen Blüten fallen ließ, einen Strauch, von dem er einzelne Beeren pflückte, sogar eine davon verstohlen kostete, als handelte es sich um eine verbotene Frucht. Kaum hatte er die zarte, rote Beere aus der Familie der Rosengewächse mit seiner Zunge am Gaumen zerdrückt, trat hinter dem Stamm des blühenden Apfelbaums eine Person hervor. Mit einem warmen Lächeln auf den Lippen kniete sich Hermine neben ihn nieder und zeigte ihm die Hand, die sie hinter ihrem Rücken versteckt hatte. Sie hielt ihm einen roten Tafelapfel entgegen. Den Idared nahm er blindlings an, ohne zu fragen, was es mit ihm auf sich hatte oder warum er ihn nehmen sollte. Die Farbgebung der Frucht faszinierte ihn, denn alle möglichen Tönungen waren vertreten: ein helles rot, sowie ein dunkles, das an Kirschen erinnerte. Während er noch den Apfel bestaunte, als hätte er nie zuvor einen gesehen, naschte Hermine von den Beeren. Severus hingegen biss in den Apfel. Der säuerlich erfrischende Geschmack war angenehm und als er nochmals seine Lippen zum Apfel führte, spürte er keine wachsartige Oberfläche, stattdessen etwas sommerlich Warmes und Geschmeidiges. Es waren Lippen so weich wie ein Rosenblatt zwischen den seinen, und das Aroma konnte er einer soeben verzehrten Himbeere zuordnen.

Dieser betörende Traum schwor etwas aus seinem tiefsten Innern herauf, entfesselte Empfindungen, die lange Zeit vernachlässigt worden waren. Im Schlaf fand seine Seele Erlösung, sein Verlangen Befreiung, wenn auch nur für einen kurzen Moment in einer Welt, in der er sich weder dafür rechtfertigen noch sich schämen müsste: In seiner eigenen Welt, seinem Wolkenkuckucksheim.

Mit Herzklopfen und hörbar außer Atem erwachte Severus, doch er blieb entgegen seiner normalerweise sofort einsetzenden Tagesroutine im Bett liegen und schloss die Augen, um das beflügelnde Gefühl noch einen Moment länger bewahren zu können.

Einen Stock über ihm war es Harry nicht vergönnt, nochmal die Augen schließen zu dürfen.

„Wach auf, Harry!”
„Mmmh”, brummte er Ginny ungnädig an, doch ihrerseits folgten Taten, denn sie zog ihm die Bettdecke weg.
„Steh auf, wir wollten heute Quidditch spielen.” Sein Gemurmel verstand sie nicht, weswegen sie nachfragte.
Harry versuchte, die Bettdecke zu erhaschen, doch sie war außer Reichweite. Einigermaßen ansprechbar erklärte er: „Es ist doch noch so kalt draußen.”
„Blödsinn, wir haben schon plus Grade”, rechtfertigte sie ihr Vorhaben.
„Plus ein Grad oder schon zwei? Nein Ginny, bitte nicht.”
„Haaaryy”, sagte sie lang gezogen und furchtbar nörgelnd, weswegen er das Gesicht verzog. Er würde gegen sie verlieren, das wusste er.

Mit einem Male bewegte sich das Bett, aber keinesfalls sachte. Es kam ihm vor, als würde er auf einem Trampolin liegen und tatsächlich, als er die Augen öffnete, sah er Ginny, die wie ein übermütiges Kind die Matratze als solches missbrauchte. Mit frechem Grinsen sprang sie auf und ab, brachte Harry dabei so zum Schaukeln, dass er beinahe seekrank wurde. Er rettete sich auf weniger flexibles Gebiet und stand einen Moment später nur in Unterhose bekleidet neben der Schlafstätte.

„Geht doch!”, lachte sie vom Bett hinunter.
Mit seinem Zeigefinger deutete er auf sie, während er bedrohlich sagte: „Beim Quidditch werde ich dich fertigmachen!”
„Versuch's ruhig!”

Harry konnte nicht ernst bleiben, wo Ginny ihn schon mit so einem dreisten Lächeln bedachte.

„Wir spielen aber nicht zu zweit oder?“, wollte er wissen.
„Wie soll man zu zweit Quidditch spielen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich hab Draco gefragt, ob die Mannschaft auch ohne ihn trainieren darf. Du springst für ihn ein. Er ist heute noch Zuhause bei Susan und dem Kind.“
„Hat er was gesagt? Ich meine, wie es mit seinem Vater aussieht? Ich hoffe, sie kommen einigermaßen miteinander aus.“
„Es scheint erträglich zu sein. Und bevor ich es vergesse: Draco und Susan haben uns zu einer kleinen Gesellschaft eingeladen. Nicholas können wir auch mitbringen und wenn unser Elf möchte, ist er ebenfalls eingeladen.“
Harrys Augenbrauen wanderten bis zum Haaransatz hinauf. „So schnell will er uns einladen?“
„Wir hätten auch vorher mal kommen können. Immerhin gehören wir durch deine Patenschaft zur Familie der Malfoys und waren vom Mutter-Kind-Schutz nicht berührt.“
Ein fieses Grinsen breitete sich auf Harrys Gesicht aus. „Das wird Malfoy senior nicht gefallen, uns zu seiner Familie zählen zu müssen.“
„Du wirst es ihm aber auch bitte nicht unter die Nase reiben, Harry. Vergiss nicht: Wir sind die Guten.“ Sie faltete ihre Hände vor der Brust, als wäre sie ein Rauschgoldengel auf einem Weihnachtsbaum. Es fehlte nur noch der Heiligenschein. Einen Moment später sprang sie vom Bett. „Wir, Harry, werden niemanden provozieren. Als vorbildliche Familie werden wir bei Draco und Susan zu Gast sein. Nicht nur den beiden werden wir eine Aufmerksamkeit mitbringen, sondern auch Dracos Eltern. Ein Strauß Blumen und Konfekt für die Dame und eine Flasche Feuerwhisky …“
„Billig-Fusel tuts auch“, murmelte Harry.
„… für den Herrn!“, beendete sie grantig, weil er einen Zwischenkommentar abgegeben hatte. „Wir werden uns nicht lumpen lassen und niemanden benachteiligen, selbst nicht Mr. Malfoy.“
„Er hat dir das Tagebuch …“
„Das war vor elf Jahren, Harry, das sind olle Kamellen. Wir beide haben es überlebt und ihm sollte klar sein, wer hier der Stärkere ist.“ Ginny kam auf ihn zu und legte ihre Arme um seine nackte Taille. „Ich bin drüber hinweg. Was hab ich davon, wenn ich jahrelang diesen Zorn in mir herumtrage? Davon wird es auch nicht besser.“
„Der Typ wollte über Leichen gehen! Wer weiß, ob er das nicht längst getan hat?“, echauffierte sich Harry.
„Jetzt mach aber mal einen Punkt! Glaubst du etwa, mein Dad hätte ihn einfach so gehen lassen, wenn er wirklich jemand auf dem Gewissen hätte? Für wie blöd hältst du meinen …“
„Nein, so meine ich das doch gar nicht“, beschwichtigte er Ginny. „Lass uns einfach Quidditch spielen, okay?“
„Allzeit bereit, Harry.“
„Und sowas sagst du, während du mir in Unterwäsche gegenüberstehst“, murmelte er noch in seine Bartstoppeln, bevor er ins Badezimmer ging, um sich von ihnen zu befreien.

Auf einen Sonntag begann das Frühstück in der großen Halle in der Regel später, so dass Harry und Ginny, sowie die anderen Schüler nach ihrem aufreibenden und anstrengenden Spiel bei kühlen Temperaturen erst noch ein zweites Mal an diesem Tag duschen konnten, bevor sie sich auf zur ersten Mahlzeit des Tages machten. Beziehungsweise machten sie sich darüber her, denn körperliche Aktivität regte den Appetit an.

Die Schüler kamen und gingen, um ausgiebig zu frühstücken oder sich ein Brot für unterwegs zu schmieren. Severus war nirgends zu sehen, aber das fiel kaum auf. Sonntags gönnte er sich oft eine Pause, weil er vor den Schülern nicht immer präsent sein wollte.

In den Kerkern inspizierte er gerade das Frühstück, das er mit zu Hermine nehmen wollte. Es war nicht ein Korb, nicht zwei, sondern gleich drei, die die Elfen zurechtgemacht hatten. Der Inhalt, vieles davon sorgfältig eingepackt, so dass man nicht einmal erraten konnte, was das Behältnis verbergen könnte, reichte für eine halbe Kompanie. Er nickte den Elfen zufrieden zu, so dass sie ihn endlich allein lassen und ihn nicht weiter mit ihre großen misstrauischen Augen belästigen würden. Einer der Elfen hatte tatsächlich gewagt, mit skeptischem Unterton anzumerken, dass es für ein Picknick wohl noch etwas zu frisch wäre. Severus hatte nichts richtiggestellt. Niemandem war er Rechenschaft schuldig, schon gar nicht einem Hauself.

Über das Flohnetzwerk war er pünktlich bei Hermine im Wohnzimmer angekommen, wurde aber nicht von ihr, stattdessen von dem Duft von frisch gebrühten Kaffee begrüßt, der von der Küche am Ende der Treppe hinauf bis in die Wohnräume gekrochen war, um sein Aroma wenig zurückhaltend zu verströmen. Severus hatte die Wohnzimmertür nach dem Verlassen extra laut zugezogen, damit sein Erscheinen angekündigt werden würde. Kaum war er auf der Treppe, kam Hermine aus der Küche und stellte sich an den unteren Treppenabsatz, von dem aus sie nach oben blickte und ihn breit anlächelte. Dann machte sie ein erstauntes Gesicht.

„Was denn, gleich drei Körbe?“
„Die Elfen glauben wohl, ich würde vom Fleisch fallen. Sie haben es etwas zu gut gemeint.“ Er war unten bei ihr angekommen. Ihre braunen Augen funkelten ihn erwartungsvoll an. Gleichzeitig befürchtete und erwartete er, dass sie ihm einen Willkommenskuss gab, doch der blieb aus. Stattdessen räusperte er sich. „Das hat den Vorteil, dass Sie alles, was heute übrig bleibt, für den weiteren Verzehr behalten können.“
„Darf ich Ihnen einen abnehmen?“

Er verneinte wortlos, ging stattdessen an ihr vorbei in die Küche, um die Lebensmittel aus den Körben zu nehmen. Vieles war mit einem Wärme- und Frischezauber belegt. Man musste nicht einmal etwas anrichten, denn die Elfen hatten Teller, Schälchen und Platten aus der Küche verwendet.

„Hogwarts könnte viel Geld mit einem Catering-Service verdienen“, flunkerte Hermine, als sie die vielen leckeren Lebensmittel bestaunte, die zwar in der großen Halle zum Alltag gehörten, aber auf ihrem altmodischen Holztisch wie ein Festmahl wirkten. Hermine schnupperte, denn es lag der Duft von Likör in der Luft, der unter einem der abgedeckten Teller hervorkroch. „Ist das etwa Crêpe Suzette?“
„Ich sagte ja“, bestätigte er, „dass die Elfen es sehr gut gemeint haben.“

Severus stellte den besagten Teller auf die Mitte des Tisches ab und hob den Deckel, erstarrte dann zur Salzsäule – den Deckel wie ein Schutzschild vor sich haltend.

„Was haben Sie, Severus? Mögen Sie keine Himbeeren?“

Unschuldig stibitzte sie eine der rosaroten Himbeeren, die rund um und auf den süßen Pfannkuchen verteilt waren und vernaschte sie, während Severus ihr dabei mit einem entrückten Blick zusah, mit dem er Luna Konkurrenz machen könnte.

Im Verlauf des gemeinsamen Frühstücks schwiegen sie sich überwiegend an, doch sie tauschten Blicke aus, die Bände sprachen und davon nicht zu wenig. Hermine schien zwar vorsichtig zu sein, doch ihre Augen funkelten kess. Er hingegen suchte in ihrem Blick, ihrer Mimik, Hinweise auf etwas, das über Freundschaft hinausging.

Ein Klopfen an der Glasscheibe ließ beide zum Fenster hinübersehen. Es waren zwei Eulen, die sich, nachdem Hermine sie hereingelassen hatte, auf die Lehnen der beiden Stühle hockten und von dort aus das köstliche Essen beäugten, von dem sie sich wahrscheinlich einen Happen als Belohnung erhofften. Vorsichtig hatte Hermine die beiden Pergamentrollen von den winzigen Beinen gelöst.

„Die hier ist für Sie.“ Hermine hielt ihm eines der Pergamente entgegen. Fast zeitgleich entrollten sie sie und lasen die Einladung von Draco und Susan für das kommende Wochenende, den Samstagabend.

„Ich fühle mich nicht wohl bei dem Gedanken, Mr. Malfoy senior gegenüberzutreten.“
„Ich kann Ihre ablehnende Haltung nachvollziehen, Hermine. Es gab Momente, in denen ich mit ihm gut ausgekommen bin, andererseits kann er ein richtiges …“
Er stoppte sich selbst, doch Hermine drängte mit glitzernden Augen: „Bitte, sagen Sie es! Ich möchte es einmal aus Ihrem Mund hören.“
Severus musste schmunzeln, vervollständigte seinen Satz jedoch mit den Worten: „… Schwein sein.“
„Ich hätte vermutet, Sie würden das böse A-Wort benutzen.“
„Würde ich nie in den Mund nehmen“, wollte er ihr weismachen, als er sich von den Champignons, den Eiern und den gebackenen weißen Bohnen in Tomatensauce auftat.
„Dann gehen Sie hin?“
„Draco würde es von mir erwarten. Ich werde ihm den Gefallen tun, dann fällt es nicht so auf, dass ich darauf brenne, Lucius nach all den Jahren wiederzusehen, um ihm die eine oder andere Stichelei an den Kopf zu werfen.“
„Uh, Sie scheinen sich ja wirklich auf ein Wiedersehen zu freuen.“
„Ich komme nicht umhin, ihn für einige sehr unangenehme Situationen in meinem Leben verantwortlich zu machen. Die Einladung sehe ich als Freibrief für mich, ihm meine Meinung sagen zu können.“
Hermine hielt ihm ihren Teller hin, so dass er ihr von dem Porridge auftun konnte, während sie erleichtert zugab: „Wenn Sie hingehen, dann komme ich auch. So schlimm wird es wohl nicht werden.“
„Dann darf ich Sie abholen? Sagen wir, um 18 Uhr?“

Zuvor war sie stets diejenige, die gefragt hat, ob sie zusammen hingehen würden. Das erste Mal, dachte Hermine, machte er von sich aus den Vorschlag, sie zu einer Feierlichkeit abzuholen und natürlich stimmte sie zu.

Die Woche verging schnell. Severus hatte sie häufig nach seinem Feierabend zusammen mit seinem Hund aufgesucht, um ihr bei Kleinigkeiten zu helfen oder auch mal zum Brauen eines komplizierten Trankes. Jene Abende ließen sie gemütlich in der Küche ausklingen, bevor er – immer später und immer widerstrebender – nach Hogwarts zurückkehrte.

Am Samstagmorgen wurde Severus, bevor er die große Halle betreten konnte, von Albus abgefangen, der das Gespräch unter vier Augen mit ihm suchte.

„Severus, gestern Nachmittag, wo warst du da?“
„Was geht dich das an, Albus?“ Die Worte waren nicht bösartig gemeint, eher hörte man heraus, wie unangenehm Severus die Frage war.
„Du hast ein Recht auf Freizeit und Privatsphäre, Severus, das spricht dir niemand ab. Allerdings wurdest du gestern Nachmittag von einem Schüler vermisst. Ich wende mich also lediglich in einer schulischen Angelegenheit an dich.“
„Wenn ein Schüler es gewagt haben sollte …“
Mit einer beschwichtigenden Geste seiner Hand winkte Albus ab. „Er hat es nur ‘gewagt‘, deinen Rat zu suchen und zwar in genau der Stunde, die du selbst für Schüler deines Hauses für persönliche Belange zur Verfügung stellst.“
Skeptisch blickte Severus den Direktor an, verzog dabei das Gesicht immer weiter, so dass sich sogar seine Hakennase kräuselte. „In all den Jahren, in denen ich in Hogwarts unterrichtet habe, hat niemals ein Schüler auch nur ein einziges Gespräch mit mir gesucht. Diesen freitägigen Termin gibt es nur, weil du alle Lehrer dazu zwingst, auch privat für die Schüler da zu sein.“
„Es geht mir nur darum, niemanden vor den Kopf zu stoßen. Dann streiche den festen Termin am Freitag und teile deinen Schülern mit, dass Unterredungen mit dir nur nach vorheriger Absprache möglich sind.“
„Wer wollte mich sprechen?“ Diesem Schüler würde er schon austreiben, Probleme mit ihm diskutieren zu wollen.
„Es hat sich längst erledigt“, erwiderte Albus, der keine Anstalten machte, den Namen des Schülers preiszugeben. „Remus hat sich der Angelegenheit angenommen.“ Der Direktor machte eine Geste mit seiner Hand und begleitete Severus zum Lehrertisch, während er noch ein Schwätzchen hielt. „Es ist schön zu sehen, dass du eine Beschäftigung gefunden hast. Wie es scheint, eine sehr zeitintensive noch dazu?“
Severus warf seinem alten Mentor einen Blick zu, der genügte, um die wortlose Frage „Was willst du mir damit sagen?“ zu stellen.
„Auch wenn mit dem Wort ‘Beruf‘ heutzutage nur noch die Erwerbstätigkeit gemeint ist, stammt es ursprünglich von ‘Berufung‘ ab. Du hast deine längst gefunden, Severus.“

Am Lehrertisch angelangt setzte sich Severus wie üblich zwischen Remus und Harry, die ihn beide grüßten. Harry widmete sich gleich darauf seinem Frühstück in einer Menge und Geschwindigkeit, dass er damit sehr an die damaligen Essgewohnheiten von dem jungen Mr. Weasley erinnerte, dachte Severus.

„Bekommen Sie nicht genügend zu essen oder warum schlingen Sie so?“, stichelte er.
„Ich trainiere wieder regelmäßig Quidditch! Und das jeden Tag. Da bekommt man nun einmal Hunger“, verteidigte Harry den Berg an gebratenem Speck und Eiern, der schon an manchen Stellen über den Tellerrand hinübertrat.
So nebensächlich wie nur möglich fragte Severus: „Sie werden heute Abend auch zu Gast bei den Malfoys sein?“
Harry nickte, denn mit vollem Mund sprach man nicht. Nachdem er geschluckt und mit Kürbissaft nachgespült hatte, bestätigte er nochmals verbal. „Ja, wir sind auch eingeladen. Bin schon gespannt, wenn ich ehrlich bin.“
„Das dürfen Sie auch sein. Ich vermute, Dracos Vater wird sich nicht zurückhalten, die ein oder andere spitze Bemerkung fallen zu lassen – so gut in Worte gepackt, dass man sich erst Stunden später über seine Äußerungen ärgern wird, wenn man endlich begriffen hat.“
Harry verzog das Gesicht. „Glauben Sie wirklich, dass er uns gegenüber so sein wird?“
„Ich weiß es nicht. Angesichts der Tatsache, dass Sie, Harry, nie zu seinen bevorzugten Gesprächspartnern gehört haben, könnte es durchaus möglich sein, dass er Ihnen seine Ablehnung auch offen zeigt.“
Einen Moment war Harry in sich gegangen, bevor er den Kopf schüttelte. „Das kann ich nicht glauben, aber nett von Ihnen, dass Sie mich warnen.“

Die ganze Zeit über kämpfte Severus gegen den Impuls an, sich an diesem unterrichtsfreien Samstag nicht schon gegen Mittag bei Hermine einzufinden. Albus würde ihm nur wieder seltsame Gespräche aufzwängen, sollte der davon erfahren. Dieses drängende Gefühl zog ihn immerhin aus den Kerkern hinaus an die Oberfläche. Der Hund begleitete ihn. Sein Weg führte ihn um das noch immer eingeschneite Schloss herum, doch auf dem Boden taute der Schnee langsam. Die Sonne war seit einigen Tagen mit ihren warmen Strahlen vertreten und lockte die ersten Krokusse aus dem gut gewässerten Boden. Schwertliliengewächse.

Der Hund führte ihn in die Nähe der Gewächshäuser. In einem arbeitete jemand, denn Severus konnte die Silhouette eines Mannes erkennen. Das ungewohnte Bedürfnis nach Geselligkeit ließ ihn an die Tür des Glashauses klopfen, bevor er eintrat. Neville schien im ersten Moment erschrocken, aber nicht wegen Severus, sondern weil überhaupt jemand um diese Zeit hier vorbeikam.

„Severus.“ Neville nickte ihm grüßend zu. Um weitere Worte war er offensichtlich verlegen.

Mit interessiertem Blick betrachtete Severus die vielen bunten, hochwachsenden Blumen, die Neville mit seinem speziellen Dünger im Februar zum Blühen gebracht haben musste. Einen Moment später fand sich Severus in einem anregenden Gespräch über Pflanzen wieder, in welchem Severus unterschwellig die Zukunftspläne des angehenden Kräuterkundlers zu erfahren versuchte, weswegen er das Gespräch geschickt in entsprechende Richtung lenkte. Man könnte es als Neugier betrachten, aber auch als Übung für die arglistigen Unterhaltungen, die er heute Abend voraussichtlich mit Lucius führen würde.

Gegen 18 Uhr wollte er Hermine abholen, weswegen er eine Stunde früher das interessante Gespräch mit Neville beendete, um gleich im Anschluss Hagrid aufzusuchen. Er wollte Harry in der Obhut des Halbriesen lassen, was ganz nach Fangs Geschmack zu sein schien. Hermine wäre sicherlich nicht böse, dachte Severus, wenn er sie schon ein Stündchen früher aufsuchen würde.

Besagte Dame stand gerade vor dem Spiegel und hielt sich die wenigen Kleider an, die sie in ihren Schränken finden konnte. Das vom Weihnachtsball in der vierten Klasse war nicht nur zu schmal, sondern auch ein wenig zu elegant für den heutigen Abend. Die Fetzen von dem Kleid, welches sie auf Sirius‘ Hochzeit getragen hatte, waren längst im Müll gelandet und an jenes, welches sie als Trauzeugin getragen hatte, konnte sich vermutlich noch jeder erinnern. Sie wollte keinesfalls den Eindruck erwecken, sie würde keine angemessene Kleidung für einen vornehmen Abend aufweisen, aber leider entsprach genau das den Tatsachen. Das einzige Kleid, das sie heute tragen könnte, war das, welches ihr Severus für die Veranstaltung geschenkt hatte. Sie seufzte und betrachtete dabei die blauen Seidenfalten des überraschenden Geschenkes von letzter Woche. Nur Severus würde wissen, dass sie es erst vergangenen Samstag getragen hatte und er, der merkwürdigerweise viel über den Inhalt ihrer Kleiderschränke zu wissen schien, würde bestimmt mit Verständnis reagieren, sich vielleicht sogar geschmeichelt fühlen.

Sie schlüpfte in das blaue Seidenkleid und machte sich die Haare mit dem Zauber zurecht, den sie von Narzissa abgeschaut hatte, doch er gelang ihr nicht einmal halb so gut. Trotzdem gefiel sie sich. Ihr Vater würde sagen, sie würde fesch aussehen, aber er schmeichelte er immer, egal wie sie aussah.

Nebenan hörte sie den Kamin knistern. Es folgte das Geräusch von Schritten. Severus war da. Auf ihr Bauchgefühl konnte sie sich verlassen, denn sie hatte geahnt, dass er früher kommen würde. Sie war bereits fertig angekleidet.

„Hermine?“, hörte sie ihn im Flur rufen. Fellini sprang sofort vom Bett und rannte zur geschlossenen Tür hinüber. Severus war höflich genug, nicht einfach ungefragt die Räume abzugehen.
„Ich bin gleich bei Ihnen.“

Sie warf einen kritischen Blick in den Spiegel vor sich, der sie sehr an Nerhegeb erinnerte, doch andererseits musste sie beim Anblick jeden Spiegels sofort an den denken, der ihr ihren Herzenswunsch gezeigt hatte. Einen Teil dieses Wunsches hatte sie sich letzte Woche nach der Versammlung erfüllt. Sie musste ihm nur noch die Arbeit in der Apotheke schmackhaft machen.

Ihr Äußeres befand sie als dezent elegant und nicht zu auffällig. Trotzdem sie ihrer Meinung nach noch immer zu viel auf den Hüften hatte, fand sie sich hübsch. Als sie auf den Flur hinausging, hatte sich ein zufriedenes Lächeln in ihrem Gesicht niedergelassen, mit dem sie Severus begrüßte. Sie musste lachen, als sie ihn erblickte. In einer Hand hielt er einen auffällig üppigen Strauß mit Blumen, deren riesigen aufgeplusterten Blüten eine wahre Augenweide darstellten. Mit der anderen Hand drückte er zwei in Geschenkpapier gewickelte Pralinenschachtel an seinen Körper, während aus den beiden Taschen seines Umhangs die verpackten Hälse von zwei in Papier gehüllten Flaschen – vermutlich Feuerwhisky – herausragten.

„Haben Sie vielleicht eine Tasche?“, fragte er peinlich berührt.
„Natürlich, kommen Sie doch mit ins Wohnzimmer.“

Die Geschenke für die Malfoys ließ Hermine nacheinander in eine große Tasche verschwinden. Hermine hockte auf dem Boden und verstaute erst die Flaschen und Pralinenschachteln, bevor sie ihre Hand nach den Blumen ausstreckte, die er hielt. Plötzlich hielt er ihr einen Strauß entgegen, hatte aber noch immer einen in der Hand. Weil die Blumen optisch ineinander übergegangen waren, hatte sie sie als einen Strauß wahrgenommen. Den einen stellte sie vorsichtig in die äußerste Ecke der Tasche, den anderen, den er ihr reichte und den sie ohne aufzuschauen entgegennahm, in die andere. Jede Dame im Hause Malfoy würde einen Strauß und eine Süßigkeit erhalten, die beiden Herren eine Flasche guten Whisky.

Als Hermine aufstand, stutzte sie, denn Severus hielt noch einen dritten Strauß in der Hand. Das letzte Drittel des vermeintlich üppigen Straußes konnte sie keinem Gastgeber mehr zuordnen, doch es war nicht nötig, sich Gedanken darüber zu machen. Severus brachte Licht ins Dunkel.

„Der ist für Sie, Hermine“, sagte er mit verhaltener Stimme, während er darauf wartete, dass sie die Blumen nehmen würden. Perplex griff sie zu. Sie kam nicht drumherum, ihre Nase in die Blüten zu tauchen.
„Was sind das für welche?“
„Ranunkeln.“
„Wo …?“ Sie musste einmal kräftig schlucken. „Wo haben Sie die zu dieser Jahreszeit her? Werden die nicht erst ab Mai gesät?“
„Ich habe Beziehungen spielen lassen“, erwiderte er scherzend. „Es gibt da jemanden, den wir beide kennen, der wirklich ein Händchen für Pflanzen hat.“ Deutlicher musste er nicht werden, denn sie dachte bereits an Neville. „Aber ich versichere Ihnen, dass ich die Blumen erworben habe, obwohl ich mir sicher bin, er hätte sie mir auch so gegeben.“
„Vielen Dank, Severus.“
„Gern geschehen.“ Die Situation war momentan viel zu ernst, weswegen er anfügte: „Wenn Neville in der Kräuterkundelehre versagen sollte, was ich nicht glaube, dann würde er einen bewundernswerten Floristen abgeben.“
„Ja“, sie lachte auf, „da behalten Sie wohl Recht.“

Den Strauß hatte sie auf den kleinen Tisch im Wohnzimmer in eine uralte Vase gestellt, deren hässliche Schnörkelei gar nicht mehr zu sehen war, denn man guckte automatisch auf die rosafarbenen und roten Blüten, deren Blätter breit waren und eng aneinander gereiht. Sie wirkten wie Rosen, die viel zu viele Blütenblätter hervorgebracht hatten. Nicht umsonst bezeichnete man Ranunkeln als die Rosen des Frühlings.

„Wissen Sie noch, Severus“, begann sie, als sie den Strauß bewunderte, „als Sie zu Ihrem Geburtstag von der Blumensprache der Muggel gesprochen haben? Ich habe mir ein Buch darüber gekauft. Es klang interessant.“
„Tatsächlich? Dabei hatte ich, wenn ich mich recht entsinne, diese Blumensprache als Unsinn bezeichnet. Genauso ein Unsinn wie die angebliche Bedeutung von Trankzutaten.“
„Ich fand den Gedanken schön.“
„Glauben Sie mir bitte, dass ich keinesfalls eine versteckte Botschaft zum Ausdruck bringen wollte.“ Weil sie ihn fragend anblickte, erklärte er: „Wenn rote Ranunkeln unter Umständen bedeuten würden, Sie könnten sich zum Teufel scheren, dann nehmen Sie das bitte nicht ernst. Ich bin nicht sehr vertraut mit diesen Dingen. Meine Mutter hatte damals …“ Seine Gedanken drifteten ab, weswegen er diesen Satz nicht beenden konnte, doch er fing sich wieder. „Sie fand Gefallen an diesem Un…“ Die Vorlieben seiner Mutter wollte er nicht in den Schmutz ziehen. „An solchen alten Überlieferungen. Einiges habe ich mitbekommen, aber die vermeintliche Bedeutung von Ranunkeln ist mir fremd. Das nur als Warnung, falls Sie es nicht lassen können, in Ihrem Buch zu blättern und Ihnen nicht gefallen sollte, was Sie finden.“ Am Ende hatte er wieder seine alte, freundlich spöttelnde Art zurückerlangt, die sie zum Lachen brachte.
„Es wird Zeit, Severus. Wollen wir gemeinsam flohen?“

Die beiden flohten mit der Tasche voller Geschenke nach Malfoy Manor, in welchem sich Lucius in sein Schlafzimmer zurückgezogen hatte. Narzissa wusste nicht, wie sie ihn dazu bewegen konnte, die Gäste wenigstens zu begrüßen.

„Was soll ich sagen, warum du uns keine Gesellschaft leistest?“
Er schnaubte genervt. „Sag Ihnen, allein schon bei dem Gedanken daran, sie als Gäste meines Hauses …“
„Lucius, bitte.“
Er seufzte, bevor er kühl eine Ausrede zum Besten gab. „Sag ihnen, ich bin unpässlich. Das muss reichen. Es wird wohl niemand eine Krankenakte von mir anfordern.“ Gelassen lehnte er sich in seinen kostbaren Stuhl zurück und spielte mit einer Seite des Tagespropheten, den er vorgaukelte zu lesen.
„Severus wird auch da sein. Möchtest du ihn gar nicht sehen?“
„Was hätten wir uns zu sagen? Weil er bei Voldemort in Ungnade gefallen ist, musste ich büßen und zwar bis zum Ende! Soll ich ihm das vorwerfen? Lust darauf hätte ich! Ich könnte ihm auch anlasten, dass er es besser hätte vertuschen müssen, auf wessen Seite er wirklich stand.“ Sie wollte etwas dagegenhalten, doch er ergriff schneller das Wort und fragte: „Und was würde er wohl mit mir zu besprechen haben? Glaubst du, mich interessieren die Details der Hirnwäsche, die er bei meinem Sohn ganz offensichtlich angewandt hat, während er ihn lediglich schützen sollte? Ich bezweifle ebenfalls, dass er Interesse an meinen Schilderungen haben wird. Die letzten Jahre bei Voldemort waren kein Zuckerschlecken.“
„Vielleicht“, begann Narzissa vorsichtig, „könntest du mit ihm über die Dinge sprechen, die die Gegenwart betreffen.“
„Oh“, machte er spöttisch. „Da hätte ich wohl viel zu erzählen. Dass ich mein Augenlicht verloren hatte, das weiß er. Es würde ihm wohl sehr gefallen zu hören, wie schmerzhaft die Behandlung war. Was gibt es noch? Durch einen findigen Beistand konnte ich Askaban entkommen“, er erhob seine Stimme, „nur um jetzt vor dem absoluten Nichts zu stehen! Ich habe NICHTS, Narzissa und ich werde ihm nicht die Genugtuung bereiten, sich daran ergötzen zu können.“
„Du hast mich.“ Es war nur ein Flüstern gewesen, doch er hatte sie vernommen: die traurigen Worte, die ihm ihre Unterstützung zusichern sollten.

Er musste die Augen schließen, um sich zu beruhigen, denn Narzissa wollte er um nichts in der Welt anherrschen.

„Du“, seine Stimme war die eines gebrochenen Mannes, „bist das Einzige, das ich überhaupt noch habe.“
„Ich hätte dich so gern an meiner Seite, Lucius.“
Entkräftet schüttelte er den Kopf. „Rechne nicht mit mir.“

Einen Moment lang hoffte Narzissa, er würde sich umentscheiden, doch er schüttelte immer wieder den Kopf, als würde er im Zwiespalt mit sich selbst stehen und Argumente, die er im Geiste anführte, zerschlagen.

Betrübt ging Narzissa zur Tür hinüber, um sich nach unten zu begeben. Die Gäste würden jeden Moment kommen.

„Ich wünschte nur“, sie drehte sich noch einmal um und sah ihm in die Augen, „dass du lieber an das denken würdest, das du jetzt hast und nicht an die Dinge, die einmal waren.“

Sie verließ das Schlafzimmer und ließ Lucius mit seinen Gedanken allein.

Nachdem eine halbe Stunde später alle Gäste eingetroffen waren, entschuldigte Narzissa ihren Gemahl. Niemand nahm ihr ab, dass Lucius sich nicht wohl fühlen würde, aber niemand nahm ihr wiederum übel, dass sie ihn schützte. So war wenigstens vorhersehbar, dass der Abend nett werden würde. Die Frauen hatten sich allesamt in die Küche begeben, um das Essen anzurichten. Hermine war wenige Minuten später zurück im grünen Salon und wurde von Draco, Harry und Severus skeptisch beäugt.

„Man ist der Meinung, man benötigt meine Hilfe nicht“, erklärte sie verlegen. Sie hatte sich nicht einmal zum Nachwürzen der Suppe geeignet, denn sie hatte sie versehentlich versalzen, weswegen Susan sie freundlich wegen ihrer Kochkünste erst auf den Arm nahm und dann vom Küchendienst suspendierte. Harry, der Nicholas auf dem Arm trug, grinste in sich hinein. Er kannte Hermines Unbeholfenheit auf diesem Gebiet. Draco lenkte zum Glück ab, denn Hermine war das Thema unangenehm.

„Wie wäre es mit einem Aperitif: Sherry, Portwein oder Madeira?“

Man verkürzte sich nicht nur mit einem alkoholischen Getränk die Zeit bis zum Essen, sondern auch mit netten Unterhaltungen, die alles Mögliche beinhalteten, nur nicht den ehemaligen Herrn des Hauses. Der hatte sich in seinem Schlafzimmer verbarrikadiert und machte es den Gästen gleich, indem er einen Drink zu sich nahm – eigentlich schon ein paar mehr. Aus dem Keller hatte er sich einen 82er Mouton Rothschild stibitzt. Diesen Rotwein plump als „Drink“ zu bezeichnen stellte eine persönliche Beleidigung an Dionysos dar, doch die Flasche, die er damals erworben hatte, um seinem Sohn eines Tages ein schönes Geschenk machen zu können, wenn beispielsweise der erste Nachkomme das Licht der Welt erblickt hätte, würde sonst nur verstauben. Außerdem hatte er heute sehr wenig gegessen, weswegen der edle Tropfen nur noch besser schmeckte, vor allem aber schneller zu Kopf stieg. Trotzdem schaffte Lucius es nicht, die vielen Stimmen in seinem Oberstübchen zu überhören. Eine davon war die Stimme seiner Frau, die ihn zu sich rief. Eine andere war die von Severus, die ihn auslachte. Die von Narzissa gewann Überhand. Lucius‘ Herz sah sich dazu verpflichtet, seiner Frau zur Seite zu stehen und so erhob er sich, hielt sich kurz den Kopf, weil sich alles drehte, griff sich seinen Gehstock und schwankte zur Tür hinüber.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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Rest von Kapitel 184

Im grünen Salon, wo sich die Gäste nach dem Essen aufhalten sollten, wollte er mit seinem plötzlichen Erscheinen Aufsehen erregen, doch er hörte schon von weitem das Geplärr von Babys, die sich gegenseitig im Weinen übertrumpfen wollten. Wie er befürchtet hatte, wurde er gar nicht beachtet, nachdem er die Tür aufgeworfen und sich im Rahmen positioniert hatte. Niemand blickte zu ihm hinüber. Stattdessen versuchten fast alle, die beiden Kinder mit klimpernden oder glitzernden Gegenständen so abzulenken, dass sie ihre Tränen vergessen würden. Nur Severus stand abseits und beobachtete das Spektakel mit einer Mischung aus Abscheu und Verlegenheit, ließ derweil den Blick schweifen und traf auf den von Lucius. Wie in Zeitlupe hob sich einer der Mundwinkel in spöttischer Vorfreude. Lucius versuchte, diese Mimik nachzuahmen, bevor er seinem alten Bekannten grüßend zunickte.

Noch immer wurde er von keinem der anderen beachtet, konnte sich daher majestätisch an einem der dunkelgrün gepolsterten Stühle in Position bringen. Mit einer Hand ergriff er die Stuhllehne, mit der anderen hielt er lässig seinen Gehstock, bis endlich einer der Gäste ihn bemerkte.

„Oh“, machte Harry als Erster. „Guten Abend. Ich hoffe, es geht Ihnen besser, Mr. Malfoy.“ Spätestens jetzt blickte ihn jeder an, sogar die beiden Babys im Schoß ihrer auf der Couch sitzenden Mütter. Es ging Lucius gegen den Strich, dass dieser Rotzbengel so höflich formuliert gegrüßt hatte.
„Guten Abend, Mr. Potter“, warf er ihm mit einem schmierigen Lächeln entgegen. „Danke der Nachfrage. Ich fühle mich“, er hielt inne, weil er aufstoßen musste, was zum Glück niemand vernahm, „schon viel besser.“

Reihum wurde er von jedem zwar nicht überschwänglich freundlich, aber wenigstens achtungsvoll begrüßt. Die kleine Weasley konnte seinem Blick zwar nicht lange standhalten, stellte ihm dennoch das vermutlich gemeinsame Kind vor, das ihrer Beziehung zu Potter entsprungen sein musste, wie Lucius vermutete. Dann war da dieses Schlammblut, dachte er abfällig, die es auch noch wagte, ein traditionell aus der Zaubererwelt stammendes Kleid für feine Anlässe zu tragen und ihm damit einen Grund nahm, eine zweideutige Bemerkung fallenlassen zu können. Die Schwiegertochter, dachte er stöhnend, war wie immer lieb und zuvorkommend, so dass er sich fragte, ob man ihm den plötzlichen Drang, sich übergeben zu müssen, wohl übel nehmen würde. Sein Blick fiel auf seinen Sohn. Stolz stand er an Susans Seite, hatte eine Hand auf ihre Schulter gelegt, um ihre Zusammengehörigkeit jedem unter die Nase zu reiben. Lucius zog missgelaunt das Gesicht.

„Möchtest du noch etwas essen?“, fragte seine Frau besorgt. Offensichtlich war er etwas grün um die Nase geworden.
„Nein, meine Liebe.“ Sein Blick erhaschte die Flasche auf dem Tisch. „Nur einen Schluck Sherry vielleicht?“ Gerade wollte Narzissa ihrem Gatten den Wunsch nach mehr Alkohol erfüllen, da legte Severus sein Veto ein, denn er hatte ein Geschenk in der Hand und kam auf Lucius zu. Arrogant zog Lucius eine Augenbraue in die Höhe und fragte, während er einmal mit dem Knauf seines Gehstocks auf das Geschenk deutete: „Ah, der höflichkeitshalber ein kleines Mitbringsel?“
„Ganz recht, Lucius.“ Mehr Worte benötigte Severus nicht, das Geschenk erfolgreich an Lucius abzutreten, der es sofort auspackte.
„Ogdens Old Feuerwhisky. Das hätte ich mir denken können. Vielen Dank.“ An seine Frau gerichtet bat Lucius um ein entsprechendes Glas, denn der Whisky könnte ihm den Abend erträglicher gestalten.

Mit der Flasche hatte er sich auf einen Zweisitzer zurückgezogen, um die Gäste im Blick zu behalten. Schon nach dem ersten Schluck des rotgoldenen Getränks spürte er die Entspannung durch den Alkohol, die auch dazu führte, dass seine motorischen Fähigkeiten mehr und mehr zu wünschen übrigließen. Lucius rechnete nicht damit, dass jemand anderes als seine Frau ihm auf der Couch Gesellschaft leisten würde. So ließ er sich dazu hinreißen, das Treiben der Gäste und seiner Familie heimlich zu beobachten und natürlich bemerkte er auf diese Weise die auffällig unauffälligen Blicke, die sie ihm zuwarfen. Sie hatten keine Furcht vor ihm, was ein überaus ernüchterndes Erlebnis für Lucius darstellte. Stattdessen schienen sie ihn zu bemitleiden und das gefiel ihm ganz und gar nicht.

„Mr. Malfoy?“

Erschrocken fuhr Lucius zusammen, als neben ihm Potter Platz genommen hatte und ebenfalls ein Geschenk in den Händen hielt, unter dessen Papier sich unverkennbar eine Flasche abzeichnete. Er zögerte, nahm die Flasche jedoch an, als der junge Mann sie ihm schon fast in den Schoß legte.

„Wie komme ich zu dieser Ehre?“, näselte der leicht beschwipste Lucius einigermaßen verständlich.
„Man muss doch die Form wahren“, gab ihm der Bengel frech grinsend zurück. Lucius hatte es sich einfach gemacht und das Papier mit dem Zauberstab verschwinden lassen. Er fand es unerhört, dass Potter ihm ein Geschenk machte, an dem er rein gar nichts auszusetzen hatte. Ein 92er Elfenwein. Lucius beäugte die Flasche Feuerwhisky, die er von Severus bekommen hatte. Es fehlte nur ein Drittel, ansonsten hätte er auf der Stelle Potters Geschenk verköstigt.
„Ich muss Ihnen wohl meinen Dank aussprechen.“ Auch nur höflichkeitshalber, aber das fügte er selbstverständlich nicht hinzu. Man könnte es höchstens heraushören, dass ihm die offensichtlich von beiden Seiten vorgespielte Freundlichkeit gegen den Strich ging. Doch er wollte höflich bleiben – wollte nicht als derjenige dastehen, der sich danebenbenommen hätte.
„Genießen Sie ihn“, sagte Potter, „es ist ein sehr guter Jahrgang gewesen.“

Und wie er genoss, zumindest den Alkohol, wenn schon nicht den Abend. Lucius, vom 82er Mouton Rothschild schon gut angesäuselt, hielt sich an seinem Freund Mr. Ogdens fest, während er die Damen bei ihren Gesprächen über Quidditch und Selbstständigkeit und die Herren beim verbalen Kräftemessen beobachtete, denn die führten eine hitzige Diskussion über die Gesetze der Zaubererwelt. Dahin war die Zeit, dachte Lucius, als Damen sich noch über Familie, Haushalt und Garten unterhielten. Doch dann erregte ein unvorhergesehener Themenwechsel bei den Damen seine Aufmerksamkeit. Seine Schwiegertochter war ganz begeistert davon, wie der Balg der Weasley nach den kleinen Stofftieren griff und schon in einem Alter war, dass er mit beiden Händen jeweils eines halten konnte. Besonders angetan war sie von den tänzelnden Bewegungen der kleinen Beine, als Miss Weasley – oder war sie bereits Mrs. Potter? – den Kleinen ein wenig anhob, so dass er wie von selbst erst Schrittbewegungen ausprobierte. Das Einzige, was Charles schon konnte, war, Gegenstände mit den Augen zu fixieren und manchmal die kleinen Händchen offen zu halten, anstatt zu einer Faust geballt. Maximal ein halbes Jahr Altersunterschied und doch waren die beiden Entwicklungsstadien schon sehr gut zu unterscheiden.

„Lucius, es ist lange her.“
Lucius drehte seinen Kopf, musste dann ein paar Mal blinzeln, damit der Raum stehenblieb. „Sev’rus.“ Es störte den Angesprochenen nicht, dass ein „E“ aus seinem Vornamen abhanden gekommen war. „Setz dich doch, mein alter …“
„Freund?“, schlug Severus argwöhnisch als mögliche Bezeichnung vor.
Lucius fixierte Severus mit seinen grauen Augen, doch kam zu der Erkenntnis, dass die Babys das momentan besser konnten als er, denn die Sicht schien ein wenig vernebelt. „Freund?“, wiederholte er nachdenklich.
„Genießt du den Whisky?“
„Den Whisky durchaus. Die Gesellschaft könnte nur etwas angenehmer sein.“ Seine Worte unterstreichend ließ er seinen Blick über die Anwesenden schweifen. Severus tat es ihm gleich. „‘s hat mich gewundert“, lispelte Lucius, weil seine Zunge sich sämtlichen Befehlen des Gehirns entzog, „dass du nicht der Pate geworden bist. Hast deinen Job“, abfälliger hätte er es nicht betonen können, „bei Draco ja bestens erledigt.“
„Ich habe das getan, worum Narzissa mich gebeten hat. Es war auch zu deinem Wohl.“

Verächtlich schnaufte Lucius, behielt danach im Hinterkopf, nicht noch einmal schnaufen zu dürfen, bevor er sich nicht die Nase geputzt hatte. Von der Couch gegenüber drang erneut Babygeschrei, das bei fortgeschrittenem Alkoholkonsum nur schwer zu ertragen war. Er stöhnte.

„Sind Kinder nicht ein Segen?“, spottete Severus, dem nicht entgangen war, wie ohrenbetäubend das Geschrei im Gehör seines Gesprächspartners dröhnen musste.
Wieder stöhnte Lucius, bevor er murmelte: „Herrje, wann ist denn endlich mal Ruhe?“

Sein Blick wanderte durch den Raum hinüber zum Kamin. Dort hing ein Bild von Narzissa, ihm und Draco als Baby. Vor etlichen Jahren hatte er das Bild stumm gemacht, weil nicht nur ihm das ständige Wimmern und Weinen aus dem Gemälde mit der Zeit zu viel geworden war. Jetzt hatte er eine in seinen Augen fabelhafte Idee. Er zückte seinen Zauberstab, den er im Gehstock bei sich hatte. Severus zuckte deswegen kurz zusammen und legte eine Hand auf seine Brust, auf seinen Zauberstab. Die Sorge war umsonst, denn Lucius richtete den Stab auf das Gemälde über dem Kamin und sprach: „Finite Incantatem.“

Dem Geheule der beiden Babys gesellte sich das des Gemäldes hinzu. Das Bildnis des gerade mal fünf Monate alten Draco schrie sich die Seele aus dem Hals.

„Vater, was soll das?“, fragte sein Sohn ohne hörbaren Vorwurf.
Mit spitzbübischer Miene erklärte Lucius: „Ich dachte nur, es würde zur allgemeinen Stimmung passen.“

Draco hatte das Gemälde mit einem Wutsch wieder verstummen lassen. Lucius indes lachte in sich hinein, griff gleich darauf zur Flasche.

Die belehrende Stimme von Severus war zu vernehmen, der wissen wollte: „Meinst du nicht, du hattest genug?“
„Ich habe noch lange nicht genug.“ Großzügig schenkte sich Lucius das Glas Whisky ein. „Oh, da hab ich wohl meine Manieren vergessen. Darf ich dir auch einen anbieten?“
„Nein danke, ich sehe lieber dabei zu, wie du deine Grenzen austestest.“ Severus betrachtete Lucius mit einem Schmunzeln, bevor er die erste Provokation vom Stapel ließ. „Wie ich erfahren habe, hat Draco einige deiner ehemaligen Geschäftspartner übernommen.“
„So?“ Davon hatte sein Sohn ihm noch nichts erzählt, was aber daran lag, dass sie sich aus dem Weg gingen.
„Ja, er vergibt Darlehen und beteiligt sich an Vertragsabschlüssen von jungen Unternehmen, um Gewinne zu sichern. Ganz der Vater, meinst du nicht auch?“ Das linke Augenlid von Lucius zuckte bereits. „Des Weiteren ist mir zu Ohren gekommen, dass er demnächst ein bekanntes Quidditch-Team sponsern wird. Bei Spielen kann er einen Teil der Werbeflächen an seine Geschäftspartner vermieten, womit er nochmals Umsatz macht. Eigentlich müsste er sich nur noch zurücklehnen“, Severus lehnte sich gemütlich zurück, „und im Kreise seiner Familie auf die Galleonen warten.“ Er bemerkte, sie Lucius die Lippen zusammenkniff, weswegen er noch einen drauflegte. „Und das ganz ohne Wucherpreise oder Geldeintreiber.“
„An meinen Geschäftsmethoden war nie etwas falsch!“
„Deine Geschäftspartner hatten Angst vor dir.“
Lucius schüttelte den Kopf. „Nicht, wenn sie sich an alle Abmachungen gehalten haben.“

Als Lucius einen Schluck Whisky nahm, blickte Severus zu Hermine hinüber, die immer wieder zu ihm schaute. Vielleicht machte sie sich Sorgen oder sie war nur neugierig, was er mit Lucius zu besprechen hätte.

„Was hast du nach deiner Freilassung vor, Lucius? Da du dich nicht mehr um geschäftliche Belange kümmern musst, steht dir sicherlich viel Freizeit zur Verfügung.“
„… weil ich mich nicht mehr um geschäftliche Belange kümmern muss …“, murmelte Lucius missgelaunt. Natürlich musste er sich nicht mehr darum kümmern, denn Draco hatte ihm alles aus der Hand gerissen. „Weiß‘u, Severus, so wie sich das entwickelt“, er deutete auf Susan und Draco, „werden die Malfoys bald keine geachtete Zaubererfamilie mehr sein, sondern nur eine von vielen.“
„Und eine der reichsten, daran wird sich nichts ändern.“
Lucius verkniff es sich zu schnaufen, denn er hatte sich noch nicht die Nase geputzt. „Man bewilligt uns nicht einmal einen Hauself!“ Er klang empört und Severus übernahm diesen Tonfall.
„Nein wirklich? Wie unerhört!“
„Mach dich nicht über mich lustig!“
„Vielleicht bewilligte man keinen Hauself, weil der Antrag von dir stammte und nicht von Draco, schon einmal darüber nachgedacht?“, hielt ihm Severus vor Augen und genau das, stimmte Lucius innerlich zu, konnte durchaus der Grund sein. Seine Meinung behielt er für sich. „Du könntest deinen Namen“, begann Severus, „auf andere Weise reinwaschen.“ Hier horchte Lucius interessiert auf. „Du hast früher oft und gern dem Mungos eine Spende zukommen lassen. Es gibt aufgrund des Krieges eine in der Zaubererwelt völlig neuartige Einrichtung, für die man zuvor keine Notwendigkeit sah.“
Lucius zog die Augenbrauen in die Höhe und überlegte, konnte sich jedoch nicht vorstellen, was Severus meinen könnte. „Und welche wäre das?“
„Ein Heim für Waisenkinder. Für die wohl unschuldigsten Opfer von Voldemorts“, Lucius verzog das Gesicht, „Kriegsführung.“

Es wäre eine nette Idee, dachte Lucius. Würde er in der Öffentlichkeit als wohlhabender Gönner einer solchen Einrichtung in Erscheinung treten, könnte sich das Bild, das man von ihm hatte, schnell wandeln. Die Gesellschaft könnte ihm unter Umständen viel schneller abkaufen, dass er selbst ohne eigenes Verschulden in Voldemorts Reihen gestolpert war. Da war nur eine wichtige Sache, die ihm diese Idee durchkreuzte.

„Du vergisst wohl, dass ich in diesem Haus nur noch geduldet bin. Selbst wenn ich wollte, könnte ich so ein Heim gar nicht unterstützten.“ Lucius verfluchte sich. Er hatte vor Severus nie preisgeben wollen, dass er weder Geld noch anderen Besitz sein Eigen nennen konnte, doch andererseits würde Severus das sicherlich längst durch Draco wissen.
„Dann such deinen Sohn in dieser Angelegenheit auf. Er wäre der Letzte, der dir so ein Vorhaben nicht gestatten würde.“

Dieser Vorschlag widerstrebte Lucius. Er müsste Draco bei allen finanziellen Angelegenheiten fragen, auch ob er die vom Ministerium auferlegte finanzielle Wiedergutmachung vom malfoyschen Verlies überweisen könnte, aber bisher hatte er nicht den Mut gefunden, seinen Sohn daraufhin anzusprechen. Er hoffte nur, es würde demnächst keine Mahn-Eule aufgrund des noch offen stehenden Betrages einfliegen.

Nach einer Weile, die sie mit unterschwelligen Sticheleien, aber auch ernsthaften Themen verbrachten, stand Lucius wankend auf, so dass Narzissa unauffällig zu ihm eilte und ihren Arm unter seinen hakte. Sie gab ihm Halt.

„Lucius, möchtest du nicht doch lieber etwas essen? Nur eine Kleinigkeit?“
„Nein, meine Liebe, vielen Dank. Ich wollte mir nur ein wenig die Beine vertreten“, erwiderte er, doch er musste feststellen, dass seine Gliedmaßen ihm nicht aufs Wort gehorchten. „Ein wenig frische Luft wäre schön. Der Wintergarten …“ Er blickte hinüber zu dem Ort, an welchem sein Sohn getraut worden war. Entsprechendes Bild hatte er während seines Aufenthalts im Mungos in der Zeitung gesehen. „Nur etwas frische Luft“, säuselte er angetrunken.
„Lass nur, Narzissa“, Severus erhob sich, „ich werde ihm Gesellschaft leisten.“ Genauso gut hätte er sagen können, er würde darauf achten, dass Lucius nicht stürzen würde.

Unter den wachsamen Augen der anderen Gäste gingen Severus und Lucius, der seinen Stock im alkoholisierten Zustand mehr denn je benötigte, hinaus aus dem grünen Salon. Der Wintergarten war nur durch Glas vom Raum getrennt. Die Luft war kühl und frisch, machte Lucius aber nur beschränkt nüchtern. Die Gäste drinnen konnte man noch alle sehen, aber deren Gespräche drangen nur als unverständliches Gemurmel in den Wintergarten.

„Wie ich hörte, bist du wieder in Hogwarts tätig.“
Zustimmend erwiderte Severus: „Ganz recht. Ich habe meine alte Position als Zaubertränkelehrer inne.“
„Wieso als Lehrer für Zaubertränke? Weshalb nicht, wie du es immer wolltest, als Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste?“ Lucius war froh, dass seine Zunge wieder mitspielte und er die Worte nicht lallend aussprach.
„Was würde mir ein Beruf bringen, der mich tag ein, tag aus an die schlechten Abschnitte meines Lebens erinnert? Gegen Dunkle Künste habe ich mich lange genug zur Wehr setzen müssen.“
„Ah“, machte Lucius und es hörte sich tatsächlich verständnisvoll an. „Ich kann das gut verstehen. Andererseits warst du ja ‘unterwegs‘, hast dich mit Draco an dem Abend in Hogwarts seitlich in die Büsche geschlagen und warst mit einem Male auf und davon. Hast du eine Ahnung, wie lange wir auf dich und ihn gewartet haben? Jede einzelne Minute wurde das Gefühl in mir, von meinem eigenen Sohn im Stich gelassen worden zu sein, stärker. Voldemort schoss bereits seine Giftpfeile in meine Richtung ab und als klar war, dass wir mit euch nicht mehr rechnen konnten, da …“

Die schlimmen Erinnerungen an den Moment, in welchem Voldemort ihn vor allen anderen Todessern als Verräter abgestempelt hatte, der womöglich genau wusste, was Severus und Draco geplant hatten, ließ ihn für einen Augenblick die Augen schließen.

„Was ist passiert?“, hörte er Severus fragen, weswegen er die Augen wieder öffnete.
„Kannst du es dir nicht denken? Voldemort war nicht gerade begeistert davon, dass du, für den ich mich damals auch noch verbürgt habe, dich zusammen mit meinem Sohn von ihm abgewandt hast. Was glaubst du wohl, wie er mir seinen Jähzorn entgegengebracht hat?“ In Lucius‘ Gesicht war aufschäumende Wut zu erkennen, doch die richtete sich gegen den verblichenen Dunklen Lord. „Bis heute habe ich Rückenprobleme durch die Flüche, mit denen er mich malträtiert hat. Seiner ‘Gnade‘ habe ich es zu verdanken, noch am Leben zu sein. Für die Drecksarbeit war ich noch gut genug, während ihr beide euch ein schönes Leben gemacht habt.“
„‘Schön‘ war es ganz sicher nicht. Mehr als nur einmal sahen Draco und ich dem Tod ins Auge, sei es durch Auroren, durch euch oder einfach nur durch den Winter.“ Lucius runzelte die Stirn, woraufhin Severus deutlicher wurde. „Gesucht von allen Seiten blieb uns auf der Flucht kaum ein Ort, an dem wir für längere Zeit unterkommen konnten. Wir mussten in die Muggelwelt fliehen, sonst wären wir erfroren und selbst dort, ohne Heizmöglichkeit, war ich nicht sicher, ob Draco es überstehen würde.“

Lucius musste sich eingestehen, das er die Situation der beiden nie so betrachtet hatte. Er hatte sich immer ausgemalt, dass Severus und Draco sich an einem geheimen Ort niedergelassen hatten, der vielleicht noch mit einem Fidelius geschützt war und wo sie gemütlich dem Ende des Krieges entgegensahen. Die Stimme von Severus holte ihn aus seinen Gedanken zurück.

„Wir waren ständig in Bewegung, wären zweimal beinahe Voldemorts Bluthunden in die Arme gelaufen. Ich vermute, er hatte Rodolphus auf uns angesetzt?“ Lucius nickte bejahend. „Er war wirklich gut. Hat unsere wenigen magischen Signaturen aufgespürt und uns fast erwischt, bis wir aufgehört haben zu zaubern. Erst da waren wir vor ihm sicher. Das bedeutete jedoch, keine Wärmezauber mehr, kein herbeigerufenes Essen, kaum noch Verhüllungszauber und auch Apparation war nicht mehr möglich.“
„Aber ihr wart in Sicherheit!“
„Wir waren fast am Ende“, flüsterte Severus, der noch sehr gut wusste, wie Draco und auch er selbst der Zukunft nur noch ausweglos entgegengesehen hatten. Beide waren niedergeschlagen gewesen, beide sahen keinen weiteren Grund mehr zum Leben, nur noch den, während der letzten Schlacht ein paar Feinde mit ins Grab zu nehmen.
Vorwurfsvoll zischte Lucius ihn an: „Habt ihr auch nur ein einziges Mal daran gedacht, wie es mir ergehen könnte, wenn ihr über alle Berge seid?“ Er erwartete keine Antwort darauf, war deshalb sehr erstaunt, als er eine bekam.
„Draco hat immer an euch gedacht, an Narzissa und dich. Im Schlaf hat er oft …“ Dass Draco geweint hatte, würde er nicht preisgeben, um Lucius keinen Grund dafür zu geben, seinen Sohn ungerechterweise als Schwächling zu bezeichnen. Dumm war Lucius jedoch nicht, denn den Satz konnte er in Gedanken richtig vervollständigen. „Als wir gerade ein Muggeldorf verlassen haben und offenbar Rodolphus mit ein paar Helfershelfern dort einritt, hat Draco vorgeschlagen zurückzugehen. Er wollte sehen, ob du dabei bist, wollte dich aus deren Mitte reißen und einfach mitnehmen. Ich musste ihn gewaltsam aufhalten.“
„Voldemort hat mich nicht mehr für irgendwelche Aufträge außerhalb eingeteilt. Es war ihm ganz recht, dass ich an seiner Seite blieb.“
„Genau das habe ich vermutet und Draco klarmachen müssen.“

Was Lucius vorhin noch als unmöglich gesehen hatte, fand gerade zwischen ihm und Severus statt: Ein Gespräch über seine Zeit bei Voldemort und Severus‘ Flucht. Vielleicht waren Severus und er mehr Freund, als man vermuten könnte. Was er eben über seinen Sohn erfahren hatte, stimmte Lucius nachdenklich. Draco hatte an ihn gedacht, hätte ihn gern zu sich geholt. Offenbar hatte er seinen Sohn völlig falsch eingeschätzt. Es war bei Narzissa, bei ihm selbst und seinem Sohn immer eines gewesen, das vor allem andern stand und das war die Familie.

Durch die nur leicht beschlagenen Fensterscheiben blickte Lucius in den gemütlichen grünen Salon, in welchem Draco gerade seinen Jungen im Arm wiegte, dabei verzaubert lächelte. Er konnte sich noch sehr genau an die vielen kleinen Momente erinnern, in denen er Draco auf dem Arm hatte und wie stolz er damals auf seinen Sohn war. Draco musste genauso fühlen.

„Mit was außer deiner Lehrertätigkeit vertreibst du dir so die Zeit, Severus?“ Lucius blickte zu seinem Freund hinüber und bemerkte, dass der ebenfalls in den Raum schaute. Es handelte sich jedoch um jemand anderen, den Severus mit vielsagendem Gesichtsausdruck betrachtete. „Nein“, spottete Lucius mit einem fiesen Lächeln, „hast du am Ende doch noch dein Schlammblut bekommen?“

Auf diese Bezeichnung reagierte Severus seit langer Zeit allergisch. Schon damals hatte sich Draco eine Ohrfeige eingehandelt, als er über Muggel schimpfte und sie mit diesem Wort betitelte. Das Schimpfwort hatte Draco unbewusst mit Bestrafung verknüpft, hütete sich seitdem, es nie mehr zu benutzen. Lucius würde man nicht umerziehen können. Dennoch konnte sich Severus nicht zurückhalten, den alten Freund für dieses Wort, das ihm in seiner Jugend so viel Kummer bereitet hatte, zurechtzuweisen.

Die Faust war so schnell an Lucius‘ Nase angelangt, dass er nicht einmal Zeit hatte, die Augen zu schließen. Ein lautes Knirschen war zu hören. Gleichermaßen durch den stechenden Schmerz im Gesicht und auch durch den Alkoholkonsum aus dem Gleichgewicht gebracht taumelte Lucius und fiel vornüber auf ein Tischlein, auf welchem ein Blumentopf mit Erde stand. Tisch und Kübel gingen fast gleichzeitig zu Bruch, als das Gewicht des Blonden vollends darauf lastete.

Durch das Geräusch aufmerksam geworden öffnete sich die Tür zum Wintergarten. Draco war der Erste, der zu seinem Vater eilte und sich auf den Boden kniete. Bevor irgendjemand etwas Gegenteiliges behaupten konnte, sagte Severus: „Er ist gestolpert. Ich habe ihn nicht schnell genug zu fassen bekommen.“

Dem Verletzten half Draco ein wenig auf, so dass er wenigstens sitzen konnte. Lucius hielt sich die Nase und atmete aufgeregt. Seine obere Bekleidung, Gesicht, Haare und Hände waren mit Erde beschmutzt. Zwei paar hellgraue Augen blickten zu Severus hinüber. Das eine durch zusammengekniffene Augenlider, das andere mit einem skeptischen Blick. Lucius behielt die vorangegangene Szenerie für sich, bestätigte Severus‘ Aussage jedoch nicht.

„Zeig mal, Vater.“ Draco versuchte, die Hand seines Vaters vom Gesicht zu entfernen, doch der schüttelte seinen Sohn von sich ab. Er hielt Draco aber nicht dabei auf, als der mit seinem Zauberstab die ganze Erde entfernte. „Vater, lass doch mal sehen, wie schlimm es ist.“
„Lucius?“ Narzissa kniete sich ebenfalls neben ihn nieder. Auf diese Weise Aufmerksamkeit zu erregen war das Letzte, was er wollte. Sicherlich standen Potter, sein Wiesel und das Schlammblut an der Tür und gafften, dachte er abwertend.

Aus einem der weiten Ärmel seines weißen Rüschenhemdes zog Lucius ein Taschentuch und hielt es sich vorsichtig vor die Nase. Das viele Blut auf seinem Hemd war erst jetzt zu sehen. Draco und Narzissa atmeten zur gleichen Zeit erschrocken ein.

„Vater, es blutet stark.“
„Ein paar Spritzer kaltes Wasser und alles ist wieder in Ordnung“, winkte Lucius ab, der genau wie Severus wusste, dass das nicht genügen würde, um die Blutung zu stillen.
„Ich verfüge zwar nicht über eine Heilerausbildung“, warf Severus monoton ein, „aber laut des Geräusches, das ich vernehmen konnte, scheint die Nase gebrochen zu sein.“
Narzissa legte eine Hand auf Lucius Schulter. „Nein, wie furchtbar.“
„Dann werde ich mich ins Krankenhaus begeben. Wenn ihr mich bitte entschuldigen würdet?“

Ohne die angebotene Hilfe seiner Frau oder seines Sohnes anzunehmen stand Lucius auf, drückte aufgrund des durch sein Gesicht fahrenden Schmerzes die Augen fest zusammen.

„Um diese Zeit …“ Alle drehten sich um und blickten Hermine an, die an der Tür zum Wintergarten stand und ihren Satz nach einem Moment von vorn begann. „Um diese Uhrzeit muss man im Mungos mit mindestens eineinhalb Stunden Wartezeit rechnen.“
„Ach und woher wollen Sie das wissen?“, fragte Lucius durch den Schmerz noch viel gereizter.
Es war Severus, der es ihr abnahm, darauf zu antworten. „Weil sie dort ihre Ausbildung zur Heilerin abgeschlossen hat und das auch noch mit einem ‘Phänomenal‘.“
„Ich könnte mir die Verletzung mal ansehen, Mr. Malfoy“, bot sie höflich an.

Narzissa war von der Idee begeistert und stimmte zu, ohne ihren Mann zu anhören, der sich sehr wahrscheinlich lieber ins Mungos begeben hätte – trotz der langen Wartezeit. Er wehrte sich nicht, wollte keine Szene machen, wegen der man ihn belächeln konnte, also fügte er sich seinem Schicksal und auch dem Willen seiner Frau.

Während Narzissa mit Lucius und Hermine in einen anderen Raum verschwand, um die Nase zu behandeln, waren Harry, Ginny sowie Susan zurück in den grünen Salon gegangen. Draco blieb einen Moment bei Severus. Er wandte einen Reparo an, um Tisch und Blumenkübel zu reparieren und einen Evanesco, um die restliche Erde zu beseitigen. Als Severus den Wintergarten verlassen wollte, hielt Draco ihn auf und griff sich seine recht Hand. Severus wollte sie wegziehen, doch Draco ließ nicht los und betrachtete die leicht rötliche Verfärbung an den Knöcheln und die kleinen Schwellungen. Als er das gesehen hatte, ließ er die Hand wieder los. Für ihn war klar, dass Severus zugeschlagen haben musste.

„Das wird in meinem Haus nicht noch einmal passieren, Severus.“ Keine Drohung, kein Vorwurf, nur die einfache Anweisung, sich in Zukunft an die Regeln des Gastgebers zu halten.
„Es gibt Situationen, in denen ich tun werde, was erforderlich ist. Das war so, ist so und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern“, machte Severus ihm leise und stoisch klar.
„Was ist denn passiert, dass es erforderlich war, ihm die Nase zu brechen?“
Severus spitzte die Lippen und schien über eine Antwort nachzudenken, bevor er lediglich unklar erwiderte: „Er ist frech geworden.“
„Das ist nicht deine Art.“

Draco konnte nicht einmal ahnen was vorgefallen sein mag. Sein Patenonkel war kein Mensch, der Konflikte mit Gewalt löste. Er selbst hatte einmal in seinem Leben eine von diesen Situationen geschaffen, von denen Severus eben sprach und auch er hatte damals – das erste und einzige Mal in seinem Leben – erfahren müssen, dass sein Pate auch mal die Beherrschung verlieren konnte.

„Oh“, machte Draco, als er sich diesen einen Moment ins Gedächtnis zurückrief. „Vater hat über Hermine gesprochen.“ Für ihn war das die einzige Erklärung, die er in Betracht ziehen konnte. Severus bestätigte die Vermutung mit einem Kopfnicken.

Nach der schnellen und erfolgreichen Behandlung der Nase zogen sich Narzissa und Lucius zurück. Als Hermine auf die anderen traf, wurde sie sofort mit Fragen bombardiert. War die Nase wirklich gebrochen? Ist alles in Ordnung? Wie war es überhaupt dazu gekommen?

„Leute, ich stehe unter Schweigepflicht. Mir ist höchstens erlaubt zu sagen, dass es ihm gut geht.“
„Ich möchte mich für meinen Vater entschuldigen.“ Beschämt blickte Draco zu Boden und atmete einmal tief durch. „Es ist nach all den Jahren nicht sehr leicht für ihn, sich …“
Ginny unterbrach ihn. „Du kannst nichts dafür.“
„Es war schön, dass er überhaupt gekommen ist“, flüsterte Draco zu sich selbst.

Die Stimmung ließ sich von dem Vorfall, von dem kaum jemand was mitbekommen hatte, nicht drücken. Harry fand ein Thema, das er unbedingt ansprechen wollte und das war Hermines Rede bei der Körperschaft. Während Charles und Nicholas ein Nickerchen in einem herbeigezauberten Kinderbett hielten, hörten besonders Draco und Susan begeistert zu. Von Hermines beruflicher Laufbahn hatten sie nur wenig erfahren. Natürlich kam man auf die Apotheke zu sprechen.

„Und wie läuft sie?“, wollte Susan wissen.
„Bestens! Eigentlich viel zu gut. Es ist eine Menge Arbeit, die ich allein gar nicht schaffe.“ Hermine machte jedoch nicht den Eindruck, als würde diese Feststellung sie belasten, was Draco stutzig machte.
„Dann hast du jemanden eingestellt?“
„Oh nein, das habe ich nicht, aber ich bekomme Hilfe“, antwortete sie, bevor sie zu Severus hinüberblickte. Er folgte ihrem Blick und zog erstaunt beide Augenbrauen in die Höhe.
„Habe ich dich deswegen nicht in deinem Büro angetroffen?“
„Ach“, ein Geheimnis war gelüftet, „dann warst du der Schüler, der sich beim Direktor darüber ausgeweint hat, dass er mich nicht antreffen konnte!“
„Ich bin Professor Dumbledore nur zufällig über den Weg gelaufen und habe gefragt, ob er weiß, wo du bist“, verteidigte sich Draco scherzhaft. „Er ging davon aus, dass du dich zu dieser Uhrzeit – wie es übrigens auf dem schwarzen Brett im Gemeinschaftsraum zu lesen ist – in deinem Büro aufhältst.“ Von Severus‘ Todesblick ließ sich Draco nicht einschüchtern. „Es hat sich erledigt. Professor Lupin war so frei …“
„Ich dachte, die Angelegenheit wäre geklärt? Dann möchte ich im Nachhinein auch nicht mehr damit belastet werden.“

Alle mussten schmunzeln. Diese kleine Unterbrechung vergessend nahm sich Draco des vorherigen Themas wieder an.

„Es ist schön, dass du Hilfe hast.“
Sie musste nur noch bestätigen. „Am schlimmsten war es zum ersten Vollmond. Ich hatte am Ende so viele Kunden, dass ich gar nicht mehr wusste, was ich zuerst machen soll.“
„Na ja“, Draco blickte zu seinem Paten hinüber, „das ist doch sowieso dein Gebiet.“ Wieder zu Hermine schauend schlug er vor: „Stell doch ihn ein.“
Bevor sie die Chance hatte, irgendetwas von sich zu geben, warf Severus ruppig ein: „Ich werde ganz sicher nicht die angesehene und vor allem gut bezahlte Position in Hogwarts verlassen, nur um eine Anstellung anzunehmen.“
„Ich kann ihn sowieso nicht bezahlen.“ Der traurige Klang ihrer Stimme war Severus nicht entgangen. „Zaubertränkemeister werden sehr gut bezahlt, im Mungos wie auch in Hogwarts.“ Er war erleichtert, als sie wieder lächelte. „Ich kann ihn mir nicht leisten.“
„Es gibt andere Möglichkeiten“, warf Draco nachdenklich ein, als würde er eines seiner Geschäfte kalkulieren.

Der Abend fand noch viele Themen, unter anderem das Heim, das Mr. Panagiotis leitete. An diesem Gesprächsthema beteiligte sich Severus nicht, ging stattdessen im grünen Salon auf und ab, um sich einige Kunstgegenstände zu betrachten. Er wurde auf die anderen wieder aufmerksam, als Harry sich für den netten Abend bedankte und für Aufbruchsstimmung sorgte. Hermine und Severus schlossen sich ihnen an. Noch vor dem Kamin fragte sie ihn leise, ob er sie begleiten wollte und wie schon all die anderen Abende der letzten Wochen stimmte er zu.

Bei ihr angelangt machte sie einen Kaffee, ohne ihn zu fragen, ob er überhaupt einen wollte, denn es gingen ihr ganz andere Dinge durch den Kopf.

„Ich wollte mit Ihnen über eine ernste Sache sprechen, Severus.“
Er stöhnte genervt. „Oh Merlin, ich hab es geahnt.“ Seine spöttische Aussage brachte sie dazu, einmal zu seufzen.
„Severus, es ist mir wirklich sehr ernst.“

Aufgrund des Gesprächsthemas, welches Hermine zuletzt mit den anderen behandelt hatte, konnte er schon vorhersehen, dass sie ihn wegen seines Problems ansprechen wollte.

Er nahm ihr die Worte aus dem Mund und sagte: „Ich mache Ihnen einen Vorschlag!“
Verdutzt riss sie die Augen auf, bevor sie wiederholte: „Sie mir?“ Sie wollte mit ihm besprechen, was für Möglichkeiten er sehen könnte, damit sie beide wie in ihrer Lehre zusammen arbeiten könnten.
„Ja, ich Ihnen und hören Sie gut zu, denn es betrifft die Angelegenheit, von der Sie einfach nicht die Finger lassen wollen!“ Jetzt war sie wirklich neugierig und hörte daher aufmerksam zu, als er sein Anliegen vortrug. „Ich mache Ihnen als Heilerin den Vorschlag, sich meiner annehmen zu dürfen.“ Sie öffnete den Mund, doch er hob eine Hand und stoppte die vielen Fragen, die er schon beinahe über ihre Lippen hervorquellen sah. „Sie haben richtig gehört, aber ich verlange im Gegenzug, dass die Schweigepflicht Gültigkeit haben wird.“ Er hatte genug davon, dass sie mit anderen über seine Problematik sprach, wenn auch – wie heute – nur angedeutet, indem sie die seelenlosen Patienten des Professor Panagiotis zur Sprache brachte. „Des Weiteren werde ich mich nicht drängen lassen.“
Sie schnaufte amüsiert. „Und was soll daran anders sein, als es im Moment ist? Sie haben sich noch nie zu etwas drängen lassen, Severus. Trotzdem bin ich sehr überrascht über Ihr Angebot und ja, ich nehme es an, verlange im Gegenzug aber auch etwas.“
„Und was wäre das?“
„Kooperation! Sie werden sich nicht mehr zurückziehen, sondern mit mir reden.“ Weil er das Gesicht verzog, hielt sie ihm vor Augen: „Es war Ihr Angebot, denken Sie dran. Ich werde nur eine Heilerin sein. Natürlich wird es anfangs schwer sein, das zu trennen. Wir könnten beispielsweise feste Termine vereinbaren und über Ihren, ähm, Zustand sprechen, auch über die Dinge, die ihn hervorgerufen haben. Außerhalb dieser Termine, das verspreche ich Ihnen hoch und heilig, werde ich das Thema mit keiner Silbe erwähnen.“

Diese Forderung klang verlockend. Nur sie würde alles erfahren, was er preiszugeben bereit war. Sie dürfte keinem Menschen davon erzählen, nicht einmal Harry. Dass Hermine viel Wert auf Schweigepflicht legte, hatte sie vorhin bei Lucius bewiesen. Endlich hätte er Kontrolle darüber, wer von was Kenntnis erlangen würde und das war ausschließlich sie. Damit könnte er leben.

„Dann ist es abgemacht?“, fragte er nach.
„Ja.“ Nach einem Moment der Stille fragte sie scherzend: „Was erwarten Sie jetzt? Sollen wir das irgendwie mit Blut besiegeln?“
„Ich denke, ein Handschlag reicht aus.“

Mit ausgestreckter Hand kam sie erwartungsvoll auf ihn zu. Er zögerte nur einen Moment, schlug aber ein und schüttelte ihre zierliche Hand. Sie strahlte über das ganze Gesicht, sogar noch, als sie den Kaffee an den Tisch holte.

„Ich bin erstaunt, Severus, aber auch erleichtert.“ Sie rückte auf der Bank etwas näher an ihn heran. „Nachdem wir das jetzt geklärt haben, würde ich gern über eine andere ernste Sache sprechen.“ Sein Blick war Gold wert.
„Andere ernste Sache?“, wiederholte er perplex.
Sie nickte. „Ich wollte Sie fragen, ob Sie sich vorstellen können, hier mit mir zusammenzuarbeiten, denn Sie müssen wissen, dass ich unsere Teamarbeit sehr schätze und auch, na ja, vermisse.“

Völlig verwundert griff er zu seiner Tasse, trank aber nicht, sondern ließ die Erkenntnis über sich kommen, dass er ihr Angebot nicht vorweggenommen hatte, sondern er ihr aus einer falschen Mutmaßung heraus ein eigenes gemacht hatte.

„Dann wollten Sie gar nicht über den Ewigen See sprechen?“
„Nicht heute, nein. Sie machen jetzt aber keinen Rückzieher oder?“ Er würde nur zu gern, das verriet auch sein kalkweißes Gesicht und die zitternden Hände. Er war jedoch ein Mann, der sich an Abmachungen hielt.
„Nein“, hauchte er kaum hörbar.
„Das ist gut, denn ich habe ein großes Interesse an Ihnen, Severus.“ Damit er sie nicht falsch verstehen würde, weil es ihm womöglich missfallen könnte, fügte sie schnell hinzu. „Ein wissenschaftliches Interesse.“ Ihren Worten glaubte sie selbst nicht.
Er offensichtlich auch nicht, denn er fragte nach: „Ein wissenschaftliches?“

Als sie ihn anblickte, war sie abermals von seinen brauen Augen fasziniert, die in ihren Kindheitserinnerungen stets so schwarz und undurchschaubar waren. Natürlich war sie auch erpicht darauf zu erfahren, warum seine Augen einst das Licht verloren hatten und wie sie es jetzt nach zwei Jahrzehnten wiedererlangen konnten. Dennoch waren es nicht die wissenschaftlichen Aspekte, die sie an ihn banden.

„Nein“, gab sie ein wenig verspätet zu, schüttelte dabei langsam den Kopf. „Ich will nur, dass es Ihnen gut geht.“
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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Lily Luna
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Re: Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit (184)

Beitrag von Lily Luna »

Also. :smile: Deine Geschichte ist ja doch relativ lang. Ich bin jetzt bei Kapitel 30 (ich lese erst seit gestern abend/nacht) und bin begeistert! (Wusstest du, dass deine ersten 25 Kapitel auf 125 DIN A4 Seiten passen??)
Ich bin schon gespannt wie es weitergeht :smile:

Muggelchen, danke für eine solche Kreativität. Danke dafür, dass man nicht nur JKRs Bücher lesen kann, sondern auch FFs wie deine. Diese FF ist ein genialer Einfall und eine sehr gelungene Fortsetzung nach dem sechsten Band. :smile: .
Was ich total toll bei dieser Geschichte finde, ist ja, dass Albus und Sirius wieder da sind. In den Büchern habe ich so geheult, weil sie starben.. Und du gibst mir die Möglichkeit, weitere "Abenteuer" von oder mit ihnen zu erleben :)

Die Geschichte ist einfach großartig.

LG Lily Luna
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Set von nath.


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Beste FF meines Lebens ♥

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