Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - BEENDET

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Sonea Ginevra Inava
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Re: Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit (175)

Beitrag von Sonea Ginevra Inava »

Wieder mal ein tolles Kapitel. :)
Schön, das Hermine schon den ersten Kunden hat, das vereinfacht den Einstieg sicherlich.
Die Idee mit Albus, Linus & dem Zettel fand ich echt witzig. :D
Ich bin gespannt was Draco will & natürlich auch, wen Kingsley und Tonks in dem Versteck finden.
& auf die Quidditch/Flugszene freue ich mich schon, neue Besenmodelle sind immer toll. :)
Das mit den Zaubersprüchen war übrigens eine echt gute Idee, sehr überzeugend, also Namen und Hintergrund.
lg Sonea
Every villain is a hero in his own mind.
Tom Hiddleston

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Muggelchen
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Re: Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit (175)

Beitrag von Muggelchen »

Hallo nimue,

nichts zu danken :) Ich freue mich immer wieder, wenn ihr Leser euren Spaß an der Geschichte habt.
Geschrieben habe ich die Geschichte schon zu Ende, ich muss nur noch hochladen. Ich werde versuchen, mind. ein Kapitel die Woche - oder auch zwei - online zu stellen. Aber nicht zu schnell, sonst hat man das Gefühl, man kommt mit dem Lesen gar nicht mehr nach.

Hallo Sonea,

Albus ist für jeden Spaß zu haben :D Linus hat damit nur bewiesen, dass er mutig sein kann.
Kingsley und Tonks bzw. die anderen Anwesenden werden auf jeden Fall ein kleines Abenteuer erleben.
Dass Voldemort einige Sicherheitsvorkehrungen trifft, hätte man sich eigentlich denken können. Die Zaubersprüche habe ich, wie man es ja lese konnte, aus der Mythologie abgewandelt. Da hat man ziemlich freie Hand - und Spaß macht es auch.

Viel Spaß beim Lesen
Muggelchen



176 Animagi




„Macnair hat Tonks und mich als Erste eingeweiht, etwas später noch zwanzig andere Auroren.“
Über Kingsley Worte war Arthur mehr als nur erleichtert. „Wann gehst du hin?“
„Wie wäre es mit sofort?“ Die Brüder zu finden war eine Chance, die Kingsley sich nicht entgehen lassen wollte. „Ach Arthur, ich hoffe, es ist in Ordnung. Ich habe Alastor Bescheid gegeben.“
„Alastor? Aber der ist doch schon lange im Ruhestand.“
„Nicht, wenn er die Aussicht darauf hat, die Lestrange-Brüder zu bekommen. Er war schon vor Ort, als wir in Malfoy Manor waren. Jemand muss ihm Bescheid gegeben haben und ich dachte, bevor er hiervon Wind bekommt, spreche ich ihn persönlich an. Er will sofort los. Die anderen Auroren sind auch startklar. Ich nehme noch weitere mit, die sich rund um die Gebäude postieren, falls einer fliehen will.“
„Es ist Nacht“, gab Arthur zu bedenken.
„Die beste Zeit, Todesser zu schnappen, die sich sicher fühlen, meinst du nicht?“ Kingsley grinste selbstsicher. „Wir werden nicht sofort zuschlagen, keine Angst. Die Häuser werden wir erst gründlich beobachten, damit wir in Erfahrung bringen können, wie viele dort leben, vor allem auch wer. Ich denke, für die nächsten zwei Tage und Nächte werden wir uns auf die Lauer legen, bevor wir zuschlagen.“
„Das hört sich besser an.“
„Es soll niemand entkommen.“

Überstürzen wollte Kingsley nichts, auch wenn es ihn in den Fingern juckte, Rodolphus und Rabastan auf der Stelle festzunehmen. Man musste den Feind in seinem Gebiet zunächst auskundschaften. Es wäre unverzeihlich, ein paar Gestalten festzunehmen, nur um später zu erfahren, dass eigentlich noch andere Todesser dort lebten, die zum Zeitpunkt der Festnahme aus bestimmten Gründen nicht anwesend waren.

Der muggelstämmige Kevin Entwhistle, ehemaliger Ravenclaw, hatte seine Ausbildung zum Auror bei Tonks längst absolviert und war schon mit dabei, als man in Malfoy Manor Todesser vermutet hatte, die sich jedoch als die völlig verängstigte Familie von Blaise Zabini entpuppte. Kevin sollte auch dieses Mal an Tonks Seite stehen und zwar wegen einer seiner besonderen Fähigkeiten. Er war ein Animagus, ein sehr unauffälliger noch dazu.

„Kevin?“ Tonks stürmte das große Büro, welches die jungen Auroren sich teilten. Ein Großraumbüro für dreißig Angestellte. Kevin meldete sich, damit Tonks ihn schnell ausmachen konnte. Als sie bei ihm war, erörterte sie die bevorstehende Überwachungsaktion. „Kevin, deine Animagusform ist gefragt. In deiner Akte steht, du kannst sie fünf Tage ohne Probleme halten, danach wird es haarig. Du musst sie für maximal drei Tage halten, wäre das machbar?“
„Klar“, antwortete der junge Mann, der aus Harrys Jahrgang stammte.
„Die Besprechung findet im Konferenzraum in einer Stunde statt. Bring Tracey mit.“
„Ich bin hier“, sagte eine weibliche Stimme. Tracey war aufgestanden und schaute über die Absperrung, die den Mitarbeiten in ihren kleinen Bürozellen ein wenig Privatsphäre vorgaukelten.
Tonks nickte der jungen Frau zu. „Gut, ihr beide seid bitte pünktlich. In einer Stunde ...“
„... im Konferenzraum. Verstanden!“

Tracey lächelte. Sie war im gleichem Jahrgang wie Kevin, stammte aber aus Slytherin. Da beide muggelstämmig waren, hatten Traceys Erfahrungen und Interessen sie mit dem Ravenclaw enger zusammengeschweißt, als sie es für möglich gehalten hatte.

Nachdem Tonks die beiden allein gelassen hat, fragte Tracey ihren Kollegen: „Deine Animagusform ist also gefragt? So so.“
Schmunzelnd warf Kevin ein: „Ich habe wenigstens eine.“
„Das war jetzt böse“, beschwerte sie sich weniger ernst. „Bei der Prüfung war ich zu aufgeregt. Vielleicht habe ich ja eine Form.“
„Die Auroren werden jedes Jahr einmal geprüft. Ich bin mir sicher, du schaffst das irgendwann.“
„Es heißt, dass es sehr schwer ist.“
„Was? Deinen Animagus zu finden? Ich fand es nicht schwer.“ Kevin legte eine Akte zur Seite, zog eine Packung Bertie Bott's Bohnen jeder Geschmacksrichtung aus seiner Schublade und hielt sie seiner Kollegin hin, die eine nahm. „Das Schwerste ist, sich über die Form im Klaren zu werden, die in einem schlummert. Mich hat es nicht gekümmert, was bei mir für ein Tier herauskommen würde. Andere wünschen sich regelrecht eine besondere Gestalt und ich glaube, genau das ist es, was die Verwandlung in einen Animagus hemmt – wenn der Geist sich gegen die natürliche Form richtet.“
Tracey lutsche an der Bohne und verzog das Gesicht. „Lebertran! Das ist abartig!“ Einen Moment lang kicherte sie, bevor sie das vorige Gespräch wieder aufnahm. „Ich hätte gern Flügel.“
„Siehst du! Genau das meine ich. Du hast Wünsche, aber du solltest keine haben. Wenn du bei der Prüfung sitzt und die Konzentrationsübungen machst, um deinen Animagus in deinem Innern aufzuspüren, dann stehst du dir mit diesem Wunsch selbst im Weg. Du wirst dich nie in ein Tier verwandeln können, wenn du bestimmte Formen von vornherein ablehnst.“
„Und wenn ich irgendwas ekliges bin? Eine Spinne oder eine Motte?“
Kevin zog beide Augenbrauen in die Höhe. „Was ist daran eklig?“
„Man liefe Gefahr, totgeschlagen zu werden.“
„Bevor das geschieht, kannst du fliehen oder dich zurückverwandeln. Da macht dir ein Schlag mit einer zusammengerollten Zeitung nichts mehr aus.“ Kevin bot ihr erneut die Bohnen an und Tracey griff, wenn auch zögerlich, zu und steckte sich die nächst in den Mund.
„Mmmh“, machte sie wonnig. „Vanille!“

Das Thema „Vanille“ war auch gerade in der Apotheke in der Winkelgasse aktuell, denn Hermine benötigte Ethylvanillin, das synthetisch hergestellte Vanillearoma, welches sie ohne Nebenwirkungen dem Wolfsbanntrank untermischen konnte. Am 6. Februar wäre wieder Vollmond und sie rechnete spätestens ab dem dritten kommenden Monats mit den ersten Kunden. Beim Ministerium hatte sie über den Kamin einen Mitarbeiter angefordert, der vorbeikommen sollte, um alles zu klären, was mit ihrem Geschäft zu tun hatte. Hermine war erstaunt, als der Mitarbeiter nicht nur am gleichen Tag kam, sondern sie ihn auch kannte.

„Percy?“, fragte sie ungläubig. „Das ist doch gar nicht deine Abteilung.“
„Ist sie nicht“, bestätigte er, „aber ich konnte nicht widerstehen.“ Er schloss die Tür hinter sich, die zwar das Schild „Wegen Renovierung vorübergehend geschlossen“ aufwies, dennoch wegen der Handwerker geöffnet war. „Hast du es doch wahr gemacht, ja?“ Mit seinem schicken Umhang, der ihn sehr seriös wirken ließ, stand er in der Mitte des Geschäfts und blickte sich um. „Schön sauber hier. Das letzte Mal, als ich hier war, war es ...“ Er verzog das Gesicht, lächelte jedoch.
„Gretchen konnte nicht mehr so, wie sie wollte. Das kann man ihr nicht übel nehmen. Sie war die letzten Jahre allein.“ Das letzte Wort hallte in Hermines Kopf nach.

Mit aufrechtem Gang näherte er sich Hermine, die hinter der Theke saß und Schreibkram erledigte.

„Es wird schnell gehen. Ich habe einiges vorbereitet.“ Aus seiner Innentasche zog er Akten, die er per Zauberstab wieder vergrößerte. „Steueranmeldung, Eintrag ins Handelsregister“, zählte er auf, bevor er davon abkam. „Hast du schon was verkauft?“
„Ja“, gab sie zu und hoffte, damit nicht in Schwierigkeiten zu geraten.
„Kein Problem. Du führst Buch?“ Sie nickte, weshalb er ihr einige Broschüren und Bücher überreichte. „Da steht drin, was du alles zu beachten hast. Und diese Unterlagen“, er schob ihr einige Pergamente vor die Nase, „müsstest du noch Unterschreiben.“

Bei jedem Pergament erklärte er, was es damit auf sich hatte und wofür es wichtig war. Dennoch las sie alles, was er begrüßte. Percy selbst würde auch nie etwas unterschreiben, was er nicht zuvor gelesen hat. Die Ministeriumsangelegenheiten waren tatsächlich schnell erledigt, wie Percy es versprochen hatte.

„Führst du das Geschäft allein?“, wollte er wissen.
„Ja, gibt es da ein Problem?“
„Nein, keineswegs. Wenn ich mir nur alle anderen Apotheken so ansehe, die ich kenne, dann sind das immer zwei. Die Apotheke in Paddington wird von einem Ehepaar geführt und die gegenüber vom Britischen Museum von einem Geschwisterpaar.“
Grantig fragte Hermine: „Willst du mir damit irgendwas sagen?“
„Nein“, er schüttelte den Kopf, „ich hoffe nur, das wird dir nicht zu viel.“
„Wird es schon nicht. Ich habe genug Zeit, meine Waren vorzubereiten, die ich tagsüber verkaufen werde.“

Sie hasste ihn dafür, dass er mit seiner Anmerkung erneut Unsicherheit in ihr aufkommen ließ. Sie würde es allein schaffen. Es befanden sich drei Heiler aus verschiedenen Fachrichtungen in der Winkelgasse. Alle drei öffneten um neun Uhr, machten eine Mittagspause von eins bis drei Uhr und machten danach nochmal bis achtzehn Uhr auf. Diesen Öffnungszeiten wollte sich Hermine in etwa anpassen, je nachdem, wie die Anfrage von Kunden aussehen würde. Da war genügend Zeit fürs Brauen und für Schriftverkehr vorhanden.

„Brauchst du Adressen von Händlern?“, fragte Percy unerwartet.
„Ich habe schon viele von der Vorbesitzerin bekommen und auch schon deren aktuelle Preislisten angefordert. Du kannst mir trotzdem welche geben. Ich werde sie ausprobieren.“
Besagte Liste mit Adressen zog er ebenfalls aus seiner Innentasche. „Das sind alles beim Ministerium eingetragene Händler mit unserem Gütesiegel. Wir arbeiten mit denen eng zusammen.“ Auf der Liste standen etliche Namen, die Hermine fremd waren. „Wann willst du eröffnen?“
Der Herr von der Handwerkerfirma kam gerade in den großen Verkaufsraum und hatte die Frage gehört. „Miss Granger?“ Sie blickte ihn an. „Es gab keinerlei Hindernisse. Wir werden morgen Früh fertig sein.“ Früher als gedacht.
„Oh, sehr schön.“ Sie wandte sich wieder Percy zu und antwortete auf seine vorherige Frage: „Ich denke, frühestens übermorgen werde ich aufmachen. Es kommen heute und morgen noch einige Waren, ohne die ich nicht mal ein Grundsortiment hätte. Vieles, das hier lagerte, ist leider schlecht geworden.“
„Eine Sache noch: Wie wäre es, wenn wir deine Apotheke in die offizielle Empfehlungsliste für den Wolfsbanntrank aufnehmen? Du weißt schon, die Liste, die das Werwolf-Unterstützungsamt an die Betroffenen austeilt.“

Von dieser Liste wusste Hermine. Remus hatte sich in der Zeit, nachdem Barnaby Belby, der Zaubertränkemeister seines Vertrauens, verstorben war, einen Tränkemeister aus der Liste des Ministeriums gesucht. Resultat war ein übler Ausschlag, den Severus auf einen verunreinigten Trank zurückführte.

„Ist diese Liste mal überarbeitet worden?“, fragte Hermine. „Da war mindestens ein Tränkemeister dabei, der offensichtlich nicht sehr sauber gearbeitet hat. Remus kann ein Lied davon singen.“
„Wenn es derjenige ist, gegen den Snape vor ungefähr einem Jahr Beschwerde eingelegt hat, dann ist der längst überprüft und von der Liste gestrichen worden.“
„Er hat Beschwerde eingelegt?“
Percy nickte. „War ein sehr böser Brief gewesen. Was dem Ministerium einfallen würde, Scharlatane in eine offizielle Liste von Tränkemeistern aufzunehmen, die ihren Meisterbrief auf dem Jahrmarkt beim 'Hau den Lukas' gewonnen haben müssen. Das war kurz nachdem wir bei ihm angefragt haben, ob wir auch seine Adresse als Anlaufstelle für Werwölfe nennen dürfen. Er wollte nicht mit einem ...“ Percy hielt inne und schien zu überlegen. „Wie hat er das nochmal ausgedrückt?“, murmelte er. „Ja genau, er wollte nicht zusammen mit einem Harnprophet genannt werden.“ Percy schnaufte amüsiert. „Ich musst erst einmal im Lexikon nachschauen, was er damit gemeint hat. Das ist ein alter Spottname für Heiler, Zaubertränkemeister und Alchemisten gewesen, die Flüche und Vergiftungen ausschließlich aus dem Urin zu deuten glaubten.“
Hermine musste lächeln. „Ja, so etwas macht er gern, wenn er will, dass man sich mit seinem Brief befasst.“
„Darf ich dich in die Liste aufnehmen?“
„Ja, mach das.“
„Gut, in dieser Hinsicht solltest du wissen, dass es Menschen geben wird, die den Wolfsbanntrank kaufen möchten, aber nicht über einen Pass verfügen. Lass dich nicht damit vertrösten, dass sie ihn nachreichen möchten. Das geht nicht, wie du weißt. Es muss an den drei Tagen vor Vollmond regelmäßig eine Unterschrift des Tränkemeisters auf dem Pass gegeben werden, die die Einnahme des Trankes bestätigt. Wenn einer keinen Pass hat, ist er nicht bei uns gemeldet und macht sich damit strafbar. Diese Menschen werden dir horrende Preise bieten, aber es ist deine Pflicht, sie zu melden. Jeder Werwolf muss gemeldet werden, das verstehst du sicherlich.“
„Was passiert mit denen, die keinen Pass haben und die ich melden muss?“
„Wir sind mittlerweile nicht mehr so streng, wenn sie freiwillig ins Ministerium kommen. Wenn wir sie abholen müssen, dann wird es schlimm für sie.“
„Askaban?“
„Für die absichtliche Gefährdung der Bevölkerung gibt es im schlimmsten Fall noch immer die Todesstrafe, die Leuten wie Greyback droht. Kingsley und ich konnten aber erwirken, dass die Werwölfe, die ohne Pass den Trank unter der Hand kaufen, sich nur in dem Sinne strafbar machen, dass sie sich der Meldepflicht entzogen haben. Da sie den Trank aber eingenommen haben und die Gefahr damit gebannt haben, droht ihnen nichts.“ Percy seufzte. „Es gibt noch immer einige Werwölfe, die glauben, dass wir ihnen das Fell über die Ohren ziehen. Das ist nicht so, schon lange nicht mehr. Schon gar nicht bei denen, die mit ihrem Fluch achtsam umgehen und sich und ihre Umwelt schützen.“ In der Außentasche seines Umhanges führte Percy einige Broschüren mit sich, die er auf den Tresen legte und vergrößerte. Es waren Informationen vom Werwolf-Unterstützungsamt. „Leg die hier aus und drück sie denen in die Hand, die einen Trank ohne Pass kaufen möchten.“
„Wie genau muss ich mich verhalten?“
„Gib ihnen auf jeden Fall den Trank – ohne Wenn und Aber! Danach gibst du ihnen die Broschüre und machst sie höflich darauf aufmerksam, dass sie sich im Ministerium zu melden haben. Greif bloß nicht selbst ein!“
„Ich bekomme das schon hin, Percy.“
„Du kannst es ihnen schmackhaft machen, indem du die Vorgehensweise schilderst: das Ministerium kommt für die Tränke auf und wir stehen mit Rat und Tat zur Seite.“

Hermine nickte, ahnte jedoch, warum einige Werwölfe sich noch immer nicht gemeldet haben. Sie wurden in ihrer persönlichen Lebensgestaltung sehr eingeschränkt, wie Remus und Tonks. Auch die berufliche Wahl würde ihnen erschwert werden. Werwölfe mussten mit Einbußen rechnen, wenn sie sich offiziell als das, was sie waren, zu erkennen gaben.

„Sonst noch was?“, fragte Hermine, die alle Unterlagen bereits unterschrieben hatte.
„Nein, das war's. Trag später einfach das genaue Datum der Geschäftseröffnung hier ein“, er deutet auf eine Spalte, „und alles geht seinen legalen Weg.“ Percy hielt ihr die Hand hin und sie glaubte, er wollte sich nur verabschieden, doch etwas anderes lag ihm auf dem Herzen. „Ich wünsche dir alles Gute mit der Apotheke, Hermine. Es ist schön, dass immer mehr Menschen endlich nach vorne sehen können. Wir hatten seit Kriegsende bis jetzt kaum selbstständige Unternehmer. Ich bin mir sicher, dass du Erfolg haben wirst.“
„Danke, das ist wirklich lieb von dir.“

Nachdem sich Percy verabschiedet hatte, ging Hermine ihre Bestellungen durch, die sie noch heute mit der Eulenpost abschicken wollte. Nur Mr. Heed, den Besitzer des Geschäfts für Trankzubehör, wollte sie persönlich aufsuchen. Als sie vor dem Laden stand, fiel ihr der Name ein, der über dem Geschäft zu lesen war: „Phantasmplantare“. Über ihrem Eingang stand noch immer „Cara Apotheke“ - der Nachname von Gretchen und deren Ehemann. Gedankenverloren freundete sich Hermine mit dem Begriff „Granger Apotheke“ an, was sich natürlich ungewohnt anhörte.

Bei Mr. Heed bekam sie für die Zutaten, die sie erwarb, einen großzügigen Rabatt. Er verdiente nicht viel an Hermine, denn er nahm für ihre ersten Besorgungen fast den Einkaufspreis, den er selbst für die Zutaten ausgegeben hatte. Als Dankeschön widmete sich Hermine dem Gespräch, das er begonnen hatte, obwohl sie noch viel zu tun hatte. Die Zeit nahm sie sich. Gleich im Anschluss ging sie zur Posteulerei und schickte ihre ersten Bestellungen raus.

Wieder in ihrer Apotheke führte Hermine ihre Liste mit den Dingen fort, die sie noch erledigen musste. Routine würde sich hoffentlich bald einstellen. Balthasar, der Handwerksmeister, eröffnete ihr am frühen Abend, dass sie morgen doch nicht wiederkommen müssten. Er führte ihr unten in Küche, Bad und Labor sowie in der Wohnung darüber die Leitungen vor. Das Wasser lief, war nicht bräunlich verfärbt und die Rohre machten auch keine gefährlich knarrenden Geräusche mehr.

„Ich sollte Ihnen vielleicht sagen, Miss Granger, dass wir hier unten im Labor eine tote Maus gefunden haben.“ Hermine riss die Augen auf. „Keine Sorge“, beruhigte Balthasar, „sie war immerhin tot und offenbar schon etwas länger. Trotzdem, zur Vorbeugung, sollten sie einen Kammerjäger kommen lassen oder Fallen aufstellen.“
„Vielen Dank, dass Sie mir das gesagt haben. Bei den ganzen Zutaten ...“, sie seufzte. Das würde ihr noch fehlen, wenn Schädlinge ihre teuren Waren und Zutaten anfressen würden.
„Mein Cousin ist zufällig in der Schädlingsbekämpfung tätig. Ich könnte ihn morgen herschicken.“
„Ja, tun Sie das.“
Balthasar legte ein Stück Pergament auf die Theke. „Ich benötige Ihre Unterschrift auf der Rechnung.“
Gewissenhaft ging Hermine die Auflistung der Kosten durch, wobei ihr eine Sache positiv auffiel. „Kostet insgesamt doch weniger?“
„Wir waren schneller fertig, als ich eingeplant habe.“ Der Herr Ende vierzig lächelte. „Mrs. Cara hat nur noch die Wasserleitungen hier unten benutzt, deswegen hat sich die Abnutzung der Leitung oben in der Wohnung nicht mehr verschlimmert.“
„Das nenne ich doch mal Glück für mich!“ Hermine strahlte und unterschrieb die Rechnung, damit Balthasar den Betrag aus ihrem Verlies ausgezahlt bekommen würde.

Nun, nachdem auch die Handwerker gegangen waren, war Hermine allein in dem großen Gebäude. Sie ließ die Läden runter und schloss die Türen und Fenster. Ein seltsames Gefühl überkam sie. Sie könnte es mit Angst gleichsetzen, doch bevor es sie übermannte, ging sie hinüber zum Kamin. Es war gerade mal 18 Uhr. In Hogwarts, dachte sie, würde man gerade das Abendessen servieren. Eine Sache wollte Hermine heute unbedingt noch erledigt wissen.

„Molly?“
„Hermine, es ist schön, von dir zu hören! Wie geht's dir?“ Seitdem der Fuchsbau geräumt war, weil man Übergriffe von Hopkins und seinen Leuten befürchtete, lebten Molly und Arthur noch immer bei Verwandten in der Nähe von Hogsmeade, wobei Arthur sehr häufig im Ministerium blieb, weil die Arbeit es einfach nicht anders zulassen wollte.
„Mir geht es gut, danke. Ich wollte dich fragen, ob ich mir ein Bett aus dem Fuchsbau holen könnte. Ich hab eine eigene Wohnung.“

Zu gut wusste Molly, dass Hermine ausgezogen war, um für Ron und Angelina Platz zu machen. Sie hatte es damals für einen netten Zug gehalten, denn man war in Freundschaft auseinander gegangen. Hermine war für Molly noch immer so etwas wie eine liebe Schwiegertochter – eine, die partout nicht kochen lernen konnte.

„Von mir aus, Hermine. Du kannst die Betten von Charlie und Bill nehmen, die wollten sie nie haben. Du weißt ja, wo ihre alten Zimmer liegen.“ Sie lagen neben Rons, ganz oben unterm Dach.
„Ich brauche nur eines.“
„Nimm beide und suche dir in Ruhe eines aus. Eines ist recht hart, aber gut für den Rücken, das musst du ausprobieren. Den Fuchsbau kannst du betreten. Es liegt nur ein Muggelabwehrzauber drauf. Soll ich mitkommen?“
„Nein, das brauchst du nicht. Ron hat schon zugesagt und ich nehme Harry auch mit. Sicher ist sicher.“
„Gut, mein Liebes. Bedien dich, wenn du ihn ihren Zimmern Schränke findest, die du haben möchtest.“
„Danke, Molly.“
„Ach, nichts zu danken. Dann kann ich die Zimmer später endlich mal für etwas anderes benutzen, wenn die Möbel raus sind.“ Molly verabschiedete sich, so dass Hermine noch Harry anflohte.
„Hermine, ich hab deine Nachricht erhalten und war schon auf dem Sprung. Ich bringe Ron mit. Er ist vorher zu uns gekommen.“
„Gut, ich wollte nur Bescheid geben, dass ich jetzt losgehe. Wir treffen uns vorm Fuchsbau.“

Der Fuchsbau lag in Devon, etwas über 300 Kilometer von London entfernt, was sie locker mit nur einer Apparation zurücklegen konnte. Hermine wandte die goldene Deierregel an, bevor das Gefühl eintrat, ihr Körper würde durch einen Schlauch gepresst werden. Kein Wunder, dachte sie, dass Neville dabei immer schlecht wurde und deswegen lieber den Zug nahm. Besonders längere Strecken waren schwer zu ertragen und konnten Übelkeit auslösen, weswegen man für sehr weit gelegene Orte lieber auf einen Portschlüssel zurückgreifen sollte. Für jeden Zauberer und jede Hexe war die Grenze des Erträglichen während einer Apparation individuell und daher nicht pauschal festlegbar. Harry konnte dank einiger Konzentrationsübungen Strecken zurücklegen, die jeden Auror vor Neid erblassen lassen würden. Würde Harry vom Süden Englands in den Norden Schottlands apparieren wollen, müsste er höchstens einen einzigen Zwischenstopp einlegen. Das war dank der Übungen möglich, die er damals während seines autodidaktischen Okklumentik-Studiums erlernte.

Es war ungewöhnlich für den Fuchsbau, dass in keinem der Fenster ein Licht brannte. Früher war immer eines der Zimmer erhellt, ob nun durch Ginny, die lange wachgeblieben war, um sich fiese Zaubersprüche auszudenken oder durch die Zwillinge, die nachtaktiv waren und an ihren Scherzartikeln feilten. Dass dieses Haus leer stand war unwirklich, aber dennoch entsprach es der Tatsache.

Zwei ploppende Geräusche machten Hermine auf Harry und Ron aufmerksam.

„Ron, lange nicht gesehen!“ Sie fiel ihm um den Hals und drückte ihn, küsste ihm beide Wangen, wie Fleur es stets tat.
„Mine!“ Er drückte zurück. „Ich habe gehört, du hast eine Apotheke gekauft? Glückwunsch!“ Ron gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Hast es doch endlich in Angriff genommen! Das ist genau das Richtige für dich.“ Von Ron ließ sie sich an die Hand nehmen, bevor er auf die Haustür zuging.“
„Was denn, werde ich gar nicht begrüßt?“, schmollte Harry.
„Wir sehen uns ja auch so selten. Komm her.“ Ron ließ ihre Hand los, damit sie Harry einmal kräftig um den Hals fallen konnte. „Danke, dass ihr beide mitgekommen seid.“
„Ich kann es ja nicht zulassen“, begann Ron, „dass vielleicht gerade in dem Moment, indem meine beste Freundin den Fuchsbau betritt, ein aufgebrachter Muggelmob mit Fackeln und Heugabeln bewaffnet die Hexe niederbrennen will.“
„Das ist nicht witzig, Ron“, tadelte Harry, den diese Worte sehr besorgten.
Hermine nahm es gelassener. „Weiß man denn, was nun mit diesem Pablo ist?“
Es fiel ihm schwer, aber Harry wollte weghören, konnte dennoch Rons Stimme wahrnehmen: „Ist untergetaucht. Wahrscheinlich in der Nähe von Clova, wo diese blöde Festung liegt. Der Muggel-Premier kann einfach nichts gegen diesen Hopkins unternehmen und meinem Dad sind die Hände gebunden, weil dieser Fall dummerweise mit dem Premierminister zusammen verfolgt wird.“

Drinnen war es natürlich stockfinster, doch mit einem Lumos wurde Abhilfe geschaffen. Alle drei hatten ihre Stäbe gezogen und gingen sicheren Schritten durch das ihnen gut bekannte Haus.

„Ich sehe mal in der Küche nach“, warf Ron ein, „ob ich noch einige Lebensmittel davor retten kann zu verderben.“
„Ich dachte, wir helfen Mine?“
„Nein Harry, wir begleiten sie!“, stellte Ron grinsend klar.
Hermine schüttelte den Kopf. „Wie kann man nur die ganze Zeit ans Essen denken?“
„Ich muss viel Energie sammeln, wegen dem Quidditch und so.“ Mit begeistertem Gesichtsausdruck wandte er sich Harry zu. „Ginny hat mir erzählt, du hast einen Twister bekommen! Das ist ein toller Besen, Harry. Schon geflogen?“

Hermine ließ die beiden in Ruhe im Erdgeschoss zurück und machte sich über die Stufen hinauf, denn beide Betten befanden sich unter dem Dach. Es war unheimlich, diesen bekannten Ort nur mit einem Lumos erhellt zu sehen. Einige Dielen quietschten, was die Atmosphäre noch gruseliger machte.

In der Zwischenzeit marschierte Ron sicheren Schrittes in die Küche und öffnete eine Schranktür.

„Ich war vor zwei Monaten hier und habe ein paar von meinen alten Sachen geholt“, erzählte er, bevor er über eine neue Packung Cracker herfiel, deren Verfallsdatum sicherlich noch einige Jahre in der Zukunft lag. Mit vollem Mund brabbelte er: „Da 'aren noch 'achen von dir bei!“
„Sachen von mir?“, wiederholte Harry ungläubig. Er hatte nach Vollendung des siebzehnten Lebensjahres bei Ron gewohnt, war von den Weasleys wie ein verlorener Sohn herzlich aufgenommen worden, weil der Blutzauber bei den Dursleys mit seiner Volljährigkeit nicht mehr wirksam war. Außerdem wollte Harry nicht länger bei seinen Verwandten wohnen, als es notwendig war. Ron versuchte, eine Antwort zu geben, die sich nur vage nach „Omniglas“ anhörte, doch Harry konnte es nicht verstehen.
„Denk dran, Ron: Ab 150 Gramm wird's undeutlich.“ Ron schnaufte amüsiert und kaute mit vollen Wangen die Handvoll Cracker. Mit einem Male verzog er das Gesicht. Obwohl er momentan nicht sprechen konnte, wusste Harry, was die Aufmerksamkeit seines Freundes auf sich gezogen haben musste. Rons Nasenflügel bebten, denn irgendetwas stank hier in der Küche.

Im ersten Stock hatte Hermine gerade das alte Zimmer von Ginny passiert und steuerte nun den zweiten Stock an, in dem sich die ehemaligen Zimmer der Zwillinge befanden. Die krumme Treppe zum dritten Stock kannte sie nur zu gut. Eine Diele gab etwas nach, die andere weiter oben am Absatz war so wackelig wie ein Lämmerschwanz, doch auch diesen Stock erreichte Hermine. Sie ging gerade an der Tür zu Percys Zimmer vorbei und hielt inne, weil sie glaubte, von oben etwas gehört zu haben. Keine Schritte, sondern ein Scharren, als wäre jemand gegen ein Möbelstück gestoßen.

Sie erinnerte sich dran, was ihr Vater immer gesagt hatte, wenn sie als Kind wegen solcher Geräusche im Zimmer nicht hatte schlafen können: „Holz arbeitet, Minchen. Es dehnt sich aus oder zieht sich zusammen und deswegen knackt und ächzt es.“

Nun war sie im vierten Stock, blieb stehen und lauschte, doch nichts war zu hören. Hier befand sich das Schlafzimmer von Arthur und Molly, was sehr unglücklich gewesen war, denn Hermine war mehr als nur einmal erwischt worden, wie sie sich heimlich zu Ron ins Zimmer schleichen wollte. Sie wollte damals einfach nur bei jemandem sein, nachts jemanden umarmen können, weil ihr das Kriegsgeschehen Angst gemacht hatte. Die Zeiten waren lange vorbei.

Unten in der Küche hatte Ron endlich wieder einen leeren Mund. Er hob die Nase und schnüffelte wie ein Bluthund.

„Gott, stinkt das hier! Was ist das nur?“ Je länger man im Raum war, desto intensiver wurde der üble Geruch. Ron steuerte das Fenster an. „Lüften wäre nicht schlecht.“ Schon war es auf. Mit seinem Stab, dessen Spitze noch immer leuchtete, kam er in die Nähe des Waschbeckens. Beim sich bietenden Anblick sog er erschrocken Luft ein.
„Was hast du, Ron?“ Harry kam mit seinem Stab näher und brachte die helle Spitze zum Waschbecken. Das ganze in der Spüle liegende schmutzige Geschirr beherbergte nicht nur Schimmel, sondern auch jede Menge Ungeziefer.
Aufgeregt flüsterte Ron: „Jemand muss hier gewesen sein! Mum hat das Haus ordentlich verlassen. Vor zwei Monaten war das da“, er zeigte auf die Teller und Lebensmittelreste, „noch nicht da!“
Die beiden schauten sich einen Moment lang an und flüsterten im gleichen Augenblick besorgt: „Hermine!“

Hermine war endlich unter dem Dach angekommen. An Rons Zimmer ging sie vorbei bis zu den beiden hinteren Türen – die ehemaligen Zimmer von Charlie und Bill. Wahllos öffnete sie eine der Türen und betrat den Raum ohne zu Zögern. Einen Schrecken bekam sie erst, als das Licht ihres Zauberstabes ihr die zerwühlte Bettwäsche offenbarte. Molly war immer eine äußerst ordentliche Frau. Die Räume hier oben benutzte niemand und deswegen war Hermine die Situation schleierhaft. Sie legte den Kopf schräg und dachte nach. Aus einem Impuls heraus griff sie mit der linken Hand zum zerknitterten Laken unter der Decke. Es war noch warm. Sie schreckte hoch und drehte sich um, doch in genau diesem Augenblick entriss ihr jemand mit wässrigen Augen, die für einen winzigen Augenblick im spärlichen Licht des Lumos gefährlich aufblitzten, den Zauberstab.

Unten in der Küche war Harry der Erste, dessen Gemütslage automatisch von friedlich auf gefahrvoll umschlug. Auf der Stelle schüttete sein Körper ein wichtiges Hormon ins Blut aus. Das Adrenalin ließ sein mutiges Gryffindor-Herz schneller schlagen, den Blutdruck steigen. Er bekam mehr Luft. So einen klaren Kopf, so ein scharfes Auge hatte Harry schon lange nicht mehr. Ein Blick zur Seite machte ihm klar, dass auch Ron seinem Stresshormon ausgesetzt war – er war auf der Hut; kampfbereit. Den Ernst der Lage begriffen richtete Harry seinen Zauberstab aufs offene Fenster. Er konzentrierte sich auf eine Nachricht und formte gleich im Anschluss seinen gestaltlichen Patronus. Der Hirsch sprintete mit seiner Nachricht so schnell davon, dass man ihn kaum wahrnehmen konnte. Sein Ziel war Hogwarts.

Die beiden jungen Männer wandten an sich selbst den Desillusionierungszauber an, den Harry seit seiner fünften Klasse, als Alastor das erste Mal diesen Zauber gebrauchte, erlernen wollte und es Anfang der siebten den Mitgliedern der DA in einer Geschwindigkeit beigebracht hatte, die eines Aurortrainers würdig gewesen wäre. Unsichtbar, wie sie waren, eilten sie auf stillen Sohlen ganz nach oben bis unters Dach, wo sich Hermine aufhalten musste.

In dem alten Schlafzimmer war Hermine von ihrem eigenen Stab geblendet, den der Fremde ihr ins Gesicht hielt, doch er griff sie nicht an. Sie blinzelte. Die schattige Gestalt war einen Kopf kleiner als sie und noch immer konnte sie seine feuchten Augen im Licht des Lumos funkeln sehen.

„Wer sind Sie?“, fragte sie leise.
„Du Gute“, es war ein Mann, „du kluges Mädchen.“

Die flüsternde Stimme war ihr bekannt. Es waren Worte, die Hermine schon einmal gehört hatte und zwar in der Nacht, als sie in der dritten Klasse einen bestimmten Mann stellten, der es jedoch fertiggebracht hatte zu fliehen.

Etwas glitzerndes näherte sich ihr, eine einst silberne Hand, die nun schmutzige schwarze Stellen aufwies und unbeweglich schien. Hermines Herz begann zu rasen. Ihr Kopf wurde klar. Sie musste weg hier. Er hatte ihren Zauberstab und sie war ihm ausgeliefert. Die wenigen Zaubersprüche, die sie stablos beherrschte, konnten ihr in dieser Situation nicht helfen. Mit einem Male spürte sie die Hand aus Edelmetall an ihrer Wange. Sie wollte fliehen, doch er Mann drehte sie und warf sie aufs Bett. Das Gewicht von dem Mann, der sich auf ihren Rücken warf, entlockte ihr den letzten Atem, den sie für einen Schrei nutzte, doch der wurde von den Kissen erstickt, in die er ihren Kopf drückte. Sie wollte weg, nach Hogwarts, wo sie sicher war. 'Ziel, Wille, Bedacht', wiederholte sich automatisch die Anleitung zum Apparieren immerfort in ihrem Kopf.

Sie dachte weder an ihre liegende Position, noch an die enorme Entfernung Hogwarts', die sich auf fast 400 Meilen – beinahe 700 Kilometern – erstreckte. Hermine wünschte sich nur, in Hogwarts zu sein. Das Ziel stand fest, der Wille war da, doch den Bedacht trat sie mit Füßen, denn in ihrer momentanen Situation konnte sie keine Ruhe bewahren. Sie war kurz davor zu apparieren, da sah sie neben sich ihren Zauberstab in der linken Hand des Angreifers, dem der kleine Finger fehlte.

In diesem Moment stürmten Harry und Ron das Zimmer, doch sie fanden niemanden vor – es war der falsche Raum. Durch die aufberstende Tür nebenan aufgeschreckt blickte Pettigrew auf sein weibliches Opfer, das er mit seinem Gewicht auf das Bett presste. In Windeseile ließ er von ihr ab.

Sich aufrappelnd sah sie ihren eigenen Stab auf sich gerichtet. Unüberlegt griff sie zu und sah noch für einen kurzen Moment ein grünes Licht aus der Stabspitze entweichen.

In null Komma nichts waren Ron und Harry im richtigen Zimmer angelangt. Was sie sahen, ließ ihr Herz für einen Moment aussetzen. Ein Mann stand vor der auf dem Bett sitzenden Hermine, hatte einen Stab auf sie gerichtet, den sie mit der Hand umfasste, als könnte sie von ihrem Besitz nicht ablassen. Ein Avada schoss aus der Stabspitze und im gleichen Moment war Hermine verschwunden. Der grüne Todesfluch war noch da, traf das übergroße Poster eines Ungarischen Hornschwanz', der seine bronzefarbenen Hörnern seitlich unter die Flügel eines Ukrainischen Eisenbauchs gerammt hatte – die einzig verwundbare Stelle des ansonsten durch seinen stumpf metallgrauen, massigen Panzer geschützten Schwergewichts. Der Todesfluch hatte ein Loch in die Hauswand gerissen, die Posterfetzen hatten Feuer gefangen, welches sich im Nu ausbreitete. Die wellenartigen Flammen an der Holzwand gewährten Harry und Ron einen guten Blick auf den Eindringling, der nun ohne einen Zauberstab in Charlies altem Zimmer stand.

Hermine war in einem dunklen Tunnel. Sie apparierte und sie wusste, dass sie ihr Ziel nicht aus den Augen lassen durfte, den so weite Strecken erforderten eine Menge Konzentration. Dennoch bekam sie es mit der Angst zu tun, als sie ihr utopisch weites Reiseziel überdachte. Die Apparation dauerte lange, doch umentscheiden konnte sie sich nicht. Das war beim Apparieren der Haken. Einmal ein Ziel anvisiert musste dieses erreicht werden. Deswegen musste man sich als Erstes über das Ziel klar sein und ihres war Hogwarts, nicht etwa die Tore Hogwarts. Vielleicht schaffte sie es, dachte sie sich. Sie musste es schaffen. Zum Glück fühlte es sich nicht so an, als würde noch jemand bei ihr sein. Es war ihr erfolgreich geglückt, ohne Pettigrew zu apparieren. Die Sorgen um Ron und Harry hätte sie beinahe ihre Konzentration gekostet. Diesen beunruhigenden Gedanken schob sie beiseite, denn die beiden waren mehr als nur fähig, sich mit einem unterdurchschnittlich begabten Zauberer zu messen. Ihre Sorge bezog sich auf Hogwarts und damit auf die Schutzwälle, die sie schon einmal an Harrys und Wobbels Seite per Apparation überwunden hatte. Sie könnte es auch schaffen. Vielleicht war der Schutzwall um die Schule herum nicht mehr so stark, dass man unmöglich eindringen konnte – das hoffte sie jedenfalls innig. Das Schloss kannte sie, musste wissen, dass sie nichts Böses im Schilde führte.

Die weite Strecke war anstrengend, doch bisher hatte sie es überlebt. Es gingen ihr urbane Legenden von Menschen durch den Kopf, deren Apparationsziel so weit war, dass sie nie wieder aufgetaucht waren. Im „Schlauch“ gefangen, dachte Hermine, doch es war wahrscheinlicher, dass diese Menschen aufgrund von Konzentrationsmangel in ihre Einzelteile zersplintert waren oder gar an Orte gelangten, aus denen sie sich nicht mehr befreien konnten oder den sicheren Tod fanden, wie das Innerste von Felswände, Meerestiefen mit tödlichen 1000 bar Druck oder das Weltall.

Hermine wusste nicht, ob es möglich war, während des Vorganges der Apparation Tränen zu verlieren, aber es fühlte sich momentan so an. Sie verspürte noch immer dieses unangenehme Gefühl, zusammengedrückt zu sein und mittlerweile tat es weh. Den Schmerz versuchte sie zu ignorieren, indem sie sich ihr Ziel vor Augen hielt, egal was geschehen mochte, wenn sie es erreichte.

Hogwarts.

Nach dem Essen in der großen Halle war der Trubel in der Eingangshalle davor wieder einmal, wie jeden Tag, für Severus fast unerträglich laut. Die Schüler schwatzten und sie durften es sogar, denn sie hatten nun bis zum Zapfenstreich freie Hand in ihrer Freizeitgestaltung. Es wurden von den Kindern und Jugendlichen Pläne für den Abend geschmiedet oder sie flirteten ungeniert miteinander, während sie sich nicht an der Anwesenheit der Lehrer zu stören schienen. Gordian und Meredith hielten sich an der Hand, sprachen derweil mit ihren gemeinsamen Freunden aus Hufflepuff und Slytherin. Eine Kombination, die selten zu sehen war, aber dennoch nicht völlig ungewöhnlich war. Severus stand trotz des Lärms nach dem Abendessen gern in der Eingangshalle, falls sich eine Möglichkeit bot, Punkte abzuziehen.

Präsent blieb Severus in der Mitte der Eingangshalle stehen, obwohl er normalerweise die Schatten bevorzugte, die von Treppen und Nischen geworfen wurden. Er blickte sich in Ruhe um und bemerkte Draco, wie der mit einen jungen Ravenclaw sprach: Linus Korrelian, ein schmächtiger Bursche, der um viele Ecken denken konnte und im Gegensatz zu seinen gleichaltrigen Mitschülern nicht davor zurückschreckte, auch unangenehme Dinge beim Namen zu nennen. Manchmal fragte sich Severus, ob das Haus Ravenclaw die perfekte Mischung von Slytherin und Gryffindor beherbergte, nur ohne die Zwietracht aus dem grünen Haus und ohne den oftmals unüberlegt eingesetzten Rammbock, den viele Gryffindors in ihrem dicken Schädel mit sich herumführten.

Professor Sinistra hatte mit dem Abendessen gerade ihr Frühstück eingenommen, denn sie war nachtaktiv und würde gleich ihren Unterricht, Astronomie, mit den Sechstklässlern beginnen, die alle bereits versammelt waren. Sie unterhielt sich sehr lebhaft mit Professor Vektor, der Lehrerin für das Wahlfach Arithmantik, über den bevorstehenden ekliptikalen Komplex der Virginiden, den man ab dem 25. Januar am Himmel beobachten könnte. Für Professor Sinistra war dies, wie jede Beobachtung am nächtlichen Firmament, eine ganz besondere Angelegenheit, so auch für Professor Vektor, die diesen himmlischen Vorfall ebenfalls in ihrem mathematisch wahrsagerischen Unterricht anzuwenden wusste. Zu ihnen stieß Pomona, die großes Interesse an dem Gespräch, das sie zuvor nur passiv verfolgt hatte, zu haben schien. Etwas weiter links standen Albus und Minerva, die sich mit Filius und Sibyll unterhielten. Severus' Blick fiel auf Lupin, der die kleine Gruppe um Albus herum beäugte, sich aber sehr wahrscheinlich wegen Sibylls Anwesenheit nicht dazu gesellen wollte. Stattdessen machte er es dem Tränkemeister gleich und beobachtete die Menge, bemerkte auch Severus und – wie der es befürchtete – kam auf ihn zu.

„Severus“, grüßte Remus mit einem Nicken.
„Wir haben uns eben erst beim Essen gesehen“, nörgelte Severus, der einfach nur allein sein wollte.
Diese ablehnende Haltung ignorierend fragte Remus: „Was machst du so?“ Severus hob eine Augenbraue und formte im Kopf die Frage, ob es nicht deutlich genug wäre, womit er momentan seine Zeit vergeudete. „Ja, du beobachtest. Wie immer“, brachte Remus es auf den Punkt.
Ohne dass Severus es begrüßte, gesellte sich noch jemand zu Remus und ihm. Es war Hagrid, der die beiden um einiges an Größe überragte.
„Hagrid, wie geht's?“, fragte Remus freundlich.
„Oh, mir geht's sehr gut, danke. Professor Dumbledore hat mir neulich geholfen, einen Antrag beim Ministerium zu stellen.“
Severus runzelte die Stirn. „Was für einen Antrag?“
„Ich will einen neuen Zauberstab haben“, erklärte der Halbriese.
„Ah“, machte Severus, dem sich noch immer nicht offenbart hatte, um was es eigentlich ging.
„Ja ja, es ist ja nun bewiesen, dass ich damals kein Monster auf die Schüler losgelassen habe.“ Dank Harry wurde beim Ministerium festgehalten, was er für Erinnerungen in Riddles Tagebuch gesehen hatte. Aragog, wie Harry bezeugte, war nicht das Monster aus der Kammer gewesen, welches Myrthe umgebracht hatte. „Würd' ich nie tun, niemals. Die armen Schüler!“

Hagrid war so sehr damit beschäftigt, unnötigerweise seine Unschuld zu beteuern, dass er gar nicht mitbekam, wie Remus nur milde lächelte, während Severus bereits die Augen verdrehte.

„Einen neuen Zauberstab also“, warf Severus ein, damit Hagrids Unschuldsbekundungen ein Ende finden würden.
„Ja richtig, richtig. Unter Fudge oder Scrimgeour hätte man meinen Antrag nich' ernst genommen, gleich in den Papierkorb geworfen, aber der gute Arthur, der wird's sich durchlesen, da bin ich mir sicher, ganz sicher bin ich mir da!“
Remus klopfte ihm mutmachend auf den riesigen Unterarm. „Vielleicht kann Ollivander sogar deinen alten Stab wieder zusammensetzen?“ Hagrids Stab wurde damals, als er beschuldigt worden war, die Kammer des Schreckens geöffnet zu haben, in zwei Teile gebrochen, die er noch heute in seinem rosafarbenen Regenschirm aufbewahrte, womit er einfache Zaubersprüche ausführte.
„Ollivander kann vieles, aber meinen alten Stab hat er nicht mehr retten können, dieser ...“

Severus verkniff sich eine Beleidigung in Anwesenheit des Halbriesen, der ein absoluter Harmoniemensch war und es nicht zuließ, über gute Freunde von Albus schlecht zu sprechen. In dieser Hinsicht war eine Diskussion mit Hagrid sehr anstrengend, weil der manche Argumente nicht verstand oder vielleicht auch nur vorgab, sie nicht zu verstehen. Hagrid sah immer das Gute im Menschen oder auch in anderen Kreaturen, nur bei einem seiner damaligen Mitschüler war er überzeugt, dass der durch und durch böse war. Hagrid vergötterte sogar Niffler, die wegen ihrer Liebe zum Graben von Tunneln vor einigen Jahren beinahe den Westflügel des Mungos zum Einsturz gebracht hätten.

Hermine kam sich gerade so vor, als würde sie sich durch einen dieser engen, von der Sonne nicht angerührten Niffler-Tunnel quetschen. Langsam müsste sie ihr Ziel erreichen. Sie war am Ende, fühlte sich matt und ausgelaugt. Unerwartet spürte sie, wie sie gegen einen massiven Gegenstand zu prallen schien, der sie für einen Moment zu lähmen vermochte. Sie konnte diese Wand nicht passieren, doch ein Stück von ihr apparierte unbehelligt weiter, während sie sich eine Zehntelsekunde später vor den Toren Hogwarts' wiederfand. Mit einer Hand umfasste sie ihren Zauberstab, der noch immer die Dunkelheit erhellte. Sie war tatsächlich allein und wollte, trotzdem sie sich so müde fühlte, sofort aufstehen, um in Hogwarts Alarm zu schlagen, doch sie konnte nicht – ihre Beine gehorchten ihr nicht. Im Sitzen blickte sie an sich herab. Als sie es bemerkte, das fehlende Bein, da erst stellte sich augenblicklich der Schmerz ein. Hermine schrie.

In der vollen Eingangshalle wurde das nur teilweise interessante Gespräch mit Hagrid von einer kleinen, aber fühlbaren, magischen Erschütterung und einem daraufhin folgenden lauten Schrei unterbrochen, der so angstvoll war, dass jeder Lehrer, jeder Schüler sich auf der Stelle umblickte, um den Grund zu erfahren. Meredith hatte geschrien, hielt sich nun eine Hand vor den Mund und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das Bein, welches nackend und wackelig vor ihr stand. Genau an der obersten Stelle, wo normalerweise ein Oberschenkel am Rumpf befestigt war, war es säuberlich abgetrennt. Als das Bein in sich zusammensackte, schrie nicht mehr Meredith auf, dafür viele der anderen Schüler.

Albus und Minerva eilten zusammen mit den anderen Lehrern hinüber zu dem körperlosen Bein, so auch Remus und Severus. Ein kurzer Blick auf die Extremität genügte Remus.

„Das ist Hermines Bein!“, sagte er erschrocken. Severus wusste, dass sein Kollege Recht behalten würde, denn auch wenn er diese Verletzung niemals zu Gesicht bekommen hatte, so wusste er doch von der roten Vernarbung aufgrund des Spinnenfeuers, welches Hermines Wade verunstalten sollte. Jetzt sah er diese Kriegswunde das erste Mal mit eigenen Augen.
„Wo ist der Rest?“, wollte Hagrid wissen.
Minerva war für ihre Verhältnisse sehr aufgebracht. „Sie muss sich zersplintert haben.“
„Wir müssen sie finden“, warf Filius ein, „sonst ist es zu spät, das Bein wieder anzufügen.“

Professor Vektor und Professor Sinistra sorgten in der Eingangshalle dafür, dass die Schüler in ihre Gemeinschaftsräume gehen würden, doch da wurden sie von etwas anderem abgelenkt, denn ein riesiger silberner Patronus in Form eines Hirschs hatte mit Leichtigkeit den Schutzwall Hogwarts passieren können, denn von einem Schutzherrn ging keine Gefahr für die Schule aus.

Severus rutschte das Herz in die Hose. Hermines Bein und Harrys Patronus verhieß nichts Gutes.

Der Hirsch hatte sich Albus genähert und man hörte Harrys Stimme, als die Nachricht übermittelt wurde: „Hermine ist in Gefahr. Jemand ist im Fuchsbau!“

Mit einer Hand strich Albus nachdenklich über seinen Bart, doch nicht so lang, dass Severus Zeit finden würde, ihn deswegen böse anzufahren.

„Sie muss in der Nähe sein, wenn sie hierher apparieren wollte“, sagte Albus besonnen. Severus und Remus wollten sich schon auf die Suche machen, da kam ein kleiner, nur schwach leuchtender Patronus-Otter auf den Tränkemeister zu. Hermines schmerzverzerrte Stimme ließ ihm eine Gänsehaut über den Rücken laufen, als er sie sagen hörte: „Ich bin am Tor“, nach einer kurze Pause hörte man noch leise, „Hilfe.“
„Dobby?“ Geruhsam hatte Albus nach dem Hauself gerufen. Dobby erschien mit einem kaum hörbaren Plopp und der Direktor wies ihn sofort an: „Miss Granger ist vor den Toren. Bitte bring sie sofort zu uns.“ Der Elf verschwand und die Zeit nutzte Albus, das Wort an die Schüler zu richten. „Verlasst bitte die Eingangshalle.“ Sie kamen seiner Aufforderung ohne Murren nach, obwohl ihnen die Neugierde ins Gesicht geschrieben stand.

Unverzüglich kam Dobby zurück. Er hielt eine kreidebleiche und sehr mitgenommen aussehende Hermine an der Hand, die nur auf einem Bein stand und heftig atmete, doch anstatt sich wegen ihres fehlenden Beines Gedanken zu machen, sagte sie mit bebender Stimme im Beisein aller Lehrer: „Pettigrew ist im Fuchsbau!“ Ihre Stimme war beängstigend schwach. Die Erwähnung von dem Todesser löste besonders bei Remus und Severus eine immense Wut aus. „Ron und Harry sind noch da!“ Trotz der Schmerzen war sie voller Sorge um das Wohl ihrer Freunde. „Wir müssen ihnen helfen!“
„Eins nach dem anderen“, sagte Albus, der als Einziger die Ruhe zu bewahren schien. „Ich denke, wir kümmern uns erst um etwas“, er ging zu dem am Boden liegen Bein, „das Sie später sicherlich noch brauchen werden.“

Mit einem Wink seines Zauberstabs ließ Albus das Bein zu Hermine schweben, die sich auf dem einen kaum noch halten konnte. Wie schon damals, als Susan während des Apparierkurses in Hogwarts ihr Bein zurückgelassen hatte, wurde diesmal Hermine von den Anwesenden in die Mitte genommen. Albus, Minerva, Pomona, Remus, Severus und Filius bildeten einen Kreis um Hermine und begannen leise Worte zu murmeln. Das Bein fügte sich langsam wieder an ihren Körper an, was aufgrund der Zeit, die bereits vergangen war, ein schmerzhaftes Erlebnis darstellte. Sie nahm sich vor, nicht zu schreien und biss die Zähne zusammen, um nicht doch wie am Spieß zu brüllen. Der Schmerz war ähnlich wie der, als Luna ihr Bein tiefgefroren hatte und damit durch Zufall das Spinnenfeuer aufgehalten wurde, von dem sie getroffen worden war. Ihre Atmung war stockend und laut. Jeder konnte hören, wie sehr sie litt. Es dauerte einen Moment, bis ihr Bein endlich wieder dort war, wo es hingehörte.

Beim Versuch, mit dem Bein aufzutreten, wurde ihr Körper von einem stechenden Schmerz durchfahren, so dass sie nach hinten fiel, direkt in die Arme von Remus.

„Wir müssen Harry und Ron helfen!“, sagte sie schwach.
Severus nahm sie am Oberarm, damit sie das Gleichgewicht wiederfand. „Das 'wir' streichen Sie bitte, Hermine.“ Sie würde in diesem Zustand keine Hilfe sein.
„Ganz recht, Severus“, stimmte Albus zu, „ich werde Arthur Bescheid geben.“
Remus und Severus blickten ihn ungläubig an. „Das wird viel zu lange dauern!“, gab Remus zu bedenken. Er würde so viel geben, um Peter dieses Mal in die Finger zu bekommen.

Severus blieb still und schien eine Entscheidung für sich allein zu treffen. Mit einem Mal wandte sich von den anderen ab und ging in Richtung Ausgang.

„Wo hin so eilig?“, rief ihm Albus hinterher, obwohl er die Antwort kannte, doch Severus erwiderte nichts. Sein sicherer schneller Gang wirkte selbst von hinten bedrohlich, was sein theatralisch wehender Umhang gekonnt untermalte. Remus wollte Severus nicht nur hinterherblicken, sondern ihn begleiten, weswegen er Hermine in Pomonas Hände gab, bevor er dem Tränkemeister folgte.
„Remus?“ Der Gerufene antwortete ebenfalls nicht, doch sein Ziel war klar. Als auch noch Minerva sich den beiden anschließen wollte, da seufzte Albus. „Nicht auch noch du, meine Liebe.“
„Albus“, schimpfte sie, nachdem sie sich umgedreht hatte, „Pettigrew ist noch immer eine Schande für mein Haus! Ich möchte nichts anderes, als ihm endlich mal die Leviten zu lesen.“
„Oder sie mit Flüchen zum Ausdruck zu bringen? Nein Minerva, bleib hier, bitte.“ Er wandte sich an Pomona und Filius. „Würden Sie beide Hermine bitte zu Poppy geleiten? Ich möchte Folgeschäden durchs Splintern ausschließen.“ Er blickte Hermine in die sorgenfüllten Augen. „Außerdem braucht sie Ruhe nach der lange Reise.“

Vor den Toren Hogwarts angekommen blieb Severus stehen, damit Remus, den er gehört hatte, ihn aufholen konnte. Es war ihm klar, dass auch sein Kollege die ein oder andere persönliche Rechnung mit Pettigrew zu begleichen hatte.

Kaum war Remus bei ihm, erklärte Severus sein Vorhaben: „Apparation mit drei Zwischenstopps!
Glasgow, Manchester, Northampton und von dort aus zum Fuchsbau, sonst wären wir zu ausgelaugt.“
„In Ordnung.“

Bevor jeder für sich apparierte, sah Severus einen silbernen Schein von dannen ziehen.

„Was war das?“, wollte er von Remus wissen.
„Ein gestaltlicher Patronus?“, erwiderte Remus schmunzelnd.
„Für wen?“

Remus antwortete nicht, doch sein Blick verriet, dass noch jemand anderes ein Hühnchen mit Pettigrew zu rupfen hätte.

„Nein, nicht der“, stöhnte Severus.
„Los, apparieren wir endlich!“

Schon war Remus verschwunden. Severus ahnte nicht nur, wen Remus informiert haben könnte, er wusste es.

Es gab in verschiedenen Städten bestimmte Apparierpunkte, die man teilweise schon in der Schule kennen lernte. Orte, die das plötzliche Auftauchen vor Muggeln minimieren sollten, wie leere Gassen, Parks oder am Fuße eines Brückenpfeilers.

In Manchester erschienen Remus und Severus mit einem leicht knallenden Geräusch an so einem Brückenpfeiler, doch womit sie nicht gerechnet haben, war der Obdachlose, der hier dick in mehrere Decken eingewickelt geschlafen hatte und nun hellwach die beiden Herren anstarrte, die aus dem Nichts aufgetaucht sind.

Remus schenkte ihm ein Lächeln. „Oh, guten Abend, Sir“, sagte er zu dem verdutzten Obdachlosen, „wir sind gleich wieder weg. Entschuldigen Sie die Störung.“
In Northampton in einem nachts abgeschlossenen Park angelangt fragte Severus: „Was sollte das eben in Manchester? Sie können den Mann nicht auch noch ansprechen, Lupin.“
„Es ist nicht verboten, höflich zu sein. Außerdem: Wer würde einem Obdachlosen glauben, wenn er erzählt ...“
„Genug!“

Schon war Severus appariert, womit er als Erster in der Nähe des Fuchsbaus erschien. Erschrocken musste er feststellen, dass ganz oben aus dem windschiefen Haus Flammen schlugen. Neben ihm erschien Remus.

„Ach du meine Güte! Ich hoffe, Ron und Harry sind nicht mehr drin.“
„Das werden wir gleich ...“ Severus hielt inne, als plötzlich eine weitere Person vor ihnen auftauchte. Black.
„Remus?“ Sirius kam auf ihn zu, ignorierte Severus unbeabsichtigt. „Pettigrew ist da drin?“
„Hermine hat das bestätigt, ja!“
Ein wahnsinniges Grinsen verunstaltete Sirius' Gesicht, was Severus sehr genau beobachtete und es zum Anlass gab zu mahnen: „Ich rate Ihnen, nicht unüberlegt zu handeln, Black.“
Sirius schüttelte den Kopf. „Ich will nur eine kleine Revanche, bis die Auroren kommen. Los, gehen wir rein.“

Severus wollte einige Zaubersprüche anwenden, damit Apparation nicht möglich war, doch Remus hielt ihn ab. Die Auroren müssten apparieren können. Mit gezücktem Zauberstab gingen die drei zur Tür. Bis auf Severus erschreckten sie, als die Tür sich öffnete. Es waren Ron und Harry.

„Die Ratte ist entwischt!“, schimpfte Ron. „Er muss noch im Haus sein und Hermine auch, aber das Feuer ...“
Remus beruhigte die beiden. „Hermine ist in Sicherheit, sie ist in Hogwarts!“
Ron und Harry atmeten erleichtert aus, bevor Harry erklärte: „Das Feuer ist schon im zweiten Stock. Die oberen kann man nicht betreten. Vielleicht können wir draußen warten, bis er rauskommt?“

Auf ihrem Weg nach unten hatten Ron und Harry einige Dinge nach draußen befördert, damit das Feuer nicht noch größer wurde als es bereits war. Mit einem Wutsch ihres Stabes hatten sie Schränke, Bücher und andere leicht brennbare Dinge aus dem Haus entfernt und die standen nun gut geschützt im nahe gelegenen Wald.

Die fünf gingen nach draußen und stellten sich in sicherem Abstand um das Haus herum. Mit verschiedenen Zaubersprüchen belegten sie den Boden mit magischen Bewegungsmelder, die jedoch unnütz waren, denn von oben fielen bereits kokelnde Holzlatten hinunter. Außerdem kamen nun die Auroren. Dawlish führte sie an, weil Kingsley und Tonks mit vielen anderen längst beim Todesserversteck auf der Lauer lagen.

„Was tun Sie hier?“, fragte Dawlish den Ersten, den er antraf und das war Ron.
„Ich bin hier aufgewachsen!“, giftete er zurück. „Das ist das Haus meiner Eltern.“
„Das weiß ich!“ Dawlish klang grantig. „Verschwinden Sie von hier. Alle!“

Remus, Harry und Sirius hatten sich dem Auror genähert, während Severus sich lieber zurückhielt.

Besonders aufgebracht war Sirius: „Peter Pettigrew befindet sich hier irgendwo und den wollen wir ...“
„Sie gehen! Das ist eine Angelegenheit des Ministeriums. Stören Sie unsere Arbeit nicht, sonst ...“

Lautes, sich näherndes Sirenengeheul ließ alle Anwesenden verstummen.

„Was zum ...? Was soll das?“ Man sah in der Nähe bereits einige Lichter, die Sirenen wurden lauter. Sich Ron zuwendend wollte Dawlish wissen: „Ist das Haus nicht vor Muggeln versteckt?“
Ron schüttelte den Kopf. „Nur durch die Bäume.“
„Verdammt!“

Dawlish erkannte bereits die ersten Wagen eines Muggellöschzugs des nächst gelegenen Dorfes, der sich den schwer zugänglichen Weg zum Fuchsbau vorkämpfte. Das Haus mochte von Muggeln wegen der versteckten Lage nie bemerkt worden sein, doch die hoch schlagenden Flammen waren sicherlich auch aus der Ferne gut zu sehen.

„Rückzug!“, schrie Dawlish.
„WAS?“ Sirius konnte es nicht glauben. „Hier treibt sich ein flüchtiger Todesser rum!“, zeterte er wütend. „Sie können nicht ...“
„Sehen Sie das da?“ Mit einem ausgestreckten Finger zeigte Dawlish auf die blauen und roten Lichter, die die umliegenden Bäume erhellte und viele Schatten tanzen ließ. „Das ist die sogenannte 'Feuerwehr' der Muggel. Die bekämpfen Brände. Wir haben nicht genug Leute, die sich um die Muggel kümmern könnte. Ich muss erst Vergissmich anfordern und mehr Auroren, damit wir sie wegbringen können. Vorher dürfen wir uns den Muggel nicht zeigen. Wie sollen wir uns erklären? Sollen wir uns als schaulustige Dirigenten tarnen, hier herumstehen und dem Löschvorgang zusehen?“
Harry wollte es nicht wahrhaben. „Und wenn Pettigrew den Muggeln etwas antut? Sie als Geiseln nimmt? Das geht nicht, wir müssen etwas unternehmen!“
„WAS denn?“ Dawlish war genervt. „Mr. Potter, ich bin für jeden Vorschlag, der sich an die Gesetze hält, dankbar!“
„Löschen wir das Feuer und lassen wir die Muggel ohne Arbeit wieder abziehen! Sie könnten auch ...“ Harry fiel nichts ein.
Genauso wenig wie Ron, der wütend murmelte: „Wo ist Hermine, wenn man sie braucht?“

Sie mussten handeln und zwar schnell. Sollten sie die Muggel anrücken lassen, müsste man damit rechnen, dass Pettigrew ihnen etwas antat. Es hatte ihm damals auch nichts ausgemacht, eine Straße explodieren zu lassen, was einem Dutzend Muggel das Leben kostete.

Plötzlich hob Ron seinen Zauberstab.
„Was soll das?“, fragte Dawlish.

Ron antwortete nicht, sondern hoffte, dass sein Zauberspruch funktionieren würde. Bei kleineren Lebewesen mit einfacher Struktur, wie zum Beispiel einer Fliege, war es möglich, das wusste er, aber ob eine Ratte, die eigentlich ein Animagus war, dazuzählte, musste er ausprobieren. Einen Versuch war es wert.

„Accio Krätze!“
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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Sonea Ginevra Inava
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Re: Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit (176)

Beitrag von Sonea Ginevra Inava »

Erwähnte ja bereits, dass ich bei Fanfiktion.de weitergelesen habe, trotzdem erhältst du jetzt ein Review. Mal sehen wie gut das klappt, wenn man den Text nur nochmal überfliegt. ^^
Hermines Anfang in der Apotheke hast du sehr schön beschrieben, sie merkt ja bereits um was sie sich alles kümmern muss. Bei der Szene im Fuchshaus war ich ja beim ersten Mal schon richtig nervös, vorallem, als Ron das ganze Geschirr und so entdeckt. Selbst beim Überfliegen merk ich noch, wie ich mitgefiebert habe.. Naja, zu wem die 'wässrigen Augen' gehören war ja sofort klar, ist ja fast schon Wurmschwanz Erkennungsmerkmal. Das Zerplinntern, gar nicht gut, aber schön wie du ihre Reise beschrieben hast, ihre Angst. Und das sie im ersten Moment noch gar nicht merkt, dass sie kein Bein mehr hat.
Remus & Severus unter der Brücke haben ja den ganzen Ernst der Szene wieder ein bisschen aufgelöst, sehr schön..
Ah ich wollte gerade schon wieder vorgreifen. Was bin ich froh, dass ich dem Cliffhanger entgehen konnte. ^^
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Muggelchen
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Beitrag von Muggelchen »

Hallo Sonea,

ich habe ja schon geschrieben, warum ich hier ein wenig mit den Kapiteln hinterherhinke. Viel fehlt ja nicht mehr, dann ist diese FF auch hier beendet.
Im Fuchsbau war Ron natürlich wachsamer als Harry. Ist auch verständlich, denn Ron hat dort gelebt und weiß, wie es aussehen muss. Wurmschwanz wird später noch mal einen kleinen Auftritt haben.
In den Büchern wurde das Apparieren einge Male beschrieben und weil die Reisenden dabei durchaus etwas empfinden und es nicht nur in wenigen Sekunden von A nach B geht, hatte Hermine genügend Zeit, während ihrer Reise auch Angst zu entwickeln. Die Angst war nicht unbegründet, wie man es an dem Zersplintern gemerkt hat. Zum Glück landete ihr Bein nicht irgendwo im Verbotenen Wald - da wäre es sicher von irgendwelchen Riesenspinnen gefressen worden.

Viel Spaß beim Lesen
Muggelchen



177 Ratte und Schneeammer




Aus der Ferne sah Severus einige Muggelfahrzeuge, deren grell leuchtende Sirenen endlich nicht mehr jaulten, langsam dem Fuchsbau näher kommen. Immer mehr hatte er sich von dem brennenden Haus entfernt und war ins Unterholz gegangen. Severus wollte weder zu dicht bei Black stehen noch Dawlishs skeptischem Blick ausgesetzt sein, so dass er nun bereit in den anliegenden Wald schlenderte und von dort die Situation beobachtete, ohne selbst gesehen zu werden. Ganz in seiner Nähe standen etliche Möbel, die aus dem Haus gezaubert worden sind, damit dem Feuer nichts weiter zu fressen blieb als die hölzernen Wände und Treppen.

Mit wachem Blick verfolgte Severus, der seinen Stab vorsichtshalber in der Hand hielt, wie der Rotschopf neben Harry einen Zauberspruch sagte. Zwar hörte Severus nichts, aber anhand der Bewegung wusste er, dass es sich um einen Aufrufezauber handeln musste. Kurz darauf hörte Severus ein lautes Rappeln. Sofort drehte er sich um und beäugte das Mobiliar, dessen Anordnung skurril anzusehen war, denn es schien, als würde sich mitten im verschneiten Wald ein Wohnzimmer befinden. Es war einer der kleinen Schränke, von dem das rumpelnde Geräusch herrührte. Um genau zu sein kam es von der untersten Schublade, die sich nicht öffnen ließ, weil ein Schirmständer aus Massivholz sie blockierte.

Eine Vorahnung ließ Severus auf der Hut sein, als er den Schirmständer entfernte. In Gedanken hatte er sich bereits mehrere Zaubersprüche zurechtgelegt, die er in einer bestimmten Reihenfolge anwenden würde, sollte er mit seiner Vermutung Recht behalten. Er ging einen Schritt zurück. In Windeseile öffnete Severus mit einem wortlosen Spruch die Schublade. Eine Ratte sprang heraus, mit der Severus fest gerechnet hatte. Ohne Umschweife traf ein weiterer Zauberspruch die Ratte, die sich auf der Stelle in einen Menschen verwandelte und es verhinderte, die Animagus-Form erneut anzunehmen. Es war Pettigrew! Der kleine Mann drehte sich um und sah in kohlrabenschwarze Augen, die sich zu schmalen Schlitzen verengt hatten und nichts Gutes verhießen.

Pettigrew begann mit einem Male zu röcheln, als kleine Funken seinen Körper bedeckten, was Severus zum Anlass nahm, mit leiser bedrohlicher Stimme zu empfehlen: „An deiner Stelle würde ich nicht versuchen, die Form der Ratte anzunehmen. Es ist dir nicht mehr möglich, dich zu verwandeln.“ Severus kannte die Tricks der Auroren und hatte sich einige angenommen.

Der klein gewachsene Mann, der es vollbracht hatte, seinen Feinden auf beiden Seiten immer wieder zu entkommen, schaute Severus durch wässrige Augen an. In ihnen stand Furcht geschrieben, was für Severus nur wenig Genugtuung brachte.

„Severus?“, flüsterte Pettigrew vorsichtig. „Mein alter Verbündeter!“

Von diesen Worten angeekelt und gleichermaßen aufgebracht stürmte Severus zu ihm und rammte ihm das Knie in den Magen. Auf der Stelle krümmte sich Pettigrew, hielt sich mit einer Hand den Bauch; die andere mit der schweren Hand aus Silber baumelte wie ein Pendel an seinem Körper hin und her.

„Ich war niemals dein Verbündeter!“, fauchte Severus wütend, bevor er ihm mit dem Fuß nicht sehr sanft anstieß, so dass Pettigrew auf dem Gesäß landete.

Eine Stimme war es, die ihn davon abhielt, Pettigrew noch mehr zu piesacken. Es handelte sich um Sirius, der gelassen mit einem Stab in der Hand zu den beiden hinüberschlenderte. Das gemeingefährliche Funkeln in seinen grauen Augen war beim Anblick des am Boden Liegenden wieder aufgefrischt.

„Severus, Severus, Severus“, sagte Sirius mit einem überspitzt fröhlichen Singsang in der Stimme bei jedem Schritt. Er ließ Pettigrew nicht aus den Augen, auch wenn er das Wort nicht an ihn gerichtet hatte. „Man merkt, dass du ein Einzelkind bist, Severus. Du teilst einfach nicht gern.“
Noch immer saß Pettigrew auf dem verschneiten Boden, schüttelte verängstigt den Kopf. Das Auftauchen dieses Mannes verbesserte seine Lage nicht, dachte Peter, dennoch grüßte er. „Sirius, mein alter Freund.“ An der bebenden Stimme erkannte man, dass Pettigrew nicht an eine freundschaftliche Zusammenkunft glaubte, es aber wenigstens versucht haben wollte, auf unbeschwerte Zeiten anzuspielen.
Völlig gelassen entgegnete Sirius: „Du warst nicht mehr mein Freund, seit du ...“ Er überlegte einen Augenblick. „Seit du James ausgeredet hast, mich zum Geheimniswahrer zu machen. Hast erst Remus vorgeschlagen, damit es nicht auffällt, als du dich angeboten hast, weil niemand dir so eine gewichtige Aufgabe zutrauen würde.“ Direkt vor Pettigrew baute sich Sirius wie ein Grizzlybär auf, die lockige Mähne aus schwarzen Haaren gab ihm ein wildes Aussehen. Seine Augen verströmten eine Kälte, die nicht der Jahreszeit zuzuschreiben war. „Und wegen dir“, Sirius' Stimme zitterte, „sind eine Menge Muggel gestorben“, er zischelte vor Wut, „was man MIR angelastet hat!“ Zwölf Jahre Askaban.
„Ich wollte doch nur am Leben bleiben!“, rechtfertigte sich Pettigrew, der tatsächlich glaubte, das wäre ein einleuchtender Grund für sein Handeln.
„Du eigennütziges feiges Schwein!“
„Ratte“, verbesserte Severus nüchtern.
„Ja!“ Sirius blickte auf und grinste Severus an. „Wie konnte ich das nur vergessen?“ Auf Pettigrew herabblickend sagte er: „Kein Wunder, dass dein Animagus eine Ratte ist. Die Form hängt immerhin von der Persönlichkeit ab. Das hätte uns früher schon stutzig machen müssen.“
„Ratten sind soziale Tiere“, warf Severus ein. „Pettigrew ist eine Schande für die Gattung der Ratten.“
„Das mag sein“, stimmte Sirius zu, „aber Ratten übertragen auch viel Übles, sind zudem Überlebenskünstler. Immer wieder entkommen sie. Dieses Mal aber“, er zielte mit seinem Zauberstab auf Peter, „entkommst du nicht!“
„Ich bin auch nur ein Opfer“, verteidigte sich Peter. „Hier, seht nur ...“

In dem Moment, als Peter mit der linken Hand den Ärmel des anderen Arms hinaufkrempelte, zielte auch Severus mit seinem Zauberstab auf ihn. Beide waren auf Tricks vorbereitet und hatten schon einen Fluch auf den Lippen, doch Peter zeigte nur seinen Unterarm – und zwar den rechten.

„Seht doch“, Peter hielt ihnen seinen Unterarm entgegen. „Seht doch, wie ich leide!“

Die einst silberne Hand, die er von Voldemort erhalten hatte, war nicht nur vollkommen unbeweglich wie eine Skulptur, sie war auch dunkel angelaufen. Schwarzsilberne Fäden zogen sich wie eine abscheuliche Erkrankung am Unterarm hinauf. Die Haut ringsherum war blass und wies eine Menge dunkler Stellen auf. Das Gewebe war teilweise abgestorben. Am Gelenk, an dem damals die magische Hand befestigt worden war, sah man offene Stellen direkt unter dem Edelmetall, doch das Fleisch dort war nicht rot, es war grau und faul. Der Arm war verdorben.

„Ich würde sagen“, begann Severus gelassen, „das ist die gerechte Strafe für das Wiedererwecken Voldemorts.“ Peter fuhr zusammen, als er den Namen hörte.
„Der Dunkle Lord hat ...“
Sirius schnaufte. „Du nennst ihn noch immer deinen Lord?“
„Nein, ich ...“ Peter fehlten die Worte. Er blickte einmal an den Bäumen vorbei zum brennenden Haus und zu den vielen Auroren, die dort noch immer mit Harry und Ron standen. Eine Gestalt näherte sich ihnen. „Remus“, hauchte Peter voller Hoffnung. Remus hatte ebenfalls bemerkt, dass Severus und Sirius sich vom Fuchsbau entfernt hatten. Es hatte eine Weile gedauert, doch er konnte zwischen all den Bäumen zwei Gestalten ausmachen und wollte bei Sirius und Severus nach dem Rechten sehen, falls die sich in den Haaren haben sollten. „Remus!“, sagte Peter lauer, als der nun in Hörweite war.

Als der Gerufene die ihm wohl bekannte Stimme vernahm, verfinsterte sich sein Gesicht und er zog auf der Stelle seinen Zauberstab. Nach nur wenigen Schritten war er bei Sirius und Severus und blickte das erste Mal hinunter zu Peter, der noch immer auf dem Boden kauerte. Ein gemeines Lächeln verunstaltete das ansonsten so liebe Gesicht des gutmütigen Rumtreibers.

„Was für eine Wiedersehensfreude!“ Der gereizte Tonfall in Remus' Stimme hielt Peter vor Augen, dass er es nicht versuchen brauchte, ihn als „alten Freund“ zu betiteln.
„Remus“, flehte Peter, der sich selbst nicht sicher war, was er von dem einstigen Vertrauensschüler erwartete. Vielleicht wollte er an die Güte appellieren, die momentan jedoch wie weggefegt zu sein schien. Remus war so erregt, diesen Verräter in die Finger bekommen zu haben, dass er schnaufend atmete, derweil das unmenschliche Grinsen beibehielt.
„Und, Remus?“ Sirius hatte die Aufmerksamkeit seines Freundes erregt, der ihn nur mit wahnsinnigem Funkeln in den Augen anblickte. „Was tun wir mit unserem 'alten Freund'?“
„Oh, mir fallen da einige Dinge ein“, erwiderte Remus freudig, der Peter mit seinem Blick am Boden fixierte.
Als Remus einen Schritt auf ihn zu machte, geriet Peter in Panik und brabbelte wild drauf los: „Severus, warum machst du mit den beiden gemeinsame Sache? Nachdem, wie sie dich behandelt haben?“ Nun versuchte Peter, die alte Fehde zwischen ihm und den Rumtreibern wieder auflodern zu lassen. „Dir die Hose vor allen Mitschülern auszuziehen! Das verzeihst du?“

Allein dass das Thema überhaupt angesprochen wurde, ließ Severus vor Wut kochen und diese Wut richtete sich ausschließlich auf Sirius. Mit Groll in den Augen schaute er hinüber zum damaligen Peiniger, als wollte er ihn mit einem einzigen Blick wegen der so lang zurückliegenden Schmach töten.

„Und dass er dich in die Falle gelockt hat, Severus? Du hättest sterben können, aber niemand hat zu dir gestanden!“
Remus hielt nichts mehr und ließ seinem Hass freien Lauf. „Halt's Maul!“

Peter hatte wirklich ein Händchen dafür, all die Dinge ins Gespräch zu bringen, die die drei Männer noch immer so sehr beschäftigten. Damals und noch heute war Remus darüber erschrocken, beinahe in Wolfsgestalt einen Menschen mit seinem Fluch angesteckt oder gar getötet zu haben. Dabei war es egal, ob man jemanden nicht ausstehen konnte, denn niemand hatte so ein Schicksal verdient, nicht einmal der ärgste Feind.

Durch schmale Schlitze beobachtete Severus seinen Kollegen und verglich die Vergangenheit mit der Gegenwart. Remus hatte sich entschuldigt: für eigene Taten und die der Rumtreiber. Er hatte sein Bedauern darüber ausgesprochen, zu feige gewesen zu sein, als Vertrauensschüler nie Partei für ihn ergriffen zu haben. Heute sah alles anders aus. Remus war, selbst wenn Sirius in der Nähe war, ein umgänglicher Kollege, ein sehr entgegenkommender Mitmensch. Sie hatten tiefsinnige Gespräche geführt, hatten sogar gemeinsam Feierlichkeiten beigewohnt. Man kam miteinander gut aus. Remus brachte Verständnis auf, selbst für so einen mürrischen Menschen wie ihn. Remus war jemand, den Severus als Freund bezeichnen konnte, was er nicht offen zugeben würde, aber im Innern längst wusste. Anders sah es mit Sirius aus, den Severus nun ebenfalls betrachtete. Nur Harry zuliebe verkniffen sich beide Männer ihre Feindseligkeiten.

„Lenk nicht ab, du Ratte!“, fauchte der damalige Draufgänger aus dem Hause Gryffindor.
Die wässrigen Augen konnten vor Angst und Schmerz ihre Tränen nicht mehr halten. Peter blickte den schwarzhaarigen Rumtreiber an, bevor er das Wort ergriff. „Und du vergisst wohl, Sirius, dass Severus die Prophezeiung an den Dunklen Lord weitergegeben hat.“ Nur für einen kurzen Moment kämpfte Sirius gegen den Zorn an, der mit einem Male wieder so präsent war, wie damals, doch er bekam sich in den Griff und wehrte sich gegen Peters Manipulationsversuche.
„Die Prophezeiung“, zischelte Sirius, „war völlig unwichtig. Lily und James waren in dem Haus SICHER! Du hast sie verraten, nur wegen dir mussten sie sterben!“

In so einem Augenblick, dachte Peter, war es schwieriger als erwartet, die drei gegeneinander auszuspielen. Er ahnte, dass sein letztes Stündlein geschlagen haben konnte.

„Und die ganzen Lügen“, begann Peter an Sirius gerichtet, „die du Lily über Severus eingeflößt hast!“
„WAS?“ Davon hatte sich Severus aus dem Gleichgewicht bringen lassen, doch das, was Peter sagte, schien zu stimmen, denn Sirius kniff schuldbewusst die Lippen zusammen. Damals, das wusste Severus, mussten die Rumtreiber einiges getan haben, um ihn von Lily fernzuhalten, doch dass sie ihr Lügengeschichten erzählt haben sollen, hatte er nicht einmal erahnt.
„Severus!“, ermahnte Remus ihn wegen der Lautstärke, denn immerhin standen etliche Meter entfernt noch immer die Auroren, die – was Remus nach einem kurzen Blick in Richtung Fuchsbau erkannte – das brennende Haus mit Zaubersprüchen bombardierten, noch lange bevor die Muggel den schwer befahrbaren Weg passieren konnten.
„Ist das wahr?“, wollte Severus wissen. „Was haben Sie ihr über mich erzählt, Black?“

In dem Moment, als Remus erneut nach den Auroren Ausschau hielt und Sirius und Severus Blickkontakt hielten, stand Peter wie von der Tarantel gestochen auf und rannte um sein Leben.

„Och, nicht schon wieder“, sagte Sirius gelassen, bevor er den Stab hob und einen Fluch murmelte, aus dem Severus vage „Archilles“ heraushören konnte; ein Spruch, der ihm aus alten Tagen bekannt vorkam. Peter wurde am Fußgelenk getroffen und fiel jammernd zu Boden. Er wandte sich vor Schmerz, hielt aber seine Zunge im Zaum, um nicht auch noch die Ministeriumsangestellten auf sich aufmerksam zu machen. Severus blickte Sirius erstaunt an, der daraufhin mit Stolz erklärte: „Hab ich von meinem kleinen Bruder.“
„Ah.“ Die Erklärung reichte Severus, denn auch er hatte einige fiese Sprüche von Regulus abschauen können, darunter auch den, der die Sehnen im Fußgelenk durchtrennte – nicht jedoch so schlimm, dass ein Heiler das nicht wieder richten könnte.

Die drei näherten sich Peter, der nun einige Schritte von ihnen entfernt wimmernd am Boden lag und mit einem Fuß nicht mehr auftreten konnte.

„Hör auf zu jammern!“, schimpfte Sirius. „Du glaubst, das ist Schmerz? Du hat keine Ahnung, wie viel ein Mensch davon aushalten kann.“ Nervös flackerten Peters Augen, denn Sirius' hatte deutlich eine Drohung ausgesprochen. „Physischer Schmerz ist lächerlich. Wen hast du schon durch Voldemort verloren?“
„Ich habe eine Menge ...“
Severus unterbrach ihn wirsch: „Von wegen! Wer war dir schon wichtig genug, um Trauer empfinden zu können? Niemand außer dir selbst war dir wichtig!“
„Ich wollte am Leben bleiben.“ Peter schluchzte. Warum verstanden sie es nicht?
„Wenn das das Einzige ist, was für dich wirklich zählt, dann sollten wir es dir vielleicht nehmen?“, schlug Sirius nüchtern vor, als hätte er Peter gerade zum Eis eingeladen.

Völlig von Panik übermannt rappelte sich Peter auf und versuchte, auf einem Bein davonzuhüpfen, weswegen Severus den von Regulus erlernten Fluch an Peters anderem Fuß anwandte. Der Verräter fiel wie eine Marionette in sich zusammen.

„Immer wieder will er fliehen“, sagte Sirius verachtend vor sich her, bevor er vorwurfsvoll mit der Zunge schnalzte.

Die drei waren ihm langsam nachgegangen. Peters Herz schlug wie wild. Er rechnete mit seinem Ableben. Beide Achillessehnen hatten sie ihm durchtrennt. Weglaufen war nicht möglich, weswegen Peter sein Glück versuchte und mit Hilfe seiner Arme im Schneckentempo von dannen robbte.

„Ich glaub's einfach nicht. Gibt der denn nie auf?“
„Offenbar nicht.“ Severus zielte mit seinem Stab und sagte: „Incarcerus!“ Seile schossen aus der Spitze seines Zauberstabes und schlangen sich um Peters durch die jahrelange Flucht nun nicht mehr so kräftig gebauten Körper. Schwer atmend und vollkommen bewegungslos lag der Flüchtige auf dem schneebedeckten Waldboden, außer Sichtweite der Auroren.
Sirius grinste bösartig, weil er scheinbar einen bösen Gedanken hegte. „Was machen wir jetzt?“ Er selbst hatte offenbar schon eigene Ideen, war aber für Vorschläge offen.
„Liefern wir ihn den Auroren aus?“, wagte Remus zu fragen.
Sirius schüttelte den Kopf. „Damit er freikommt?“
„Für den Tod an über einem Dutzend Muggeln wird er nicht freigesprochen werden“, hielt Remus dagegen.
„Wahrscheinlich“, Sirius legte den Kopf schräg, „würde es niemand bemerken, sollten wir ihn einfach hier liegen lassen. Wie viel Minusgrade werden wir nachts wohl haben?“
Severus legte seinen Einspruch ein. „Und riskieren, dass er doch wieder entkommt? Kommt nicht in Frage!“
„Was tun wir dann?“ Remus hätte durchaus andere Ideen, aber die richtige war, die Auroren zu rufen.
„Wir könnten ihm das Licht ausblasen“, schlug Sirius in ernstem Tonfall vor, obwohl er nur Peter einen Schrecken einjagen wollte. Er hatte selbst nicht erwartet, dass der Gedanke ihm gefallen könnte. „Dafür müssten wir drei“, er blickte Remus und Severus nacheinander an, „ein einziges Mal in unserem Leben zusammenhalten.“

Eine unangenehme Stille trat ein. Man hörte bis auf das aufgeregte Atemgeräusch und das Winseln von Peter nichts, denn jeder für sich war mit den Stimmen im Kopf beschäftigt, die Pros und Kontras auflisteten. Sie überlegten, ob sie damit durchkommen könnten, sollten sie zusammenhalten und Peter kaltblütig ermorden.

Remus wusste, dass es falsch war, aber andererseits wäre der Tod von James und Lily endlich gerächt. Was ihn davon abhielt, eine Zustimmung zu geben, war der hohe Preis, die eigenen Hände mit Blut zu beschmutzen. Am wenigsten wollte er Tonks wehtun, indem er so einen Fehler begehen würde. Er selbst wünschte Peter zwar den Tod, aber nicht durch die eigene Hand. Das würde ihn auf eine Stufe mit Peter stellen, denn Remus wäre dann auch ein Mörder. Es lag nicht in seinen Händen, in diesem Ausmaß über jemanden zu richten. Stattdessen wartete er, wie die anderen entscheiden würden.

Die Versuchung war für Severus groß, aber auch mit unüberschaubaren Konsequenzen, die er nicht einzugehen bereit war. Hätte er mehr Zeit zum Überlegen oder wäre er sogar der Einzige, der die Chance auskosten könnte, Peter Pettigrew ein für allemal ins Jenseits zu befördern, würde er sie sehr wahrscheinlich wahrnehmen, aber jetzt stand zu viel auf dem Spiel. Irgendwie, das stand außer Frage, würde Albus davon erfahren oder sich selbst einen Reim aus all den Fakten machen, weswegen Severus ihm nie wieder in die Augen blicken könnte. Albus zu enttäuschen war die eine Sache, weshalb sich Severus dazu entschloss, sich nicht mehr die Hände schmutzig zu machen – Hermine zu enttäuschen war die andere.

Für Sirius war die Sache klar: Peter hatte den Tod verdient! Schon damals in der Heulenden Hütte hatte er ihn umbringen wollen, hätte Harry nicht sein Veto eingelegt. Harry hätte gar nicht da sein dürfen. Zusammen mit Remus hätte er Peter beseitigen können. Allein dessen toter Körper wäre die Bestätigung für seine Unschuld gewesen, doch nicht nur Harry und seine Freunde waren plötzlich auf der Bildfläche aufgetaucht, sondern auch Severus. Damals, so mutmaßte Sirius, musste Severus genau die gleichen Rachegelüste gehabt haben, die er selbst im Moment verspürte und Sirius konnte es sogar nachvollziehen. All die Jahre hatte man geglaubt, er wäre für den Tod der Potters verantwortlich gewesen. Zwölf Jahre Gefängnis, zwölf Jahre Seelenschmerz, ohne mit jemandem reden zu können. Als Sirius sich die möglichen Folgen durch den Kopf gehen ließ, da erkannte er, dass nicht er über den Mörder richten durfte, denn das würde ihn selbst zu einem machen. Ein Blick zu Remus überzeugte ihn davon, dass der genauso dachte.

Die drei wurden aufgeschreckt, als sie einen Ast knacken hörten. Harry hatte sich den Männer genähert, die sich gerade in Gedanken ausmalten, welche Strafe sie Peter zukommen lassen wollten. Die Situation hatte Harry schnell begriffen, als er den am Boden liegenden Todesser sah, dazu seine drei Freunde, die ihre Stäbe in den Händen hielten und versuchten, unschuldig dreinzublicken, womit sie kläglich versagten, denn ihnen war die Ernsthaftigkeit der Lage ins Gesicht geschrieben. Harry hatte das Gefühl, gerade rechtzeitig gekommen zu sein, bevor einer von ihnen einen Fehler machen würde. Seinen eigenen Stab zog er nicht, weswegen er von allen noch am ungefährlichsten wirkte. Wahrscheinlich wagte Peter es deshalb, den jungen Mann anzusprechen.

„Harry“, röchelte er. Sein schmerzverzerrtes Gesicht lag halb im Schnee.
„Was ist das hier? Ein kleines Klassentreffen?“ Harrys gefühlskalte Stimme bescherte sogar seinem Patenonkel eine Gänsehaut. Mittlerweile hatte Harry sich Peter genähert und blickte auf ihn herab. Verächtlich hielt er dem Gefesselten vor Augen: „Du hast meine beste Freundin um Haaresbreite mit einem Avada getroffen, du Mistkerl!“
Man hörte jemanden scharf einatmen. Es war Severus, der seinen Ohren nicht traute. „Was hat er?“
„Er hat ihr mit ihrem eigenen Stab einen Todesfluch entgegengeschleudert. Wäre sie nicht rechtzeitig appariert, wäre sie jetzt nicht mehr unter uns.“ Erzürnt marschierte Severus auf Peter zu und gab ihm einen Tritt in die Magengegend. Harry konnte ihn gerade noch zurückhalten, erneut zuzutreten, obwohl er es innerlich befürwortete.
„Nicht“, sagte sein junger Kollege so besänftigend, dass Severus von Peter abließ, trotzdem er noch in Rage war. Ein am Boden liegendes Stück Holz fing sich den zweiten Tritt ein, der eigentlich für Peter gedacht war. Severus wollte nur noch zurück nach Hogwarts, um sich zu vergewissern, dass es Hermine gut ging.

Der Leiter der Aurorengruppe hatte angewiesen, die Muggelabwehrzauber zu entfernen, damit die Feuerwehr löschen könnte. Ron wusste nicht, dass Peter Pettigrew hier im Wald war. Er vermutete ihn weiterhin im Haus. Beide – Harry und Ron – haben vorhin noch gesehen, wie der Eindringling einen Todesfluch angewandt hatte, bevor Hermine verschwand und Pettigrew in Windeseile seine Animagusgestalt annahm. Noch immer unsichtbar hatten Ron und Harry Flüche auf und neben das Bett abgefeuert, doch als sie es kurz darauf weggeschoben haben, bemerkten sie das Mauseloch, durch das er geflohen sein musste. In den Zwischenwänden des Fuchsbaus hatten sie ihn nicht so leicht finden können. Wegen des Feuers schmiedeten sie den Plan, draußen auf Verstärkung zu warten, die Harrys Patronus sicherlich bringen würde.

Weil sein bester Freund jetzt noch immer heftig mit Dawlish diskutierte, war Harry ein Stück gegangen, bis er die drei Männer im Wald sah und schauen wollte, was die dort trieben.

„Mr. Pettigrew“, Harrys Stimme war voller Gleichgültigkeit, „Sie können wählen zwischen Ihren alten 'Freunden' oder den Auroren. Davonkommen werden Sie diesmal keinesfalls. Es fragt sich nur, was für Sie angenehmer wäre.“ Nur der Kopf konnte sich noch bewegen, als Peter nacheinander in die Augen von Harry, Remus, Sirius und Severus schaute. Es war Severus' finsterer Blick, der ihn wählen ließ.
„Die Auroren“, sagte Peter schwach. Das war die Antwort, die ihm Höllenqualen ersparen würde, denn besonders vor Severus' grausamen Flüchen fürchtete er sich.
„Zu schade“, seufzte Sirius, „aber mit den Auroren wirst du bestimmt auch deinen Spaß haben. Vor allem aber mit deinen ganzen Freunden in Askaban. Macnair, Goyle senior und den vielen anderen unwichtigen Gestalten, mit denen du dort zusammen verrotten wirst.“

Severus, Sirius und Remus stellten sich zu Peter, um noch ein letztes Mal auf ihn herabsehen zu können, bevor Harry Dawlish holen würde. In diesem Moment erhellte ein kurzer Blitz die bereits eingetretene Dunkelheit, die nur durch die hochschlagenden Flammen orangefarben erhellt wurde. Der Blitz, wie sich schnell herausstellte, stammte von einer Kamera. Die Kamera hielt eine selig lächelnde Luna.

„Ein schönes Bild“, schwärmte sie, bevor sie ihren entrückten Blick schweifen ließ. „Und der Wald ist traumhaft, einfach idyllisch.“ Sie schaute nach oben in die Baumwipfel, die vom Wind gestreichelt wurden. „Eingetaucht in Morgenröte, ganz ohne Sonne.“
„Miss Lovegood“, schimpfte Severus, „was erlauben Sie sich?“
Als sie ihren ehemaligen Zaubertränkelehrer anblickte, da legte sie den Kopf schräg und ehe er sich's versah, hob sie erneut die Kamera. Bevor er meckern konnte, hörte er sie mit versonnener Stimme sagen: „Es sieht aus, als würden Sie brennen.“

Sie machte ein weiteres Foto, diesmal nur von ihm, mit dem brennenden Fuchsbau, den man im Hintergrund sehen konnte. Severus war perplex. Nicht nur von ihrem plötzlichen Auftauchen, sondern auch von ihrer Anmerkung.

„Miss Lovegood, wenn Sie Fotos machen möchten, die Ihre Leser auch interessieren, dann sollten Sie sich den rechten Arm von Mr. Pettigrew vornehmen. So etwas hat die Zaubererwelt sicher noch nicht gesehen.“ Severus' Empfehlung kam sie nach. Sirius half ihr, den Arm freizulegen, der durch die silberne Hand verdorben war. Schwarze Magie und ihre Auswirkungen würden jeden Leser fesseln. Luna schoss mehrere Fotos, ignorierte dabei den wimmernden Mann, dem der Arm gehörte.

Durch die Blitze wurde Dawlish auf sie aufmerksam. Mit drei Auroren kam er auf die kleine Gruppe rund um Pettigrew zu.

„Harry, kommen Sie her!“, forderte Severus zischend. Kaum stand Harry beim Tränkemeister, da flüsterte der ihm etwas ins Ohr.
„Was soll ich machen?“
„Tun Sie es einfach, auch bei Black!“

Harry hob seinen Zauberstab, tippte damit den von Severus an und sagte den Spruch, der ihm zugeflüstert worden war. Bei seinem Patenonkel machte er schnell das Gleiche. Der Zauber würde die letzten fünf von Harrys Stab auf die anderen beiden kopieren und gleichzeitig die Sprüche überschreiben, die ursprünglich zuletzt damit ausgeführt wurden. Der Archilles-Fluch gehörte zu denen, die vom Ministerium geahndet wurden. Legal waren sie nicht, zudem leicht schwarzmagisch. Dawlish hatte nicht gesehen, wie die beiden Zauberstäbe manipuliert worden waren, denn seine Augen hatte er auf den Gefangenen gerichtet und der Auror schien jetzt schon mit einer Gehaltserhöhung zu rechnen.

Der Fuchsbau war nun ohne Muggelabwehrzauber. Die Auroren hatten sich zurückgezogen, die Feuerwehr löschte den Brand und Pettigrew wurde abgeführt. Von letzterem Spektakel machte Luna nur ein Foto, denn sie wollte für ihren Artikel das nehmen, welches viel aussagekräftiger war: die drei Männer, die um ihren ehemaligen Schulkameraden Peter Pettigrew standen, nachdem sie ihn überwältigt hatten.

„Warum bist du überhaupt hier?“, wollte Harry von ihr wissen.
„Ich wollte Neville abholen. Er erzählte mir, was Hermine geschehen ist. Ich musste sie sofort sehen!“ Luna fühlte sich noch immer verantwortlich dafür, dass Hermine damals vom Spinnenfeuer getroffen worden war. „Ist es nicht seltsam“, begann sie gedankenverloren, „dass Hermine genau das Bein verloren hat, das ich damals eingefroren habe?“
Entsetzt und daher sehr laut fragte Harry nach: „Hermine hat ein Bein verloren?“
„Beruhigen Sie sich, Harry“, hörte er Severus' Stimme direkt hinter sich. Er musste das Gespräch verfolgt haben. „Ein paar Lehrer haben sofort gehandelt und es wie die damals während des Apparierunterrichts verlorenen Gliedmaßen wieder angefügt.“
„Geht's ihr gut?“
„Miss Lovegood wäre wohl kaum so ausgeglichen, sollte sie in Lebensgefahr schweben.“

Severus' Worte beruhigten Harry, doch das Erste, wenn die Befragung durch Dawlish beendet sein würde, war ein Besuch bei Hermine, zu dem Ron auch mitkommen wollte.

Besuch hatte Hermine bereits erhalten. Im Krankenflügel, in dem Poppy einen Blick auf das Bein werfen wollte, befand sich Albus, der sich neben Hermine aufs Bett gesetzt hatte.

„Das Zersplintern kann sehr gefährlich werden“, sagte er, ohne sie anzusehen. Aus den Augenwinkeln bemerkte Albus, dass sie nickte. „Ich selbst“, fuhr er fort, „habe in meiner Schulzeit kurzzeitig ein Körperteil verloren. Das war“, er atmete in Erinnerung an dieses Erlebnis tief durch, „äußerst unangenehm.“
„Es tut nicht mehr weh, aber Poppy will mich nicht gehen lassen.“
„Sie sorgt sich eben“, winkte er ab.
„Ich sorge mich auch und zwar um Harry und Ron! Warum hat man noch nichts gehört?“
Beruhigend tätschelte er ihre Hand. „Ich habe sofort Arthur Bescheid gegeben, der Auroren zum Fuchsbau geschickt hat. Des Weiteren ließen sich Remus und Severus nicht davon abhalten, selbst nach dem Rechten zu sehen.“
Erschrocken riss Hermine die Augen auf. „Severus ist auch da?“
„Ja, ich befürchte fast, die Aussicht auf Vergeltung war für beide Grund genug, sich in dieses Abenteuer zu stürzen.“

Albus' himmelblaue Augen ruhten auf ihr, doch es war mit einem Male kein fröhliches Glitzern mehr in ihnen. Sein Blick war intensiv, so dass sie ihn schon fast in ihrem Innersten spüren konnte. Es war, als würde er in sie hineinsehen und Dinge erkennen, die ihr selbst verborgen waren.

„Warum haben Sie eigentlich den Fuchsbau aufgesucht, Hermine?“
„Ich benötige ein Bett und vielleicht einige Schränke für meine neue Wohnung.“
„Aber warum haben Sie dann nicht mich gefragt?“ Allein schon seine Frage bestätigte ihr bereits, dass er ihr das Notwendigste geben würde, doch er wurde deutlicher. „Sie können gern Ihr Bett mitnehmen, auch die Tische und Stühle – die ganze Einrichtung aus Ihren Zimmern. Der Dachboden ist zudem voller ungenutzter Möbel, Hermine. Auch dort könnten Sie sich etwas aussuchen. Eine Menge alter Utensilien aus dem Zaubertränkeunterricht lagern oben: Metalltische, Kolben, Standmörser. Zurückgelassen und fast vergessen. Ich kann nicht mit Genauigkeit sagen, was alles im Schloss gelagert wird, aber ich bin mir sicher, dass Sie das ein oder andere gut gebrauchen können.“
„Das ist nett, Albus. Ich glaube, alles für das Schlafzimmer ist mir erst einmal das Wichtigste.“
Der Direktor legte einen Arm um Hermines Schultern, weil sie noch etwas geknickt wirkte. „Wir können gern mal oben nachschauen, Hermine.“
„Wenn Poppy mich gehen lassen würde.“

Albus machte den Anfang und erhob sich vom Bett, hielt Hermine dann seinen Arm entgegen. Sie hakte sich bei ihm unter und ging, ohne Schmerzen zu haben, bis zur Doppeltür des Krankenflügels. Nach einem kleinen Wortwechsel hatte sich Poppy überreden lassen, die Patienten zu entlassen, gab aber den Hinweis, dass sie noch zwei, drei Tage einen stechenden Schmerz verspüren könnte, da die Nerven in der Leistengegend durch das Splintern gereizt wären.

Als sie die Treppe zum zweiten Stock betraten, informierte Albus sie: „Auch Miss Lovegood wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, für einen bahnbrechenden Artikel zu recherchieren.“
„Luna ist auch beim Fuchsbau?“ Mittlerweile machte sich Hermine wirklich keine Sorgen mehr. Allein schon mit Remus, Severus, Harry, Ron und Luna an Ort und Stelle würde Pettigrew im Nu überwältigt sein.
„Ich nehme an“, begann Albus, „dass Miss Lovegoods Artikel morgen in der 'Muggelpost' zu lesen sein wird. Eine wunderbare Tageszeitung, wenn Sie mich fragen. Ich lese sie regelmäßig.“
„Arthur hat sie abonniert.“
„Ja, das ist mir bekannt.“

Obwohl die Sorge um ihre Freunde noch immer spürbar in ihrem Magen rumorte, fand sie dank Albus Ruhe, denn er ging felsenfest davon aus, dass sich alles zum Guten wenden würde. Das Gefühl ging auf sie über.

„Mr. Pettigrew war ein sehr ängstlicher Schüler.“ Albus seufzte, als würde er etwas bedauern. „Ich habe damals gehofft, dass seine Freunde eine positive Wirkung auf ihn haben würden, aber ich habe mich leider geirrt. Seine Furcht vor dem Tod war genauso ausgeprägt wie bei Voldemort selbst.“ Hermine hörte aufmerksam zu, schon allein deswegen, weil sie zu Pettigrew wenig sagen konnte. Sie hatte ihn ihn ihrem dritten Schuljahr das erste Mal gesehen, später auch bei den einigen Kämpfen mit Todessern. „Ich habe mich oft gefragt, was geschehen wäre, wenn der Sprechende Hut Pettigrew nicht nach Gryffindor einsortiert hätte. Vielleicht wäre er ein Hufflepuff geworden? Möglicherweise hätten die Todesser ihn niemals angesprochen.“ Albus blickte Hermine in die Augen. „Denn wissen Sie: Es gibt keinen einzigen Hufflepuff, der jemals Voldemort unterstützt hat. Keinen einzigen.“
„Das spricht für das Haus“, sagte Hermine stolz. Das sprach für Pomona, dachte sie, und auch für Tonks und Susan. Für Cedric.

Den Rest des Weges blieb Albus still. Die Zeit nutzte sie, um sich vorzustellen, was gewesen wäre, wenn ...
Wenn zum Beispiel sie selbst nicht in Gryffindor gelandet wäre oder Severus nicht in Slytherin. Sie fragte sich auch, wie sich alle entwickelt hätten, würde es gar keine Einteilung in Häuser geben.

Auf dem Dachboden angekommen schlug Albus einen Weg ein, den sie gut kannte. Vorbei an Holzverschlägen gingen sie den Gang entlang bis zur Tür, die sie passierten. Jetzt kam der lange Gang, der rechts und links die großen düsteren Abstellräume aufwies, die man durch Rundbögen betreten konnte. Mit einem Wink seines Stabes erhellte Albus die Räume.

Der Anblick verschlug ihr die Sprache. Sonst immer nur in Dunkelheit gehüllt offenbarte sich ihr nun ein ordentliches Lager. Sie betrat einen der Räume und betrachtete einen Tisch, auf dem viele andere Tische in Miniaturausgabe abgestellt waren. Sie waren, um Platz zu sparen, verkleinert worden. Ähnlich sah es bei einem Schränkchen mit Schublade aus, bei dem Albus eine öffnete und einen verkleinerten Schrank hinausnahm, den er wie das Möbelstück einer Puppenstube in seiner Hand drehte und wendete.

„Wie Sie sehen, Hermine, ist hier oben ein Hausrat vorhanden, mit dem man mühelos eine Kleinstadt versorgen könnte. Nehmen Sie sich, was Sie benötigen. Ich wäre sogar froh, zumindest ein wenig von dem sehr gut erhaltenen Mobiliar weggeben zu dürfen. Die Elfen haben wunderbare Arbeit geleistet. Durch ihren Zauber sind die Möbelstücke so gut behütet, dass sie vor Schädlingen und Zerfall geschützt sind. Elfen sind ganz beeindruckende Wesen.“
Weil Albus so von den Elfen schwärmte, musste Hermine lächeln. „Mir tut trotzdem Leid, dass Elfen so ausgebeutet werden.“
„Oh“, Albus hob einen Zeigefinger, „nur weil man jemanden unbestraft schlecht behandeln kann, heißt das noch lange nicht, dass man es muss. Soweit ich informiert bin, ist Kingsley bereits dabei, diesen Missstand zu beheben.“
„Ich hoffe, dass die Gesetzesänderungen sehr bald kommen werden.“
„Eile mit Weile. Alles muss seine Richtigkeit haben. Schlupflöcher dürfen nicht übersehen werden.“ Albus strich sich über seinen weißen Bart. „Nehmen Sie sich das, was Sie benötigen, meine Gute.“

Er zauberte eine Kiste herbei, in der sie alles unterbrachte, das sie später in der Apotheke benutzen wollte. Als sie fertig war, begutachtete er die auserwählten Stücke in der Kiste.

„Sie sind bescheiden, Hermine. Eine Eigenschaft, die ich sehr zu schätzen weiß.“ Hermine errötete, was ihr einen besonderen Liebreiz verlieh. „Wie geht es Ihrem Bein?“, lenkte er ab.
„Dem geht es gut, danke.“
„Da wir sowieso gerade auf dem Dachboden sind, würden Sie mich wohl einen Moment begleiten?“

Ihre Zustimmung gab sie mit einem Nicken, bevor sie dem Direktor folgte. Ganz hinten gingen sie durch einen weiteren Durchgang und sie wusste, was für eine Tür sich hinten links befand: Die hölzerne Tür mit Eisenbeschlag, hinter der sich Nerhegeb befand. Er öffnete bereits die durch Zaubersprüche geschützte Tür, durch die sie schon einmal mit Severus gegangen war.

„Albus, ich ...“
„Lassen Sie mir einen Moment Zeit“, unterbrach er, „denn ich möchte einen Blick in den Spiegel werfen.“
„Sie?“
„Auch ich kann mich der Neugier manchmal nicht erwehren.“ Er blinzelte ihr frech zu. „Ich erhoffe den Augenblick, in dem ich nur noch mich selbst sehen werde, wenn ich einen Blick riskiere, doch das wird noch eine Weile dauern, wie ich vermute.“

In dem Raum angelangt, in welchem Nerhegeb durch einen schweren Stoff vor Staub, aber auch vor achtlosen Blicken geschützt war, entfernte sich das purpurne Gewebe von ganz allein und schwebte hoch über dem Spiegel. Ein Zauberspruch, der nur aktiv wurde, wenn Albus persönlich den Raum betrat. Er stellte sich direkt vor die große Spiegelfläche. Hermine beobachtete ihn, betrachtete sein Gesicht, in welchem sie Hoffnung erkannte. Für einen Moment lächelte er aufgrund dessen, was sich von ihr ungesehen ihm als Bildnis zeigte und noch mit dem Hauch Freude auf seinem Gesicht blickte er zu ihr hinüber.

„Ich hoffe einfach weiter“, sagte er beschwingt. Es lag Hermine auf der Zunge zu fragen, was er gesehen hatte, wenn nicht sich selbst. „Das Glück der anderen“, erklärte er und sie fragte sich, ob sie versehentlich und ohne es zu wissen die Frage laut gestellt haben könnte.

Ohne sie dazu anhalten zu wollen, selbst hineinzusehen, ging er bereits gemächlich zur Tür. Hermine war mit sich im Zwiespalt. Wenn selbst Albus gegen seine Neugier gar nicht erst anzukämpfen versuchte, warum sollte sie sich sträuben? Was war so schlimm daran, seinen Herzenswunsch zu sehen? Das Schlimmste wäre die Erkenntnis, dass der Wunsch niemals wahr werden könnte, wie bei Harry, der seine Familie nie wiedersehen würde oder wie bei Severus, der Lily nie wieder gegenübertreten könnte. Ihr Wunsch musste mit der Apotheke zu tun haben, das hatte sie bereits gesehen, aber zu kurz. Was kam noch?

„Sie dürfen es gern wagen, Hermine, doch sollten Sie sich dem, was Sie sehen werden, nicht verschreiben. Lassen Sie sich von nichts aus der Bahn werfen, sondern nehmen Sie es locker. Es ist nicht verboten, auf das, was Nerhegeb einem zeigt, hinzuarbeiten, aber es ist auch nicht Ihre Pflicht.“

Seine Worte hatten sich wie unsichtbare Hände auf ihre Schultern gelegt und sie vor den Spiegel geführt. Nur einen Moment betrachtete sie die hölzernen Adlerfüße des Spiegels, bevor sie sich einen Ruck gab und den Kopf hob. Erst verschwamm das Bild vor ihren Augen, bis sich im Nebel feste Formen abzeichneten. Regale. Töpfe aus Ton und Metall. Die Apotheke. Das hatte sie schon damals im Spiegel gesehen. Hermine sah sich selbst hinterm Tresen, wie sie zwei Behälter hinter sich ins Regal stellte. Das war ihr Herzenswunsch, dachte Hermine und es breitete sich augenblicklich das Gefühl der Zufriedenheit in ihr aus, weil sie dieses Ziel erreicht hatte, doch dann stutzte sie, als noch jemand zu ihr hinter den Tresen trat. Ein dunkel gekleideter Mann mit schwarzen ...

'Severus', dachte sie überrascht. Er stellte eine Kiste vor ihr ab, deren Inhalt sie in die Regale verteilte. Sie unterhielten sich dabei, die Stimmung war entspannt. Hermine traute sich nicht, auch nur ein einziges Mal zu blinzeln und darüber war sie froh, denn es waren nur zwei Sekunden, die Spiegelbild-Hermine benötigte, um nach getaner Arbeit Spiegelbild-Severus einen Kuss auf die Wange zu drücken und er schimpfte nicht einmal mit ihr.

Von dem, was Nerhegeb ihr zeigte, war sie im ersten Moment erschrocken. So hatte sie Severus noch gar nicht gesehen, auch wenn sie ihn gern hatte. Sie konnte es sich nicht einmal vorstellen, dass so ein Szenario überhaupt möglich wäre, denn das würde bedeuten, er hätte sie genauso gern.

„Zufrieden?“, hörte sie Albus' Stimme fragen.
„Verwirrt“, antwortete sie knapp.
„Ihr Geist sollte frei von Verwirrung sein, Hermine, sonst könnte all Ihr zukünftiges Handeln missverständliche Ausmaße annehmen. Klarheit ist der Schlüssel.“

Die beiden verließen den Dachboden. Albus sprach sie nicht darauf an, was sie gesehen hatte, doch sie wurde das Gefühl nicht los, ihr und Albus' innigster Wunsch könnten eine kleine Gemeinsamkeit aufweisen. Mit einem Male verspürte sie ein schmerzhaftes Stechen am Becken. Sie blieb stehen, stellte die Kiste auf einer Bank ab und hielt sich den Oberschenkel. Sofort war Albus hilfreich zur Stelle und hielt sie am Oberarm.

„Es geht bestimmt gleich wieder“, redete sich Hermine ein.
„Unfälle beim Apparieren können zuweilen auch lebensbedrohlich enden, was bei Ihnen zum Glück nicht der Fall war. Mit magischer Amputation ist nicht zu scherzen. In der Eingangshalle habe ich die Erschütterung gespürt, das Anzeichen dafür, dass jemand nach Hogwarts apparieren möchte. Aufgrund der Schutzwälle wären Sie vollständig abgewiesen worden; Sie hätten in einem Stück vor den Toren landen müssen. Warum, frage ich mich, landete ein Teil von Ihnen in der Eingangshalle? Der Schutzzauber um Hogwarts herum ist nicht dazu in der Lage, jemanden zu zersplintern.“
Hermine spürte, wie die Röte über ihre Wangen kroch, denn sie wurden ganz warm. „Ich war nicht sehr konzentriert, befürchte ich.“
„Dann war es Ihr Mangel an Bedacht?“
Sie nickte beschämt. „Ich wusste nicht einmal, ob ich die Strecke schaffe. Mittendrin habe ich Angst bekommen. So weit bin ich noch nie appariert. Ich wollte nur weg, weg von Pettigrew. Am Ende fühlte ich, wie ich gegen eine unsichtbare Wand stieß und ich war einen Augenblick wie gelähmt.“
„Das war der Schutzzauber, Hermine.“
„Der hat mich die letzte Konzentration gekostet. Ich konnte fühlen, wie ich splinterte. Danach befand ich mich vor den Toren.“
„Ah, ich verstehe“, sagte Albus. Hermine verlor durch die kurzzeitige Lähmung ihre eh schon geringe Achtsamkeit und deswegen zersplinterte sie. Der Schutzwall sah in dem einen Bein keine Gefahr und ließ es passieren, während er den Rest an die Grenze des Schutzzaubers umleitete, genau vor die Tore Hogwarts'. „Wissen Sie, Hermine, es steht schon in der Geschichte über dieses Schloss geschrieben, dass über der Schule ein Apparier-Schutz liegt.“

Hermine errötete erneut, weil sie „Geschichte Hogwarts'“ auswendig kannte und Albus wusste das ebenfalls. Doch wenn sich daran nichts geändert hatte ...
„Warum konnte dann ...?“
„Harry?“, unterbrach Albus, dessen Augen wieder aufgeweckt funkelten. Der Direktor hob und senkte die Schultern. „Ich dachte anfangs, es wäre sein Hauself, der ihm das ermöglicht haben könnte, mir nichts, dir nichts den Apparier-Schutz zu umgehen, aber nachdem ich lange darüber nachgedacht habe, vermute ich eher, dass es eine Mischung aus den magischen Fähigkeiten von beiden war.“
„Sie glauben, dass Harry und Wobbel ...“
Man hörte ein Plop und der Gerufene erschien vor Hermine. „Entschuldige bitte, Wobbel.“
Albus grüßte den Elf zunächst freundlich, bevor er eine Bitte äußerte. „Es wäre nett von dir, Hermine bis zu ihren Räumen zu begleiten.“
„Selbstverständlich.“
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Beitrag von Muggelchen »

Teil 2 von "Ratte und Schneeammer"

Während Albus sein Büro ansteuerte, machte sich Hermine mit Wobbel an der Hand, der ihr freundlicherweise auch die Kiste mit verkleinerten Möbeln abgenommen hatte, auf den Weg in den vierten Stock. Sie staunte nicht schlecht, als dort bereits jemand wartete. Es war Ginny.

„Mensch, wo warst du denn?“, fragte ihre Freundin ein wenig empört.
„Ich war mit Albus unterwegs. Komm doch rein. Du auch, Wobbel.“

Drinnen stellte Wobbel zunächst die Kiste ab. Hermine bemerkte in diesem Moment, wie man ihr ins Bein zwickte.

„Was machst du denn da, Ginny?“
„Ich schaue nur nach, ob noch alles dran ist.“ Die Rotharrige grinste, doch sie konnte ihr wahres Gefühl nicht überspielen. Ihre Lippen zitterten. Sie schaute Hermine an und flüsterte: „Alles okay mit dir?“
„Ja, alles in Ordnung. Das Schlimmste war wohl der Schrecken.“

Erleichtert atmete Ginny aus, bevor sie nickte. Mit einem Male fand sich Hermine mit einer völlig aufgelösten Ginny wieder, die ihr um den Hals gefallen war. Ginny drückte ihre Freundin an sich. Sie zog einmal die Nase hoch, bevor sie, noch immer Hermine drückend, leise sagte: „Mama hat mich angefloht. Die magische Uhr zeigte bei Ron auf 'tödliche Gefahr' und ich wusste doch, dass ihr drei im Fuchsbau wart.“ Hermine strich ihr mit kreisenden Bewegungen über den Rücken. „Dad hat von Dumbledore die Nachricht erhalten, Pettigrew würde auch dort sein.“ Erst jetzt löste Ginny langsam die Umarmung. „Was ist denn nur mit Harry und Ron? Wo sind sie?“
„Es wird schon nichts geschehen sein. Ich bin mir sicher, dass sie sich sofort melden werden, wenn sie zurück sind. Remus und Severus sind auch dort. Mach dir keine Sorgen. Pettigrew wird nichts anrichten können. Er hatte nicht einmal einen eigenen Zauberstab.“

Der Kater lag vor dem Kamin und als es aus ihm auffällig knisterte, machte Fellini aufgescheut einen Satz nach hinten. Jemand versuchte, Kontakt aufzunehmen.

„Hermine? Ginny?“ Es war Mollys Stimme. Sofort bot Hermine ihr an, durch den Kamin zu kommen, was sich die Mutter ihrer besten Freundin nicht zweimal sagen ließ. „Hermine! Geht es dir gut, Liebes?“ Molly musterte ihre damalige so-gut-wie-Schwiegertochter besorgt von oben bis unten.
„Ich bin okay, wirklich.“
Molly strich ihr einmal fürsorglich übers Haar, blickte dann zu Ginny hinüber. „Dein Vater hat eben die Nachricht erhalten, dass Pettigrew festgenommen wurde. Es gab keinen Zwischenfall. Alle sind wohlauf!“ Ginny schloss die Augen. Ein Stein war ihr vom Herzen gefallen. „Ich bin mir sicher, sie werden hier vorbeikommen.“ Hermine anschauend fragte sie: „Dürfte ich wohl so lange ...?“
„Natürlich darfst du hier warten, was für eine Frage?“

Während sie auf die hoffentlich baldige Rückkehr von Harry, Ron, Severus, Remus und Luna warteten, unterhielten sich die drei Frauen über das Erlebnis mit Pettigrew, der sich im Fuchsbau versteckt gehalten hatte, doch man ließ bewusst die schlimmen Dinge aus, die hätten passieren können. Wobbel hörte aufmerksam zu.

„Ich habe gar nicht bemerkt“, begann Ginny, „was dir in der großen Halle beim Apparieren passiert ist. Ich war mit Draco zusammen. Wir haben Pläne fürs erste Quidditchtraining gemacht.“
Molly nahm das zum Anlass, sich an Hermine zu wenden. „Es gab einen Apparierunfall, habe ich Professor Sprout gehört.“
Hermine bestätigte wortlos. „Ich habe nach über 700 Kilometern Strecke mein Bein verloren.“
„Ach herrje“, Molly fasste sich erschrocken an die Brust, „zum Glück hat man dir schnell helfen können. Ich weiß noch, als Arthur einmal von einem Pärchen erzählte, das keine Apparier-Lizenz hatte und beim ersten gemeinsamen Versuch splinterte. Ganz schrecklich, was alles geschehen kann. Ich verstehe nicht, wie Fred und George bei all den Risiken so erpicht drauf sein können, immer und überall zu apparieren.“
„Ich hoffe, sie kommen bald“, sagte Ginny, die nichts von der Unterhaltung mitbekommen zu haben schien.

Wobbel, der sich ebenfalls sorgte, verschwand unerwartet, um nach dem Rechten zu sehen.

Gerade mit seiner Aussage fertig wartete Harry an einen Baum gelehnt, bis auch Sirius und Remus von den Auroren entlassen werden würden, was jeden Moment der Fall sein sollte. Als plötzlich sein Elf aus dem Nichts vor ihm auftauchte, erschreckte sich Harry so sehr, dass er zusammenfuhr und ihm ein Schrei entwich, womit er die Aufmerksamkeit der Menschen um sich herum auf sich zog. Einige Auroren schmunzelten, irgendwo hörte man jemanden sogar kichern.

Er fasste sich ans pochende Herz. „Tu das nie wieder!“
„Entschuldigen Sie, Sir. Ich wollte mich nur vergewissern, dass alles in Ordnung ist. Wann dürfen die anderen mit Ihrer Anwesenheit rechnen?“
Harry bemerkte, wie Remus bereits von dem Auror verabschiedet wurde. „Sirius ist gleich fertig, dann gehen wir zurück. Die Auroren geben uns einen Portschlüssel bis zu den Toren vor Hogwarts. Geht es Hermine gut?“

Natürlich war auch Ron nicht entgangen, dass Harrys Elf aufgetaucht ist, weswegen er seine Augen vom Fuchsbau, der bereits von den Muggeln gekonnt gelöscht wurde, abwendete und zu Harry hinüberging.

„Geht es Hermine gut?“, fragte auch Ron, der Harrys Gespräch zuvor nicht hatte hören können.
Wobbel wiederholte für den Rothaarigen: „Es geht ihr bestens. Sie wartet mit Ihrer Mutter und Ihrer Schwester bei sich.“
„Meine Mum ist auch da?“ Die Frage beantwortete Ron sich selbst. „Natürlich, Dad wird ihr Bescheid gegeben haben.“
„Dann bis gleich, Sir.“

Schon war Wobbel wieder verschwunden, um zwischenzeitlich nach Nicholas zu sehen, der tief und selig schlummerte, nur um kurz darauf erneut bei Hermine zu erscheinen.

„Es geht allen gut“, versicherte er, „sie werden gleich hier sein.“
Ginny lächelte den Elf an. „Danke Wobbel, jetzt fühle ich mich schon wohler.“
„Darf ich euch etwas zu trinken anbieten? Dir auch, Wobbel?“, fragte Hermine höflich.
Der Hauself runzelte die Stirn. „Sie bieten mir etwas an?“
„Natürlich, du bist mein Gast.“
Als Erste meldete sich Molly. „Ich nehme etwas Starkes, wenn du was da hast.“ Zu sich selbst sagend fügte sie hinzu: „Das brauche ich jetzt!“ Ginny verzichtete.

Nach gut zehn Minuten klopfte es, doch die Tür wurde geöffnet, bevor Hermine „Herein“ sagen konnte. Ron drängte sich vor und stürmte das Zimmer, um sich mit eigenen Augen zu vergewissern, dass es seiner Freundin gut ging.

„Hermine, bin ich froh, dich in einem Stück zu sehen!“ Er drückte sie. Ein weiteres paar Arme schlang sich um sie. Harry. Aus den Augenwinkeln bemerkte Hermine, wie sich ihr Wohnzimmer mit Menschen füllte. Luna war auch dabei und sie lächelte sie überglücklich an. Da war Remus, den sie dabei ertappte, wie er ihr Bein besorgt musterte. Sirius hatte einen sehr ernsten Gesichtsausdruck inne, der ihr verriet, dass er in Gedanken ganz weit weg war. Ihre Augen huschten zur Tür hinüber, die sich gerade schloss – und zwar von außen. Severus war bis in den vierten Stock mitgekommen, ging aber bereits wieder. Es fiel nicht auf, dass Hermine die Umarmung mit Ron und Harry löste, weil die beiden gleich von Ginny und Molly abgelenkt wurde, so dass Hermine zur Tür eilen konnte.

Sie ging hinaus auf den Flur und sah wenige Meter weiter die dunkel gekleidete Gestalt von Severus, die sie erst vorhin im Spiegel gesehen hatte. Das Geräusch der sich öffnenden Tür hatte er wahrgenommen, denn er blieb stehen und drehte sich um.

Mit einer gehobenen Augenbraue betrachtete er sie von oben bis unten und bemerkte gelassen: „Ah, wie ich sehe, sind Sie wieder vollständig funktionsfähig.“
„Kommen Sie doch rein, Severus“, bat sie mit unsicherer Stimme.
„Nein danke, es ist mir“, er legte den Kopf schräg, „ein wenig zu voll bei Ihnen.“
„Es sind nur Freunde.“
„Nicht alle.“
„Dann stellen Sie sich einfach unauffällig in eine dunkle Ecke und warten, bis die anderen gegangen sind“, schlug sie weniger ernst vor.
Ein einziger Mundwinkel wanderte nach oben, bevor er klarstellte: „In Ihrer Nähe gibt es keine dunklen Ecken.“
„Sie finden schon eine.“ Sie hielt ihm die Hand entgegen. „Na los, kommen Sie.“

Drinnen waren alle bereits dabei, die Situation im Fuchsbau aus ihrer Sich zu schildern und zwar durcheinander. Ron und Harry gaben ihr Bestes und erzählten, was sie im Haus mit ansehen mussten. Hermine hörte zu, suchte derweil ein nettes Plätzchen für Severus und sich, als sie der Schilderung darüber lauschte, wie Pettigrew ihr einen Avada Kedavra entgegengeschleudert haben soll und zwar in dem Moment, in dem sie apparierte. Von dieser Information war Hermine erschlagen. Mit weit aufgerissenen Augen wiederholte sie das Szenario immer wieder in Gedanken. Der auf sie gerichtete Zauberstab, den sie umfasst, bevor sie appariert war. Ihr wurde bewusst, dass sie ihr Leben um Haaresbreite verloren hätte. Statt jedoch tot im Fuchsbau zu liegen, hatte sie nur kurzfristig ihr Bein verloren und war danach sogar schon fröhlich mit Albus auf dem Dachboden herumgelaufen. Das alles hätte anders enden können, wenn sie sich auch nur eine Zehntelsekunde später überlegt hätte, den Ort zu verlassen. Sie hätte heute Abend sterben können.

„Hermine?“, flüsterte Severus, der noch immer dicht hinter ihr stand. Sie fühlte eine Hand an ihrem Oberarm. Erst da blickte sie sich um.
„Ein Todesfluch?“, fragte sie ihn, obwohl er die Antwort nicht geben konnte, weil er zu diesem Zeitpunkt nicht anwesend war. Erschrocken darüber hielt sie sich eine zitternde Hand vor den Mund. Er führte sie hinüber zur Couch und platzierte sie neben Remus, so dass sie von beiden in die Mitte genommen wurde.
Um sie abzulenken, sagte Severus: „Ich habe Pettigrew einen Gruß von Ihnen ausgerichtet, direkt in den Magen.“
Hermine, was Remus beobachten konnte, blickte ihn entgeistert an. „Severus!“ Sie klang mit einem Male vorwurfsvoll, bis sie merkte, dass er sie nur auf andere Gedanken bringen wollte. Wieder viel ruhiger fügte sie enttäuscht hinzu: „Nur einen Gruß?“
Wieder hob sich einer seiner Mundwinkel, bevor er sich verteidigte: „Ich wurde aufgehalten.“
„Von Harry“, warf Remus erklärend ein und gab somit zu erkennen, das Gespräch verfolgt zu haben.

Luna verabschiedete sich sehr bald, denn Neville holte sie ab, doch der ließ es sich nicht nehmen, sich ebenfalls das Ereignis des Abends aus erster Hand schildern zu lassen. Es würde Schlagzeilen machen, Pettigrew erwischt zu haben. Auch Molly machte sich auf den Weg nachhause zu ihren Verwandten, wo Arthur auf sie warten würde. Selbst Sirius wollte sich nicht länger über Pettigrew unterhalten, nur Anne musste er unbedingt alles nochmal erzählen. Er verabschiedete sich sogar bei Severus, indem er dessen Namen sagte und ihm zunickte. Ein gemeinsamer Feind konnte offenbar verbinden.

„Angelina wird sich Sorgen machen“, murmelte Ron seinem besten Freund zu.
„Ich dachte, es läuft zwischen euch nicht so gut.“
„Doch, alles bestens. Seit sie nicht mehr bei Eintracht Pfützensee ist, ist alles perfekt. Wir sehen uns nicht mehr 24 Stunden am Tag. Das hat echt genervt – nicht nur mich.“

Hermine war seit der Schilderung über den Todesfluch, der sie verfehlt hatte, sehr still gewesen. Die Lust zu reden war ihr mit der Erkenntnis abhanden gekommen, ganz knapp nur einem Avada entkommen zu sein. Auch die Offenbarung ihres größten Wunsches gab ihr viel, worüber sie nachdenken musste. Zusammengenommen waren es zu viele Dinge, über die sie sich heute Gedanken machen musste. Rons eben gemachte Anmerkung über seine Beziehung zu Angelina ließ sie sich zusätzlich durch den Kopf gehen. Sie selbst hätte keine Schwierigkeiten damit, einen Partner immer um sich zu haben. Es gab doch eine Menge, über das man sich unterhalten konnte, so vieles, das man gemeinsam erforschen könnte. Gedankenverloren blickte sie neben sich und bemerkte, dass Severus sie aufmerksam betrachtete. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, ihm zu sagen, was sie in Nerhegeb gesehen hatte. Sie würde sicherlich nicht den Mut aufbringen, jede Einzelheit nennen. Ohne Scheu warf sie einen Blick auf seine Wange, die in den ganzen Monaten so gut wie nie Bartstoppel aufgewiesen hatte. Die Stelle war es gewesen, dachte Hermine, auf die sie ihn ...

„Hermine, hörst du überhaupt zu?“ Ihr Kopf schnappte nach vorn. Ron wiederholte, was er eben angeboten hatte: „Ich sagte, ich würde morgen beim Umzug helfen. Wann soll ich hier sein?“
„Gegen Mittag, ich will nach der heutigen Aufregung ausschlafen.“
„Gut, ich bin vor dem Essen hier.“ Er druckste herum. „Angelina würde auch mithelfen. Hat sie jedenfalls angeboten“, sagte er zaghaft.
„Ja okay“, stimmte Hermine sofort zu. Kein bisschen Eifersucht war mehr zu spüren. Auch Ron bemerkte das und lächelte ausgeglichen.
„Ich werde mich verabschieden, Hermine, aber“, er wandte sich Ginny zu, „meinen Neffen will ich noch kurz sehen.“

Am Ende saßen, wie schon einmal, noch Severus, Hermine und Remus zusammen.

„Wo ist das Gemälde von Callidita?“ Der Tränkemeister hatte erst jetzt die kahle Stelle über dem Kamin bemerkt.
„Als er erfahren hat, dass ich demnächst ausziehe, hat er sich um einen anderen Platz bemüht. Er darf jetzt bei Pomona hängen. Ich denke, da wird es ihm gefallen.“ Als sie zu ihrer anderen Seite schaute, erblickte sie einen nervösen Remus, der sich durchs hellbraune Haar fuhr, deren grauen Stellen in den letzten Jahren merklich zugenommen hatten. „War Tonks eigentlich auch da?“, wollte sie wissen.
„Nein, Kingsley und sie haben einen anderen Auftrag. Sie werden mindestens zwei Tage verdeckt ermitteln.“
Das erweckte Severus' Interesse. „Um was geht's?“
„Das darf ich dir eigentlich gar nicht sagen“, Remus grinste, „aber sie wollen Rabastan und Rodolphus Lestrange festnehmen, vielleicht auch noch andere Todesser.“ Er seufzte. „Ich geh rüber. Der Tag war anstrengend und aufregend.“

Nachdem Remus sich verabschiedet hatte, ließ sich Hermine nochmals die Ereignisse durch den Kopf gehen. Manchmal begann ihr Herz zu rasen.

„Benötigen Sie einen Schlaftrunk? Ich habe noch einige auf Lager“, hörte sie Severus ruhig fragen.
„Nein, es wird schon gehen. Ich muss über all das, was heute geschehen ist, nachdenken. Je mehr ich mich bewusst damit beschäftigte, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, davon Albdrücken zu bekommen.“
Eine Weile verging, in der sie still und komfortabel nebeneinandner saßen. Severus durchbrach die Stille, hielt seine Stimme leise, um sie nicht zu erschrecken. „Wenn ich die Situation ausgenutzt und Pettigrew ins Jenseits befördert hätte, was hätten Sie dazu gesagt?“
Erschrocken schaute sie zu ihm hinüber. „Er ist aber am Leben oder?“ Zum Glück nickte er, weswegen sie sich mit der Frage über dieses fiktive Szenario beschäftigte und eine Antwort durchdachte. „Ich würde es gar nicht wissen wollen.“
„Mehr nicht? Keine Zurechtweisung?“ Sie schüttelte den Kopf.
„Das soll aber kein Freibrief für Sie sein, in Zukunft irgendwelche Todesser aus dem Weg zu räumen.“
„Das werde ich nicht“, versicherte er. Er atmete einmal tief durch. „Morgen werden Sie also ausziehen?“
„Ja.“ Sie winkelte ihr mitgenommenes Bein an und setzte sich schräg auf die Couch, um ihn ansehen zu können. „Wir müssen noch zusammen meine Präsentation fertigstellen.“
„Die ist so gut wie fertig. Ich möchte, dass Sie üben – vor mir. Mindestens einmal sollten Sie den Text laut vor Publikum gesprochen haben.“ Er blickte auf und bemerkte, dass sie seine Wange zum zweiten Mal an diesem Abend zu betrachten schien. Seine Verwirrung überspielend sagte er: „Da Sie an diesem Wochenende mit dem Umzug beschäftigt sind, schlage ich das nächste vor? Ich weiß, dass Sie alle Hände voll zu tun haben werden, aber nichtsdestotrotz sollten Sie sich die Zeit nehmen, sich auf die Rede vor der Körperschaft vorzubereiten.“
„Ja, werde ich. Sagen Sie, werden Sie mich eigentlich begleiten oder muss ich dort allein hin?“
Er schaute ihr in die Augen, doch sein Blick heftete sich wie von selbst für einen Moment an ihre Lippen. „Ich werde Sie gern begleiten, mich aber im Hintergrund halten. Es wäre möglich, dass mein Auftauchen dort nicht willkommen ist.“
„Mir sind Sie willkommen! Alles andere kann Ihnen egal sein.“ Aufgrund ihres Lächelns fiel sein Blick erneut auf ihren Mund, doch diesmal konnte er ihn nicht so schnell abwenden. „Es wird mir fehlen“, sagte sie, „alles hier. Die Arbeit mit Ihnen, das Schloss, der wunderschöne Ausblick von hier oben, das Essen, die Kollegen.“ Sie seufzte. „Sie.“
„Ich versprach Ihnen bereits, dass ich Sie besuchen werde. Bestimmt finde ich etwas“, seine Oberlippe zuckte amüsiert, „weswegen ich Sie kritisieren kann.“

Als Hermine nach dem aufregenden Abend allein zu Bett ging und sich bewusst darüber wurde, dass dies die letzte Nacht in Hogwarts war, wurde es ihr ganz schwer ums Herz. Sie vermisste all das, was sie vorhin aufgezählt hatte, schon jetzt, obwohl sie diesen vertrauten Ort nicht einmal verlassen hatte. Da Hermine auf der Seite lag, rollte sich Fellini oberhalb der Bettdecke in ihren Kniekehlen zusammen und schnurrte leise.

Kaum hatte sie das Traumland betreten, fand sie sich mit einem Mal in der Zeit zurückversetzt. Auf dem Schulhof hörte sie Ron sagen, es wäre kein Wunder, dass sie keine Freunde hätte – sie wäre ätzend. Später sagte der gleiche Rothaarige im Beisein von Harry, sie wären die dicksten Freunde. Schlüsselmomente aus ihrer Schulzeit spielten sich ab, wenn auch nicht realistisch, aber welcher Traum war das schon? Da war ein Troll auf der Mädchentoilette, mit dem Hermine jedoch einen Vielsafttrank braute, anstatt sich vor seiner Keule in Acht zu nehmen. Auf einem Gang lief sie Draco über den Weg, der Susan an der Hand hielt und sie wurde von ihm nett gegrüßt. In der Bibliothek traf sie auf Lockhart, der ihr dafür dankte, dass sie wenigstens seinen Schreibstil bewundernswert fand, wenn sie seinem Charakter schon nichts abgewinnen konnte. All die hier aufbewahrten Bücher waren am Leben. „Lies mich“, flüsterten sie ihr verlockend zu. Sie kam sich fast wie Alice im Wunderland vor. Ein Buch trug den Titel „Severus“ und besonders das reizte sie, doch sie wollte es später in Ruhe lesen, weil sie glaubte, es schwer verstehen zu können. Stattdessen schrieb sie eine Liste – eine Liste mit Namen der DA-Mitglieder. Der Name Marietta Edgecombe fehlte. Sie fand sich ohne Übergang im Zaubertränkeunterricht wieder und war für einen Moment erstarrt. Im Kessel neben ihr hatte Neville einen Trank zusammengerührt, der an frischen Beton erinnerte. Ihr eigener war perfekt. „Perfekt“, hörte sie eine Stimme hinter sich ihren Gedanken wiederholen. Severus gab ihr Punkte. Plötzlich zischelte ihr eine Stimme ähnlich wie die von Severus' die Geheimnisse von Basiliskengift ins Ohr. Hermine blickte auf, doch sie befand sich nicht mehr in den Kerkern, sondern auf einem Gang. Schüler und Lehrer kämpften gegen Todesser. Mit einem Male verschwanden ihre Freunde und nur noch Voldemorts Anhänger waren zu sehen, die sie umzingelten. Sie drehte sich um die eigene Achse, um einen Ausweg zu suchen und bemerkte Severus an der Wand lehnen. Den vielen Flüchen ausweichend rannte sie zu ihm hinüber, stellte sich mit dem Rücken dicht zu ihm. Er hüllte sie in seinen Umhang und in dem Moment hörten die Flüche auf. Die Todesser suchten sie, konnte sie einfach nicht mehr sehen. Es war, als würde sie ungesehen in einer dunklen Nische stehen.

Zu früh am Morgen wachte Hermine auf. Sie konnte sich nur an Bruchstücke des wilden und schnell ablaufenden Traumes erinnern, aber einige Stellen gefielen ihr.

Sie schlief wieder ein, während weit weg von ihr einige Auroren bereits hellwach waren und die Observation des Todesserverstecks vorbereiteten. Sie hatten ein Waldstück in der Nähe gewählt, um ihr Lager aufzuschlagen. Ein Desillusionierungszauber war nicht auf die anwesenden Personen, sondern um ihr Lager herum gelegt worden, der dafür sorgte, dass alles Lebende in dieser Zone unsichtbar war. Hinzu kam ein Stillezauber, der ebenfalls nur in diesem begrenzten Bereich aktiv war.

„Kevin?“ Kingsley suchte den jungen Mann, der gleich in seiner Animagusgestalt auf die nun sichtbaren Gebäude der Todesser losgelassen werden würde. Unbewohnt war der Gutshof nicht, das hatte man bereits herausgefunden.
„Hier, Sir.“ Kevin entfernte sich von Tracey, mit der er gerade gesprochen hatte.
„Dein Animagus ist dir ja bereits seit einiger Zeit bekannt. Wie sieht es mit Artgenossen aus?“
„Hatte nie Probleme, Sir. Einmal lebte ich für drei Tage in einer Gruppe mit ihnen. Es gab nie Reibereien.“
„Gut, denn es befindet sich ein Schwarm ganz in der Nähe.“
Kevin nickte. „Das Tschilpen habe ich schon gehört. Sie sind etwas früh dran. Die Brutzeit beginnt erst ab März.“
Neugierig, wie sie war, hatte Tracey sich den beiden genähert. Lächelnd fragte sie: „Du hast aber nicht schon etwas in der Richtung geplant oder?“
Vor Lachen musste er schnaufen. „Nicht doch, obwohl ich der Meinung bin, dass ich ganz umwerfend singen kann.“
Auch Kingsley schien einen Moment amüsiert, bevor er den jungen Kollegen ermahnte: „Das hier wird kein Kinderspiel, Kevin. Du gehst so nahe ran wie möglich. Verhalt dich deiner Spezies entsprechend. Mindestens einmal ums Haus! Jedes Stockwerk einmal, verstanden?“
„Natürlich, Sir.“
„Noch Fragen?“ Kingsley musterte den jungen Auror eindringlich.
„Nein, keine Fragen. Von mir aus kann es losgehen. Ich bin bereit.“
Kingsley schlug ihm auf die Schulter, bevor das Wort an die anderen Auroren richtete: „Kollegen, es geht los. Gruppe A: Desillulsionierungszauber anwenden und aufsitzen.“ Die Männer machten sich unsichtbar und die Besen gleich mit. „Hundert Meter Abstand zum Haus. Es wird nur eingegriffen, wenn Kevins Tarnung aufgeflogen ist, verstanden?“

Die Unsichtbaren murmelten ihr „Jawohl“ und warteten auf das Abflugkommando.

„Kevin?“ Er drehte sich zu Tracey um. „Viel Glück!“
„Danke“, hauchte er gerührt, bevor er ihre Hand nahm. Er streichelte einen Moment den Handrücken, bevor er die Hand seiner Kollegin mit der Innenfläche nach oben drehte und ihr ein warmes Lächeln schenkte. Einen Moment später saß ein kleines Vögelchen in ihrer Handfläche, das das im Winter weiß gefärbte Gefieder mit den dunklen Flügeln aufplusterte. Der Vogel stieß vielseitige, glockenklare Rufe aus, zauberte somit eine schön anzuhörende Melodie in schnell wechselnden Tonhöhen herbei. Der lerchenähnlichen Gesang war eine willkommene Auflockerung der angespannten Situation. In ihrer Hand drehte sich der Vogel, bevor er mit schnellen Flügelschlägen davonflatterte.

„Viel Glück“, hauchte Tracey ihrem Kollegen hinterher, dessen kleinen Körper sie schon bald nicht mehr sehen konnte.
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Sonea Ginevra Inava
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Re: Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit (177)

Beitrag von Sonea Ginevra Inava »

Im Gegensatz zum letzten Review wirds wieder mal kürzer - Zeitmangel.
Aah - eine der tollsten Szenen. Die mit Peter. Ich fands schon beim ersten mal lesen toll, wie du die einzelnen Gedankengänge beschrieben hast und das alle drei letztlich die gleiche Entscheidung getroffen haben. :)
Nergeheb: Jaa sie hat es endlich geschafft. :) nun dauerts ja nicht mehr ganz soo lang mit den zwei beiden. :)
Albus wie immer - das Glück anderer, da kann man so schön viel hineininterpretieren. ^^
Sirius wird auch langsam erwachsener - aber das wird ja auch demnächst nochmal mehr sozusagen.
Und die Schlussszene ist auch schön. Die beiden Auroren bei ihrer Annäherung. :)
So das wars auch schon wieder. schönes kapitel. ;)
lg Sonea Ginevra Inava
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Muggelchen
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Beitrag von Muggelchen »

Hallo Sonea,

trotz Zeitmangel finde ich nicht, dass deine Review kurz aufgefallen ist ;)
Ich glaube, bei Peter waren die anderen beiden Rumtreiber mal der gleichen Meinung wie Severus. Hätte man nicht gedacht. Aber du hast ja schon geschrieben, dass man merkt, dass Sirius langsam erwachsener wird.
Ja, Albus sorgt sich immer mehr um das Glück der anderen als um sein eigenes. Spricht irgenwie für ihn.

Viel Spaß beim Lesen
Muggelchen



178 Wege nach Rom




Im Traum hätte Harry die Chance gehabt, Pettigrew daran zu hindern, einem Schulkameraden das Leben zu nehmen, doch wieder kam etwas dazwischen. Harrys Stab war wie eine Lakritzstange in seiner Hand. Als er Pettigrew mit einem Schockzauber aufhalten wollte, gab die weiche Masse der Schwerkraft nach und bog sich gen Boden. Pettigrew grinste Harry fies an und schleuderte mit sichtbaren Vergnügen dem jungen Hufflepuff einen Todesfluch entgegen. Er traf. Wie schon viele Male musste Harry auch dieses Mal mit ansehen, wie von einer Sekunde zur anderen das Leben aus Cedrics Augen entwich.

Die Schlafparalyse hinderte Harry daran, aus dem Albtraum hochzuschrecken. Stattdessen war er durch seinen noch schlafenden Körper ans Bett gefesselt, während sein Geist bereits hellwach war. Wenige Minuten später konnte er sich endlich regen. Seine Atmung war unwesentlich schneller, doch Schweiß stand ihm auf der Stirn.

Sein erster Weg führte ihn ins Bad. Aus anfangs ein paar Spritzern kaltem Wasser wurden zwei Hände voll. Harry genoss die Erfrischung und schloss einen Augenblick die Augen, um sich klarzumachen, dass Cedric nicht erst vor wenigen Minuten gestorben war, sondern vor fast genau zehn Jahren. Es war nach all der Zeit jedoch das gleiche dumpfe, machtlose Gefühl, das dieses Szenario in Harrys Brust zurückließ. Er blickte auf. Seine Haare standen durch unzählige Wirbel nach allen Seiten ab und hatten die Narbe auf seiner Stirn freigelegt. Dieses kleine unscheinbare Symbol stand noch immer für all das Elend, das Harry in seinem Leben widerfahren war. Das weiße, im Zickzack verlaufende Zeichen Voldemorts würde ihn bis ans Lebensende begleiten. 'Wenigstens hab ich noch mein Leben', dachte Harry. Viele Menschen musste er sterben sehen, viele Verbündete waren im Krieg gefallen. Manchen von ihnen stand er im Augenblick des Todes zur Seite, weil ihm selbst der Gedanke Unbehagen bereitete, in so einem Moment vollkommen auf sich allein gestellt zu sein. Einige von den lieb gewonnenen Freunden, die in seinen Armen lagen oder deren Hand er hielt, selbst völlig fremde Menschen schienen ihren Schmerz in seiner Nähe vergessen zu haben, denn sie hatten gelächelt, kurz bevor ihre Augen glanzlos wurden. Beinahe – Harry schloss erneut die Augen – wäre Hermine ein spätes Opfer des letzten Krieges geworden.

Im Wohnzimmer hörte er das Gefieder seiner beiden Freunde rascheln, als er sich zu ihnen gesellte. Hedwig hatte ihm im Krieg viele Dienste geleistet. Sie hatte sich furchtlos ins Getümmel gestürzt, um wichtige Nachrichten zu übermitteln; flog folgsam in Gebiete, die man bei den Muggeln „an der Front“ nennen würde. Sie hatte sich ein sorgenloses Leben verdient, das er mit ihr teilen wollte. Schneeeulen wurden allgemein nicht sehr alt, aber magische Eulen konnten durchaus zehn oder fünfzehn Jahre älter werden als ihre nicht-magischen Verwandten; doppelt so alt, wie auch Zauberer und Hexen doppelt so alt werden konnten wie Muggel. Harry hoffte, Hedwig noch lange an seiner Seite zu haben.

„Albtraum?“, hörte er Ginnys verschlafene Stimme leise hinter sich fragen. Er nickte, denn seiner eigenen Stimme traute er nicht. All der Kummer wäre zu hören. Sie musste die Bewegung seiner Silhouette im Licht des Mondes gesehen haben. „Es ist doch alles gut gegangen, Harry.“ Wieder konnte er nur nicken. Eine zarte Hand fand den Weg zu seiner Schulter. Ginny stand hinter der Couch, auf der er saß. Sie umarmte ihn von hinten, drückte ihr Gesicht an seinen Hals. Seinen Kummer konnte sie teilen. Sie selbst hat Schlimmes erlebt.
„Es war so wie früher“, flüsterte er unerwartet.
Dicht an seinem Ohr hörte er die Frage: „Was war so?“
„Ron und ich“, er schluckte. „Wir haben mit allem gerechnet, waren bereit zu töten. Bereit für einen Kampf um Leben und Tod.“ Das letzte Wort war kaum zu hören. Sie gab ihm einen Kuss auf die Schläfe, doch Worte des Trosts kamen nicht über ihre Lippen, weil sie nicht helfen würden. Nach einem Moment ging sie um die Couch herum, setzte sich neben ihn. „Wann hört das auf?“, wollte er von ihr wissen. Eine Frage, auf die niemand eine Antwort hatte, auch nicht Ginny. „Ich hätte beinahe zugesehen“, sagte er über sich selbst beschämt.

Ginny, die nur aus den Erzählungen des Vorabends erfahren hatte, was geschehen war, konnte mit Harrys Beichte wenig anfangen. 'Zugesehen wobei?', fragte sie sich selbst. Ihr Verlobter sah abgekämpft aus, womöglich aufgrund des Traumes, der wie all seine Träume sehr intensiv gewesen war. Seinen Kopf drückte sie an ihre Brust, als sie sich in das weiche Polster der Couch sinken ließ. Menschliche Nähe konnte in vielen Situationen Wunder wirken, so auch bei Harry, denn er fand den Mut zu erklären, was er meinte.

„Ich wollte zusehen“, gestand er. Selten erlebte man Harry wütend, doch jetzt, als er seinen eigenen Wunsch reflektierte, da konnte man auch heraushören, dass selbst er die Beherrschung verlieren konnte. „Zusehen wie sie es Pettigrew heimzahlen“, zischte er und er wirkte dabei so andersartig, so gefährlich. Mit „sie“, dass wusste Ginny, meinte er Remus, Sirius und Severus. Sie spürte, wie Harry die Zähne zusammenbiss. „Ich wollte nicht, dass er davonkommt. In Askaban ist er sicher, das hat er nicht verdient. Er sollte für alles bezahlen, für ...“ Ginny spürte, wie er seinen Kopf schüttelte. Dann umarmte er sie, als wollte er Halt suchen. „Ich glaube, sie hätten es getan, wenn ich sie drum gebeten hätte. Hätten ihn auseinander genommen.“

Könnte er mit der Schuld leben, die drei für seine Zwecke missbraucht zu haben? Diese Frage beantwortete er sich selbst, denn wiederholt schüttelte Harry den Kopf, was Ginny an ihrer Brust spürte.

„Sie wollten es tun“, er flüsterte, „wollten ihm eine Lektion erteilen, die er nie vergessen würde und ich war kurz davor, Gefallen daran zu finden; wollte sie noch ermutigen, aber ...“ Er fühlte ihre Hand in seinen Haaren. So viel Verständnis hatte er gar nicht verdient. Rache war ein Gefühl, mit dem er nur schwer zurechtkam. „... so bin ich nicht.“
„Nein, Harry“, stimmte sie monoton zu. Sie glaubte ihm nicht und er wollte ihr nicht böse sein, denn er konnte es sich selbst nicht weismachen. In der Vergangenheit hatte er bewiesen, dass er auch anders konnte.
„Ich hab Angst, Ginny. Wenn eines Tages etwas passieren sollte, das mich noch mehr aufwühlt, dann weiß ich nicht, ob ich mich im Zaum halten kann. Ich will nicht, dass das einmal passiert.“ Dann wäre er sich selbst fremd.
„Du, Harry, bist nicht mehr für die Todesser verantwortlich, die frei draußen rumlaufen. Die Auroren erledigen diese Aufgabe. Das mit Pettigrew gestern war reiner Zufall. Niemand hat damit gerechnet, dass er sich im Fuchsbau versteckt.“
„Und wenn noch etwas Zufälliges passiert? Ginny, ich hätte mich fast nicht mehr unter Kontrolle gehabt.“ Er hob den Kopf und versuchte, ihre Augen im Dämmerlicht zu erkennen. „Was geschieht, wenn ich eines Tages nicht mehr ich selbst bin?“
„Das wird nicht pass...“
„Und wenn doch?“

Harry traute sich selbst nicht mehr. Ginny hingegen schien viel mehr in ihm zu sehen, viel mehr von ihm zu halten, als er selbst. Beide Hände legte sie behutsam auf seine Wangen. Erst jetzt merkte sie, dass er zitterte, weil der eigene Einblick in seine unterdrückten Gelüste nach Vergeltung ihm zusetzte.

„Du wirst das Richtige tun.“ Vertrauen in ihn und seine Kontrolle waren vorrangig, doch er hörte diesen Satz auch als Anweisung ihrerseits.

Etwas Ähnliches hatte Anne gestern zu Sirius gesagt, nachdem er ihr von Pettigrews Ergreifung erzählte. Es war nicht bei Schilderungen über den Abend beim Fuchsbau geblieben. Anne hatte nachgefragt, weil sie bestimmte Namen wie Peter Pettigrew zwar mal gehört hatte, aber nicht zuordnen konnte. Deswegen waren auch Situationen aus der Vergangenheit aufgewärmt worden, zum Beispiel wie Sirius den anderen dreien – James, Remus und Peter – das erste Mal im Hogwarts-Express über den Weg gelaufen war. Peter war schon immer naiv gewesen, sagte Sirius, aber weil auch er in Gryffindor gelandet war, wurde er nicht von ihnen verspottet. Dafür hatten sie sich jemand anderen ausgeguckt. Jemanden, der es in ihren Augen verdient hatte, weil er sich an ein Mädchen aus Gryffindor heranmachen wollte. Was die Häuser eigentlich bedeuten würden, hatte Anne gefragt. Das war ihr noch immer ein Rätsel. Besonders gruselig fand sie den Gedanken, einen Hut auf dem Kopf zu haben, der mit einem sprechen konnte. Auf all ihre Fragen hatte Sirius gewissenhaft geantwortet und dabei festgestellt, dass Peter in der Schule ein netter Kerl gewesen war, dem man vielleicht einmal zu oft klargemacht hat, dass man ihn nicht als ebenbürtigen Mitschüler sah, sondern als jemanden, den man unter die Fittiche nehmen musste. Er war oft bevormundet worden, manchmal sogar herumkommandiert. Der Hut hatte damals, als die Rumtreiber eingeschult wurden, gesungen, dass man sich der Schwächeren annehmen sollte. Ein Ratschlag, dem die Gryffindors mit überheblichem Gehabe gefolgt waren. Als Anne anmerkte, dass mit den Schwächeren vielleicht auch Severus gemeint gewesen sein könnte, war Sirius still geworden.

Als er eingeschlafen war, hatte Anne ihn gehalten. Nun, wo er aufwachte, hielt er sie. Er ließ sich von fast vergessenen Erinnerungen treiben, die er sich zurück ins Gedächtnis rief. Damals wollte er Severus vor allen anderen als Feigling darstellen, hatte ihn deswegen neugierig gemacht und zur Heulenden Hütte gelockt. Nicht nur der Slytherin, sondern jeder Mensch hätte sich vor Angst beinahe in die Hosen gemacht, dachte Sirius. Er konnte sich noch gut an den Moment erinnern, als James ihm im Schlafraum der Gryffindors kurz vorm Zu-Bett-Gehen zugeflüstert hatte „Ich glaube, Remus ist ein Werwolf!“. Allein diese ausgesprochene Vermutung seines besten Freundes hatte ihm mehr als nur eine Gänsehaut beschert – es war ein Albtraum gewesen. Sirius hatte Angst.

„Du hast schlecht geträumt.“ Der potenzielle Werwolf hatte ihn mitten in der Nacht geweckt.
„Ich habe geträumt, du wärst ein Werwolf.“ Remus' Gesicht würde Sirius nie vergessen. Als wäre er in flagranti ertappt worden.
„Und wenn es so wäre?“, hatte Remus unsicher und als versteckte Antwort erwidert.
„Dann solltest du es deinen Freunden sagen.“

Das bisschen Zuspruch hatte bewirkt, dass sich Remus den anderen dreien offenbarte. Er sprach von einem Trank, den ein gewisser Damocles Belby derzeit erprobte und der hoffentlich in zwei, drei Jahren für jeden Menschen, der unter diesem Fluch litt, zugänglich sein würde, um die Gefahr, die von der Verwandlung in eine Bestie herrührte, zu mildern.

Jetzt, als Sirius bei Anne im Bett lag und ihrer ruhigen Atmung lauschte, wurde er sich das erste Mal darüber bewusst, wie dämlich es gewesen war, Severus in die Heulende Hütte zu locken. Der Wolfsbanntrank war zu dieser Zeit zwar in den Medien im Gespräch, aber es gab ihn noch nicht. Remus war zu Vollmond eine wilde Bestie. Natürlich musste man Angst haben; selbstverständlich hatte auch Severus Angst. Es war immer der Slytherin gewesen, der in Verteidigung gegen die Dunklen Künste die Frage des Lehrers beantwortet hatte. Ein Werwolf würde jeden anfallen, hatte er gesagt, auch Freunde und Familienmitglieder, wobei er primär töten würde. Selbst wenn man das Glück hätte, einen solchen Übergriff zu überleben, würde man vom Regen in die Traufe kommen, denn die Bisse wären ansteckend – man würde selbst zum Wolfsmenschen werden. Sirius gestand sich ein, dass Severus so viel Angst gehabt haben musste, weil er genau gewusst hatte, was ihm blühte. Und Remus war nach dem Vorfall wochenlang so sauer gewesen, weil ein böses Ende dieses unüberlegten Scherzes für ihn einen lebenslangen Aufenthalt in Askaban bedeutet hätte, womöglich sogar den Kuss eines Dementors, hätte er in seiner Werwolfsgestalt einen Mitschüler getötet. Aber das war nicht der größte Fehler seines Lebens gewesen, dachte Sirius. Der größte Fehler war es gewesen, Peter als Geheimniswahrer einzusetzen. Sie hätten Remus nehmen sollen oder sogar ihn, denn hätten die Todesser ihn gefangen genommen, wäre er lieber gestorben, als Lily und James zu verraten.

Sirius oder vielmehr seine Blase fasste den Entschluss, aufzustehen und auf die Toilette zu gehen. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es nicht einmal sechs war. Als er im Bad in den Spiegel schaute, sah er zum ersten Mal sich selbst: einen 44 Jahre alten Mann, dessen Vergangenheit ihn gezeichnet hatte. Mit einer Hand fuhr er sich über das unrasierte Gesicht, das von Falten durchzogen war. Falten, die von seinem vergangenen Leid zeugten. Sorgenfalten. Da war kein junges Gesicht mehr im Spiegel, obwohl er sich jung fühlte, geradezu neugeboren. Das gealterte Antlitz erschreckte ihn jedoch nicht mehr. Mit der Zeit hatte er sich damit abgefunden, dass er fast zwei Jahrzehnte seines Lebens hatte einbüßen müssen, doch das neue Leben war es wert gewesen. Zu sehen, dass sein Patensohn schon eine Familie sein Eigen nannte, Frau und ein Kind. Sirius konnte es gar nicht erwarten, in Zukunft das erste Kind zu Gesicht zu bekommen, dass ein Enkelkind von Lily und James sein würde. Seine beiden Freunde lebten in Harry weiter und auch in dessen Kindern, zudem in den Herzen all jener, die Lily und James innig liebten.

Ein weiterer Blick in den Spiegel zeigte ihm, dass er unbemerkt eine Träne verloren hatte oder womöglich handelte es sich auch nur um einen Tropfen Wasser, weil er sich frisch gemacht hatte. Er trocknete sich das Gesicht und ersetzte die trübsinnigen Gedanken durch erfreuliche. Durch Gespräche, die er mit Mr. Bloom geführt hatte. Die „Initiative für die Forderung eines Anti-Diskriminierungsgesetzes für magische und nichtmagische Halbwesen“ hatte es bereits ohne seine Hilfe durchsetzen können, dass Werwölfe aufgrund ihrer benachteiligten Lebensweise zumindest den Wolfsbanntrank bezahlt bekamen. Somit hatte das Ministerium sich offiziell für diese Menschen eingesetzt und deren Problem zu ihrem eigenen gemacht. Andere Länder, wie Frankreich und die Schweiz, wollten demnächst nachziehen. Es war kein Geheimnis, dass das Ministerium den Hintergedanken hatte, auf diese Weise endlich eine Übersicht über die Population der Werwölfe zu erhalten, denn bisher arbeitete man lediglich mit Dunkelziffern. Trotz seiner lockeren Art hatte Sirius es bisher nicht bewerkstelligen können, auch nur einem der Werwölfe die Information zu entlocken, ob sie Kinder hätten. Das war laut Kingsley ein Punkt, der Probleme bei der Gesetzesänderung machte – noch immer. Kein Werwolf wollte zugeben, in diesem Punkt gegen das noch geltende Gesetz verstoßen zu haben, indem er Kinder in die Welt gesetzt hatte, nachdem er dem Fluch erlegen war. Diejenigen, die schon vorher Kinder hatten, konnten sich glücklich schätzen. Menschen wie Remus durften keine zeugen, weil man nicht wusste, ob der Fluch möglicherweise an Nachkommen übertragbar war. Gerade deswegen würde Sirius nicht nachgeben und nach jemanden suchen, der beweisen würde, dass der Fluch nicht vererbt wurde.

An den Fluch, der auf ihn lastete, dachte auch Remus, der sich in seinem Bett schon längst nicht mehr hin und her wälzte, sondern bereits angekleidet an seinem Tisch saß und Hausaufgaben der Schüler korrigierte. Wenn er das jetzt schon erledigte, würde er den ganzen Samstag für sich haben. Die Arbeit hatte er noch vor sechs Uhr beendet, so dass seine Gedanken wieder zu Peter drifteten. 'Hat er sich so allein gefühlt, dass er zu den Todessern gehen musste?', fragte er sich selbst. Früher hat sein rundlicher Freund es immer geschafft, ihn aufzuheitern, wenn er wieder einmal niedergeschlagen war, doch diesmal betrübten ihn die Erinnerungen an seinen Mitschüler. Vieles hätte anders kommen können, hätte man Peter so gut gekannt, dass der sich jemandem anvertraut hätte. Möglicherweise hatten die Todesser Peter aufgelauert und ihn vor eine Wahl gestellt. Aufgrund seiner Angst könnte er sich falsch entschieden haben. Das eigene Leben vor das Wohl der Freunde zu setzen war eine Sache, die Remus nicht verstehen konnte. Er war sich nämlich sicher, dass James, Lily und Sirius genau das Gleiche für ihn getan hätten – lieber den eigenen Tod zu wählen, als einen Freund auf dem Gewissen zu haben. Ein Gewissen schien Peter gar nicht zu besitzen, Severus hingegen schon.

Für einen Moment stellte sich Remus ans Fenster, bevor er sich dazu entschloss, einen kleinen Spaziergang zu machen. Die Flure waren wie ausgestorben und erinnerten ihn an die Zeit, in der er mit Sirius oder James unter dem Tarnumhang versteckt über die Gänge schlich, um die Karte der Rumtreiber zu vervollständigen. Die müsste Harry noch haben, fiel ihm nebenher ein. Er war froh darüber, keinen einzigen Schüler anzutreffen, denn es war ihm nicht danach, Punkte abzuziehen, wozu er um diese Uhrzeit noch verpflichtet wäre. Ihm war nicht einmal danach, mit jemandem zu reden, doch als er die schwarze Gestalt oben auf dem Astronomieturm bemerkte, war ihm plötzlich nach Reden.

„Guten Morgen, Severus.“
Sein Kollege drehte sich um und war sichtlich über die Gesellschaft erstaunt. „Guten Morgen. So früh schon auf den Beinen?“
„Du doch auch.“

Als er vorn an der Brüstung angekommen war, direkt neben Severus, schaute Remus hinunter. Ob er sich kurz schütteln musste, weil der Wind eiskalt war oder weil er sich vorstellte, wie es sein müsste, in die Tiefe zu stürzen, war nicht sicher zu sagen.

„Hat er es Ihnen erzählt?“
Severus' Frage machte für Remus keinen Sinn. „Wer hat mir was erzählt?“ Sein eigener Gesichtsausdruck schien Severus zu belustigen, denn ein Mundwinkel zuckte, als würde er sich nicht trauen, sich ohne Scham nach oben zu bewegen.
„Albus, wie er alles“, er deutete mit seinem Finger über die Brüstung, „überstanden hat.“
„Nein, dir etwa? Ich würd's gern wissen, weil ich es mir einfach nicht erklären kann.“
„Dass er das Elixier des Lebens an dem Abend getrunken hat, als er den 'Tod' fand, wissen Sie aber, oder?“
„So etwas habe ich vermutet.“
„Also wissen Sie rein gar nichts?“
„Severus, spann mich nicht auf die Folter“, schimpfte Remus nicht ernst gemeint. „Erzähl es oder lass es bleiben, aber erspare mir Andeutungen, mit denen ich nichts anfangen kann.“

Severus war danach, sich mit jemandem zu unterhalten und nur deswegen erzählte er Remus, dass Albus den Stein der Weisen damals nie vernichtet hatte. Das aus dem Stein gewonnene Elixier des Lebens konnte einen Körper, egal wie übel er zugerichtet war, wieder heilen und somit den Tod besiegen. Der Phönix hatte Albus in dem Moment davongetragen, als das marmorne Grab sich aus dem weißen Rauch manifestierte. Ob beide unsichtbar waren oder der Rauch ihre Gestalten nur verhüllte, würde Severus den Direktor noch fragen müssen, aber alles andere hatte er bereits aus Albus' Mund erfahren. Remus hing ihm an den Lippen und Severus genoss das Gefühl, wichtig genug zu sein, dass man ihn ohne Unterbrechung erzählen ließ, denn nun kam der Teil mit Sirius. Remus riss die Augen weit auf, so gefesselt war er von der Schilderung, Albus hätte ihm vor dem Aufbruch ins Ministerium ebenfalls das Elixier gegeben.

„Ich weiß“, Severus atmete tief durch, „dass der Schleier im Ministerium nicht zu Albus' Plan gehörte.“
„Aber ...“ Remus war mit einem Male ruhig, weil er begriff, was das zu bedeuten hatte.

Still standen sie nebeneinander und betrachteten die Gegend, die langsam von der aufgehenden Sonne erhellt wurde. Remus war mit seinen Gedanken beim heutigen Umzug von Hermine, bei dem er helfen wollte.

„Wird ganz schön ruhig werden, wenn Hermine nicht mehr da ist.“
„Mmmh“, summte Severus zustimmend.
„Mit ihr zu frühstücken war immer sehr erfrischend. Sie strahlt so eine Lebensfreude aus, hat immer ein nettes Wort auf den Lippen.“ Severus musste an eben erwähnte Lippen denken und summte nochmals gedankenverloren. „Ich bin froh, dass gestern nichts Schlimmes geschehen ist.“

Hierzu wollte Severus sich nicht äußern, denn dieser Gedanke, dass etwas hätte geschehen können – etwas, dass er schwer verkraftet hätte –, war der Grund, warum er in der Nacht kein Auge hatte zutun können.

„Tonks ist ...“ Remus verbat sich selbst den Mund, denn er war sich sicher, dass Severus nicht das geringste Interesse daran hatte, wie sehr er sich um sie sorgte.
„Tonks ist was?“
Die Nachfrage überraschte Remus. Ein Smalltalk dieser Art war neu für ihn. Er hätte nicht damit gerechnet, dass Severus tatsächlich noch ein wenig über Privates plaudern wollte. „Tonks ist jetzt gerade bei dem Todesserversteck. Sie schicken einen Animagus vor, eine Schneeammer.“ Die Vögel waren in Schottland so verbreitet wie Spatzen in anderen Ländern.
„Wenigstens ist die Form unauffällig“, warf Severus ein und Remus nickte bejahend.
„Tonks wird auf dem Besen um das Anwesen herum ...“ Vor lauter Aufregung bekam Remus einen ganz trockenen Mund.
Die Sorge seines Kollegen konnte Severus jedoch nachvollziehen. „Sie ist nicht allein“, beruhigte er. „Tonks ist eine erfahrene Aurorin, die ihr Ungeschick vor Arbeitsbeginn im Spind zurückzulassen scheint. Ich nehme an, Kingsley wird alles von vorn bis hinten durchdacht und geplant haben.“
„Wird er sicherlich“, hoffte Remus, obwohl er innerlich bejahen musste, denn er kannte Kingsley lange und gut. Er wusste jedoch auch, dass Pläne, egal wie gut sie waren, durchkreuzt werden konnten.

Bisher lief tatsächlich alles nach Plan, wovon Remus natürlich nichts wusste. Gruppe A, bestehend aus zwölf Auroren, die immer paarweise arbeiteten, hatte sich und die Besen unsichtbar gemacht und bereits strategisch günstige Position rund um das Hauptgebäude eingenommen. Der Desillulsionierungszauber wirkte mit der Einschränkung, dass nicht nur die Kollegen auf den Besen sich untereinander sehen konnten. Gruppe B und auch Kingsley und Alastor konnten die Auroren am Himmel beobachten. Die Sonne war noch nicht vollständig aufgegangen, doch die Sicht war klar.

Mit einem Gerät ähnlich einem Omniglas beobachtete Kingsley den kleinen Vogel – Kevin –, der mit kurzen Zwischenstopps auf dem Boden, damit seine Zielstrebigkeit nicht auffallen würde, sich dem Gutshaus näherte. Er war auf der Terrasse gelandet und putzte sein Gefieder, hüpfte dann hinüber zu einem nur mit Erde gefüllten Kübel, der auf dem Boden stand. Er tat so, als würde er etwas zu Fressen suchen; vielleicht täuschte er das nicht einmal vor. Schutz- und Abwehrzauber, selbst die der Todesser, wirkten nicht auf Tiere, doch Kevin würde sie als ein kribbelndes Gefühl spüren können. Ob Tiere ein unter Fidelius liegendes Gebäude sehen konnten, war für lange Zeit nicht geklärt. Es gab jedoch Beobachtungen, dass geschützte Häuser von Tieren betreten worden waren, also war es nicht auffällig, wenn ein Vogel sich in einem ungenutzten Blumenkübel nach Nahrung umsah. Bisher leuchtete in keinem der vielen Fenster Licht. Nirgends rührte sich was.

Auf der Terrasse beäugte Kevin mit schnellen Bewegungen seines Kopfes die Hausfassade, die für ihn in seiner kleinen Gestalt überwältigend groß wirkte. Bevor er die Fenster abflog, wollte er für noch mehr Tarnung sorgen. Er sang. Nach wenigen Minuten gesellten sich einige fröhlich zwitschernde Vögel seiner Spezies zu ihm, die die Samen herauspickten, die in der Erde friedlich auf ihre Keimzeit gewartet hatten. Um das Haus herum war es einigermaßen warm, was von dem Fidelius herrühren könnte. Magie war Energie. Bis auf den Fidelius hatte er nichts fühlen können. Wenn das Haus bewohnt war, fühlte man sich offenbar sicher.

Nachdem noch mehr Schneeammern herbeigerufen wurden, machten sie sich alle über die verschiedenen Blumenkästen her, aber sie verteilten sich auch auf dem Boden rund ums Haus, denn auch dort war die Erde nicht gefroren.

Ein Fenster öffnete sich abrupt und ein muskulös gebauter Mann mit schwarzen Haaren und Vollbart brüllte: „Scheiß Vögel!“ Er brummte missgelaunt und murmelte: „Jeden Morgen das Gleiche!“
'Rodolphus', dachte Kevin.

Die Schneeammern unter dem nun geöffneten Fenster waren in null Komma nichts aufgeschreckt davongeflattert, um sich nur wenige Meter weiter wieder auf dem Boden niederzulassen und laut trällernd der Morgensonne ihren Gruß entgegenzubringen. Für Rodolphus zu laut. Die Schneeammern hatten ganz offensichtlich auch ohne Kevins Hilfe vor einiger Zeit bemerkt, dass der Boden am Haus locker war und sich hier auch genügend kleine Insekten tummelten.

Ungefähr 150 Meter vom Gutshaus entfernt sagte Kingsley zu Alastor: „Rodolphus! Am Fenster!“ Er reichte ihm das Fernsichtgerät, so dass der ältere Auror hindurchschauen konnte.
„Ja, das ist der Bastard! Den kriegen wir. Hoffen wir, dass sein Brüderchen bei ihm ist und vielleicht noch ein paar andere Gestalten.“

Das offene Fenster war Kevin nicht geheuer, deshalb flog er ganz hinauf bis unters Dach und nahm sich vor, die Stockwerke von oben nach unten zu betrachten. Auf dem Dachboden stand ein kleines Fenster auf, durch welches sich schlanke Auroren zwängen könnten. Hier oben war nichts Ungewöhnliches zu sehen, so dass Kevin zum zweiten Stock flog. Hinter dem ersten Fenster befand sich ein scheinbar ungenutztes Schlafzimmer, was die vielen Staubflocken und Spinnweben verrieten. Die vielen anderen Zimmer im zweiten Stock zeigten das gleiche Bild.

Eine Etage tiefer begann das Leben. Kevin späte durch eines der Fenster und sah eine schlafende Gestalt im Bett, doch das Gesicht war abgewandt. Im Nebenzimmer schliefen zwei Frauen, die er nicht identifizieren konnte. Der gesamte erste Stock bestand aus Schlafzimmern und in jedem Bett ruhte mindestens eine Person. Insgesamt waren es schon vierzehn.

Im Erdgeschoss war Rodolphus in der Küche beschäftigt. Das geöffnete Fenster gehörte zu diesem Raum. Das Frühstück, dass er herbeizauberte, konnte eine ganze Kompanie sättigen. Drei Brote lagen auf dem langen Tisch in der Küche, auch viel Wurst und Käse, ein großer Räucherschinken und Butter. Er befeuerte gerade den altmodischen Herd, um Eier in die Pfanne zu hauen; in diesem Moment kamen drei junge Männer hinein. Kevin flog mehrmals am offenen Fenster vorbei, um einen Blick auf die Männer zu erhaschen. Keinen von ihnen kannte er von den unzähligen Akten und Suchmeldungen. Neugierig flatterte er nochmals zum offenen Fenster hinüber, doch er landete nicht auf dem Fensterbrett. Stattdessen fand er mit seinen kleinen Krallen Halt am Putz des Hauses direkt neben dem Fenster. Ungesehen konnte er so den Männern lauschen.

„Was Neues?“, hörte er Rodolphus fragen. Da niemand antwortete, gab es offenbar keine Neuigkeiten, doch woher wollten sie die auch bekommen? Seit gestern Abend hatte niemand das Gutshaus betreten oder verlassen, jedenfalls nicht durch die Tür. „Ist mein Bruder schon wach?“
„Nein, der schläft noch.“ Die Stimme klang sehr jung. Der Mann musste ihn Kevins Alter sein: Mitte zwanzig.
„Wie viele sind hier?“
Einer der anderen jungen Männer antwortete: „Gestern sind Eligius und Sixtus gekommen, Levente hat sich für heute Abend angekündigt. Varinka bringt Haroon und Kaine mit, rechnet aber nicht vor Übermorgen mit ihrer Ankunft.“
„Was ist mit Talin?“
„Der ist tot, hat jedenfalls Eligius gesagt.“

Kevin merkte sich alle Namen, bevor er das Küchenfenster verließ und eine kleine Runde drehte, um einen Blick in die anderen Zimmer im Erdgeschoss zu werfen. Im Wohnzimmer saßen zwei Herren mittleren Alters, die auf der Couch genächtigt haben mussten und eben erst erwacht waren. Aufgrund des Gesprächs, das er in der Küche belauscht hatte, musste es sich um Eligius und Sixtus handeln. Einer von ihnen wies eine unübersehbare Verletzung auf, denn das Gesicht war verbrannt. Die Haare waren an einer Seite nicht mehr auf der knallig rosafarbenen Haut nachgewachsen. Ein Augenlid sah aus wie geschmolzenes Wachs. Der andere Mann stand leicht gebeugt und nach dem Gesichtsausdruck zu urteilen unter starken Schmerzen einen Moment auf einem Fleck, nachdem er sich mit viel Mühe erhoben hatte. Er raufte sich die schwarz gelockten Haare und verzog das Gesicht. Mit krummem Rücken ging er schlürfenden Ganges in Richtung Küche, so dass Kevin nochmals ums Haus flog, um das zu erwartende Gespräch zu verfolgen.

„Eligius!“, grüßte Rodolphus. „Es ist gut, dich hier zu sehen. Talin hat es nicht gepackt?“ Der Mann schüttelte den Kopf, schien selbst dabei Schmerzen zu haben. „Brauchst du was gegen die Schmerzen? Rabastan hat erst gestern was gebraut.“
„Ich will erst einmal was essen“, hauchte Eligius erschöpft.
„Schlag dir den Bauch voll. Wir kümmern uns danach um dein Becken. Ich hab von Prospero gehört, ihr drei hättet dem Magischen Strafverfolgungskommando ziemlich eingeheizt?“
„Wohl eher andersherum“, murmelte Eligius. „Das Ministerium scheint in neue Ausrüstung investiert zu haben. Die sind verdammt schnell. Hatten Talin einfach vom Besen gefegt. Er wollte im Fall apparieren, aber die Schweine haben das verhindert. Überm Verbotenen Birkenwald ist er abgestürzt. Ich habe noch gesehen, wie eine Horde Zentauren über ihn hergefallen ist. Da war nichts mehr zu machen.“
Rodolphus kräuselte die Nase. „Verdammte Kreaturen. Die gehören allesamt abgeschlachtet. Drecksviecher.“
„Das hätten wir auch geschafft, wenn Macnair und seine Paladine damals nicht völlig unkoordiniert diese Versammlung von skurrilen Launen der Natur aufgemischt hätten“, zischte Eligius gereizt. Durch seine schwarze Mähne wirkte er wie eine wilde Raubkatze. „Man kann auch anders für Ordnung sorgen. Siehst du einen Kobold auf der Straße, dann leg ihn einfach um!“
„Ah, das erklärt dann wohl auch, warum ihr vor dem Magischen Strafverfolgungskommando fliehen musstet.“
„Wir tun wenigstens etwas, als nur hier herumzuhocken und ...“

Kevin hörte einen Stuhl, der auf dem Boden landete. Irgendjemand röchelte.

Mit nur einer großen Hand hatte Rodolphus den Hals von Eligius umfasst. Er drückte zu, als er klarstellte: „Ich plane, wann und wo wir zuschlagen werden!“ Eligius wurde ganz rot im Gesicht, die Lippen bereits bläulich. „Ich will mein Vorhaben nicht gefährdet sehen, weil dir vielleicht ein übereifriger Ministeriumsangestellter in der Hoffnung auf Beförderung folgt und unser Versteck findet.“

Rodolphus ließ den Schwarzhaarigen los, der sich sofort an die Kehle fasste und seinen Adamsapfel befühlte. Die drei jungen Männer hatten nur zugehört, nicht jedoch eingegriffen und schon gar nicht verbal für Ordnung gesorgt. Es war ersichtlich, dass Rodolphus das Sagen hatte.

„Habt ihr wenigstens eure Aufgabe erfüllt oder habt ihr nur nebenher ein paar Kobolden und Werwölfen das Licht ausgeblasen?“
„Wir waren da“, bestätigte Eligius. „Das Haus ist durch starke Zauber geschützt. Wir konnten sie nicht durchbrechen, auch nicht prüfen, sonst wäre der Alarm losgegangen.“
Gemächlich setzte sich Rodolphus. „Wie viele leben dort?“
„Die zwei Frauen und das Kind. Manchmal kommt der Vater und bleibt über Nacht oder übers Wochenende.“
„Irgendwelche Hauselfen?“
Eligius schüttelte den Kopf. „Wir haben keine gesehen. Sie machen alles selbst.“
„Selbst?“ Verachtend schnaufte Rodolphus, bevor er sich eine Tasse Kaffee einschenkte. „Was ist mit Lucius?“
Unerwartet antwortete eine Stimme an der Tür zur Küche. Sixtus, der Mann mit dem verbrannten Gesicht, antwortete: „Der ist noch nicht frei. Gab in den letzten Tagen keine Artikel mehr über ihn, jedenfalls nichts Neues. Scheint, als würde er Zeit schinden.“
Einer der jüngeren wollte erschreckt wissen: „Meint ihr, er hat uns verraten?“
„Mein lieber Schwager tut viel, um seinen Hals zu retten, aber das würde er nicht tun. Er weiß, dass er es dann mit mir zu tun bekäme.“ Rodolphus rührte gelassen seinen Kaffee mit einem Löffel um. „Außerdem kann er uns nicht verraten haben, denn das würde voraussetzen, er hätte hiervon“, er deutete mit einer Hand aufs Umfeld, „gewusst. Er war ja nicht mal eingeweiht, der Gute.“

Die Männer frühstückten in der Küche und Kevin konnte währenddessen viele Informationen sammeln. Er hörte heraus, dass noch 82 weitere Anhänger Voldemorts, die allesamt in den drei Jahre vor dessen Tod rekrutiert worden waren, dieses Gutshaus als Ziel hatten. Nach und nach hatten sie sich gefunden, hatten kleine Gruppen gebildet und Kontakt zueinander aufgenommen. Am Ende wollten sie als große Gemeinschaft ihre Gräueltaten im Namen ihres verstorbenen Meisters gemeinsam fortführen. Macnair, einer der ältesten Anhänger, hatte nicht warten wollen und war Mitte August letzten Jahres mit einer Handvoll Todesser, darunter Crabbe senior, Mulciber und dessen Sohn und Tochter, bei der Versammlung der „Initiative für die Forderung eines Anti-Diskriminierungsgesetzes für magische und nichtmagische Halbwesen“ in Erscheinung getreten. Alle Todesser hatte man damals dingfest machen können.

Das Fenster wurde geschlossen, nachdem der Dunst von gebratenem Speck und Eiern die Küche verlassen hatte. Kevin flog schnurstracks zu Kingsley, um einen Bericht abzugeben. Bei all den Namen, die er Alastor, Tonks und Kingsley nannte, schüttelten die nur mit dem Kopf.

„Ich kenne keinen Einzigen von denen“, gab Kingsley zu. „Tracey, geh ins Ministerium und weise Dawlish an, er soll mit seinen Leuten nachsehen, ob diese Menschen schon einmal in Erscheinung getreten sind. Er soll die Verwandten und Bekannten der Todesser überprüfen, die uns geläufig sind. Nott senior ist ebenfalls noch auf freiem Fuß. Entweder wird der demnächst auch hier antanzen oder er ist in einem der anderen beiden Verstecke, die Macnair uns zu Beginn seiner Haft genannt hat. Ich will nicht, dass wir es am Ende mit insgesamt drei unter Fidelius stehenden Gutshäusern zu tun haben, in denen jeweils knapp hundert Todesser hocken.“

Tracey verschwand und Alastor beobachtete das Gutshaus mit einem Fernsichtgerät, so dass Tonks den Moment der Ruhe nutzte.

„King? Wann werden wir zuschlagen?“ Sie ahnte, wie die Antwort ausfallen würde.
Er atmete er tief durch, bevor er sehr ernst antwortete: „Das hier wird eine der größten Observationen werden, die das Ministerium jemals durchgeführt hat. In nur drei Tagen ist das nicht erledigt. Du hast doch gehört: Es kommen noch viele andere.“ Er wollte ihr die bevorstehende Arbeit schmackhaft machen und fügte hinzu: „Ist es nicht eine erleichternde Vorstellung, alle auf einen Schlag zu erwischen?“
„Wie lange?“
„Wochen“, er seufzte, „vielleicht Monate.“
Tonks schloss die Augen.

Während die Arbeit der Auroren erst begann, war die bei Hermine bereits beendet. Nachdem sie einmal ausgeatmet hatte, öffnete sie ihre Augen und betrachtete ihr leeres Zimmer in Hogwarts. Der Erste war Remus gewesen, der sich mittags bei Hermine hatte sehen lassen. Der Umzug war schneller vonstatten gegangen als angenommen, denn jeder, der Zeit hatte, war vorhin zu ihr gekommen, sogar Anne und Sirius, was eine große Überraschung gewesen war. Selbst Hagrid hatte kräftig mit angepackt. Mit seinen riesigen Händen konnte er viele Kisten mit verkleinertem Hab und Gut auf einmal nehmen, wofür durchschnittlich große Menschen dreimal hätten laufen müssen. Die meisten Weasleys wollten sich dieses kleine Ereignis ebenfalls nicht entgehen lassen, allen voran Molly, die ein schlechtes Gewissen zu haben schien, dass Hermine von Pettigrew ausgerechnet im Fuchsbau angegriffen worden war. Die Schlafzimmermöbel wurden von Ron sorgfältig verpackt. Wie versprochen hatte Angelina ihn begleitet, die viel ausgeglichener war als sonst. Womöglich lag es daran, dass sie nun in einer Flugbesenschule arbeitete und nicht mehr tag ein, tag aus mit Ron zusammen auf dem Quidditchfeld war. Hermine mochte sie und war nicht mehr befangen, ihr gegenüberzutreten. Auch Draco hatte das freie Wochenende nicht genutzt, um bei Susan zu bleiben. Er hatte sich der vielen Bücher angenommen, die alle für den Transport verstaut werden wollten. Als Letzte, aber noch immer pünktlich, waren Luna und Neville eingetroffen. Sie erwiesen sich beim Umzug als sehr nützlich, auch wenn sich nichts mehr gefunden hatten, das sie tragen, verkleinern oder schweben lassen konnten. Es waren so viele helfende Hände in Hermines Räumen anwesend, dass Luna und Neville die Koordination des Umzugs an sich gerissen hatten.

Die Wohnung in der Apotheke, selbst die Küche, war nur mit dem Notwendigsten eingerichtet. Ihre Helfer waren längst gegangen, bis auf Harry und Ginny, die ihr noch Gesellschaft leisteten, als Hermine still Abschied von ihrem Wohnzimmer nahm, an dem sie wegen der schönen Erinnerung sehr hing. Sie hatte sich viel zu schnell eingelebt. Auf dem Boden neben Hermine stand der große Katzenkorb, in den sie nachher Fellini stecken würde. Hinter sich hörte sie, wie Harry sich räusperte.

„Hermine?“ Sie drehte sich zu ihm um. „Es ist schade, dich nicht mehr hier zu haben.“ Es war so leicht, Kontakt aufrecht zu erhalten, wenn man im gleichen Gebäude lebte. Man hatte sich häufig zu den Essenszeiten gesehen und nach der Arbeit.

Sie lächelte ihre beiden Freunde schweren Herzens an. Der Abschied, auch wenn er keinesfalls für immer war, fiel ihr schwer. Sobald sie dieses Zimmer verlassen hätte, würde sie nicht mehr dazugehören, nicht mehr zu Hogwarts gehören. Für sie stand sozusagen ein ganz neues Leben vor der Tür.

„Es war eine schöne Zeit hier.“ Sie wollte so viel sagen, doch ein Wort mehr und sie würde wahrscheinlich in Tränen ausbrechen. Dass Hogwarts ein Zuhause sein konnte, wie es das für Harry früher schon immer gewesen war, verstand sie erst in diesem Moment. Hier hatte sie sich wohl und geborgen gefühlt. Sie mochte die Räume und die vielen einzigartigen Dinge, die man nur hier erleben durfte, wie die Hausgeister, die vielen Gemälde oder die Türen, die sich nur öffnen ließen, wenn man sie an der richtigen Stelle kitzelte. Sie hatte die Menschen lieb gewonnen. „Ich werde mich bei Severus verabschieden, bevor ich gehe.“ Die anderen hatten ihr bereits alles Gute und viel Erfolg gewünscht: Minerva und Albus, die anderen Lehrer, sogar einige der Schüler. Es fehlt nur noch Severus.

Sie verstaute Fellini im Katzenkorb und begleitete Harry und Ginny bis ins Erdgeschoss, wo sie sich von ihnen trennte, denn ihr Weg führte noch weiter hinunter in die dunklen Kerker. Selbst die würde sie vermissen. Sie rechnete damit, Severus in seinem Büro anzutreffen, wo er sicherlich Hausaufgaben durching. Sie klopfte und öffnete höflichkeitshalber erst, nachdem sie sein grummelndes „Herein“ vernommen hatte. Vielleicht ging er von einem Schüler aus, der ihn bei seiner Arbeit zu stören wagte, denn sein Tonfall änderte sich schlagartig, als er sie sah.

„Hermine“, erklang seine Stimme nun alles andere als mürrisch. „Verzeihen Sie, wenn ich mich bei der heutigen Aktion in Ihren Räumen rar gemacht habe. Ich kann Ihnen aber versichern, dass Sie auf mich zählen können, sollten Sie jemals wieder von einem Todesser bedrängt werden.“
Sie musste schmunzeln. „Ist schon gut. Ich weiß ja, dass so viele Menschen auf einen Haufen nicht Ihr Ding sind.“ Aus ihren Worten konnte man den allgemeinen Trübsinn heraushören, der sie momentan eingenommen hatte. Es tat weh, Hogwarts zu verlassen. So viele Erinnerungen waren mit diesem Schloss verbunden.
„Sie bedauern Ihren Schritt doch nicht etwa?“
Über seine Vermutung ganz erschrocken riss sie die Augen auf und verteidigte sich: „Nein, das tu ich nicht. Es ist nur ...“
Nach einem Augenblick, den er ihr schenkte, um den Satz beenden zu können, nutzte er ihre anhaltende Sprachlosigkeit, um zu fragen: „Was? Trauen Sie sich nicht zu, Ihr Leben so zu gestalten, wie Sie es sich wünschen?“
„Was man sich wünscht, muss nicht zwingend in Erfüllung gehen!“, konterte sie ein wenig schnippisch und bereute es sogleich. Wie hatte es Albus so nett ausgedrückt, bevor sie in den Spiegel sah? 'Sie dürfen es gern wagen, Hermine, doch sollten Sie sich dem, was Sie sehen werden, nicht verschreiben. Lassen Sie sich von nichts aus der Bahn werfen, sondern nehmen Sie es locker. Es ist nicht verboten, auf das, was Nerhegeb einem zeigt, hinzuarbeiten, aber es ist auch nicht Ihre Pflicht', hallten seine Worte in ihrem Kopf wider, 'Klarheit ist der Schlüssel.' Hermine war verwirrt; handlungsunfähig.

Selbstverständlich dachte sie während ihres Besuches bei Severus an das, was Nerhegeb ihr gezeigt hatte. So ruppig wollte sie gar nicht zu ihm sein, als er allgemein über Wünsche gesprochen hatte. Er wusste ja nicht, was es mit ihren Wünschen auf sich hatte. Kleinlaut folgte eine Entschuldigung aufgrund ihrer schnippischen Worte, die er gelassen abwinkte.

„Hängen Sie nicht den Erinnerungen nach“, gab er ihr als Tipp. Sie war kurz davor, diesen Ratschlag an ihn zurückzugeben, hütete jedoch ihre Zunge.
„Sie haben gesagt, Sie würden mich besuchen kommen.“ Ihre Stimme barg so viel Hoffnung, dass es sie selbst überraschte.
Severus nickte. „Ja, ich habe Ihnen versprochen, Sie ein wenig zu triezen. Ich halte meine Versprechen.“

Wieder musste Hermine schmunzeln, diesmal so sehr, dass sich dabei ihre Nase kräuselte, was ihn zu faszinieren schien. Ein wenig von den angenehmen Gewohnheiten würde sie durch seine Besuche mit in ihr neues Leben nehmen können.

„Außerdem sind wir bereits für das nächste Wochenende verabredet“, fügte er nüchtern hinzu.
Sie runzelte die Stirn. „Sind wir?“
„Ihre Präsentation, schon vergessen?“
„Oh natürlich.“ Den Text sollte sie einmal laut vor ihm lesen. Wegen der vielen Aufregung hätte sie das fast vergessen. Sie würde ihn auch noch auf der Versammlung der Körperschaft der Tränkemeister treffen, denn seine Zusage, sie zu begleiten, hatte er längst gemacht.

Hermine kam sich momentan etwas verloren vor. Da stand sie hier in seinem Büro mit der Absicht, sich zu verabschieden, aber es wollten sich keine Worte finden, mit denen sie sich am besten ausdrücken könnte. Sie wollte sich gar nicht verabschieden, wollte nicht gehen. Ihre Füße hatten Wurzeln geschlagen.

„Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“, hörte sie ihn fragen.
„Darf ich Sie anflohen, wenn irgendwas ist?“
Im ersten Moment schien er ein wenig erstaunt. „Sie würden mich sogar kontaktieren, wenn ich es Ihnen verbieten sollte.“ Ein zuckender Mundwinkel verriet ihr, dass er scherzte. Severus schien über etwas nachzudenken, bevor er sich einen Ruck gab. „Gehen wir doch einen Moment zu mir hinüber.“

In seinem Wohnzimmer fühlte sie sich genauso heimisch wie in ihrem eigenen Zimmer. 'Meinem ehemaligen Zimmer', verbesserte sie in Gedanken. Kaum hatte sie den Korb mit Fellini abgestellt, kam der Hund angelaufen, um das eingesperrte Tier durch die Gitter zu inspizieren.

Severus deutete auf den Korb und schlug vor: „Lassen Sie Ihren schwarzen Begleiter ruhig noch ein wenig umherstreifen.“ Ohne Umschweife kam sie dem Vorschlag nach und ließ Fellini frei, der daraufhin sofort mit Harry zu spielen begann. „Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“

Nach ihrem Kopfnicken bestellte er etwas bei einer Elfe. Sie war froh, dass er sie bewirtete, denn das würde bedeuten, sie müsste nicht sofort gehen. Er bot ihr sogar einen Platz an und setzte sich direkt neben sie.

„So wie Sie, Hermine, habe ich mich auch einmal gefühlt.“
„Wirklich? Wie fühle ich mich denn?“ Ihre eigenen Gefühle konnte sie kaum in Worte fassen und so war sie froh, dass er das für sie erledigte.
„Sie wagen einen Schritt ins Ungewisse, verlassen das bekannte Territorium. Ihre Fähigkeiten, Dinge zu planen und Situationen vorherzusehen, haben sich mit einem Schlag minimiert, denn Sie können nicht mehr absehen, was in Zukunft geschehen könnte.“ Anstatt zu trösten hatten seine Worte sie nur noch mehr aufgewühlt, doch das bemerkte er, weswegen er anfügte: „Aber wenn Sie Routine erlangt haben, werden Sie genauso sicher sein wie zuvor; wie Sie es hier waren.“
„Ich hoffe nur, ich falle mit er Apotheke nicht auf die Nase.“
„Warum sollten Sie? Sie sind fähig, was man von vielen Menschen nicht behaupten kann. Bei manchen Tränkemeisters ist es mir ein Gräuel, sie 'Kollegen' nennen zu müssen.“
Sie erinnerte sich an Percys Schilderung. „Ich habe gehört, Sie hätten vor einiger Zeit beim Ministerium eine Beschwerde gemacht.“ Seine in Falten gelegte Stirn glättete sich wieder, als sie erörterte: „Wegen eines bestimmten Tränkemeisters, dessen Wolfsbanntrank verunreinigt war.“
„Ah“, entwich ihm aufgrund der Erleuchtung. „So etwas darf nicht passieren. Der Mann kann von Glück reden, dass die Verunreinigung die Wirkung des Trankes nicht gemindert oder gar aufgehoben hat.“
„Hoffentlich mache ich keine Fehler.“
„Ihre Selbstzweifel sollten Sie sich abschminken.“

Das Bild von Nerhegeb war immer in ihrem Kopf präsent. Die Zeit wäre gekommen, ihm davon zu erzählen, stattdessen redete sie um den heißen Brei herum.

„Wäre das nicht etwas für Sie, eine Apotheke zu führen?“
Gelassen schüttelte er den Kopf. „Ich glaube nicht, dass sich Kunden finden würden, denen meine pure Gegenwart keinen Schauer über den Rücken laufen ließe.“
Mit einem Schalk im Nacken stupste sie in mit der Hand an. „Ach, so schlimm wäre das nicht. Sie sind ein anerkannter Zaubertränkemeister. Immerhin sind Sie Platz 3 bei den Schokofroschkarten.“
Er musste lächeln und machte nicht einmal den Versuch, es zu unterdrücken. „Laufen Sie etwa mit Ihrer Schokofroschkarte in der Innentasche Ihres Umhangs durch die Gegend und versuchen, damit Vergünstigungen jedweder Art zu erheischen?“
„Ich hab's noch nie gemacht“, scherzte sie, „sollte ich aber vielleicht mal probieren?“
„Wir könnten uns einmal treffen, um es zu spielen.“
Von diesem Vorschlag war Hermine völlig überrascht. „Sie mögen das Spiel?“
Er zuckte mit den Schultern. „Einen gewissen Unterhaltungswert kann man diesem Kartenspiel nicht abstreiten.“ Mit ernster Miene, die er zu halten versuchte, erklärte er: „Wie sonst könnte ich ungestraft Black in den sicheren Tod schicken als mit einem Zug dieses Spiels?“
„Oh“, machte Hermine übertrieben, als würde sie Gefahr riechen. „Sie können ihn noch immer nicht besonders ausstehen oder?“
„Das Einzige, was ich Black entgegenbringen kann, ist ein sehr ausgeprägtes Gefühl der Abneigung.“
„Das wird sich wohl in Zukunft auch nicht ändern.“ Bestätigend schüttelte er den Kopf. „Und Remus?“
„Er ist bis zu einem gewissen Maß erträglich.“
„So wie ich?“, wollte sie wissen.
Er schien beleidigt zu sein. „Das müssen Sie fragen?“
„Sie haben mir oft genug gesagt, dass Sie mich für aufdringlich halten.“
„Waren Sie auch, sehr sogar.“
„War? Ich werde es auch noch eine Weile bleiben, Severus.“
„Warum müssen Sie mir drohen?“, fragte er amüsiert.
Selbstbewusst und fest entschlossen erwiderte sie: „Weil ich wegen Ihnen weitermachen werde.“ Mutig schaute sie ihm in die braunen Augen, deren Anblick sie in ihrem Vorhaben nur noch bestärkte. „Ich werde einen Weg finden, das rückgängig zu machen, was der Ewige See bei Ihnen angerichtet hat.“ Verlegen blickte er weg, was sie zum Anlass nahm, ein wenig zu sticheln. Mit frechem Grinsen auf den Lippen hielt sie ihm vor: „Sie haben wirklich gedacht, wenn ich gehe, dann ist damit Ruhe?“ Er warf ihr einen bösen Blick zu, doch Hermine schüttelte nur den Kopf. „Nein Severus, ich werde eines Tages vor Ihrer Tür stehen und Ihnen die Lösung präsentieren.“
„Ich dachte“, seine Stimme war zittrig, „dass Sie nun wichtigere Dinge im Kopf haben würden.“
„Das ist wichtig!“ Bevor er widersprechen konnte – und das wollte er – stellte sie klar: „Für mich!“
„Hängt denn Ihr Seelenheil von dem meinen ab?“
„Ich befürchte, ja.“ Das Flüstern hatte ihre Aufrichtigkeit nur noch gewichtiger gemacht. „Ich weiß, dass Sie damit nichts zu tun haben wollen. Trotzdem werde ich noch Ihre Hilfe benötigen. Ich muss genau wissen, wie Sie den Trank gebraut haben, wie viel Sie eingenommen haben und was es für ein Schutztrank war, den Sie vor dem Ewigen See getrunken haben.“

Er schüttelte den Kopf und wollte gegen ihre vielen Fragen protestieren, doch ihr angehängtes, leise gesprochenes „Bitte!“ brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Was waren schon ein paar Antworten, wenn er selbst sich um nichts anderes kümmern müsste? Albus hatte ihm geraten, die Hilfe nicht abzuschlagen. Trotzdem war es für ihn unmöglich, darüber offen zu sprechen. Der Ewige See war eine Dummheit von ihm gewesen, die er schnell bereut hatte. Das gesamte Thema war ihm unangenehm. Es gab damals sogar eine Zeit, in der er peinlich berührt gewesen war, als er etwas über die Zutaten gelesen hatte, die Bestandteil des Ewigen Sees waren. Severus wollte nicht über diese Sache reden, wollte seine Torheit nicht mit anderen diskutieren.

Ein Blick zur Seite ließ ihn in ihre warmen Augen sehen. Braune Augen. Ein wenig heller als der Farbton, den er selbst nun seit wenigen Wochen bei sich selbst im Spiegel sehen konnte. Der Schrecken war groß gewesen, nun nicht mehr nur eine unerklärliche Veränderung seines Gefühlslebens durchmachen zu müssen, sondern auch noch eine physische wahrzunehmen. So sehr er sich auch anstrengte, er konnte es nicht mehr verneinen, dass er auf dem Weg der Besserung war, auch wenn sich ihm nicht erschließen wollte, aus welchem Grund. Warum tat sich etwas bei ihm?

„Einige Wochen, bevor ich geflohen bin“, er schluckte, „habe ich etwas in meinem Büro hinterlassen. Etwas, das demjenigen, der es finden würde, alle wichtigen Einzelheiten meines Lebens vor Augen führen würde.“ Severus musste wegsehen, weil er ihren aufmerksamen Blick nicht ertragen konnte. Dankbar war er dafür, dass sie ruhig blieb. Sie sagte keinen Ton, sondern wartete geduldig, auch wenn es ihr schwerfallen musste. „Es sind mehrere Erinnerungen, aneinandergereihte Schlüsselerlebnisse, erklärende Einblicke in mein Leben. Ereignisse, von denen ich zu Lebzeiten niemals jemandem auch nur ein Sterbenswörtchen gegenüber erwähnt hätte.“ Er seufzte. „Ich habe es zurückgelassen, weil ich nicht damit rechnete, den Krieg zu überstehen. Zumindest nach meinem Tod sollten einige meiner Entscheidungen für andere Menschen nachvollziehbar werden.“ All seinen Mut zusammennehmend blickte er sie erneut an. „Es war ernüchternd, nach meiner Rückkehr zu erfahren, dass niemand diese kleine Hinterlassenschaft angerührt hat. Wahrscheinlich habe ich es einfach zu gut versteckt.“
„In einem der vier Geheimverstecke in Ihrem Büro?“, fragte sie schnell gesprochen. Diese vier Verstecke in den Wänden und im Boden hatte sie bereits damals gefunden, als sie nachschaute, was er dort verstaut hatte. Wie sich herausgestellt hatte, waren es die Aufzeichnungen über den ersten Traum seit zwanzig Jahren gewesen, den er nach der Einnahme des Ewigen Sees hatte.
„Ah, wie ich sehe, waren Sie bereits gründlich, aber nicht gründlich genug, Hermine. Es sind fünf!“
„Fünf Verstecke? Und es ist noch da?“ Er nickte zustimmend. „Und Sie erzählen mir jetzt davon, weil Sie wollen, dass ich ...“
„Lassen Sie sich nicht von mir dabei erwischen, denn ich befürchte, dass ich nicht dabei zusehen kann, wie Sie zu meinen Lebzeiten das an sich nehmen, das ich erst nach meinem Tode zu geben bereit bin.“

Sie war völlig perplex. Da sagte er ihr schon, es gäbe etwas, das er in seinem Büro versteckt hätte und das die genaue Erinnerung an das Brauprozedere des Ewigen Sees beinhaltete, ermahnte sie aber gleichzeitig, sie sollte sich nicht von ihm ertappen lassen, wie sie es heimlich an sich reißen wollte. Genauso gut könnte eine Mutter zu ihrem Kind sagen „Geh bloß niemals in der stillgelegten Mine spielen!“ und das Kind würde denken „Es gibt eine stillgelegte Mine? Cool!“.

„Warum sagen Sie mir das erst jetzt, wo ich Hogwarts verlasse?“
„Damit haben Sie sich Ihre Frage selbst beantwortet.“
„Aber wenn ich damit Ihr Problem längst hätte lösen können, warum erst jetzt? Warum haben Sie es mir nicht gleich am Anfang gegeben, damit ich selbst sehen kann, was Sie für Tränke gebraut und eingenommen haben?“, fragte sie frustriert.
„Weil ...“ Er seufzte. „Hermine, es geht bei diesen Erinnerungen nicht nur um den Trank. Das ist mehr, viel mehr. Es ist mein Leben!“
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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Beitrag von Muggelchen »

179 Granger Apotheke




Mrs. Cara hatte Hermine jede Menge Informationen dagelassen. So wusste sie, was damals, als die Apotheke noch gut lief, häufig gekauft wurde. Daran wollte Hermine anknüpfen. Die Kunden, die vielleicht nur aus Neugierde die Apotheke aufsuchen würden, sollten das altbekannte Sortiment vor Augen haben und noch einige Dinge mehr. Sie begann sofort mit dem Brauen und blieb das ganze Wochenende bei dieser Beschäftigung.

Sie stellte Cremes gegen Arthritis, Wärme-Salben für Rheumaleiden, Tränke gegen Erkältungen, Kautabletten gegen Magenbeschwerden, Pillen gegen Kopfschmerzen und noch viele andere Dinge her, die man in einer Apotheke erwartete. In der Nacht vor dem Tag der Eröffnung ihres Geschäfts war sie damit beschäftigt, die Salben in Dosen und die Tränke in Abgabegefäße zu füllen. Mit einem Zauberspruch konnte sie die Waren leicht beschriften. Preislisten und Tabellen von Mrs. Cara war Hermine aufmerksam durchgegangen. Die Preise schienen ihr zu niedrig; waren fünfzehn Jahre alt. Eine kleine Erhöhung würde niemandem schaden. Die Regale in der Apotheke waren bis unter die Decke vollgestopft mit Töpfchen, Gläsern und Steingefäßen, ganz wie Nerhegeb es gezeigt hatte. Nicht nur fertige Tränke würde sie verkaufen, sondern auch, wie Mrs. Cara schon zuvor, einzelne Zutaten. Bei ihr könnten die Kinder von Hogwarts sogar Schulzubehör für das Fach „Zaubertränke“ bekommen, sollte man kostenintensive Ingredienzen benötigen, die die Schule nicht stellte. Bei ihr bekam man darüber hinaus das wichtige Zubehör, das man zum Brauen benötigte. Kessel in drei Größen, aus Zinn oder gar Gold – alle natürlich mit nach der Norm vorgeschriebenen Mindestbodendicke. Zum Glück hatte Hermine von ihrer Beschäftigung bei Severus noch in etwa 4000 Galleonen im eigenen Verlies. Ihr kleines Startkapital zusätzlich zu der finanziellen Unterstützung, die ihre Eltern ihr hatten zukommen lassen. Hermine hatte sogar eine Paste hergestellt, mit der man Kessel, die längere Zeit nicht benutzt werden würden, einfetten könnte, um kleine Parasiten davon abzuhalten, über mögliche Reste von Trankzutaten herzufallen, womit sie die Kessel beschädigen würden.

Gegen fünf Uhr in der Frühe stand Hermine am Montag in ihrem Verkaufsraum und betrachtete ihn. Sie versuchte, ihn mit anderen Augen zu sehen, mit den Augen eines Kunden. Es sah einladend aus, geradezu gemütlich. Boden und Wände waren aus braunem Holz, was dem Raum eine spürbare Wärme verlieh. Alles war ordentlich und auch sauber. Es roch angenehm, fast wie auf einer Blumenwiese. Die kleinen Dosen und Töpfchen warteten nur darauf, von jemandem in die Hand genommen zu werden, um gleich darauf an der Theke gegen Bares getauscht zu werden. Ein Blick zur besagten Theke ließ in Hermine ein dumpfes Gefühl aufwallen. Die Örtlichkeit war jene, die sie in Nerhegeb gesehen hatte, nur ohne dunkel gekleideten Zaubertrankmeister. Es war, als würde etwas fehlen. Womit Hermine nur schwer zurechtkam, war die herrschende Stille. Natürlich sprach sie mit Fellini, der miauend antwortete und um ihre Beine strich, aber das war nicht das Gleiche. Ihr fehlte intellektuelle und fachkundige Konversation, die der Kniesel ihr einfach nicht geben konnte, doch selbst Harry wäre dazu nicht in der Lage. Sein Interesse an Zaubertränken hielt sich sehr in Grenzen. Die Stille war so präsent, dass Hermine immer daran erinnert wurde, allein zu sein. Die Freude über die eigene Apotheke war verhalten. Es war nicht wie im Bilderbuch.

Als sie sich dazu zwang, einen Moment in der Küche auszuruhen und eine Tasse Tee zu trinken, blätterte sie im neusten Fachjournal für Tränkemeister. Der Artikel über die anstehende Tagung der „Körperschaft der Zaubertränkemeister“ war mehr als nur interessant, denn vor ihrem innere Auge malte sie sich bereits aus, vor Publikum über ihren Trank zu sprechen, ihn vielleicht sogar vorzuführen. Kommendes Wochenende würde sie vor Severus ihre Rede üben. Gerade dachte sie an ihn, da klopfte es ans Fenster. Es war eine Rußschleiereule mit so dunkelbraunem Gefieder, dass es schon schwarz war. Die Vorderseite war es ein wenig heller und mit vielen weißen Tupfen versehen. Sie ließ den Vogel herein. An dessen Bein war eine verkleinerte Mappe befestigt, die Hermine entfernte. Die Rußschleiereule saß auf ihrem Tisch in der Küche und wartete offensichtlich auf etwas Wegzehrung.

Während die Eule ein paar Körner fraß und dazu Wasser trank, vergrößerte Hermine die Mappe. Ein Brief von Severus lag mit dabei, den sie als Erstes las.

„Hermine“ stand am Anfang des Briefes. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass Severus erst „Miss Granger“ schreiben wollte, denn das „H“ ihres Vornamens sah wie ein ursprüngliches „M“ aus, welches kreativ verbessert worden war. Einerseits machte es sie traurig, dass er nach nur zwei Tagen schon wieder auf Distanz zu sein schien, doch andererseits hatte er sich dazu überwunden, die Anrede beim Vornamen doch beizubehalten. Sie betrachtete den gesamten Brief.


„Hermine,

anbei die vorbereitete Rede. Ich erwarte, dass Sie sie einigermaßen flüssig vortragen, wenn ich am Wochenende bei Ihnen sein werde. Zusammen werden wir verbale Stolpersteine ausmerzen.

Wann erwarten Sie mich?

Severus“


'Kurz und knapp', dachte Hermine. So war er eben. Als sie aufblickte und die dunkle Eule betrachtete, fiel ihr das Antlitz des Tieres auf. Die schmalen Augen und der Schnabel hoben sich deutlich vom Rest ab, denn das Gesicht war durch dunkle Federn umrandet, als hätte jemand mit schwarzer Tinte ein Herz drumherum gezeichnet. Mit einem Male dachte sie an Lockhart, dann an Valentinstag und gleich darauf an Valentinus, woraufhin sie angewidert das Gesicht verzog. Es musste eine der Schuleulen Hogwarts' sein, die auf Antwort wartete. Hermine schrieb ebenso knapp zurück, weil sie noch zu viel zu erledigen hatte. Sie schlug Samstag Abend gegen halb neun vor und schickte die Eule auf ihren Weg.

Mit gedrückter Stimmung wollte sie noch den Rest des Ladens beäugen, konnte sich aber nicht mehr dazu aufraffen. Sie hatte die ganze Nacht gebraut, abgefüllt, beschriftet und einsortiert. Nebenbei hatte sie noch Bestellungen erledigt, Überweisungen mit magischen Formularen von Gringotts getätigt und Anfragen per Eule gestellt. Sie würde eine eigene Posteule benötigen, dachte sie, sonst wäre es zu teuer, regelmäßig Briefe zu verschicken. Es fand sich immer etwas, dass sie noch zu erledigen hatte.

Ihr Wunsch nach Ordnung zwang sie, die Nacht durchzumachen und ohne eine Mütze voll Schlaf den Laden morgens um neun Uhr zu eröffnen. Zu spät bemerkte sie, dass sie nicht gefrühstückt hatte. Wie eine Feder im Wind schwebten ihre Gedanken zur großen Halle und in Gedanken sah sie Harry, Remus, Severus und all die anderen Lehrer und Schüler bei einem behaglichen Frühstück beisammen.

Von den Rühreiern, den Omeletts oder dem Toast hatte Severus kaum etwas angerührt, dafür keine zwei, sondern gleich vier Tassen Kaffee getrunken. Als er sich gerade die fünfte einschenkte, sagte Harry gut gelaunt: „Sie können sich den auch gleich intravenös legen“, er schlug mit zwei Fingern auf seine Armbeuge, „das spart den Weg zum Mund.“ Severus verzichtete auf eine Bemerkung, verriet jedoch nicht, dass ihm einfach nichts einfiel, womit er kontern konnte. Ihm war nicht einmal danach, Harry wenigstens einen bösen Blick zuzuwerfen.

Erst zum Mittag fiel Harry auf, dass Severus allgemein sehr still war und sich weder an Gesprächen beteiligte noch sarkastische Bemerkungen über seine Kollegen machte. Er saß ruhig an seinem Platz, aß wie ein Spatz und trank Unmengen Kaffee, wie Harry es aus alten Schultage kannte. Auch Draco, der dann und wann zu seinem Patenonkel zum Lehrertisch schaute, bemerkte dessen Zurückhaltung.

„Draco?“ Der Gerufene wandte seinen Blick von Severus ab und blickte zu Ginny, die sich ohne Scheu an den Tisch der Slytherins gesetzt hatte und damit einigen Mitschülern einen erstaunten Blick entlockte. „Wegen dem Training heute geht alles klar?“
Er nickte. „Alle haben Zeit. Wir werden erst eine Stunde allein spielen. Mit dem Kapitän vom Hufflepuff habe ich eine Trainingsspiel ausgemacht. So gegen halb sieben werden sie zu uns stoßen.“
„Das ist klasse! Im Spiel kann man am besten trainieren, finde ich.“

Weil Ginny nicht zu ihrem Tisch zurückging, wagte Gordian einen ähnlichen Schritt. Der Slytherin wanderte hinüber zu den Hufflepuffs und fragte Meredith höflich, ob er neben ihr Platz nehmen dürfte.

„Haben Sie das gesehen, Severus?“ Harry deutete hinüber zu Gordian. „Ein Slytherin isst mit den Hufflepuffs und ein Gryffindor sitzt am Tisch der Slytherins und“, er legte eine theatralische Pause ein, „es ist ruhig.“
Severus winkte ab. „Was erwarten Sie? Dass die Schüler sich gegenseitig an die Gurgel gehen?“
„Ich find's ungewöhnlich. Stellen Sie sich vor, ich hätte damals in der Schule beim Essen neben Draco gesessen.“ Harry blickte zu dem Blonden hinüber, der sich angeregt mit Ginny unterhielt.
„Das, Harry, hätten Sie nicht überlebt. Ich vermute, Draco hätten Ihnen damals etwas in den Kürbissaft getan, wären Sie so dreist gewesen, sich zu ihm zu setzen.“
Gedankenverloren nickte Harry, bis sein Blick auf Severus' Teller fiel. „Sie haben wohl keinen Appetit?“
„Nein.“ Kürzer hätte er sich kaum halten können. Severus stand auf und ging, womit er zu erkennen gab, dass ihm nicht nach reden war. Harry und Remus schauten ihm verwundert hinterher.

Zaubertränkeunterricht. Die letzte Doppelstunde des Tages mit den Siebtklässlern. Slytherin und Gryffindor. Severus seufzte. Sein Leben war festgefahren und öde. Nach Feierabend hätte er nicht einmal mehr einen kleinen Lichtblick auf ein wenig Abwechslung. Sicher, da war seine Abmachung mit Mr. Worple und Sanguini. Die beiden würden kurz vor der Versammlung der Körperschaft zu ihm kommen. Bisher – und das stimmte ihn einigermaßen ausgeglichen – kam kein Hilferuf von dem Vampir, was nur bedeuten konnte, der letzte Bluttrank wirkte ebenso gut wie der vorige. Mit dieser Erfindung konnte er sogar offiziell ein Patent anmelden. Zwar war es verboten, mit Blut zu experimentieren, doch der letzte Trank beinhaltete nur die zellfreie Flüssigkeit seines Lebenssaftes. Die vom Ministerium gemachte Definition von Blut würde auf Blutplasma nicht mehr zutreffen. Auf diese kleine Lücke hatte Severus spekuliert. Er wäre der erst Zaubertränkemeister, der ohne die Aussicht auf Askaban so einen Trank vorstellen könnte. Es wäre eine bahnbrechende Forschungsarbeit, mit der er Anerkennung finden würde. Mit wem aber wollte er seinen Erfolg feiern?

„Professor Snape?“

Die jugendliche Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Severus blickte auf und war erschrocken, dass bereits alle Schüler auf ihren Plätzen saßen und er es nicht einmal bemerkt hatte. Der Unterricht hatte begonnen. Die Langeweile nahm ihren Lauf.

„Heute werden Sie den 'Trank der Lebenden Toten' brauen. Ich erwarte bei diesem schwierigen Vorhaben Ihre ungeteilte Konzentration. Beginnen Sie!“

Immer wieder hatte er den Drang, hinüber in sein Büro zu gehen. Er war sich sicher, dass er Hermine dort antreffen würde, wie sie seine Verstecke durchforstete, um an die Erinnerungen zu kommen. Hätte er sich doch nur selbst den Mund verboten, dachte er. In den letzten beiden Tagen war mehrmals das Gefühl in ihm aufgekommen, Hermine würde noch in Hogwarts wohnen. Als er heute zum Mittagessen gegangen war, freute er sich auf ein wenig Konversation, doch die Ernüchterung war groß gewesen, als die Realität ihn schlagartig eingeholt hatte. Sie war nicht hier. Sein Gefühl hatte ihn getäuscht. In der großen Halle saß Hermine nicht mehr direkt neben ihn. Den Platz hatte nun Remus eingenommen.

Severus hörte plötzlich ein Räuspern, weswegen er von dem Pergament aufblickte, welches er nur angestarrt, aber nicht gelesen hatte. Alle Schüler schauten ihn mit großen Augen an. Einige waren merklich unsicher, anderen stand die Angst ins Gesicht geschrieben. Gordian meldete sich. Er war es gewesen, der sich geräuspert hatte, um seine Aufmerksamkeit zu erhalten.

„Sir?“
„Was ist so schwer daran, den Anweisungen an der Tafel zu folgen, Mr. Foster?“, blaffte Severus den Schüler gereizt an. Dass seine ganze Klasse wegen seines Tonfalls zusammengezuckt war, bereitete ihm nicht einmal ein kleines bisschen Vergnügen.
„Ähm Sir, sehen Sie, auf der Tafel ...“

Gordian schaute zur Tafel hinüber, weswegen Severus seinem Blick folgte. Die Tafel war leer. Erzürnt darüber, vor der ganzen Klasse auf einen Fehler aufmerksam gemacht worden zu sein, zückte Severus seinen Zauberstab und schleuderte einen Spruch mit solch einer Wucht gegen die Tafel, dass diese sich dreimal um die eigene Achse drehte, bevor das Rezept sich wie von selbst mit Kreide auf die Oberfläche schrieb.

„Beginnen Sie endlich!“

Wenn Severus Gift und Galle spie, war seine Klasse mucksmäuschenstill. Normalerweise waren seine Schüler immer ruhig, doch heute achteten sie sogar darauf, nicht einmal mit den Gläschen zu klimpern, denen sie die benötigten Zutaten entnahmen. Einzig das Knistern des Feuers, das die Klasse nun unter ihren Kesseln entfachte, war deutlich zu vernehmen. Mit ungeahnter Stille wurde geschnitten, gewürfelt, zerdrückt und gerührt, leider Gottes auch mal falsch herum.

Die Ruhe nutzte Severus, um Hermines Nachricht zu lesen. Er hatte die Post heute früh bekommen; die Zusage, dass Sie ihn am Samstagabend gegen halb neun erwarten würde. Samstag war noch lange hin. Sein Blick verweilte einen Moment auf dem kleinen „g“ des Wortes „Samstag“. Geschwungen und bauchig, wie er es kannte und mochte. Er würde sie demnächst zum Abendessen einladen. Vielleicht könnte er das nach der erfolgreichen Präsentation ihres Farbtranks einplanen. Ausgehen war keines seiner Steckenpferde. Essen konnte man auch Zuhause, doch er war es ihr schuldig. Die Drei Besen schieden aus. Rosmerta war eine liebe und nette Frau, selbst ihm gegenüber, aber sie führte ein bescheidenes Lokal. Angestrengt versuchte er sich daran zu erinnern, wo er damals mit Linda hingegangen war. Mit ihr war er nicht oft weg gewesen, nur zweimal, aber das Gasthaus hatte ihm sehr gefallen. Es war in Inverness, wenn er sich recht entsann. Er fragte sich, wann sie sich wohl heimlich in sein Büro schleichen würde. Hermine hatte es schwer. Sie war selbstständig und könnte nicht einfach den Laden verlassen, um herumzuschnüffeln. Vielleicht hatte er ihr von seiner Hinterlassenschaft erzählt, weil er wusste, dass sie keine Zeit finden würde, es an sich zu reißen. Einerseits sollte sie es finden und sich ansehen, die ganzen Grausamkeiten, die beschämenden Momente, seine Schwächen. Dann würde sie verstehen, würde alles verstehen: ihn, seine Situation, sein Leid. Damit hätte er sich neben Albus noch einem anderen Menschen vollkommen geöffnet, aber was würde sie wohl von ihm denken? Würde sie ihn für schwächlich halten, für naiv und verzweifelt.

Mit einem Male fühlte Severus Augen auf sich. Das war ein Gefühl, welches er in seiner Zeit als Spion gehasst hatte. Ohne den Kopf zu heben wanderten seine Augen nach oben, was ihm ein furchteinflössendes Aussehen verlieh. Es war Draco, der ihn ungeniert anstarrte, vielleicht auch ein wenig besorgt.

„Sie, Mr. Malfoy, sollten den Trank lieber fehlerfrei brauen, damit Ihnen bei den UTZen kein Malheur unterläuft, anstatt verträumt in die Gegend zu starren.“ Nach der Ermahnung inspizierte Draco erst das Innere seines Kessels, bevor er eine Zutat hinzufügte und umrührte. Trotzdem schaute er in regelmäßigen Abständen zu Severus hinüber.

Von den Schülern wurde nun die Affodillwurzel klein gehackt. Der gleichen Beschäftigung ging Hermine gerade nach, denn auch sie braute den Trank der Lebenden Toten. Zeit genug hatte sie. Bisher war nur ein Kunde aufgetaucht und das war Mrs. Cara persönlich gewesen. Die Menschen müssten sich erst daran gewöhnen, hatte Mrs. Cara vorhin gesagt, dass die Apotheke wieder geöffnet war. Auf dem großen Schild über dem Geschäft stand nun „Granger Apotheke“. Das war nicht sehr originell, aber einfach zu merken. Ein Blick durch die Fenster veranschaulichte, dass allgemein wenig in der Winkelgasse los war. Die Affodillwurzel gab sie in den aus Wermut gekochten Sud, bevor sie den Schlafbohnensaft untermengte. Am Ende fügte sie noch die Baldrianwurzel hinzu und stellte die Flamme klein. Ein Zauber sorgte dafür, dass sich das Feuer in zehn Minuten selbst löschen würde. Es schellte. Sofort eilte Hermine nach vorn, um den einen Kunden zu begrüßen.

„George?“ Sie kniff die Augen zusammen. „Nein, Fred! Hallo!“
„Ich glaub's nicht: Du kannst uns wirklich nicht auseinander halten?“
Sie musste lächeln. „Doch, wenn ihr direkt nebeneinander steht. Einzeln wird es schwer.“
„Ich bin George! Vielleicht sind Mutterns selbst gestrickte Pullover doch nicht so sinnlos? Ich werde das nächste Mal einen tragen, mit einem großen 'G' drauf!“ George grinste frech. „Wie geht's, wie steht's?“
Sie seufzte. „Bisher war niemand hier.“ In seinen Händen bemerkte sie einen Stapel Papiere. „Was ist das?“
„Oh das?“ Den Stapel drückte er Hermine in die Hand. „Wie wäre es, wenn du die an deiner Theke auslegst? Wir würden welche von dir bei uns hinlegen.“

Das oberste Blatt beäugte sie sehr gründlich. Das Firmenlogo von „Weasleys Zauberhafte Zauberscherze“ war unübersehbar angebracht. Gleich darunter stand die Adresse. Es folgte eine Auflistung von Angeboten an Scherzartikeln.

„Ich habe so etwas nicht“, gab sie etwas beschämt zu. Solche Zettelchen hätte sie längst machen lassen sollen. Aufgrund seines belämmerten Gesichtsausdrucks wiederholte sie: „Ich hab so etwas nicht.“
„Dann komm mit mir und wir lassen welche drucken.“
„Aber ich muss doch im Laden bleiben.“
„Ach ja? Weil die Kunden das Geschäft stürmen, vermute ich.“ Sie schaute sauer drein. „Hör mal, Hermine: Wenn du für zehn Minuten weg bist, dann hängst du eben ein Schild an die Tür. Wie sonst willst du später mal deine Galleonen zur Bank bringen? Gringotts hat zu, wenn du Feierabend machst. Du musst zwischendurch mal gehen.“
„Ich hab zwischen ein und drei Uhr geschlossen. Da kann ich das erledigen.“
„Dann mach so einen Werbezettel fertig und morgen, zwischen eins und drei, komm ich rüber und wir lassen die Zettel vervielfältigen.“
Sie blickte George erstaunt an. „Kann man das denn nicht selber mit einem Zauberspruch machen?“
„Natürlich, aber normale Werbung ist langweilig. Ich kenne einen Laden, der macht dir originelle Werbeflyer!“
Die Broschüren von Weaselys Zauberhafte Zauberscherze sahen völlig normal aus. Hermine nahm ein Blatt in die Hand und wedelte damit. „Was ist hieran originell?“
„Sie fangen an zu singen! Ja wirklich, wenn man sie lange genug anschaut, wird ein Zauber aktiviert. Aber bitte, probiere es erst nachher aus. Ich kann es nicht mehr hören.“ Neugierig schaute sich George im Laden um. „Ist hübsch geworden!“ Fred hatte beim Umzug geholfen, während er selbst im Scherzartikelladen geblieben war. „Gefällt mir.“ Mit einer Hand betätigte er den großen Stößel des Standmörsers. „Was mir gerade noch einfällt, Hermine. Es kann sein, dass einige deiner zukünftigen Kunden Nasch- und Schwänz-Leckereien von uns gekauft haben. Die violette Hälfte beinhaltet das Gegenmittel, aber es gibt Menschen, die verlieren diese Hälfte oder geben sie Freunden. Die schick einfach zu uns rüber. In diesen Fällen haben wir nämlich das Gegenmittel.“
Das Lachen konnte sie nicht unterdrücken. „Werde ich machen.“

Georges Nasenflügel bebten, als er einen Geruch wahrnahm.

„Trank der Lebenden Toten? Verity könnte den gebrauchen. Sie kann in letzter Zeit nicht schlafen und sieht schon selbst aus wie eine lebende Tote.“

Verity war die erste Verkäuferin, die die Zwillinge kurz nach Eröffnung ihres Ladens eingestellt hatten. Seit vielen Jahren war die blonde Hexe Freds feste Freundin. Immer wieder kam das Gerücht auf, die beiden würden heiraten wollen. Hermine erinnerte sich an den Tag, an dem Ron das erste Mal mit Angelina ausgegangen war. Weil sie ständig wegen Fred gefragt hatte, sich sogar nach Verity erkundigte und ob die Gerüchte über die Heirat stimmen würden, hatte Ron sich vor den Kopf gestoßen gefühlt und war gegangen. Hermine hoffte, dass auch sie bald so viel zu tun haben würde, dass sie Verstärkung heranziehen müsste. Vielleicht eine Verkäuferin, besser aber noch, einen Zaubertränkemeister.

„Ich nehme eine Flasche von dem Trank der Lebenden Toten.“
„Tatsächlich?“ Hermine konnte gar nicht glauben, dass nun der Moment gekommen war, in welchem sie ihren ersten Kunden bediente. „Du kaufst das nicht nur aus Mitleid oder?“
„Doch, ich habe Mitleid“, er grinste, „für Verity. Sie sieht schrecklich aus, hat schon ganz dunkle Augenringe.“
„Der Trank ist gleich fertig, dann bekommst du einen frischen.“
„Klasse!“ Um sich die Zeit zu vertreiben, fragte George interessiert: „Wie war eigentlich dein Tagtraumzauber? Hat er dir gefallen?“
„Ja, er war schön. Das ist eine eurer besten Ideen!“
„Findest du? Fred sagt das auch. Ich finde unsere Schreibfedern genial. Ganz neu im Sortiment haben wir eine Feder, ähnlich wie unser Rechtschreibchecker. Der Zauber hält viel länger an und hat nicht nur eine eingebaute Korrektur, sondern auch eine große Auswahl an Synonymen. Das Ding ist wirklich zu gebrauchen.“
„Hört sich nicht nach einem Scherzartikel an.“
George schüttelte den Kopf. „Ist der Tagtraumzauber auch nicht oder unser 'Zehn-Sekunden-Pustel-Entferner'. Das wäre eher dein Bereich. Du hast sicherlich was gegen Pusteln?“
„Könnte ich innerhalb von zwei Stunden frisch machen“, versicherte Hermine.
„Du machst Auftragsarbeiten?“, fragte George erstaunt.
„Sicher, es kommt natürlich immer drauf an, was der Kunde verlangt. Man kann unmöglich alles auf Lager haben und fertige Tränke werde ich bei anderen Händlern nicht bestellen. Das Brauen ist für mich preiswerter.“
„Nimmt aber viel Zeit in Anspruch.“

Man hörte eine Klingel. Der Trank war nun fertig und George kaufte zwei Flaschen von dem frischen Gebräu, um sie seiner möglichen Schwägerin zu überreichen. Bevor er ging, erinnerte er sie daran, eine Werbebroschüre zu gestalten, denn er wollte sie morgen begleiten. Sie schaute ihm nach und bemerkte, dass ein älteres Pärchen George aus ihrem Geschäft kommen sah. Daraufhin begutachteten sie die Apotheke erst von außen, betrachteten die Schaufenster und gingen letztendlich hinein. Hermine hatte Kunden.

Während Hermine sich fleißig mit dem netten Paar unterhielt und höflich alle Fragen über ihre Selbstständigkeit beantwortete, war es in Severus' Klassenzimmer noch immer totenstill. Ein Blick auf die Uhr verriet Severus, dass die besten Schüler jeden Moment mit dem Trank fertig sein müssten. Als er durch die Reihen ging und seinen Blick über die Kessel schweifen ließ, schien der ein oder andere Schüler sein Todesurteil zu erwarten.

Der Inhalt eines Kessels war hart so hart geworden, dass man nicht einmal mehr den Löffel herausziehen konnte. Severus deutete drauf und sagte: „Sollten Sie eines Tages mit dem Gedanken spielen, sich selbst ein Haus zu bauen, dann wissen Sie wenigstens schon, wie man Beton anrührt.“

Nicht einmal die Slytherins lachten, denn sie konnten ihrem Lehrer ansehen, wie übel gelaunt er war. Draco seufzte. Den Trank der Lebenden Toten hatte er neulich erst mit seiner Nachhilfegruppe gebraut. Auch da hatte Shaun Probleme gehabt und das gleiche harte Gemisch hervorgebracht. Er konnte Shaun zwar nicht leiden, aber es war für Draco ein Schlag ins Gesicht, bei der Nachhilfe derart versagt zu haben, dass der Mitschüler es beim zweiten Mal trotz ausführlicher Besprechung der gemachten Fehler wieder verhunzt hatte. Der Trank war schwer zu brauen. Selbst Hermine hatte ihn damals nicht fehlerfrei hinbekommen. Wie es aussah, hatten zwei Schüler den Trank korrekt gebraut: Gordian und er selbst. Der von Ginny war eine Nuance zu dunkel, was bedeutete, dass die Wirkung leicht abgeschwächt war, aber er war dennoch zu gebrauchen.

Severus marschierte zum nächsten Tisch und verzog das Gesicht beim Anblick des auch dort verpatzten Trankes. Er nahm den Löffel hinaus und alle Schüler beobachteten die zähe, grünlich gefärbte Masse, die einen langen Faden zog und viel Ähnlichkeit mit dem Inhalt eines Taschentuchs hatte, welches man während eines starken Schnupfens gebrauchte. Wütend warf Severus den Löffel zurück in den Kessel und strafte den Schüler mit einem Blick, der bei einem Erstklässler einen Heulkrampf hätte auslösen können.

Zurück an seinem Pult zischte Severus gefährlich leise: „Wie es aussieht, kann kaum einer von Ihnen dem hohen Unterrichtsniveau entsprechen. Möglicherweise waren die Prüfungen, die Sie in Ihren Aufbauklassen anstelle der ZAGs abgelegt haben, nicht von gleichem Anspruch.“

Aufgrund des Krieges war Hogwarts geschlossen gewesen. Viele Schüler hatten keine ZAGs, waren damals nur durch die Aufbauklassen, mit deren Hilfe man ihren Bildungsstand feststellen wollte, in entsprechende Klassenstufen einsortiert worden. Damals, bevor er mit Draco geflohen war, hatte Severus ausschließlich Schüler in den weiterführenden Unterricht bei sich aufgenommen, die ein Ohnegleichen in den ZAGs vorweisen konnten.

„Säubern Sie Ihre Kessel!“ Seine Worte verblüfften die Schüler. In der Regel verlangte er eine Probe des Trankes, die er bewerten wollte, doch nun forderte er, dass sie den Trank wegkippen sollten. „Sie alle werden sich nach dem Abendessen hier einfinden, um den Trank ein weiteres Mal zu brauen.“
„Sir?“

Sollte tatsächlich jemand wagen, Einspruch zu erheben, fragte sich Severus in Gedanken. Es war Draco gewesen.

„Mr. Malfoy?“
„Der Trank von Gordian und mir ist gelungen, Professor. Der von Ginny würde mindestens ein 'Erwartungen übertroffen' bekommen.“

Ein Einspruch, wie Severus vermutet hatte. Tatsächlich war an diesen beiden Tränke nichts auszusetzen.

„Sie, Mr. Malfoy, tragen auch die Verantwortung für Mr. Smith' vermasselten Trank oder wollten Sie in Zukunft etwa in seine Baufirma einsteigen?“
„Bei allem Respekt, Sir, aber der Trank zählt nicht zu den leichtesten. Vielleicht wäre ein wenig Hilfe ihrerseits während des Brauvorgangs nicht falsch?“
„Sie befinden sich nicht in der ersten Klasse, in der die Schüler erst Zutaten in den Kessel geben, wenn ich es sage. Es ist Ihre Aufgabe, Tränke selbstständig zu brauen und nicht nach mündlicher Anweisung“, giftete Severus zurück.
„Sir, ich ...“
„Genug, Mr. Malfoy. Maßen Sie sich nicht an, mir meinen Beruf erklären zu wollen.“ Wieder an die Klasse gewandt wiederholte er: „Nach dem Abendessen finden Sie sich hier ein und ich rate Ihnen allen, mein Angebot anzunehmen, den Trank erneut brauen zu dürfen. Wer nachher fehlt, bekommt ohne Wenn und Aber ein Troll, egal wie gut sein Trank jetzt ausgefallen sein mag!“

Die Klasse parierte. Gordian warf ihm Blicke zu, die ihn milde stimmen sollten, doch Draco war kurz vorm Explodieren. Nun hatte er endlich die letzten beiden Spieler gefunden. Beide waren aus seinem Nachhilfekurs für Zaubertränke. Als dritter Jäger fungierte Arturo, ein Hufflepuff, der mindestens doppelt so viel auf die Waage brachte wie Draco, dafür aber auch zwei Köpfe größer war, dabei war Arturo gerade mal 17 geworden. Enid war das einzige Mädchen beim Nachhilfeunterricht. Sie war aus Gryffindor und eine Freundin von Ginny. Sie war zierlich, wirkte unscheinbar, war aber stolze Besitzerin eines kräftigen Schlagarms und sollte neben Linus den zweiten Treiber darstellen. Das Slytherin-Team war vollständig und heute sollte das erste Trainingsspiel der bunt zusammengewürfelten Quidditch-Mannschaft stattfinden. Das erste Spiel, bei dem sie gegen eine andere Mannschaft antreten wollten. Problem war, dass Gordian, Ginny und er selbst fehlen würden: der Sucher und zwei von drei Jägern. Über Ersatzspieler verfügte Slytherin nicht. Es war schon schwer genug gewesen, überhaupt eine Mannschaft aufzustellen.

Nach dem Unterricht waren die Schüler schnell und leise aus dem Klassenraum verschwunden, nur Draco war geblieben. Mit seiner über die Schulter geworfenen Tasche stand er neben seinem Platz und schaute mit ernster Miene seinen Patenonkel an. Am liebsten würde er Severus die Meinung sagen, aber das würde Nachsitzen, Punkteabzug oder Strafarbeit bedeuten. Sich dieser ausweglosen Situation bewusst kniff Draco missgelaunt die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.

„Mr. Malfoy, haben Sie etwa keinen Appetit?“, hörte er seinen Patenonkel hämisch fragen.
Er wollte es nicht auf die persönliche Ebene ziehen, weswegen Draco höflich blieb und mit respektvollem Ton antwortete: „Es lag in meiner Absicht, Punkte für unser Haus zu erzielen. Dafür wäre es notwendig, unsere Quidditch-Mannschaft endlich einmal spielen zu lassen. Die Saison beginnt bald und keiner von uns hat bisher einen Fuß aufs Spielfeld gesetzt. Heute wäre unsere erste Chance gewesen, aber ohne drei unserer Spieler wird es nicht möglich sein.“ Draco atmete tief durch. „Gryffindor liegt mit den Hauspunkten weit vorn. Slytherin wird Ende des Jahres sicherlich den vierten Platz belegen.“

Severus blickte Draco nach, als den Raum verließ und fragte sich, ob er wegen der Unfähigkeit seiner Klasse womöglich überreagiert hätte. 'Nein', beantwortete er seine eigene Frage. Er hatte wie immer reagiert. Beziehungsweise, verbesserte Severus in Gedanken, hatte er wie früher reagiert. Genauso verdrossen und knatschig wie zu der Zeit, als er auch noch Harry unterrichtet hatte.

Wie auch seine Mitschüler hatte Draco keinen Appetit. Die Aussicht, den Abend nochmals mit dem Trank der Lebenden Toten verbringen zu müssen, obwohl er ihn richtig gebraut hatte, machte ihn wütend. Aus einer Laune heraus bot er seinen Mitleidenden an, den Trank in der Theorie durchzugehen und erstaunlicherweise sagte jeder zu, selbst Ginny. Sie trafen sich in der Bibliothek, während die anderen sich die Bäuche vollschlugen. Gordian und Draco beantworteten die Fragen der Mitschüler. Der Fehler bei Shauns Betonmischung war schnell gefunden. Er hatte wieder den Saft der Schlafbohne vergessen, weswegen das Gebräu so hart geworden war. Ihn später unterzumengen war nicht mehr möglich gewesen, weil sich die anderen Zutaten sehr schnell fest miteinander verbunden hatten. Genauso gut könnte man Wasser auf einen Stein kippen – der würde dadurch auch nicht lockerer werden. Jeder Schüler wurde über seinen individuellen Fehler aufgeklärt und gelobte Besserung.

Zu Severus' Erstaunen gab es bei der Wiederholung keinen einzigen Schüler, der den Trank in den Sand gesetzt hatte, doch ihm war trotzdem nicht danach, Punkte wegen des eifrigen Lernens zu vergeben. Seiner Meinung nach reichte es, wenn alle die Note Ohnegleichen bekommen würden. Die Schüler hassten ihn, weil er ihre Anstrengung nicht zu schätzen wusste, aber das war ihm egal, denn er hasste den Unterricht.

Am Mittwoch, dem 4. Februar, war der erste Tag für den Wolfsbanntrank. Hermine hatte von Percy hilfreiche Broschüren bekommen. Die meisten Werwölfe besuchten eine Anlaufstelle ihrer Wahl rechtzeitig, um sich für den Trank anzumelden. Zu gefährlich war es, kurzfristig leer auszugehen. Einige der Betroffenen hatten sich schon vorgestern und gestern bei ihr blicken lassen.

Der Erste war ein junger Mann gewesen, dessen große Narbe am Hals unverkennbar von dem Biss eines Werwolfs herrührte. Verlegen hatte er sich in der Apotheke einige Dinge angesehen. Als kein anderer Kunde mehr anwesend war, hatte er sich mit unzähligen Waren nach vorn zu Hermine an die Theke begeben.

Während sie rechnete und die offenbar willkürlich gewählten Artikel einpackte, da fragte er leise: „Brauen Sie auch den Wolfsbanntrank?“ So schüchtern. Anstatt die Empörung zu erfahren, die er erwartete, fand er Verständnis.
„Ja, natürlich. Darf ich Sie fest für Mittwoch eintragen? Ich muss wissen wie viel ich insgesamt brauen muss.“ Er nickte, blickte sie nicht einmal an. Hermine holte ein Blatt Pergament aus der Schublade der Theke und warf einen Blick drauf, kalkulierte die bisherigen Anmeldungen für den Wolfsbanntrank mit der Menge, die einer der mittelgroßen Kessel fassen könnte. „Sie können gegen sechzehn Uhr kommen und müssen auch nicht warten.“ Wieder nickte der junge Mann, betrachtete dabei die ganzen Gegenstände, die er an die Theke gebracht hatte. Hermine kam ein Gedanke. „Sie brauchen das nicht alles zu kaufen, nur weil Sie wissen wollten, ob Sie hier den Trank bekommen.“
Der junge Mann war ertappt, schämte sich. „Tut mir Leid, ich werde es zurücklegen.“
„Nein, lassen Sie nur, ich mach das schon.“

Endlich blickte er auf. Sein Gesicht war die jugendliche Vollkommenheit der sinnlichen Erkenntnis, seine Augen schienen jedoch vom Feuer des Fluchs ausgebrannt und spiegelten die Jahre seines Überlebenskampfes in der Gesellschaft wider.

„Danke“, sagte er erleichtert und glücklich. So viel mehr steckte hinter diesem einfachen Wort. Hermines antwortendes Lächeln war nicht nur ein freundliches, sondern eines, das ihm ihr ganzes Zartgefühl entgegenbrachte. Bei ihr war er willkommen.

In ihrer Pause zwischen ein und drei Uhr rechnete Hermine aus, wie viele Kunden sich in den letzten Tagen bis einschließlich heute Vormittag für den Wolfsbanntrank angemeldet haben. Es waren sieben. Eine Zahl, die erleichternd gering war. Sie braute vorsichtshalber mehr. Als sie um drei das Geschäft wieder öffnete, kamen die ersten Kunden für den Wolfsbanntrank. Kaum einer zeigte viel Selbstbewusstsein. Viele hoben nicht einmal den Kopf, doch alle schienen den wohligen Duft zu mögen, der wie ein verführerisches Parfüm in der Apotheke lag. Der erste Kunde, der seinen Wolfsbanntrank bekam, trank ihn nicht, sondern roch daran. Er wagte jedoch nicht zu fragen, ob ihr vielleicht ein Fehler unterlaufen sein könnte.

„Es duftet nach Vanille“, erklärte Hermine, so dass die anderen es auch hören konnten, „weil ich den Geschmack verbessert habe. Ein Patent dafür habe ich bereits angemeldet.“ Das sollte genügen, um die Kunden nicht zu verunsichern oder gar glauben zu lassen, der Trank wäre wirkungslos, weil es keine stinkende Brühe war, bei deren Verzehr man sich besser die Nase zuhalten sollte. Auf dem Tränkepass ihres ersten zufrieden lächelnden Kunden leistete sie ihre Unterschrift und sah verzückt dabei zu, wie diese durch das Siegel des Ministeriums ersetzt wurde.

An diesem Tag beschwerte sich niemand über den Vanillegeschmack, ganz im Gegenteil. Alle sieben Werwölfe ließen sich für den nächsten Tag ebenfalls für einen Trank einschreiben. Alle anderen Arbeiten waren wegen des aufwendigen Wolfsbanntrankes liegengeblieben. Hermine hatte noch Bestellungen für Cremes und Tinkturen erhalten, die sie einfach nicht geschafft hatte fertigzustellen. Diese Aufgaben erledigte sie bis spät in die Nacht hinein, damit die anderen Kunden morgen nicht ohne ihre Ware gehen mussten. Erst morgens um halb fünf war sie mit allem fertig, auch mit den Nerven. Sie hatte Hunger und war müde – zu müde, um noch etwas zu essen.

Vor etlichen Stunden war eine Rußschleiereule mit einem Brief von Severus gekommen. Ihn wollte sie noch lesen, doch sie schlief mit seiner Nachricht auf ihrer Brust ein.

Mit ihrer Hand auf seinem Brief wachte sie auf. Die enge winzige Handschrift war eine Streicheleinheit für ihren aufgekratzten Geist. Er erkundigte sich in seiner knappen Art, wie ihr Geschäft laufen würde. Für eine Antwort hatte sie einfach keine Zeit, denn sie musste noch Tränke abfüllen, die Kunden für heute bestellt hatten.

Im Laufe des Tages malte sie sich aus, was sie Severus geschrieben hätte. So gern hätte sie ihm geschildert, dass es die Runde gemacht zu haben schien, der Trank in der „Granger Apotheke“ wäre mehr als nur genießbar, denn heute, einem Tag vor Vollmond, waren es insgesamt schon 21 Anmeldungen für den Wolfsbanntrank gewesen. Sie wollte ihn wissen lassen, dass sie sich über Hilfe freuen würde, doch es fand sich für ein Antwortschreiben einfach keine Zeit.

Hermine musste neben dem mittelgroßen Kessel nun auch den ganz großen benutzen. Sie begann mit dem Brauen bereits während der Öffnungszeit und es war ihr Glück, dass bis ein Uhr kein Kunde einen heiklen Brauvorgang störte. Eine Kundin hatte sie verprellt, weil die Tinktur gegen Hautunreinheiten nicht fertig war. Nette Worte hatten nichts gebracht. Die Kundin wollte keine Stunde mehr warten, so dass Hermine die Tinktur wegwerfen konnte, denn sie war nicht lange haltbar. Ihr erster Verlust, doch es war finanziell erträglich.

Die Werwölfe tummelten sich in ihrer Apotheke und verscheuchten die anderen Kunden, die wenig Toleranz für diese Mitmenschen aufbrachten. Hermine brachte einen Trank nach dem anderen in den Verkaufsraum.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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Fortsetzung von Kap. 179

Kurz vor Ladenschluss kam ein letzter Kunde.

„Ich habe gehört, bei Ihnen gibt es den Wolfsbanntrank?“
Sie nickte. „Kommen Sie doch herein. Sie haben Glück, dass ich noch nicht geschlossen habe.“

Der Mann, Hermine schätzte ihn über fünfzig Jahre, trat ein. Hinter ihm schloss sie die Tür ab, damit niemand mehr ihren Feierabend stören würde, den sie mit Tränkebrauen verbringen müsste. Zum Glück hatte sie mehr gebraut, als sie im Vorfeld berechnet hatte.

„Hier, der letzte Trank. Er ist noch heiß.“
Der Mann nahm den Trank entgegen und roch daran, zog gleich darauf erstaunt die Augenbrauen in die Höhe. „Vanille? Dann stimmt, was ich gehört habe!“
„Ja, meine Erfindung. Ich hoffe, Sie mögen den Geschmack.“
„Ich würde sogar Lebertran dem Original vorziehen.“ In einem Zug leerte er den Becher und stellte ihn auf den Tisch, doch anstatt ihr den Tränkepass zu reichen, legte er elf Galleonen auf die Theke – den Betrag, den Hermine vom Ministerium erstattet bekommen würde.
„Sie haben keinen Tränkepass?“ Hermine ahnte bereits, dass der Kunde Schwierigkeiten machen könnte und hatte sich innerlich darauf vorbereitet, ihren Zauberstab in Windeseile ziehen zu müssen.
„Nein, habe ich nicht und ich rate Ihnen, keinen Aufstand zu machen. Guten Abend noch.“

Der Mann wollte gehen und Hermine war sogar bereit, ihn ziehen zu lassen, doch als er die Tür öffnen wollte, die sie vorsichtshalber schon wegen des Feierabends abgeschlossen hatte, wurde er nervös. Er rüttelte an der Klinke und eh sie sich's versah, drehte er sich um und zielte mit seinem Stab auf sie, weil er eine Falle vermutete. Hermine war flink und so geschickt wie damals, als Todesser sie und ihre Freunde angegriffen hatten. Sie machte einen Satz nach links, zog ihren Stab und sprach einen Petrificus Totalus. Ihre schnelle Reaktion war nach dem Krieg noch immer bestens, auch ihre Überlegung, einen einfachen, aber wirkungsvollen Spruch zu wählen. Der Mann erstarrte, fiel jedoch nicht zu Boden, sondern blieb dank seiner ausbalancierten Körperhaltung stehen.

Schon nach Percys Schilderung hatte sie sich ausgemalt, wie es sein könnte, sollte sie jemals mit so einem Kunden zu tun bekommen. Sie blieb ruhig. Da sie wusste, er würde sie trotz der Ganzkörperklammer hören können, gab sie ihm das Wort zum Tage.

„Das war nicht sehr freundlich von Ihnen, mich einfach anzugreifen!“ Vor Wut schnaufend ging sie zur Theke hinüber und nahm eine der Broschüren vom Werwolfunterstützungsamt, die Percy hiergelassen hatte. Mit diesem Informationsblatt näherte sie sich dem versteinerten Mann. „Das hier“, sie wedelte mit der Broschüre, „sollten Sie wirklich mal lesen!“ Nur sein Körper war erstarrt, weswegen sie das Faltblatt in eine Tasche seines Umhangs stecken konnte. Seinen noch immer in der Hand haltenden Stab nahm sie ihm ab, bevor sie sich einige Schritte entfernte und den Petrificus Totalus aufhob.

Wie ein Kaninchen in der Falle blickte er um sich und suchte nach einer Fluchtmöglichkeit, doch es gab keine, nicht ohne Stab und zum Apparieren war er viel zu aufgeregt.

„Tun Sie mir einen Gefallen?“, fragte sie höflich. Sie kam auf ihn zu. Als er mit einem Mal erschrocken zusammenfuhr und mit dem Schlimmsten rechnete, da tat es ihr Leid, ihn so behandelt zu haben.
„Bitte holen Sie nicht die Polizeibrigade, bitte“, wimmerte er.
„Sie sollten sich beim Ministerium melden, Sir. Es ist nur eine kleine Ordnungswidrigkeit, dass Sie noch keinen Pass haben. Sie brauchen nicht zu befürchten, dass man Sie ins Gefängnis steckt.“
„Nein, Sie verstehen nicht ...“
Sie verstand wirklich nicht und fragte nach: „Warum haben Sie solche Angst? Glauben Sie mir: In den nächsten Monaten wird ein neues Gesetz rauskommen, das Werwölfen das Leben erleichtern wird.“
Uneinsichtig schüttelte er den Kopf. „Mein Job!“
„Ah“, nun begriff sie, „Sie glauben, man wird Sie feuern? Aber warum? Wenn es bisher niemand erfahren hat ...“
„Können wir die Sache nicht einfach vergessen?“, flehte er. Von dem anfänglich drohenden Mann war nichts mehr übrig.
„Ich befürchte nicht, denn Sie müssen verstehen, dass ich mich damit auch strafbar machen würde.“
Der Mann wurde wütend, nicht auf Hermine, aber auf die Situation, in die er geraten war. „Ich darf meinen Job nicht verlieren! Ich habe Verpflichtungen und brauche das Geld.“ Verzweifelt schüttelte er den Kopf. „Haben Sie Kinder?“, fragte er unerwartet. Sie verneinte. „Dann können Sie nicht wissen, in welche Lage Sie mich bringen. Mein Arbeitgeber“, er schnaufte verachtend, „hat in seinem Vertrag festgehalten, dass Menschen wie ich nicht angestellt sein dürfen. Er wird es erfahren, wenn ich beim Ministerium gemeldet bin.“

Das, was er gesagt hatte, nahm Hermine Stück für Stück auseinander, bevor ihr eine bestimmte Sache auffiel.

„Sie sagten, Sie haben Kinder?“
„Ja.“
„Dürfte ich fragen, ob Sie die schon hatten, bevor Sie gebissen wurden?“ Er blieb stumm, was Hermine Antwort genug war. „Sie, Sir“, sagte sie höflich, „können äußerst hilfreich sein.“
Skeptisch blickte er auf und kniff die Augen zusammen. „Wie?“
„Kommen Sie doch in die Küche. Ich mach uns einen Tee und werde Ihnen was Interessantes erzählen.“
Der Mann schüttelte den Kopf. „Ich werde lieber gehen.“
„Bitte!“ Sie blickte ihn eindringlich an. „Wissen Sie, ein Freund von mir ist auch von dem Fluch betroffen. Er wollte letztes Jahr seine Verlobte heiraten, aber jemand hat es verhindert. Sie wissen sicherlich, was die Ehe mit einem Werwolf mit sich bringt.“
„Sterilisation.“ Seine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. Er war gut informiert.
„Das ist einfach unmenschlich. Ich bin froh, dass die beiden noch warten, bis die Gesetze geändert werden, denn ein anderer Freund hat sich dieser Sache angenommen. Damit Werwölfe demnächst ohne so einen grauenvollen Einschnitt in ihrem Leben heiraten können, muss er beweisen, dass der Fluch sich nicht erblich auf Kinder auswirkt.“
Der Mann zog die Augenbrauen in die Höhe. „Dass man das glaubt, ist völliger Unfug.“
„Es gab bisher niemanden, der das Gegenteil dieser Theorie belegen konnte. Sie, Sir, kommen da wie gerufen.“
„Aber ich werde nach Askaban gehen, wenn das herauskommt. Ich kann das nicht tun! Ich ...“
„Nein, niemand wird Sie ins Gefängnis schicken, Sir.“
„Anderson. Mein Name ist Anderson.“
„Mr. Anderson“, sagte Hermine aufrichtig, „Sie müssen mir vertrauen.“

Mr. Anderson wollte ihr trauen, auch wenn es ihm schwerfiel, einer fremden Person gegenüber so ein inniges Gefühl aufzubringen. Sie führte ihn in die Küche und machte, wie versprochen, eine Tasse Tee. Während das Wasser zu kochen begann, entnahm sie einer Schublade eine Broschüre der anderen Art.

"Schon mal von denen hier gehört?“ Sie hielt ihm das bunte Faltblatt der „Initiative für die Forderung eines Anti-Diskriminierungsgesetzes für magische und nichtmagische Halbwesen“ unter die Nase. „Bei denen werden Sie und Ihre Familie die Diskretion finden, die Sie sich wünschen und trotzdem können Sie mit dem Ministerium zusammenarbeiten.“
Mr. Anderson las sich die Informationen genau durch. „Und die setzen sich für Leute wie mich ein?“ Sie nickte. „Ich habe wirklich nichts zu befürchten?“
„Nein, aber Sie sollten sich trotzdem beim Ministerium melden und den Tränkepass ...“
„Ich wusste doch“, unterbrach er wütend, „dass es Ihnen nur darum geht!“ Er sprang von seinem Stuhl auf und marschierte in Richtung Tür.
„Warten Sie!“ Ihm nacheilend hielt sie ihn auf. „Sprechen Sie mit einem von der Initiative. Die werden Ihnen helfen und Ihnen sagen, wie Sie jetzt am besten handeln können.“

Es dauerte eine ganze Weile, Mr. Anderson zu überzeugen, doch am Ende saßen sie beide zusammen in der Küche und tranken ihren Tee, während sie sich unterhielten.

„Und dieser Mr. Black wird mit mir reden und alles an Mr. ...“ Ihm fiel der andere Name nicht mehr ein.
„Mr. Shacklebolt“, half sie ihm auf die Sprünge.
„An ihn weitergeben und der wird das prüfen wollen? Ich hätte niemals Kinder haben dürfen. Er kann mich sofort hoppnehmen! “
„Das wird er nicht tun, Mr. Anderson. Warum vertrauen Sie mir nicht einfach? Ich kenne ihn und ich weiß, wie viel Mr. Shacklebolt daran liegt, Menschen wie Ihnen zu helfen.“
„Warum ich der Sache nicht traue? Das ist einfach, Miss Granger: Ich arbeite im Ministerium! Die werden sofort herausfinden, dass ich ein Werwolf bin und dann werde ich gefeuert. Derjenige, der die Tränkepässe ausstellt oder der, der die Akten über Werwölfe führt, wird diese Information herumtratschen und dann sitze ich ohne Job da.“ Er seufzte. „Ich habe vier Kinder. Meine Frau kann alleine nicht für uns alle aufkommen.“

Sie schenkte ihm eine weitere Tasse Tee ein, als unerwartet eine Eule an ihr Fenster klopfte. Es war die ihr bekannte Rußschleiereule, die ihr einen Brief brachte. Anstatt wieder abzufliegen, flatterte die Eule zu einem Stuhl hinüber, um auf der hohen Rückenlehne Platz zu nehmen. Hermine war genauso erstaunt wie ihr Gast. Ohne dem Brief Beachtung zu schenken wandte sie sich an den Werwolf.

„Ich werde nachher auf den Brief antworten. Zurück zu Ihnen, Mr. Anderson. Die Idee ist, dass Sie erst einmal mit Mr. Black sprechen. Er ist der Sprecher der Initiative, zudem sehr einflussreich, weil er den Minister persönlich kennt – ich übrigens auch.“ Sie warf ihm ein milde stimmendes Lächeln zu. „Mr. Black wird Sie beraten. Ich bin mir sicher, dass man Sie nicht kündigen wird, denn Minister Weasley würde dann von allen Seiten Zunder bekommen.“
„Dann spreche ich eben mit Mr. Black. Erwarten Sie nicht, dass ich in alle Vorschläge einwillige, Miss Granger, aber ich werde mir anhören, was er zu sagen hat. Ich werde gnadenlos an mein eigenes Wohl denken, auch wenn ich eine gute Tat damit vollbringen würde, sollte man mit meiner Familie beweisen, dass der Fluch nicht durch Vererbung übertragbar ist. Ich kann einfach nicht riskieren, ohne Gehalt dazustehen.“
„Ich werde ihn anflohen.“

Gesagt, getan. Sirius hatte sich nicht zweimal bitten lassen und war sofort zu Hermine gekommen. Der ehemalige Rumtreiber zeigte Mr. Anderson gegenüber keinerlei Scheu, womit er sofort das Eis gebrochen hatte. Die Männer begrüßten sich. Sie hingegen entschuldigte sich und widmete sich ihrer Arbeit. Sie war schon viel zu spät dran. Bis morgen Früh würde sie durcharbeiten müssen, damit sie auch den letzten Trank und die letzte Salbe fertiggestellt haben würde.

Manche Arbeiten gingen ihr schwer von der Hand und als sie sich vor Augen hielt, warum das so war, wurde ihr ganz schwer ums Herz. Severus hatte früher immer die Zutaten an den Tisch gebracht, während sie die Arbeitsutensilien zusammengesucht hatte. Ihr fehlte dieses Hand-in-Hand-Arbeiten, sie vermisste die Gespräche über Zutaten, über Menschen. Sie vermisste die kleinen Kabbeleien und die anschließende Versöhnung.

Die Rußschleiereule trug noch immer den Brief am Bein, den Hermine völlig vergessen hatte. Aufdringlich hüpfte sie auf dem Tisch umher. Hermine hatte arge Mühe, das Tierchen von den Zutaten fernzuhalten, damit diese nicht verunreinigt werden würden.

„Shht“, entwich Hermine mit einer dazu passenden, scheuchenden Handbewegung.
„Schuhu“, machte die Eule zurück.
„Na gut, dann gib her.“

Die Eule streckte ihr Beinchen und Hermine fummelte den Brief ab. Nachdem sie ihn aufgeklappt hatte, blieb ihr Herz für einen Moment stehen. Severus war sauer.


„Miss Granger,

aufgrund der fehlenden Rückantworten auf meine Schreiben gehe ich davon aus, dass sich das Interesse ihrerseits, mit mir in Kontakt zu bleiben, bereits auf ein Minimum reduziert hat. Den Termin am Samstag, den 07. Februar, können Sie streichen. Ich bin mir sicher, dass Sie in Ihrem Haustier einen angenehmen Zuhörer für Ihre Rede finden werden.

S. Snape“


„Oha“, sagte Hermine laut. Wenn er schon so unterschrieb, ohne Abschiedsgrußformel und mit „S. Snape“, dann war er wirklich sauer. Gerade wollte sie ihm zurückschreiben, da drohte der Abschwelltrank überzukochen. Sofort eilte Hermine hinüber zum Kessel und führte ihre Arbeit fort. Die Rußschleiereule blieb bei ihr. Sie steckte den Kopf unter einen Flügel und döste.

Nach einer ganzen Weile – ein Zeitgefühl hatte Hermine nicht mehr – kamen Sirius und Mr. Anderson zu ihr ins Labor.

„Hermine? Würdest du die Tür öffnen, so dass Mr. Anderson nachhause gehen kann?“
„Aber sicher.“ Sie blickte den Werwolf an. „Ich kann doch morgen mit Ihnen rechnen, ich meine, für den letzten Trank?“
„Ja, vielen Dank nochmals.“

Nachdem der Gast gegangen war, gesellte sich Sirius zu Hermine an den Arbeitstisch. Er hoffte, ein wenig mit ihr reden zu können, doch sie war sehr beschäftigt. Trotzdem hörte sie zu, während er von seinem Gespräch mit Mr. Anderson erzählte. Er hatte den Mann dazu gebracht, sich morgen beim Ministerium zu melden. Sorgen um seinen Job sollte er sich nicht machen, denn Arthur würde es nicht übers Herz bringen, jemanden zu kündigen, nur weil er unter diesem Fluch litt. Er kündigte nur Leute, wenn sie unfähig waren oder eine Gefahr für die Sicherheit des Ministeriums darstellten.

„Seit wann hast du denn eine Eule?“
„Die?“ Sie blickte zu dem dunklen Tier hinüber. „Ist nicht meine. Severus hat mir geschrieben. Schon mehrmals. Ich schaffe es einfach nicht, ihm zu antworten.“ Aus müden Augen schaute sie Sirius an, doch ihr Witz war noch nicht geschwächt. „Wärst du nicht Sirius, dann würde ich dich bitten, ihm eine Nachricht von mir zu überreichen.“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich kann ihm was unter der Tür durchschieben.“ Dazu wäre er in der Lage.
„Nein, ich meinte mündlich.“
„Das, Hermine, wäre zu viel verlangt.“
„Ich weiß, deswegen frage ich ja auch nicht. Es wäre nur schön, wenn er ein Lebenszeichen von mir erhalten würde. Ich habe ihn verärgert und ich versteh ihn.“
Sirius wurde skeptisch. „Dir kann doch völlig egal sein, was er denkt. Du bist hier genug beschäftigt. Mit ihm hast du nichts mehr zu tun.“
„Oh, da irrst du dich aber.“ Sie kicherte wegen seines verblüfften Gesichtsausdruck. „Wir gehen zusammen zu einer Versammlung von Tränkemeistern. Er hat mich dazu ermutigt. Da werde ich meinen Farbtrank vorstellen.“ Sirius erinnerte sich. Sie hatte den Trank auch an Anne und ihm getestet. „Es ist seltsam, ohne ihn zu arbeiten.“
„Du solltest froh sein!“, warf er empört ein.
„Bin ich aber nicht. Es hat Spaß gemacht.“

Ihre Worte verwirrten ihn. Sie hatte zwar ihren Meister bei ihm gemacht, aber er hätte vermutet, sie würde ihn danach nicht wiedersehen wollen.

„Was würdest du ihm denn ausrichten wollen?“, fragte er unschuldig. Er könnte, wenn er nachher in der Stimmung sein sollte, bei Severus vorbeischauen – was äußerst unwahrscheinlich war – und ihm eine Nachricht übermitteln.
„Dass ich keine Zeit gefunden habe, um ihm zu antworten und dass er bitte, bitte unsere Verabredung am Samstag ...“
Er fiel ihr ins Wort, verhaspelte sich dabei, als er stotterte: „Ver... Verabredung? Sag mal, höre ich da recht?“
„Ja, wir wollten uns treffen, um meine Rede durchzugehen, aber er hat abgesagt, weil er glaubt, es interessiert mich nicht mehr.“
„Ach so.“ Er klang erleichtert. Trotzdem machten sich Bedenken in ihm breit. Sie hatte gesagt, es hätte Spaß gemacht, mit Severus zu arbeiten?
Hermine rührte linksherum, dann rechts herum und schaute konzentriert in den Kessel. „Ich würde ihm gern antworten, aber ich finde mein magisches Schreibfederset nicht. Scheint beim Umzug verloren gegangen zu sein. Mit einem Aufrufezauber klappt es nicht. Ich finde keine Zeit zum Schreiben. “
„Du findest offenbar auch keine Zeit zum Schlafen. Dunkle Augenringe stehen dir nicht, Hermine, passt farblich auch gar nicht zu deinen Haaren.“
Sie schnaufte amüsiert, was ihn sehr ans Severus erinnerte. „Ich werde diese Nacht durchmachen und morgen hoffentlich früh schlafen gehen, nachdem ich allen den Wolfsbanntrank gegeben habe.“

Sirius flohte wieder nachhause und benutzte im Anschluss den Kamin, um Remus zu kontaktieren.

„Remus, ich hätte eine Menge zu erzählen“, er dachte an die Möglichkeit, mit Mr. Andersons Hilfe endlich Kingsley zu helfen, einen entsprechenden Text zu gestalten. „Aber ich kann noch nicht drüber reden.“
„Warum flohst du mich denn an?“, fragte Remus verdutzt.
„Würdest du bitte Severus etwas ausrichten?“
„Nein, nicht von dir, bedaure“, scherzte er.
Sirius musste auflachen. „Von Hermine, nicht von mir. Sag ihm, er soll am Samstag seinen Hintern gefälligst in die Apotheke bewegen.“
„Soll ich es wortgenau wiedergeben oder steht es mir frei, die Nachricht abzuwandeln?“
„Ist dir überlassen. Machst du es?“
Remus brauchte nicht lange zu überlegen. „Natürlich.“

Bis in die Kerker musste Remus gar nicht gehen, denn er traf Severus im Erdgeschoss an. Der wollte mit seinem Hund gerade die letzte Runde am Tage gehen.

„Darf ich mich dir anschließen?“ Remus tätschelte den Hund, der sich über diese Aufmerksamkeit sehr freute.
„Kann ich es verhindern?“ Diese Gegenfrage konnte man schlichtweg mit „nein“ beantworten.

Ihr Weg, vom Hund geleitet, führte sie in die Nähe von Hagrids Hütte, denn Harry hatte einen Narren daran gefressen, den in die Jahre gekommenen Sauhund zu foppen; ihn immer wieder zum Spielen aufzufordern und dann übermütig wegzulaufen. Manchmal stritten sie auch um einen großen Stock, den keiner zu teilen bereit war.

„Hermine lässt ausrichten ...“ Remus verschluckte die restlichen Worte, weil Severus ihn ungewohnt erwartungsvoll anblickte.
„Was lässt sie ausrichten?“
Sich einen Scherz erlaubend antwortete Remus: „Ich weiß nicht, ob das ihre Worte waren, aber sie möchte, dass du deinen Hintern am Samstag zur ihr bewegst.“
„Das stammt wohl kaum aus ihrem Mund.“
„Mag sein, aber sinngemäß ...“
Severus fuhr ihm über den Mund. „Sie ignoriert mich und will mich jetzt auch noch herumkommandieren?“
„Ach was, ich glaube nicht, dass sie es böse meint“, wiegelte Remus ab. „Was ist denn Samstag.“
„Was interessiert Sie das?“
Als Antwort bekam er von Remus ein Schulterzucken.

Im Laufe des Abends überlegte Severus, wie er mit Hermine Kontakt aufnehmen könnte, ohne dass sein Verhalten falsch ausgelegt werden könnte. Über den Kamin wäre die einfachste Lösung, doch auch die persönlichste und deswegen nahm er davon Abstand, selbst wenn er sie gern sehen würde. Auf Eulen antwortete sie nicht. Sicherlich hatte sie viel zu tun, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass sie sich nicht einmal für fünf Minuten hinsetzen könnte. Morgen war erst Freitag. Die letzten Tage hatte er nicht gut geschlafen, war noch viel schlechter aus dem Bett gekommen und tagsüber war seine Laune miserabel. Letzteres bekamen die Schüler zu spüren. Wegen des vielen Punkteabzugs hatte er heute Mittag eine hitzige Debatte mit Minerva gehabt. Sie hatte so sehr geflucht und gefaucht, dass er dachte, sie würde gleich ein paar Haarknäuel hervorwürgen. Nicht nur sie hatte ihm an den Kopf geworfen, dass die Lehrerschaft davon ausgegangen war, er würde langsam erträglicher werden. In den letzten Monaten hatte er selten Punkte abgezogen, aber – wie früher – auch selten welche vergeben. Jetzt wäre er wieder ganz der alte missgelaunte Griesgram wie damals. Das hatte, auch wenn er nicht damit gerechnet hatte, ihn getroffen. Es war eine Sache, von Schülern so genannt zu werden, aber eine ganz andere, wenn die Kollegen gleichzogen.

Kurz nach Mitternacht zog er aus dem Schubfach seines Nachttisches das Papier für Fernkommunikation heraus, das er mit ihr hergestellte hatte, weil sie mit magischen Wasserhyazinthen arbeiten wollte. Die vorangegangene Konversation darauf war verschwunden, weil der letzte Satz, der aus seiner Feder stammte, nach oben gerutscht war. Dort stand in seiner winzigen Handschrift: „Sie haben nun gesehen, was mit den Zeilen geschieht. Gute Nacht!“

Sie hatte sehen wollen, was mit der Schrift passiert, wenn man am Ende des Blattes angekommen war und deswegen hatten sie sich beide, nur einige Wände voneinander getrennt, spät nachts geschrieben. Jetzt hatte er ein ähnlich wohliges Gefühl wie damals, als er wusste, dass sie hinter der anderen Hälfte steckte. Es war ein schönes Gefühl gewesen, mit jemandem in Kontakt zu stehen; zu wissen, dass jemand zurückschreiben würde. Es juckte ihn in den Fingern. Er würde gern etwas auf diesem magischen Papier schreiben, doch es wäre mehr als nur unangenehm, wenn sie seine Zeilen erst Wochen oder Monate später durch Zufall entdecken würde. Wahrscheinlich hatte sie das Blatt längst weggeworfen.

Severus wusste nicht, dass Hermine gerade vor der anderen Hälfte des Blattes saß. Die Feder zitterte in ihrer Hand. Eben war ihr schwindelig geworden, weswegen sie sich setzen musste, doch ihr Unwohlsein hatte sich nicht verflüchtigt. Der heutige Tag war bereits anstrengend gewesen, die Nacht noch mehr. Die vielen Düfte hatten ihr Kopfschmerzen bereitet, die Hitze von den Kesseln war ihr nicht bekommen. Ihr Magen knurrte, aber sie hatte keinen Hunger, obwohl sie den haben müsste. Hermine fragte sich selbst, wann sie das letzte Mal etwas gegessen hatte. Wenn man sich daran nicht erinnern konnte, war es zu lange her. Ihr war zum Heulen zumute. Sie würde morgen nichts anderes schaffen, als den Wolfsbanntrank, dabei hatte sie außerhalb der Reihe noch 19 Bestellungen erhalten. Neunzehn Mittelchen, die sie noch herstellen musste. Wäre der Wolfsbanntrank nicht so kompliziert, würde sie nebenher noch etwas anderes brauen, aber das war nicht möglich. Sie würde 19 Kunden enttäuschen, 19 potenzielle Stammkunden. Verständnis würden die meisten nicht aufbringen können, dass der Wolfsbanntrank Vorrang hatte.

Entkräftet schloss Hermine die Augen und stellte sich die Frage, ob sie mit der Apotheke nicht überfordert war. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie den letzten Satz auf dem magischen Papier. Ob er das Blatt behalten hatte, war ihr nicht bekannt, aber einen Versuch war es wert.

„Severus, bitte kommen Sie am Samstag“, schrieb sie mit bebender Hand, was ihrem sonst so runden kleinen „g“ einige unansehnliche Dellen bescherte.

Die Buchstaben mussten sich nun auf der anderen Hälfte des Blattes materialisiert haben und ja, Severus konnte sie lesen. Seine Hand schnellte zur Feder, doch er stoppte sich, bevor er etwas schrieb. Wie würde es wohl aussehen, dachte er, wenn sofort eine Antwort von ihm käme? Sie könnte denken, er hätte wie ein einsamer Dummkopf ständig auf dieses Blatt geschaut.

Dass Hermine genau das tat, nämlich hoffnungsvoll auf das magische Papier zu starren, wusste er natürlich nicht. Sie wartete und drückte die Daumen, dass er vielleicht durch Zufall in der Nähe war, doch es tat sich nichts. Das beigefarbene Pergament blieb leer. Hermine fühlte sich alleingelassen, ausgezehrt, müde und überarbeitet. Ihr Herzenswunsch war bisher ein Albtraum. Die Beine schmerzten vom vielen Stehen und Laufen. Sie schloss die Augen und bemerkte nicht die Träne, die kaskadenartig über ihre Wange rollte, sich an ihrem Kinn zu halten versuchte und dabei kläglich versagte, bis sie aufs Papier fiel.

Severus stutzte, als sich ein Fleck auf dem Blatt zeigte. Es war keine Schrift, es war nur feucht. Mit seinem kleinen Finger strich er darüber und roch an der Flüssigkeit, doch erst, als er sie kostete, wusste er, um was es sich handeln musste. Er tunkte die Feder ins Tintenfass.

„Geht es Ihnen gut?“, schrieb er besorgt.
„Sie sind ja wach!“, erschien auf dem Pergament. „Haben Sie Zeit?“
Er wurde stutzig. „Wofür?“
„Um vorbeizukommen.“
Es war halb eins durch, verriet ihm seine Uhr, was er ihr auch schrieb: „Um diese Uhrzeit? Wir sehen uns Samstag.“

Eine Weile kam nichts, weswegen er sich mit dem allmählich verblassenden Fleck auseinander setzte und sich fragte, was sie haben könnte und ob es sich wirklich um das handelte, was er glaubte.

Mit einer Antwort hatte er schon nicht mehr gerechnet, da erschienen die Worte: „Dann bis Samstag.“

Wenn sie Hilfe benötigen würde, dann hätte sie es schreiben können, redete er sich ein. Trotzdem ließ ihn der kurze Kontakt nicht ruhen. Etwas stimmte nicht, doch er konnte sich nicht dazu überwinden, sich auf den Weg in die Winkelgasse zu machen. Nichts hinderte ihn jedoch daran, einen Stock höher zu gehen und mit dem Risiko, wegen der vorangeschrittenen Uhrzeit angeblafft zu werden, bei Harry zu klopfen.

Erstaunlicherweise war Harry noch wach, aber nicht nur das: er hatte auch Besuch. Severus konnte Ron erkennen, außerdem Neville und Luna.

„Severus, kommen Sie doch rein“, sagte Harry strahlend.
„Nein danke. Ich habe lediglich eine Frage. Haben Sie in letzter Zeit etwas von Hermine gehört?“
Harry schüttelte den Kopf. „Wir wollen sie am Sonntag besuchen. George war wohl bei ihr. Sie schien etwas müde zu sein.“
„Vielleicht sollten Sie sie kontaktieren!“ Es klang nicht wie eine Empfehlung, sondern war als Aufforderung gedacht.
„Was, jetzt? Das werde ich nicht tun!“
„Harry, tun Sie mir den Gefallen und flohen Sie sie an!“

Damit sein Besuch das Gespräch nicht verfolgen konnte, ging Harry nach draußen auf den Flur und schloss die Tür hinter sich. Es war bitterkalt und er fror, wollte das Gespräch schnell beendet haben.

„Was ist so wichtig?“, wollte Harry wissen.
„Ich befürchte, es könnte ihr nicht gut gehen.“
Harry verstand die Welt nicht mehr. „Warum flohen Sie sie dann nicht an?“ Er hatte Besuch und wollte weiter Karten spielen.
„Harry ...“
„Nein“, unterbrach sein junger Kollege, „jetzt hören Sie mal: Wenn es Hermine nicht gut gehen sollte, dann würde Sie sich bei jemandem melden. Das hat sie immer getan! Bei mir oder Ginny, Luna, Ron“, zählte er auf, „eben bei einem Freund.“

Mit vor Ärger zusammengekniffenen Lippen blickte er Harry einen Moment an, bevor er ihn ohne ein weiteres Wort verließ. Auf dem Rückweg wiederholte er, was Harry gesagt hatte. Hermine würde sich bei einem Freund melden, wenn es ihr nicht gut gehen würde. Abrupt blieb er stehen, weil ihm ein Licht aufgegangen war, denn er war es gewesen, bei dem sie sich gemeldet hatte.

Den Rest des Weges rannte er, um so schnell wie möglich zur Feder greifen zu können. Er schrieb etwas, doch es kam keine Antwort mehr. Mit einem flauen Gefühl im Magen griff er sich eine Handvoll Flohpulver.

„Granger Apotheke“, sagte er und schleuderte das Flohpulver gen Boden. Einen Moment später stand er in einem ihm unbekannten Wohnzimmer. Er schaute sich um, doch hier war sie nicht zu sehen. Severus musste plötzlich an Pettigrew und somit an drohende Gefahr denken und zog daher seinen Stab, bevor er auf den Flur hinaustrat. Sein Weg führte ihn nach unten. Im Verkaufsraum war sie nicht, doch er fand sie in der Küche an. Sie saß am Tisch. Ihr Kopf lag auf den Armen.

„Hermine!“, schrie er ungewollt. Sie schreckte hoch, schien orientierungslos, doch als ihre Augen ihn fixierten, da lächelte sie erleichtert. „Geht es Ihnen gut Hermine?“
Wie in Zeitlupe verzerrte sich ihr Gesicht und sie schüttelte den Kopf. „Ich schaff's nicht.“ Sie zog die Nase hoch. „Ich schaffe es einfach nicht. Ich habe mich völlig übernommen.“ Für einen kurzen Moment begann sie zu weinen, was ihn schockierte. In der Anwesenheit einer aufgelösten Frau fühlte er sich unwohl, doch sie machte eine beruhigende Handbewegung und sagte wimmernd und schluchzend: „Ist gleich vorbei.“ Es war tatsächlich schnell vorüber, wofür er dankbar war.
„Was ...?“
Bevor er fragen konnte, erzählte sie von sich aus. „Das ist zu viel für mich! Das kann ich unmöglich alles brauen. Die ganzen Aufträge und der Wolfsbanntrank. Ich habe für nichts mehr Zeit.“
Gelassen zog er eine Augenbraue in die Höhe. „Für ein Nickerchen am Tisch hat es gereicht.“
„Ich musste mich setzen, weil es mir nicht gut ging und dann bin ich eingeschlafen“, verteidigte sie sich.
Er musterte sie einen Augenblick lang, bevor er offen sagte: „Sie sehen scheußlich aus.“
Hermine zog beleidigt einen Flunsch. „Danke vielmals!“
„Was ich nicht verstehe, ist“, begann er mahnend, „das Sie nicht klipp und klar um Hilfe gebeten haben, wenn Ihnen die Arbeit über den Kopf wächst. Sind Sie sich zu fein dafür?“
„Ich brauche Hilfe, Severus“, machte sie es gleich wieder gut, „helfen Sie mir bitte.“

Ihre Blicke trafen sich und er konnte nicht anders, als ihr gegenüber Platz zu nehmen.

„Nennen Sie mir das Problem.“
„Das Problem?“, fragte sie nach.
Er wurde deutlicher. „Was für Arbeiten belasten Sie?“
Hermine schloss die Augen und seufzte. „Da sind die vielen Brauaufträge, die ich bis morgen fertig haben soll, aber ich werde sie nicht brauen können, weil ich für 21 Kunden den Wolfsbanntrank fertigmachen muss.“
„21 Kunden? Haben Sie zwei große Kessel?“
„Nein, nur einen großen, dafür fünf mittelgroße und zehn kleine.“
„Ich werde Ihnen einen weiteren großen besorgen. Was für Aufträge sind das, die Sie noch erledigen müssen?“

Hermine stand von ihrem Stuhl auf und schwankte bedrohlich, so dass er aufsprang und sie an den Oberarmen packte. Nach einem Moment ging es wieder und Hermine suchte ihre Unterlagen zusammen, die sie ihm reichte, unter anderem ein Buch, in dem sie die Bestellungen festhielt. Severus deutete auf einen durchgestrichenen.

„Was war damit?“, wollte er wissen.
„Die Kundin wollte nicht mehr warten. Ich musste ihn wegkippen.“
Wieder blickte er in ihr Buch, bis er verlangte: „Geben Sie mir etwas Pergament und eine Feder.“

Sie reichte ihm die Dinge und schaute einen Moment lang zu, wie er sich etwas notierte, doch irgendwann wurden ihre Augenlider so schwer, dass sie sie nicht mehr aufhalten konnte.

Ein Druck an ihrem Oberarm weckte sie.

„Was ist?“ Sie war völlig verschlafen. Er hielt ihr ein Pergament unter die Nase, auf der Zeitangaben und Handgriffe stichpunktartig aufgelistet waren.
„Das ist die Reihenfolge, in der Sie morgen arbeiten werden. Während Ihrer Öffnungszeiten brauen Sie erst die einfachen Dinge, die auch unbeaufsichtigt köcheln können.“

Hermine ging die Tränke und Salben durch und wunderte sich, warum der Zeitplan so gut aufging, dass sie ihn sogar einhalten könnte.

„Moment, das sind nicht alle Aufträge. Da fehlen ein paar!“
Severus reichte ihr ein weiteres Stück Pergament. „Und das ist mein Brauplan, wenn ich morgen gegen 13 Uhr zu Ihnen stoßen werde.“
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
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180 Null-Achthundert




Ein paar Stunden Schlaf fand Hermine, doch als sie durch das laute Schnurren ihres schwarzen Freundes erwachte, fühlte sie sich wie gerädert. Ausgeruht war sie nicht. Am liebsten hätte sie noch vier, fünf Stunden weitergeschlafen, vielleicht auch zehn, aber sie hatte Verpflichtungen.

Ihr Frühstück, zu dem ihr Severus gestern geraten hatte, auch wenn es eher ein Befehl gewesen war, fiel üppig aus. Sie hatte Hunger, aber keinen Appetit. Es war mühselig, ohne Lust auf Toast, Marmelade und Käse die erste Mahlzeit des Tages hinunterzubekommen. Mit Tee spülte sie nach. Noch am Frühstückstisch ihrer Küche befasste sie sich mit dem Brauplan, den Severus gestern zusammengestellt hatte. Ihr hatte er für den Vormittag jene Tränke aufgetragen, die nicht ständig beaufsichtigt werden mussten, so dass sie von denen gleich drei parallel brauen konnte. Sie begann. Nebenbei kamen Kunden, die etwas kauften oder bestellten. Womit sich nicht gerechnet hatte, waren die vielen Anmeldungen für den Wolfsbanntrank. Zum Mittag hatte sie bereits 33 Einträge in ihrer Liste. Die Information über den Vanillegeschmack musste sich wie ein Lauffeuer verbreitet haben. Die Werwölfe kamen von überall her. Die Winkelgasse war sowieso bekannt und beliebt – ihre Apotheke war mittendrin, schräg gegenüber von dem Scherzartikelladen der Zwillinge.

Gegen halb eins wurde Hermine von Müdigkeit heimgesucht. Dagegen anzukämpfen war nicht leicht. Zudem verlor sie ein wenig die Konzentration. Die Augen blieben, wenn sie blinzelte, länger geschlossen als normalerweise. Sie würde sich gern hinlegen, aber Severus würde gegen 13 Uhr kommen und ihr helfen. Es wäre unhöflich, ihn arbeiten zu lassen, während sie sich eine Mütze voll Schlaf gönnte.

Müde war auch Kevin, der in seiner Vogelgestalt zu dem durch einen magischen Sichtschutz versteckten Lager der Auroren flatterte, um sich zurückzuverwandeln. Die Animagusform so lange zu halten und den tierischen Instinkten zu widerstehen, hatte ihn schläfrig gemacht. Zu gern hätte er dann und wann gern mit seinen Artgenossen einen kleinen Ausflug zum in der Nähe liegenden Fluss gemacht oder mit einer Vogeldame kommuniziert. Manchmal hatte er das Gefühl, dass eine Animagusform dazu gut war, sich mit der Natur auseinander zu setzen und Verständnis für Mitlebewesen aufzubringen.

„Ruh dich aus, Kevin“, empfahl Kingsley, der auf ein kleines Zelt deutete, das von innen angenehm geräumig war. Mit Hilfe des Kobolds Krittgor hat man nochmals den Fluch brechen können, der auf Macnair lag. Somit konnte Kingsley noch mehr Auroren einweihen lassen. Alle Anwesenden konnten das Haus sehen. Seine Leute hatten einen Anti-Apparierschutz um das Gebäude gelegt, die sie nach und nach enger zogen, damit die Magie des Schutzzaubers nicht aufzuspüren war.

Im Zelt legte sich Kevin auf ein niedriges Bett, doch er konnte nicht sofort einschlafen, dazu war er viel zu überspannt. Als er Schritte hörte, hob er seinen Oberkörper und schaute über die Schulter.

„Tracey, hi.“ In ihren Händen trug sie eine Kanne und eine Tasse.
„Ich dachte, du würdest vielleicht einen Tee haben wollen“, sagte sie mit sanfter Stimme, bevor sie sich an die Bettkante setzte.
Dankend nahm er die Tasse entgegen, aber er trank noch nichts. „Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen, wenn wir tatsächlich mit so vielen Todessern rechnen müssen.“ Er seufzte. „Es werden im Moment noch Auroren ausgebildet, aber die sind bei Weitem noch nicht bereit.“
„Du weißt ja, Kevin: Zuerst Informationen sammeln, dann Pläne ausarbeiten und am Ende erst zuschlagen. Kingsley wird nichts übereilen. Das wäre auch ein Fehler.“

Kevin blickte ihr in die Augen, nickte und trank endlich einen Schluck Tee.

„Wie ist es so als Vogel?“, fragte sie plötzlich, so dass er einen Moment überlegen musste.
„Man ist frei“, ein Lächeln formte sich auf seinen Lippen, „man ist ganz leicht und wird vom Wind getragen. Es ist herrlich. Die Federn halten einen warm, selbst bei der Kälte. Manchmal juckt es aber ganz schön.“ Sie musste auflachen. „Und ich werde von einer Menge Vogeldamen umschwärmt.“
Abrupt verschwand ihr Lächeln. „Das meinst du nicht ernst?“
„Doch! Zwei wollten schon, dass ich ein Nest für sie baue.“
„Darauf wirst du dich nicht einlassen, Kevin!“
„Aber warum denn nicht?“ Er musste schmunzeln. „Es wäre eine perfekte Tarnung.“
„Weil ich dann mit dem Luftdruckgewehr komme und den Vogeldamen mal zeige, wo es langgeht, deswegen!“

Ein belustigtes Schnaufen entwich ihm. Die Tasse stellte er auf dem Tisch ab, bevor er eine Hand der schmollenden Tracey in seine nahm.

„Du wirst doch wohl nicht auf ein paar Vogeldamen eifersüchtig sein?“ Demonstrativ wendete sie ihren Kopf ab, was ihn dazu veranlasste, mit der anderen Hand ihr Kinn zu berühren, damit sie ihn ansehen würde. „Ich würde viel lieber ...“ Kevin stockte, strich ihr mit seinem Daumen über den Handrücken.
Auch Tracey traute ihrer Stimme nicht. „Was?“ So sanft gesprochen wie das ferne Zwitschern der Vögel.
„Ich würde lieber mit dir ein Nest bauen.“

Worte wollten sich nicht finden und so suchte sie stattdessen seine Lippen, doch bevor beide die Wärme ihres ersten Kusses spüren konnten, rumste es laut. Kevin und Tracey, die nur wenige Zentimeter vom Gesicht des anderen entfernt waren, schnellten auseinander und blickten in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Tonks war ins Zelt gekommen und hatte ein metallenes Gerät umgerannt, das sie gerade wieder zusammenzusetzen versuchte. Der Stillezauber, der über dem gesamten Lager lag, hatte sie für einen Moment unvorsichtig gemacht, denn bis auf die Auroren würde sie niemand hören können.

„Kevin“, sagte sie, während sie sich ein rundes, silberfarbenes Zubehör in ihren Händen ansah, welches sie nicht zuordnen konnte. „Du sollst zu Kingsley kommen. Es tut sich was.“ Das Metallteil legte sie neben das Gerät, bevor sie endlich aufblickte. Ihre rosigen Wangen konnten ein Hinweis dafür sein, dass sie sich bewusst darüber war, einen intimen Moment gestört zu haben oder es war ihr einfach nur peinlich, tollpatschig gewesen zu sein. „Es tut sich was bei den Todessern.“
„Ich komme.“

Auch bei Hermine tat sich was, denn sie hörte den Kamin oben knistern. Für ihre Freunde hatte sie ihn freigegeben, aber auch so würde es kaum jemand wagen, außer im Notfall, ungebeten in ein Haus einzufallen. Das war nicht nur unhöflich, sondern stand auch ganz normal unter Strafe, wie beim unerwünschten Apparieren in ein Haus. Das gehörte sich nicht, selbst die Zwillinge hatten es nie getan.

Severus war fünf Minuten vor Ladenschluss zu ihr gefloht. Sie war gerade dabei, die Tür zu schließen, da hörte sie seine Schritte, als er die Treppe nach unten kam.

„Hallo“, grüßte sie ungezwungen. „Wir können gleich anfangen.“

In ihrem Labor im Erdgeschoss blickte er sich das erste Mal richtig um. Gestern hatte er dafür keine Augen gehabt, doch jetzt schien ihm zu gefallen, was er sah.

„Sie haben einen sehr geräumigen und auch hellen Arbeitsplatz“, sagte er zugetan.
„Mir ist der Raum schon fast zu groß.“
Er machte ein verständnisloses Gesicht. „Zu groß?“
„Ja, es wirkt hier sehr, ähm, ausgestorben und kalt.“
Für einen Augenblick überdachte er ihre Worte und schien Hermine zu verstehen. „Es würde mir vielleicht genauso ergehen.“ Beide schauten sich in die Augen, doch bevor er Herzklopfen bekam, ging er zur Tagesordnung über. „Wo sind die Braupläne?“

Hermine brachte seine und ihre Liste an den Tisch und beide stürzten sich in die Arbeit, wobei es sich eingependelt hatte, dass nicht jeder für sich braute, sondern beide die verschiedenen Tränke gemeinsam herstellten. Der Wolfsbanntrank hatte Vorzug.

„Ich möchte Sie darüber informieren, dass Lupin nachher auftauchen wird, da ich ihm heute aufgrund meiner Abwesenheit nicht den Trank brauen kann.“
„Schön!“ Hermine freute sich drauf, Remus zu sehen. Seit sie hier war, hatte sie das Gefühl, sie würde seit Monaten isoliert leben.
„Haben Sie die Rede schon einmal gelesen?“ Es war nicht zu überhören, dass er Konversation treiben wollte. Sonst war sie meist diejenige gewesen, die ein Gespräch begann.
„Ich habe sie überflogen. Mir fehlte einfach die Zeit, um sie aufmerksam zu lesen.“
„Nun, ich erwarte trotzdem, dass Ihnen morgen keine groben Schnitzer beim Vortragen unterlaufen.“

Auch Hermine hatte Neuigkeiten zu erzählen und so schilderte sie ihm von dem Vorfall mit dem Werwolf, was ihn im ersten Moment erschreckte. Er hörte aber weiter zu, als sie ihm mitteilte, dass der Werwolf Kinder haben würde, demnach der Fluch nicht vererbbar war. Das interessierte Severus, aber mehr deshalb, weil er schon seit langer Zeit die Gesetzesänderungen aufmerksam verfolgte.

Während des gemeinsamen Brauens fiel Hermine positiv auf, dass sie wieder viel ruhiger war. Der Stress war noch da, aber er fühlte sich gut an und war keinesfalls belastend. Es war eben doch etwas anderes, mit einem anderen Menschen zusammenzuarbeiten.

Der Plan war, dass Severus nach 15 Uhr, wenn Hermine den Laden wieder öffnen würde, weiterhin im Labor bleiben würde, während sie auch für die potenziellen Kunden da wäre. Prompt warteten schon zwei Kunden vor der Tür, als sie diese aufschloss. Einer wollte den Wolfsbanntrank, für den er sich gestern schon angemeldet hatte. Severus kümmerte sich darum, die Becher zu füllen, während Hermine sie von ihm holte und auf dem Pass ihre Unterschrift leistete. Natürlich kamen auch etliche Kunden, die sich nicht im Vorfeld angemeldet hatten. Zum Glück hatte Hermine das einkalkuliert, so dass keiner von den insgesamt 51 Werwölfen ohne Trank zu einem anderen Tränkemeister geschickt werden musste. Der Vollmond stand noch nicht am Himmel, das betrat Remus den Laden, gefolgt von einer Mutter und ihrem nicht einmal einen Meter großen Kind. Höflich wie Remus war, ließ er der Dame den Vortritt.

„Den Wolfsbanntrank ...?“, fragte sie unsicher.

Der kleine Junge blickte sich gelangweilt im Laden um, bis er Remus' freundlich lächelndes Gesicht erblickte und es ihm gleichtat. Die vielen wunden Stellen um den Mund herum kamen Remus sehr bekannt vor und er ahnte etwas. Als Severus zusammen mit Hermine in den Verkaufsraum trat – in den Händen zwei Becher mit dampfenden und auch herrlich duftendem Inhalt –, blickte Remus seinen Kollegen erstaunt an, während der kleine Junge sich hinter seiner Mutter verstecken wollte.

Den ersten Trank reichte Severus seinem Kollegen, weil der näher stand, den zweiten hielt er der jungen Mutter entgegen, doch es war der kleine Junge, der wieder hervorkam und beide Hände mit gespreizten Fingern nach dem Becher ausstreckte.

„Es ist für ihn“, sagte die junge Frau leise und schaute zu dem Jungen hinunter, der sich der monatlichen Prozedur gebeugt hatte. Severus schaute zu dem bisher wohl jüngsten Kunden, den Hermine den ihren nennen konnte. Die erwartungsvoll aufgerissenen, blauen Augen waren nicht auf den schwarzgekleideten Tränkemeister gerichtet, sondern auf den Becher in dessen Hand. Severus musste etwas in die Knie gehen, damit die kleinen Finger den Becher überhaupt greifen konnten. Der Junge, als hätte man ihm eingetrichtert, dass er vorsichtig damit umgehen musste, nahm den Becher behutsam aus den gelblich verfärbten Fingen entgegen und hielt ihn ganz fest, nachdem er allein für ihn verantwortlich war. Der angenehme Duft ließ die Kinderaugen glänzen. Ohne Ekel trank der Junge, musste aber einige Male absetzen, um wegen der Anstrengung schnaufend Luft zu holen. Als er fertig war, gab er den Becher brav zurück, tastete danach mit seinen kleinen Händen seine Tasche ab und zog den Tränkepass hinaus, den er Severus zwischen Daumen und Zeigefinger haltend überreichte. Dabei machte er ein Gesicht, als würde man ihn jeden Moment bestrafen.

Severus musste den Kloß im Hals hinunterschlucken, nahm dann den Pass aus den Kinderhänden an sich, um zu unterschreiben. Remus hatte bei dem Anblick des Jungen ganz vergessen, den Trank selbst zu sich zu nehmen, was Severus mahnend feststellte.

„Er muss heiß getrunken werden!“

Sofort parierte Remus und trank ebenfalls.

Nach Feierabend verweilten Hermine und Severus noch im Labor, um die bestellten Tränke für Morgen vorzubereiten, auch wenn das gar nicht geplant war. Hermine war müde, aber sie genoss die Gesellschaft und nahm seine Hilfe gern an.

„Wissen Sie, was ich mich frage?“
Severus zog eine Augenbraue in die Höhe. „Was?“
„Der Wolfsbanntrank. Es hieß bisher immer, der Trank muss drei Tage vor Vollmond eingenommen werden, aber es hat sich herausgestellt, dass man ihn auch zwei Tage vorher und zusätzlich am Tag des Vollmonds einnehmen kann.“
Er stutze. „Auf was genau wollen Sie hinaus?“
„Na ja, den Vollmond hatte man heute schon, wenn es nicht bewölkt gewesen wäre, vormittags sehen können. Ich habe allerdings von keinem einzigen Fall gehört, an dem sich ein Werwolf trotz Vollmond schon am Tage verwandelt hat. Das gibt mir zu denken.“
„Die Verwandlung findet ausschließlich in der Vollmondnacht statt. Einen Grund dafür kann ich nicht nennen, eine Vermutung hätte ich jedoch.“
„Welche?“, fragte sie neugierig. Sie liebte solche Unterhaltungen.
„Es muss mit der Intensität des Mondlichts in Zusammenhang stehen. Sie selbst wissen, dass es Pflanzen gibt, die man in Vollmondnächten pflücken muss, weil sie nur so ihre Wirkung voll entfalten. Am Tage, selbst wenn der Vollmond am Himmel steht, ist sein Schein sehr schwach. Die Sonne, in den meisten Kulturen als Symbol des Guten betrachtet, übertrumpft den Mond. Wie ich von Lupin weiß, fühlt er sich an Tagen, an denen man den Vollmond schon tagsüber sehen kann, besonders angeschlagen.“

Hermine verfiel in eine Grübelstarre, aus der Severus sie weckte, weil sie eine Zutat in ihren Kessel geben sollte.

„Aber würde das nicht bedeuten, dass ein Werwolf dem Vollmond einfach davonreisen könnte? Wenn er mit der Sonne ziehen würde, könnte er dem Fluch auf diese Weise entkommen?“
Diesmal hielt Severus mit seiner Tätigkeit inne, denn die Überlegung war nicht dumm. „Wenn ich das Geld hätte“, begann er, „würde ich Lupin eine kleine Reise finanzieren, um genau das herauszufinden. Aber selbst wenn es so sein sollte, Hermine, würde der Werwolf den Fluch nicht loswerden. Ich bezweifle, dass gerade diese Menschen sich regelmäßig eine monatliche Weltreise leisten könnten.“ Sie seufzte. „Es gab schon etliche helle Köpfe“, er blickte sie an, „die ihr Leben der Werwolfsforschung verschrieben haben. Keiner von ihnen konnte bisher den Fluch brechen.“
„Ich hab eine Idee! Wie wäre es, wenn wir Remus in seiner Wolfsgestalt meinen Farbtrank verabreichen?“
Schockiert machte er einen Schritt vom Kessel zurück. „Ohne mich! Sie können es gern tun, aber ich werde darauf verzichten, diesem Experiment persönlich beizuwohnen.“
„Remus ist ganz artig, wenn er den Wolfsbanntrank genommen hat.“
„Das ist mir gleich. Rechnen Sie keinesfalls mit mir!“ Severus widmete sich wieder seinem Trank. „Was erwarten Sie davon?“
Sie zuckte Schultern. „Als Harry die Magiefarben von Remus gesehen hat, war da ein grauer Fleck. Ich vermute, dass das der Fluch sein könnte.“
„Wenn Sie Recht behalten sollten, wird es Ihnen an Möglichkeiten fehlen, diesen Fleck auszuradieren.“

Wieder war Hermine still, während sie rührte und schnitt und nochmals rührte. Sie ging die Theorie im Kopf durch, dessen war sich Severus sicher.

„Man hat aber gesehen, dass die Magiefarben sich ändern können, wenn man mit der Magie eines anderen konfrontiert wird. Dracos Farben haben sich wie kleine Fangarme in alle Richtungen gestreckt und herumgetastet. Als Harry ihn berührte, ist etwas von seinem Gold an Draco übergegangen.“
Severus nickte, dementierte jedoch: „Und hat sich mit seinen Farben vermischt. Es war nicht so, dass Draco nun einen goldenen Fleck aufgewiesen hätte. Vielleicht wurde Harrys Magie einfach absorbiert, ohne dass es eine Veränderung gab?“
„Das wäre natürlich auch möglich, aber das müsste man testen.“
„Sie haben keine Zeit mehr für Experimente, Hermine. Nächste Woche findet die Versammlung statt. Morgen werden wir Ihre Rede üben. Außerdem haben Sie mit Ihrer Apotheke alle Hände voll zu tun. Ich rate Ihnen, diese Theorie nur denen anzuvertrauen, die nach der Rede auf Sie zukommen werden.“

Zusammen schafften Hermine und Severus alle Aufgaben des Tages. Die Anstrengungen des Tages ließen sie bei einer Tasse Tee ausklingen. Ab morgen wäre es wieder ruhiger, dachte Hermine erleichtert, aber nur bis zum nächsten Vollmond und das nahm sie als Anlass, ihn um etwas zu bitten.

„Severus?“ Als er aufblickte, fragte sie ganz offen: „Würden Sie mir nächsten Vollmond auch helfen?“
„Da der 7. März ein Sonntag ist, werden wir ab dem 4. nächsten Monats den Trank bereits anbieten. Wir müssen mit Nachzüglern rechnen, die auf einen Sonntag die Zaubertränkemeister verzweifelt aufsuchen.“

Sie lächelte. Severus hatte nur indirekt geantwortet, aber trotzdem zu ihren Gunsten. Das „wir“ hörte sich gut an.

„Sie können auch gern außerhalb der Reihe mal vorbeikommen“, bot sie ihm an.
„Und was zahlen Sie?“ Er scherzte, was die Fältchen an seinen Augenwinkeln verrieten.
„Sie bekommen eine Tasse Tee, reicht das?“ Unbefriedigt verzog er das Gesicht, weswegen sie verbesserte: „Dann Kaffee?“
„Vergessen Sie nicht, dass ich hauptberuflich tätig bin.“
Ein Geistesblitz schoss ihr durch den Kopf, den sie als Flunkerei tarnte. „Ich könnte Sie ja abwerben.“
„Mich?“, fragte er nach und sie nickte. „Sie könnten mich gar nicht bezahlen, Hermine. Wissen Sie eigentlich, was ein Zaubertränkemeister bekommt, wenn er tatsächlich dem Brauen nachgeht?“
„Nein.“
„Das Doppelte! In Hogwarts werde ich nur für meine Tätigkeit als Lehrer bezahlt, auch wenn ich meinen Meister habe. Würde ich im Mungos als Tränkemeister beginnen, würde mein Gehalt mindestens 3.000 Galleonen betragen.“
„Oh ...“

Mehr fiel ihr nicht ein. Sie könnte ihn tatsächlich nicht bezahlen, weswegen sie betrübt in ihrem Tee herumrührte. Severus beobachtete sie und stellte sich die Frage, ob hinter ihrer Überlegung mehr Ernst steckte als sie zugeben wollte. Es schien in seinen Augen zumindest so zu sein, denn warum sonst, fragte er sich, wirkte sie so geplättet.

„Sie können morgen früher kommen.“ Der von ihr herbeigeführte Themenwechsel erhärtete seinen Verdacht. „Ich bin ja mit fast allem fertig und morgen, am Samstag, schließe ich das Geschäft um 16 Uhr.“
„Auf einen Samstag schließen Sie so früh?“, fragte er erstaunt. „Gerade samstags mag man mit vielen Kunden rechnen, die in der Woche aufgrund der eigenen Arbeitszeiten keine Zeit gefunden haben.“
„Dann wäre ich aber einer der wenigen Läden, die noch geöffnet hätten“, hielt sie ihm vor Augen. „Die meisten schließen früh. Selbst die Zwillinge.“
„Die beiden Mister Weasley widmen sich aber ihrem Scherzartikelversand. Soweit ich informiert bin, liefern sie in aller Herren Länder.“

Anregungen bezüglich ihrer Geschäftsführung gab er ihr durch die Blume zu verstehen.

„Vielleicht sollte ich auch ...?“
Eine hoch gehobene Hand ließ sie verstummen. „Später, wenn Sie routiniert genug sind und sich eventuell Personal leisten können.“

Die Arbeit im Labor war erledigt, so dass sie sich zu einem Schluck Wein in den ersten Stock begaben. Das Wohnzimmer hatte er bereits gesehen, weil er durch den Kamin gekommen war. Es war schlicht eingerichtet und vollgestopft mit Büchern; ganz nach seinem Geschmack. Beide versanken in Konversation über seltene Tränkezutaten und wo sie zu finden waren, da sprang Hermine plötzlich aufgescheucht von der Couch.

„Das wollte ich Ihnen ja noch zeigen!“, sagte sie begeistert, als sie einen großen Pappkarton an den Tisch holte und öffnete. Sie entnahm etwas und hielt es ihm entgegen.
Severus betrachtete das Prospekt. Sein erster Kommentar war: „Hochglanz?“
„George meinte – und ich zitiere ihn wörtlich: 'Man muss großkotzig anfangen und sich zur Bescheidenheit hinarbeiten!'. Ich finde das Prospekt gelungen.“

Erst jetzt las er die Werbung. Farblich war das Blatt in warmen Tönen gehalten. Rot und Orange. Ganz oben stand „Granger Apotheke“, gleich darunter „Neueröffnung“. Hermine hatte bestimmte Alltagstränke im Angebot, wie beispielsweise einen leichten Schlaftrunk, einen gegen Kopfschmerzen und eine Salbe zum Entspannen der Muskeln. Als er das Blatt umdrehte, fiel ihm sofort der als Hintergrundbild dekorativ platzierte Kessel auf, aus dem bewegliche Rauchschwaden emporstiegen. Hier pries sie ihren Wolfsbanntrank an und er hatte das Gefühl, je länger er auf die Rauchschwaden starrte, desto intensiver konnte er den Geruch von Vanille wahrnehmen.

„Es war Georges Idee, dem Prospekt einen Duft zu verpassen. Immerhin verspreche ich ja“, sie tippte auf entsprechende Stelle, „dass der Trank bei mir angenehm schmeckt.“
„Haben Sie die Werbung schon verteilt?“
„Nein, ist heute Morgen erst gekommen. Ich hatte noch keine Zeit. Nächste Woche fange ich damit an.“
„Dürfte ich welche haben?“
Seine Frage überraschte sie. „Natürlich, aber darf ich fragen, wieso?“
„Ich möchte das einigen Bekannten zukommen lassen.“
Hermine nickte. „Nehmen Sie sich, wie viele Sie benötigen.“

Er griff sich eine gute Handvoll, die er in seinem Umhang verschwinden ließ.

„Severus, wegen des fünften Verstecks ...“ Aus weit aufgerissenen Augen blickte er sie an. Er schien zu vermuten, dachte Hermine, dass sie die Erinnerungen schon gefunden oder gar gesehen hatte. „Warum sagen Sie mir nicht einfach, was diese Erinnerungen beinhalten?“
Erleichterung machte sich in im breit. „Das können Sie selbst herausfinden. Ich möchte jetzt nicht darüber sprechen.“
„Schon mal aufgefallen, dass Sie nie darüber sprechen möchten?“ Seinen Todesblick schmetterte sie mit einem Lächeln ab. „Ich ärgere mich ehrlich gesagt darüber, dass Sie mir erst jetzt davon erzählt haben, wo ich doch Hogwarts verlassen habe. Oder spekulieren Sie wirklich darauf, dass ich es sein lasse?“ Weil er sich nicht äußerte, beantwortete sie die von ihr selbst gestellte Frage mit eigenen Worten. „Ja, Sie haben gehofft, ich würde sowieso keine Zeit finden und irgendwann wäre Gras über die Sache gewachsen.“
„Sie haben auch keine Zeit, wie es aussieht.“
„Ich werde sie mir schon nehmen.“
„Hermine!“, blaffte er, denn er wollte dieses Thema nicht diskutieren.
„Reden Sie wenigstens mit mir drüber, wenn ich es gesehen habe?“ Keine Antwort. „Severus?“
Unerwartet stand er auf. „Es ist spät, ich werde gehen. Morgen können Sie gegen spätestens 18 Uhr mit mir rechnen.“ Er bewegte sich bereits auf den Kamin zu.
„Ah“, verspottete sie ihn, denn sie benutzte den Tonfall, den er sonst für seine sarkastischen Bemerkungen vorbehalten war. „Wenn Sie eine Animagusform hätten, wären Sie sicher ein Fluchttier.“
Abrupt hielt er inne und wandte sich um. „Wollen Sie mich beleidigen?“
„Nein, ich will Ihnen nur vor Augen halten, dass Sie immer gehen, wenn es interessant wird.“ Sie schmollte.
„Morgen gegen 18 Uhr. Gute Nacht, Hermine.“
„Gute Nacht, Severus.“

In Hogwarts angekommen überwand sich Severus dazu, noch mit dem Hund auszugehen, denn er war länger bei Hermine gewesen, als er geplant hatte. Harry konnte es kaum erwarten, seine Blase entleeren zu dürfen. Der weiße Kuvasz, schon mächtig gewachsen und durch sein flauschig dickes Fell noch weit größer wirkend als er bereits war, sprang Severus an, als der die Leine befestigte. Ihr Weg führte sie durch den Schnee zu Hagrids Hütte, beziehungsweise führte Harrys Weg zu Fang.

Der bellende Laut, tief und brummig, war Fangs Gruß an Harry, als er die beiden Gäste witterte. Severus ließ seinen Hund von der Leine und schaute dabei zu, wie sie unbefangen tollten. Bei Hagrid war kein Licht, also musste Severus auch nicht mit Zwangskonversation rechnen. Mit Sicherheit war der Wildhüter im Verbotenen Wald, denn früh zu Bett ging der Halbriese nie.

Einige markierte Bäume später rief Severus den Hund zu sich und der kam auch, rannte jedoch wie wild an Severus vorbei. Auf weitere Rufe hörte das Tier nicht, dass wieder in Richtung Schloss hetzte. Severus eilte hinterher, konnte gerade noch sehen, wie Harry das Schloss betrat, doch als er ebenfalls den Schulhof erreicht und in das Gebäude eingetreten war, konnte er von dem Hund keine Spur mehr sehen. Severus wagte es nicht, laut zu rufen, denn die Gemälde würden ihn sicherlich anpöbeln. Zuerst schaute er in den Kerkern nach, doch Harry war dort nicht anzutreffen. Severus seufzte. Um diese Uhrzeit noch im Schloss nach seinem Hund zu suchen war keine seiner momentan bevorzugten Tätigkeiten, aber er musste ihn finden.

Vier Stockwerke höher erwachte Remus aus seinem festen Schlaf, denn er hatte etwas gehört. Als Erstes dachte er, Hermine und Severus hätten sich wieder in den Haaren. Nachdem der Schlaf seinem wachen Geist gewichen war, wusste er nur zu gut, dass das nicht möglich war, denn Hermine wohnte nicht mehr neben ihm. Das Geräusch war trotzdem da und es war laut. Ein lautes Bellen, ab und an ein herzzerreißendes Winseln, dann ein Schaben. Remus stöhnte laut. Sollte das die ganze Nacht so weitergehen, würde er kein Auge zutun, weswegen er sich seine Pantoffeln und einen Morgenmantel überzog, um auf dem Flur nach dem Rechten zu sehen.

„Was machst du denn hier?“, fragte er den weißen Hund, der vor Hermines ehemaligem Zimmer stand und die Schnauze auf den Boden presste, um den Geruch von Innen erschnuppern zu können. Dann winselte der Hund wieder und scharrte mit seinen Pfoten unten an der Tür, als würde er Einlass erbitten. „Da wohnt keiner mehr“, beruhigte Remus den Hund, während er sich ihm näherte, um die Leine aufzuheben. „Bist du Severus weggelaufen?“

Harry kläffte, so dass einige Gemälde ihren Unmut über die Lärmbelästigung kundtaten. In diesem Moment betrat Severus den weitläufigen Gang. Es dauerte lange, bis er endlich bei Remus angekommen war, der die Zeit genutzt hatte, seinen dunkel gekleideten Kollegen genau zu beobachten.

„Ich dachte eigentlich“, begann Remus mit einem unterdrückten Lächeln, „dass ich hier endlich meine Ruhe hätte.“
„Es tut mir Leid, dass ...“ Von Harrys lautem Bellen wurde er unterbrochen. Er sah sich einen Moment lang mit an, wie der Hund an der Tür scharrte und aufgeregt an ihr schnüffelte. Leise und mit einem Hauch Verständnis erklärte Severus das Verhalten des Tieres. „Er vermisst wohl seinen Freund.“
Remus spitzte die Lippen und beäugte Severus', bevor er vervollständigte: „Nicht nur er?“

Beinahe klang es nicht wie eine Frage, dazu war Remus bei der Betonung mit der Stimme am Ende nicht hoch genug gegangen. Severus hatte lange genug mit Albus zu tun und wusste, wenn sich jemand eine Anspielung erlaubte. Er ging jedoch nicht darauf ein, sondern hielt seine Hand entgegen, damit Remus ihm die Leine geben würde.

Weit weg von Hogwarts nahm Kingsley die Pergamente von Tonks entgegen. Gemeinsam gingen sie noch einmal den Plan durch, den die Aurorin entwickelt hatte.

„Das war wirklich eine brillante Idee von dir. Darauf hätte ich auch kommen können“, sagte er.
„Bist du aber nicht“, gab sie schelmisch zurück, woraufhin Kingsley das Gesicht verzog.

Tonks hatte in den letzten Tagen zwischen Ermittlung und Beobachtung des Todesserverstecks alle Auroren zusammengebracht, die in der Lage waren, sich wie Kevin in Tiere zu verwandeln. Das Hauptproblem bestand darin, genügend Auroren zu finden, deren Animagusform ein relativ kleines Tier war, also kein auffälliger Hirsch oder Bär. Doch zu Tonks' Überraschung gab es mehr als sie dachte: Von Hamstern über Mäusen zu allerlei Arten von Vögeln und nur relativ wenige größere, doch insgesamt überwiegend Fluchttiere, die Gefahren sofort witterten und das Weite suchen würden.

Was King jedoch Kopfzerbrechen bereitete, war, dass es sich um wenig erfahrene Mitarbeiter handelte. Die Mehrzahl bestand aus jungen Auroren, die gerade so die erste Not-Ausbildung abgeschlossen hatten, denn man brauchte nach dem verheerenden Zaubererkrieg schnell neues Personal, um die frisch erstarkte Ordnung intakt zu halten und letztendlich mussten auch die Scherben weggeräumt werden.

„Was ist los?“, fragte Tonks ihren Vorgesetzten und beantwortete sich die Frage gleich selbst. „Du hast Angst, dass sie es nicht schaffen, nicht wahr? Das sie über- oder gar nicht reagieren.“

Kingsley nickte, aber er wusste auch, dass er keine andere Wahl hatte. Er konnte nicht vorhersehen, wie jeder einzelne im Ernstfall handeln würde. 'Jeder nach seinen Fähigkeiten', redete er sich ein. Für die meisten würde es den ersten, echten Kampfeinsatz bedeuten, bei dem mit massivem Widerstand zu rechnen war. Es handelte sich nicht um Taschenspieler, nicht um einfache Ladendiebe. Es waren Todesser. Der Abschaum der Zauberwelt. Die letzten Getreuen Voldemorts, des grausamsten und mächtigsten Zauberers, der je gelebt hatte. Nein nicht ganz, korrigierte er sich in Gedanken, der Mächtigste war er nicht. Der lehrte in Hogwarts.

„Was wir hier brauchen ist ein wenig Optimismus. Sie werden es schaffen, Kingsley. Hab' Vertrauen! Sie brennen darauf, an diesem Einsatz teilzunehmen. Jeder von uns hat im Krieg Angehörige verloren. Da ist keiner mit dabei, der nicht auch selbst einen Verlust zu beklagen hatte.“

Gerade das wollte Kingsley bemängeln. Er stützte seinen Kopf auf den Armen ab, schloss seine Augen und dachte einen Moment nach. Der Chef des Aurorenbüros hatte noch nie soviel Zweifel, wie bei dieser Aktion. Aber allein die Tatsache, dass sie in den wenigen Tagen schon eine Menge beobachtet und ermittelt hatten, um die ganze Gegend, das Gutshaus und alle anderen Gegebenheiten auszukundschaften, gab der Sache eine gewisse Größe. An dem Einsatz selbst würden etwa fünfzig Auroren teilnehmen. Es musste ein schneller, harter Schlag werden. Immerhin, und das beruhigte ihn etwas, würde das Überraschungsmoment auf ihrer Seite liegen. Die Beobachteten würden keine Ahnung haben, was sie traf.

„Dann haben wir es.“ Es war mehr eine Feststellung von Kingsley als eine Frage. „Gut, dann wird es Zeit. Sag allen Bescheid. Moody und Gruppe A sollen hier beim Gutshaus bleiben. Alle anderen sollen per Portschlüssel zurück ins Ministerium gehen. Wir treffen uns in zwei Stunden im Besprechungsraum. Ich werde ihnen den Plan dort erläutern. Und wann wir zuschlagen.“

Tonks nickte und ging.

Bis auf Alastor und Gruppe A, die unsichtbar auf Besen rund um das Gutshaus verteilt ihre Position behielten, nutzten die Auroren ihre Portschlüssel, um direkt ins Ministerium zu gelangen. Auf dem Weg in den Besprechungsraum hinkte Kevin seinen Kollegen etwas hinterher, weil er müde war. Ohne sich vorher ausruhen zu können musste er noch einmal zum Haus hinüberfliegen und tatsächlich – wie Kingsley vermutet hatte – herrschte reges Treiben bei den Todessern, die noch einige Verbündete begrüßt hatten.

Während Kevin gedankenverloren den Gang entlangschlenderte, schlug ihm ein breit grinsender, etwa gleichaltriger Junge von hinten auf die Schulter. Er wirbelte herum und hielt dem Erschrockenen seinen Zauberstab unter die Nase.

„Mensch Jenkins, das kannst du doch nicht machen! Um ein Haar hätte ich dich erledigt!“, schnaufte Kevin, als er den Stab sinken ließ.
„Wie wäre es mit einem 'Schön Dich zu sehen, Pap!'? Nein, stattdessen fuchtelst du mir mit dem Ding da im Gesicht herum.“
„Mach das nie wieder, dich so von hinten anzuschleichen und mich so zu erschrecken. Und ja, es ist schön dich zu sehen, auch wenn die Umstände nicht die allerbesten sind. Ich darf demnach annehmen, dass du auch dabei sein wirst, wenn wir die Bastarde hoch nehmen?“
„Da kannst du drauf wetten, Alter! Hier sind fast nur Freiwillige, hast du das gewusst? Wahrscheinlich weil dieser Angriff auf das Versteck der Todesser ein Himmelfahrtskommando ist. Immerhin haben sie es jedem selbst überlassen, ob er sich meldet oder ob er es bleiben lässt.“
„Bist immer noch ein bisschen der alte Draufgänger was, Papillon? Dann bist du auch bei der ersten Angriffswelle dabei. Als Schmetterling solltest du nicht weiter auffallen, wenn du dich hinter einem großen Bottich versteckst.“ Kevin grinste. „Ich muss vorher noch zu Shacklebolt, er braucht meinen Bericht für die Angriffsplanung.“

So Leid es ihm tat, aber er musste sich von seinem Freund verabschieden. Er hatte Papillon so lange mit Erzählungen von seiner Aurorenausbildung in den Ohren gelegen, dass sein Freund sich für diesen Beruf entschlossen hatte.

„Alles klar, dann sehen wir uns später.“
„Ja, dass werden wir,“ sagte Kevin und machte sich auf den Weg zu seinem Boss.

Kingsley hörte aufmerksam zu, was ihm der junge Auror zu berichten hatte, denn Kevin war auch im Haus gewesen – hatte es fertiggebracht, unerkannt jedes Zimmer abzufliegen. Nachdem Kevin mit seinen Ausführungen fertig war, nahm er seinen Zauberstab und zog entsprechende Erinnerung aus dem Kopf.

„Ich denke, da könnten einige Sachen bei sein, die wir noch nicht kennen. Sie sollten sich das ansehen und vielleicht in die Planung mit einbeziehen.“

Kingsley nickte und gab ihm eine Phiole, in der Kevin die Erinnerung verkorkte.

„Danke Kevin, ruhen Sie sich einen Moment aus, wir halten die Besprechung in einer Stunde unten ab.“ Er rang sich trotz der bevorstehenden Situation ein Lächeln ab. „Gute Arbeit!“, lobte Kingsley den jungen Auror und während sich Kevin für einen Moment zurückgezogen entspannen konnte, sah sich Kingsley seine Erinnerungen an.

Als Tonks zusammen mit Kingsley eine Stunde später im Besprechungsraum erschien, waren bereits alle für den Einsatz vorgesehenen Auroren und die, die die erste Prüfung bestanden hatten, anwesend. Auch Tonks setzte sich zu den anderen in die Stuhlreihen und überließ es Kingsley allein, die Einsatzbesprechung für den morgigen Tag zu leiten.

Kingsley sah für einen Moment nach unten, schloss die Augen und ließ die Geräusche der Umgebung auf sich wirken, so als würde er Kraft schöpfen für das, was er als Nächstes tun musste. Auf Förmlichkeiten wollte er vollends verzichten. Man musste Zusammengehörigkeit vermitteln.

„Wir haben es euch offen gelassen, ob ihr an dem Einsatz teilnehmt oder nicht. Ich freue mich, dass es so viele Freiwillige gibt, gerade weil das keine einfache Aktion werden wird, so gut wir auch vorbereitet sein mögen. Es geht um die Festsetzung der Todesser Rodolphus und Rabastan Lestrange und deren derzeitig neuem Gefolge, also Männer und Frauen, die in unserer Welt nichts mehr zu verlieren haben, außer ihrer Freiheit und ihrem Leben. So werden diese Verbrecher nach meiner Einschätzung auch reagieren, wenn wir zu Tage treten.“

Diese Informationen ließ er für einen Augenblick im Raum stehen, bevor er fortfuhr.

„Ihr alle habt die verkürzte Grundausbildung als Auror bestanden. Die eigentliche Ausbildung steht euch noch bevor, dennoch habt ihr bereits Fähigkeiten und Kenntnisse, die ihr zum Einsatz bringen könnt. Die 'Operation Kleinholz' startet morgen Früh um sieben Uhr. Wir werden wie folgt vorgehen: Als Erstes werden zwanzig Auroren in Animagusgestalt das Gebäude von innen infiltrieren und die Schlüsselpositionen einnehmen.“ Er zeigte mit seinem Stab auf die Punkte, die auf der Karte eingezeichnet waren, als sogleich ein Einwurf von einem der Zuhörer kam.
„Wie sollen wir die Positionen finden?“, fragte Papillon ungläubig. „Meines Wissens nach war bislang nur einer im Inneren des Hauses.“
„Du hast Recht, bislang war nur einer von uns im Objekt, doch wenn wir morgen zuschlagen, werdet ihr alle über die erforderlichen Informationen verfügen, die ihr benötigt, um die Operation zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.“ Und bevor eine Frage nach dem Wie gestellt wurde, die, wie Kingsley es ahnte, sich bereits in vielen Köpfen zu formen begann, fügte er hinzu: „Der Begriff des Denkariums wird allen sicherlich geläufig sein. Gut, dann können wir mit der Einsatzbesprechung fortfahren.“

Er ging auf die andere Seite hinüber und blickte die vielen jungen Menschen an.

„Zusätzlich zu den Animagi, die sozusagen die Vorhut bilden, werden weitere zwanzig Auroren, belegt mit Desillusionierungszaubern, ebenfalls ihre Positionen im Objekt beziehen. Alle anderen am Einsatz Beteiligten sind außerhalb positioniert und greifen als zweite Welle ein. Mit etwas Glück werden wir die Bande eiskalt erwischen. Doch rechnet mit Widerstand! Wenn ihr angegriffen werdet, verteidigt euch entsprechend. Es wäre wünschenswert, wenn wir die Lestrange-Brüder lebend in die Hände bekommen, aber es ist keine Bedingung. Für den Einsatz ist die Anwendung des Avada freigegeben worden, denn auch wir werden mit Sicherheit mit diesem Unverzeihlichen angegriffen werden. Wenn es die Situation erfordert, dann überlegt nicht lange. Todesser sind dafür bekannt, dass sie selbst im härtesten Gefecht immer wieder die Muße finden, ihre von uns kampfunfähig gemachten Verbündeten wieder auf die Beine zu stellen. Schaltet ihr einen aus, steht der im nächsten Moment wieder auf.“

Seine Augen schweiften über die Gesichter der Freiwilligen. Würde er auch nur einen Hauch Unsicherheit entdecken, würde er die Person am Ende der Besprechung höflich bitten, die freiwillige Meldung zurückzuziehen.

„Zurück zum Plan. Um exakt Null Achthundert erfolgt der Zugriff. Den Herrschaften dürfte somit nicht allzu viel Zeit zum Frühstücken bleiben, aber das können sie ja in Askaban nachholen“, erklärte er trocken und ein wohliges Raunen ging durch die Menge. „Als Erstes greifen jene Auroren ein, die mit dem Desillusionierungszaubern belegt sind, danach – und ich möchte nochmals betonen – danach die Animagi! Sie benötigen einen Augenblick, um sich zurückzuverwandeln und in dieser Zeit sind sie mehr als nur verwundbar. Ein Schmetterling ist mit dem Tagespropheten schnell erschlagen. Wir haben uns verstanden?“ Alle bejahten wortlos. „Gut! Wenn ihr die Zielpersonen nicht zu fassen bekommt, dann wendet einen Schockzauber an. Werft sie mit dem Stupor oder einem anderen schubkräftigen Zauberspruch aus den Fenstern. Die Auroren außerhalb werden sich um diejenigen kümmern. Soweit alles klar?“

Hier sprach niemand ein Wort, aber alle Anwesenden nickten verständig.

„In Ordnung. Ihr seid bei diesem Einsatz weitestgehend auf euch allein gestellt! Da ist niemand, dem ihr Fragen stellen könnt, niemand, den ihr um Erlaubnis für irgendetwas bitten müsst. In den nächsten Stunden werdet ihr alle die Örtlichkeit aus der Nähe kennen lernen. Unsere Kollegen aus der Mysteriumsabteilung haben uns kurzfristig einige Denkarien zur Verfügung gestellt, so dass ihr euch mit den entsprechenden Gegebenheiten vertraut machen könnt. Ihr werdet dort auch eure Positionen vorfinden, für die ihr eingeteilt wurdet. Ein entsprechendes Dossier steht jedem ebenfalls zur Verfügung.“

Mit dem Schwung seines Zauberstabes erschienen die Breviere auf dem Schoß eines jeden.

„Geht die Planung Stück für Stück durch und lernt sie durch die Augen des Gegners zu sehen. Ich erwarte von niemandem Heldentaten. Den meisten Helden, die ich im Krieg habe kennen lernen dürfen, gedenken wir auf der Tafel in der Eingangshalle. Macht euch mit der Planung vertraut. Möge Merlin mit euch sein! Danke.“

Jetzt übernahm Tonks und teilte die Anwesenden in kleine Grüppchen ein, die in die entsprechenden Räume mit den Denkarien geführt wurden. Nachdem jeder einmal das Haus in Gedanken abgelaufen war und sich seine Position eingeprägt hatte, kehrten sie zu Kingsley zurück.

Nach dem Ende der Besprechung trafen sich Kevin und Tracey auf dem Flur.

„Kevin, hi“, sagte sie mit unsicherer Stimme. „Du solltest jetzt wirklich Schlaf finden, bevor wir morgen das Gutshaus stürmen.“
„Ich bin viel zu aufgeregt. Außerdem habe ich Hunger.“
„Die Kantine hat noch auf. Begleitest du mich?“
„Viel lieber würde ich gemütlich Zuhause hocken, ein Sandwich essen und schlafen gehen.“
„Oh“, machte sie enttäuscht und schaute zu Boden.
„Dabei kannst du mir Gesellschaft leisen, wenn du möchtest?“
Abrupt blickte Tracey auf. „Na, du kommst ja gleich zur Sache.“
„Warum? Gemeinsam ein Sandwich essen und nebeneinander ein wenig Ruhe finden. Für mich hört sich das gut an. Kingsley hat gesagt, um sechs müssen wir vor Ort sein. Wir kennen das Gutshaus und müssen nicht sofort zurück, erst morgen Früh.“

Auch Tonks war froh, dass sie nicht sofort zurück in die Kälte musste. Stattdessen verabschiedete sie sich von Kingsley, um zu Remus zu flohen. Es war schon spät, aber sein Kamin war für sie immer offen. In seinem Schlafzimmer traf sie ihn an. Er schlief, aber zusammengerollt auf dem Boden. Heute war Vollmond. Heute musste er den letzten Wolfsbanntrank eingenommen haben, dachte sie. Dank Albus durfte er in seinem Zimmer bleiben, musste nur die Türen sicher verschließen und den Kamin sperren – außer für Tonks. Mit Hilfe ihres Zauberstabes verzauberte sie einen Stuhl in der Nähe des Bettes so, dass der um kurz nach fünf Uhr morgens anfangen würde, Lärm zu machen.

Ohne Moony zu wecken zog sie sich Umhang, Schuhe und Hose aus, um unter die Bettdecke zu schlüpfen. Auch wenn er neben dem Bett schlief, war allein seine Nähe beruhigend. Sie rutschte bis an die Bettkante, bis sein regelmäßiger Atem sie traf. Er roch eine Winzigkeit nach Vanille. Mit diesem Duft in der Nase schlief sie ein.

Am nächsten Morgen hatten sich die Auroren alle zusammen im Lager in der Nähe des Gutshofes versammelt und Kingsley gab letzte Anweisungen auch an die wenigen erfahrenen Veteranen, die diesen Einsatz begleiteten. Als er das Zeichen zum Losschlagen gab, herrschte fast absolute Stille. Man hätte buchstäblich eine Stecknadel fallen hören können.

Jeder kannte seinen Platz, seine Aufgabe. Die noch nötigen Anweisungen wurden durch Handzeichen lautlos übermittelt. Einen Moment später flogen verschiedenartige Vögel in den Himmel und anderes Getier huschte durch das nahe Unterholz hinüber zum Gutshaus, darunter eine Wühlmaus, ein Koboldmaki, sogar ein Maulwurf und eine Goldkröte. Als Nächstes machten sich die Auroren unter dem Desillusionierungszauber auf den Weg. Sie fanden schnell Einlass durch eine offene Kellertür, die offenbar nie abgeschlossen wurde. Ein Zeichen dafür, dass die Todesser sich hier sicher fühlten. Durch den Zauber unsichtbar kletterten andere ungesehen durch offene Fenster ins Innere des Todesserverstecks und suchten lautlos ihre Positionen auf, während die Uhr unbarmherzig weitertickte und der Augenblick der Wahrheit näher und näher rückte.

Die Auroren merkten schnell, dass auf dem Gutshof und den dazugehörigen Nebengelassen mehr Todesser versammelt waren als sie Anfangs dachten, doch für einen Rückzug war es längst zu spät. Das Überraschungsmoment würde das Einzige sein, was sie auf ihrer Seite hatten. Es war unheimlich, die vielen Gestalten in ihrem morgendlichen Tran an sich vorbeischlurfen zu sehen. Kevin konnte Eligius erkennen, dessen Rücken wieder gerichtet schien und der sich so unbeobachtet fühlte, dass er sich auf dem Weg zum Esszimmer am Hintern kratzte.

Die Todesser ahnten nichts.

Der Tisch, an dem die Ziele der Auroren speisten, wurde von einem lautlos gesprochenen Zauber getroffen, doch das Resultat des „Bombarda Maxima“ war alles andere als lautlos. Der Tisch explodierte auf der Stelle. Umherfliegende Tischbeine setzten den ersten Todesser außer Gefecht. Holzsplitter bohrten sich in die Gesichter derjenigen, die ihren Kopf nicht schnell genug abwenden konnten. Schreie.

Es ging alles sehr schnell.

Mit einem Male war der Raum voller Todesser, die von überall herbeieilten und nun kreuz und quer durcheinander liefen, um die Angreifer ausfindig zu machen, die nun sichtbar wurden. Flüche, rote und grüne, flogen von links nach rechts und von nach unten. Es zischte laut. Die pfeifenden Geräusche erinnerten an Raketen zu Silvester. Wie aufgescheuchte Funken stoben die Menschen auseinander. Auf engstem Raum steigerten sich Auroren und Gegner gegenseitig in einen Blutrausch, denn keine der Parteien konnte es sich leisten aufzugeben.

Auroren, denen der Zauberstab aus der Hand gerissen wurde, griffen nach Stühlen, Lampen und Beistelltischen – nach allem, was sich zur Verteidigung eignete – und schlugen damit auf ihre Gegner ein, bis sie entweder auf ein blutiges, regungsloses Fleischstück einschlugen oder selbst durch einen Schlag mit einem harten Gegenstand von den Füßen geholt wurden.

Als Kevin und die anderen Animagi sich zurückverwandelten, war die Schlacht im Esszimmer bereits in vollem Gange. Er selbst hechtete hinter ein umgeworfenes Sofa, während der Avada über ihn hinwegpeitschte und einen hässlichen schwarzen Fleck an der getäfelten Wand hinterließ. Trotz des Getöses und Durcheinanders konnte Kevin den Schmetterling sehen. Im Getümmel nahm Pap gerade seine menschliche Gestalt an, da rammte ihm ein tollwütiger Todesser mit verbranntem Gesicht – Sixtus – ein Messer in den Bauch, bevor er das Leben des jungen Mannes im Anschluss mit dem Unverzeihlichen beendete. Sixtus hatte keine Möglichkeit, seinen kleinen Triumph zu begreifen, denn der gleiche Fluch traf auch ihn und er sackte von einer Sekunde zur anderen tot zusammen. Bei dem herrschenden Chaos war es möglich, dass er von seinen eigenen Leuten getroffen worden war. Kevin hoffte, dass Tracey diesen Tag überleben würde – und er selbst auch.

Varinka, eine gnadenlose Barbarin, ließ einen Auror in Flammen aufgehen. Sie stand genau vor einem großem Doppelfenster und diese Chance nahm Kevin wahr. Mit einem Stupor beförderte er sie nach draußen. Dawlish und seine Männer würden sich um die Hexe kümmern.

Gegen drei Todesser musste sich Tonks zur Wehr setzen. Rodolphus beschimpfte sie als wertlose Nichte, schleuderte ihr einen Avada Kedavra nach dem anderen entgegen. Nur durch ihre Schnelligkeit konnte sie den Unverzeihlichen entkommen und auch durch ihre Kollegen, die immer wieder die drei ablenkten und bombardierten. Kevin traf Rabastan mit einem Schockzauber. Der Getroffene taumelte nach hinten und kam in die Schusslinie eines anderen Todessern. Der grüne Fluch streckte Rabastan auf der Stelle nieder.

Nach nicht einmal vierzig Minuten Kampfgefecht ebbten die Schreie langsam ab und die Rauchschwaden der Flüche und des brennenden Mobiliars verzogen sich. Die restlichen Todesser ergaben sich den immer zahlreicher werdenden Auroren des Ministeriums nach hartem und unfairem Kampf. Einige von ihnen richteten den Zauberstab auch gegen sich selbst und entzogen sich so dem Gamot und einem Urteil.

Rabastan oder das, was noch von ihm übrig war, lag rücklings über der Armlehne eines Sessels, während Rodolphus unter dem Fluch eines modifizierten Incarcerus, der die Seile immer enger schnürte, je mehr er sich zur Wehr setzte, abtransportiert wurde. Irgendjemand flüsterte ihm noch zu, wie sie an die Information gekommen waren und das man Macnair in Askaban gebrochen hätte. Rodolphus würde den Rest seines Lebens, das er hinter Gittern absitzen würde, damit beschäftigt sein, den Verräter umbringen zu wollen.

Die Auroren blickten sich in dem Trümmerhaufen um, das vor einigen Minuten noch ein gemütliches Esszimmer war. Regungslose Körper wurden umgedreht. Man hörte einige Schluchzer. Manch einer stand wie in Trance und mit kreidebleichem Gesicht auf einem Fleck. Andere nutzten den Rest ihrer Kraft, um Verletzte zu versorgen. Kingsley ließ durch Dawlish einige Heiler aus dem Mungos heranschaffen.

Mit einer gebrochenen Hand, die Kevin erst jetzt spürte, wankte er hinüber zu Papillon. Den Messerstich hätte sein Freund überleben können, nicht aber den Avada. Hätte er ihn bloß nie für diesen Beruf begeistert, warf Kevin sich vor. Ein lautes Kreischen, das durch das zerbrochene Fenster von draußen gut zu hören war, ließ ihn aufhorchen. Es war eine helle Frauenstimme, die laut schrie und jemanden beklagte. Vom Kampf ganz erschlagen taumele er hinüber und blickte nach unten. Tracey. Als er sie wohlauf sah, schmerzte nicht einmal mehr seine Hand, aber etwas hatte sie aus der Fassung gebracht. Sie war nicht mehr sie selbst, weinte und schrie wie am Spieß.

Wie von einem unsichtbaren Band gezogen ging Kevin im Schneckentempo nach unten, wurde derweil von einigen Kollegen überholt und kreuzte die Wege der Auroren, die nun von draußen ins Haus kamen. Er hörte wie aus der Ferne die Frage, ob es ihm gut ginge, weswegen er abwesend nickte.

Auf dem Hof angelangt ging er um die Ecke, wo er Tracey schreien und weinen hörte. Dawlish hielt sie fest mit beiden Armen umklammert und murmelte ihr unverständliche Worte ins Ohr, dessen ruhiger Tonfall Trost vermuten ließ. Beide bemerkten ihn gar nicht. Der Grund für Traceys bewegtes Verhalten war schnell gefunden.

Am Boden, zwischen den Scherben des zersplitterten Fensters, lag eine tote Schneeammer.
Three Characters in Search of an Exit - eine Satire mit Harry, Hermine und Severus
~ Muggelchen.net ~

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